Look down von ChiaraAyumi ================================================================================ Kapitel 1: Look down -------------------- Seine Hand glitt über eine der weißen Marmorsäulen, die den Eingang zum Ballsaal flankierten, und er atmete noch einmal tief ein bevor er sich in den Höllenschlund hinein begab. Aiden wusste, dass er seinen Vater wieder einmal enttäuscht hatte. Das er sich schon wieder nicht als der perfekte Erbe des Hauses Foley präsentiert hatte. Doch ihm war es egal. Es interessierte ihn nicht. Er wollte gar nicht perfekt sein, denn das konnte ihm eh nie gelingen. Also konnte er genauso gut aufhören es zu versuchen. Aiden glitt in den Saal hinein und mischte sich unter die Gesellschaft, die nur aus den engsten Bekannten und Freunden der Familie bestand und somit keine dreihundert Leute stark war. Er verschwand keinen Augenblick damit die exquisite Dekoration des Ballsaals zu bewundern. Wen interessierte schon kristallene Kronleuchter, teure Gemälde berühmter, längst gestorbener Maler, goldene Kerzenhalter oder einzigartige Blumen, die nur für diese eine Nacht blühten. Aiden schlängelte sich zwischen den Grüppchen durch und durchquerte einmal den vollständigen Saal um auf der anderen Seite neben dem Buffet an der Seite von Laurin wieder aufzutauchen. Der blonde Mann strahlte ihn an und Aiden fühlte sich mit einem Mal völlig befreit und losgelöst von all seinen irdischen Sorgen. Niemand konnte ihm erzählen, dass Laurin mit seinen himmlischen goldenen Locken und blauen Augen kein Engel war, denn Gott hinab gesandt hatte, um ihm das Leben zu versüßen und alles ertragbar zu machen. „Hey“, begrüßte Laurin ihn mit einem verschmitzten Lächeln. „Versuchst du deinem Vater zu entkommen oder versteckst du dich vor deiner Angebeteten?“ Aiden warf bei der Erwähnung seiner Verlobten einen schnellen Blick hinter sich, doch konnte er Erin nirgendwo entdecken, was ihn erleichterte, denn sie war ihm unerträglich mit all ihrem Gehabe und Getue. Sie konnte von nichts anderem als ihrem Reichtum erzählen. Jedes Gespräch fing bei ihr damit an, dass sie auf ihr neues Kleid, ihre neuen Ohrringe, ihre neuen Schuhe, oder anderes verwies und dann endlos lang darüber sprach, wie teuer es gewesen war, wie besonders sie waren und wer es designt hatte („Diese Ohrringe haben mich eine halbe Million gekostet, aber diese Rubine sind etwas ganz Besonderes, denn der große Meister Antonio Fuegero hat sie selbst gestaltet und damit sind sie einzigartig auf dieser Welt, also was sind da schon eine halbe Million?!“). Aiden musste jedes Mal innerlich grinsen, wenn er ihrem Geschwafel zuhören musste, denn ihre Familie war weniger wohlhabender als seine Familie und sie spielte sich nur so auf, weil sie darunter litt, dass sie nicht die Reichste im ganzen Ballsaal war. Er war sich sicher, dass sie der Heirat mit ihm nur zugestimmt hatte, weil sich ihr Vermögen dadurch mehren würde und nicht, weil sie sich auch nur einen Deut um ihn scherte. Er hatte der Heirat nur zugestimmt, weil es ihm völlig egal war, wohin ihn die Wellen trieben. Er sagte immer zu allem Ja und Amen, denn was brachte es schon zu rebellieren, wenn man eh nie den Erwartungen entsprach. Dann war die einzige Möglichkeit der Rebellion die Erwartungen zu erfüllen und daran lag ihm herzlich wenig. „Im Augenblick verstecke ich mich noch vor niemanden“, entgegnete Aiden. „Ich war nur auf der Suche nach dir, damit der Abend etwas weniger eintönig wird. Und natürlich finde ich dich neben dem Essen, du kleiner Vielfraß“. Liebevoll strich Aiden eine Kuchenkrümel aus dem Grübchen von Laurin bevor er sich vor beugte um einen kleinen Kuss zu stehlen, doch Laurin schob ihn beiseite. „Nicht hier. Wir müssen den Ruf unserer Familien wahren“. „Immer so pflichtbewusst“, witzelte Aiden und schnappte sich stattdessen den Rest des Küchleins von Laurins Teller. „Du bist wirklich durch und durch der Sohn des Bürgermeisters. Ein geborener Politiker.“ „Sagt der Sohn des Generals der Militärpolizei, der jüngst selbst zum Leutnant befördert wurde ohne jemals auch nur einen Finger zu rühren“, stichelte Laurin zurück. Aiden verdrehte nur die Augen. Er wollte nicht über seine Beförderung reden, also griff er nach zwei Weingläsern, die ein Diener gerade auf einem Tablett balancierend durch den Raum beförderte. Der Diener verschwand sofort, um sich neue Weingläsern zu besorgen, denn bei einer solchen Gesellschaft musste der Alkohol immer reichlich fließen, damit neue Geschäfte zustande kamen. Ein Stückchen entfernt sah Aiden seinen Vater, der an seinem Arm seine Mutter als Dekoration hatte, mit General Shona Flores reden. Sie war jetzt seine direkte Vorgesetzte und er konnte sich daher denken, worüber sie gerade mit seinem Vater sprach. Er wusste er sollte nicht näher herangehen, denn er wollte sicherlich nicht hören, worüber sie sprachen, aber er konnte einfach nicht widerstehen. Er musste es wissen. Aiden nutzte die Schar der Menschen und schlich sich – seiner Meinung nach – unbemerkt an seinen Vater und General Flores heran. Laurin hatte ihm nur kopfschüttelnd nachgesehen und war von dannen gezogen, um ein paar Hände zu schütteln, um Wahlkampf für seinen Vater zu betreiben. Das