What U Need? von Sazzzandora (SuLay) ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- * "Was ist denn hier los?", fragte Sehun neugierig, "Sogar Baek hat euch durch das Telefon gehört. Tao, seit wann zickt ihr euch wieder so an?" Wir standen nun zu dritt im Türrahmen des Zimmers unserer Mitbewohnerin Julyn, die aus unerklärlichen Gründen wie verrückt ihre Sachen verräumte. "Seit sie es für nötig hält, mir ihren behinderten DVD-Player auszustecken und mir meine DVD nicht wiederzugeben!" "Ich hab den Film bezahlt, Tao!", fuhr sie ihn auf Mandarin an. "Du hast ihn mir geschenkt, ist das dein Ernst?! Zu meinem Geburtstag, ich fass es nicht! Geschenkt ist geschenkt, du bist so scheiße erzogen, Mädchen!" "Tao, entspann dich", warf ich ruhig ein, "Wir klären das in Ruhe." Sie rollte bloß mit den Augen. "Spiel dich nicht auf wie meine Mutter, Junmyeon. Ich überweis dir das Geld, jetzt nerv mich nicht, Zitao. Ich bin gleich weg." Auch ich beobachtete sie, während sie diverse Klamotten in Taschen und Kisten packte. Umzugskartons um genauer zu sein. Schnell folgten haufenweise Pflegeprodukte, dann noch der Toaster und ein DVD-Player, ihr Laptop, ihre Bettwäsche. Sogar die Bilder hing sie ab, die noch vom Vormieter hingen geblieben waren, obwohl die gar nicht ihr gehörten. "Ziehst du aus?", lachte ich nun. Was sollte das denn auf einmal? Sie lebte erst seit einigen Monaten bei uns und ihr Aufenthalt ging doch noch bis übernächstes Semester. Eher würde sie doch gar nicht zurück nach Australien gehen. Sie hatte sich doch auch so gut mit uns allen verstanden, also was sollte das hier? Dann sah sie auf. "Ja, tu ich." "Eh nicht!", machte Tao, "Wer bezahlt die Miete?! Du kannst nicht einfach abhauen, wie rücksichtslos bist du?!" Sehun schlug ihm locker gegen die Schulter, dass er Ruhe bewahrte. Ich schob Tao zusätzlich noch etwas zur Seite, aber allen voran, weil ich sie etwas fragen wollte. Und auch sonst würde Tao ja nichts tun, außer zu meckern. "Sorry, Jungs. Ich bezahl noch diesen Monat und dann bin ich raus. Ist schon alles geklärt. Einen Nachmieter findet ihr aber schnell, das Semester geht ja erst bald los und die brauchen echt Wohnungen. Hört euch mal bei den Infos um oder so. Vielleicht auch die Künstler. Ich zieh jedenfalls weg. Sorry, ehrlich, aber es hat sich einfach schnell so ergeben." "Darf ich fragen, wohin du ziehst? Also-" "Mit meinem neuen Freund zusammen näher an die Uni", fiel sie mir ins Wort. Wir sahen sie verdutzt an. Sehun legte den Kopf schief und verschränkte die Arme, während Tao die Augenbrauen leicht angewidert zusammenzog. Eigentlich verstanden die zwei sich wirklich sehr gut und er hatte ihren Einzug auch am ehesten angeleiert, doch durch das Streiten eben, war er ziemlich giftig. Er reagierte generell mehr... zickig. Aber so war er nun einmal. "Oh okay", vielleicht merkte sie ja, dass ich es nicht mochte, wenn mir jemand ins Wort fiel, aber ich riss mich zusammen. Es störte mich natürlich auch, dass sie so plötzlich abhauen wollte. Ohne es abzuklären, das war total mies. Wir würden voll auf überhöhten Kosten sitzen bleiben, besonders da unsere Miete letzten Monat erhöht wurde. Es wunderte mich nur, sie war selten so... naja gemein eben. Eigentlich war sie wirklich umgänglich und ein süßes Mädchen und wir verbrachten viel Zeit zu viert. "Du ziehst also aus. Mit welchem Freund ziehst du denn zusammen?", fragte ich dann und grinste immer noch etwas ungläubig. Sie hatte keinen Freund, das hätten wir ziemlich sicher mitbekommen, weil mit dem davor hatte sie sich auch häufig hier getroffen. Und das war noch nicht allzu lang her. "Mit deinem, Junmyeon." Augenblicklich lachte ich auf. Never. Nie im Leben, was dachte sie sich denn für ein Zeug aus? Aber irgendwie blieb sie ernst und so langsam machte sich ein furchtbar widerliches Gefühl in meiner Magengegend breit. Ich versuchte es mit allen schauspielerischen Mitteln die ich kannte zu überspielen. "Yifan?", hakte ich nach und blinzelte, "Wu Yifan, mein Freund, ja? Hast du da irgendwas verwechselt?" Ich hatte mich doch verhört. "Wie jetzt, mit-", fing Sehun an, doch sie unterbrach ihn. "Mit Yifan, ja. Ich will nicht weiter darüber sprechen. Er holt mich und mein Zeug gleich ab und dann überweise ich euch das Geld und das war's. Es ist blöd, ja, aber er hat dir auch nochmal geschrieben, Junmyeon. Ich... es tut mir leid, aber ich kann's nicht ändern. Du wirst dich damit abfinden müssen. Menschen ändern sich." "Lüg mich nicht an", sagte ich bloß streng und lief stur an den anderen zwei vorbei in mein Zimmer. Ich hörte den beiden gar nicht zu, als sie mit mir reden wollten, sondern schob Sehun aus dem Weg und öffnete schon kurz darauf meine Zimmertür. Dort setzte ich mich auf mein Bett und nahm mein Handy zur Hand, welches noch am Ladekabel hing und mir blieb die Luft weg. Sofort sprangen mir mehrere Nachrichten entgegen. Tatsächlich hatte Yifan mir geschrieben, dass es aus war. Er... würde mich verlassen, Schluss machen. Dass er sich in sie verliebt hatte und dass er ja schließlich nicht nur schwul war, sondern bi und ich es doch bitte verstehen sollte oder sowas, dass ich ihm nicht geben konnte, was er suchte und, und, und- Ich bekam wie in Trance die Zeit nicht mit, die ich damit zubrachte, die Zeilen immer und immer wieder zu lesen. Das war ein Witz, das war nicht die Wirklichkeit. Yifan würde mich niemals so grundlos verlassen. Für nichts und niemanden, das hatte er mir immer gesagt. Ich hatte so viele Pläne und ich war so verliebt, das würde er mir nie antun. Ein dummer Scherz oder ein Albtraum? Ich liebte ihn und er mich doch auch, das hatte er bisher täglich so oft gesagt, das hier konnte nicht stimmen und dann klopfte es. Wie automatisch hielt ich den Atem an und starrte das weißlackierte Holz unter meiner kleinen Garderobe an. Als sich die Tür öffnete und Yifan darin stand, brach meine Welt zusammen, obwohl alles, was ich seit über drei Jahren als meine Welt bezeichnete, direkt vor mir stand. Es zerbrach mir regelrecht das Herz, wie er noch nicht einmal etwas sagte. "Hey", fing ich leise an, doch sprach nicht weiter. Er antwortete nicht und ich blieb nach wie vor ungewollt stumm, als Yifan nun mein Zimmer betrat und aus meinem Kleiderschrank seine Sachen herausnahm. Ich wusste überhaupt nicht, was ich sagen sollte, was ich sagen könnte. Ich hatte mich noch nie so machtlos gefühlt wie in diesem Moment. Während er seine Kleidung nahm und verstaute, beobachtete ich ihn nur. Ich versuchte mir alle Details die ich in und auswendig kannte, einzuprägen. Seine Muskulatur, seine Haare, jede Bewegung, alle kleinen Details seiner Haut, seiner Kleidung. Yifan schloss meinen Schrank wieder, sammelte noch ein paar seiner Kleinigkeiten von meinem Schreibtisch und wollte sich allen Ernstes schon wieder auf den Weg machen. "Ist das... Stimmt das?", fragte ich aber leise und er sah mich an. Erst sagte er nichts, sondern musterte mich nur. Dann nickte er. "Ja. Würdest du die Bilder bitte auch entsorgen oder so? Ich will nicht, dass du sie dauernd sehen musst." "Ich will sie aber sehen", ich bekam kaum ein Wort hervor. "Sorry, das ist alles-" "Du machst Schluss und sagst 'sorry'? Mehr nicht?!", keifte ich ihn nun an. Nun seufzte er. "Ich wollte keine große Sache draus machen und es ist einfach scheiße gelaufen, ja, aber ich hab keine andere Möglichkeit mehr gesehen. Tut mir leid, aber du... du weißt schon, du findest wen anders. Ich mach Schluss, das stimmt, kurz und möglichst schmerzlos, ohne großen Abschied. Ich hab schon länger an uns gezweifelt und dann war sie da. Das war meine Entscheidung und sie hat damit nichts zu tun, also sei ihr bitte nicht böse. Hass mich, soviel du willst, aber nicht Julyn. Und... Pass auf dich auf. Das ändert nichts daran, dass ich will, dass es dir gut