Meines Bruders bester Freund von eulenkueki ================================================================================ Kapitel 10: ------------ Im ganzen Haus wabert Lebkuchen, Plätzchen und Teegeruch umher, vermischt mit dem Vogel, der seit Stunden im Ofen vor sich hin brät. Der Esstisch im Wohnzimmer, wo wir nur zu besonderen Anlässen oder mit Gästen essen, ist festlich gedeckt und dekoriert. Ein Adventskranz mit dicken roten Kerzen steht in der Mitte, die Kerzen flackern ganz leicht und verwandeln den Tisch in ein kleines, gemütliches Paradies. In der einen Ecke steht der Tannenbaum, der dieses Jahr... Trommelwirbel bitte... ganz bunt geschmückt ist. Nicht nur eine Farbe, wie bisher, sondern quasi alle Farben des Regenbogens. Das hat mich, als wir alle vier zusammen gemeinsam den Baum geschmückt haben, ein klein wenig zu Tränen gerührt. Also, hinterher, als ich mal kurz ins Bad musste, aber nur eine Ausrede brauchte, um kurz ein paar Tränen zu verdrücken. Sorgen machen, dass meine Eltern mich verstoßen, weil ich schwul bin, brauche ich jedenfalls nicht mehr haben. Zugegeben, es ist ein klein wenig seltsam und nicht alles rosarot und harmonisch. Mom versucht mit dieser Sache jedenfalls so gut es ihr möglich ist umzugehen. Also, nicht, dass es da irgendwas zu umgehen braucht. Sie ist wohl einfach nur, wie jede Mutter, entsetzt und peinlich berührt, dass ihr Baby, das man selbst mit vierzig noch bleibt, Sex hat. Mir Jungs. Also, eigentlich nur mit einem, mit dem die Sache zwar gelaufen ist, aber dennoch. Dad hat, glaube ich, ein bisschen mehr an meiner Homosexualität zu knabbern, oder viel mehr damit, dass Noah und ich was miteinander hatten. Schließlich ist er ja so was wie ein Familienmitglied und mit denen fängt man in aller Regel nichts an. Gut, dass sich das inzwischen ja gegessen hat.   Seit dem Gespräch mit Noah vor dem Horizon habe ich nicht mehr mit ihm gesprochen. Es herrscht mal wieder Funkstille zwischen uns und eigentlich ist das ja auch ganz gut so. Der Kuss hat mich, zugegeben, doch ziemlich aus der Bahn geworfen. Ich meine, Gefühle lassen sich halt nicht so einfach ausschalten, ganz gleich, was vorgefallen ist. Schließlich ist Liebe kein Gefühl, das man mal eben so empfindet wie man zum Beispiel sein Haustier liebt oder die beste Freundin oder den besten Freund. Der Streit mit Hannah hat mich krank gemacht und nicht schlafen lassen, Noahs Fremdgeherei – so einmalig sie auch gewesen ist – hat mich... keine Ahnung. Stumpf gemacht? Nein, es ist mehr ein wahnsinnig Dämpfer, als hätte ein Rennwagen eine sehr abrupte Bremse eingelegt. Ich mache mir nichts vor: ich liebe Noah, das war seit jeher so und ist immer noch so. Aber der Schmerz sitzt zu tief und mein Vertrauen in ihn ist auf eine Art erschüttert, dass ich nicht weiß, wie ich damit umgehen soll. Wie ich mit ihm, mit mir, mit uns umgehen soll. Manchmal sehne ich mich so schrecklich nach ihm, dass ich ihn anrufen und mich mit ihm verabreden möchte. Einfach zu ihm fahren, will ich. Dann springt mein Hirn aber rechtzeitig wieder an und führt mir die Bilder von einem halbnackten Frank, mit Knutschfleck am Hals, vor die Augen, der wie selbstverständlich aus Noahs Dusche spaziert kommt. Wäre es ein anderer, fremder Kerl gewesen, ich weiß nicht, ob es das besser gemacht hätte. Ich weiß aber, dass Frank zu sehen, ein absoluter Schlag ins Gesicht und so was von unterhalb der Gürtellinie war. Ein kleiner Teil von mir hat ein bisschen Mitleid mit Noah, weil der sich ausmalen kann, wie er sich fühlen muss, mit seinem Ex geschlafen zu haben. Nein, nicht geschlafen, gevögelt. Die beiden lieben sich schließlich nicht und da schläft man nicht miteinander, sondern befriedigt Bedürfnisse und das wars dann.   Was ja auch so eine Sache ist, die mir ein bisschen zu denken gibt. Keine Ahnung, wer von beiden nun den aktiven Part übernommen hat, vielleicht sogar beide in allen möglichen Variationen, ich will es mir eigentlich nicht vorstellen, aber darüber nachdenken muss ich schon. Hat Noah vielleicht in dieser kurzen Beziehung mit mir etwas vermisst? Wir haben schließlich nie über die Rollenverteilung gesprochen, es erschien mir logisch, dass ich eher den passiven Part einnehme. Wenn ich nämlich daran denke, Noah zu... also, ich weiß nicht. Das Bild ist schon ein wenig komisch, weil man eben doch den Altersunterschied, den Größenunterschied und sowieso alles, was anders zwischen uns ist, sieht. Das sollte eigentlich überhaupt keine Rolle spielen, wenn man sich liebt, trotzdem weiß ich ja gar nicht, ob Noah das überhaupt wollen würde. Ob ich das wollen würde? Keine Ahnung, wahrscheinlich, oder? Von den anfänglichen Schmerzen und dem ungewohnten, doch etwas unangenehmen Gefühl mal abgesehen, ist es dann doch schön und befriedigend, wenn man sich daran gewöhnt hat. Und Noah ist wirklich super einfühlsam gewesen, hat mir so viel Zeit gelassen, wie ich brauchte. Gut, beim zweiten Mal ist es... naja, nicht ruppig zur Sache gegangen, aber es war klar, dass wir beide das brauchten und wollten. Und beim dritten Mal... keine Ahnung, wie das dann noch weiter gegangen wäre, was eigentlich sehr schade ist, weil der Gedanke, auf ihm zu sitzen, ihn anzusehen und von ihm angesehen und berührt zu werden, doch wahnsinnig schön, aufregend und süß-beschämend ist. Jedenfalls, wenn es mir gefällt, dann wird es ja auch Noah gefallen, oder nicht? Ob er sich das mal irgendwann gewünscht hat? Für ihn muss das ja auch ziemlich... mhh, befriedigend gewesen sein, immerhin ist er danach immer wahnsinnig entspannt gewesen. Es muss sich also gut anfühlen, aktiv zu sein. Schätze, wenn man seinen Schwanz in etwas warmes, enges steckt, ist das generell erstmal ein geiles Gefühl. Nicht, dass es aktuell überhaupt von Bedeutung wäre, aber irgendwo frage ich mich, ob ich vielleicht etwas hätte tun können, um Noah nicht in Franks Arme zu treiben. Das diese Gedanken, wie so viele andere, völliger Schwachsinn sind, ist mir bewusst. Helfen tut es mir aber trotzdem nicht.   Ich zupfe ein wenig die Servietten auf dem Tisch zurecht, weil sie nicht alle gleich ordentlich gefaltet auf den Tellern liegen. Das Besteck wird auch nochmal überprüft, die Geschenke unterm Baum zurecht geschoben. Oskar liegt an der Heizung und schaut zu mir, während ich fast ein bisschen zwanghaft nach irgendeiner Beschäftigungsmöglichkeit suche. Meine Eltern und Bastian sind sehr geschäftig in der Küche zugange, was mich immer noch sehr nervös macht. Also, dass Bastian hier ist. Unsere mehr-oder-weniger-Aussprache ist zwar für den Moment okay gewesen, aber etwas angespannt ist es zwischen uns schon, glaube ich. Er zieht mich immer noch auf wie gewohnt, aber manchmal kann er mich nicht ansehen und wenn er glaubt, dass keiner ihn sieht, hat er diesen abwesenden Blick. Da wirkt er wahnsinnig verletzt, einsam und... unglücklich. Das tut mir mehr leid, als ich jemals für möglich gehalten habe. Denn ich muss auch darüber nachdenken, ob Noah wohl auch so aussieht. Gerade jetzt, an Heilig Abend. Da er zu seinen Eltern keinen Kontakt hat und auch sonst familientechnisch nicht gerade gut aufgestellt ist, wird er wohl alleine in seiner Wohnung hocken. Eigentlich würde er am zweiten Weihnachtstag zu uns kommen. Das wird dieses Jahr wohl nicht der Fall sein und irgendwie glaube ich, dass allen Beteiligten hier im Haus diese Tatsache bewusst ist. Aber keiner spricht darüber.   Naja. Es ist das Fest der Liebe, der Familie und Gemütlichkeit. Da sollte man keinen trüben Gedanken nachhängen. Deshalb gehe ich lieber in die Küche und sehe zu, dass ich ein wenig helfen kann. Salate vorbereiten, Mama mit den selbstgemachten Knödeln helfen, Papa staunend beim selbstgemachten Apfelrotkohl über die Schulter gucken... Bastian zaubert irgendeinen sehr lecker aussehenden Nachtisch aus Erdbeeren, Mascarpone und Löffelbuiscuits zusammen. Eine riesige, große Glasschlüssel voll damit. Die könnte ich jetzt gut und gerne auf mein Zimmer mitnehmen und selber auslöffeln. Und ein Nutella Glas gleich hinterher.   