lag ihm in Blut und er war nun mal überaus charmant und einvernehmend. Aiden dagegen versuchte sich an diesem Charme, aber er kam sich immer lächerlich dabei vor, wenn er Leute bezirzte, denn er hatte das Gefühl in einem übergroßen Kostüm zu stecken und jeden Augenblick würde seinem Gegenüber auffallen, dass er nur so tat und nicht wirklich so war. Ähnlich war es auch bei seiner Ausbildung für die Militärpolizei gewesen. Jeder andere Rekrut hatte gewusst, wessen Sohn er war und die Ausbilder hatte immer ein Auge zugedrückt. Nie hatte er sich ernst genommen gefühlt, aber er war sich nicht sicher, ob er das überhaupt wollte, denn dann müsste er wirklich arbeiten. Aber war es wirklich fair, dass ihm alles so zu fiel? Endlich war er in einer Gruppe direkt neben seinem Vater angelangt, die sich gerade über das Golfspielen unterhielten. Aiden grüßte jeden kurz aus der Runde und warf eine kurze Bemerkung zum Thema ein bevor er die Ohren spitzte, um dem Gespräch eine Gruppe weiter zuzuhören. „... ihm fehlt die Ambition. Er lässt sich durch das Leben treiben“, führte gerade sein Vater aus. Valentin Foley war ein breitschultriger Mann, dessen Miene immer unbewegt blieb, egal von welchem Thema er gerade sprach. Auch seine Stimme veränderte sich kaum merklich. Zwischen wütend und gelangweilt lag vielleicht ein Hauch und selbst Menschen, die ihn sein Leben lang kannte, konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, welche Laune er gerade hatte. Aiden versuchte zu erraten, ob sein Vater wütend auf ihn war oder ob er nur sachlich feststellte, dass sein Sohn keinerlei Ambition hatte. Weder was seine Karriere bei der Militärpolizei anging noch in seinem Leben allgemein. „Ich stimme Ihnen da völlig zu. Es muss sich etwas ändern, so kann ich ihn nicht seine eigene Mannschaft anvertrauen. Ich würde Ihren Sohn lieber an den Schreibtisch verbannen bevor ich ihm eine Mission geben würde.“ Shona Flores sah wie immer streng drein, doch Aiden hatte das Gefühl, dass sie sich nur so gab, weil sie es als Frau unter den Männern soviel schwerer hatte. Deswegen empfand er Sympathie für sie. Er wollte sich einmischen und sagen, dass ihm nichts lieber war als ein Schreibtischjob. Er wollte nicht raus aus der Zentrale. Er wollte nicht durch die Straßen patrouillieren und die Mafiosen jagen. Das konnte andere machen. Er wollte einfach in seinem bequemen Leben bleiben und immer den Erwartungen hinterherhinken. Er würde heiraten, einen Erben produzieren und sich weiterhin heimlich mit Laurin treffen. Er würde nur wegen seines Namens alleine die Karriereleiter hochklettern und irgendwann genau wie sein Vater General sein. Das war sein Leben. „Einen Schreibtischjob?! Mein Sohn wird nicht an einem Schreibtisch sein Leben verbringen. Die Leuten müssen lernen ihn zu respektieren. Nein, wir müssen uns etwas überlegen, um Ambition in diesen Jungen zu stopfen.“ Aiden verdrehte die Augen und fing sich einen bösen Blick seines Gegenübers ein, der dachte, dass Aiden die Augen über seinen schlechten Golfwitz verdreht hatte. Schnell entschuldigte er sich mit einigen leeren Floskeln bevor die anderen ihr Gespräch über Golf wieder aufnahmen und er seine Aufmerksamkeit wieder seinem Vater zuwenden kommen. „ … aber das ist doch viel zu gefährlich“, warf seine Mutter gerade unaufgefordert ein. Ihr schien im selben Augenblick aufzufallen, dass sie laut gesprochen hatte, denn sie schlug ihren Fächer auf und verbarg ihr Gesicht dahinter. Sein Vater schenkte ihr keine weitere Aufmerksamkeit, denn sie war für ihn nur ein lästiges Requisit, das er brauchte, aber dem er keine Zuneigung schenkte. General Flores dagegen kniff kurz die Augen zusammen, da sie ein solches Verhalten gegenüber Frauen nicht tolerierte, widersprach dem aber nicht, denn sie kannte nur zu gut ihren eigenen Platz in der Gesellschaft. „Ich werde alles Nötige dafür in die Wege leiten, General Foley“, versprach sie seinem Vater. Aiden ärgerte sich über diesen dummen Golfwitz, der ihn den wichtigsten Teil der Konversation gekostet hatte. Was plante sein Vater mit ihm zu machen, um Ambition in ihn herein zu prügeln? Und warum fand seine Mutter es zu gefährlich? Er verabschiedete sich schnell von der Golfgruppe, griff sich schnell ein weiteres Weinglas und begab sich auf die Suche nach Laurin, denn er erst bei seiner dritten Runde durch den Ballsaal endlich erspähte. Natürlich war er umringt von einer Schar an Bewunderinnen, die an seinen Lippen hingen, während er sich vermutlich über irgendeine politische Situation äußerte, die schnarchlangweilig war und niemand außer Politiker interessierte. „... die Kluft zwischen Arm und Reich wächst immer mehr an. Natürlich versuchen die ärmeren Viertel sich an einem Aufstand. Sie sehen unsere strahlende weiße Marmorhäuser, die sich unter Glaskuppeln befinden und die eine vernünftige Sauerstoffzufuhr genießen, während sie selbst im Smog leben müssen. Wir müssen ihnen etwas bieten, das sie von ihren Sorgen ablenkt. Also müssen Arbeitsplätze geschaffen werden. Dann sinkt auch die Rate der Verbrechen und die Macht der Mafiosi nimmt ab.