geht. Bis dann." Sie trug keine Schuld? Aber sie wusste ganz genau, dass Yifan mein Freund gewesen war. Und er hatte ganz genau gewusst, dass ich immer für ihn da war und ihm zuhörte. Es hatte immer eine Lösung gegeben, eine gute, nicht so eine. Das konnte doch nicht alles sein, dass er gezweifelt hatte. Das konnte nicht sein Ernst sein. "Wieso hast du nicht mit mir geredet? Wieso hast du nur mit ihr geredet?! Hast du mir nicht vertraut?!" "Junmyeon, bitte. Es ist vorbei. Fertig." Es fühlte sich so beschissen an, sowas zu hören bekommen zu müssen. Augenblicklich hatte ich extreme Schuldgefühle, die sich in meine Gedankengänge schlichen. Die Zweifel waren furchtbar. Ich hatte das Gefühl, einfach nicht genug auf ihn Acht gegeben zu haben. Als hätte ich mich nie genug gekümmert und es nicht gemerkt, wie es ihm gegangen war. Aber warum hätte er mir dann nichts persönlich sagen können? "Vielleicht will ich das nicht?! Vielleicht will ich dich und niemand anderes? Denkst du überhaupt an mich? Ist das dein Ernst, dass- dass-", meine Stimme brach ab, "Yifan, hab ich nicht- nicht genug auf dich aufgepasst? Was hab ich nicht mitbekommen? Wenn dir in unserer Beziehung was fehlt oder was zu viel ist, dann- dann sag es mir!" "Ich sagte, es ist aus, Junmyeon. Es ist besser so. Tut mir leid. Du bist wirklich ein wünschenswerter Typ. Aber nicht für mich. Wir gehören nicht zueinander. Irgendjemand gibt dir die Zuwendung, die du brauchst, aber das bin nicht ich." Ich kannte ihn so gar nicht. Er drehte sich einfach weg, als würde es ihn gar nichts kümmern. Noch nie hatte ihn etwas so wenig gekümmert, wie das hier gerade. Irgendetwas stimmte nicht, das wäre doch gelacht, wenn er das ernst meinen würde. Dann verließ er das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Mir tat alles weh, alles fühlte sich schwer an und es kam mir vor, als wäre der Raum plötzlich stickig, sodass ich kaum atmen konnte. Draußen hörte ich, wie Tao sich anfing mit seinem Kindheitsfreund auf beider Muttersprache zu streiten. Auch Sehun mischte sich einen Moment ein. Meine Augen liefen plötzlich mit Tränen über und mir wurde so schlecht, wie es von Alkohol niemals passieren könnte. Mein Herz fühlte sich an, als würde es sich zusammenziehen und gleichzeitig in tausend Teile zerschellen und dann hörte ich von einem Moment auf den nächsten nur noch ganz leise und gedämpft, was um mich herum passierte. Sofort klammerte ich mich an alles, was ich zu fassen bekam. Vor mir saß jemand. Ich hatte einen Moment Hoffnung, Yifan sei wieder bei Sinnen, aber dann erkannte ich ganz verschwommen Sehun. Erst als der Druck wieder weg war und ich den Jüngeren sprechen hörte, wusste ich, dass er mir wohl die Ohren zugehalten hatte, vermutlich, damit ich den Streit draußen nicht auch noch hatte hören müssen. "Hey, ich bin da, ja? Tao und ich passen auf dich auf. Wir kümmern uns um dich. Wir bleiben bei dir, keine Angst. Das wird wieder, hörst du? Wir sind für dich da, immer", sicherte er mir zu und zog mich entsprechend fest in seine Arme. "Sehun ich hab nicht aufgepasst! Ich hab- I-Ich hab's nicht gemerkt, ich hab nichts gemerkt, gar nichts!", schluchzte ich. Ich presste mein Gesicht gegen seine Schulter und klammerte mich an ihm fest, während er meinen Rücken und meine Haare streichelte. Ungehalten schluchzte ich in sein Shirt und bekam meinen Atem kaum noch unter Kontrolle. "Hyung, nein, es ist nicht deine Schuld, wirklich nicht." Er wischte schnell über meine Augen und strich durch meine Haare. "Hyung-" "Ich hab ihm nicht zugehört und er- er- es ging ihm so scheiße und ich hab nichts mitbekommen-" "Nein, nein, du warst immer für ihn da, alles in Ordnung, Junmyeon, du hast nichts falsch gemacht. Es wird alles wieder gut, versprochen. Wir kümmern uns um dich, mach dir keine Sorgen, du bist nicht alleine, ja? Niemals, wir passen auf dich auf, ja? Immer, das versprech ich dir. Wir drei schaffen das." Auch Tao kam in mein Zimmer und setzte sich zu uns auf mein Bett. Er legte die Arme von hinten um mich und schmiegte sich an meinen Rücken. "Aber- Aber ich- Aber ich hab nicht aufgepasst und ich- was wenn ich- wenn ich ihn bedrängt hab", ich bekam kaum Luft und sprechen tat weh, aber ich wollte unbedingt Gründe finden und irgendwie auch nicht. "Myeonie, Blödsinn, du hast ihn nicht bedrängt. Er war nicht deinetwegen unzufrieden, wer wäre denn mit dir unglücklich. Willst du... wissen, was er gesagt hat?", fragte Tao nun leise, doch ich verstand jedes Wort. Ich schüttelte den Kopf und schluchzte lauter. Später. Taub kam ich mir vor. So musste es sich anfühlen, wenn ein Teil von einem starb, oder? Ich hatte wirklich geglaubt, dass er der richtige gewesen war, ich liebte ihn wirklich. Drei Jahre, für manche war es nicht allzu lang, aber es waren drei wirklich schöne Jahre gewesen. Mir hatte noch niemand so viel bedeutet und jetzt sowas. Und nach dreieinhalb Jahren war das hier das letzte, das ich mir hätte erdenken können. Das musste ein schlechter Scherz sein. Ein Witz, ein richtig ekelhaft dummer Witz. Sowas konnte doch nicht die Wahrheit sein. Das klang alles wie ein bescheuertes Theaterstück, ein Drama und das hier war die Katastrophe. Mir kam alles vor, wie in einem Albtraum. Nur leider war ich trotz des Schocks nicht aufgewacht. Und das würde ich vermutlich auch nicht mehr. * Kapitel 1: (Self-)Pity ---------------------- * >Yifan ich weiß nicht was ich gemacht hab aber es tut mir leid kannst du bitte zurückkommen und mir sagen dass das ein schlechter scherz war< >Ich vermiss dich bitte tu mir das nicht an< >Kannst dus mir erklären bitte< >Ich will dich nicht verlieren< >Ich bitte dich ich liebe dich warum würdest du mir das antun??< >Weißt du noch als deine mom krank wurde das haben wir auch geschafft< >Es kann doch nicht sein dass du mich einfach so fallen lässt und ich dachte du seist dir sicher dass du schwul bist und plötzlich bist du bi und tust mir sowas so plötzlich an< >Ich hasse dich aber ich liebe dich warum machst du das bitte antworte mir< >Ich will einfach nur wissen warum< >Ich hasse dich nicht< Nichts davon wurde in den vergangenen drei Wochen durchgestellt. Und selbst wenn, vor lauter Tränen hätte ich es sowieso nicht mitbekommen. Neben meinem entsperrten Handy lagen haufenweise vollgeheulte Taschentücher. Daneben Fotos von Yifan und ich wäre nicht in sämtlichen Dramenkursen, wenn ich nicht auch noch klassische Herzschmerzmusik aufgelegt hätte. Draußen hörte ich Tao und Sehun einen Moment direkt vor meiner Tür sprechen. Es ging um das freie Zimmer, das aufgrund hoher Mietskosten schnellstmöglich einen Nachmieter erforderte. Aber ich wollte nicht. Ich wollte einfach nicht, dass jemand neues einzog. Jemand neues würde bedeuten, dass es wahr war. Und... das war es für mich noch nicht. Es fühlte sich noch immer alles wie ein schlechter Traum an. Ich wollte wieder zu Yifan. Und ich wollte Julyn als normale, freundliche Mitbewohnerin zurück haben. Wie früher. Sie war so lieb gewesen und dann sowas. Ich wusste absolut nicht mehr, wo oben und unten war. Mir war total schwindelig und schlecht und ich hatte permanent das Gefühl, gleich ohnmächtig zu werden, aber nichts dergleichen passierte. Dass ich mich vor drei Wochen direkt dreimal übergeben hatte mal außer Acht gelassen. Ich kam mir grundsätzlich so vor, als wäre ich tot und würde total neben mir stehen. Sehun hatte mich in den letzten Tagen mehr oder weniger zum Essen gezwungen, während Tao regelmäßig haufenweise Gespräche mit mir anfing. Aber ich Idiot blockte natürlich ab. Und das tat mir wirklich leid, nur konnte ich einfach nicht mehr. Ich wollte einfach nicht reden. Noch nie hatte ich mich so schlecht gefühlt. Ich kam mir so... schlichtweg hintergangen und absolut nutzlos vor, dass ich am liebsten Amok laufen würde. Ich hasste gerade alles. Mich