Bevor wir abends, um genau sechs Uhr, zum Abendessen am Tisch sitzen, gehen wir alle in den Musikraum, wo ich ein paar Weihnachtslieder zum Besten gebe. Wir singen Merry Christmas zusammen, während meine Finger über die Klaviatur fliegen. Bastian kann übrigens wahnsinnig gut singen und seine tiefe Stimme ist sehr angenehm. Es ist schön, seine Stimme mit meinem Spiel zu hören. Danach sitzen wir gemütlich am Essenstisch, stoßen mit Rotwein an, helfen uns gegenseitig, unsere Teller zu füllen und wünschen uns allen einen guten Appetit. Dabei reden wir über das vergangene Jahr, erinnern uns an verschiedene Höhepunkte, witzige Momente, Ereignisse in der ganzen Welt und was wir uns so für das nächste Jahr vorgenommen haben. Da steht nicht sehr viel auf meiner Liste, wie immer: das Abitur schaffen. Mom und Dad nicken einträchtig, Bastian zieht mich auf, dass ich anstatt essen dann aber lieber lernen sollte. Ich schnaube nur und kippe mir lieber den Rotwein hinter die Birne, um ein Stück der Weihnachtsgans runter zu spülen. Keiner erwähnt Noah. Wir reden nicht über meine sexuelle Orientierung, nicht darüber, dass ich Noah liebe, nicht darüber, dass Bastian und Noah irgendwie Streit haben. Noah spielt jetzt gerade keine Rolle und irgendwie tut es gut, nur mit meiner Familie zusammen zu sein. Sich mal keine Sorgen und Gedanken darüber zu machen, wie es jetzt weiter gehen soll. Weitergehen wird.   Nach dem Essen folgt traditionell die Bescherung. Bastian und ich haben zusammen gelegt und unseren Eltern ein verlängertes Wochenende in Rom geschenkt. Dafür haben wir beide einen Klaps auf den Hinterkopf und dann Küsschen links und rechts auf die Wangen gekriegt. Bastian, der Arsch, kriegt eine neue, sündhaft teure Kamera im vierstelligen Bereich, über die er sich wahnsinnig freut und die er sofort ausgiebig studiert. Ich muss ein wenig lächeln, die Fotografie ist wirklich etwas, das ihn erfüllt. Und er ist ein wahnsinnig guter Fotograf. Ich frage mich, wann er mal eine Ausstellung machen wird, anstatt nur für Magazine zu shooten oder im Studio, in dem er arbeitet. Als ich an der Reihe bin, fällt mir fast alles aus dem Gesicht. Da ist ganz schön viel Bargeld und... Unterlagen von einer Fahrschule drin. Bastian schnappt hörbar nach Luft.   „Wieso bezahlt ihr dem Giftzwerg den Führerschein? Ich musste meinen selber bezahlen!“, ereifert er sich nicht wirklich ernst gemeint, erntet ein Lachen seitens unserer Eltern.   „Du hast ja auch schon selber Geld vedient.“, erklärt Paps trocken. Stimmt, denn im Gegensatz zu mir hat Bastian neben der Schule und dem Studium und der Ausbildung gejobbt.   „Könnte der Faulpelz ja wohl auch.“   Ich gucke Mom und Dad an und freue mich wie doof.   „Danke, das ist wahnsinnig lieb.“   Bastian schnaubt und murmelt irgendwas Fieses in meine Richtung, das ich gekonnt überhöre.   „Wir hatten gedacht, dass du im neuen Jahr anfangen kannst. Damit du fertig bist, wenn du das Abi hast und bei Bedarf zur Uni fahren kannst...“, erklärt Mama und schaut mich etwas vorsichtig an. Die Unipläne sind nämlich etwas konkreter geworden, allerdings müsste ich dafür eine Stunde mit dem Zug pendeln. Das ist schon etwas blöd, was mir ein Führerschein ohne Auto nutzen soll, ist mir allerdings auch ein Rätsel. Bastian wohl nicht.   „Ihr kauft ihm nicht auch noch das Auto, oder?“, stöhnt er genervt-entsetzt und ich fürchte, er kriegt gerade einen mittelschweren Anfall. Bastian hat seinen Führerschein schon lange, aber ein Auto bisher nicht benötigt. Bei Bedarf hat er das Schlachtschiff von unseren Eltern genutzt und ist damit bisher ziemlich zufrieden gewesen.   „Neidisch?“, stichele ich und fange mir eine Kopfnuss ein. Mom und Dad lachen, schütteln dann aber den Kopf. Naja gut, einen kleinen Gebrauchtwagen werde ich mir vermutlich irgendwie organisieren können. Und für die Uni bewerben werde ich mich im Februar, für das Wintersemester. Deshalb habe ich das Weihnachtskonzert in diesem Jahr auch absagen müssen, weil ich mich lieber etwas auf das Abi und die Aufnahmevoraussetzungen konzentrieren will. Das ist auch total in Ordnung gewesen, auch wenn ich es immer noch etwas seltsam finde. Es ist das erst Mal, dass ich zum Ende des Jahres hin nicht noch ein Konzert habe.   Nach der kleinen Bescherung räumen wir alle gemeinsam auf, trinken noch ein bisschen Wein, gucken Fernsehen, ich gehe nochmal mit Oskar raus und telefoniere später am Abend mit Hannah, der ich fröhliche Weihnachten wünsche. Sie erzählt mir ein bisschen von ihrem Fest mit ihrer Mama und ihren Großeltern, dass sie einen Haufen an neuen Klamotten und Büchern bekommen hat und Lars hat ihr eine wunderschöne Kette geschenkt, die sie schon so lange heimlich haben wollte, aber leider auch nicht ganz billig war. Ich finde es unglaublich süß, wie verliebt sie in Lars ist und freue mich wahnsinnig, dass meine beste Freundin einen so tollen Freund hat. Das hat sie verdient. Sie ist eine wunderbare Freundin und ich bin so dankbar, sie zu haben.   „Hat Noah sich gemeldet?“, fragt sie irgendwann etwas unsicher und ist sich wohl auch nicht so ganz darüber einig, ob sie das Thema überhaupt noch ansprechen soll.   „Nein.“   „Oh... mhh, magst du ihm nicht zumindest frohe Weihnachten wünschen?“   Darüber habe ich schon den ganzen verfluchten Tag nachgedacht. Die ganze Zeit, seit unserem Kuss. Aber ich bringe es einfach nicht fertig. Ich habe nicht das Gefühl, dass er sonderlich um... naja, um uns kämpft? Wenn er mir zeigen würde, dass es ihm ernst ist, wenn er hier auftauchen und mich vor versammelter Mannschaft küssen würde, vielleicht würde ich schwach werden und nachgeben. Aber er tut weder das eine, noch das andere.   „Ich will nicht mehr so abhängig von ihm sein. Und ich weiß auch nicht, was ich ihm groß noch sagen soll.“   „Na, dass du ihn liebst und du endgültig weg bist, wenn er nochmal schwachsinnig wird.“   „Ja, vielleicht... ich kann gerade einfach nicht mit ihm reden.“   Hannah seufzt.   „Hoffentlich kriegt ihr das vor Ende des Jahres noch gebacken.“   Ein Teil von mir hofft das auch, aber mein Hirn grätscht mal wieder ungefragt dazwischen.   „Naja. Das mit Mittwoch steht noch, ja?“, erkundige ich mich und habe direkt ein bisschen Herzklopfen, schwachsinniger weise.   „Na klar“, ruft Hannah und ihre Stimme überschlägt sich fast, „die Jungs freuen sich schon. Besonders Maxi.“, höre ich sie grinsen und muss meine Augen verdrehen.   „Na dann bis Mittwoch. Ich hab dich lieb, Hannah.“   „Ich dich auch, Konsti. Knutschi!“   Sie macht Kussgeräusche, dann legen wir auf und ich freue mich auf Mittwoch.   - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -   Es hat geschneit!   Leider etwas zu spät, erst am zweiten Weihnachtstag, was gestern, also Dienstag, war, aber dafür ausgiebig und viel, was alles gleich viel, viel besser macht. Es ist zwar bitterkalt und ich friere mir so ziemlich alles ab, aber das haben wir uns ja selber ausgesucht.   Ich hatte nämlich die Idee, mein vergangenes Jahr irgendwie fest zu halten. Und zwar so, dass ich es sehen kann, immer wieder. Deshalb habe ich Bastian gefragt, ob er wohl Zeit und Lust hätte, ein kleines Fotoshooting mit meinen Freunden und mir zu machen. Da ist er erst etwas überrascht gewesen, aber weil er seine neue Kamera dann wenigstens direkt austesten kann, hat er zugesagt und wir uns im Wald verabredet. Natürlich muss man bei so einem Fotoshooting ein tolles Outfit tragen, das wurde auch allen Beteiligten gesagt, schließlich sind das hier Fotos für die Ewigkeit. Sollen sie jedenfalls werden.   Jules fällt mit seinen frisch gefärbten, ampelroten Haaren natürlich ins Auge wie immer. Neben ihm wirkt Lex wie ein schüchternes Schaf, aber glücklich und... entspannt. Ich glaube, die beiden haben etwas Festes miteinander und es scheint, als wäre Lex endgültig aus seinen Schrank gekrochen. Er hält nämlich Jules' Hand wie selbstverständlich und lächelt total süß, wenn der ihn zwischendurch küsst oder eine Schneeflocke von seiner Wange streicht.   