“ Aiden schnaubte nur und griff zu seinem dritten Weinglas, das er in einem Zug leerte. Nie wollte er hinab in die ärmeren Viertel, die in Dreck und Staub lagen. Ihm reichte der Blick von der Terrasse aus auf die Stadt und er wandte sich jedes Mal angewidert ab. Sollten die Armen doch dort unten verrotten. Er wartete bis Laurin seine Ausführungen beendete hatte bevor er ihn anstupste und ihn auf sich aufmerksam machte. Laurin sah seinen besorgten Blick und verabschiedete sich von seinen Bewunderinnen, die ihm noch lange schmachtende Blicke hinterherwarfen. Wenn die bloß wüssten, dachte Aiden sich. Er bugsierte Laurin aus dem Ballsaal hinaus und die Treppe hoch in eins der leeren Gästezimmer. Laurin missverstand ihn und kaum hatte er die Tür geschlossen, griff Laurin nach seinem Hemd, um es zu öffnen und erstickte jedweden Protest in einem Zungenkuss. Der Alkohol vernebelte Aidens Sinne und plötzlich kam ihm seine Sorgen nach dem belauschten Gespräch nichtig vor. Er ließ es sich aufs Bett ziehen, erwiderte mit Leidenschaft die Küsse, verteilte selbst Küsse über Laurins ganzen gutaussehenden Körper bevor er seine Erregung nicht mehr zurückhalten konnte und den blonden Engel auf den Bauch drehte und hart in ihn hineinstieß. Immer und immer wieder stieß er zu und irgendwie – er konnte das Gefühl nicht besser beschreiben – empfand er Genugtuung. Es gab nichts Besseres als Sex mit Laurin, weil er oben auf war und er einmal in seinem Leben etwas tat, was er von sich aus wollte. Einmal hatte er alle Fäden in der Hand und er genoss dieses Gefühl mehr als alles andere. Am nächsten Morgen erwachte Aiden in dem Gästezimmer. Laurin war längst wieder verschwunden. Er blieb nie. Dafür war ihm sein Ruf zu wichtig und er ertrug das Gerede der Leute nicht. Es war ja auch nicht so als ob sie eine Beziehung führen würden. Beide genossen den Vorteil aus ihrer Verbindung, in dem sie ausleben konnten, was sie wirklich begehrten, um wieder in Leben zurückzukehren, in denen ihnen eh von Geburt an alles vordiktiert worden war. Aiden sammelte seine Klamotten wieder ein und überlegte, wie spät es wohl war. Ein Blick aus dem Fenster ließ ihn vermuten, dass der Mittag schon vorbei war. Die Diener hatten sicher im Speisesaal ein Brunch aufgebaut, der noch bis zum späten Nachmittag allen Gästen offen stand. Also beschloss Aiden nach einer kurzen Dusche zum Speisesaal aufzubrechen. Erst unter der heißen Dusche fiel ihm siedend heiß das Gespräch von gestern Nacht wieder ein. Was hatte sein Vater nur mit ihm vor? Wagte er sich überhaupt in die Nähe von ihm, wenn er wusste, dass etwas Gefährliches auf ihn warten könnte? Er biss sich auf die Lippe. Er war zu neugierig. Er musste es wissen. In ihm erwachte ein ungewohnte Unruhe. Schnell trocknete er sich ab und begab sich zügig in den Speisesaal. Sein Vater war gewiss nicht mehr hier. Selbst nach der längsten Party war er beim Sonnenaufgang bereits hellwach und geschäftig unterwegs. Anders verhielt es sich mit seiner Mutter, die lange schlief und wahrscheinlich eh wie er gerade aufgewacht war. Sie wusste, worüber sein Vater gesprochen hatte. Und sie konnte nichts für sich behalten. Er fand sie am Kopfende des langen Tisches. Sie wedelte sich Luft mit ihrem Fächer zu und aß zwischendrin kleine Bissen von ihrem Küchlein. Aiden warf sich wahllos ein paar Sachen auf den Teller und setzte sich neben sie. Er überlegte gerade wie er es anfangen sollte, damit sie nicht wusste, dass er sie gestern Abend belauscht hatte, als seine Mutter den Fächer beiseite legte und ihn ernst ansah. „Da bist du ja. Dein Vater will dich sofort in seinem Arbeitszimmer sehen.“ „Warum?“, wollte Aiden wissen, doch sie griff wieder nach ihrem Fächer. „Sofort!“ und dann verschwand das hübsche Gesicht seiner Mutter wieder hinter ihrem Fächer. Aiden ließ den Teller stehen, er konnte jetzt nicht an Essen denken, wenn er wusste, dass sein Vater wartete und er jetzt so oder so erfahren würde, was der Plan seines Vaters war. Er überlegte hin und her, was sein Vater glaubte, was ihn ambitionierter machen würde, doch ihm fiel einfach nichts ein. Er war noch nie ehrgeizig gewesen. Er hatte nie rebelliert und sich immer allem gefügt. Er hatte an nichts Interesse. Wie sollte man das ändern können? Und warum war dieser Weg gefährlich? Endlich erreichte Aiden die Tür des Arbeitszimmers seines Vater und er fühlte die Nervosität in sich aufsteigen. Dieses Gefühl hatte er jedes Mal, wenn er vor der riesigen getäfelten Tür stand und ihn nur noch diese Tür von seinem Vater trennte. Wenn er wenigstens wissen würde, was sein Vater dachte und welche Laune er gerade hatte. Das ließ ihn noch unsicherer werden. Wenn er durch diese Tür ging, wartete dahinter irgendeine gefährliche Veränderung auf ihn, auf die er beim besten Willen verzichten konnte. Kurz wünschte er sich ahnungslos zu sein, doch das half ihm jetzt auch nicht weiter und bevor er für immer diese Tür anstarrte, klopfte er und trat ein. Die bullige Gestalt seines Vaters ragte hinter einem Stapel an Papieren hervor, die er gerade bearbeitete. Bitte hier war der Beweis, dass auch sein Vater nur einen Schreibtischjob hatte. Als ob er sich jemals aus dem Haus bequemte, um für Recht und Ordnung zu sorgen. Ihm war doch völlig egal, wie es auf den Straßen zuging und welchen Einfluss die Mafiosi hatten solange es sein Leben nicht beeinflusste. „Vater? Sie wollten mich sehen?