und mich, die ganze Welt, eigentlich auch Yifan, mich, immer noch mich und ganz besonders Julyn. Plötzlich hatte ich Lust, das Theater aufzugeben, mich zu exmatrikulieren und ins Ausland auszuwandern. Weit weg von meinen Problemen. Gleichzeitig wünschte ich mir nur, zeitreisen zu können und alles rückgängig zu machen. Wahlweise wünschte ich mir auch nur eine Waffe. Einfach weil ich mir nicht erklären konnte, was los war. Es ergab einfach keinen Sinn und das war eine Katastrophe für mich. Es gab für mich kaum etwas, was momentan sinnfreier war, als das, was passiert war. Ich dachte nonstop darüber nach, was ich falsch gemacht hatte, dass ich ihn so weggejagt hatte. Klar hatten wir uns auch mal gestritten und natürlich auch mal etwas heftiger, aber nie so, dass ich von mir aus sagen könnte, dass es nachhaltig gewesen sei. Niemals so, dass ich ernsthaft über eine Trennung nachgedacht hätte. Aber vielleicht war es für ihn ja so gewesen? Vielleicht war er ja nur sauer auf mich wegen irgendwas und wollte mir eins auswischen. Aber eigentlich war er dafür viel zu lieb, sowas hatte er noch nie gemacht. Sowas würde er auch nicht tun. Nicht Yifan, nie im Leben. Ob ich übertrieben hatte? Oder lag der Fehler bei ihr? Hatte Julyn sich absichtlich eingemischt, als es mal nicht so gut gelaufen war? Aber auch das war total unrealistisch. Ich verstand gar nichts mehr. Vor seinen Freunden war Yifan aber schon immer reserviert gewesen. Also im Bezug auf mich. Und das hatte mich auch nicht gestört, zumal ich selbst auch nicht brauchte, dass wir nonstop aufeinander herum hingen. Aber dass er dann so plötzlich mit ihr zusammenzog? Wir waren drei Jahre ein paar und hatten gerade mal angefangen, uns über eine gemeinsame Wohnung zu unterhalten. Das war einfach nicht er. Und wenn doch, dann hatte ich mich mächtig in ihm getäuscht. In drei Jahren. Bullshit. Waren meine Ansprüche zu hoch gewesen? Aber wenn ja in welchem Bezug? Ich legte Wert auf seine Bildung, aber auch auf seine Freizeit und Gesundheit. Er sollte sich natürlich nicht überarbeiten, egal wie oft ich sagte, ich würde Intelligenz mögen. Und seien wir ehrlich, Yifan überarbeitete sich selten. Eher nie, aber das war kein Problem gewesen. Und dass er verpeilt war, hatte mich noch nie gestört, nein, ich hatte es sogar total an ihm geliebt. War ich zu narzistisch? Hatte ich ihn wirklich einfach nur vernachlässigt? Das Theaterspielen nahm mich schon in Anspruch, ja, auch die Uni, aber trotzdem hatte ich es doch auch geschafft, mit ihm Zeit zu verbringen. Es war auch immer alles gut gewesen. Es hatte doch an nichts gemangelt oder? "Hyung?", hörte ich Sehun laut durch die Tür fragen. "Ja?", entgegnete ich und schaltete die Musik ab. "Würdest du bitte mal in die Küche kommen?" * Sehun schob uns ein Bild einer jungen Frau hin, sowie eine weitere ausgedruckte Mail. Dabei seufzte er leise. Er war sichtlich genervt. Ich überflog das Blatt halbherzig, ehe ich es Tao gab. Daraufhin schlang ich meine Arme wieder um meine angezogenen Beine und bettete den Kopf auf meinen Knien. Das war die achtzehnte Mail und so langsam hatte ich keinen Bock mehr. Ich war froh, dass wir uns erst einmal für kein wirkliches WG-Casting entschieden hatten. "Okay, wir haben in den letzten drei Wochen haufenweise Anfragen bekommen und so langsam hab ich auch keine Lust mehr. Ich meine fünfzehn Quadratmeter sind wirklich gut, vor allem für den Preis. Und dann auch noch bei uns wohnen, hey besser geht nicht. Nur das sehen halt viele so. Was haltet ihr von ihr? Sie ist Austauschstudentin aus Japan, aber eigentlich Koreanerin-" "Nein, mit der hatte ich was auf einer Party, die hol ich mir nicht ins Haus. Sorry, aber nein", warf Tao dazwischen. Sehun stöhnte genervt, schob uns eine weitere ausgedruckte Mail hin, nachdem er die vorige zerriss und genervt auf den Boden fallen ließ. Ich warf einen kurzen Blick drauf. Ein Typ, schwarzhaarig, sah ein bisschen aus wie ein Buchautor. Den hatte ich doch mal gesehen... In einem Web-Drama? "Was macht der?" "Oh~ Myeonie ich vermiss dich voll", seufzte Tao mir sofort entgegen, "Du redest kaum noch, das steht dir nicht." "Alter, Tao, jetzt nerv ihn nicht", maulte Sehun. "Nervt du mich nicht." "Jungs, bitte, entspannt euch... Also?", hakte ich weiter nach. Ich hatte wirklich keine Lust auf Diskussion. Eigentlich hatte ich auch keinen Bock, dass mich die Streiteren meiner zwei Mitbewohner jetzt aufheiterten, wie sie es sonst taten. Lieber würde ich weiter in Selbstmitleid baden, aber sie machten es mir seit der ersten Mail schon wirklich nicht leicht. "Das ist Do Kyungsoo, den kenn ich über Nini. Er studiert auch hier... Schauspielerzeug, wie du. Kennst du ihn?", fragte der Chinese und überflog die Mail ein zweites Mal. Ich nickte. Dann hatte ich ihn da gesehen. Er war laut E-Mail im gleichen Semester wie ich, also musste er bestimmt in einem meiner ersten Kurse gewesen sein. Konnte kochen, fahren, war wohl im Studium echt gut und musste ausziehen, weil sich seine gesamte WG auflöste, weil das Haus abgerissen werden musste. Wie traurig, wenn einem das Zuhause genommen wurde. Ich würde ja sagen, dass ich mir nicht vorstellen konnte, wie schlimm es war, wenn einem etwas so wichtiges genommen wurde, aber das wäre gelogen. Es tat mir so leid für ihn, sein Zuhause zu verlieren. "Keine Ahnung, aber ich glaube schon. Aber klingt okay. Ist er schwul?" Tao wisch etwas zurück, zog eine Augenbraue hoch und sah mich fragwürdig an. "Myeonie, seit wann entspricht der denn deinem Beuteschema, huh?", er wippte mit den Brauen. "Tao..." "Sorry. Äh... nein, aber er hat auch keine Freundin, soweit ich weiß." "Okay...", ich hob die Schultern, "Dann haut er so schnell nicht ab." "So lange er nicht die gleichen gut findet, wie ich-" Sehun zog skeptisch eine Braue hoch. "Tao, niemand hat deinen verkorksten Frauengeschmack. Es müsste Barbie sein, damit sie weiblicher ist als du, find dich damit ab!" "Boah Sehun, ruf Kyungsoo an und mach mich nicht wütend!", fauchte der Ältere. "Kann Junmyeon das nicht machen? Ich will nicht mit fremden reden", maulte Sehun und sah mich bittend an. "Bist du behindert? Du hast deinen Freund kennengelernt, weil er sich zehnmal verwählt hat und dann hast du monatelang mit deinem Unbekannten telefoniert, also trau dich, Kyungsoo anzurufen!", fauchte Tao. "Jaha, aber Baekhyun hat mich angerufen, nicht andersherum, merkst du was?! Ich bin schüchtern!" "Hey, Jungs, bitte, ich mach schon", warf ich möglichst schlichtend ein. Ich seufzte nun selbst. Dann streckte ich eine Hand aus. "Gib dein Handy her, Sehun." Sehun gab mir sein iPhone, woraufhin ich die von Kyungsoo angegebene Nummer wählte. Es tutete ein bisschen länger als gedacht, dann hob jemand ab. Er hatte eine ruhige Stimme und sie kam mir tatsächlich bekannt vor. "Hallo?" "Ja, hey, Kyungsoo, ich bin Kim Junmyeon. Du hast dich auf unser WG Zimmer beworben. Die Wohnung-" "Ah, ich weiß schon, dein Name war angegeben." Ich sah in die Gesichter meiner Mitbewohner, die mich gespannt beobachteten. Natürlich war mein Name angegeben. Diese zwei Mistkerle. "Danke, dass du anrufst. Also, habt ihr euch was überlegt? Ich wollte eigentlich selbst anrufen, aber ich kam nicht wirklich dazu, tut mir leid." "Ja, ist schon in Ordnung. Wir würden dich bitten, die Tage mal vorbeizukommen, wenn du noch nichts anderes hast? Tao kocht auch gerne irgendwas traditionell Chinesisches und wir würden uns auch gerne nochmal richtig vorstellen. Und dann zeigen wir dir das Zimmer und entscheiden zusammen, ob du hier rein passt. Was meinst du?" "Ähm... ja, auf jeden Fall, gerne. Aber geht Samstag? Ich kann den Rest der Woche nur schlecht und Sonntag muss ich arbeiten. Sofern euch das nicht zu spät ist." Ich sah die anderen an. "Warte kurz", dann wandte ich mich an Tao und Sehun, "Geht