Maxi hat sich auch ziemlich raus geputzt, ob nun für das Fotoshooting oder für meinen Bruder... keine Ahnung. Ich will da ehrlich gesagt nicht drüber nachdenken, weil es so aberwitzig ist, dass ich fast einen Lachkrampf bekomme. Und Frostbeulen, weil Maxi unter seinem Hoodie nur ein Tshirt trägt und den Reißverschluss offen trägt.   Hannah und Lars sind die einzigen, die zwar hübsche Kleidung tragen, aber nicht so furchtbar gestylt auftauchen. Meine beste Freundin trägt ihre Haare offen und die Locken fallen ihr wunderschön über die Schultern bis zu ihren Rippen. Lars sieht sie immer mal wieder an und lächelt so sanft und verliebt, dass ich ein klein wenig neidisch werde. Aber nur ein bisschen, denn Hannah begrüßt mich mit einer wahnsinnig lieben und stürmischen Umarmung, drückt mir dicke Schmatzer auf beide Wangen und schaut mich mit großen, glücklichen Augen an.   „Toll siehst du aus. Das ist eine super schöne Idee!“, findet sie und begrüßt Bastian mit einer fast familiären Umarmung und tauscht Küsschen, die ins Nichts verschwinden, mit ihm aus. Maxi sieht ein bisschen aus, als wäre er gerne an Hannahs Stelle.   „Also dann, Kinder“, setzt mein Bruder an, während wir andere unsere Mäntel und Jacken an einen Baum hängen und direkt frieren, während der Schnee auf uns herab rieselt, „habt ihr an irgendwas Bestimmtes gedacht?“   Keiner stört sich daran, von Bastian als Kind bezeichnet zu werden und wir einigen uns sehr schnell darauf, dass wir erstmal mit Pärchenfotos anfangen. Das... tut wahnsinnig weh, weil Noah eigentlich hätte hier sein müssen. Weil ich mich gerne in seine Arme schmiegen, in die Kamera lächeln und seine Hand halten würde. Weil ich ihn gerne im Schnee küssen würde, während der Schnee um und herum fällt wie in einem Winter Wonderland. Aber es sind Hannah und Lars, die verliebt und glücklich in die Kamera lächeln, einen Lachanfall haben, weil Hannah mitten im Kuss niesen muss. Bastian ist völlig in seinem Element und weiß genau, in welchen Momenten er den Auslöser zu betätigen hat. Danach schaut er manchmal etwas kritisch auf das Display der Kamera, ändert irgendwas an den Einstellungen, von denen keiner außer ihm eine Ahnung hat und schießt ein Foto nach dem anderen. Jules ist wahnsinnig selbstbewusst vor der Kamera und Lex braucht eine Weile, bis er etwas auftaut, aber dann sieht man, dass es ihm Spaß macht und er Jules wohl wirklich lieben muss. Andernfalls kann ich mir nicht erklären, wieso er ihn nicht in den Wind schießt, als Jules ihm Schnee in den Nacken stopft. Wir alle, bis auf Lex, finden das zum Lachen, aber auch, als Jules von Lex niedergerungen und in den Schnee gedrückt wird. Das nehmen wir alle zum Anlass, um uns mit Schneebällen zu bewerfen, miteinander zu raufen, zu lachen, uns gegeneinander zu verschwören, jeder mit jedem verbrüdert, jeder gegen jeden. Hannah fällt mich irgendwann von hinten an, springt auf meinen Rücken und ihre Arme schlingen sich um mich während ihr glockenhelles Lachen durch den Wald hallt. Maxi lacht sich fast tot, weil ich durch die Wucht etwas ins straucheln gerate, trotzdem aber ein Lächeln hinkriege. Irgendwann vergessen wir, dass Bastian mit der Kamera da steht, hören den Auslöser kaum noch, stellen uns zusammen, die Arme um die Schultern, den Rücken, die Taille, wie und wo auch immer wir uns wohl miteinander fühlen. Ich kann mit Maxi genauso relaxt sein wie mit Hannah, habe bei Jules ein wenig Magenkribbeln, weil er mich immer noch mit seiner Art etwas nervös macht und ich es eben doch nicht vergessen kann, dass Frank mit ihm fremd gegangen ist.   Als wir irgendwann von der immer wieder aufflammenden Schneeballschlacht, Schneeengeln und der generellen Winterkälte völlig durchfroren und etwas durchnässt sind, ziehen wir uns wieder unsere Mäntel und Jacken an, stopfen die Hände in die Taschen und schauen Bastian erwartungsvoll an, der gerade noch ein paar Fotos durchgeht. Er sieht wahnsinnig konzentriert aus, dann lächelt er und schaut uns an.   „Ich glaube, ihr braucht alle einen Tee, hm?“   Da sind wir uns alle einig und es ist seltsam, als wir zu mir nach Hause gehen, die gesamte Truppe. Natürlich bin ich sehr schnell abgeschrieben. Jules und Maxi streiten sich quasi um Oskar, dem es wohl ganz egal ist, von wem er bekuschelt und betüddelt wird. Hannah holt für alle warme Decken, weil sie sich in unserem Haus auskennt wie in ihrem eigenen Zimmer, Lex bedient wie selbstverständlich den Wasserkocher und sucht gemeinsam mit Lars nach Tassen und durchforstet die Teebox.   Meine Eltern sind ein wenig überrascht über all meine... ja, meine Freunde, freuen sich aber, das Haus so kurz nach Weihnachten voll und erfüllt zu haben von Lachen, Gesprächen und glücklichen Momenten.   Weil es nie zu dem Pizzaabend bei mir gekommen ist, Jules aber endlich wissen will, wie gut ich wirklich Klavier spielen kann, ziehen wir uns irgendwann in das Musikzimmer zurück, wo alle, bis auf Hannah und Maxi, staunend meinen Flügel betrachten.   „Das Ding muss ja ein Vermögen gekostet haben.“, faselt Jules und streicht über den Steinway & Sons Schriftzug. Ich unterdrücke das Bedürfnis, ihm auf die Finger zu hauen während ich mich setze. Oskar legt sich mitten in den Raum, meine Freunde tun es ihm nach, strecken sich verteilt auf den Boden aus und halten ihre Tassen mit dem Tee in ihren Händen. Ich blicke auf die Tasten vor mir, als ich mich setze und überlege, was ich spielen soll. Das Stück, das ich irgendwann mal für Noah angefangen habe, habe ich nie weiter ausgearbeitet. Nie weiter angerührt. Ein Teil von mir möchte gerade herum experimentieren. Möchte etwas schaffen, das nur Noah und mir gehört.   Für den Moment müssen sich meine Freunde aber mit Demons von Imagine Dragons zufrieden geben. Jules singt leise mit, zumindest teilweise, was sehr schön klingt, ich aber schon bald ausblende. Ich schließe meine Augen, spiele vor mich hin und denke an Noah. Noah, mit seinem honigblondem Haar, seinen sturmgrauen Augen, die mich warm anlächeln. Seine Lippen, die sich auf meine legen, mich sanft küssen, mir liebe Worte ins Ohr flüstern, mir sagen, dass er mich liebt. Seine Hände, die mich berühren, seine Arme, die mich halten. Sein Duft, nach Sommer und Zitrusfrüchten, der die Schmetterlinge in meinem Bauch aufscheucht. Ich denke an Noah, der Fußball spielt und den ich so lange schon nicht mehr dabei beobachtet habe, heimlich. Seine langen, trainierten Beine, die ihn wahnsinnig schnell über das Spielfeld tragen, die gezielten Pässe, die er seinen Mitspielern zukommen lässt. Seine Mitspieler, die ihn bei einem Tor anspringen, seine Haare wuscheln, seinen Bauch tätscheln. Seine Mitspieler, mit denen er nach Spielende duschen geht. Ich möchte mit Noah duschen gehen. Ich möchte seine warme Haut berühren, seine festen Muskeln nachfühlen, möchte seine Stimme hören, die meinen Namen wispert. Möchte seine Hände in meinen Haaren spüren. Möchte seinen Körper ganz nah bei mir spüren. Möchte ihn spüren. Möchte in seinen Armen liegen, einschlafen, mit ihm aufwachen.   Ohne Pause fange ich an I will wait von Mumford and Sons zu spielen, danach Counting Stars von One Republic. Meine Freunde sind ganz still, auch als ich das Stück mittendrin unterbreche und stattdessen irgendwas anderes spiele. Elemente, die mir gerade in den Sinn kommen, mal hell und fröhlich, rasant, dann dunkle, langsam, melancholisch. Alles vermischt sich zu einem Stück, das ich mir aus meinem Herzen leier, einfach so, wie es mir in den Sinn kommt. So, wie ich es fühle.   Dann höre ich auf und atme tief durch. Die Stille hinter mir macht mich etwas nervös und als ich mich umdrehe, blicke ich in staunende, überraschte und irgendwie... verständnisvolle Gesichter. Hannah hat ihr Handy auf mich gerichtet, ich sehe das Licht ihrer Handykamera leuchten.   „Hannah...“, seufze ich und wische mir kurz über die Augen, weil mich etwas juckt. Sie tippt ein bisschen auf ihrem Handy rum, schaut es noch einen Moment an und legt es dann weg. Dafür kommt sie zu mir, setzt sich neben mich und drückt mich ganz fest.   „Das war wunderschön, Konsti.“, sagt sie und drückt mich gleich noch etwas fester. Die anderen fangen an zu klatschen und reden alle durcheinander, Oskar bellt protestierend, weil weder Maxi, noch Jules ihm den Bauch kraulen.   