Land unserer Väter von Futuhiro (Magister Magicae 1) ================================================================================ Kapitel 2: Macho ---------------- [London, England] Ruppert riss die Vorderradbremse an, und den Gashebel bis zum Anschlag, so daß der Hinterreifen seines Motorrades durchdrehte. Die Maschine brach zur Seite aus. Sie schleuderte unter viel Qualm und Lärm um ihr eigenes Vorderrad. Der Student zirkelte binnen weniger Sekunden ein paar mal im Kreis herum und zog dabei mit dem Gummi des Hinterreifens einen dicken, schwarzen Strich auf dem Asphalt. Nach einigen Runden wollte er das Motorrad etwas unbeholfen wieder zum Stehen bringen. Bei seinem Bremsversuch kippte er zwar fast samt der schweren Maschine zur Seite um, aber er grinste breit. Edd stand daneben, die Hände in den Hosentaschen. Er teilte die Begeisterung seines Schützlings nicht im Mindesten. „Du hast echt nur Blödsinn im Kopf.“ „Und du bist ein Langweiler.“ „Du studierst Mathe! Wer ist hier der Langweiler?“ „Ich studiere kein Mathe!“, verteidigte sich Ruppert und stellte den dröhnenden Motor wieder ab, um sich besser unterhalten zu können. „Ich studiere Bankwesen, ja?“ „Du studierst irgendwas Langweiliges mit Zahlen. Also ist es langweilig“, hielt Edd ihm dennoch humorlos vor. Er hatte bis heute nicht verstanden, wieso der feine Herr nicht auf einen Magister Magicae studierte, sondern einen ganz profanen, nicht-magischen Studiengang vorzog. Ruppert war ein Magier. Ein Hellseher, um genau zu sein. Magisch begabte Menschen waren selten. Ruppert war aus dieser Sicht eigentlich etwas Besonderes. Etwas Besseres als normale Menschen. Warum nutzte er dieses wahnsinnig tolle Talent nicht? Der Autoverkäufer kam hektisch händewedelnd angerannt. Er war von dem Stunt ebenfalls nicht ansatzweise so begeistert wie sein Kunde. „Hören Sie, fahren Sie mir nicht die Reifen kaputt! Sie radieren ja das ganze Profil runter!“ Ruppert winkte lässig ab. „Ist schon okay. Ich kaufe das Motorrad. Lassen Sie uns den Vertragskram regeln.“ Er klappte den Standfuß herunter, rutschte vom Sattel und ließ das Rennrad, das er getestet hatte, einfach mitten im Hof des Autohauses stehen. Das besänftigte den Fahrzeughändler wieder. „Gern.“ Er lief langsam los, Richtung Gebäude, damit die beiden Herren ihm folgen konnten. „Wie wollen Sie bezahlen?“ „Bar in einer Summe.“ Der Verkäufer blieb abrupt wieder stehen und glotzte den fast noch als jugendlich zu bezeichnenden Halbstarken ungläubig von der Seite an. „In Ihrem Alter? Wo haben Sie das Geld her? Haben Sie eine Bank überfallen?“ Ruppert Edelig lachte. „Hab ich nicht nötig. Die Bank gehört mir.“ Er hatte entschieden, das Erbe seines Vaters anzutreten. Der war auch schon Banker und Ruppert wollte die Bank seines Vaters irgendwann übernehmen. Genau darum studierte er in die wirtschaftliche Richtung, und nicht in die magische. Edd heftete sich an seine Fersen. „Verrätst du mir mal, wie du dir das vorstellst?“, hakte er nach. Diese Diskussion hatte er schon vorher mehrfach erfolglos mit seinem Schützling geführt. Er selber hatte weder ein Motorrad, noch den dafür nötigen Führerschein, um ihn auf etwaigen Spritztouren zu begleiten. Wollte Ruppert etwa alleine draußen rumfahren? Oder den Genius hinten auf dem Schwiegermutter-Sitz mitnehmen? „Nicht mein Problem.“ „Doch, ist es! Wenn du auf der Astralebene angegriffen wirst und keiner da ist, um dich zu schützen, WIRD es dein Problem sein!