Samstag?", beide nickten, "Okay, Kyungsoo? Du kannst gerne nächsten Samstag herkommen." "Okay, sehr gut. Danke. Bis dann." "Ja, bis dann." Ich legte auf, gab Sehun sein Handy. "Tao, koch was chinesisches am Samstag. Was Gutes." "Okay, Hunie, hilfst du mir?" "Da treff ich Baekhyun." Der Blonde zog eine Augenbraue hoch und schnalzte mit der Zunge. "Heul doch, dann kocht er mit uns oder wir parken ihn vorm Fernseher oder er spielt mit Junmyeon." "Das ist mein Freund und nicht unser fünfjähriger Sohn, du Idiot!" "Ey, wie redest du mit mir, huh?!" "Hallo, ihr benehmt euch gerade wie fünfjährige Kinder, ja? Kocht am Samstag einfach Essen, während ich aufräume und stellt euch nicht so an." Daraufhin erhob ich mich und lief zurück in mein Zimmer. Wir hatten den ganzen Nachmittag herumgehangen und langsam wurde ich wirklich müde. * Es war für mich immer noch ein böser Traum. Ein Albtraum. Nein. Es war kein böser Traum. Es war die Wahrheit. Das hatte ich heute in der Uni gesehen. Ich war dort gewesen, um mit einem Professor zu reden und unterwegs waren sie mir Hand in Hand entgegen gekommen. Vier Wochen war ich allen aus dem Weg gegangen, um sowas zu sehen. Yifan hatte mich nicht beachtet oder zumindest absichtlich weggeschaut. Und Julyn? Die dumme Gans hatte mir gewunken und mich auch noch gegrüßt. Zugegeben: Daraufhin war ich ziemlich ausgeflippt. Sowas war mir noch nie passiert. Ich hatte beide auf dem Gang lautstark als widerlich bezeichnet und dann allein auf der Toilette meinen gefühlt hundertsten Nervenzusammenbruch erlitten. Alles, obwohl ich beide zuvor auch schon mehrfach auf Entfernung in der Uni zusammen gesehen hatte. Aber Julyns Reaktion hatte meine Nerven einfach überstrapaziert. Sehun hatte mich dann abgeholt, als ich ihn angerufen hatte. Meine Theatergruppe hatte sich Sorgen gemacht und dann war mir eins unserer jüngsten Mitglieder, Jeno, auf der Toilette begegnet. Der hatte dann wirklich alles gegeben, um mich halbwegs aufzumuntern, sodass ich Sehun anrufen konnte. Naja und jetzt saß ich hier. Auf dem Sofa, unter einer Wolldecke, mit Eiscreme, Taschentüchern und einem PlayStation-Controller ausgerüstet. Netflix war der Retter in der Not, der mein Drama perfektionierte. Und auch das Drama, das ich mir gerade Rotz und Wasser heulend ansah. Gleichzeitig telefonierte ich mit meiner Mom. Oder stritt mich eher wieder mit ihr. Ich hätte es ihr am liebsten für immer verheimlicht, dass es mit Yifan wohl vorbei war, aber als sie mich vorhin angerufen hatte und mich an mein persönlichen Drama heute morgen durch ihr Nachfragen erinnert hatte, gab es für mich keine Chance mehr. "Bist du endlich wieder bei Verstand und hast sie um ein Date gebeten?" "Nein, Mom, wieso?! Hörst du mir überhaupt zu?! SIE hat mir Yifan ausgespannt und beide sind abgehauen-" "Du bist so wenig Mann, dass dir gleichzeitig Mann und Frau abhauen?!" "Wie redest du bitte mit mir-" "Was hast du angestellt, ihn zu vergraulen? Ich dachte als Schwuler ist alles so viel toller und besser? Ich hab dir gesagt, halt dich fern von Männern und dem erst recht, aber DU hörst ja nicht! Ein Mann passt nicht zu einem Mann-" "Mom! Es reicht, ich will nichts davon hören, wie du Yifan hasst, ich bin selbst gestresst genug mit meinen Gefühlen!" "Ich hab noch nie was von dir mit irgendwelchen Typen gehalten, das weißt du! Wie konntest du uns sowas antun, du hättest Hyungwon sehen sollen, als er es erfahren hat, ich hab mich so geschämt. Genauso geschockt wie dein Vater damals. Du bist selbst schuld, was lässt du dich auch auf einen Mann ein?! Eine Frau hätte dir sowas nicht angetan und wenn du dich anständig benommen hättest, dann-" "Aber eine Frau ist der Grund, Mom!", verteidigte ich mich und schluchzte, "Sie hat mir meinen Mann ausgespannt! Das hat nichts damit zu tun, dass ich schwul bin!" "Dann weiß wenigstens er, dass es nicht richtig ist! Hättest du die Stelle von deinem Stiefvater angenommen, würdest du jetzt nicht so hysterisch heulen und du hättest eine Frau kennengelernt, statt diesen verwirrten-" "Fang nicht damit an!", empörte ich mich bloß, "Ruf mich nicht an, wenn du mich eh nur runtermachst! Gib mir einen mütterlichen Rat und hab mich einmal lieb, wirst du dich wohl zusammenreißen?! Ich weiß überhaupt nicht, was du jetzt von mir willst!" "Komm nicht nochmal mit einem Mann heim, das ist mein Rat! Ihr macht doch alle nur Ärger." "Alle außer die, die du anschleppst-" "Ich warne dich, Junmyeon! Kein Mann mehr. Dann darfst du vielleicht wieder mit uns essen, du Esel." "Ich will überhaupt nicht mit dir essen", knurrte ich. "Das ist mir egal, hörst du? Kannst du mir jetzt die Unterlagen schicken oder nicht?", zischte sie. Ich seufzte und rollte mit den Augen, nahm noch einen Löffel Eis und sprach mit vollem Mund weiter. "Ich schick sie dir doch, entspann dich. Ich wollte einmal, dass ich erleben kann, dass du mich liebst, weil ich dein Sohn bin und dann sowas?! Dass diese Tussi sich in meine Beziehung einmischt und alles ruiniert, begründest du damit, dass ich schwul bin? Ich hasse es so sehr, dass du mich nicht akzeptierst sobald es mal um meine Ideale geht!" Sie war eigentlich wirklich lieb. Ich liebte sie wirklich, sie war meine Mom und zumindest den Großteil meiner Person akzeptierte und liebte sie auch. Aber sie hasste meine Berufswahl. Meine Sexualität noch mehr. Zumindest regte sie sich immer extrem darüber auf und hielt mir Vorträge, dass es mir als Hetero ja so viel besser hätte gehen können. Als ich noch Single war, war ich besser mit ihr klargekommen, auch als ich mich geoutet hatte. Aber durch meine Beziehung hatte sie mir immer vorgehalten, wie viel besser eine Frau ja gewesen wäre. Bla Bla. "Hättest du dich nicht für so einen Unsinn entschieden und wärst ein richtiger Mann, wäre dir das nicht passiert-" "Mama! Ich BIN so und ich BIN auch ein richtiger Mann, verdammt! Ich hab mich für gar nichts entschieden, außer, dass es besser ist, wenn ich ausziehe, ich merk 's! Ich schick dir den Mist. Und frag mich nie wieder nach meiner Beziehung, wenn du mich dann sowieso nur fertig machen willst! Frag nicht nach Sachen, die dich nicht interessieren! Frag mich lieber wie es mir geht und dann leg auf. Tschüss." Damit legte ich auf. Energisch wischte ich über meine Augen und aß weiter Eis. So eine Frechheit. Ich war doch nicht ausgezogen, dass die Streitereien um meine Sexualität weitergingen. Aber was hatte ich denn erwartet? Natürlich schürte es noch mehr Tränen. Vor lauter Enttäuschung, dass meine Mom auch jetzt nicht zu mir hielt. "Okay, wow, Junmyeon." Unter Tränen sah ich vom Fernseher weg und meine beiden Mitbewohner an. Sehun stand in Shirt und Boxershorts in der Tür, Tao davor in einem lockeren Hemd und einer zerrissenen Jeans, fertig gestylt. "Ich hab dir gesagt, er wird immer schlimmer, wenn er nicht bald raus geht, also nimm ihn mit", hörte ich Sehun gedämpft, "Er guckt schon den ganzen Tag dieses scheiß Drama. Bis heute Morgen ging's doch noch und dann sowas. Nur weil diese dumme Tussi sich so scheiße benimmt." Vom Heulen hatte ich Druck auf den Ohren und als ich versuchte diesen auszugleichen, nieste ich ziemlich abtörnend. Dass ich mir dabei in die Hand rotzte, förderte ein tiefes Schluchzen und ein Zusammenkneifen meiner Augen. Ich griff nach einem Taschentuch aus der Zupfbox, während Tao mich plötzlich runtermachte. Runde zwei, als hätte er sich mit meiner Mutter abgesprochen. "Ich seh's. So langsam wirst du affig. Junmyeonie, ich weiß ja, dass du beim Heulen die Schmerzgrenze meiner Augen testest, aber das hier schießt echt den Vogel ab und das an meinem Freitagabend. Alter, du bist so abnormal hässlich gerade, du musst unter Leute und zwar sofort", tadelte mich der Chinese, "Wie kann man sich so gehen lassen und so armselig aussehen. Wo ist dein Stolz hin, huh? Oder