Ich schaffe es zu lächeln und bin dankbar, dass ich so wunderbare Menschen um mich habe, ganz gleich, ob ich Hannah nun schon gefühlt ewig kenne und den Rest erst seit einem halben Jahr. Man muss sich nicht ewig kennen, um festzustellen, dass man gut miteinander auskommt und zukünftig auch weiterhin was miteinander zu tun haben will. Ich muss die anderen nicht so innig und in und auswendig kennen wie Hannah um sie zu meinen engsten Freunden zählen zu können.   Deshalb stört es mich auch nicht zu sehr, als mir ein paar Tränen aus den Augen kullern, die Hannah lieb mit dem Ärmel ihres Pullovers wegtupft und ich meinen Kopf an ihre Schulter legen kann. Daran stört sich keiner. Und ich störe mich auch nicht daran, später mit ihnen allen auf dem Boden zu sitzen, ganz nah zusammen, Tee trinkend, während wir über alles mögliche sprechen und es mir wieder ein wenig besser geht.   - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -   Die Tage zwischen den Jahren sind an mir vorbeigezogen, ohne das irgendwas nennenswertes passiert wäre. Da meine Eltern Urlaub haben, nutzen sie die Gelegenheit, das Haus auf Vordermann zu bringen und den Frühjahresputz einfach mal ein paar Monate vorzuverlegen. Das lenkt mich ganz gut ab und ich nutze das, um mein Zimmer nicht nur aufzuräumen, sondern auch alte Sachen auszusortieren und etwas umzuräumen. Dabei hilft mir Bastian, der seit Weihnachten hier übernachtet und erst im neuen Jahr wieder arbeiten muss. Es ist schon schön, wieder als Familie zusammen zu sein, aber komisch, dass Bastian wieder vierundzwanzig sieben hier rum schwirrt und mich immer wieder sehr charmant grüßt oder generell anspricht, wenn er was zu sagen hat. Allerdings, das gebe ich zu, tut mir diese Normalität auch ganz gut, wie ich so im Nachhinein feststelle.   Geschwitzt, schnaubend, aber zufrieden betrachte ich mein neues, altes Zimmer. Wenn man rein kommt, steht mein Kleiderschrank nun rechts an der Wand, ebenso wie meine hohe Kommode, über der ein neuer, runder Spiegel hängt. Daran kleben Fotos von Hannah und mir aus jüngeren Tagen. Mein Bett steht jetzt unter dem Fenster, was fast romantisch sein könnte, um nachts den Sternenhimmel und den Mond zu beobachten. Mein Schreibtisch steht links von der Tür, dort, wo vorher mein Kleiderschrank stand. Habe den Schreibtisch zur Abwechslung auch mal aufgeräumt, neue Organiser besorgt, damit alles seine Ordnung hat. Rechts von meinem Kleiderschrank steht mein Bücherregal, in dem sich mehr Schulkrams befindet als das es für Bücher gedacht ist. Naja, ich lese halt nicht so wahnsinnig viel wie Hannah, okay?   Bastian hat die Hände auf die Hüften gestemmt, sieht sich um und nickt fast etwas anerkennend.   „Sieht gut aus. Kannst ein bisschen Deko vertragen.“   Ich bin halt gar nicht so der Dekofreak und mag meine sterilen Wände eigentlich sehr gerne.   „Mal sehen.“, zucke ich meine Schultern und möchte eigentlich nur noch duschen gehen.   „Die Fotos bringe ich übrigens am Dienstag vorbei. Ich schaue mal, welche ich größer ziehe, dann kannst du die ja aufhängen.“, schlägt Bastian vor und sieht mich abwartend an. Er wirkt entspannt, auf seinen Lippen liegt sogar ein leichtes Lächeln.   „Danke dir. Ich bin so um fünf daheim.“   „Okay. Ich bin dann mal duschen.“   Er verlässt mein Zimmer, ich kriege einen Anfall.   „Ich will zuerst!“, rufe ich und stolpere ihm hinterher, greife nach seinem Tshirt, doch er grinst mich nur süffisant an, sprintet ins Bad und knallt die Tür zu. Grrr, ich hasse Bastian!!   Murrend verfluche ich ihn ein wenig, trete nochmal besonders erwachsen gegen die Tür und latsche zurück in mein Zimmer, ziehe mein Tshirt aus, damit ich mich nicht vor mir selber ekeln muss und suche schon mal neue Klamotten raus, die ich nach der Dusche dann anziehen kann.   Das Verhältnis zwischen Bastian und mir ist nicht mehr so angespannt wie noch vor Weihnachten. Es hat sogar eigentlich wieder Normalität angenommen, was mir, wenn ich ehrlich bin, wahnsinnig gut tut. Unsere Familie steht nach wie vor nah beieinander, wir haben uns noch alle lieb und ich sehe Bastian nicht mehr so oft nachdenklich oder still irgendwo rum sitzen.   Zwischen Noah und uns herrscht immer noch Funkstille. Er meldet sich weder bei Bastian, noch bei mir. Ich glaube, Bastian ist an einen Punkt angekommen, wo er ernsthaft darüber nachdenkt, seinem besten Freund schlimm zu verprügeln. Nicht, weil er noch groß böse auf ihn ist, sondern weil er dessen Verhalten zum Kotzen findet. Das allerletzte, hat er mal leise geflucht, als ich ihn ganz kurz auf Noah angesprochen habe. Dann hat er mich stehen lassen und ist auf sein Zimmer verschwunden.   Ich frage mich, nicht zum ersten Mal, ob es das jetzt gewesen ist. Vier Jahre lang verliebt bis zum Schwachsinn, ein halbes Jahr Achterbahnfahrt, ein Monat Herzschmerz. Mir ist das, so im Nachhinein, wahnsinnig viel auf einmal. Mein Leben hat sich in kurzer Zeit völlig verändert. Aus meiner Jugendliebe ist meine erste große Liebe geworden, mit der ich für eine gewisse Zeit zusammen war. Ich hatte das erste Mal Sex und es war ein wunderschönes Gefühl, diese Intimität, dieses Vertrauen, mit jemanden zu teilen, den man liebt.   An meinen Gefühlen gegenüber Noah hat sich nichts geändert, wie sollte es auch anders sein. Ich liebe ihn, das sage ich mir jeden Tag. Und jeden Tag hoffe ich, dass er sich bei mir meldet. Das er vor der Tür steht, mit mir redet, mir sagt, dass er mich liebt und so eine selten dämliche Aktion nie wieder vorkommen wird. Leider tut er das nicht, um Mitternacht beginnt heute das neue Jahr und ich habe Magenschmerzen wenn ich daran denke, so das neue Jahr zu beginnen. Es wird sich so viel für mich nächstes Jahr ändern. Ich werde studieren gehen, ich werde achtzehn werden. Eigentlich möchte ich von Noah auf meinen Abiball begleitet werden, auch wenn ich natürlich mit Hannah tanzen werde. Aber am Abend möchte ich in Noahs Armen liegen, ihn bei mir spüren und wissen, dass das mit uns etwas ganz Besonderes ist.   So, wie es jetzt aussieht, wird das aber wohl nicht passieren und ich habe mir vorgenommen, dass ich ihn spätestens morgen abhaken werde. Meine Gefühle werden sich natürlich nicht in Luft auflösen, dessen bin ich mir sicher. Aber ich kann auch nicht ewig auf Noah warten und es ist nicht meine Aufgabe, ihm nachzulaufen. Das habe ich lange genug getan. Jetzt ist es an ihm, zu mir, zu uns zu stehen und deutlich zu machen, dass er mich will. Auf jede erdenkliche Weise.   Wie es morgen weitergehen soll, weiß ich allerdings nicht. Die Gefühle werden ja nicht einfach verschwinden, aber ich werde mir auch nicht länger etwas vormachen oder auf jemanden warten können, der mich scheinbar nicht genug liebt. Vielleicht ist Noah die Sache mit mir auch zu heiß geworden. Zu heikel. Das kann ich verstehen und es tut mir irgendwo auch leid, ihn quasi bedrängt und mich ihm aufgezwungen zu haben. Manchmal denke ich auch darüber nach, ob es hätte anders kommen können, hätten wir von Anfang an mit offenen Karten gespielt. Denn wenn wir ehrlich sind: Heimlichtuerei mag niemand gerne. Ich glaube, ich wäre ausgerastet, hätte ich Bastian mit Hannah oder Maxi erwischt, so abwegig sowohl der eine, als auch der andere Gedanke ist.   All das spielt aber in einigen Stunden keine Rolle mehr, deshalb sollte ich mich lieber früher als später mit diesem Gedanken anfreunden. Mich direkt in das nächste Abenteuer stürzen werde ich aber nicht, denn ein wenig Ruhe und Abstand von allem wird mir bestimmt gut tun. Und wer weiß, vielleicht lerne ich im neuem Jahr ja jemand Neues kennen. Einen Jungen, vielleicht mal in meinem Alter, mit dem es weniger kompliziert ist, in den ich mich verliebe und mit dem es genauso schön wird wie einst mit Noah. Oder anders schön. Es wird nämlich nie so sein wie mit Noah, das ist mir bewusst, weil uns beide einfach etwas völlig anderes miteinander verbindet. Das ist aber auch gut und okay so, denke ich. Noah wird, trotz allem, immer etwas Besonderes für mich bleiben und einen Platz in meinem Herzen haben.   