Meines Bruders bester Freund von eulenkueki ================================================================================ Kapitel 5: ----------- September!   Soll heißen, mein Hausarrest ist endlich rum. Und der Sommer auch. Also, warme Tage gibt es immer noch gelegentlich, aber immerhin kann man jetzt auch wieder den ganzen Tag lange Jeans tragen ohne einen Hitzetod zu sterben, oder für völlig verrückt erklärt zu werden. Neulich hat es nur so aus Eimern gekübelt, dass man sogar eine Jacke anziehen konnte. Musste, weil man sonst von oben bis unten klitschnass gewesen wäre.   Das erste Wochenende habe ich natürlich sehr sinnvoll genutzt: bei Hannah übernachtet, von Freitag bis Sonntag. Freitag und Samstagabend Horizon. Ich glaube, ich hatte noch nie soviel Spaß wie an diesem ersten Septemberwochenende. Die Musik war hervorragend, wie immer, das ein oder andere Bier mit Hannah genießen, tanzen bis die Beine schmerzten. Das Maxi, der auch mit dabei war, gelegentlich etwas zu nah an mir herum getanzt hat, hat mich auch nicht gestört.   Was aber viel wichtiger ist: ich bin nicht mehr verliebt. Kein nervliches Wrack mehr. Heule mir nicht mehr jeden Abend die Augen aus dem Kopf, denke nicht mehr ununterbrochen an meinen Schwarm, der nicht mehr mein Schwarm ist, interessiere mich nen Scheiß für den Besuch den Bastian empfängt und konzentriere mich voll und ganz auf die Schule. Mathe verstehe ich auch so langsam, glaube ich. Die Klausur von neulich ist immerhin eine gute drei geworden – da kann man doch nicht meckern, oder? Maxi hat mir ein bisschen unter die Arme gegriffen und lustigerweise verstehe ich den Kram viel besser, wenn er es mir erklärt. Liegt wahrscheinlich daran, dass es mit ihm einfach lustiger ist als mit dem blöden, alten Mathelehrer, der jeden, der nicht alles sofort kapiert, am liebsten auf den Scheiterhaufen verbrennen oder für unfähig erklären würde. Naja, oder beides. Keine Ahnung, in welcher Reihenfolge.   Jedenfalls kann ich mein Leben wieder so richtig genießen, was sicherlich auch an den erträglichen Temperaturen liegt. Nachdem mein Hausarrest vorbei war, haben Mama und Papa sich nochmal mit mir zusammen gesetzt und wir haben besprochen, dass so eine Aktion mit hemmungslos saufen und bei anderen Leuten auftauchen nicht nochmal vorkommen und ich mich etwas mehr auf die Schule konzentrieren soll. Damit habe ich mich gut arrangieren können und irgendwie ist dieser eine Monat so Routine für mich geworden, dass ich nach der Schule nach Hause gehe, Hausaufgaben mache, lerne, mit Oskar raus gehe und dann zeitig ins Bett. Abends telefoniere ich oft noch mit Hannah oder Maxi.   Es ist Donnerstagabend, ich räume gerade die Spülmaschine aus und die Küche auf, was nicht nur Bastian, sondern auch meine Eltern seltsam finden, als es an der Tür klingelt. Ich weiß längst wer das ist, weil Bastian seinen Besuch schon am Morgen angekündigt hatte. Spieleabend. Mitten in der Woche. Oder DVD Abend, keine Ahnung.   Ich schmeiße den Wischlappen ins Spülbecken, trockne mir halbwegs die Hände ab und latsche zur Haustür, die ich ohne jedweden Schwung und ohne ein typisches Lächeln in Situationen wie dieser öffne und Oskar am Halsband zurückhalte, als der den Besuch am liebsten anspringen würde.   „N'abend Konstantin.“   „Hi Noah.“   Ich lasse ihn rein, schließe die Tür, lasse Oskar gehen und Noah stehen als ich zurück in die Küche gehe um den Rest aufzuräumen und sauber zu machen. Die Stimmen der beiden besten Freunde auf der Welt dringen nur zur Hälfte an meine Ohren.   Nachdem die Küche fertig ist, gehe ich noch eine Runde mit Oskar raus, der sich tierisch freut, ein bisschen Qualitytime mit mir zu verbringen. Im Park werfe ich ein bisschen den Stock für ihn und weil es irgendwie süß ist, ihm dabei zuzusehen, wie er sich total dumm und dämlich freut, wird mein Arm auch nicht zu schnell müde. Trotzdem gehen wir irgendwann wieder nach Hause, weil ich früh ins Bett muss. Sonst bin ich morgens nämlich nicht ausgeschlafen und das kann ich mir für die Schule nicht erlauben.   Meine Schuhe räume ich brav und ordentlich in den Schuhschrank, nehme mir eine Flasche Wasser mit aufs Zimmer und mache mich bettfertig. Ich liebe dieses Wort. Bettfertig. Ist viel einfacher und schneller als zu sagen: aufs Klo gehen, Hände waschen, Gesicht waschen, Zähne putzen, umziehen, ins Bett legen.   Ich glaube, heute ist kein guter Abend. Es ist schön dunkel in meinem Zimmer und trotzdem habe ich das Gefühl, dass es noch viel zu hell und früh ist um zu schlafen. Ich drehe mich eine Weile von einer Seite auf die andere, auf den Bauch, auf den Rücken, von Seite auf Seite, Bauch, Rücken, hin und her... irgendwann gucke ich auf die Uhr. Es ist nach elf. Ich glaube um neun bin ich ins Bett gegangen. Ich reibe mir die Augen, atme tief ein und aus, konzentriere mich auf meine Atmung. Das ticken meiner Uhr an der Wand über meiner Tür klingt so monoton, dass ich es leider nicht als Einschlafhilfe nutzen kann. Irgendwie macht es mich sogar wahnsinnig.   Ich stehe auf, kletter auf meinen Stuhl, den ich an die Tür stelle, hole die blöde Uhr runter und nehme die Batterien heraus. Dann gehe ich wieder ins Bett und drehe mich auf den Bauch, schließe meine Augen und muss dann wohl doch irgendwann eingeschlafen sein.   - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -   Im Klassenraum ist es so still, dass man eine Stecknadel würde fallen hören.   Ich klopfe mir den Kreidestaub von den Händen, gehe zurück zu meinem Platz und bin wirklich sehr stolz auf mich.   „Ich gestehe, dass ich nicht damit gerechnet habe... aber Sie verblüffen mich, Herr Wagner.“, murmelt mein Mathelehrer widerwillig anerkennend und bestaunt meine perfekte Rechnung an der Tafel. Hannah sieht mich ein bisschen entsetzt von der Seite her an als ich mich wieder neben sie setze.   „Wer bist du und was hast du mit meinem Konsti gemacht?!“, zischt sie leise und rammt mir gefühlvoll ihren Ellbogen in die Seite. Ich zucke die Schultern und bin sehr zufrieden mit mir. Soll nochmal einer sagen, bei mir wären Hopfen und Malz verloren, sobald es um Mathe geht!   In den letzten Wochen haben mich meine Lehrer viel gelobt. Meine mündliche Mitarbeit habe sich deutlich verbessert und in den Tests und Klausuren überrasche ich jedes Mal aufs Neue. Tja, manche Dinge können sich eben ändern. Und ich muss mich nun mal um einen guten Abschluss bemühen, immerhin möchte ich später studieren gehen. Weiß zwar immer noch nicht was, aber den Entschluss habe ich auch über die letzten Wochen gefasst.   In Musik langweile ich mich zu Tode und mache beim Vorspielen am Keyboard einen Fehler nach dem anderen. Meine Musiklehrerin stiert mich mindestens so entsetzt an wie die Mitschüler, als würde mir plötzlich ein zweiter Kopf wachsen. Ehrlich, Mathe geht schneller rum und mir viel einfacher von der Hand, als in Musik auf dem Keyboard herum zu klimpern und über die Musik des siebzehnten Jahrhunderts zu diskutieren. Wen interessiert der Scheiß eigentlich?!   Biologie ist viel witziger, da sitze ich nämlich inzwischen neben Maxi und wenn wir nicht ständig quatschen würden, würden wir auch vielleicht weniger ermahnt werden... kann halt nichts dafür, dass Maxi wahnsinnig witzig ist, okay?!   Nach Bio reicht Maxi mir den Kugelschreiber, den er sich bei mir geliehen hat.   „Hast du heute schon was vor?“, fragt er mich, während er seine Hefter in seinen schwarzen Rucksack stopft. Er nimmt einen Schluck von seinem Wasser, obwohl trinken in den Bioräumen eigentlich total untersagt ist. Vom Lehrerpult vernehme ich ein warnendes räuspern.   „Nee, wieso?“   Maxi strahlt mich an wie die Sonne.   „Ich wollte heute mal ne ruhige Kugel schieben – Filme gucken, Pizza essen. Hast du Lust bei mir zu pennen?“   Okay, ich gebe zu... ein bisschen überrascht bin ich schon. Und ja, ich glaube das ist mein Herz, das plötzlich verwirrt durch die Gegend stolpert.   „Klar. Wann soll ich denn da sein?“   „Mhh... so um sechs, halb sieben?“   „Alles klar. Soll ich irgendwas mitbringen?“   „Ich denke nicht, nein.“   Wir latschen zusammen zum Haupteingang, wo Hannah bereits auf uns wartet. Die streicht sich ihre Locken aus dem Gesicht und wedelt anschließend mit einem knallbunten Flyer vor unseren Nasen herum.   „Im Horizon ist heute Color Party. Kommt ihr mit?“   „Nee, wir machen Männerabend.“, entgegnet Maxi so lässig, dass ich es fast schon wieder cool finde. Hannah sieht ehrlich überrascht aus. Vielleicht ein bisschen geschockt. Sie guckt mich an, als würde sie in meinem Gesicht nach irgendwelchen Anzeichen von Größenwahn suchen.   „Männerabend?“, hakt sie skeptisch nach und zieht mal wieder nur eine ihrer hübschen, perfekt gezupften Augenbrauen hoch. Ich beneide sie immer noch drum. Habe neulich mal wieder vor dem Spiegel gestanden und geübt... naja, sagen wir, ich habe ausgesehen, als hätte ich irgendwelche schlimmen Krämpfe im Gesicht. Habs also sein gelassen.   „Genau. Ich glaube, Konstantin braucht mal ein bisschen Testosteron.“, behauptet Maxi und lacht, während ich mir nicht sicher bin, was ich darauf sagen soll. Hannah scheinbar auch nicht, denn die guckt mich nun fast ein bisschen böse an.   „Na, da bin ich mir nicht so sicher. Aber was solls, dann werde ich mich eben alleine mit Farbe beschmeißen. Wir sehen uns.“   Hannah küsst mich auf die Wange, umarmt Maxi und hüpft dann elegant die Treppen runter um zum Bus zu gehen. Ihre Lockenpracht wippt hin und her, ihre Gürtel mit den tausend Silberkettchen klimpern, während sie sich vom Acker macht. Ich bin ein bisschen verwirrt. Maxi klopft mir auf die Schulter.   „Morgen rufst du sie besser an und lädst sie zu Kaffee und Kuchen bei dir ein.“   Jau, das ist ne gute Idee!   „Okay, also dann später bei dir. Schreibst du mir deine Adresse?“   Maxi lächelt.   „Klar. Bis später.“   Er umarmt mich kurz, dann macht er sich auf dem Weg zum Bus. Ich latsche nach Hause und muss erst noch realisieren, dass ich heute Abend bei Maxi übernachten werde. Habe zwar schon mal bei anderen Jungs gepennt – Geburtstagsfeiern und solche Sachen – aber da ist es halt nie... um irgendwas gegangen. Also nicht, dass es bei Maxi und mir um irgendwas geht, aber ein bisschen seltsam fühle ich mich schon. Trotz dessen zwischen uns alles geklärt ist, fühle ich ein nervöses kribbeln irgendwo im Bauch. Hoffentlich hat sich das bis heute Abend wieder erledigt.   Während ich wenig später daheim meine Sachen packe, überlege ich, was ich für die Nacht mitnehme. Kann ja nicht nur in Shorts bei ihm pennen, oder? Das ist dann doch etwas zu gewagt. Und irgendwie macht es mich im Nachhinein tierisch nervös. Am Ende greife ich wahllos in meinen Kleiderschrank, hole ein älteres Tshirt heraus und stopfe es in meinen Rucksack. Zahnbürste, Zahnpasta... ob ich mein eigenes Duschzeug mitnehmen soll? Packe das lieber auch mal ein. Ein Tuch werde ich ja wohl bei Maxi kriegen, oder? Klamotten für den nächsten Tag packe ich auch direkt ein.   