hat dieser Pisser ihn mitgenommen? Steh auf, beweg dich, sonst hol ich noch zur richtigen Abreibung aus. Ich will sehen, wer du bist und was du kannst, nicht dieses verheulte, hässliche-" "Wie redest du mit mir?!", schluchzte ich. Sehun hielt Tao sofort den Mund zu, ehe der Blonde antworten konnte. "Sorry, er hat schon vorgeglüht. Aber er hat Recht hyung, du musst mal raus. Wenigstens ein bisschen Ablenkung. Das Drama mit dir will ich mir auch nicht länger angucken", erklärte Sehun, "Ich weiß, es war scheiße und ich weiß, es wird schwer, darüber irgendwann hinwegzukommen, aber rumsitzen und heulen ist für dich noch nie die richtige Trauerbewältigung gewesen. Das hast du mir selbst schon immer gesagt." Ich jammerte und schluchzte übertrieben laut und erschrak mich beinahe vor mir selbst. Indes nahm Tao Sehuns Hand von seinem Mund und verschränkte die Arme. "Weißt du noch die Scheidung deiner Eltern? Ich will nicht, dass dir sowas nochmal passiert. Du musst aus der Heulerei raus. Nicht das Theater vernachlässigen oder die Uni oder dich. Mach was für dich, lass das Miststück nicht gewinnen." Sie hatten ja wirklich Recht. Ich hatte als Teenager schon einmal den Fehler gemacht und nur geweint und mich nur auf die Katastrophe konzentriert. Das konnte ich nicht brauchen, das machte mich persönlich nur kaputt. Aber gleichzeitig war es so unglaublich schwer, sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Tao kam zu mir rüber, nahm mir das Eis weg. Dann schaltete er den Fernseher aus und sah mich erwartungsvoll an. "Halbe Stunde. Dann gehen wir, mir egal, wie du dann aussiehst. Johnny, dieser Austauschstudent da, der schmeißt 'ne Party im Wohnheim. Und rate mal, wer mich begleitet." "Hun?", murmelte ich. "Sieht er so aus, Hoheit? Los, mach. Ich warte in der Küche und du machst dich besser hübsch." "Ich will aber niemanden auf-" "Für dich und dein eigenes Ego. Nicht zum Aufreißen. Mein Gott, würde ich so aussehen, würde ich auch nur flennen", murrte er noch, während er den Raum verließ. Tao war entweder ein absolut extrovertierter Sonnenschein oder furchtbar gemein, wenn er angetrunken war und man nicht spurte. Er hatte dann überhaupt keinen Respekt mehr vor mir. Vor Frauen immer, aber weder vor mir noch vor sonst einem Mann. Nicht einmal vor seinem Vater, was ihm damals wohl schon einmal eine kräftige Backpfeife eingebracht hatte. Ich wischte über meine Augen, versuchte mich mit allen gelernten schauspielerischen Mitteln zu beruhigen. Indes ging der Chinese in besagte Küche. Sehun lächelte mich matt aus der Tür heraus an. "Du kommst nicht?", fragte ich. Er schüttelte den Kopf. "Nein. Ich hab Tao schon abgewimmelt als er nüchtern war. Ich treff mich morgen endlich mit Baekhyun, da will ich ausgeschlafen sein, statt auf 'ne Party gezwungen zu werden." Ich seufzte. Dann rappelte ich mich auf und ging zu Sehun. Ich sah in seine Augen, bekam erneut ein schmales Lächeln und bewies erneut, dass ich sehr nah am Wasser gebaut war. Sehun schnaubte belustigt, legte aber einen Arm um mich und strich über meinen Rücken. "Spuck 's aus, was hat sie gesagt?" "Was wohl", schluchzte ich, "Ich bin schuld! Sie hält nicht... Sie hält nicht zu mir, das hat sie no-noch nie!" Sehun drückte mich an sich und strich über meinen Rücken. Der Jüngere wusste am besten über meinen Probleme mit meinen Eltern bescheid, eher noch als Yifan. Das lag daran, dass Sehun und ich früher Nachbarn gewesen waren und seine Adoptiveltern mich quasi auch adoptiert hatten. Sie kannten mich so gut wie ihre eigenen Kinder. Anfangs hatte ich immer bei ihnen zu Hause rumgehangen, weil ich mit Sehuns Adoptivbruder Luhan gut befreundet gewesen war. Zusätzlich, weil ich mich mit meinen Eltern häufig in die Haare gekriegt hatte. Inzwischen hatte ich einen besseren Draht zu Sehun, was aber nichts daran änderte, dass Luhan für mich auch wie ein Bruder war. "Willst du vielleicht mal mit meiner Mom drüber sprechen?" Ich schüttelte allerdings den Kopf. Nicht heute. Vielleicht würde ich sie die nächsten Tage mal anrufen. "Okay... Hyung, keine Sorge, wir bleiben bei dir. Irgendwann versteht sie dich vielleicht. Vielleicht kann dein Dad irgendwann doch nochmal mit ihr reden. Na komm, lenk dich heute ab. Wir wollen dir nur helfen. Du gehst jetzt ein bisschen mit Tao aus und er passt auf dich auf, ja? Versuch einfach nicht zu sehr nachzudenken. Er lenkt dich ab. Das mit deiner Mom fängt sich auch wieder, die regt sich jetzt ein, zwei Stunden auf und dann entschuldigt sie sich." Ich schniefte und nickte. Eine kleine Weile ließ ich mich noch von Sehun beruhigen, ehe er mich voran in mein Zimmer schob. Er setzte mich auf meinem Bett ab und begab sich zu meinem Kleiderschrank. "Was willst du tragen? Wir können dir bestimmt auch was leihen." "Irgendwas, das nicht anstrengend ist-" Mit einer hochgezogenen Braue musterte der Jüngste mich. Dann schüttelte er den Kopf. "Ich motz dich richtig auf. Außer du stehst jetzt sofort auf und guckst mit." Seufzend gab ich mich geschlagen. Ich nickte knapp und stand auf, um auf ihn zuzugehen. Am Schrank angekommen, nahm ich ihm eine Jeans und einen dünnen grauen Pullover ab. Mit weißen Sneakers und einer von Taos unzähligen teuren Uhren und einem Ring kombiniert wurde ich als ausgehfertig akzeptiert. "Lass dein Handy hier, was du jetzt brauchst, ist ein bisschen Tao-Time." * Kapitel 2: Tao-Time. Wait, Tao-Time? ------------------------------------ * Tao-Time. Tao-Time, ja was genau war das eigentlich? Allen voran war Tao-Time nichts Gutes. Zumindest nicht für mich. Oder Tao. Oder generell Menschen. Also prinzipiell konnte es das Beste überhaupt sein, aber im Grunde war es eine Katastrophe. Tao-Time hieß sowas wie möglichst viel hochprozentigen Alkohol auf möglichst wenig Zeit, um den perfekten, zu hohen Pegel schnellstmöglich zu erreichen. Tao-Time hieß, die Sorgen blieben fern. Niemand nahm Tao die „Philo-Sophie“, a. k. a. die Süße aus Philo Drei, und seine Devise war da, wo Wiese wuchs, in seinem Sinn gegebenenfalls aber dann Gras, wiederrum im Sinne von Weed- Wie auch immer. Normalerweise sang er es einem vor, wenn sein Pegel stimmte. Probleme wegwischen mittels Dates oder One Night Stands und Alkohol und im Notfall auch Gras. Hakuna Matata, so wie man es eben kannte. Ganz einfach. Tao-Time. Aka Hakuna Matata plus Carpe Diem plus Carpe Noctem plus was auch immer gesundheitsgefährdend war gleich Tao-Time. Nur 19 plus. Mir zuliebe beschränkte er sich allerdings inzwischen nur noch auf Alkohol, meist auch nicht mehr nur Hochpro, oder gelegentlich nur ein One Night Stand. Er war eine Katastrophe gewesen, als wir ihn kennengelernt hatten. Jedes Wochenende Party, rotzevoll und mindestens ein Mädchen dabei, furchtbar. Ich hatte oft gedacht, er würde an einer Alkoholvergiftung oder sämtlichen Geschlechtskrankheiten auf einmal sterben. Einmal hatte er mir erzählt, er sei jedes Wochenende seit der Oberstufe betrunken gewesen. Auf meine Antwort hin, noch nie so betrunken gewesen zu sein, dass ich hätte brechen müssen, war er total schockiert gewesen. "Tao, ich hab echt keinen Bock-" "Nicht lang schnacke~n", setzte er an und ich seufzte, "Kopf in 'n Nacken!" Damit kippten wir beide die ersten Shots runter. Gott, diesem Jungen sollte ich Alkohol verbieten. Es war so anstrengend, mit ihm feiern zu gehen, wenn man selbst keine Lust hatte. Ich wollte heute einfach nicht. Warum hatte ich mich von den beiden zwingen lassen? Ich wollte nur nach Hause ins Bett. Ich stand etwas abseits mit Tao am gekippten Fenster von Johnnys Zimmer. Apropos Johnny, ich hatte ihn noch immer nicht getroffen und nein, ich kannte ihn auch nicht. Neben uns auf der kleinen Couch saßen drei Jungs und unterhielten sich so lautstark über den Auslandsaufenthalt des einen, dass sie sogar die Musik stellenweise