Mit diesen Gedanken kann ich dann auch endlich duschen gehen, nachdem Bastian mal fertig ist und ich den Schweiß und die harte Arbeit von mir waschen kann. Das tut wahnsinnig gut, nicht zuletzt, weil es draußen so kalt ist, dass wir Blitzeis haben und man keinen Fuß vor die Tür setzen kann, ohne sich auf die Fresse zu legen. Oder den Hintern. Mir ist beides schon passiert, als ich mit Schnee schippen dran war und weder das eine, noch das andere muss ich nochmal haben.   Den Rest des Tages verbringe ich dann damit, meinen Eltern zu helfen, alles für das Silvester-Abendessen vorzubereiten. Das ist nichts aufwendiges, dafür aber in rauen Mengen. Fingerfood, Salate, Risotto, kaltes Fleisch, warmes Fleisch, Lachshäppchen... wenn ich mir so meinen Bauch anschaue finde ich, dass ich vielleicht weniger essen sollte. Das ist natürlich nur Einbildung, tatsächlich habe ich fast zehn Kilo über die letzten Wochen abgenommen, was meinen Eltern mit einer gewissen Besorgnis aufgefallen ist. Dabei esse ich eigentlich ganz normal und an Weihnachten habe ich echt rein gehauen. Naja, Liebeskummer geht wohl nicht ganz so spurlos an einem vorbei.   Traditionell backen wir dann noch einen Neujahreszopf, den ich am liebsten sofort verschlingen würde anstatt bis morgen früh zu warten. Das finde ich sagenhaft unfair und überlege, ob ich nicht noch einen backen kann. Für mich alleine, jetzt genau in diesem Moment. Leider haben wir nicht genug Zutaten dafür da und einkaufen gehen fällt auch flach. Die Geschäfte haben nämlich inzwischen überall zu und draußen ist es so einsam und leer gefegt... hat was von einem Horrorfilm. Fehlt nur noch der Nebel. Uwah, besser nicht darüber nachdenken!!   Der arme Oskar ist natürlich das Opfer dieses Tages, weil er winselt und jault, wann immer ein paar Idioten die ersten Böller durch die Gegend schmeißen und unser armer Hund fast einen Herzkasper kriegt. Deshalb ist der auch schon mit ein paar natürlichen Substanzen etwas entspannt worden und darf sich bei dem Feuerwerk in den Keller zurückziehen. Davor muss ich ihn aber noch ganz fest bekuscheln, kraulen, ihm meine ewige Liebe gestehen und dann ist er gewappnet genug, um auch dieses Neujahr zu überstehen.   Am Abend bereiten wir dann den Garten vor, wo wir wie üblich anstoßen und das Feuerwerk der Nachbarn beobachten werden. Mit Wunderkerzen, Bleigießen, Sekt und Heizstrahlern, die wir extra dafür angeschafft haben. In den Pool geht an diesen Abend natürlich niemand.   Der Gartentisch wird feierlich gedeckt, Sitzpolster und Decken raus gelegt, denn trotz Heizstrahler ist es immer noch kalt und weil wir nichts Besseres zu tun haben, bauen wir noch alle zusammen einen Schneemann, der uns später neidisch beim Essen zusehen darf. Bastian hat seine Kamera hier und macht zwischendurch ein paar Fotos – unter anderem davon, wie ich dem Schneemann seine Nase in Form einer Karotte in die Visage stopfe. Die Lichterketten und Lampions, die unseren Garten schmücken, werden der Gemütlichkeit halber angemacht und spenden sanftes, buntes Licht. Als wir zum Essen draußen sitzen und uns über dies und das unterhalten, stelle ich fest, dass ich zufrieden bin. Glücklich vielleicht nicht unbedingt, aber die Zufriedenheit in mir ist doch entspannend und all umfassend. Ich kann sogar lachen, mit Bastian freundlich-feindliche Gemeinheiten austauschen und ein Selfie an Hannah zurück schicken, als sie mir eins von ihrer Mom und sich schickt. Ich schicke dann auch noch eins von meiner Familie und mir zurück und werde mich in einer halben Stunde wieder bei ihr melden – dann ist Mitternacht, das alte Jahr vorbei und ein neues Jahr, ein neuer Abschnitt beginnt für mich.   Wir räumen den Tisch noch frei, zumindest halbwegs, holen die Wunderkerzen und das Bleigießen-Set, behalten die Uhr im Blick und sprechen über den Gartenzaun hinweg mit unseren Nachbarn, die fleißig ihre Raketen fertig machen. Wir haben nur einmal selbst Raketen gekauft, aber der ganze Spaß ist viel zu teuer, als das Mom und Dad nochmal ihr Geld wortwörtlich verpulvern möchten. Bastian und ich sind da wohl ähnlicher Meinung. Wunderkerzen sind das höchste der Gefühle.   Zehn Minuten.   Ich ertappe mich dabei, wie ich immer wieder auf mein Handy schauen muss. Da ist dieser kleine Hoffnungsfunke in mir, der einfach nicht vergehen möchte. Bastian sieht ein wenig nachdenklich aus und als er meinen Blick bemerkt, dreht er sich weg. Seine Schulterpartie ist ziemlich angespannt und ich glaube, er denkt an dieselbe Person wie ich. Es tut mir weh, meinen Bruder so zu sehen, wenn ich ehrlich bin. Trotzdem bringe ich es nicht fertig zu ihm zu gehen und ein paar Worte mit ihm zu wechseln.   Während ich in den Nachthimmel schaue, nehme ich nur nebenbei wahr, wie Dad irgendwann nach drinnen verschwindet, vermutlich geht er noch ein paar Getränke holen, oder den Sekt, der steht nämlich noch nicht hier draußen.   Mein Handy verschwindet in meiner Hosentasche, als ich mir meine Wunderkerze von Mom geben lasse und wir uns schon mal in einen lockeren Kreis zusammenstellen. Bastian setzt ein gezwungenes Lächeln auf.   Fünf Minuten.   Paps kommt wieder und irgendwie riecht er nach Sommer und Zitrusfrüchten, wie ich verwirrt feststellen muss. Will schon fragen, ob er noch eine letzte Dusche im alten Jahr genommen hat, doch jedes Wort bleibt mir im Halse stecken.   Noah folgt ihm nach draußen in den Garten und hat noch nicht mal den Anstand, irgendwie schlecht auszusehen. Er ist wunderschön, seine Wangen von der Kälte etwas gerötet und sein olivfarbener Strickpulli sitzt so locker, dass er auf einer Seite seine Schulter etwas entblößt. Er tränkt ein ärmelloses Top darunter und eine schwarze Skinnyjeans.   Mein Herz fängt an zu bollern.   Neben mir zieht Bastian scharf die Luft ein, ich traue mich aber nicht, ihn anzusehen. Und überhaupt habe ich nur Augen für diesen wunderschönen Mann, dessen Blick auf Bastian ruht. Er beißt sich leicht auf die Unterlippe, was ich in einem Moment wie diesen nicht heiß finden soll. Dann tritt er vor, einen Schritt, zwei, geht auf Bastian zu. Es ist, als würde die Welt für einen Moment aufhören sich zu drehen. Als würde die Zeit still stehen. Keine Ahnung, von wem es zuerst ausgeht, aber im nächsten Moment halten sie sich in den Armen, umarmen sich feste, halten den anderen, halten sich an dem anderen fest. Bastian lehnt seinen Kopf gegen Noahs, seine Augen sind geschlossen und er sieht aus, als würde er weinen wollen. Er drückt Noah so fest an sich, dass ich fürchte, er bricht ihm noch alle Rippen.   Die beiden sehen gut zusammen aus, wie ich mit einem schmerzlichen Stich feststellen muss. Bastian ist etwas größer als Noah und der passt so wunderbar in dessen Arme, dass ich mich einen Moment lang frage, ob er das mit mir nur zugelassen hat, weil er an meinen Bruder nicht ran kommt. Ob ich nur ein Ersatz für ihn war.   Zum Glück wird dieser Gedanke sofort nichtig, als die beiden sich schließlich freigeben und Bastian seinen besten Freund ein schiefes Grinsen schenkt.   „Einen Tag länger, und ich hätt dich ins Krankenhaus geprügelt.“   Noah lacht leise und es klingt so wunderschön, wie die Engel im Himmel, wie ein wunderschönes Stück auf meinem Flügel, wie die Vögel im Frühling, wie das rauschen der Wellen am Meer... wie mein Herz, das immer schneller schlägt.   Bastians bester Freund wendet sich von ihm ab, dreht sich zu mir und als sich unsere Blicke treffen... ich bin ehrlich, ich habe ihm sofort verziehen. Naja, nicht verziehen, aber es spielt keine Rolle mehr. Nur am Rande nehme ich wahr, dass Mom und Dad schweigend dabeistehen und sich die Szene nur anschauen. Was sie gerade denken mögen, entzieht sich völlig meinem Wissen.   Noah bleibt dicht vor mir stehen, ohne seinen Blick auch nur einen Moment von mir abzuwenden. Unsere Augen begegnen sich, als würden unsichtbare Magneten sie anziehen, unfähig, sich voneinander zu lösen. Mein geliebter Sommergeruch steigt mir in die Nase, kleine Ameisenarmeen krabbeln über meine Haut. Die Winterkälte macht mir gar nichts aus, es ist, als würde der Heizstrahler endlich mal was taugen, wenn man nicht gerade direkt dran klebt.   