Nachdem ich alles gepackt, mich vorher nochmal geduscht und in frische Klamotten geworfen habe, zupfe ich an meinen Haaren rum, bis sie halbwegs ordentlich sitzen und spaziere munter die Treppe runter. Aus dem Wohnzimmer höre ich mal wieder bekannte Stimmen, allerdings auch die von meinen Eltern. Möglichst lässig bleibe ich an der Tür stehen und ernte überraschte Blicke von meinen Eltern und Bastian und Noah, die gemütlich Kuchen essen. Was der Idiot schon wieder hier macht, ist mir ja ein Rätsel.   „Gehst du weg? Hier ist extra ein Stück Kuchen für dich.“, meint Mama und deutet mit ihrer Kuchengabel auf... ich glaube, es ist Bienenstich.   „Esse ich morgen. Ich penne bei Maxi.“   Einen Blick auf Noah kann ich mir nicht verkneifen. Wie ich seinen Blick deuten soll... keine Ahnung. Ich glaube, er sieht ein bisschen skeptisch aus? Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, immerhin gucke ich nicht so genau hin.   „Hast du Hausaufgaben auf?“, schaltet sich mein Paps direkt ein und der strenge Ausdruck in seinen Augen entgeht mir nicht. Ich seufze leise. Das ich mich hier gerade in Grund und Boden schäme, scheint wohl keinen zu interessieren.   „Nur Englisch, aber das ist bis Mittwoch und werde ich morgen zusammen mit Hannah machen.“   Die weiß von ihrem Glück zwar noch nichts und wird es vermutlich auch nicht erfahren, aber wenn ich Hannah mit ins Spiel bringe, sind meine Eltern – mein Dad – eigentlich immer recht milde gestimmt.   „Wer ist eigentlich Maxi und wo wohnt der?“, will Mama weiter wissen und ich am liebsten durchdrehen. Das gibt’s doch nicht! Ich krame mein Handy hervor, weil mir einfällt, dass er mir ja schreiben wollte, wo er wohnt. Dabei wird mir nur leider etwas schlecht...   „Maxi ist ein Schulfreund und wohnt in der Eichenallee.“   Ich sehe Noah aus dem Augenwinkel, wie er den Kopf schief legt.   „Das ist die Villenkolonie bei mir in der Nähe.“   Seine Stimme löst dieses unangenehme Gefühl in mir aus... nein, es löst nichts dergleichen in mir raus. Ich zucke die Schultern.   „Also, ich bin dann weg. Bis morgen!“   Ich sehe zu, dass ich mich vom Acker mache und checke die Zeit. Viertel vor sechs. Wenn alles glatt läuft, bin ich um halb sieben bei Maxi. Punktlandung. Mal sehen, ob mir das gelingt! Ich schreibe ihm schnell eine Nachricht, mache mich auf dem Weg zum Bahnhof und schreibe parallel Hannah. Habe ein klein bisschen ein schlechtes Gewissen, weil sie nun ganz alleine ins Horizon geht... aber Maxi war nun mal zuerst da und ich muss ja auch nicht jeden Freitagabend raus und Party machen gehen. Außerdem sollte ich vielleicht mal mein Geld im Blick behalten.   Auf dem Weg zu Maxi, den ich teilweise mit Navigation laufen muss, weil ich mich sonst hoffnungslos verlaufen würde, denke ich über viele verschiedene Dinge nach. Belanglose Dinge. Schule, was Maxi und ich wohl an Filmen gucken werden, was für Pizza er bestellen wird... oder macht er das selber? Also, wir? Muss gestehen, dass ich da ja nun nicht so Bock drauf hätte. Ich möchte nur entspannen und meine Gedanken abstellen können. Denn wenn ich zur Ruhe komme, schleichen sich da immer diese nervtötenden Gedanken und vor allem ganz fiese Gefühle ein, die ich einfach überhaupt nicht gebrauchen kann oder will. Das macht mich wahnsinnig. Vielleicht habe ich deshalb auch das erste Wochenende nach meinem Hausarrest komplett durch gefeiert und nutze jede freie Minute, um mich mit irgendwas zu beschäftigen – Hauptsache nicht mit meinen wirren Gedanken.   Mit dem Zug fahre ich eine Station weiter als ich aussteigen würde um zum besten Freund meines Bruders zu fahren. Dann muss ich meine Navigations-App fragen, ob sie mich lotsen kann, weil ich mich in diesem Teil der Stadt null auskenne. An Maxi schicke ich direkt mal eine weitere Nachricht, dass ich bald bei ihm sein müsste. Mensch, ganz schön hübsche Gegend hier. Die Rasenstücke sind bestimmt mit Lineal und Nagelschere getrimmt worden. Es reiht sich eine Jugendstilvilla an die nächste, manche mit kleinem Türmchen oder im Fachwerkhausstil verkleidet. Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass Maxi in so einem Teil wohnen soll. Das... passt nicht zu ihm? Naja, andererseits kenne ich Maxi ja auch praktisch gar nicht.   Eichenallee siebzehn... aha! Die Villa hat ein rötliches Dach und ist babyblau und weiß gestrichen, mit tausend Ornamenten und Schnörkeln, zwei Erkern rechts und links, einer großen Auffahrt und Vorgarten. Der kommt direkt aus einem Schöner-Garten-Magazin und wird vermutlich auch im Winter gehegt und gepflegt. Mit einem Tannenbaum, der tausend Meter hoch ist oder so.   Etwas unwohl ist mir ja schon, als ich zur Tür schleiche und den Goldknopf der Klingel mag ich auch nicht so recht drücken... van der Linden. Mann, das ist sicherlich ein allerwelts Familienname, trotzdem fühle ich mich, als würde ich bei irgendeinem Popstar klingeln wollen. Bevor ich das jedoch tun kann, wird plötzlich die Haustür aufgerissen und ich beinahe von jemanden mit ampelrotem Haar umgerannt.   Moment.   Ampelrotes Haar?!   Vor mir steht... das ist doch dieser Jules, oder? Den ich letzten Monat im Horizon gesehen habe. Was macht der denn hier? Wir gucken uns wohl beide ziemlich verwirrt an, dann trommelt er wie ein Irrer auf die vermutlich sau teure Eingangstür ein.   „Maximilian van der Linden, du Schwerenöter! Geben sich deine Häschen hier immer die Klinke in die Hand?!“, bollert er amüsiert los und wenig später taucht besagter Schwerenöter hinter Jules auf. Der grinst noch immer bis über beide Ohren und lacht sich gerade völlig kaputt, dass jeglicher Silberkrams an und vermutlich auch in seinem Körper klimpert wie ein Sack voller Gold. Hallelujah.   „Konstantin! Hi, sorry für diesen Schwachsinn, der ist sofort weg...“, murmelt Maxi vielleicht ein klein wenig verlegen und deutet hilflos auf Jules.   Ich weiß leider immer noch nicht was ich sagen soll und ziehe etwas unschlüssig die Schultern hoch.   Jules ist wohl nicht so sehr auf den Mund gefallen.   „Jaja, der Schwachsinn nimmt ja schon seine Beine in die Hände. Äh-Konstantin, schön, dich zu sehen. Klein ist die Welt, was? Maximilian, danke für deine offenen Ohren. Wir sehen uns.“   Jules schmatzt Maxi einen Kuss auf den Mund, was der mit einem leicht aufgebrachten grummeln quittiert. Mir... strubbelt Jules durchs Haar?!   „Du hast nur noch zwei Kondome, also treibst nicht zu heftig!“, ruft Jules uns zu, als er gerade hinaus auf offener Straße tritt und dann zwischen Jugendstilvillen und Eichen verschwindet. Ich weiß nicht ob ich lachen oder weinen soll. Was war das denn bitte?!   Ratlos gucke ich Maxi an, der immerhin versucht, schuldbewusst aus der Wäsche zu glotzen.   „Kann ich dir das bei einem heißen Kakao erklären?!“   Na, da sage ich nicht nein!   Eine halbe Stunde später sitzen wir im... also, Maxi nennt es Wohnzimmer, ich würde es eher Salon nennen, weil hier eine ganze Abendgesellschaft Platz hätte, und trinken heißen Kakao mit Zimt. Es ist zwar noch überhaupt kein bisschen herbstlich, aber es muss ja auch nicht Weihnachten sein um Völlerei mit Zimtsternen zu begehen, oder?! Jedenfalls erklärt Maxi mir tatsächlich die Sache mit Jules, dessen richtiger Name er mir aber nicht nennen will. Das macht entweder nur Jules oder niemand. Der wird an Weihnachten schon achtzehn, geht aufs Gymnasium und ist offenbar schwer verliebt, was ihm wohl nicht gut bekommt, weil er sich seit frühester Jugend eigentlich durch die Weltgeschichte... ähm... vögelt. Ja, so hat Maxi das ausgedrückt. Woher die beiden sich kennen habe ich da eigentlich nicht wissen wollen, aber eins und eins kriege selbst ich hin. Die beiden hängen auch nur noch miteinander rum, weil sie festgestellt haben, dass sie neben Sex eigentlich auch so ganz gut miteinander auskommen. Und weil Jules einen schwulen Mann braucht, dem er sein Liebeskummer-Leid klagen kann. Seine Flamme lebt aber wohl noch im Schrank. Und zwar in der hintersten Ecke.   Danach habe ich erstmal genug von Jules, weil ich kotzen muss, wenn ich noch ein Wort über diesen Typen höre. Mann, der ist mir viel zu omnipräsent. Außerdem will ich nicht über irgendeinen Typen reden, den ich nicht kenne. Also, eigentlich will ich über gar keinen Typen reden.   Stattdessen gibt Maxi mir nach unserem Kakao eine Hausführung... Villaführung. Zumindest die wichtigsten Räume, wie zum Beispiel das Badezimmer im Erdgeschoss, Küche, Wohnzimmer (das ich ja schon kenne), sein Zimmer (dazu komme ich später), sein Badezimmer (dazu auch) und die Räumlichkeiten seiner Schwester – naja, jedenfalls die Tür zu ihrem Zimmer, damit ich nicht versehentlich nachts im falschen Zimmer lande. Ich habe zwar nicht vor des nachts hier spazieren zu gehen, aber Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, richtig?!   Wir bestellen jedenfalls Pizza, was sehr witzig ist, weil Maxis Familie gefühlt hunderttausend Lieferservice-Flyer hat. Vom Pizzajungen ums Eck bis zu erstklassigen Catering-Firmen. Maxi eröffnet mir, dass die Küche bisher nur einmal genutzt worden ist – und zwar zur Einweihung. Also, zumindest von ihnen selbst, denn um die Mahlzeiten kümmert sich deren Haushälterin. Mir ist das alles sagenhaft unangenehm, weil ich mir reichlich fehlplatziert vorkomme. Gleichzeitig bin ich super froh, dass Maxi so entspannt ist und kein versnobter Bengel. Allerdings... was weiß ich schon groß von Maxi?!   Mit der Pizza verziehen wir uns in Maxis Zimmer, das ungefähr so groß ist wie der Salon. Oder noch größer? Keine Ahnung, ich glaube, ich habe jedwede Einschätzung dafür verloren. Hohe Wände hat er, die in so einem... ich weiß nicht, türkis-blau-grau-grün Ton gestrichen sind. Oben an der Decke hat er Stuck. Sieht aus wie in einer verdammten Kirche, fehlen nur noch die nackten Trompetenengel. Seine Möbel sind grau-weiß, was scheinbar hervorragend zu der Wandfarbe passt. Ich würde mal auf Tine Wittler oder Schöner Wohnen tippen. Oder beides. Ein Doppelbett hat er, Schreibtisch, PC, Kleiderschrank, Bücherregal, Fernseher an der Wand gegenüber vom Bett (schluck!), in einer Ecke liegen zwei Fußbälle, an den Wänden tummeln sich... keine Ahnung, ich glaube, das ist abstrakte Kunst? Scheint irgendwie nicht zum Rest seines jung wirkenden Zimmers zu passen. Er hat grauen Teppichboden und ums Bett herum liegen schwarze Flokati-Teppiche. Also das passt ja irgendwie nicht so recht hier rein, sieht aber dennoch lustig aus. Seine Bettwäsche ist... Ahoj-Brause Waldmeister auf der einen und Zitrone auf der anderen Seite. Also, irgendwie finde ich das ja zum Niederknien niedlich!   Von seinem Zimmer geht im Übrigen en-Suite mäßig sein Badezimmer ab. Das besteht aus einer riesigen Badewanne mitten im Raum, einem bodentiefen Fenster, Doppelwaschbecken und einer... sehr großen, barrierefreien Dusche mit Regenduschkopf. Ich glaube der Boden ist schwarzer Marmor, sicher bin ich mir nicht. Ah ja und eine Toilette gibt’s natürlich auch. Mir ist das alles ja ein wenig unangenehm – keine zehn Pferde werden mich da aufs Klo kriegen, lieber gehe ich auf den Flur. Also, über den Flur in das andere Bad oder nach unten. Was ich eigentlich meine: ich fühle mich nach wie vor etwas unwohl, weil ich Panik habe, irgendwas versehentlich kaputt zu machen oder zu beschmutzen. Maxis Zimmer ist zwar ganz offensichtlich bewohnt, trotzdem sieht alles aus wie geleckt. Ich wette, sogar hinter seinen Möbeln wird staubgewischt. Ich weiß gar nicht, wann ich zuletzt hinter meinen Schreibtisch geguckt habe, nehme mir aber fest vor, das eines lieben Tages mal zu tun.   