übertönten. Zwei von den drei hatten wirklich sehr laute Stimmen. So laut, dass ich bei aller Liebe nicht weghören konnte. Auch wenn ich es an manchen Stellen wirklich wollte. Aber vielleicht sollte ich wirklich einfach trinken, wie ich vorhin schon einmal überlegt hatte. Vielleicht sollte ich mich mal wirklich abschießen. Wer wusste schon, vielleicht half es ja? Also ich wusste es bloß von anderen, aber bei denen half es wohl. Okay, gut... es "half", aber naja. Ähnlich wie Essen von McDonald’s, es füllte kurz, machte aber auf lange Zeit nicht satt. Vielleicht war es ja doch eine Abwechslung, mal nicht daran zu denken, was passiert war. Ich war mir ja bewusst, dass Alkohol niemals eine Lösung war, aber manchmal ein Mittel zum Zweck. Tao zog kurz darauf schon los, um uns noch mehr zu holen. Ich drehte mich zum Fenster, um es ganz zu öffnen, um etwas mehr Luft in den inzwischen schon stickigen Raum zu lassen. Dabei machte ich einen Schritt zurück, öffnete es und stieß mit jemandem zusammen. Aber ich hatte doch keine Lust auf Menschen… "Oh, sorry", entschuldigte ich mich sofort. "Sorry!", rief mein Gegenüber gleichzeitig aus. Er war etwa so groß wie ich, schwarzhaarig. Scheinbar hatte er etwas von seinem Drink verschüttet, denn er sah direkt auf den Boden. Dann sah auch ich hinab und sah die kleine Pfütze. "Ist was passiert? Bist du nass geworden?", fragte er mich. Ich schüttelte den Kopf. Dann lächelte er mich breit an. Ein tiefes Grübchen zeichnete sich auf seiner Wange ab. Daraufhin setzte er sich zu den anderen drei auf die Couch und wurde ebenso lautstark begrüßt. Mild lächelnd beobachtete ich die Szene und hatte kurz darauf wieder die Aufmerksamkeit des Schwarzhaarigen, der mich erneut anlächelte. Hübscher Typ, hatte es bestimmt leicht, dass ihn jemand liebte. Dafür bekam er sofort halbherzigen, ironischen Anschiss von dem jungen Mann mit der Kappe direkt neben ihm. Der, der im Ausland gewesen war. Keine Begrüßung, stattdessen würde er natürlich sofort Leute belästigen und dann noch rumflirten. Etwas belustigt schaute ich den vier noch zu, ehe Tao wieder zu mir kam. Sofort bekam ich von ihm einen Becher mit… irgendwas. „Tao können wir langsamer machen? Ich hab kein gutes Gefühl.“ „Nein. Wir machen langsamer, wenn du aufhörst zu jammern.“ „Aber… ich- eigentlich will ich heim ins Bett.“ „Schlafen kannst du, wenn du tot bist, Pussy. Jetzt hör auf zu heulen und trink. Du Jammerlappen.“ „Junmyeon, ein Jammerlappen? Wie kommt’s?“ Tao und ich sahen auf. Vor uns stand Choi Minho. Er war ein Stück größer als ich, hatte schwarze Haare und trug ein weißes Hemd und schwarze Jeans. Auch er sah wirklich gut aus. Einen Moment hakte es in meinem Kopf, bis ich ihn gänzlich zugeordnet hatte. Peinlich, weil wir uns kannten und quasi Freunde waren. Wir spielten zusammen Theater. Minho war einer der Neuzugänge in unserer Gruppe gewesen. Ich hatte ihm sogar noch von Yifans und meiner Trennung erzählt. Und das war nicht alles, ich kannte Minho aus der Schule. Er war in meiner Parallelklasse gewesen. In der Theater-AG und auch im Schwimmkurs. Und dann hatte ich ihn gerade nicht erkannt, Gott, das musste schon der Alkohol sein. „Die Pussy lässt sich betrügen und jammert dann rum, wenn wer ausnahmsweise mal mit mir feiern gehen soll!“ „Tao, lass gut sein“, schnaubte ich. Minho grinste mich an. „Willst du dich vielleicht lieber mit mir vergnügen, als mit der Schnapsdrossel?“ Ich blinzelte. Er lachte. „Abgeben, mit mir abgeben. Komm mit, wir holen uns ‘ne Cola.“ Diesmal stimmte ich ihm zu und folgte Minho zur Küchenzeile. An dieser gab er mir einen Becher. „Bist du allein hier?“, fragte ich ihn. „Nee, Taemin ist nebenan und Jonghyun unterhält sich mit Taeyong und Johnny, guck.“ Ich folgte seinem Blick. Vielleicht sollte ich gleich noch einmal zu Jonghyun gehen. Er hatte mir immerhin in der Schulzeit viel mit meinem Gesang geholfen. Er war wirklich ein Engel mit einer göttlichen Stimme. Minho füllte indes unsere Becher mit Cola. Dann griff er zum Rum. „Och nee, du nicht auch noch.“ „Nur ein bisschen. Oder willst du wirklich nicht?“ Ich seufzte. Was sollte es schon? Zumindest heute Abend. „Na gut. Hau rein.“ Also schüttete er mir auch etwas in den Becher. Wir stießen an, tranken beide. Er begann mir zu erzählen, welche Ideen er für unser nächstes Stück noch hatte, die wir umsetzen könnten. Es wurde irgendwann zu einer wirklich interessanten Diskussion. Ich hatte selbst noch Ideen. Es begeisterte mich, was er vorschlug. Die Ideen waren echt cool. Unsere Unterhaltung blieb auch noch spannend, als wir davon abkamen und uns noch etwas über die Schulzeit unterhielten. „Wie hast du mich eigentlich in jeder Sportart immer überholt und warst trotzdem nie Leader?“, lachte ich und trank noch einen Schluck der zweiten Rum-Cola. Minho lachte ebenfalls. „Weiß nicht, ich bin vielleicht zu ehrgeizig. Vielleicht bin ich ein zu schlechter Verlierer, keine Ahnung. Aber ich hatte nie was dagegen, mich von dir rumschubsen zu lassen“, er zwinkerte mir zu. „Hab ich gut gemacht, oder?“ „Wahnsinn. Fast schon sexy, hm?“ „Ich hoffe doch. Hat auch Spaß gemacht, dich rum zu schubsen“, diesmal zwinkerte ich. Warum es mir auffiel, wusste ich nicht. Aber Minho legte die Hand auf meine Taille. „Du solltest wieder ein paar Kurse belegen. Dann kannst du mich da weiter rum kommandieren. Nicht, dass du das im Theater nicht schon tust.“ „Ach komm. Dir gefällt das doch“, raunte ich und oh Gott, das war langsam wirklich der Alkohol, „Ohne mein Herumkommandieren, wie du’s nennst, würdest du nicht so viel erreichen. Dein Ehrgeiz braucht das.“ * „Naja und ich kam jetzt aus Japan zurück und bin vor kurzem erst wieder hier eingezogen. Morgen hab ich ein Date, aber ich muss noch die zwei Pappnasen hier betreuen. Altersbedingt, du weißt schon“, lachte der Typ von vorhin vom Sofa. Er redete mit Tao. Worüber interessierte mich nicht sonderlich. Mich interessierte mehr der Rum in meinem Becher, den ich schlussendlich exte. Den Becher stellte ich auf der Fensterbank ab. Ich drehte mich zurück und wäre dabei beinahe wieder in meinen schwarzhaarigen neuen Kumpel reingelaufen, der mich fröhlich anlächelte. Oh so süß, er war gefühlt schon mein neuer bester Freund. Besserer bester Freund. Besser als Tao, das Miststück. Besser als Sehun, der Verräter. Ich erwiderte sein Lächeln. Fuck, der war so heiß in seiner schwarzen Jeans und dem weißen Hemd. Im Hintergrund hörte ich seine Freunde irgendwas rufen und eine kleine Stimme zwischen dem Alkohol sagte mir, dass ich laut gedacht hatte. Mein Gegenüber grinste breit und hielt mir seine Hand hin. Ich begann zu lachen. „Hast du Lust zu tanzen?“ „Ja, auf jeden Fall“, summte ich. Gott, lallte ich wirklich so schlimm? Dann lächelte er wieder so süß. Richtig komisch, er war zwischenzeitig voll verschwommen, das war echt gruselig. Kurz drauf lag seine Hand an meiner Taille und wir tanzten. Und das konnte er echt richtig gut. Wirklich sehr gut. Ich schlang meine Arme um seinen Nacken und zog ihn zu mir. Ja... der Alkohol half tatsächlich. Zumindest vorübergehend. Aber ich kam mir unglaublich gut vor. Und alles war so viel schöner. So viel besser. Obwohl ich kein Fan davon war, nur 'Spaß' mit Alkohol zu haben, ich hatte wirklich Spaß. Tao als meine ursprüngliche Begleitung unterhielt sich zwar mit einem Mädchen aus meinem Studiengang und diesem Jungen, aber das hielt mich nicht davon ab, zu tanzen. Tanzen machte wirklich Spaß. Ich tanzte viel zu selten. Und es war so viel Action. Alles drehte sich mit und alle waren gut gelaunt, es war unglaublich. Ich kam mir vor wie der König der Welt und gleichzeitig, als sei ich nur von meinen hundert besten Freunden umgeben. Ohne untertreiben zu wollen: Ich war voll. Also wirklich rotzevoll, so wie Tao früher. Eben schon gewesen, aber jetzt war ich so kurz vor Blackout, dass ich vermutete, mehr als nur diesen Abend zu vergessen. Meine Gehirnzellen waren vermutlich alle ähnlich hacke wie ich und würgten sich schon gegenseitig. Ich wusste zwar nicht mehr so wirklich, wieso, aber ich hatte die Zeit meines Lebens gehabt. Wir tanzten meiner Meinung nach wirklich lang und hatten echt Spaß. So kannte ich mich ja selbst kaum. Irgendwann lief ich zur Küchenzeile und trank etwas. Ich war mir nicht sicher, wie viel ich trank. Ich traf nur wieder auf den Schwarzhaarigen. „Junmyeon, ich muss dir was sagen“, raunte er. Seine Hände fuhren über meine Taille. Er zog mich näher an sich heran und küsste mein Ohr. Ich streichelte durch seine Haare. Dann ließ ich mich zu einem Kuss, einem zweiten und auch zu dem ein oder anderen Zungenkuss hinreißen. Ich fasste an seine Hüfte und seufzte leise. „Ich will mit dir schlafen.