Land unserer Väter von Futuhiro (Magister Magicae 1) ================================================================================ Kapitel 3: Kämpfer ------------------ [Yokohama, Japan] Waleri erzeugte eine halbe Sekunde Zeitverschleppung, die ihm vollauf reichte, um das Gleichgewicht seines Gegners zu brechen, und schob ihn mit Wucht über die Linie der Kampffläche. Gewonnen! „Drecksau!“, fluchte sein Kontrahent stinksauer und stempelte ihm rigeros die geballte Faust mitten ins Gesicht, bevor der sich über seinen Sieg freuen konnte. Waleri ging übergangslos zu Boden, wie ein gefällter Baumstamm, und presste sich stöhnend beide Hände auf die Nase. Das hatte er nicht kommen sehen. Im Sumo waren Schläge ja auch gar nicht erlaubt, schon gar nicht ins Gesicht. „Betrüger! Mit dir trainiere ich nicht mehr! Du bist eine Schande für die altehrwürdigen Kampfkünste Japans!“ Der Meister trat hinzu und sah sich das Spektakel fragend an. „Yazuno, du solltest dich etwas mehr in Selbstbeherrschung üben“, meinte er gelassen. „Was ist passiert? Hat er schon wieder mit Magie gekämpft?“ „Ja, hat er!“, maulte Waleris Trainingspartner wütend. Der schweinsbäckige Sumo-Ringer schnaubte und nahm arge Ähnlichkeit mit einem verärgerten Pummeluff an. Der Russe konnte nichts dazu sagen. Er war immer noch damit beschäftigt, sich stöhnend am Boden zu wälzen. So ein Mist. Er hatte die Zeitverzögerung schon wieder übertrieben, so daß sein Gegner es bemerkt hatte. Eine Millisekunde zu lange verschleppt, einen Wimpernschlag zu lange gehalten, und seine Trainingspartner merkten es. Er musste seine magische Fähigkeit noch sehr viel feiner zu dosieren lernen, damit ihr Einsatz nicht auffiel. Und Sumo-Ringer mochten plump aussehen, aber sie waren wache, hochtrainierte Kerlchen, denen im Kampf wirklich nichts entging. Die achteten auf jede Nuance in Mimik und Gestik ihres Gegenübers. Der Meister schüttelte ratlos das Haupt. Dieser Glatzkopf war aber auch wirklich lernresistent. Ausländer eben. Die verstanden den Budo-Gedanken einfach nicht, und den Respekt und die Würde, die damit verbunden waren. Überhaupt verstanden die ziemlich viel von der japanischen Kultur nicht. Allein die Anstößigkeit komplett zutätowierter Arme, wie sie hier sonst nur Yakuza trugen, war etwas, das sich Ausländern einfach nicht erschließen wollte. Waleri hatte ja eingangs tatsächlich einen sehr willigen und vernünftigen Eindruck gemacht. Und er war unübersehbar eine wahre Kämpfernatur. Nur deshalb hatte sich der Meister überhaupt dazu breitschlagen lassen, ihn zu trainieren. Der Budo-Gedanke sollte jedem ernsthaften Schüler Respekt zollen und keine Grenzen kennen. Auch keine kulturellen. Aber es war schlicht und ergreifend ein Fehler gewesen, diesen tätowierten, unkultivierten, ausländischen Schläger in sein Dojo aufzunehmen. Zum Glück hatte er Waleri noch nie öffentlich auf die Kampffläche gelassen. Der hätte seine gesamte Sumo-Schule in Verruf gebracht. „Nehmt euch ein paar Bambus-Stecken und prügelt ihn. Und dann werft ihn aus dem Dojo. Ich werde diesen Schüler nicht mehr länger unterrichten“, entschied der Meister ruhig. „Ja, Meister!