Ich sehe so viel in Noahs Augen, in seinem Gesicht. Alles, was in den letzten Wochen zwischen uns nicht ausgesprochen wurde, findet gerade in diesem Moment statt. Es tut ihm leid, mehr, als er in Worte fassen kann. Er hat einen Fehler gemacht, den er nicht rückgängig machen kann und mehr bereut, als ich vermutlich ahnen kann. Er hofft, dass ich ihm irgendwann verzeihen kann.   Auch ich rede mit ihm, ohne Worte zu benutzen. Sehe ihn an und sehe den Mann, den ich schon so lange liebe und mit dem ich mein erstes Mal erlebt habe. Der mir Herzklopfen, Magenkribbeln und dümmliches Lächeln entlockt, weil ich in seiner Nähe wie betäubt und wahnsinnig verliebt in ihn bin.   „Um Gottes Willen“, höre ich Bastian genervt stöhnen, „jetzt küss ihn schon endlich, das ist ja nicht zum Aushalten!“   Mein Freund, denn das ist er gerade wieder geworden, muss lachen, nimmt mein Gesicht in seine Hände und küsst mich, dass mir die Lichter ausgehen.   Unsere Nachbarn schießen Raketen in den Nachthimmel, „Frohes neues Jahr!“, wird durch die Nachbarschaft gerufen, ich schlinge meine Arme um Noah und küsse ihn wie verrückt zurück. Es macht mir nichts aus, dass Bastian uns zusieht. Das meine Eltern sehen, wie ich diesen wunderbaren, fast zehn Jahre älteren Mann und Teil unserer Familie küsse, als gäbe es kein Morgen mehr. Ich kann ihm gar nicht nah genug sein. Seinen Körper zu spüren ist alles, was ich gerade brauche, neben dem Kuss. Seine Hände wuseln durch meine Haare, über meine Schultern, in meinen Nacken, an meinen Rücken. Er zieht mich so nah es nur möglich ist an sich, seine Augen sind genauso geschlossen wie die meine. Seine Zunge teilt meine Lippen, taucht in meinen Mund, umspielt und umgarnt meine als sei es das erste Mal. Ich kriege kaum genug von Noah. Mein Herz platzt, meine Kehle schnürt sich zu. Mir ist nach lachen und weinen zugleich. Nur dumpf nehme ich das klicken eines Kameraauslösers wahr, aber darauf konzentrieren kann ich mich nicht. Ich kralle mich in den Stoff seines Pullovers an seinem Rücken, küsse ihn wie verrückt, abwechselnd langsam und zärtlich, aber eigentlich nur verzweifelt, wild, innig, leidenschaftlich und zum verrückt werden. Scheiße, ich liebe Noah so sehr.   Wie immer weiß Noah besser als ich, wann Schluss ist und entfernt seinen Mund von meinem. Na, vielleicht liebe ich ihn doch nicht so sehr. Doch, scheiße, tue ich. Ich muss mir die Lippen lecken. Ich will ihn wieder küssen.   „Frohes neues Jahr, Konstantin.“   Ich kann nur dümmlich nicken und mindestens genauso dümmlich grinsen. Dann gibt Noah mich frei, greift aber nach meiner Hand und verschränkt unsere Finger miteinander. Er dreht sich zur Familie um und ich wage einen Blick in die umstehenden Gesichter. Bastian lächelt und sieht wahnsinnig entspannt aus. Und glücklich. Mom und Dad... ein klein wenig geschockt sehen sie schon aus, aber Mom ist die erste die mich anlächelt und Paps schafft es schließlich auch.   „Ist es okay, wenn ich Konstantin abhole?“   „Meinetwegen kannst du den nach Timbuktu entführen.“, zuckt Bastian mich fies angrinsend die Schultern, aber ich weiß, dass die Frage mehr an meine Eltern gerichtet ist. Mir wird schwächlich in den Beinen, als mir bewusst wird, dass er sich gerade den Segen meiner Eltern abholt.   Du großer Gott!!   Paps kommt auf uns zu, schaut erst mich an, dann Noah, der neben mir ein klein wenig versteift. Ich drücke seine Hand aufmunternd.   „Noah“, beginnt mein Dad und sieht ziemlich ernst drein, bevor er schließlich lächelt, „wenn du meinem Sohn weh tust, dann wirst du dich nicht nur vor Bastian verantworten müssen.“   Au scheiße, wie peinlich!   Mom kommt dazu und greift nach Noahs anderer Hand, im Gegensatz zu Dad lächelt sie ihn warm und lieb und aufrichtig an.   „Ihr seid ein schönes Paar.“, sagt sie nur und damit scheint alles gesagt zu sein.   Naja, fast alles.   Noah dreht sich zu Bastian und es fällt mir schwer, meinen Bruder anzusehen. Ich spüre seinen Blick auf mir, auf uns, auf unsere verschränkten Hände. Dann reicht er die Kamera – ich wusste es! - an Dad weiter, kommt auf uns zu und umarmt Noah wieder. Ganz fest drückt er ihn an sich und flüstert ihm irgendwas ins Ohr, das ich vor lauter Raketenböllerei nicht verstehen kann. Es muss was Lustiges sein, denn Noah lacht, nickt und drückt Bastian noch einmal mit seinem freien Arm. Dann lässt er meine Hand los, streichelt aber noch ganz kurz und zart meine Finger.   „Magst du ein paar Sachen zusammen packen?“   Ich nicke stumm, umarme meine Eltern und renne wie ein Geisteskranker auf mein Zimmer. Unterwegs krame ich mein Handy aus meiner Hosentasche, höre Hannahs kreischende Frohes-Neues-Jahr-Sprachmail an und kreische genauso zurück. Und das Noah und ich ein Paar sind, dass er hier ist, mich abholt und ich völlig aus dem Häuschen bin. Dann schmeiße ich ein paar Klamotten in meinen Rucksack, auch wenn ich gar nicht weiß, wie lange ich bleiben kann... naja, ich packe mal für eine Woche, für den Fall, dass ich so lange bei ihm bleiben kann... immerhin habe ich ja noch Schulferien.   Nachdem alles gepackt ist, treffe ich meine Familie und Noah im Wohnzimmer wieder, wo mein Freund sich gerade von den anderen verabschiedet. Bastian und er umarmen sich schon wieder, mein Bruder klopft ihm auf die Schulter, sie lachen über irgendwas. Es tut wahnsinnig gut, die beiden so zusammen zu sehen. Keine Ahnung, ob zwischen ihnen alles wieder in Ordnung ist, ich denke, sie werden noch ein ausgiebiges Gespräch führen. Für den Moment aber scheinen beide zufrieden zu sein. Und ich sowieso.   Mein Freund kommt auf mich zu, ein Lächeln auf den Lippen und nimmt mir den Rucksack ab, meinen Protest ignoriert er. Murrend gehe ich nochmal zu meinen Eltern, die ich erneut umarme und ihnen auch endlich mal ein frohes neues Jahr wünschen kann. Beide drücken mich ganz fest und Mama flüstert mir zu, dass ich mich doch bitte schützen soll. Ich glaube, das ist ungefähr der peinlichste Moment meines Lebens, nicke mit hochrotem Kopf und gehe gar nicht erst weiter darauf ein. Was meine arme Mutter gerade denkt, will ich mir mal lieber nicht ausmalen. Paps spart sich dergleichen zum Glück und als mein Blick auf Bastian fällt... er sieht mich mit einem Blick an, den ich nicht deuten kann.   Ich bedeute Noah, schon mal vorzugehen, während ich zu Bastian gehe und etwas mit mir ziehe – zu dem Schneemann, der in der einen Ecke des Gartens steht und dessen Karottennase feine Eiskristalle gebildet hat.   „Ist es echt okay für dich, wenn... Noah und ich...“, stammele ich mir einen dranlang und habe Mühe, meinen Bruder in die Augen zu sehen. Er sieht ein wenig kritisch aus, wenn ich ehrlich bin und ich glaube, dass ein Teil von ihm niemals darüber hinweg kommen wird, dass sein bester Freund etwas mit seinem kleinen Bruder hat. Der andere Teil hingegen...   „Wie heißt es so schön? Wo die Liebe hinfällt... hör mal, wenn Noah glücklich mit dir ist, dann bin ich der letzte, der deswegen Probleme machen wird.“   „Du hast ihm ins Gesicht geschlagen.“, erinnere ich ihn, was er weniger amüsant findet. Er verzieht das Gesicht etwas und sieht reichlich schuldbewusst drein.   „Das war der Schock im ersten Moment. Wir werden das schon noch klären. Und du solltest jetzt zu deinem Freund gehen, bevor er ohne dich fährt.“   Bastian tut etwas sehr, sehr seltenes: er umarmt mich. Damit bin ich so überfordert, dass ich die Umarmung gar nicht erwidern kann und stattdessen einfach akzeptiere, dass er mir anschließend durch die Haare wuschelt, wie Noah es immer so schön zu tun pflegte. Pflegt, wenn er es jetzt bald wieder tun wird.   Ich verabschiede mich und folge Noah zu seinem Auto, das in der Auffahrt hinter dem meiner Eltern steht. Mein Rucksack wird auf die Rückbank verfrachtet, wir schnallen uns an und Noah fährt los. Es dauert eine Weile bis wir bei ihm sind, weil Noah seine liebe Mühe damit hat, nicht in irgendwelche Leute mit Feuerwerkskörpern zu fahren – oder von solchen getroffen zu werden. Das wäre ja jetzt auch ein ganz blödes Timing.   