“ Ich grinste breit. „Im Ernst?“ „Oh ja.“ „Okay“, kicherte ich, „Wann geht’s los?“ „Hey, hyung, kommst du mal?!“, hörte ich jemanden rufen. Ich wusste nicht, wer gemeint war. Ich wusste nur, wie ich später wieder bei Tao war. * „Hey, Junmyeonie? Geht’s dir gut?“ Der Schwarzhaarige saß auf dem Sofa und stand auf. Er kam zu mir und strahlte mich an. „War das schon immer da?“, ich piekte in seine Wange. Er kicherte bloß. Ich wollte ihn noch einmal küssen. Und das tat ich dann auch, nachdem ich mich einfach nach vorn in seine Arme fallen ließ. Er wirkte etwas erschrocken, ein wenig verspannt, doch er ließ sich schnell wieder drauf ein. Irgendwie küsste er anders als vorhin. Süßer. Aber es machte mich jetzt nicht weniger an als zuvor. Im Gegenteil. Wir küssten uns intensiver, immer mehr. Ich fand es so heiß, ihn zu küssen, dass ich leise in seinen Mund keuchte. Seine Hände fuhren meine Taille entlang. Ich spürte sein Grinsen. Irgendwann musste ich lachen und umarmte ihn nur noch fest. Er begann mit mir herumzutanzen. Was seine Freunde sagten war egal. Er sagte auch etwas zu mir. Ich streckte mich an sein Ohr und fragte ihn, wann er es tun wollte, weil ich so langsam ungeduldig wurde. Ich hatte ihm doch gesagt, dass ich auch mit ihm schlafen wollte, wieso gingen wir dann nicht nach Hause? Später lief ich aber noch einmal an die Bar, als er nicht weiter drauf einging. * Ich fragte den Schwarzhaarigen, ob er mir nachlief, als ich an der Bar ankam und was weiter passierte war mir nicht sonderlich präsent. Wir küssten uns, alles war gut, wir tranken noch was. Er erzählte mir irgendwas vom Theater, baggerte mich an oder so… Er wollte nicht mehr tanzen. Schade eigentlich. Es dauerte nicht allzu lang, da war ich wieder bei Tao. Und wen sah ich da? Ja, den Schwarzhaarigen, auf dem Sofa. Richtig komisch. ABER! Sehunie war da! * Mir tat der Kopf höllisch weh, als ich aufwachte. Meine Augen brannten, ich hatte einen furchtbaren Geschmack im Mund und mir war schwindelig und schlecht. Ich wusste weder, wo ich war, noch, wie ich hergekommen war und erst recht wusste ich nichts mehr von letzter Nacht. Nichts, außer, dass ich mit Tao zur Studentenparty gegangen war. Ein katastrophaler Fehler. Tao und Studenten? Grenzwertig, aber machbar. Tao und Party? Vertretbar, mit einer guten Versicherung. Tao plus Studenten plus Party? Ein absolutes No-Go. Ich hatte bloß Bruchstücke im Kopf. Irgendeinen schwarzhaarigen Typen, Sehun war da… naja und Tao. Aber um Gottes Willen, ich war doch nicht mit jemandem heim gegangen, oder?! Das würde ich nicht entschuldigen können. Das wäre furchtbar. Niemand durfte das wissen, Yifan erst recht nicht. Verdammt nochmal, was wenn doch? Ich wollte mir gar nicht ausmalen, wie es ihm gehen würde, wenn er das erfuhr. Es sah doch furchtbar aus, wenn ich so schnell nach dem Ende meiner Beziehung so etwas anstellte. Zumal ich noch lang nicht über Yifan hinweg war. Ich wollte ihm das nicht antun, ich wollte ihm nicht das Gefühl geben, dass es mir nichts bedeutet hatte. Ich wollte auch mir nicht das Gefühl geben. Es hatte mir die Welt bedeutet, mit ihm zusammen zu sein. Mit dem Kopf noch im Kissen und halb unter der Decke, tastete ich mich ab. Ich trug Jogginghosen und ein Shirt und noch Boxershorts, wobei ich echt hoffte, dass es meine eigenen waren. Aber wenigstens trug ich überhaupt Klamotten. Das war doch ein Anfang. Naja und ich fühlte mich auch nicht so, als hätte ich vergangene Nacht Sex gehabt. Also... zumindest nicht in diesem Sinne. Aber oh Gott, was wenn doch?! Das Bett in welchem ich lag, war sehr bequem und roch auch echt angenehm, schön und gut, aber es war weder mein eigenes, noch Taos, Sehuns oder sogar Yifans und das machte mich gerade ein bisschen fertig. Erst nach einer weiteren kleinen Weile stand ich vorsichtig auf. Ich gähnte leise und sah mich um. Das war definitiv kein bekanntes Zimmer. Fuck, ich kam mir vor wie ein Flittchen, ohne genau zu wissen, ob wirklich was gelaufen war. Das würde Yifan mir nicht verzeihen. Sowas war mir noch nie passiert, mir war noch nicht einmal so ein Gedanke jemals gekommen. One Night Stands waren nichts für mich. Ich mochte den Gedanken nicht, mit jemandem zu schlafen, den ich nicht kannte. Das kleine Appartement sah aus, wie eins aus dem teuren Wohnheim, in welchem wir auf der Party waren, ergo musste es ein solches sein. Neben dem recht breiten Bett stand ein Kleiderschrank mit großen Spiegelflächen. Auf dem Nachttisch stand ein Wecker. Es war 12:04 Uhr. Ich sah aus, wie zerkaut und ausgekotzt und war leichenblass mit stark geröteten Augen und dunklen Augenringen. Ich musste geheult haben. Wüsste ich es nicht besser, würde ich mich für einen Zombie halten. Ja, ich fühlte mich auch gerade so, aber naja. Und hey... so hätte mich doch bestimmt auch niemand aufgerissen, oder? Und ich auch niemanden, das war ja furchterregend. Oh Gott, Tao hatte so Recht, ich war potthässlich wenn ich weinte. Hinter einem Raumteiler, der mir auch aus den anderen Wohnheimzimmern bekannt vorkam, fand sich ein etwas weiterer Raum, der mit Sofa, Couchtisch, Fernseher, Küchenzeile und einem kleinen Esstisch, um den herum drei Stühle standen, vollgestopft war. Alles war sehr hell und besonders durch den Sonneneinfall wirkte es sehr fröhlich. Ganz anders als meine aktuelle Situation. Ein Wandkalender, sowie ein paar Bilderrahmen und eine doch recht große Zimmerpflanze neben dem Kühlschrank, machten es tatsächlich sehr wohnlich. Der Typ auf dem Foto kam mir dezent bekannt vor, aber… Nein, den hatte ich noch nie gesehen. Keinen davon. Doch- Moment, einen davon. Von dem hatte ich mal einen Vortrag gehört… er war Doktorand. Die anderen drei… ne. Nun lief ich in den angrenzenden Bereich und direkt ins kleine zugehörige Badezimmer und nutzte die Toilette, wusch mir die Hände und mein Gesicht. Auf einem kleinen Wäschehaufen lagen eine schwarze Jeans und ein weißes Hemd. Oh Fuck. Das waren doch nicht… Minhos Sachen? Ganz plötzlich hatte ich wieder den Schwarzhaarigen vor Augen, in seinem weißen Hemd, der schwarzen Hose, wie er mich angrinste und- oh verdammt. OH VERDAMMT. Minho hatte mir gesagt, dass er mit mir schlafen wollte. Und ich hatte zugestimmt. WIESO?! Etwas panisch wusch ich mir das Gesicht mehrfach. Ich fühlte mich aber wirklich nicht, als hätte ich- naja. Aber- Fuck. Was wenn doch? Ich wusste ja nicht- oh mein Gott. Ich ging nun deutlich nervöser wieder raus und bemerkte einen Zettel, der an der Zimmertür hing. Auf Mandarin stand irgendwas von Bibliothek und gleich zurück und ein Smiley und dann ging die Tür plötzlich auf und - Minho sprach kein Mandarin. Und der schwarzhaarige Typ vor mir war auch nicht Choi Minho. Eins und Eins zusammengezählt… der Typ war natürlich der von den Fotos. Aber… meinem betrunkenen Ich, das sowieso in dem Zustand nicht sonderlich gut mit Gesichtern war, verzieh ich. Größer als ich, schwarze Haare, gleiche Kleidung wie Minho gestern… Hatte ich mit Minho mitgehen wollen und es… naja nicht geschafft? Also nicht, dass ich jetzt glücklicher wäre, wenn ich mit Minho- also immerhin kannte ich Minho, aber nein danke. Ich wünschte, ich wäre zu Hause in meinem Bett aufgewacht. „Guten Morgen, Junmyeon“, grüßte der Schwarzhaarige und lächelte, „Bist du schon ausgeschlafen?