Die Pizza essen wir übrigens auf'm Boden, weil Maxi es überhaupt nicht leiden kann, Krümel im Bett zu haben. Auch Kekse werden da nicht gegessen. Ich finds süß, auch wenn ich ja der Meinung bin, dass Pizza im Bett genauso gut ist wie Pizza vom Vortag zum Frühstück. Das behalte ich aber mal lieber für mich. Während wir Pizza essen – er irgendeinen Chili-Kram der mir alleine vom Geruch schon die Tränen in die Augen treibt, ich Pesto und Mozzarella um auf der sicheren Seite zu bleiben – erzählt er mir dann auch ein bisschen mehr von sich und seiner Familie, wohl weil er bemerkt hat, dass ich zwischenzeitlich... äh, staunend umher schaue. Maxis Papa ist Schönheitschirurg mit eigener Praxis und, ach du heiliger Klischeefilm!, hat Maxis Mama als Patientin kennen gelernt, nach dem die einen ganz fiesen Nasenbruch hatte und danach nichts mehr so war, wie es vor dem Unfall. Seine Mama ist Chefredakteurin eines sehr erfolgreichen Frauenmagazins. Maxis Schwester Nina ist dreizehn, liebt Pferde und ist in jeden männlichen Popstar verliebt den es gibt. Ein ganz normales Mädchen, denke ich... oder eines, wie sie wohl im Buche steht? Keine Ahnung, ich kenne mich damit nicht so aus. Jedenfalls klebt sie, sofern sie es kann, sehr an Maxi was diesen zwar nicht direkt stört, aber.. wer hat schon gerne seine jüngeren Geschwister um sich schwirren?! Hahaha, ich kann da halt nicht mitreden!!   Maxis Familie weiß auch, dass er schwul ist. Sein Papa ist am Anfang wohl nicht gerade aus dem Häuschen gewesen, seiner Mama hat es nichts ausgemacht. Nina findet das wohl super, weil alle ihre Freundinnen Maxi wahnsinnig süß finden und sie wohl ein wenig beneiden, weil sie halt einen so coolen Bruder hat. Mir ist es ja immer noch ein Rätsel, wieso manche Leute so darauf abgehen, wenn jemand demselben Geschlecht zugetan ist. Jedenfalls ist es in der van der Linden Familie sehr harmonisch, auch wenn Mama und Papa van der Linden viel arbeiten und Maxi sich oft um Nina und ihre Hausaufgaben kümmern muss. Maxi macht das aber wohl gerne und scheint generell eher der Familienmensch zu sein, was ich irgendwie sehr süß finde.   „Also“, schmatzt Maxi zwischen zwei Pizzastücken und leckt sich die Finger, was leider schon ziemlich heiß aussieht, „schon eine Idee, was für Filme du gucken magst?“   Oh nein... wenn ich ihm jetzt sage, dass ich selbst bei Disneyfilmen schlimm Herzrasen und Angstzustände kriege...   „Nee. Irgendwas, bei dem man nicht so viel selber denken muss?“, schlage ich entschuldigend grinsend vor und... mhh, lecke mir auch einmal kurz einen Finger ab. Was Maxi nicht sieht. Auch gut.   „Wozu sind Freitagabende auch sonst da?“   Maxi lacht, wischt seine Hände an einer der mitgelieferten Servietten ab und krabbelt zu seinem Bücherregal, in dem sich ganz unten ein paar DVDs tummeln. Die guckt er sich eine nach der anderen an, schüttelt den Kopf, stellt sie wieder zurück, schaut zu mir...   „Zombieland?“   Ich weiß nicht, was das ist, nicke aber tapfer und fühle mich schon jetzt wie ein Zombie. Eilig schlinge ich das letzte Stück meiner Pizza herunter und wische mir die Finger sauber. Ich bin nicht so der große Filme-Fan... also, soll heißen, ich gucke zu wenig, um da irgendwie mitreden zu können und wie gesagt: die kleinsten Dinge machen mich total nervös und ich werde unruhig und die Spannung macht mich wahnsinnig.   „Wenn du magst, kannst du ins Bad, dann mache ich schon mal alles fertig für den Film.“   Moment... der meint doch nicht? Vermutlich gucke ich genauso entsetzt wie ich denke, dass ich gucke! Maxi lacht und tätschelt mir aufmunternd die Schulter, während er die Pizzakartons zusammen faltet.   „Wir haben leider kein Heimkino, daher müssen wir hier gucken. Außerdem finde ich im Bett liegen und Filme gucken mega entspannend. Ach ja, wenn du irgendwas brauchst, bedien dich ruhig.“   Na, was mache ich mir also Sorgen, hm?! Trotzdem schaffe ich es nur tonlos zu nicken und verziehe mich samt Rucksack ins Badezimmer... und schließe ab. Tut mir leid, aber ich kann in kein fremdes Badezimmer gehen und nicht nicht abschließen. Das geht nicht. Außerdem sind Badezimmertüren dazu da, abgeschlossen zu werden!   Im ersten Moment fühle ich mich doch etwas verloren in diesem riesigen Bad, gleichzeitig finde ich es super cool, dass Maxi sein eigenes hat. Meins muss ich mir mit Bastian teilen, was immerhin unter der Woche kein Problem ist da wir zu unterschiedlichen Zeiten aufstehen und das Haus verlassen müssen. Nun ja. Fangen wir erstmal mit was leichtem an. Ich wasche mir das Gesicht und die Hände, putze mir die Zähne und schäle mich aus meiner Kleidung. Aus meinem Rucksack krame ich das Schlaf-Tshirt das ich mir fix überziehe. Meine Shorts sieht man trotzdem noch, was mir zugegeben irgendwie ein klein wenig unangenehm ist. Außerdem wird mir erst jetzt wirklich bewusst, dass ich neben Maxi in seinem Bett liegen werde. Und so wie ich das sehe, dort auch schlafe. Zwar habe ich bereits bei männlichen Freunden übernachtet, mit Maxi ist das jedoch irgendwie anders. Ich meine, ich will ja nichts von ihm und er unternimmt auch keinerlei Annäherungsversuche, wieso mache ich mir also so einen Kopf? Vermutlich, weil ich vorher noch nie neben einem anderen schwulen Jungen eingeschlafen bin.   Okay, nochmal schnell so leise wie möglich aufs Klo, Hände waschen, die getragene Kleidung in den Rucksack stopfen und dann... tief durchatmen und wieder zu Maxi rüber gehen. Der hat bereits den Fernseher an und eine Wasserflasche aufs Bett geschmissen.   „Machs dir ruhig schon mal bequem. Ich bin dann auch gleich da. Ach und Waldmeister-Boy gehört mir!“, lacht er und boxt mir kameradschaftlich gegen die Schulter, als er ins Bad stiefelt. Ich stelle meinen Rucksack neben meine Seite des Bettes und habe doch so etwas wie ein schlechtes Gewissen, weil ich eigentlich in N... nein, ich bin bei Maxi zu Besuch, er ist auf dem besten Weg ein guter Freund für mich zu werden und es macht mir überhaupt nichts aus. Ist doch egal, in wessen Bett ich schlafe. Bei Hannah penne ich ja auch mit in ihrem Bett.   Ich krieche also unter den Zitronen-Ahoj-Brause-Boy und muss direkt an der Bettwäsche riechen weil... welches Waschmittel auch immer die nutzen, es riecht verdammt gut. Andererseits... ich habe ja ohnehin eine furchtbare Schwäche für Waschmittel. Jedenfalls ist es ein frischer, blumiger und absolut nicht maskuliner Geruch.   Leider kann ich nicht so lange über Waschmittelduft nachdenken, weil ein halb nackter Maxi sehr zeitnah wieder kommt... und er trägt nur seine Shorts, die seine Schneewittchenbeine so gekonnt in Szene setzt, dass mir etwas flau im Magen wird. Er hatte zwar mal gesagt, dass er nicht so viel Fußball spielt, ansehen tut man ihm das aber nicht. Im Gegenteil, seine Muskeln sind wohldefiniert und kommen trotz seiner blassen Haut leider viel zu gut zur Geltung. Ich ziehe vorsichtshalber den Zitrone-Boy etwas weiter hoch... bis fast über meine Nase. Entweder bemerkt Maxi es nicht, oder er kommentiert es höflicherweise nicht.   Wenig später hat er sich samt Fernbedienung neben mir ins Bett gewurschtelt und drückt ein, zwei Knöpfe bevor der Film los geht. Ich kriege jetzt schon mal Herzrasen. Zombieland... da geht’s bestimmt um Zombies, oder? Es wird also spannend!   Ich gebe mir wirklich Mühe, aber bereits eine halbe Stunde später bin ich ein nervliches Wrack und habe Krämpfe in meinen Händen, weil ich mich wie ein Irrer an der Bettdecke festkralle. Oh weia, wie peinlich ist das bitte! Als Maxi das bemerkt, lacht er sich fast kaputt, der Arsch und... strubbelt mir durch die Haare. Mir wird kurz etwas anders und ein aufkeimender Gedanke wird sofort mit allem, was ich aufbringen kann, niedergeschlagen.   „Du bist zum Niederknien süß, Konstantin.“, lacht Maxi immer noch und kringelt sich noch etwas mehr, weil Tallahassee gerade wegen den Twinkies völlig frei dreht. Zugegeben, darüber kann auch ich lachen und das macht den Film gleich viel erträglicher für mich.   Allerdings bin ich danach dann doch so erledigt, dass ich den Kopf schütteln muss, als Maxi fragt, ob wir uns noch einen Film anschauen wollen. Ich glaube, dass ich ein totaler Langweiler bin, aber... keine Ahnung, irgendwie überfordert mich die ganze Situation. Deshalb dauert es auch nicht sehr lange, bis der Fernseher aus und die Lichter gelöscht sind.   „Tut mir leid.“, maule ich leise in die Dunkelheit und drehe mich auf die Seite, damit ich Maxi ansehen kann, todesmutig wie ich bin. Ich kann ihn nur schemenhaft erkennen, aber es ist ja bekanntlich der Gedanke, der zählt.   „Mach dir keinen Kopf. Beim nächsten Mal suche ich mir wen anderes fürs Filme gucken.“   „Haha, sehr witzig.“   Maxi boxt mir mal wieder leicht gegen die Schulter, dann höre ich seine Bettdecke rascheln und kann halbwegs erkennen, dass er auf dem Rücken liegt.   „Schlaf gut Konstantin. Sollte ich im Schlaf reden oder dir den Platz wegnehmen, hau mich einfach.“   „Mit dem größten Vergnügen!“   Er schnaubt leise, sagt aber nichts mehr. Dann ist es ruhig im Zimmer und ich... ich habe schlimm Herzrasen. In meinem Kopf laufen meine Gedanken Amok. Ich meine: ich liege hier neben einem attraktiven jungen Mann, der mir vor einigen Wochen zu verstehen gegeben hat, dass er... äh, ein gewisses Interesse an mir hat. Das beruht zwar nicht auf Gegenseitigkeit, aber jetzt, wo ich völlig gefühlsneutral bin und glaube, dass ein bisschen Erfahrung sammeln ja nicht so verkehrt sein könnte... denke ich daran, dass ich neben einem attraktiven, halbnackten Typ liege, der verdammt noch mal ein gewisses Interesse an mir hat!   Wieso nutzt er diese Chance also nicht? Und wieso mache ich mir darüber überhaupt Gedanken? Bin ja nicht mit irgendeinem blöden Vorhaben hierher gekommen, sondern einfach, weil mich ein Freund gefragt hat, ob wir einen DVD Abend machen, der an meiner Peinlichkeit allerdings gescheitert ist. Naja, aber einen entspannten Abend haben wir ja auch so gehabt und jetzt liegen wir hier und...   Vielleicht muss ich mir ja was beweisen?   Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass alles besser ist, als dieses schleichende Gefühl irgendwo in meinem Herzen, das oft nachts, wenn ich alleine bin, in mir hoch krabbelt und mir das einschlafen schwer macht. Dieses Mal ersticke ich es jedoch direkt im Keim.   Todesmutig lehne ich mich etwas mehr zu Maxi – danke, liebes Bett, dass du entweder nigelnagelneu bist oder generell nicht zum Quietschen neigst – und halte dann doch kurz inne. Wenn er irgendwas bemerkt hat, so lässt er es sich jedenfalls nicht anmerken.   Einen Moment später finden meine Lippen seine. Naja, mehr oder weniger. Ich treffe seinen Mundwinkel, was Maxi offensichtlich genug schockt um zusammen zu zucken als hätte man ihn schlimm verprügelt. So aus der Nähe kann ich nun erkennen, dass seine Augen offen sind.   „Konstantin...“   Nee, jetzt bitte bloß nichts sagen!   Ich küsse ihn nochmal, dieses Mal treffe ich seinen Mund und lege eine Hand an sein Gesicht. Es dauert nicht lange bis er den Kuss erwidert und wir wenig später... äh, heftig miteinander knutschen. Von wegen, wenn man noch nie jemanden geküsst hat oder es die ersten Küsse überhaupt sind ist man ganz vorsichtig und zart. Maxi und ich knutschen, als gäbe es kein morgen mehr. Keine Ahnung, wer von uns beiden zuerst damit anfängt, aber ich spüre seine Hände durch mein Haar gleiten, über meine Schultern, Seiten, meinen Rücken. Meine Hände erkunden Maxis nackten Oberkörper und finden Gefallen an den harten Muskeln, die sie ertasten können. Irgendeiner von uns schafft die Bettdecken aus dem Weg und ich werfe ein Bein über Maxi bis ich über ihm knie. Maxi seufzt in den Kuss, was irgendwie wahnsinnig aufregend ist, seine Hände schieben sich unter mein Tshirt, streichen verdammt nah am Bund meiner Shorts herum und wandern wieder höher. Wir schaffen es, mein Tshirt los zu werden, ohne den Kuss zu lange unterbrechen zu müssen. Meine Brustwarzen verhärten sich augenblicklich, als Maxi sie mit den Fingern anstupst.   Die sind allerdings auch das einzige, das an meinem Körper hart wird, wie ich irgendwie zwischen staunen und entsetzen feststellen muss. Alleine scheine ich damit aber nicht zu sein, denn so, wie ich über Maxi hocke, müsste ich eigentlich... äh, spüren können, wenn ihn unser kleines... Intermezzo anmacht. Scheint es aber nicht zu tun.   Seine Hände legen sich an meine Wangen, er beendet den Kuss. Seine Augen sind geschlossen, wie ich aus nächster Nähe feststelle.   „Wir müssen damit aufhören.“, wispert er so leise, dass ich ihn trotz der Nähe fast nicht höre. Erst glaube ich, mich verhört zu haben, aber als er seine Hände gegen meine Brust stemmt und eindeutig weg zu schieben versucht ist mir klar: das ist kein Scherz.   Trotzdem ist ein kleiner Teil von mir erleichtert, als ich von ihm runter kletter und etwas verwirrt neben ihm knien bleiben. Maxi begibt sich in eine sitzende Position und greift nach meiner rechten Hand. Ich lasse ihn.   „Konstantin, ich würde das hier jederzeit gerne vertiefen, das weißt du. Aber es wäre nicht richtig.“   Jetzt bin ich aber neugierig. Wieso? Ich weiß doch, dass er... mhh, scharf auf mich ist. Und er hat ja gerade selber zugegeben, dass er mit mir... ja, was eigentlich? Peinlicherweise wird mir erst jetzt bewusst, was wir da gerade getan haben. Also, es ist ja nichts passiert, aber wenn ich darüber nachdenke, was wir gerade eben noch getan haben, dann... ach du Schande, wo hätte das geendet?!   „Wieso?“, frage ich reichlich blöde und vielleicht eine Spur verärgert. Eigentlich möchte ich seine Antwort gar nicht hören, weil ich sie schon längst weiß. Sie spukt in meinem Kopf herum, jeden Tag, aber ich bin sehr erfolgreich darin, sie niederzuringen wie in einem Boxkampf.   „Weil du Noah liebst und es nur bereuen wirst.“   Sein Name jagt mir eine Gänsehaut über den Körper. Mein Herz schlägt schneller, meine Kehle ist trocken, ich spüre einen ganz unangenehmen Knoten im Hals.   „Er will mich nicht. Ich liebe ihn nicht mehr.“, höre ich mich sagen, aber Maxi glaubt mir genauso wenig wie ich mir selber glaube.   „Du liebst ihn seit du dreizehn bist und hast nie damit aufgehört. Ich bin nicht so unsensibel, dass ich nicht merke, dass du den letzten Monat krampfhaft versuchst, dir deine Gefühle auszureden.“   Er hat recht. Und es tut verdammt weh, es aus seinem Mund zu hören.   Nach dem Gespräch mit Noah habe ich mir die Augen aus den Kopf geheult. Die Nacht danach auch. Und die nächste. Und die ganze Woche hindurch. Ich bin ihm aus dem Weg gegangen, so gut es möglich war. Einmal habe ich versucht, ihn aus der Reserve zu locken. Habe Maxis Ratschlag angenommen, mir eine schwarze, klassisch geschnittene Badehose übergezogen und bei tausend Grad im Schatten im Garten gelegen und mich gesonnt. Habe extra eine kleine Runde durch den Pool gedreht und mich nur halbherzig abgetrocknet bevor ich mich auf die Sonnenliege geschmissen und der Dinge geharrt habe, die da kommen würden. Eine Stunde später kam Noah zu Besuch, weil er mit Bastian für die Familie grillen wollte. Irgendwas hat mir gesagt, dass er hingeguckt hat, als ich mich auf den Bauch gedreht habe. Das er das dunkle Muttermal knapp über meinem Hintern gesehen und sich vielleicht doch die Lippen geleckt hat. Er hat mich nur begrüßt und Bastian geholfen, den Grill anzuschmeißen. Ich bin wenig später zu Hannah gefahren und habe mir mal wieder die Augen aus den Kopf geheult.   Da biete ich ihm praktisch an, mich zu bespringen, zeige ihm, was ich zu bieten habe und er lässt mich links liegen. Okay, Bastian ist da gewesen, das sehe selbst ich ein. Aber, verdammt, er hätte anrufen und nach mir fragen können. Er hätte die Gelegenheit, mich alleine daheim zu erwischen, nutzen können. Stattdessen ist er mir entweder aus dem Weg gegangen oder ich ihm. Und dann habe ich alles daran gesetzt, nicht mehr an ihn zu denken, mir die Gefühle für ihn auszureden, zu begraben und irgendwann einen anderen Jungen zu finden, den ich süß finde und für den ich Gefühle entwickeln kann.   Es hat nicht geklappt. Immer, wenn ich nicht einschlafen konnte, wenn Noah zu Besuch war, spukte er in meinem Kopf herum. Dann hörte ich seine Stimme, die mich freundlich, aber bestimmt ablehnte. Dann spürte ich seine Lippen auf meinen, seine Zunge in meinem Mund, seine Arme um mich, die mich festhielten.   Ich habe alles an Noah unterdrückt, begraben, doch er schaufelt sich andauernd an die Oberfläche. Ich habe mir eingeredet, dass ich ihn nicht mehr liebe, dass da keine Gefühle für ihn sind. Hannah und Maxi haben wohl ohne mich fragen zu müssen verstanden, dass sie dieses Thema nicht ansprechen sollten. Sie haben mich behandelt wie immer.   „Es ist doch eh hoffnungslos“, bringe ich hervor und will eigentlich nicht weinen, aber ich spüre meine Augen feucht werden, „ich habe keine Chance bei ihm, weil ich der kleine Bruder seines besten Freundes bin. Es ist besser, wenn ich mir ihn aus den Kopf schlage.“   „Aber nicht mit mir, Konstantin. Ich habe dir schon mal gesagt, dass ich kein Ersatz sein möchte. Wenn da was zwischen uns laufen sollte, was rein sexuell bleiben würde, dann weil wir beide es wollen. Nicht, weil du dich in etwas stürzen willst, um dir auszureden, dass du Noah liebst.“   Es ist peinlich, aber ich fange furchtbar an zu heulen. Maxi zieht mich in seine Arme und hält mich ganz fest. Irgendwann finden wir uns in einer liegenden Position ein, eng umschlungen, während ich mich an seiner Brust ausheulen darf. Er zieht die Ahoj-Brause-Jungs über uns und streichelt mich, bis ich irgendwann wohl eingeschlafen sein muss. Nicht sexuell, sondern lieb, behütend und tröstend.   - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -   Der Morgen nach der Übernachtungsaktion ist seltsam entspannt gewesen. Also, soll heißen, ich bin etwas verwirrt gewesen in den Armen eines anderen Jungen aufzuwachen, aber gestört hat es mich nicht. Eigentlich ist es recht angenehm gewesen, wenn ich ganz ehrlich bin. Maxi hat mich ganz normal behandelt und wir haben ein wenig rum gealbert... naja, einen Guten-Morgen-Kuss hat er mir aufdrücken müssen, dann ist Schluss gewesen.   Wir haben dann mit seinen Eltern gefrühstückt, die wirklich sehr nett gewesen sind. Und mich scheinbar mästen wollten, so viel, wie die aufgetischt haben. Ich glaube, seine Mama hat angenommen, dass wir... äh, zusammen sind oder so. Die hat mich alles mögliche gefragt, auch über Beziehungen und seit wann ich denn auf Jungs stehe und all so was. Mir ist das ja sagenhaft peinlich gewesen, aber Maxi hat das schließlich unterbunden. Mein Retter in der Not!   Gegen Mittag habe ich mich dann auf den Heimweg gemacht, wo Bastian gerade dabei gewesen ist, das Wohnzimmer von Bierflaschen, Gläsern und Snacks zu befreien. Meine Eltern haben derweil die Küche aufgeräumt. Wir haben nicht miteinander gesprochen und das Wochenende verlief so ruhig und unspektakulär wie noch nie. Mit Hannah habe ich schlussendlich nur telefoniert und mich entschuldigt, dass sie alleine feiern gehen musste. Im Nachhinein ist das auch okay gewesen und... naja, ich erzähle ihr alles, also habe ich ihr von dem Abend mit Maxi erzählt. Sagen wir: sie ist wenig begeistert gewesen und hat sich so was wohl schon gedacht gehabt.   Wo wir also wieder zum Anfang meiner Misere kommen.   Ich bin immer noch in Noah verliebt und obwohl er mir einen sehr deutlichen Korb gegeben hat, kriege ich ihn nicht aus meinen Kopf. Sobald ich an ihn denke, rast mein Herz und in meinem Kopf spielen sich süße, aber auch nicht sehr jugendfreie Szenen ab. Es ist zum Heulen. Ich frage mich, nicht zum ersten Mal, was es denn braucht, damit ich Noah vergessen kann. Also, meine Gefühle für ihn. Gleichzeitig hoffe ich immer noch auf ein Happy End.   Das einzige, was mir bleibt, ist Noah einfach zu überrumpeln. Ich meine, er hat mich ja geküsst, oder etwa nicht?! Und zu dem Zeitpunkt bin ich auch schon Bastians kleiner Bruder gewesen, also ist dieses Argument inzwischen etwas veraltet. Und irgendwie geht mir dieser eine Satz nicht aus dem Kopf... das er Bastian nicht mehr in die Augen sehen könnte. Natürlich impliziert das ja für mich, dass er schon gerne was mit mir anfangen wollen würde, wegen Bastian aber zu viel Schiss hat. Möglicherweise sollte ich aufhören, mir alles so zurecht zu legen wie ich das gerne hätte, aber... wenigstens hilft mir das durch den Tag.   Und vor allem durch die Schule, die mir plötzlich wieder so furchtbar anstrengend vorkommt, als es nach dem Wochenende, das ansonsten recht ereignislos vorüber ging, wieder mit lernen und lernen und nochmals lernen weiter geht. Mathe fällt mir plötzlich auch wieder schwer. Alles ist so viel einfacher gewesen, als ich Noah aus meinem Kopf verbannt habe, aber jetzt, wo er dort wieder Dauergast ist, kann ich mich einfach auf nichts konzentrieren.   Das muss endlich ein Ende haben. Und das schaffe ich nur, wenn ich Noah davon überzeugen kann... naja, eine Beziehung mit mir anzufangen. Ich glaube nämlich immer noch, dass da irgendwas ist. Vielleicht rede ich es mir auch so erfolgreich ein, dass ich selber daran glaube und fest davon überzeugt bin, aber... alles andere möchte ich mir halt einfach nicht ausmalen, okay?!   