“ „Dann wechsel ich eben nicht auf die andere Ebene“, schlug Ruppert grinsend vor, mächtig gut gelaunt von seinem Motorrad in spe. Seine Sommersprossen strahlten dabei mit seinen rotbraunen Haaren um die Wette, was sein ansonsten eher unscheinbares Gesicht aber auch nicht attraktiver machte. Ruppert war rein optisch eigentlich ein sehr langweiliger Junge. „Das kannst du dir nicht immer aussuchen. Angriffe von der Astralebene ereilen dich auch, wenn du selber gerade noch auf der stofflichen, irdischen Ebene bist!“ Rupperts glückliches Grinsen wich einem gefährlich genervten Gesichtsausdruck. „Edd, ich will das jetzt nicht hören! Halt die Klappe!“, befahl er. Und das tat der Greifen-Genius. Edd wusste nur zu gut, was passierte, wenn Ruppert von Genii genervt war. Ruppert saß in der Warteecke der Bankfiliale herum und langweilte sich. Aber er wusste, daß die Bankkunden Vorrang hatten. Wenn er einfach unangemeldet hier bei seinem Vater auf Arbeit aufkreuzte, musste er damit leben, daß er mitunter draußen warten musste, bis der seine Kunden abgefertigt hatte. Edd saß neben ihm und trommelte mit den Fingern auf dem Oberschenkel. Er wusste ebenfalls nichts mit sich anzufangen. Der Student merkte auf, als sich die Tür endlich öffnete. Edelig Senior kam aus seinem Büro. Er verabschiedete noch in Ruhe seinen neuen Schuldner, der gerade einen Kreditvertrag bei ihm abgeschlossen hatte, und als der weg war, strahlte er übergangslos Ruppert mit einem breiten Lächeln an. „Sohn!“, posaunte er ihm gut gelaunt entgegen und streckte ihm grüßend beide Arme hin. Ruppert verzog das Gesicht. „Dad, ich bin keine 5 mehr! Erwartest du, daß ich dir in die Arme falle?“ „Einen Drücker wirst du doch wohl für deinen alten Herrn noch übrig haben!“, verlangte Edelig Senior eingeschnappt. Dann lachten sie beide und umarmten sich doch kurz. Beiläufig schenkte der Banker auch Edd noch ein fröhliches 'Hallo'. Das Verhältnis zwischen Ruppert und seinem Vater war schon immer sehr gut gewesen. Ruppert war auch ganz nach seinem Vater geraten. Die roten Haare hatte er von ihm geerbt, ebenso den Faible für Geld und Zahlen. Nur war Edelig Senior selbst kein magisch Begabter. Er war nur ein ganz gewöhnlicher Mensch. Rupperts Urgroßvater war Magier gewesen. Ob sowas ein paar Generationen überspringen konnte? Edelig Senior hatte sich jedenfalls sehr gefreut, als sich herausgestellt hatte, daß sein Sohn ebenfalls magisch begabt war. Ruppert grinste euphorisch. „Wir haben die Ergebnisse für diese dämliche Prüfung in Volkswirtschaft zurück bekommen.“ „Oh! Und?“ „1,3!“, warf er seinem Vater an den Kopf. „Damit hab ich den Abschluss schon fast in der Tasche. Ich hab mehr als genug Punkte zusammen, es kann eigentlich gar nichts mehr schiefgehen.“ Edelig Senior zeigte sich stolz. „Haha! Ganz mein Sohn! Das sollte gefeiert werden!“ „Habe ich schon! Ich hab mir gerade eine Ducati Streetfighter gekauft“, erzählte Ruppert. Der 22-Jährige war immer noch etwas high davon. „Echt? Das ist ja cool. Mit der musst du mich auch mal fahren lassen!“ „Kauf dir selber eine!“, lachte Ruppert. „Stimmt. Ich könnte mir wirklich eine kaufen, dann können wir ja zusammen Touren fahren! Wie wäre das?“ Edd räusperte sich im Hintergrund. „Ich möchte darauf hinweisen, daß ich mich nicht dafür verantwortlich sehe, wenn Ruppert allein draußen rumkurvt und ihm was passiert. Ich werde nicht in meiner Greifen-Gestalt hinter ihm herfliegen wie ein Schutzengel. So schnell wie eine Ducati bin ich nämlich nicht.“ Und selbst wenn er so schnell gewesen wäre, hätte er das nicht getan. Hier in England war es nämlich ungern gesehen, wenn Genii in ihrer wahren Erscheinung herumschwirrten. Das machte den normalen Menschen zu viel Angst. Dafür hatten Genii ihre menschlichen Tarn-Gestalten schließlich. Edelig Senior zog ein grübelndes Gesicht. „Das ist wohl nicht von der Hand zu weisen. Dann wirst du wohl am besten den Motorrad-Führerschein machen und dir auch eine Maschine kaufen!