“, gaben die Sumo-Ringer, die hier trainierten, einstimmig zurück. Zwei von ihnen packten Waleri an den Armen und zerrten ihn grob hoch, trotz der blutig-roten Suppe, die aus seiner Nase schoss. Was Waleri so an Japan mochte? Keiner mischte sich seltendämlich in die Angelegenheiten anderer ein. Hier konnte man stundenlang in einer Kneipe an der Bar sitzen, eine Ration Alkohol nach der anderen exen, dabei ein Gesicht ziehen wie ein missgestimmtes Warzenschwein und Löcher in die Luft starren, und keiner würde einen fragen, was denn los war. Nur der Wirt kam dann und wann vorbei, goss mit einem Lächeln nach, und verduftete dann wieder. Der Russe gab sich den nächsten Schnaps auf die Rübe. Es war vorbei. Er war nach Japan gekommen, um Sumo-Ringer zu werden. Er hatte sogar ein Dojo gefunden, das ihn als Ausländer und trotz seines Erscheinungsbildes aufgenommen hatte. Allein das war schon fast ein Fünfer im Lotto. Ohne Kontakte, die ein gutes Wort für einen einlegten, kam man als Ausländer eigentlich gar nicht in japanische Dojos rein. Aber nun war er leider hochkant rausgeschmissen worden. Das war´s. Die Sport-Branche war ein sehr familiärer Laden. Natürlich standen die Kampfschulen in Konkurrenz zueinander. Aber man kannte sich. Keiner würde einen Schüler aufnehmen, der aus einem anderen Stall unehrenhaft rausgeflogen war. Waleri brauchte nie wieder in irgendeiner Sumo-Schule vorstellig zu werden. Was hatte er jetzt also für Optionen? Was sollte er noch hier in Japan? Sumo würde jedenfalls keine Perspektive mehr sein. Der Wirt huschte vorbei. Mit einem „Eh!“ hielt Waleri ihn an. „Noch einen bitte!“ Der Kneiper musterte ihn aufmerksam, trotz des trüben Lichtes hier. „Tut mir leid, Sie kriegen von mir nichts mehr.“ „Wieso?“, maulte der Russe uneinsichtig. „Sie haben genug. Sie wissen doch, daß es hier in Japan verboten ist, betrunken in der Öffentlichkeit rumzulaufen. Die Polizei wird Sie sicher einbuchten, wenn Sie noch weiter trinken. Sie kriegen nichts mehr!“ Mit diesen Worten wuselte er weiter. Waleri ließ die Schultern hängen. Hatte er gerade noch geglaubt, Japan sei liebenswert, weil man sich hier nicht in die Angelegenheiten anderer einmischte? „Eh!“, machte er, als der quirlige Japaner gleich darauf erneut vorbei huschte, und hielt ihn damit abermals an. „Geben Sie mir eine Flasche Schnaps und die Rechnung. Wenn ich hier nicht mehr trinken darf, trink ich eben zu Hause.“ Der Wirt wirkte nicht gerade einverstanden, aber dagegen wusste er nichts einzuwenden. Mit einem Nicken zog er also los und kam der Aufforderung nach. Waleri fand die Idee plötzlich gar nicht mehr so übel, zu Hause weiter zu saufen. Er wollte sowieso raus an die frische Luft. Ihm war unglaublich warm, weil er hier drin seine Jacke nicht ausziehen durfte. Seine von den Handgelenken bis zu den Schultern tätowierten Arme waren in Japan gesellschaftlich nicht akzeptiert. Und je eher er heute nach Hause kam, desto mehr Zeit hatte er auch, noch ein paar Kündigungen zu schreiben. Für seine Wohnung, für seinen Festnetz-Telefonvertrag, für seinen Stromanbieter, ... für seinen Job. Zur Hölle mit Japan. Sein Kopf schwirrte leicht. Er hätte vielleicht doch nicht so viel Alkohol verbraten sollen. Zwischen müde und tendenziell genervt rangierte Waleri in dieser Nacht auf Arbeit mit den schweren Paketen herum. Er arbeitete in einer Packstation und belud die LKW´s der Post. Viel Körperkraft hatte er ja. Und nach 3 Jahren konnte er inzwischen auch passabel Japanisch. Aber er redete eben