Als wir bei ihm daheim sind, da bin ich ehrlich, muss ich erstmal nach der Reisetasche gucken, die ich beim letzten Mal hier gesehen habe. Falls Noah meinen Blick bemerkt, so kommentiert er das nicht, sondern geht ins Wohnzimmer, wo er scheinbar Gläser aus dem Vitrinenschrank seiner Wohnwand holt. Meinen Rucksack hat er hier im Flur stehen lassen. Ich folge ihm und beobachte, wie er zwei Sektgläser füllt und mir, als er auf mich zukommt, eins davon reicht. Meine Finger zittern ein wenig, als ich das Glas entgegennehme und dabei ganz leicht seine Hand berühre. Noah lächelt mich an wie die Sonne als wir anstoßen.   Bevor er jedoch von seinem Glas trinken kann, halte ich ihn davon ab.   „Keine Ex-Freunde mehr, Noah.“   Er nickt.   „Keine anderen Jungs mehr.“   Darüber müssen wir beide lachen, unseren Sekt trinken und dann... naja, dann muss das alles besiegelt und gefeiert werden. In Noahs Bett. Und dafür brauchen wir keine Worte.   Noah fährt Geschütze auf, die ich niemals für möglich gehalten habe. Er trägt mich zum Beispiel ins Schlafzimmer, weil er mich einfach so hoch hebt. Muss direkt Arme und Beine um ihn schlingen, damit ich es halbwegs bequem habe – naja und weil ich Noah so nah wie möglich sein möchte.   In seinem Zimmer brennt seltsamerweise schon – oder noch – Licht, wenn auch nur das Nachtlicht auf seinem Nachttisch. Er lässt mich kurz vor seinem Bett runter, seine Hände wandern in meinen Nacken während er mich ganz sanft und super lieb küsst. Wow, ich habe total vergessen, wie sich seine Lippen anfühlen. Dieses angenehm Raue, das mich ganz wahnsinnig macht. Seine Zunge, die genau weiß, wie sie meine bezirzen muss. Noah küsst wahnsinnig gut, wie ich mal wieder feststellen muss. Seine Hände gleiten über meine Schultern, Brust und Bauch nach unten, schieben sich unter meinen Pullover, den er mir auszieht und einfach an Ort und Stelle zu Boden fallen lässt. Behutsam drängt er mich zum Bett, auf das ich mich nur zu gerne lege und mit großen Augen zusehe, wie Noah sich zumindest von seinen Oberteilen befreit. Bilde ich mir das nur ein, oder hat er sich gerade wirklich die Lippen geleckt, als sein Blick über meinen Oberkörper wandert?!   Es dauert nicht lange, bis Noah sich über mich beugt, meinen Hals küsst, ganz zart an der weichen Haut zwischen Hals und Schulter knabbert, saugt, leckt... ich muss leise wimmern, seufzen und Noahs Namen flüstern, während seine Hände mich so behutsam streicheln, dass ich einerseits will, dass er niemals nie damit aufhört und andererseits hoffe, dass er mich endlich richtig anfasst. Scheinbar hat er aber was anderes geplant und ignoriert auch geflissentlich meine Hände in seinem Haar, als er sich über meine Brust küsst, saugt, leckt und knabbert. Mein Herz rast mir bis zum Hals und ich muss tief ein und ausatmen, damit ich halbwegs bei Verstand bleibe. Die Zärtlichkeit, mit der Noah mir begegnet, bringt mein Herz fast zum Platzen vor Glück. Ich muss leise lachen, als seine Zunge mich am Bauchnabel kitzelt und winde mich ein wenig, um dieser süßen Gemeinheit zu entfliehen.   Ein paar Mal reizt Noah mich damit noch, doch während er schließlich nur an meinem Bauch herum knutscht und saugt, öffnen seine Hände sehr geschickt meine Hose. Er lässt sich Zeit, mich sowohl davon als auch von meiner Shorts zu befreien. Meine Socken streife ich mit den Füßen ab und es kostet mich doch ein klein wenig Überwindung, mich nicht zu bedecken während ich so völlig entblößt vor Noah liege. Das sollte mir nicht peinlich sein, schließlich hat er mich ja schon nackt gesehen, aber das ist auch schon einige Wochen her... es fühlt sich ein bisschen wie das erste Mal an.   Mir fällt Noahs Lächeln auf, während er mich von oben bis unten mustert. Kein anzügliches grinsen, keine herausfordernde Bemerkung ob meiner Erektion, auf die er nun perfekte Sicht hat. Scheiße, ich bin mir sicher, dass ich einfach nur davon kommen könnte, wenn er mich so ansieht. Mit diesen liebenden, warmen Augen.   Ich sehe ihm dabei zu, wie er sich auf den Knien aufrichtet und sich von seiner restlichen Kleidung befreit. Es macht mich immer noch verlegen, Noah nackt zu sehen, gleichzeitig kribbelt es in meinem Bauch vor Aufregung und Liebe und all den wahnsinnigen Gefühlen, die ich gerade empfinde und doch nur die wenigsten benennen kann. Überwältigt von all diesen Gefühlen muss ich mich hinsetzen, eine Hand in Noahs Nacken legen und zu mir ziehen, um ihn zu küssen. Er seufzt leise, was wahnsinnig schön klingt und ich genieße es ein wenig, bei diesem Kuss die Führung zu übernehmen. Seine Hände streicheln warm über meinen Körper, durch mein Haar, legen sich an meinen Rücken und stützen mich, als er sich über mich beugt und mich wieder in eine liegende Position bringt.   Er macht mich wahnsinnig, während er ziemlich hingebungsvoll und wahnsinnig sexy an meiner rechten Brustwarze saugt und als er auch noch kurz seine Zähne mit ins Spiel bringt, wähne ich mich schon in anderen Sphären. Das Noah immer noch wieder einen drauflegen kann, wird mir erst bewusst, als er, nachdem er sich über meinen gesamten Oberkörper geküsst hat, meinen Beinen ebenso viel Aufmerksamkeit zukommen lässt. Ich werde fast bekloppt vor Lust und Liebe und muss überrascht feststellen, dass nicht nur Noah meinen Körper kennen lernt, sondern auch ich neues entdecke. Zum Beispiel, dass meine Kniekehlen wahnsinnig empfindlich sind während Noah mich dort küsst, eine warme Hand meine Wade etwas hoch hält und ich mein Bein anwinkeln muss, damit es bequem ist. Meine Knöchel sind genauso erogene Zonen wie mein Hals, wie ich etwas peinlich berührt feststellen muss als sich ein stöhnen über meine Lippen bahnt und ich mir mal lieber den Mund zuhalte. Oh Mann!   Noah lacht leise, was ich erst etwas gemein finde, dann muss ich aber auch lachen, weil es irgendwie so schön ist, diese neuen Erfahrungen mit ihm zu sammeln. Ich strecke meine Arme nach ihm aus während ich meine Beine – bemüht schamlos – etwas mehr spreize, damit er bequem Platz zwischen ihnen hat. Zum Glück lässt er sich nicht zweimal bitten, sondern folgt der Einladung sofort und küsst mich so innig, dass mir Hören und Sehen vergeht. Sein Gewicht auf mir verankert mich im Hier und Jetzt. Sein heißer Körper bringt mich trotzdem fast um den Verstand. Ihn so nah bei mir zu spüren... ich schlinge meine Arme um ihn, während ich mich ganz leicht an ihm reibe. Wow, ist das schön. Wow, Noahs Stimme ist wahnsinnig sexy. Und wenn er meinen Namen so... verrucht wispert, wird mir ganz anders.   Ich halts kaum aus, als Noah sich von mir entfernt um Gleitmittel und Kondom aus seinem Nachttisch zu fischen und helfe ihm vielleicht ein klein wenig zu enthusiastisch mit letzterem. Das lässt uns beide dann lachen und führt zu einem verspielten Kuss, der ganz bald schon wieder inniger und langsam wird, während Noah mich mit warmen, geschickten Fingern vorbereitet. Ich will schon jetzt kommen und muss meine Augen schließen, weil alles andere viel zu überwältigend für mich ist.   Vielleicht wäre es besser, mit ihm zu reden, anstatt Sex zu haben. Ich meine, wir haben doch eigentlich ziemlich viel, über das wir reden sollten, oder?   Zum Glück spielt das zumindest jetzt gerade keine Rolle, für keinen von uns. Es ist nicht so, als hätte ich vergessen, wie sich Sex mit Noah anfühlt, aber... es ist doch irgendwie ganz anders, ganz neu und trotzdem gewohnt. Wie etwas, das man kurzzeitig verlegt und dann endlich wieder gefunden hat.   Noah ist unglaublich zärtlich und rücksichtsvoll, es fällt mir dieses Mal viel leichter mich zu entspannen, gleich zu Beginn und wenn ich mir Noahs Gesicht so anschaue, dann genießt er es mindestens genauso sehr wie ich. Ich halte ihn ganz fest bei mir, meine Arme um seine Schultern, meine Lippen auf den seinen, was nicht ganz einfach ist, da ich nicht weiß, ob ich ihn küssen oder meiner Lust und Liebe eine Stimme geben soll. Beides zeitgleich funktioniert nicht ganz so gut, aber... Herrgott, ich sollte mir darüber keine Gedanken machen.   Noah ist alles, was gerade zählt. Wir sind alles, was gerade zählt.   