“, entschied er. Dem Genius schlief übergangslos das Gesicht ein. Das war ein Scherz, oder? Sowas konnten wirklich nur Bankenbesitzer sagen. Der Mann wusste ja schon gar nicht mehr, wieviel Geld er überhaupt besaß. „Also ... so leid es mir tut, ich muss wieder an die Arbeit. Lass uns heute Abend weiter darüber reden, ja?“, schlug der Banker vor und pappte seinem Sohn nochmal die schwere Pranke anerkennend auf die Schulter. „Ich weiß. Ich wollte dir auch nur schnell von meiner 1,3 erzählen.“ „Ja. Das hast du gut gemacht.“ „Bis später, Dad!“ „Bis später, Sohn! Ich versuche, heute mal pünktlich nach Hause zu kommen.“ Edelig Senior schob sich mit der Gabel ein Stück Steak in den Mund und mampfte. Das Essen war wirklich allererste Sahne. Er saß gerade mit seinem Sohn am Abendbrot-Tisch. Die Haushälterin und Edd pflegten nicht mit ihnen gemeinsam zu essen. Die alte Dame hatte standesgemäß sowieso nichts am Tisch der Hausherren zu suchen, und Edd war bei Familiengesprächen auch eher ein unangenehmer Faktor. Er war ein Greif und seine Anwesenheit machte es Menschen unmöglich, zu lügen. Im Beisein eines Greifen konnte man nur die Wahrheit sagen. Es war nicht so, daß Ruppert und sein Vater sich gern und viel angelogen hätten, aber allein der psychologische Faktor, den das Wissen um die Anwesenheit eines Lügendetektors mit sich brachte, machte alle Gespräche unglaublich gezwungen und unentspannt. Obwohl Edd inzwischen schon recht lange in der Familie lebte, hatte man sich daran nie gewöhnt. Darum war sehr früh beschlossen worden, dem Genius während der gemeinsamen Mahlzeiten Freizeit einzuräumen. Rupperts Mutter blieb dem Abendessen heute ebenfalls mal wieder fern. Sie war sehr kränklich und oft unpässlich. Es war nicht selten, daß sie sich lieber in irgendeinem Zimmer verbarrikadierte, ihre Ruhe haben wollte, und sich ausruhte. „Also, wann kannst du dein Motorrad abholen?“, wollte Edelig Senior wissen. „Der Händler sagt, er braucht so anderthalb Wochen, um die Zulassung abzuwickeln und die Nummernschilder zu beschaffen und so. Er ruft mich an, wenn alles geklärt ist.“ Sein Vater nickte. „Ich hab nochmal nachgedacht. Dein Genius Intimus hat Recht ...“ „Nenn ihn nicht so! Edd IST nicht mein Genius Intimus!“, zischte Ruppert sauer. „Mein gottverdammter Genius Intimus ist nie aufgetaucht!“ „Tja, weil du offenbar keinen hast!“, hielt sein Vater sachlich dagegen. Dieses Thema war immer wieder ein Spiel mit dem Feuer. Aber es half ja nichts. „Unsinn. Jeder Magi hat einen.“ „Es muss wohl irgendwas schiefgegangen sein. Vielleicht ist dein Schutzgeist schon im Kindesalter gestorben, oder sowas. Wir waren doch nun schon bei einem Hellseher und haben versucht, das silberne Band zurück verfolgen zu lassen. Da war nichts, du hast es doch gehört.“ „Der Typ war ein Stümper!“, entschied Ruppert aufgekratzt. Sein Vater hob hilflos die Hände. „Sollen wir es lieber nochmal bei einem anderen Hellseher versuchen?“ „Nein!“, entschied der Student harsch. „Ich bin froh, daß der scheiß Genius nie aufgetaucht ist. Und ich wäre auch froh, wenn du Edd endlich rausschmeißen würdest! Er ist lästig!“ Edelig Senior seufzte theatralisch. „Ich verstehe bis heute nicht, warum du so einen Hass auf Genii hast.“ „Herrgott nochmal, Dad, ich bin 22! Ich brauche keinen Babysitter mehr!“ „Darum geht es auch nicht. Edd ist nicht dein 'Babysitter'. Er ist dein Leibwächter. Weil magisch Begabte nunmal nicht ohne einen Schutzgeist auskommen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)