“, fragte er vorsichtig, während er direkt neben der Tür stehen blieb für den Fall, dass eine schnelle Flucht vonnöten war. „Du wirst auf eine Undercovermission in die Slums gehen, um den Aufenthaltsort der Mafiosi herauszufinden.“ Kein langes Herumreden. Keine Erklärungen. Einfach nur ein Befehl. „Warum? Und für wie lange?“, wollte Aiden begierig wissen, während in seinem Kopf langsam alles Sinn ergeben zu schien. Er sollte in die ärmeren Viertel. Alleine. Ohne Unterstützung. Er wurde strafversetzt in die Hölle auf Erden. Weg vom reinen Sauerstoff. Hinein in den Dreck der Slums. Das konnte sein Vater nicht ernst meinen. Vielleicht machte er gerade nur einen Scherz. Wer konnte schließlich bei ihm einen Witz von Ernst unterscheiden, wenn seine Miene unbewegt blieb. „Das ist ein Befehl. Über Einzelheiten wird dich General Flores informieren. Du triffst dich mit ihr um null vierhundert Uhr morgen in der Zentrale. Das wäre alles. Du kannst gehen.“ Damit war Aiden wieder entlassen und er verließ den Raum kommentarlos. Es brachte nichts mit ihm zu diskutieren, da er keine Widerworte duldete. Aiden wusste gar nicht wie man widersprach, denn er fügte sich schließlich immer allem. Doch zum ersten Mal regte sich Widerstand in ihm. Er wollte nicht in die Slums. Er hatte nichts getan um das zu verdienen. Er folgte jedem Befehl widerspruchslos. Er tat alles, was von ihm verlangt wurde und dennoch wurde er jetzt in die Slums geschickt. Doch was Aiden am wenigstens verstand war, warum sein Vater glaubte, dass ihn das ehrgeiziger machen würde. Aiden hatte die Nacht wachgelegen und sich hin und her gewälzt, um dann doch pünktlich aufzustehen, seine Uniform anzuziehen und sich auf dem Weg in die Zentrale zu machen. Er hatte Angst vor dem was kam, aber er wollte nicht wegrennen. Er fügte sich einfach dem Befehl, das war immer noch am einfachsten, und stand so um null vierhundert Uhr vor dem Büro von General Flores. Sie öffnete auf sein Klopfen die Tür und zum ersten Mal sah er sie sanft lächeln. „Ich hab gedacht, dass sie kneifen würde, Leutnant Foley.“ „Natürlich nicht, General Flores. Ich erfülle treu meine Pflicht der Militärpolizei gegenüber.“ Er salutierte und kam sich wieder vor, als trüge er dieses entsetzliche riesige Kostüm, das er einfach nicht ausfüllen konnte und das überall an ihm herunterhing und unförmig aussah. Doch natürlich saß seine Uniform maßgeschneidert. „Sie werden sich umziehen müssen. Ich hab Kleidung für sie vorbereitet. So werden sie sich wohl kaum auf den Straßen zeigen können, wenn sie verdeckt ermitteln wollen.“ Widerwillig legte er in einem Nebenzimmer seine Uniform ab und zog sich eine einfache Hemd und Hose an. Der Stoff kratzte furchtbar auf seiner Haut und die Kleidung war ihm in diesem Fall wirklich zu groß. Auch die Schuhe zwackten ihn, aber er beschwerte sich kein einziges Mal und legte die Kleidung einfach an. Danach kam er wieder in das Büro von General Flores, die ihm mit der Hand durch die Haare fuhr, damit sich seine zurückgekämmten Haare lösten. Ohne seine Uniform kam Aiden sich seltsam nackt vor. Er hatte nicht den blassen Schimmer, wie irgendjemand ihm trotz der Kleidung abkaufen würde, dass er aus den Slums kam. General Flores sah seinen unsichereren Blick und interpretierte ihn richtig. „Sie werden sich als Ausländer geben. Jemand, der nicht aus dieser Stadt kommt. Jemand, der noch vor kurzem zu den höheren Kreisen zählte, aber jetzt alles verloren hat. Du hast gehört, dass man hier wieder zu Geld kommen kann und deswegen suchst du jemanden, der Kontakte hat. Lass dich nicht an der Nase herumführen. Man wird dir versuchen jede einzelne Information über dich zu entlocken und dir jeden Penny aus der Tasche zu ziehen. Man wird dich zu falschen Kontakten bringen, die von dir eine Anzahlung haben wollen, damit sie dich weitervermitteln. Lass nicht locker bevor du nicht das Gefühl hast, dass du es mit jemanden zu tun hast, der dich wirklich mit den Mafiosi in Kontakt bringen kann. Wir erwarten nicht, dass du einen der großen Fische erwischen wirst. Du sollst dich nur umhören und umschauen. Alles, was dir in dieser Zeit auffällt, wirst du in deinem Bericht für uns aufschreiben. Jede Kleinigkeit kann von Bedeutung sein. Achte einfach auf alles, was um dich herum geschieht.“ „Wie lange werde ich in den Slums unterwegs sein?“, fragte Aiden schüchtern und fügte rasch ein: „General Flores?“ an. Sie zuckten nur mit den Schultern und ihm wurde ganz kalt in seinem Inneren. Jetzt konnte er noch wegrennen und sich bei Laurin verstecken, doch er nahm die Fahndungsplakate entgegen, die General Flores ihm reichte und studierte kurz die einzelnen Gesichter und die dazu gehörigen Namen. In der nächsten Sekunde wusste er keinen einzigen Namen mehr, aber er blieb stumm und hörte den Ausführungen weiter zu ohne etwas wirklich zu verstehen. Dann stand Flores auf und er sprang sofort hoch. Sie reichte ihm die Hand und er griff danach. „Viel Erfolg, Leutnant Foley.