nicht gern, also kam ein Beruf mit Kundenkontakt schonmal nicht in Frage. Und ohne Berufsausbildung waren hochtrabende Jobs sowieso abgehakt, daher hielt er sich an Anlerntätigkeiten. Dauernachtschicht war zwar auch nicht gerade sein Traum, doch von irgendwas musste er schließlich leben, solange es mit der großen, berufsmäßigen Sumoringer-Karriere noch nicht klappte. Nur, die war ihm jetzt endgültig versperrt, nachdem er heute Vormittag unehrenhaft aus seinem Dojo rausgeschmissen worden war. Als Waleri das letzte Paket verladen hatte und den LKW-Anhänger schließen und verriegeln wollte, verkantete sich eine der beiden Doppeltürhälften mit einem hörbaren Ratschen. Waleri fluchte laut und ungeniert. Wieso konnten die diese schweren Eisentüren nie ölen? Jedes Mal der gleiche Mist! Ungeduldig zerrte er mit beiden Händen an der halb offenen, festgesetzten Tür, bis er schon Angst hatte, eher den Stahl zu verbiegen, als das Scharnier wieder entkeilt zu bekommen. Er warf sich mit der Schulter und gehörigem Schwung gegen die Tür, in der Hoffnung, sie wenigstens ganz zu zu bekommen. Dann wäre alles weitere nicht mehr sein Problem gewesen. Aber Fehlanzeige. Leider war der Türspalt zu klein, um in den Auflieger hinein zu klettern und sein Glück mal von innen zu versuchen. Auf Russisch weiter herum maulend nahm er die Tür von allen Seiten unter die Lupe, um zu sehen, woran genau es denn liegen könnte, und wo die Blockade so richtig saß. „kon-yon-koffu-san, kommen Sie bitte mal?“, hörte er seinen Bezirksleiter aus der Ferne rufen. Unter anderen Umständen hätte er gelacht. Die Japaner brachen sich immer fast die Zunge, wenn sie seinen russischen Familiennamen 'Konjonkow' auszusprechen versuchten. Er hatte hier noch keinen gefunden, der seinen Namen zufriedenstellend hätte aufsagen können. Waleri drehte sich fragend um und sah den Mann mit einer Seite Papier winken. Lustlos ließ er die Tür in Frieden und ging hin. „Sie wollen kündigen?“, fragte sein Vorgesetzter in einem Tonfall, als wäre das etwas ganz und gar Ungebührliches und wäre ihm noch nie untergekommen. Dabei hielt er ihm seine Kündigung wie einen Beweis vor die Nase. Waleri bestätigte nur mit einem wortlosen Nicken. „Gibt es denn Probleme? Hat es etwas mit unserer Firma zu tun?“ „Nein. An der Arbeit liegt es nicht.“ „Brauchen Sie vielleicht mehr Zeit für Ihr Sumo-Training?“, hakte sein Chef weiter nach. Er wusste um Waleris eigentliche Ambitionen. Aber trotzdem war er unzufrieden damit, den großen, starken Kerl gehen zu lassen. Denn der leistete wirklich gute Arbeit. Diesem Knochenjob hielten nicht viele sehr lange Stand. „Im Gegenteil. Mein Sumo-Training hat sich erledigt. Ich will zurück nach Russland. Hier habe ich keine Perspektiven mehr.“ „Dann liegt es also am Geld?“ Der ließ aber auch gar nicht locker. Waleri unterdrückte einen gereizten Ton. „Ich möchte zurück nach Hause“, bekräftigte er nochmals. „Meine Rücklagen reichen für die Rückreise, und um dort für einen Monat oder zwei mein Überleben zu sichern, bis ich wieder Fuß gefasst habe. Und das ist mehr als mir hier offen steht.“ Sein Chef nickte. „Es ist Ihnen also wirklich ernst.“ Der Glatzkopf brummte mürrisch. Glaubte der Kerl denn, die Kündigung wäre nur Spaß? Ein April-Scherz? Hosted by Animexx e.V. 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