Im Übrigen ist Hannah ganz schwer auf Maxi zu sprechen. Die geht ihm schon die ganzen letzten Tage aus dem Weg und weicht jedem Gespräch über ihn aus. Ich werde das Gefühl nicht los, dass sie sauer ist, weil Maxi und ich am Wochenende... naja, geknutscht und ein klein wenig gefummelt haben. Auch wenn ja gar nichts passiert ist! Warum sie sich mir gegenüber aber normal verhält, verstehe ich nicht? Habe sie natürlich gefragt, aber darauf antworten tut sie nicht. Überhaupt verhält Hannah sich ein klein wenig seltsam, wenn ich das mal so in den Raum werfen darf. Wenn wir miteinander quatschen, hat sie ihr Handy in der Hand und guckt immer mal wieder drauf. Normalerweise tut sie das nie. Es gibt ja viele Menschen, die es super unhöflich finden, wenn man aufs Handy schaut während man mit Freunden oder Familie oder wem auch immer zusammen ist, mich persönlich stört das aber eher nicht. Gut, wenn ich gerade etwas wirklich sehr wichtiges berichte und dabei volle Aufmerksamkeit von meiner besten Freundin benötige, wäre ich vielleicht etwas verärgert. Aber generell finde ich es völlig legitim, wenn man mal zwischendurch kurz aufs Handy schaut – es könnte ja ein wichtiger Anruf drauf sein, den man verpasst hat.   Hannah wirkt nicht so, als wäre es super wichtig, wenn sie auf ihr Handy schaut, aber... naja, interessiert ist sie wohl schon, oder? Aus irgendeinem Grund traue ich mich aber auch nicht sie zu fragen. Das ist eine ganz seltsame Erfahrung, weil Hannah und ich eigentlich über alles reden. Da sie aber nicht von sich aus etwas sagt, möchte ich sie auch nicht drängen. Gleichzeitig stellt sich mir die Frage: wieso sagt sie mir nicht, warum sie gefühlt alle zwei Minuten auf ihr Handy guckt? Man möchte meinen, dass mir die Freundschaft mit Hannah viel über die weibliche Denkweise verraten hat, aber... sind wir mal ehrlich: weibliche Geschöpfe zu verstehen ist wie das Ende des Universums zu finden. Unmöglich.   Ich befinde, dass Hannah schon mit mir reden wird, wenn ihr irgendwas auf der Seele liegt. Vielleicht ist es ja auch nur vorübergehend. Muss ja auch nichts Wichtiges oder so sein.   Mit diesen Gedanken kann ich mich dann auch wieder auf die Geschichtsklausur konzentrieren, die wir seit einer halben Stunde schreiben. Naja, ich sollte mal besser mit schreiben anfangen.   - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -   Fast so sehr wie Noah beschäftigt mich Hannah in den folgenden Wochen immer mehr. Gott, das klingt so fies, aber Hannah verhält sich wirklich seltsam. Wirklich, wirklich seltsam. Sie hat mir inzwischen vier Verabredungen absagen müssen, aber keine Gründe dafür genannt. Wäre ich ihr fester Freund, würde ich sofort den Braten riechen. Ich bin aber nur ihr bester Freund und frage mich, ob ich irgendwas verpasst habe? Ich meine, Hannah und ich kennen uns in und auswendig, wir vertrauen uns intimste Geheimnisse und Gedanken an und plötzlich findet meine beste Freundin irgendwelche Gründe, wieso sie mich viermal in Folge doch nicht treffen kann?   Letzte Woche bin ich so verzweifelt gewesen, dass ich Maxi angerufen habe. Wenn Hannah schon nicht mit mir redet, brauche ich einen guten Männerrat. Habe ich jedenfalls gedacht. Aber Maxi anzurufen ist keine gute Idee gewesen – zumindest nicht in dem Moment. Denn während wir miteinander gesprochen haben, ist mir irgendwann ein seltsames rascheln und noch seltsamere Geräusche aufgefallen. Maxi hat irgendwann ein lachen unterdrücken müssen und ich bin mir sicher, ein Hör auf gehört zu haben. Schließlich habe ich dann gefragt, ob ich vielleicht störe und Maxi der Penner hat mir unverblümt eröffnet, dass er gerade Besuch hat. Dabei hat er das Wort Besuch auf eine Art und Weise betont, dass ich sofort gewusst habe, was er meinte. Und dann ist mir bewusst geworden, dass ich die beiden wohl bei irgendwas gestört haben muss was unsagbar peinlich war.   Wir haben dann sehr schnell aufgelegt und ich mich furchtbar geschämt – warum auch immer. Im Übrigen hat er mir nicht sagen können, was mit Hannah los ist weil die beiden ohnehin nicht so viel miteinander reden. Dabei sind sie am Anfang doch noch so gut miteinander ausgekommen. Maxi findet aber, ich soll Hannah einfach ansprechen. Ich finde, Maxi hat keine Ahnung von Mädchen und seinen Ratschlag mal besser nicht befolgt.   Mein Leben ist gerade überaus kompliziert, wie ich finde. Der Elefant Noah steht immer noch im Raum und Hannah scheint sich inzwischen dazu gesellen zu wollen. Haben andere Jungs in meinem Alter eigentlich genau dieselben Probleme? Naja, vielleicht nicht genau dieselben, aber ähnliche? Wenn es nach mir ginge, könnte sich das alles mal beruhigen. Vor allem die Sache mit Noah. Hannah und Maxi geben mir keine neuen Ratschläge und Oskar zu fragen ist genauso sinnlos.   Immer bleibt alles an mir hängen, was ich wahnsinnig unfair und unangebracht finde. Aber wenn Noah keinen Schritt auf mich zumacht und ich immer noch der festen Überzeugung bin, dass er mich vielleicht doch ein kleines bisschen toll findet, muss ich halt das Ruder in die Hand nehmen. Das kostet mich alles an Selbstbewusstsein, das ich aufbringen kann, aber länger davor davonlaufen kann und will ich nicht.   Wie heißt es so schön: irgendwann muss man ja mal Nägel mit Köpfen machen. Und ich finde, dass irgendwann jetzt ist.   Ich sage meinen Eltern, dass ich mal wieder bei Maxi übernachte. Der ist eingeweiht und keiner wird sich wundern, wieso ich weiter weg bin und eventuell länger nach Hause brauchen werde, als wenn ich bei Hannah übernachten würde. Und meinen Samstag kann ich sinnvoller verbringen, als daheim rum zu hocken – Hannah hat nämlich eh keine Zeit und Maxi daheim zu besuchen ist gerade nicht unbedingt das, was ich in naher Zukunft wiederholen möchte.   Es ist später Nachmittag als ich in der Bahn sitze und Noahs Festnetznummer wähle. Mein Herz schlägt mir mal wieder bis zum Hals, ich atme tief durch und sage mir, dass alles okay sein wird. Am Ende des Tages werden Noah und ich zusammen sein – ganz bestimmt. Ich hab lange genug auf ihn gewartet. Und er hat sich lange genug zurückgehalten, wie ich finde. Es wird Zeit, dass er mich wieder küsst.   Nach zweimal klingeln wird endlich abgenommen und bilde ich es mir nur ein, oder klingt Noahs Stimme tatsächlich etwas glücklich?   „Hi Konstantin.“   Also, irgendwie bin ich ja etwas überrascht. Wieso weiß der, dass ich ihn anrufe? Ich habe ihn doch erst einmal angerufen und... oh, wow, hat er meine Handynummer etwas direkt ins Telefonbuch seines Festnetzanschlusses eingespeichert?! Ich will durch die Leitung kriechen und ihm um den Hals fallen.   „Hi Noah... wie geht es dir?“   Das ist immer ein ganz guter Einstieg und völlig unverfänglich.   „Ganz gut. Etwas gestresst, weil ich diesen Bericht für die Arbeit fertig schreiben muss. Ich hasse es, wenn ich Arbeit mit nach Hause nehmen muss, aber sonst wird der Kram ja nie fertig. Und dir?“   „Oh weh, ich kann mir Besseres vorstellen, was man an einem Samstagnachmittag machen möchte. Ich hoffe es ist nicht all zu schlimm. Mir geht es gut, denke ich.“   Grr, irgendwie ist das ganz furchtbarer Smalltalk, aber was solls. Intimer können wir ja nachher noch werden.   „Wenn ich Glück habe, bin ich in zwei, drei Stunden fertig. Weswegen rufst du denn eigentlich an?“   Seine Stimme klingt nun überrascht. Nicht negativ überrascht, sondern eher positiv. Vielleicht ist es zu viel gesagt, aber ich glaube, ihm scheint ein Stein vom Herzen zu fallen – jedenfalls hört sich seine Stimme ein bisschen so an. Kann aber auch sein, dass ich mir das alles nur einrede.   „Äh... ich bin gerade in der Nähe und... naja, dachte, ich könnte dir einen kleinen Besuch abstatten.“   Da, es ist raus!   Noah schweigt eine kleine Weile, die mir wie eine Ewigkeit vorkommt. Weiß nicht, wie ich das deuten soll? Das ich ihn mehr oder weniger anlüge und eher auf dem Weg zu ihm bin anstatt in der Nähe, muss er ja nicht wissen. Ich werde mich nicht abwimmeln lassen, auch wenn ich ein klitzekleines schlechtes Gewissen habe, ihn bei seiner Arbeit zu stören.   „Ich muss diesen Bericht auf jeden Fall fertig kriegen.“, gibt er nachdenklich zur Antwort und ich hasse sein Verantwortungsbewusstsein. Jedenfalls in dieser Hinsicht!   „Keine Sorge, ich werde dich nicht ablenken! Hab eh ein Buch dabei und will auch gar nicht lange stören...“, lüge ich und hoffe, dass er einlenkt. Ein Buch habe ich tatsächlich dabei – bin eben gut vorbereitet für alle Eventualitäten!   Meine Hoffnungen werden erhört.   „Okay, ein Karamell-Cappuccino wird wohl drin sein.“   „Zwei?“   Noah lacht und ich lache mit. Es tut unheimlich gut.   „Wir sehen uns dann gleich?“   „Ja. Gib mir etwa... äh... zwanzig Minuten.“   Ich glaube, Noah zieht gerade verwirrt seine Augenbrauen hoch. In der Nähe heißt wohl nicht gerade zwanzig Minuten entfernt...   „Alles klar. Bis nachher, Konstantin.“   „Bis dann, Noah.“   Wir legen zeitgleich auf und ich finde, das sagt ja wohl alles?! Muss mein Handy mal wieder an meine Brust drücken und bin unglaublich erleichtert, dass alles so easy geklappt hat. Und stolz bin ich, weil ich mit Noah reden konnte, ohne völlig nervös zu sein. Zwar klopft mein Herz ein paar Takte schneller, aber das ist ja wohl normal. Vor ein paar Wochen hat es mich noch gestört, als er meinen Namen gesagt hat weil ich mir vorgekommen bin wie ein kleines Kind. Jetzt ist mir ganz warm und mein Bauch kribbelt angenehm. Ich liebe es, wenn Noah meinen Namen sagt. Ich liebe es, seinen Namen zu sagen. Noah.   Überrascht bin ich allerdings. Unser letztes Gespräch ist ja nicht gerade positiv verlaufen und mein Gesicht wird etwas warm als ich mich erinnere, dass ich ihn zuletzt als Arsch bezeichnet habe... hey, ich bin emotional aufgewühlt und danach ein völliges Wrack gewesen, okay?! Da rutscht einem schon mal etwas raus, das man eigentlich gar nicht so meint... und so, wie Noah gerade mit mir gesprochen hat, scheint er nicht sauer zu sein.   Damit kann ich ganz gut leben und alles andere wird sich schon ergeben. Daran muss ich jedenfalls ganz fest glauben, bevor die Unsicherheit wieder in mich kriecht und ich in Noahs Gegenwart furchtbar nervös werde.   Ich schreibe Hannah eine Nachricht, dass ich auf dem Weg zu Noah bin und heute mit ihm zusammen kommen werde. Das habe ich mir fest vorgenommen. Es ist Ende September, ich habe ihm ja wohl genug Zeit gegeben, um über Frank hinweg zu kommen. Und ich bin lange genug um ihn herum geschlichen. Jetzt ist es an der Zeit, Nägel mit Köpfen zu machen!   Trotzdem schlottern mir etwas die Beine, als ich dann seine Klingel betätige und er mir aufdrückt, ohne die Gegensprechanlage zu nutzen. Das ist ein Zeichen!! Der Aufzug braucht heute Ewigkeiten, jedenfalls kommt es mir so vor, aber als ich endlich das Stockwerk in dem Noah wohnt erreiche, kann ich gar nicht schnell genug zu seiner Tür rennen. Noah trägt ein zuhause-entspannen-Outfit. Tshirt und Jogginghose. Er ist barfuß und... ich muss nicht erwähnen, dass er unglaublich gut aussieht, oder?!   Was mir sofort auffällt, ist sein Lächeln: warm, ein bisschen überrascht aber... erleichtert?! Scheinbar merkt er, dass ich ihn etwas zu genau mustere, denn seine Gesichtszüge entspannen sich sofort. Ich gehe auf ihn zu, schaue zu ihm hoch und... umarme ihn zur Begrüßung.   „Hey.“, nuschele ich gegen seine Schultern und muss ihn ein klein wenig drücken. Noah scheint etwas unsicher zu sein, erwidert die Umarmung aber – wenn auch viel zu kurz und viel zu kameradschaftlich. Er lässt mich rein, schließt die Tür hinter mir und ich schlüpfe aus meinen Schuhen und meinem Hoodie, den ich ordentlich aufhänge. Meinen Rucksack stelle ich neben die Sitzbank in den Flur und folge Noah in die Küche. Er füllt den Wasserkocher mit frischem Wasser und stellt ihn zum Kochen an während er eine große Tasse für mich vorbereitet. Ich schaue auf seine Hände und wünsche mir, er würde mich berühren.   „Nimmst du oft Arbeit mit nach Hause?“, starte ich das Gespräch und lehne mich neben den Wasserkocher an die Küchenzeile – nah genug an Noah, um Vertrautheit auszudrücken ohne aufdringlich zu sein.   Noah verdreht seine hübschen Augen.   „Ich versuche es zu vermeiden, aber... manchmal geht es nicht anders. Einer der anderen Vollzeit-Kollegen ist krank und unsere Teilzeit-Kollegin ist schwanger.“   Soziale Berufe... was erwartet man?! Noah bleibt mir schräg gegenüber stehen, die Arme vor der Brust verschränkt während wir beide auf das fertig gekochte Wasser warten.   „Klingt stressig... sind die Kids denn wenigstens... brav?“   „Wie brav man halt als Teenager sein kann.“, grinst er mich an und ich muss schnauben und ihm mutig gegen den Arm boxen.   „Sehr witzig!“   Trotzdem lachen wir beide und als das Wasserkocher fertig ist... also, ich will zur Seite gehen, leider bewegt Noah sich in dieselbe Richtung und wir stoßen leicht gegeneinander. Es wundert mich ein bisschen, dass auch ich peinlich berührt eine Entschuldigung nuschele und schnell aus dem Weg gehe. Noah weicht meinem Blick aus. Oh Mann, hoffentlich wird das jetzt keine seltsame Wendung hier nehmen! Ich will doch endlich mein verdammtes Happy End, das ich mir nach vier Jahren wohl redlich verdient habe.   Mit dem Cappuccino gehen wir schließlich ins Wohnzimmer, das einem klitzekleinen Schlachtfeld ähnelt. Auf dem Couchtisch liegen zwei fette Ordner, dicke Wälzer, die sicherlich irgendwas mit Pädagogik und Psychologie zu tun haben, eine Flasche Wasser, eine große Tasse und eine Zupf-Box mit Taschentücher. Auf der Couch liegt aufgeklappt ein ultradünnes Notebook. Daneben irgendein Paragraphen-Rechts-Buch. Ein klein wenig Mitleid habe ich ja schon während ich mich neben Noah setze – dieses Mal mit ein klein wenig mehr Sicherheitsabstand.   „Wenn du später noch einen Cappuccino möchtest, kannst du dir ruhig einen machen. Du weißt wo alles ist?“   Ist sehr verwerflich, dass ich erst verstehe, ich solle es mir ruhig machen? Okay, Konstantin, reiß dich zusammen. Jetzt bloß nicht die Nerven verlieren, auch wenn Noah mich so furchtbar aufmerksam ansieht, dass ich fürchte, er könnte meine Gedanken lesen.   „Ja, danke. Hoffentlich hast du das da bald geschafft.“   Ich deute vage mit meiner Hand auf den ganzen Arbeitskram, den Noah seufzend mustert. Dann zieht er sein Notebook auf seine Knie und fängt an zu tippen.   Damit ist er die nächste Stunde beschäftigt, ich habe nach einer Viertelstunde schweigend Cappuccino trinken mein Buch geholt und mich aufs Sofa gelegt. Glücklicherweise ist die Sofalandschaft so groß, dass ich mich neben Noah auf den Bauch legen und bequem mein Buch lesen kann. Und wenn er heimlich nach mir schielen sollte, hat er einen perfekten Blick auf meinen Hintern, der in der engen Jeans sicherlich gut zur Geltung kommt. Nicht, dass ich ein sonderlich knackiges Hinterteil hätte, aber sind wir ehrlich: enge Kleidung hilft fast immer.   Nach einer weiteren Stunde kann ich nicht mehr lesen, weil mich Noahs getippe wahnsinnig macht und ich mich auf kein einziges Wort mehr konzentrieren kann. Ich bringe mein Buch also wieder weg und mache mir lieber einen neuen Cappuccino. Ob ich gleich gehen muss, weil nur zwei ausgemacht waren? Ich bleibe lieber mal in der Küche und muss mir, aus welchen absurden Gründen auch immer, vorstellen, wie Noah mit Frank gelebt hat. Die beiden haben zwar nicht zusammen gewohnt, sich aber sicherlich oft untereinander besucht und einige Zeit beieinander übernachtet, oder? Ob sie sich hier in der Küche geküsst haben? Gemeinsam gekocht? Während ich mich hier umsehe und auch die Tasse in meiner Hand anschaue frage ich mich, ob Frank wohl daraus getrunken hat.   Ich bin furchtbar eifersüchtig, was nicht nur peinlich, sondern auch völlig unangebracht ist. Die Sache mit den beiden ist vorbei, trotzdem ertappe ich mich dabei darüber nachzudenken, wie es zwischen ihnen gewesen sein muss. Süß verliebt, wie die erste große Liebe, die zumindest Frank für Noah war? Andererseits... die beiden sind ja zwei erwachsene Männer, im Berufsleben (auch wenn Noah noch Student war, als sie zusammen kamen) und haben sicherlich ganz andere Themen gehabt als verliebte Teenies sie wohl haben.   Ob Noah noch Kontakt mit Frank hat? Nein, sicherlich nicht. Der hat ihn immerhin betrogen und ich glaube, Noah gut genug zu kennen um sagen zu können, dass er so etwas nicht verzeiht. Sonst hätte er ja auch nicht Schluss gemacht. Ob Frank versucht hat ihn zu kontaktieren? Hat Frank versucht, sich zu entschuldigen? Versucht, ihn zurück zu gewinnen? Soweit ich das beurteilen kann, habe ich ihre Beziehung immer als glücklich empfunden. Wieso ist Frank also fremdgegangen? Was, zur Hölle, hat ihn dazu verleitet, mit einem anderen Kerl als Noah zu schlafen?!   Naja gut, ich bin ihm fast dankbar, weil Noah deshalb wieder Single ist und mir das ja nur in die Hände spielt. Aber trotzdem.   Ein bisschen angewidert bin ich von meinen Gedanken dennoch, deshalb gehe ich mal lieber wieder ins Wohnzimmer zurück. Noah bemerkt mich gar nicht als ich mich wieder neben ihn setze und einfach nur anstarre.   Noah zu beobachten könnte ein neues Hobby von mir werden. Selbst wenn er so wie gerade die Augenbrauen streng zusammen gezogen hat, die Unterlippe etwas vorschiebt, weil er angestrengt nachzudenken scheint... dann tippt er weiter, blättert in dem dicken Buch herum, das neben ihm auf dem Sofa liegt, trinkt einen Schluck Cappuccino, tippt weiter.   Ich sollte ihn nicht umwerfend sexy finden, während er arbeitet. Ich sollte ihn nicht ablenken oder stören, obwohl ich genau das tue, indem ich neben ihm sitze und ihn anstarre als würde er andernfalls verschwinden. Ob er merkt, dass ich ihn die ganze Zeit beobachte? Bestimmt. Also ich würde das jedenfalls aus dem Augenwinkel sehen wäre ich an seiner Stelle.   Oh, er überschlägt ein Bein. Seine Jogginghose ist am Knöchel etwas hoch gerutscht. Ob es sehr peinlich ist, dass ich das super sexy finde? Naja gut, ich finde alles an Noah sexy. Und das er andauernd so unverschämt gut aussieht, ist super unfair und stört meine Konzentration. Ob er weiß, wie nervös er mich macht? Wie sehr er mich aufregt – positiv?   Ich schlürfe leise von meinem Cappuccino und überlege, ob ich einfach über Noah herfallen soll. Würde er mich abweisen? Jetzt erst recht, nachdem er mir ja sehr deutlich einen Korb gegeben hat? Oder ist da nicht trotzdem irgendwas, nur er zu ängstlich um es zuzulassen? Zu besorgt wegen Bastian?   Es ist Zeit, das herauszufinden.   Und ich kratze alles an Mut zusammen, den ich in mir finden kann.   Stelle meine Tasse weg, lecke mir die Lippen und fasse mir ein Herz. Jetzt oder nie. Und ewig lange will ich auch nicht warten, bis er mit diesem Bericht fertig ist. Den kann er immerhin auch noch später schreiben. Morgen zum Beispiel.   Deshalb strecke ich meine Hand aus, klappe sein Notebook zu und schiebe es weg und ernte einen sehr verwirrten Blick, der... naja, ich glaube, er sieht erschrocken aus, als ich mich rittlings auf seinen Schoß setze, sein Gesicht in meine Hände nehme und küsse. Mann, ich bin so unglaublich cool. Also, ich glaube, ich muss so wirken, aber eigentlich mache ich mir fast ins Hemd. Wenn ich eins an hätte. In diesen paar Sekunden denke ich bereits, dass Noah mich wegstoßen könnte, wenn es ihm wirklich zuwider läuft. Er hätte direkt los meckern können, was mir denn wegen seines Notebooks einfiele. Hat er aber alles nicht gemacht. Und der Kuss dauert mindestens schon ein paar Sekunden und insgesamt ist bestimmt schon eine Minute rum. Kann mir keiner erzählen, dass er das nicht möchte.   Ah, er regt sich... seine Hände greifen nach meinen Armen und üben einen gewissen Druck aus, als würde er mich nun doch wegschieben und die ganze Situation unterdrücken wollen. Ich rechne schon mit dem Schlimmsten, da schieben sich seine Hände über meine Arme in meinen Nacken, eine greift in mein Haar an meinem Hinterkopf, die andere wandert an meinen Rücken und dann explodiert alles und er küsst mich und ich schwebe im Himmel und will nie mehr woanders sein.   NOAH KÜSST MICH UND ER WILL DAS.   Mir entfährt dieser seltsame seufz-stöhn-wimmer-Laut der sich zwischen unseren Lippen verliert, unsere Zungen finden zueinander als er mir die seine mal wieder in den Mund schiebt und ich glaube, Sternchen zu sehen. Mann, das hier ist noch viel besser als der erste Kuss weil... damals ist Noah vielleicht überrumpelt gewesen. Gut, jetzt vielleicht auch, die Situation ist aber eine gänzlich andere. Ich versuche, mich so nah an ihn zu schmiegen wir nur möglich, genieße das Gefühl seines Oberkörpers an meinem, seine Hand an meinem Rücken... und die in meinem Haar, oh Mann, das macht mich total fertig. Ich muss mir vorstellen, wie er meinen Kopf zurückzieht und meinen Hals küsst und... oh weia!   Weil ich langsam knapp bei Atem bin, muss ich den Kuss einstweilen beenden und meine Stirn gegen die seine lehnen. Noah sieht mich an. Ich sehe ihn an. Und irgendwas in seinem Blick sagt mir, dass sich etwas verändert hat. Trotzdem muss ich es wissen. Um Gewissheit zu haben.   „Noah“, wispere ich ganz leise, weil wir uns ohnehin so nah sind, „ist das jetzt wieder ein Fehler?“   Er schweigt einen Moment, der mir wie eine Ewigkeit vorkommt. Meine Hände sinken mutlos auf seine Schultern und ich bin darauf vorbereitet, meine Schuhe anzuziehen und nach Hause zu fahren. Dann ist es an Noah, mein Gesicht in seine Hände zu nehmen und so, wie er mich ansieht, bin ich froh, dass ich ohnehin gerade sitze. Naja, knie. Denn so weich wie meine Beine inzwischen sind und spätestens durch die Art und Weise, wie er mich ansieht geworden sind, wäre ich schon dreimal umgekippt.   „Das war es nie.“   Okay, ich kann dann jetzt glücklich sterben bitte!!   Noah unterbindet jedwedes Wort, das ich hätte vorbringen können, indem er mich ziemlich heftig küsst. Also, wow, das eben ist zärtlich und süß gewesen aber jetzt... hallelujah! Gott, geht mir gerade einer ab. Ich gebe mein bestes, um den Kuss genauso leidenschaftlich zu erwidern aber... naja, ich hab ja nun noch nicht so viel Erfahrung was das angeht. Noah hingegen weiß genau was er tut und tun muss um mich um den Verstand zu bringen. Seine Hände wandern von meinem Gesicht in meinen Nacken, an meinen Rücken bis hinab zum Saum, schieben sich unter mein Tshirt und... äh, ich bin schon so kurz davor.   