“ Dann war sie verschwunden und er wurde von einem einfachen Rekruten hinunter in die Slums gebracht. Unzählige Straßen flossen an ihm vorbei. Der Bruch zwischen Reich und Arm erfolgte so plötzlich, dass Aiden den Kopf hochriss und zum ersten Mal wieder anwesend war. Die weiße Gebäude und sauberen Straßen waren weg. Sie waren durch eine Schleuse aus den Glaskuppeln hervorgetreten und vor ihm lag die Stadt. Die richtige echte Stadt. Die ersten Gebäude waren noch stattlich und zeugten von einem gewissen Reichtum, doch dann folgten kurz darauf schon immer kleinere, baufälligere Häuser, die irgendwann von einfachen Blechhütten abgelöst wurden. Und erst da merkte Aiden, dass er ganz alleine war und keine Ahnung hatte, wie er jemals wieder zurückkommen würde. Aiden blieb stehen und sah sich um. Er befand sich auf einem kleinen Platz, auf dem ein Brunnen stand. Der Brunnen war längst nicht mehr in Betrieb, denn es gab kaum noch Grundwasser und das wenige, was noch vorhanden war, lag so tief, dass man lange danach bohren musste, um es heraufholen zu können. Der Brunnen war nur ein Relikt einer anderen, längst vergangenen Zeit. Wollte man Wasser, musste man es auf dem Markt kaufen. Aiden merkte, wie durstig er selbst war und er drehte sich im Kreis in der Hoffnung einen Händler zu erspähen, doch war niemand auf den Straßen, der Waren darbot. Also beschloss er weiter zu gehen und sich wieder in die Richtung der stattlicheren Häuser zu begeben. Dort waren bestimmt Händler und er konnte Wasser und Brot kaufen, um den Tag zu überstehen. Bald verlor er sich aber in dem Gewühl der Straßen und vor lauter Menschen auf den Straßen sah er nicht mehr, wohin er ging. Wie konnte es sein, dass die Stadt ihm plötzlich so riesengroß und unübersichtlich vorkam? Er zwang sich ruhig zu atmen und er blieb am Rand einer Kreuzung stehen, um sich umzusehen, doch es half ihm nicht weiter, denn schließlich war er noch nie zuvor in diesem Teil der Stadt gewesen. Es ging nicht anders. Er musste jemand fragen. Sein Blick blieb an einem kleinen Mädchen hingen, die vor den Stufen eines Hauses mit ihrer Puppe spielte. Sie stellte sicherlich keine Gefahr für ihn da, also ging er auf sie zu und setzte seinen freundlichstes Gesicht auf. „Hey Kleine, kannst du mir vielleicht helfen? Ich bin neu in der Stadt und finde mich nicht wirklich zurecht.“ Sie blickte ihn aus großen braunen Augen an, als würde er Französisch sprechen oder ein Alien sein. Sie klammerte ihre Puppe fest und Aiden dachte gerade, dass er sie völlig verängstigt hatte und sie schreiend weglaufen würde, als ihr fragender Gesichtsausdruck einem Lächeln wich. „Wo willst du denn hin?“, fragte sie ihn neugierig und er war überrascht, weil sie zwar die gleiche Sprache sprach, aber ihre Sprachmelodie viel sanfter war und sie die Wörter ein wenig zusammengezogen sprach. Er hatte gar nicht darüber nachgedacht, dass er sie nicht nur anders aussahen, sich anders kleideten, sondern auch anders sprachen als die Menschen aus den Slums. „Ich würde gerne Wasser und ein wenig Brot kaufen, aber ich hab nicht viel Geld. Kennst du einen guten, billigen Händler?“ „Natürlich“, gab sie sofort zurück. „Mister Thompson an der Ecke Kreuzberg verkauft einen Liter für nur drei Kupferstücke.“ Drei Kupferstücke? Das schien ihm wirklich billig zu sein. Doch wo war nur die Ecke Kreuzberg? Er sah sich ziellos um auf der Suche nach Straßenschildern, doch er sah nichts dergleichen. „Ich kann dich dort hinbringen, wenn du möchtest“, bat ihm das kleine Mädchen an. Erleichtert nickte Aiden. Was für ein Glück, dass er so ein nettes Mädchen getroffen hatte. „Wie heißt du? Ich bin Aislinn“, begann die Kleine mit einem Gespräch, während sie Aiden durch die Straßen lotste. „Und woher kommst du ursprünglich?“ Aiden lächelte. Darauf war er vorbereitet. „Ich bin Aiden. Nett dich kennen zu lernen, Aislinn. Ich komme aus der Grenzstadt. Bis vor kurzem war ich noch ein Händler aus einer wohlhabenden Familie, doch unsere Handelsflotte wurde überfallen und ich hab alles verloren. Ich dachte ich versuche mein Glück hier in dieser Stadt, wo niemand mich kennt und nichts über meine Vorgeschichte bekannt ist. Hier soll man gut verdienen können, wenn man die richtigen Leute kennt.“ Er sah wie Aislinn gespielt gähnte. „Immer reden alle nur vom Geschäft. Mein Bruder spricht auch immer nur vom Geschäft. Nie hat er Zeit mit mir zu spielen.“ „Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht langweilen. Ich bin dir sehr dankbar für deine Hilfe. Wenn du willst revanchiere ich mich, indem ich mit dir spiele. Ich hab noch keine Anstellung gefunden und daher sehr viel Zeit.“ Aislinn strahlte über das ganze Gesicht und nickte mit ihrem ganzen Kopf, sodass ihre lange braune Locken wild um sie herum tanzten. Nun griff sie nach seiner Hand und zog ihn schneller durch die Straßen. Dann blieb sie plötzlich stehen und sah überrascht aus. Aiden blickte in dieselbe Richtung und sah einen jungen Mann, der in seinem Alter – also Mitte 20 – sein musste, auf sie zukommen. Er hatte dieselben braunen Augen, Locken und dunkle Haut wie Aislinn, sodass Aiden sofort wusste, dass dies nur ihr Bruder sein konnte. Aislinn entzog ihm ihre Hand und trat mit einer entschuldigenden Miene einen Schritt zur Seite. Ihr Bruder packte sie und sprach schnell auf sie ein. Aiden verstand kein Wort und ihm wurde schwer im Herzen, doch als Aislinn etwas entgegnete und ihrem Bruder die Zunge raus streckte, lachte dieser und wandte sich zu ihm. „Ich höre du bist ein Mann mit viel Zeit, der einen Job sucht, aber sich trotzdem die Zeit nehmen würde, um mit meiner Schwester zu spielen.