Lasst die Toten ruhn von Hotepneith (Der 31. Fall Lord Sesshoumarus) ================================================================================ Kapitel 6: Der Bericht des Dieners ---------------------------------- Seiichi hätte liebend gern einen Blick zu der doch offenbar ebenfalls menschlichen Dienerin oder gar Heilerin geworfen, die da neben der Tür kniete, wagte es aber nicht. Das vor ihm war ein Monster, das sicher nur dem Kaiser gehorchte – und ein Leutnant der kaiserlichen Wachen war auch im Raum. Es ging da nur zu leicht um seinen Kopf. Er war noch nie in solch eine Lage gekommen und spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. „Ja, natürlich, Euer Lordschaft,“ beteuerte er, um Zeit zu gewinnen. „Ich stand auf und frühstückte, wie alle anderen auch, eilig, natürlich, um die Herren nicht warten zu lassen. Ich kam zu Fürst Isamu, klopfte, aber niemand antwortete. So rief ich nochmals, als ein Diener des Daimyo vorbei kam und mir mitteilte, dass er zuvor bereits vergeblich versucht hatte, das Wasser im Bad auszutauschen. Auch da habe der Herr nicht reagiert. Er ging dann weiter und ich versuchte die Tür zu öffnen, aber sie war verriegelt. Was sollte ich tun? Ich ging also zu Lord Takeru und machte ihm Mitteilung. Er kam auch sofort mit und rief ebenfalls nach seinem Bruder. Es kam keine Antwort, daher ging er in sein Zimmer zurück, und holte einen Brieföffner. Damit versuchte er den Riegel zu entfernen. Vergeblich. Dann schlug er mir vor, ich hätte das nie gewagt, dass wir die Tür gewaltsam öffnen sollten. Wir taten das und entdeckten natürlich sofort, als wir uns aufgerichtet hatten, nun ja, auch Lord Takeru war, wie meine Wenigkeit unter dem Nachgeben der Tür gestolpert, dass der arme Herr da lag.“ „Warte,“ befahl Seine Eisigkeit. „Ihr habt die Tür aufgebrochen, sie fiel nach innen?“ Es handelte sich immerhin um eine Schiebetür und er nahm nicht an, dass die Qualität der Schienen viel schlechter war als in diesem Gästezimmer. Damit bewies er allerdings nur, dass er noch nie in den entfernteren Teilen eines Palastes gewesen war. Das Studierzimmer des Kaisers war deutlich besser ausgestattet als die Zimmer irgendwelcher Gefolgsleute. Aber er hatte keinen Blick für die kunstvoll mit Landschaften bemalten Wände hier im Ogakumon-jo, nur für den Teich und den Garten, wenn man aus dem Fenster blickte. „Ja, ja, genau, Euer Lordschaft.“ Seiichi blickte verängstigt auf, sah aber hastig wieder auf die Matten vor sich. „Wie genau lag Fürst Isamu?“ „Er lag auf dem Bauch, das Gesicht beiseite, man hätte fast denken können, er schliefe, so friedlich sah er aus.“ Schön, er hatte nach dem Wie gefragt. So sehr er es eigentlich schätzte, wenn Leute genau das taten, was er forderte, manchmal war es einfach enervierend. Denken war bei Menschen wohl wirklich Glückssache. „Wo?“ „Äh, in der Mitte des Zimmers, ich würde sagen, auf halbem Weg zwischen dem Bett und dem Bad.“ „Was tatest du dann?“ „Ich lief natürlich eilig zu ihm, da ich annahm, er sei gestürzt, also, im ersten Moment. Als ich ihn ansprach und dann, ja, unhöflich, etwas hochzog, entdeckte ich das Blut am Rücken. Lord Takeru hatte das wohl gleich gesehen, nun ja, die gesamte Familie sind Krieger, denn er begann unverzüglich den Mörder zu suchen. Ich musste ja feststellen, dass Fürst Isamu bereits kalt war.“ „Wann ist er gestorben?