Peinlich berührt und weil es in meiner Jeans langsam unbequem wird, versuche ich irgendwie heimlich herum zu rutschen, mein Gewicht zu verlagern, damit es etwas erträglicher wird aber... heimlich geht nicht so gut, wenn man auf jemand anderes Schoß sitzt. Und Noah scheint wohl geübter beziehungsweise einfach viel erfahrener in solchen Situation zu sein denn... au weia, ich spüre, wie er sein überschlagenes Bein normal aufstellt und seine Hände... ach du Schande! Das nesteln am Knopf meiner Jeans ist eine Sache, das öffnen des Reißverschlusses vernehme ich so laut, als würde neben mir ein Düsenjet starten, mein Herz bollert wie eine verdammte Stampede in meiner Brust, meine Haut kribbelt, ich habe Gänsehaut, mir ist heiß und als ich Noahs Hand in meinem Schritt spüre gehen mir sämtliche Lichter aus.   Also dafür, dass er mich vor ein paar Wochen noch abgelehnt und gesagt hat, dass nie etwas zwischen uns laufen wird, geht er jetzt aber ganz schön ran. Andererseits... ich befinde mich halt in einer sehr misslichen Lage und angenehm ist das nicht. Seine Hand, die über den gespannten Stoff meiner Shorts streicht, allerdings schon. Gott, ich will das er mich richtig anfasst! Deshalb richte ich mich ein bisschen mehr auf und versuche mein Gewicht auf meinen Wackelpudding-Knien zu halten während ich Shorts und Jeans etwas runter schiebe, bis mir beides irgendwo unterm Po hängt. Zugegeben, es ist mir ein wenig peinlich, so entblößt auf Noah zu hocken... vielleicht liegt es am Altersunterschied, ein bisschen zieren tue ich mich schon. Falsche Scheu wird jedoch in dem Moment über Bord geworfen, als ich Noahs Hand wieder spüre und ach du guter Gott, das wird nicht lange dauern, wie ich peinlich feststellen muss!!   Mir fällt es ein wenig schwer, unser rumgeknutsche aufrecht zu erhalten, deshalb lehne ich irgendwann meinen Kopf an seine Schulter und schlinge meine Arme um ihn. Noah küsst meinen Hals, saugt ein wenig daran herum, seine andere Hand, die nicht gerade mit meinem Schwanz beschäftigt ist, hält mich sanft und doch sicher am Rücken fest. Ich atme bereits nach ein, zwei Minuten schwer und finde, dass Noah mir viel besser einen runter holen kann als ich mir selber. Das hier ist tausendmal besser.   Leider habe ich nicht bedacht, dass das ja auch alles in etwas bestimmtem endet... also, natürlich ist mir das klar, trotzdem möchte ich vor Scham im Erdboden versinken als mein Unterleib beim Höhepunkt entzückt nach vorne, oben, in Noahs Hand stößt und... äh... ich glaube, nein, ich bin mir sicher, dass mein Sperma nicht nur auf meinem Tshirt landet. Ich glaube, diese ganze Aktion hat nicht einmal fünf Minuten gedauert was mindestens genauso peinlich ist.   Überwältigt von meiner Scham will ich nichts anderes, als weglaufen. Deshalb rutsche ich nervös etwas hin und her und versuche Distanz zwischen uns zu bringen – Noah lässt mich aber nicht. Seine eine Hand... äh, streichelt mich noch immer zwischen meinen Schenkeln was wirklich sehr angenehm und irgendwie entspannend ist, der andere Arm ist um mich geschlungen, seine Hand an meinem Rücken drückt mich fest an ihn.   „Ich... Noah, dein Tshirt, ich...“, stammele ich ultra-verlegen vor mich hin und bin froh, dass er mein Gesicht nicht sehen kann, bis er... au je, er dreht den Kopf zu mir, seine Hand, die nicht in südlicheren Gefilden beschäftigt ist umfasst mein Kinn und ihn anzusehen ist... Gott, mir ist das so furchtbar peinlich!! Wo ist das Loch im Boden, in dem ich jetzt gerne verschwinden möchte?!   „Ich werte das als Kompliment. Außerdem habe ich eine Waschmaschine.“, zwinkert er mich an, was ich irgendwie wahnsinnig lieb von ihm finde, andererseits... ich habe gerade sein Tshirt voll gewichst und er ist so locker und es stört ihn nicht und... also, so entspannt würde ich auch gerne sein!   Trotzdem ist es an der Zeit, mich von ihm zu befreien und als er von mir ablässt, stehe ich mit zitternden Beinen auf, will meine Blöße bedecken, da hält Noah mich an den Handgelenken fest und somit davon ab, meine Shorts und Jeans wieder ordentlich anzuziehen. Sein Mund findet sich an meinem Bauch ein, knapp unter meinem Tshirt, knapp oberhalb gar zu intimen Bereichen. Du Heiliger, ich will am liebsten schon wieder...!   Etwas verwirrt, hauptsächlich aber entzückt, streichele ich ihm über den Kopf. Gleichzeitig mache ich mir sofort Gedanken, weil... erwartet er von mir, dass ich ihm den Gefallen erwidere? Ist er überhaupt erregt?! So wie er da seinen Kopf im Weg hat, kann ich das leider nicht sehen und als ich auf seinem Schoß hockte, habe ich auch nichts dergleichen gespürt. Ob ich ihn vielleicht doch nicht scharf mache? Außerdem, was ist das jetzt gewesen? Ich meine, er hat den Kuss zugelassen, mir einen runtergeholt, er knutscht gerade sehr aufreizend an meinem Bauch herum und seine Hände schieben sich über meine Schenkel zur Shorts und Jeans und... er will mich ausziehen?!   Etwas unbeholfen versuche ich mich wegzudrehen.   „Wir... äh, wir sollten vielleicht darüber reden...“, entfährt es mir blöde und ich muss beinahe selbst den Kopf über meine eigene Blödheit schütteln. Ich sollte die Klappe halten und genießen. Noah scheint wohl ähnlich zu denken als er den Kopf hebt und mich mit skeptisch hochgezogener Augenbraue ansieht.   „Du willst immer reden, Konstantin. Können wir das hinterher machen?“   Hinterher?! Was...   Vermutlich gucke ich ihn genauso entsetzt an wie ich mich fühle, denn er lacht leise und tätschelt mir liebevoll den Po, was mich kaum mehr erröten lassen kann. Mein Schädel glüht wie ein kleiner Ofen vor sich hin.   „Entspann dich. Ich bin genauso nervös wie du.“   Haha, das glaube ich nicht! Ehrlich, Noah ist so souverän und jedenfalls äußerlich entspannt, der hat wirklich die Ruhe weg.   Scheinbar merkt er, dass ich nicht weiß wohin mit mir, deshalb nimmt er mir diese Entscheidung und alles andere auch ab. Ich verliere Shorts und Jeans, dann steht er auf was wegen des Couchtisches direkt hinter mir etwas eng ist und zieht mir auch das Tshirt aus. So entblößt vor Noah zu stehen ist... peinlich, ungewohnt, vielleicht etwas beschämend, aber ebenso aufregend. Mir wird ganz anders. Dann zieht er sein Tshirt aus, auf dem ich sehr eindeutige Flecken entdecke und nimmt meine Hände, um sie an seine Hüften zu legen. Direkt auf den Bund seiner Hose. Ich kann seinem Blick kaum begegnen während er mich unentwegt ansieht. Was denkt er wohl gerade?   Mann, mein Kopf ist so leer. Nein, eigentlich ist er voll von Gedanken an Noah, während ich meinen Blick bewundernd über seinen Oberkörper wandern lasse. Seine wohldefinierte, feste Brust... au je, seine Brustwarzen sind hart. Gott, ist das schön. Äh... heiß. Sein Sixpack, das mich tierisch anmacht. Seine Hände üben nur leichten Druck auf die meine aus, helfen mir, als ich todesmutig einatme, seine Hose und Shorts nach unten zu schieben. Ich kann nicht anders, ich muss hingucken und... wow. Der schmale, ich glaube perfekt getrimmter Streifen dunklen Haares der sich unterhalb seines Nabels in südlichere Regionen verliert macht mich... nee, ich glaube, noch nervöser kann ich nicht werden.   Der Anblick seiner Erektion hingegen... okay, ich scheine ihn wohl doch anzumachen. Das ist wahnsinnig schön, aufregend und vielleicht bin ich ein kleines bisschen stolz. Trotzdem ist das erste, das ich denke als er aus seiner Hose und Shorts schlüpft und beides mit dem Fuß etwas wegschiebt, dass er wahnsinnig gut bestückt ist und er niemals in meinen Hintern passen wird. Und er ist beschnitten.   „Ich will nicht mit dir schlafen.“, rutscht es mir peinlich berührt raus während ich so gebannt von diesem Anblick bin, dass ich nicht weggucken kann. Noah lacht leise und nimmt mir das ab, als er mit einer Hand erneut mein Kinn umfasst und mich liebevoll zwingt ihn anzusehen.   „Das habe ich auch nicht vor.“, beruhigt er mich, setzt sich aufs Sofa und zieht mich neben sich. Er rutscht etwas weiter nach hinten – ich erwähnte, dass seine Sofalandschaft wahnsinnig riesig ist?! - und legt sich auf den Rücken, mich halb auf sich. Wow! Seine warme Haut nun direkt auf meiner zu spüren... mutig lege ich mein rechtes Bein über sein näheres während ich halb neben, halb auf ihm liege. Noah schließt die Augen als er mich super süß und zärtlich küsst was mich unglaublich beruhigt.   Wir küssen uns eine ganze Weile. Kein wildes knutschen, sondern viel mehr liebevolles, neugieriges kennen lernen. Seine Zunge zeichnet meine Lippen nach, er saugt ganz leicht an ihnen, ich werde nach und nach mutiger, tue es ihm gleich und genieße das Gefühl seiner etwas raueren Lippen. Mhh, er kann so gut küssen. Mein Kopf fühlt sich an, als wäre nur Watte darin. Ich glaube, ich habe die berühmt-berüchtigte rosarote Brille auf.   Jedenfalls solange, bis er meine rechte Hand nimmt und sie zwischen seine Beine führt, was ihm ein tiefes seufzen entlockt und mir derweil der Arsch auf Grundeis geht. Er will doch sicher, dass ich ihm... Gott, er ist so groß... also, keine Ahnung, ich kenne mich damit nicht so aus, vielleicht ist das ja auch normal, aber größer als meiner ist er alle Male. Naja, ich bin ja auch erst siebzehn...   „Noah, ich weiß nicht... mh, wie...“   Ich brings nicht fertig! Würde er meine Hand nicht an Ort und Stelle halten, ich hätte sie schon dreimal zurückgezogen. Noah öffnet die Augen, sieht mich an und hallelujah, diesen Schlafzimmerblick hat er doch sicherlich Jahre lang vorm Spiegel geübt!!   „Mach es mir, wie du es dir selber machst.“, raunt er mir zu und schnappt verspielt nach meinen Lippen, knabbert ein wenig an der Unterlippe und zieht schließlich seine Hand weg um sie an meine Wange zu legen. Sein anderer Arm liegt um meinen Schultern, seine Finger streicheln zärtlich meinen Nacken.   Zugegeben, ich fühle mich ein bisschen verloren wie auf weiter Flur und es kostet mich doch etwas Überwindung, weil ich verdammt nochmal nie einem anderen Jungen... Mann... so nah gekommen bin und jetzt soll ich Noah... er fühlt sich ganz heiß und hart an. Also, das ist ja irgendwie logisch, aber scheinbar muss sich mein Hirn mit solchen offensichtlichen Dingen beschäftigen, weil ich andernfalls durchdrehen würde.   Trotzdem dauert es dann immer noch einen Moment bis ich mich wirklich traue, seine Erektion zu umfassen und erst einmal ein Gefühl dafür zu bekommen, mit jemanden so intim zu sein. Mit Noah intim zu sein. Der hat längst wieder die Augen geschlossen und seinen Kopf entspannt zurück gelehnt, seine Lippen sind leicht geöffnet und seine Atmung tief und gleichmäßig. Ich versuche, mich mit dem Gefühl in meiner Hand vertraut zu machen und wage mich schließlich, sie langsam auf und ab zu bewegen. Noah seufzt leise, beißt sich auf die Unterlippe. Der hat keine Ahnung, wie sehr er mich anmacht. Deshalb lehne ich mich etwas vor und küsse ihn, was er sehr zu begrüßen scheint. Während ich allmählich etwas Sicherheit und einen Rhythmus mit meiner Hand finde, der ihm zu gefallen scheint, dränge ich mich so nah wie möglich an seinen Körper, genieße das Gefühl meines Unterleibs an seiner Hüfte, seinem Schenkel und Grundgütiger, ich... äh, muss mich ein wenig an ihm reiben, weil ich es sonst nicht aushalte.   Noah stöhnt leise und ich traue mich seine Schulter zu küssen, seinen Hals, an dem ich leicht sauge und seine Brust zu beobachten, der ich auch ein paar Küsse aufdrücke.   