“ Er zwinkerte ihm zu und die Spannung, die Aiden kurz empfunden hatte, löste sich wieder auf. Diese charmante Art erinnerte ihn augenblicklich an Laurin, doch war dieser Mann auf eine ganz andere Weise einvernehmend. Aiden konnte kaum den Blick lösen und übersah fast die Hand, die ihm angeboten wurde. Sein Zögern und auch seine peinliches Berühren war ihm wohl anzumerken, denn als er die Hand ergriff, klopfte ihm der Mann auf die Schultern. „Keine Angst. Hier wird niemand aufgefressen. Ich bin Mael.“ „Aiden.“ Mehr brachte er nicht heraus, denn er fühlte sich immer mehr hingezogen. Ihm schien als wäre es völlig gleichgültig, was Mael sagen würde, er würde ihm alles sofort glauben. Dieser Blick aus den dunklen Augen schien ihn zu sehen, wie er wirklich war. Er wollte Mael. Er wollte ihn jetzt direkt. Sei kein Dummkopf, schaltete er sich selbst. Du bist in unbekanntem Terrain und bist gleich vom ersten Typen, den du triffst, hingerissen. „Wenn du dir die Zeit nimmst mit meiner Schwester zu spielen, kann ich mir gerne die Zeit nehmen dir einen Job zu suchen. Ich kenne ein paar Lager, die noch Leute suchen, die kräftig zupacken können.“ Aiden brauchte eine Sekunde um zu verstehen, was Mael ihm anbot. Dunkel erinnerte er sich an die Worte von General Flores, doch sie verschwanden augenblicklich, denn wenn er mit Mael ging konnte er mehr Zeit mit ihm verbringen und ihm weiter lauschen. Er hatte nicht nur wunderschöne Augen, sondern auch eine wunderbare, dunkle Stimme, die wie süßer Honig klang. Er sog jedes Wort begierig auf und nickte übertrieben. Aislinn lachte und Aiden fiel wieder ein, dass er nicht alleine mit Mael in einer Gasse stand, sondern auf einem Platz inmitten von Leuten, die sich darüber beschwerten, dass sie im Weg standen. Mael zog Aiden beiseite, als ein Karren an ihnen vorbei wollte und deutete eine kleinere Gasse hinunter. „Hier lang. Auf diesem Weg kommt man am schnellsten zu den Handelskontoren. Dort findest du sicher Arbeit.“ „Aber was ist mit mir?“, warf Aislinn ein. „Endlich finde ich jemand zum Spielen und schon nimmst du ihn mir weg. Nie hast du Zeit für mich.“ Mael bückte sich um sein Gesicht auf ihre Augenhöhe zu bringen und sprach wieder in dieser fremden Sprache, die Aiden nicht zuordnen konnte. Er hatte soviele Sprachen gelernt, doch diese schien ihm völlig unbekannt. Er vermutete, dass sie aus dem Süden stammte wegen des Äußeren der beiden Geschwister, doch er war sich nicht sicher. Aber eigentlich war es ihm egal. Noch nie hatte er vorher eine so schöne Stimme gehört. Er fühlte sich erregt und spürte wie sein Herz flatterte. Was auch immer Mael Aislinn sagte, sie ging ohne weitere Beschwerden den Weg zurück, den sie gekommen waren und plötzlich war er in einer Gasse ganz alleine mit Mael. Aiden hätte Angst haben müssen ausgeraubt und brutal zusammengeschlagen zu werden, doch er vertraute Mael blind und folgte ihn durch die winzigen Straßen, auf der niemand unterwegs war. Er achtete kaum auf seine Umgebung und stolperte fast, weil er ein Loch in einer Treppe übersah. Mael war sofort da und stützte ihn, damit er nicht hinunterfiel. Oh Gott er roch auch noch himmlisch gut, stellte Aiden fest, als er für eine Sekunde ganz nah war. Er war schon auf halbem Weg dabei den Abstand zwischen ihren Lippen zu überqueren, als Mael sich wieder löste und ihm voran ging. „Komm wir sollten uns beeilen. Bald werden alle Feierabend machen, um am Lichterfest teilzunehmen.“ „Lichterfest?“ „Habt ihr das nicht in der Grenzstadt auch? Wir lassen Laternen mit unseren Wünschen zum Himmel aufsteigen und beten für ein gutes neues Jahr.“ Aiden hatte noch nie von dieser Tradition gehört und ihm war auch schleierhaft, warum man erst im Sommer das neue Jahr feiern sollte. Gab es in den Slums etwa einen anderen Kalender? Er wollte am liebsten nachfragen, doch damit würde er sich verraten. Er musste danach fragen, wenn er zurückkam. „Oh das. Mir war gar nicht bewusst, dass das heute ist. Ich hab durch meine Reise hierher ganz das Zeitgefühl verloren“, redete sich Aiden heraus. Mael lächelte ihn an und klopfte ihm wieder auf die Schulter. „Was für ein Glück, dass du ausgerechnet zum Lichterfest neu in die Stadt kommst. Lass uns dir noch einen Job besorgen und dann kannst du alle Wünsche auf einen Zettel schreiben, damit sie sich bald erfüllen.“ „Was willst du dir denn wünschen?“, rutschte Aiden heraus. „Also wenn du es einem Wildfremden anvertrauen willst.“ „Hm.“ Mael blieb stehen und verlor sich in Gedanken. Aidens Herz raste als er den jungen Mann vor sich betrachtete. Er wirkte so verletzlich und war wunderschön. Aiden trat dichter an ihn heran, doch Mael war sofort wieder einen Schritt von ihm entfernt. „Sorry“, entschuldigte er sich. „Man gewöhnt sich eine gewisse Vorsicht an hier auf den Straßen. Man weiß nie, wann jemand plant dich auszurauben.“ „Oh“, machte Aiden nur. Daran hatte er gar nicht gedacht. „Ich wollte dich nicht ausrauben.