“ Seiichi wollte fast schon in Panik verfallen, ehe er zu seiner Erleichterung erkannte, dass die Frage nicht ihm gegolten hatte. Sakura überlegte hastig, ehe sie meinte: „Ich bitte um Verzeihung, Lord Sesshoumaru, darf ich noch eine Frage an Seiichi richten?“ „Ja.“ Sie dachte wenigstens mit, dachte der Hundeprinz mit einem gewissen, ihm unerklärlichen, Gefühl der Erleichterung. Allein unter Menschen war nicht gerade seine Lieblingsrolle. Sakura verneigte sich lieber nochmals. In Anbetracht der deutlich überreizten Laune des Erbprinzen sollte man kein Risiko eingehen. „Danke, Euer Lordschaft. - Seiichi, als du Fürst Isamu hochgezogen hast, war er kalt. War er steif oder eher locker?“ Yasao als Heiler hatte zwar vom Abklingen der Totenstare gesprochen, aber wer wusste, was in der Zwischenzeit alles geschehen war. Der Diener brauchte nicht nachzudenken. „Er war ziemlich steif, ja, ehrenwerte Heilerin. Es war ... unangenehm.“ Und es war natürlich extrem unhöflich einen Fürsten einfach anzufassen. Gewöhnlich zog das mindestens Schläge nach sich. „Danke.“ Sakura atmete tief durch. Das war schrecklich wichtig, das war ihr klar. Ihr sollte besser kein Fehler unterlaufen. Todeszeitpunkte waren immer nur eine reine Schätzung. Sie musste jedoch antworten. Also lieber großzügig entscheiden. „Wenn bei den momentan herrschenden Bedingungen, warm und feucht, der Tote bereits abgekühlt ist, aber noch Totenstarre vorliegt, Lord Sesshoumaru, erfolgte der Tod mindestens vor acht Stunden, da diese allerdings bereits abklang, als der Heiler den Toten untersuchte, maximal vor zweiunddreißig.“ Das war immer noch eine große Zeitspanne, aber zumindest für die zweiunddreißig Stunden sprach gar nichts, immerhin hatte dieser Seiichi ja noch am Abend mit ihm geredet. Ja. Und nur der. Acht Stunden würden sich freilich mit der Aussage dieses Dieners decken. Ach, das war wahrlich ein schwerer Fall und der Dämonenprinz begriff, warum ihn Sato so erbeten hatte. Moment. „Diese Totenflecken?“ Er hatte sich gemerkt, dass sich auch diese mit dem Todeszeitpunkt veränderten. Sie sollte weder an seinem Gedächnis noch an seiner Auffassungsgabe zweifeln. „Wenn die Einschätzung des ehrenwerten, kaiserlichen, Heilers zutrifft, dass Fürst Isamu verblutet ist, wird es nur wenige geben. Und die befanden sich auf dem Bauch, also der Unterseite. Das würde anzeigen, dass der Tote nicht mehr bewegt wurde, nachdem er verstarb.“ Bloß keine voreiligen Schlüsse oder Folgerungen, beschwor sie sich. Seine Lordschaft war mehr als angespannt. „Auch das deckt sich mit der Zeiteinschätzung.“ „Du hieltest also den verstorbenen Fürsten im Arm und Lord Takeru rannte ins Bad?“ wandte sich Sesshoumaru wieder an den Diener, der prompt zusammenzuckte, aber eilig erwiderte: „Ja, Euer Lordschaft. Dann kam er zu mir. Ich, ich war ziemlich verwirrt.“ Das konnte sich Seine Eisigkeit lebhaft vorstellen. Menschen waren an und für sich schon die mindere Art, aber in ungewohnten Situationen ausgesprochen … nun, ein Dämon aus gutem Hause sollte es anders formulieren: noch unfähiger als sonst. „Weiter.“ „Er… Lord Takeru sagte, sein Bruder sei ermordet worden, und ging zur Tür, rief nach den Wachen, die auch sofort kamen. Es stehen ja immer am Tor mindestens zwei. Einer blieb bei uns, einer rannte los, um seine Vorgesetzten und Kollegen zu holen.“ „Keinen Heiler.“ „Äh, nein, Euer Lordschaft, der Fürst war ja schon kalt.“ Hm. „Wenn der Fürst Schmerzen hatte, wollte er so gut es ging allein sein.