Ich weiß nicht, ob ich etwas falsch mache oder ob es Noah nicht gefällt und beides ist mir furchtbar unangenehm und ich zweifle etwas an mir selbst, denn es dauert deutlich länger als bei mir, bis er an einem Punkt ist, wo seine Atmung ein wenig stoßweise kommt. Als sich dann seine Bauchmuskeln anspannen und ich ein zittern in seinen Beinen bemerke, bin ich beinahe erleichtert, als er endlich kommt. Vielleicht sollte ich es nicht tun, aber ich muss hingucken und, wow, ist das viel, was sich da auf seinem Bauch ergießt. Ich meine, ich glaube, es ist normal, aber es bei jemand anderen zu sehen... ich bemühe mich, ihn noch ein wenig weiter zu streicheln, aber das alles hier überfordert mich vielleicht doch ein kleines bisschen und ich muss meine Hand schließlich zurückziehen und halb unter mir, zwischen uns, einklemmen.   Es dauert ein paar Augenblicke, bis Noah sich entspannt und mit geschlossenen Augen vor sich hin lächelt. Er ist so wahnsinnig schön. Eine Weile, keine Ahnung wie lange, bleiben wir einfach so beieinander liegen, bis wir ohne ein Wort aufstehen, er ein Taschentuch aus der Box auf seinem Couchtisch zupft und sich den Bauch abwischt, was mir glaube ich peinlicher ist als ihm. Noah nimmt meine Hand – die, die ihm eben noch zum Orgasmus verholfen hat – und führt mich ins Badezimmer. Wir duschen, ohne miteinander zu reden. Wir trocknen uns ab, ohne miteinander zu reden. Scheinbar ist es eine stille Vereinbarung zwischen uns, denn er verschwindet in seinem Schlafzimmer nehme ich an, während ich aus meinem Rucksack eine neue Shorts hole. Kurzzeitig denke ich an Maxi, bei dem ich ja alibihalber übernachten würde...   Als ich zurück ins Wohnzimmer gehe, taucht Noah kurz danach hinter mir ebenfalls auf – er trägt auch nur eine Shorts was mich gleich wieder nervös macht und dafür sorgt, dass ich nicht weiß, was ich tun soll. Noah hingegen schon. Er nimmt mich wieder mit zum Sofa – auf die andere Seite, nicht dort, wo wir eben noch... Dinge getan haben – zieht mich zwischen seine Beine, so das ich mit dem Rücken an seiner Brust lehne. Sein Kopf legt sich auf meine rechte Schulter, seine Arme umschlingen mich. Ich berühre sie ganz vorsichtig mit meinen Händen, fürchte ich doch, dass dieser Moment schneller vorbei geht als mir lieb ist.   Unser Schweigen zieht sich in die Länge, ich empfinde es allmählich als unangenehm. Will er denn nichts sagen? Oder redet man danach nicht miteinander? Zwischen Noah und Bastian würde es so ein peinliches schweigen doch nicht geben, oder?   Der Gedanke an Bastian trifft mich wie ein verdammter Hammerschlag.   Ich habe seinem besten Freund gerade einen runter geholt. Und er mir und ich habe sein Tshirt befleckt und wir haben geknutscht und zusammen geduscht...   „Können wir jetzt bitte miteinander reden?“, fordere ich vielleicht etwas zu schrill, denn hinter mir zuckt Noah leicht zusammen. Dann lacht er leise und küsst meine Schulter.   „Na klar.“, flüstert er in mein Ohr und irgendwie finde ich das ja fast schon etwas frech. Immerhin hat er vor Wochen nicht reden wollen und vor ein paar Minuten was anderes für wichtiger befunden. (Okay, da kann ich ihm nun wirklich nichts vorhalten...)   „Vor einem Monat hast du mir noch einen Korb gegeben. Zwischen uns wird nichts laufen, hast du gesagt. Den Kuss hast du als Fehler abgetan. Und eben, da... was soll ich denn davon halten?“   Meine Stimme zittert vermutlich wie Espenlaub, aber wenigstens habe ich alles sagen können, ohne peinliches stottern oder riesige Pausen. Noah schweigt noch für eine Weile, dann antwortet er mir. Und ich sauge seine Worte auf wie ein Schwamm.   Nachdem mit Frank Schluss war hat er sich fest vorgenommen, erstmal keine Beziehung zu führen. Und er wollte sich auch auf kein Abenteuer einlassen, weil ja irgendwo noch Gefühle für Frank da waren, die sich aufgrund dessen Fremdgehens aber schnell erledigt hatten. Bastian hatte ihm dann irgendwann erzählt, ich würde mich seltsam verhalten was Noah wohl zum Anlass genommen hat, mich das erste Mal richtig wahrzunehmen. Also, das hat er ja natürlich immer, aber... nicht auf diese Weise. Es hat ihn ziemlich geschockt, dass sein seichtes Interesse, das eigentlich nur aus Sorge entstanden war, sich in eine Richtung entwickelte, die für ihn nicht tragbar war.   Ich muss rot wie eine Tomate sein, während er mir erzählt, dass er sich mehr als er sollte gefreut hat, wenn ich ihm die Türe öffnete. Scheinbar muss es meine unbeschwerte, fröhliche und neugierige Art gewesen sein, die ihm... äh... Herzklopfen bereitet hat. Als ich bei ihm übernachtet und wir uns geküsst und ich ihm meine Liebe gestanden habe, ist sein Interesse in eine zu eindeutige Richtung gerutscht. Das schlechte Gewissen kam aber sofort und er hat sich fest vorgenommen, alles dahingehend zu unterbinden. Zum einem wegen dem Altersunterschied – der trotz aller Legalität nicht zu leugnen ist – hauptsächlich aber wegen unsere Beziehung zueinander beziehungsweise wegen Bastian. Den jüngeren Bruder seines besten Freundes ein bisschen zu attraktiv zu finden, ist nun mal ein absolutes No-Go.   Noah entschuldigt sich für die Worte, die er mir an der alten Eiche im Park an den Kopf geschmissen hat. Es hat ihm schon da leid getan, auch wenn er der Meinung gewesen ist, dass es so besser war. Richtig bewusst, dass es mir ernst und nicht bloß eine Schwärmerei ist, wurde es ihm, als er mich hat weinen sehen und ich ihn als Arsch bezeichnet habe. Dafür entschuldige ich mich nun ganz kleinlaut wofür Noah mich nur ein bisschen mehr an sich drückt. Scheinbar bedarf es in dieser Hinsicht keine Worte zwischen uns.   Das er nicht aufgehört hat, dennoch an mich zu denken und sein Interesse als vorübergehenden Schwachsinn abzutun, ist ihm klar geworden, als ich mich nur in Badehose im Garten präsentiert habe. Mir ist es ein wenig peinlich, weil ich glaube, dass er weiß, dass ich ihn damit aus der Reserve locken wollte. Ihm einen eindeutigen Grund geben wollte, sich auf mich einzulassen. Er küsst meine Schulter, was mich wohlig erschaudern lässt.   Etwas fehlt mir jedoch.   „Bist du... liebst du mich?“, frage ich so leise wie möglich und hoffe beinahe, dass Noah die Frage nicht hört. Aus seinen Worten ist dahingehend jedenfalls nichts zu hören, ich bin mir jedoch sicher, dass ich nicht nur ein... mhh, sexuelles Abenteuer sein möchte?   „Sei mir nicht böse, aber... das weiß ich noch nicht. Vielleicht sitzt mir die Sache mit Frank noch im Nacken. Ich weiß aber, dass ich dich bei mir haben möchte und die verkrampften Wochen ohne dich der Horror waren.“   Naja, das ist nicht unbedingt das, was ich hören möchte, andererseits ist es besser als gar nichts. Vielleicht ist es ja auch zu viel verlangt, eine Liebeserklärung von ihm zu hören, oder? Und wenn man bedenkt, dass er ziemlich fies betrogen worden ist... unsere Situation ist ja auch nicht gerade die einfachste. Ich kann ihn verstehen, irgendwo, weh tut es trotzdem.   „Was machen wir denn jetzt?“   Noah streichelt zart über meine Brust. Nicht reizend, sondern lieb und wärmend wie er wohl meinen Rücken streicheln würde.   „Du wirst bald nach Hause müssen. Und alles andere... wird sich schon ergeben.“   Vielleicht sollte ich jetzt mit der Wahrheit raus rücken...   „... also eigentlich habe ich meinen Eltern gesagt, dass ich bei Maxi übernachte...“   Noah lacht leise.   „Was natürlich völlig gelogen war, genauso wie dein zufälliges in der Gegend sein, richtig?“   Mein Gesicht wird so ampelrot wie das Haar von Jules!   „Ich brauchte halt eine Ausrede, um... wusste ja nicht, ob du mich rein lassen würdest...“, versuche ich mich halbherzig zu verteidigen.   „Du brauchst keine Ausrede, um mich zu besuchen, Konstantin. Meine Tür steht dir jederzeit offen.“   Ahh, ich mag dahinschmelzen! Und muss Noah dringend küssen. Küssen und nie wieder damit aufhören, das ist doch mal ein Plan fürs Leben! Deshalb wurschtel ich mich aus seiner Umarmung, drehe mich um und knie zwischen seinen Beinen während ich sein Gesicht in meine Hände nehme und ihn küsse. Ich erwähnte, dass Noah wahnsinnig gut küssen kann? Hänge an seinen Lippen wie ein Süchtiger an... was auch immer. Seine Arme schlingen sich um mich, seine Hände wandern in meinen Nacken, in mein Haar und ich muss ganz dringend etwas los werden.   Noah murrt leise, als ich den Kuss beende, was irgendwie wahnsinnig süß ist.   „Wuschelst du mir jetzt wieder durchs Haar?“   Mein Schwarm guckt mich ziemlich verwirrt an, dann lachen wir beide und... er wuschelt mir durchs Haar!! In meinem Herz explodiert ein Feuerwerk, in meinem Kopf wird Party gefeiert und ich muss Noah ganz fest umarmen. Seinen Körper an meinen spüren, seinen warmen Atem an meinem Hals. Die Unterschiede zwischen uns spüren. Seine breiten Schultern und seine Muskeln. Ich hingegen bin deutlich schmächtiger gebaut – Hannah hat mehr Ecken und Kanten und vor allem Kurven als ich. Naja, letzteres ist ja auch nicht für mich bestimmt, aber... ich glaube, ich weiß, wieso Noah sich dagegen gewehrt hat. Mein Körper entwickelt sich halt irgendwo immer noch, trotz Endphase der Pubertät. Bastian und meine Eltern denken sicherlich, dass ich immer noch mitten drin stecke, aber das lassen wir jetzt mal außen vor.   „Das habe ich vermisst“, gesteht Noah mir leise und sucht meinen Blick auf, „weil ich es später so gerne als Entschuldigung genutzt habe, dich zu berühren.“   Ich liebe Noah!!   „Wenns nach mir ginge, hättest du mich schon vor vier Jahren berühren können.“   Noah schnippt mir mit dem Finger gegen die Stirn und schaut mich zum ersten Mal ziemlich ernst und vielleicht ein wenig warnend an.   „Das will ich besser nicht gehört haben. Und so gerne ich auch hier sitzen bleiben wollen würde... der Bericht wartet.“   Ich verdrehe die Augen, lasse aber von Noah ab und mache es mir ohne ihn bequem. Als ich zu der Seite rüber schiele, auf der wir zuvor noch... ähm... Dinge getan haben, kann ich immerhin keine Flecken vorfinden. Puh, das wäre extrem peinlich gewesen, wenn ich sein Sofa auch noch befleckt hätte...   Noah setzt sich wieder an seinen vorherigen Platz und widmet sich seinem Notebook. Bevor er jedoch anfängt zu tippen, grätsche ich ihm mal lieber dazwischen.   „Kann ich hier schlafen?“   Er grinst mich an.   „Hattest du das nicht ohnehin geplant?“   Okay, happy end! Schön, dass du da bist! Ich bin so überwältigt und gleichzeitig aufgeregt weil... Noah ist doch jetzt so was wie mein Freund, oder? Also, Freund-Freund! Wir haben zwar nicht über Beziehung gesprochen und er hat mir auch keine Liebeserklärung gemacht, aber Gefühle sind definitiv da. Welcher Art? Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass es richtig ist. Und Noah ist verantwortungsbewusst genug, um diese Sache zwischen uns nicht leichtfertig anzugehen. Ich weiß, dass er sich Gedanken macht und ich glaube wirklich, dass er an dieser Situation doch auch irgendwo zu knabbern hat. Aber ich bin so unendlich dankbar, dass er mir all das gesagt hat und ich jetzt wenigstens weiß, woran ich bin.   Und alles weitere... wird sich schon ergeben, nicht wahr?! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)