“ „Keine Sorge. Du siehst nicht aus wie ein Dieb. Ich habe ein gutes Gefühl bei dir. Sonst würde ich dich jetzt nicht mitnehmen. Aber ein verlorenes Schaf alleine zu lassen entspricht nicht auch meinen Prinzipien. Viele glauben es ist jeder für sich alleine hier verantwortlich. Du weißt schon: Der Stärkere überlebt. Aber ich denke man ist stärker, wenn man in einem Team arbeitete, wenn man sich gegenseitig unterstützt und einander Familie ist.“ Aiden verstand nicht, was Mael meinte. Er war zwar immer mit Menschen zusammen, aber bis auf Laurin hatte er sich noch mit niemanden verbunden gefühlt. Seine Familie war nur Fassade. Das was Mael da schilderte schien ihm ein Bild aus einer fremden Welt zu sein, doch es gefiel ihm. Mit einem Mal wollte er nicht mehr zurück, sondern bei Mael bleiben und Teil seiner Familie werden. Es war bestimmt ein schönes Gefühl unterstützt zu werden. Plötzlich waren sie bei den Handelskontoren und Mael bat ihn kurz draußen zu warten, damit er mit einem befreundeten Lageristen sprechen konnte. Die Gegend hier war zwar schmutzig, aber nicht völlig verfallen wie die Blechhütten, die er vorhin gesehen hatte. Kaum war Mael verschwunden, fühlte sich Aiden leer und unerfüllt. Das Begehren in ihm wuchs und schlängelte sich wie eine Schlange durch seine Gedärme und er wusste er würde keinen Frieden finden bis er Mael besitzen würde. Zum ersten Mal in seinem Leben wollte er etwas und jetzt wusste er wie sich Ambition anfühlte. Er würde Mael nicht von der Seite weichen bis er ihn für sich eingenommen hatte. Seine Mission war vergessen ebenso wie sein Wunsch nachhause zurückzukehren. Er wollte Mael. Mael kehrte kurz darauf mit einem älteren Herren zurück, der sich als Lukas vorstellte. Sie kamen ins Gespräch und schon wurde Aiden angeheuert und er sollte morgen früh bei Sonnenaufgang mit der Arbeit beginnen. Aiden fühlte sich, als hätte er etwas Großartiges ganz alleine vollbracht, doch wieder war es mit Hilfe gewesen und wieder war es so einfach wie seine Beförderung zum Leutnant gewesen. Für eine Sekunde wurde ihm bewusst, dass er ein Mitglied der Militärpolizei war und dass er nicht nach einem richtigen Job suchte, sondern zwielichtige Geschäfte aufdecken sollte, doch hier schien alles in Ordnung. Also war am völlig falschen Ort, aber solange Mael hier war, war es der richtige Platz für ihn. Als Mael gehen wollte, folgte Aiden ihm einfach wieder zurück in die Stadt auf dem Weg zum Fest. Inzwischen war es dabei zu dämmern und alle Menschen strömten ihn in die gleiche Richtung auf den Weg zum Fluss, der sich quer durch die Stadt zog. Aiden verlor Mael ganz kurz aus den Augen, doch dann sah er ihn wieder und schloss zu ihm auf. „Was wünschst du dir?“, wiederholte Aiden seine Frage noch einmal. Er wollte alles über Mael wissen. „Sicherheit für meine Familie. Wir leben in gefährlichen Zeiten. Die Reichen unterdrücken uns immer mehr und behalten alles für sich. Die Luft, das Wasser und die fruchtbare Erde. Wir leben von einem Hauch von Nichts. Ist das bei euch in der Grenzstadt auch so?“ „Ja“, erwiderte Aiden nur kurz angebunden, damit er nicht zu viel preisgab. „Deine Familie scheint dir sehr wichtig zu sein.“ „Ja sie sind alles für mich. Sie unterstützen mich und ich unterstütze sie. Hast du keine Familie?“ „Schon, aber wir sind sehr distanziert. Wir verbringen kaum Zeit im selben Raum und sprechen nur höflich miteinander. Ich habe also noch nie dieses Zusammengehörigkeitsgefühl gehabt, was du schilderst.“ Mael blieb am Fluss in der Menschenmenge stehen. Jetzt waren sie dicht aneinandergedrängt durch die Leute, die sich an ihnen vorbei schoben. „Warte kurz“, sagte Mael und war im selben Augenblick verschwunden. Aiden blieb zurück und war sich sicher, dass er Mael nie wiedersehen würde, denn in diesem großen Gedränge würden sie sich nie wieder finden. Alle um ihn herum waren bunt gekleidet und trugen ihre Laternen zum Fluss. Es waren soviel fröhlicher als all die Gesellschaften, die seine Vater immer gaben, wo die Männer schwarze Anzüge trugen und die Frauen zwar bunte Kleider trugen, aber nie ausgefallen waren. Hier waren alle Farben vertreten und Aiden bewunderte die Menschen um ihn herum. Er dachte immer, dass die Slums völlig farblos waren. Einfach nur dreckig und staubig, doch stattdessen war es so bunt und laut. Gerade als er dachte, dass er den Verstand verlor, spürte er Mael neben sich, der ihm eine Laterne in die Hand drückte. „Für deine Wünsche.“ Er drückte ihm einen Stift in die Hand und begann seine eigene Laterne zu beschriften. Aiden zögerte kurz und schrieb dann in einen kleinen, geschwungenen Buchstaben Maels Namen auf die Laterne. Er hielt den Schriftzug mit einer Hand verdeckt, damit Mael seinen Wunsch nicht sah und wartete bis Mael fertig war. „Bereit?“ „Bereit.“ In der Menge wurde laut von zehn an rückwärts gezählt und Aiden stimmte laut mit ein. Bei „eins“ zündete er seine Laterne an und zeitgleich hoben sich tausende Laterne in den Himmel. Aiden sah eine Sekunde seiner Laterne nach und drehte sich dann schnell um bevor Mael ihm entwischen konnte. Seine Lippen trafen auf die Lippen Maels, die wirklich so samt und weich waren, wie sie sie aussahen. Mael zuckte kurz zurück bevor er den Kuss erwiderte. Sein Wunsch ging also in Erfüllung. Aiden frohlockte, doch dann war der Moment vorbei und Mael trat entschieden zurück. „Es war ein schöner Tag mit dir, aber ich muss jetzt gehen. Auf Wiedersehen.