Nach dem Sex genieße ich es einfach nur in den Armen meines Freundes zu liegen, seine Finger in meinen Haaren wuseln zu spüren während eine meiner Hände träge über seinen Oberkörper streichelt. Ich bin noch völlig weggetreten von all der süßen Aufmerksamkeit, die Noah mir hat zukommen lassen und fühle mich fast ein bisschen schlecht, weil ich ihm das gerne zurückgeben würde. Das muss aber wohl warten, denn im Moment fühle ich mich eher, als würde ich jeden Moment einschlafen, so tiefenentspannt bin ich.   „Du, Noah?“, frage ich stattdessen in die Stille und zeichne unbestimmte Muster auf seiner Brust.   „Hm?“   „Wieso hast du so lange gebraucht?“   Ich spüre, wie mein Freund sich etwas verspannt. Ob er damit gerechnet hat, dass ich ihn früher oder später darauf ansprechen werde? Das wir darüber sprechen werden, ganz gleich, wie viel stumm zwischen uns gelaufen ist, als er bei mir daheim auftauchte?   „Weil ich einerseits Angst hatte und andererseits dachte, dass es so vielleicht nicht doch besser für uns alle wäre.“   „Angst?“   Noah lacht leise, dreht den Kopf etwas, damit er mich ansehen kann. Ich stütze mein Kinn auf seine Brust.   „Das du mich ablehnst.“   Oh Gott, ich glaube mir fällt gerade alles aus dem Gesicht! Ich hätte nie, niemals gedacht, dass Noah deswegen... Angst haben könnte! Ich meine, schließlich bin ich schon seit Ewigkeiten hinter ihm her und... ich werde rot.   „Wirklich?“, frage ich ganz leise und etwas ungläubig nach... und muss meinen Kopf nun ganz auf seiner Brust ablegen, damit ich ihn nicht mehr anschauen muss. Sonst knutsche ich ihn nämlich bis zur Besinnungslosigkeit, weil seine Worte die Schmetterlinge in meinem Bauch aufschrecken.   „Erst dachte ich, dass ein bisschen Abstand nicht schaden würde. Das ging dann so weit, bis wir uns am Horizon trafen... und als du weg bist, ist mir bewusst geworden, was ich da verloren habe. Verlieren könnte. Aber ich war zu feige, weil ich gleichzeitig Bastian im Kopf hatte. Was er denken würde.“   Bastian. Natürlich.   „Bastian hat mit uns weniger ein Problem als mit der Tatsache, dass du es ihm nicht gesagt hast“, gestehe ich und lausche ein bisschen seinem Herzschlag, „er hat mir ein paar Nachrichten von dir gezeigt.“   „Ich würde gerne sagen, dass mich das beruhigt, aber... ich hab echt Angst, mich mit ihm auszusprechen.“   „Er hat gemerkt, dass du die letzten Monate glücklich warst. Bastian ist enttäuscht, aber am Ende seid ihr wie Hanni und Nanni.“   Mein Freund lacht leise und wuschelt mir lieb durch die Haare.   „Danke. Du, Konstantin?“   Ich hebe meinen Kopf, um ihn anzuschauen und bereue es ein bisschen, als ich diesen gefassten, ernsten Ausdruck in seinem Gesicht sehe. Seine freie Hand greift nach meiner, die inzwischen über seinem Herzen zum liegen angekommen ist.   „Das mit Frank tut mir wahnsinnig leid. Danke, dass du trotzdem zurück gekommen bist.“   „Hast du ihn...?“   Eigentlich will ich das nicht wissen, das ist nur Gift für mein Kopfkino, aber es lässt mir auch keine Ruhe. Es ist wie ein Unfall: man sollte eigentlich dran vorbei fahren, aber hingucken muss man trotzdem. Zumindest kurz.   Noah schüttelt den Kopf.   „Ich weiß nicht, ob er irgendwas geahnt hat... Fakt ist, Frank und ich kennen uns gut genug und er wusste immer, was ich gerade brauche.“   Scheiße, das will ich eigentlich auch nicht wissen!   „Jemanden, der dir den Verstand raus vögelt?“   Der muss ihm bei dieser Aktion schließlich abhanden gekommen sein.   „Konstantin!“   Ahhh, Noah wird rot! Und er sieht geschockt, entsetzt und irgendwie überrascht aus. Ich bin auch überrascht, nämlich darüber, dass es zwar noch weh tut, es mich aber nicht mehr so sehr stört. Vielleicht weil ich weiß, dass Noah nicht den aktiven Part übernommen hat. Irgendwie krank, was das für einen Unterschied macht, oder?   Ich wurschtel mich aus seiner Umarmung und setze mich lieber auf seinen Schoß. Da sitze ich gerne, wie ich feststelle, als ich meine Hände an sein Gesicht lege und ihn prüfend mustere.   „Nie wieder, Noah, hörst du? Wenn du dich von jemanden flachlegen lässt, dann nur von mir, klar?“   So cool, wie ich gerade tue, bin ich gar nicht. Aber es ist irgendwie wahnsinnig interessant und ein klein wenig lustig, wie verlegen und geschockt Noah nicht nur aufgrund meiner Wortwahl, sondern auch von dem ist, was ich ihm da gerade gesagt habe. Und ein bisschen geschockt bin ich wohl auch von mir selber, weil mir gerade bewusst wird, dass ich ihn schon gerne... naja.   Noah blinzelt einige Male, dann lächelt er und legt seine Arme um mich, seine Hände verschränken sich knapp über meinem Gesäß.   „Klar.“, strahlt er mich an, richtet sich etwas auf und küsst mich so süß, dass ich leise lachen muss. Er auch. Eine seiner Hände greift in mein Haar.   „Ich liebe dich, Konstantin.“   Oh Gott, der macht mich fertig!   „Ich liebe dich auch, Noah.“   So was muss man natürlich nochmal mit einem Kuss besiegeln, doch kurz bevor meine Lippen die seine erreichen, dreht er plötzlich den Kopf weg, lässt mich los und streckt sich etwas zur Seite, um nach seinem Handy auf den Nachttisch zu greifen. Hallo? Hat der sie noch alle? Das ich wegen seiner Verrenkung fast von ihm runter rutsche, scheint auch nur mich zu stören.   Fassungslos schnaufend will ich nach seinem Handy greifen.   „Was soll das denn jetzt?“   Noah hält sein Handy außer Reichweite, auf seinen göttlichen Lippen liegt ein Lächeln wie in einer Zahnpastawerbung.   „Warte...“, speist er mich ab und tippert irgendwas darin herum. Ich verrenke mir den Kopf, beuge mich vor, will sehen, was er da tut, doch er dreht sich weg und hält sein Handy so, dass ich nichts sehen kann. Grr, ich will ihn köpfen! Und dann knutschen. Vielleicht nicht unbedingt in der Reihenfolge, aber die Message kommt hoffentlich an. Streichele ihm lieber ein bisschen über den Oberkörper und berühre dabei natürlich nur ganz zufällig seine Brustwarzen... er wischt meine Hände mit einer Hand weg und atmet angestrengt. Selbst Schuld, wenn der an seinem blöden Handy rum hängt, wenn er doch mich küssen kann?! Ganz gleich, was ich jemals darüber gesagt habe, dass es mich nicht stören würde, wenn man mal kurz an sein Handy geht... ich nehme es hiermit ganz offiziell zurück. Das geht gar nicht!!   „Noah...“, murre ich nun doch reichlich ungehalten und starte einen letzten Versuch, ihm das Handy weg zu nehmen, als er es plötzlich zu mir umdreht. Im selben Moment gibt mein Handy, das irgendwo auf dem Boden bei meiner Hose liegt, einen Ton von sich. Das ist mir egal, denn ich kann nur auf dieses Lebensereignis gucken, das mir in Noahs Chronik angezeigt wird.   In einer Beziehung mit Konstantin Wagner.   Bastian Wagner ist der erste, dem es gefällt und der es kommentiert.   Na das ging ja schnell... ;) Gute Nacht ihr zwei!   Ich bin mir sehr sicher, dass er etwas eindeutig zweideutiges meint und werde etwas rot. Noah legt sein Handy weg und endlich wieder seine Arme um mich. Also, seine Hände gleiten hinunter zu meinem Hintern. Ich starre ihn völlig entrückt an.   „Du... wir sind... das ist jetzt... offiziell?“, stammele ich total belämmert herum und lasse Noah mich näher an ihn drücken... scheiße, ich krieg zu viel. Noah küsst mich am Mundwinkel, seine Zunge huscht einmal kurz über meine Unterlippe.   „Stört dich das?“   Er saugt leicht an meiner Unterlippe. Hallo, wie soll ich ihm denn da antworten? Seine Hände, die über meinen Hintern streicheln und das nicht gerade un-aufreizend, helfen da auch nicht. Ich schüttele den Kopf, während Noah mich langsam auf meinen Rücken verfrachtet und frech angrinst.   „Alles andere hätte ich auch nicht akzeptiert.“   Bastian hat gut Reden. Gute Nacht, am Arsch! Noah verführt mich nach allen Regeln der Kunst und das fast die ganze Nacht lang. Ich gucke zum letzten Mal gegen fünf oder so auf die Uhr, bevor ich mich, selig lächelnd und zutiefst befriedigt, in die Arme meines gleichermaßen befriedigten Freundes schmiege.   Also, vier Jahre warten und ein halbes Jahr Achterbahnfahrt haben sich ausgezahlt, würde ich mal behaupten! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)