“ Seine Haare waren dezent gestylt, er hatte sehr dunkle Augen und auf seiner Wange zeichnete sich ein Grübchen ab. Jetzt so in Natura kam er mir schon bekannter vor. Vielleicht hatte ich ihn mal unbewusst auf dem Campus gesehen. Zumal wir uns ja scheinbar gestern kennengelernt hatten. „Ja… Nein. Kennen wir uns von gestern?“, fragte ich vorsichtig. Er blinzelte. Einen Moment schien er wie aus der Rolle zu fallen, ehe sich sein Lächeln wieder aufbaute und breiter wurde, als zuvor. „Äh ja, wir haben uns schon einmal kennengelernt und du warst ziemlich… sorry, ich komm erst mal rein.“ Er schloss die Tür hinter sich. Ich folgte ihm zur kleinen Küchenzeile, auf der er zwei Tüten ablegte. Eine mit Büchern, eine mit Gemüse und sonstigen Einkäufen. Er packte sie aus und sprach währenddessen weiter. „Du warst sehr betrunken und deine Freunde haben sich Sorgen gemacht. Dann, naja, hast du dich übergeben und plötzlich geweint und dann sind Tao, du und ich hoch in mein Zimmer, damit wir uns umziehen können.“ „Wir?“ „Du hast äh… mir auf die Hose gekotzt.“ Mir lief wahrscheinlich die gesamte Farbe aus dem Gesicht. Nein, Stopp, ich lief eher feuerrot an. Davon wusste ich nichts mehr. „Oh mein Gott, es tut mir furchtbar leid, das passiert mir sonst nicht. Ich trinke eigentlich auch nie viel, aber Tao nötigt einen immer. Ich bezahl dir die Reinigung-“ „Blödsinn, ich wasch das gleich. Hast du Hunger? Ich hab was zum Kochen dabei.“ Wollte ich essen? „Weiß nicht- w-weißt du, wo Tao ist?“ Er zeigte auf das kleine Sofa. „Der schläft noch. Ich hab alles für… Äh… Bibimbap mitgebracht? Magst du das?“ Ich blinzelte. Jeder normaltickende Koreaner liebte Bibimbap. Natürlich mochte ich es. Entsprechend nickte ich. „Uh, ja. Sag mal- uhm…“ „Yixing“, lächelte er. „Sag mal Yixing… Es ist unangenehm zu fragen, aber… hatten wir Sex oder sowas?“ Überrascht sah er mich an. Seine Augen weiteten sich einen Moment, ehe er zu lachen begann. „Nein, nein. Also du hast mich irgendwie drauf angesprochen, aber wir haben nicht miteinander geschlafen. Zumal Tao mich wahrscheinlich in der Luft zerrissen hätte. Aber als du so geweint hast, ist mir sowieso die Lust vergangen.“ Entsetzt stöhnte ich. Ich war also so hässlich, dass man nicht einmal mehr mit mir schlafen wollte. Nicht, dass ich wollte, dass jemand Fremdes mit mir schlief. Aber es ging ums Prinzip! „Na danke“, murrte ich. „Oh nein, sorry! So meinte ich das nicht! Mein Koreanisch ist nur noch nicht gut genug! Ich meinte, dass ich nicht mit jemandem schlafen würde, der so aufgelöst und nicht wirklich bei Sinnen ist. Also- sorry. Uh- du studierst auch, oder?“ Nun sammelte er die Bücher aus der zweiten Tüte. Pädiatrie, Chirurgie, Neurologie, Anatomie, Psychotherapie, Erinnerungssoziologie. „Film- und Theaterwissenschaft, Schauspiel und Gesang. Ich hab auch ein paar Kurse in Psychologie und Soziologie belegt. Ich will ins Musical, wenn ich fertig bin. Du bist Mediziner? Geht ihr nicht normalerweise auf eure eigenen Partys?“ „Nicht, wenn meine Freunde da nicht auch sind“, kicherte er, „Ich bin im elften Semester, bald fertig und war fünf Wochen im Praktikum auf einer Kinderstation. Parallel bin ich ansonsten in der Neurologie. Aber weil ich Psychologie und Soziologie spannend und gut zur Ergänzung finde, wollte ich das auch lernen. Ich hab in Changsha angefangen und hab ein volles Stipendium bekommen.“ Oh wow. Der Typ musste fachlich echt Bombe sein. Oder sonst was können oder engagiert sein. Er würde bestimmt ein guter Arzt werden. Den optischen Bonus hatte er auch. „Hast du schon mal irgendwo mitgespielt?“ Er nahm zwei Schneidbretter hervor und drückte mir ein Messer in die Hand. Dann packte er die Bücher weg, während ich erzählte. „Zwei kleine Musicals, drei Theaterstücke und ein Web-Drama für einen Uni-Workshop.“ Der Schwarzhaarige strahlte mich an. „Du bist ein Star?!“ „Nein, nein.“ „Darf ich davon was ansehen oder ist es dir unangenehm?“ „Das Drama ist online… vom Rest hab ich keine Videos.“ Ein Niesen erklang. Wir sahen zum Sofa. Taos verstrubbelter Kopf tauchte auf. Er blinzelte müde und sah sich um. Als er mich sah, war er plötzlich hellwach und sprang auf. „Myeonie hyung, lebst du noch?!“ Er kam auf mich zu und fiel mir regelrecht um den Hals. Ich hielt das Messer so weit weg, wie möglich und versuchte, es vor lauter Attraktion niemandem um die Ohren zu hauen. Tao setzte sich seitlich auf meinen Schoß und streichelte meine Haare, sah mich besorgt an. „Geht’s dir gut? Hat Yixing hyung dich geärgert?“, er switchte auf Mandarin, „Was hast du angestellt?“ „Gar nichts, wir kochen doch nur!“, verteidigte sich Yixing ebenfalls auf Mandarin. „Ist Mandarin deine Muttersprache?“, klinkte ich mich ein. „Xiang. Aber das spreche ich nur zu Hause. Schön, dass du Mandarin kannst.“ Er freute sich ehrlich. Sah ganz verträumt und glücklich aus. „Wie lang sprichst du‘s schon?“ Ich überlegte kurz. „Lang… Weiß nicht genau. Bestimmt über zwölf Jahre.“ Damals, als Sehun mein Nachbar gewesen war und ich ja so oft bei ihm und seiner Adoptivfamilie gewesen war, hatte ich viel gelernt. Durch Yifan ja auch noch und jetzt lebte ja Tao bei uns. Ich war schon immer irgendwie von Mandarin umgeben gewesen. Ich mochte es auch und verstand und sprach es wirklich gut. Eine Weile schnitten wir nur Gemüse, bis Yixing es blanchierte und Reis aufsetzte. Also Tao schnitt, ich umarmte den Jüngeren nur und begab mich langsam wieder auf die Schiene des Selbstmitleides. „Tao? Wieso hab ich geheult?“ Er seufzte leise. „Weil er da war. Du hast mit Yixing… getanzt und dich übergeben und dann hast du geweint und wir sind hier hoch.“ „Tut mir leid. Ich glaub, ich fang mich gar nicht mehr. Ihr habt sicher keinen Bock mehr auf mein Geheule-“ „Hyung, Hunie und ich sind deine Familie. Wir passen auf dich auf, so wie du auf uns, egal wie ätzend wir drei manchmal sind.“ Ich schniefte. Dann wischte ich über meine Augen und lehnte mich wieder an Tao. „Wir sind bei dir, keine Panik“, beruhigte mich der Blonde, „Irgendwann ist es gut. Dann ist dir egal, ob du ihn siehst oder nicht. Er ist ein Feigling.“ Ich nickte knapp, blieb aber still. „Ist es unhöflich, wenn ich mich einmische?“, fragte Yixing nun. Er sah mir ernster in die Augen, als die vergangene Stunde. Auf meine Zustimmung hin begann er zu sprechen. „Tao hat mir gestern erzählt, was passiert ist. Es war nicht in Ordnung, was die zwei angestellt haben. Das ist nicht zu entschuldigen und das hast du absolut nicht verdient. Sowas tut man niemandem an, den man liebt. Wer dir sowas antut, ist es meiner Meinung nach nicht wert, dass ihm so hinterher getrauert wird, aber das ist nicht meine Entscheidung. Sei dir bitte einfach bewusst, dass du mehr wert bist, als das.“ „Danke“, murmelte ich. * „Hattest du eigentlich mitbekommen, dass Sehunie kam?" „Sehunie war da?" „Ja! Oh hey, es gibt sogar Videos von deinem Absturz, willst du sie sehen? Du hast echt Gas gegeben, hyung! Richtig sexy!“ „Großer Gott, Tao, nein!“ Er lehnte sich über unser Sofa zu Hause, kletterte über die Lehne und legte sich halb auf mich drauf. „Ich will das nicht sehen, ich- OH MEIN GOTT! ICH HAB YIXING GEKÜSST?!“ „Das ist Minho- da.“ „Ah. Oh Gott. Oh Fuck“, stöhnte ich leise, „Fuck, nicht ernsthaft? Samstag proben wir, ich kann da nicht hin!“ Der Blonde rollte mit den Augen. „Jaja. Oha wow, dann kannst du ja gar nicht mehr in die Uni, WEIL YIXING HAST DU AUCH GEKÜSST!“ „ICH HAB- WAS?!“ * Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)