“ Und damit war Mael wie von der Menge fortgerissen, die jetzt zu den großen Plätze strömte, um dort zu tanzen und zu feiern. Aiden blieb zurück am Flussufer. Er war alleine und unerfüllt. Mael war verschwunden bevor er seinem Begehren nachgeben konnte. Er fühlte sich verraten. Er hatte sich soviel von diesem Tag versprochen. Er hatte sich soviel von Mael versprochen. Nie zuvor hatte er sich so zu jemanden körperlich hingezogen gefühlt hatte. Und nicht nur das. Aiden hatte das Gefühl gehabt die Möglichkeit zu haben ein Teil seiner Familie werden zu können. Mael war perfekt. Alles an ihm war wunderbar und nun war er einfach in der Menge verschwunden. Die Wut stieg in Aiden auf und er schrie laut seiner Laterne nach, die seinen Wunsch in den Himmel trug und ihn aus seinem Herz fortriss. Ziellos trieb Aiden durch die Gasse ohne noch auf etwas zu achten. So wurde er von demselben Rekruten wieder aufgefunden, der ihn in die Stadt gebracht hatte. Er folgte ihm ohne zu fragen warum zurück in die sichere Glaskuppel und fand sich nach kurzer Zeit wieder in dem Büro von General Flores zurück. Er konnte nicht fassen, dass kein ganzer Tag vergangen war seit er von hier aufgebrochen war und nun war er wieder zurück, aber er fühlte sich nicht mehr wie heute Morgen an. „Ihre verehrte Mutter hat der Mission Einhalt gegeben und General Foley hat widerwillig zugestimmt, da er denkt, dass ein Tag bereits genug sein sollte, um ihre Meinung über die Wichtigkeit der Militärpolizei zu ändern und Ihnen verständlich zu machen, dass es nicht nur den Papierkrieg gibt, sondern ernsthafte Probleme, die außerhalb der Glaskuppel liegen“, klärte ihn General Flores auf. Aiden nickte und war mit den Gedanken ganz woanders. Immer noch sah er Maels Gesicht vor sich. Diese tiefe braunen Augen, die ihn verstehen zu schien, die weiche Lippen, die sich perfekt an seine Lippen schmiegten und die braune Locken durch denen er nie mit den Händen hätte streichen können. Er zitterte vor Erregung und Wut, weswegen ihm General Flores eine heiße Schokolade anbot, die er einfach trank und nicht einmal bemerkte, wie er sich die Zunge verbrannte. „Ich erwartete ihren Einsatzbericht bis morgen früh auf meinem Schreibtisch. Jedes Detail zählt. Wir brauchen jede Information zu der Situation in den Slums.“ Aiden nickte und verließ das Büro. Er nahm den Weg kaum wahr und stand plötzlich vor den Toren seines Hauses. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er immer noch die Kleidung der Armen trug und er seine Uniform in der Zentrale vergessen hatte. Die Wachen sahen ihn skeptisch an und erst als sie ihm eine Taschenlampe ins Gesicht hielten erkannte sie den Sohn des Hauses. Er passierte und begab sich direkt in sein Zimmer. Er sollte schnellstmöglich den Einsatzbericht verfassen und dann schlafen gehen. Er fiel in seinen normalen Trott zurück. Weder sein Vater noch seine Mutter, die angeblich so besorgt gewesen war, dass sie ihn zurückholen lassen hatte, tauchten zu seiner Begrüßung auf und erreichte er sein Zimmer. Er zog sich schnell um und duschte sich den Dreck von der Haut. Dann setzte er sich an seinen Schreibtisch und begann seinen Tag aufzuschreiben. Als er zu seiner Begegnung mit Mael kam, spuckte ihm seine Datenbank sofort einen Treffer aus. Überrascht öffnete Aiden den Eintrag zu einem Mael Doyle. Erschrocken klappte ihm der Mund auf, als er das Bild sah. Sein Mael blickte ihm entgegen. Er hatte den ganzen Tag mit diesem Mann verbracht. Jetzt erinnerte er sich an die Fahndungsplakate vom morgen. Dort hatte er ihn auch schon gesehen und dem keine Aufmerksamkeit geschenkt. Erst jetzt wurde ihm klar, dass er den Tag mit einem der gefährlichsten Mafiosi verbracht hatte. Mael Doyle war der älteste Sohn des Mafiabosses, der unter dem Spitznamen „Mister Thompson“ bekannt war. Genauso wie der Wasserverkäufer, denn er nie erreicht hatte. Sprich er hatte die Tochter des Mafiabosses angesprochen und dann den Sohn des Mafiabosses getroffen. Erregt schrieb Aiden seinen Einsatzbericht und sah alles aus einem anderen Blickwinkel. Kaum war er damit fertig, schnappte er sich seinen Skizzenblock, dankte innerlich seinem Vater für die Kunststunden und fertigte ein besseres Phantombild von Mael an. Das pinnte er sich an seiner Pinnwand über den Schreibtisch. Sein Vater hatte sicher nicht damit gerechnet durch einen einzelnen Tag die Ambition seines Sohnes zu wecken, doch jetzt war Aiden beseelt von einem einzigen Wunsch. Er wollte Mael. Er würde ihn jagen bis er sich in seinen Fängen befand und nie wieder loslassen. Er würde in einem Gefängnis verrotten und seinem Willen völlig ausgeliefert sein. Er würde alles dafür tun, um dieses Ziel zu erreichen. Nichts würde ihn stoppen. Er würde in den Rängen aufsteigen und jede Mission bezüglich der Mafia übernehmen bis er Mael erwischte. Er bekam immer, was er wollte. Schließlich war er Aiden Foley, Leutnant der Militärpolizei. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)