“ „Ja, Euer Lordschaft. Er hatte ja auch in seinem eigenen Schlafzimmer, also im heimatlichen Schloss, einen Riegel an seine Tür anbringen lassen. Und er hat auch zuvor jeden bestraft, der hinein ging.“ Letzteres machte er auch, dachte Sesshoumaru prompt. Aber mittlerweile war keiner mehr so lebensmüde ihn unaufgefordert in seinem Zimmer heimzusuchen. „Die Wachen kamen. Du hast den Fürsten kaum die ganze Zeit im Arm behalten.“ „Nein, natürlich nicht, ich meine, nein, Euer Lordschaft.“ „Fiel dir irgendetwas Ungewöhnliches im Zimmer auf?“ „Nein, Euer Lordschaft. Auch der Vorgesetzte der Wachen und hier der Leutnant fragten das. Aber es sah wirklich alles aus wie zuvor,“ beteuerte Seiichi, der allzugenau wusste, dass man leicht gestraft wurde, wenn einem der hohen Herren auch nur ein Blick missfiel. „Keine Schnur aus Leder?“ „Äh, nein ….“ Seiichi hätte fast aufgesehen. Was sollte das denn? Isamu Sato dachte dagegen zufrieden, dass sich die Gedanken des Hundeprinzen wohl ähnlich den seinen bewegten. Auch er hatte überlegt, ob es sich nicht um einen Selbstmord, getarnt als Mord, handeln könnte, aufgrund der Schmerzen und um gegenüber der Außenwelt nicht zuzugeben, dass man so schwach war. Der Tote schien ja überaus stolz auf seinen Ruf als wüster Krieger gewesen zu sein. Aber er gestattete sich mit einer tiefen Verneigung den höflichen Einwurf: „Falls es Euer Lordschaft beliebt, kann ich Euch die genauen Protokolle der Durchsuchung geben. Der Raum wurde überaus gründlich durchsucht, ebenso wie Lord Takeru und hier Seiichi als Personen.“ Das wurde immer besser. „Bring ihn weg.“ Als er sich allein mit Sakura fand, machte er einen Schritt auf sie zu. „Wieso hatte der Fürst noch immer Schmerzen, wenn doch die Rippen geheilt waren?“ Ach du je. Sie starrte zu Boden. „Ich kann es nur vermuten, Lord Sesshoumaru.“ Sein Schweigen war als Aufforderung zu deuten. „Soweit ich mitbekam, stürzte Fürst Watabe bei einem Feldzug vom Pferd, so unglücklich, dass er sich dabei einige Rippen brach. Vermutlich durch den Aufprall auf das Metall der Rüstung. Da er wohl im Rücken besonders schmerzempfindlich war, nehme ich an, dass er sich dabei auch etwas in der Wirbelsäule zumindest angebrochen hatte, oder auch, oder zusätzlich, sich Nerven eingeklemmt hatte. Das würde auch erklären, warum eine so feste Bandage ihm Linderung verschaffte.“ „Ist solch eine Bandage nicht ebenfalls lästig?“ Sie wusste, dass ein Dämon seines Ranges kaum je Schmerzen verspürte, wenn überhaupt. „Ein Mensch, der große Schmerzen hat, nimmt eher Bewegunsbehinderung auf sich.“ Nein, sie würde ihn nicht darauf hinweisen, dass er auch alles unternommen hatte, um aus seiner Lage zu entkommen, als er die vermeintliche Tollwut hatte. Dann könnte sie vermutlich von Glück sagen, würde sie nur an der Wand landen und nicht in Stücke gerissen werden. Es war besser ihn nicht daran zu erinnern, dass sie Zeugin seiner demütigenden Lage gewesen war, die einzige, menschliche, Zeugin. Sesshoumaru wandte sich ab und trat an das Fenster. Verworrener Fall, dachte er. Aber es musste eine logische Erklärung geben. Denke an das Wie, beschwor er sich. Hast du das Wie, hast du das Wer. Und, genau, der Leutnant kann auch einmal damit herausrücken, was der sich eigentlich gedacht hat. Danach würde er selbst zumindest wissen, wo der sich geirrt hatte. Haben musste.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)