Land unserer Väter von Futuhiro (Magister Magicae 1) ================================================================================ Kapitel 10: Fremder ------------------- [London, England] „Du hasst Genii. Und dieser Hass sitzt bei dir tiefer. Da steckt mehr dahinter. Ich würde einfach gern verstehen, was es ist. Hat dir mal irgendein Genius was angetan?“, wollte Edd überaus sachlich wissen. Dieses Thema musste doch verdammt nochmal auf erwachsenem Niveau zu klären sein. Ruppert konnte sich nicht ewig wie ein kleines Kind benehmen, wenn er mit Genii zu tun hatte. Der Student hielt nach dem Eingangsschild der Bar Ausschau, die langsam in Sichtweite kam, und überlegte, ob er das jetzt wirklich beantworten musste. Allerdings waren sowohl die Bar als auch die Antwort gleichermaßen wie weggeblasen, als er aus heiterem Himmel angesprungen wurde und sich zwei Arme fest um seinen Bauch schlangen. Ruppert keuchte erschrocken und versuchte der Situation wieder Herr zu werden. „Finalmente! Ti ho trovato!“ [Endlich! Ich habe dich gefunden!], jubelte der schwarzhaarige Junge, der plötzlich an ihm klammerte. „Ti ho cercato per anni.“ [Ich hab dich jahrelang gesucht!] „Ääääh ... wa-was!? ... Was wird das denn jetzt? ... Edd, könntest du mal!?“, stammelte Ruppert hilflos, wagte sich in der Umklammerung des Kindergartenkindes kaum zu bewegen, und hielt die Arme in die Luft, als wolle er den Jungen bloß nicht berühren müssen. „Oh“, war das einzige, was dem Genius dazu einfiel. Statt Ruppert aus dem Griff des Jungen zu befreien, schaute er sich suchend in der Umgebung um. Der musste ja schließlich irgendwo hin gehören. So kleine Kinder rannten für gewöhnlich nicht mutterseelenallein in der Gegend rum. Tatsächlich fand er einige Schritte entfernt auch eine italienische Frau, die genauso schockiert und wie angewurzelt herumstand, eine Hand vor den Mund gelegt hatte, und nur überfordert auf Ruppert und das Kind starren konnte. „Edd! Jetzt tu doch was, Himmel nochmal!“, fluchte Ruppert. Der Genius mit den langen, zurückgebundenen Dreadlocks wandte den Blick wieder auf seinen Schützling und den kleinen, italienischen Jungen, der an ihm hing. „Tja ... also wenn ich raten müsste, würde ich sagen, du hast jetzt einen Genius Intimus“, meinte er, selbst etwas verwundert darüber. „Bitte!? Das da?“ Der Bankers-Sohn hatte immer noch die Arme ablehnend in die Luft erhoben, um mit nichts in Berührung zu kommen. Edd nickte bekräftigend. „Wie alt ist der denn?“ „Jünger als du, das ist sicher. Das erklärt, warum ihr euch nicht eher gefunden habt.“ Die Mutter des Jungen hatte ihre Fassungslosigkeit indess endlich überwunden und kam zögerlich näher. „Ciao, signori“, grüßte sie verunsichert auf Italienisch. „Sie ... ähm ... mein Englisch nicht gut.“, gab sie zu. „Na, wenigstens sprechen Sie überhaupt Englisch! Könnten Sie mal dieses Kind hier weg nehmen?“, maulte der Student aufgekratzt. „Ruppert, benimm dich!“, verlangte Edd, bevor er sich wieder der Italienerin zuwandte und ein freundliches Lächeln aufsetzte. „Hallo. Mein Name ist Edd. Ist das ihr Sohn?“ Francesca nickte, stellte sich ebenfalls vor und entschuldigte sich für das Verhalten ihres Kindes, welches sie an den Schultern von Ruppert weg zog. „Der Kleine ist ein Genius Intimus?“, fasste Edd seine Beobachtungen in Worte. „Ich wusste nicht. Urnue hat etwas gesucht ... darum wir in England ... aber ...“ „Kommen Sie, lassen Sie uns in die Bar dort gehen“, schlug der Genius vor. „Ich schätze, wir haben zu reden.“ „Reden, ja. Reden gut“, murmelte Francesca überfordert und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. Damit, daß ihr Urnue ein gebundener Schutzgeist war, hatte sie zu allerletzt gerechnet. „Edd!“, raunte Ruppert ihm leise zu, in der Hoffnung, ihn noch umzustimmen. „Das KANN nicht mein Schutzgeist sein! Der ist viel zu jung! Wie alt ist der? Fünf?“ Der Greif marschierte forschen Schrittes in die Bar hinein und sah sich um, ohne Ruppert weiter zu beachten. „Hallo!“, rief er laut in den Schankraum. „Gibt es hier irgendjemanden, der Italienisch spricht oder mentale Verbindungen auf der Astralebene sehen kann?“ Einen Moment herrschte Stille in der gesamten Bar. Ruppert rollte mit den Augen. „Du bist peinlich, Edd“, maulte er, unangenehm berührt davon, daß alle Blicke auf ihnen lagen. Nach einigen Sekunden meldete sich doch noch ein Mann am hintersten Tisch. „Hier, ich. Silberne Fäden sehe ich zwar nicht, aber als Elementar-Magier kenne ich ein paar andere Testverfahren, um sowas nachzuweisen.“ Es klingelte fünfmal in der Leitung, sechsmal. Francesca überlegte schon fast, wieder aufzulegen, weil wohl offensichtlich keiner da war. Dann wurde der Hörer wider Erwarten doch noch abgehoben. Zunächst meldete sich erstmal nur markerschütterndes Kindergebrüll und ein restlos entnervtes „Marilsa, nimm deine Finger aus dem Essen! Du sollst nicht ... Antreo, jetzt hilf deiner Schwester doch endlich mal!“, das in den Raum gerufen wurde. Dann ein hinnehmendes Seufzen. Endlich verschwand das hohle Echo aus der Leitung, als der Hörer ans Ohr genommen wurde. „Familie D´Agou, hallo?“ „Hallo, Giovann, ich bin´s“, grüßte Francesca geknickt. „Schatz!“, machte er überrascht. „Wo bist du gerade? Ich hab noch gar nicht- Kinder, jetzt seid doch mal etwas leiser! Papa versteht sein eigenes Wort nicht!“, rief er ins Zimmer. Tatsächlich nahm der Krach im Hintergrund daraufhin auch kurz ab. Unter normalen Umständen hätte Francesca darüber gelacht. Aber ihr war gerade überhaupt nicht nach Lachen zu Mute. „London“, würgte sie nur erstickt hervor. „Schatz, weinst du!? Ist was passiert?“ „Urnue ist ...“ „Was! Was ist mit ihm!?“, hakte ihr Mann erschrocken nach, als sie nicht weitersprach. Sie schluckte schwer. „Er hat einen Schützling. Urnue ist ein gebundener Schutzgeist.“ Einen Moment herrschte Schweigen in der Leitung. „Oooookaaay!?“, brachte Giovann irgendwann gedehnt hervor. „Den hat er also die ganze Zeit gesucht, immer wenn er in den Norden wollte?“ „Der Schützling ist schon 23. Seine magische Begabung ist schon vor 12 Jahren erwacht, lange bevor Urnue überhaupt geboren war.“ „Das ist ungewöhnlich.“ Francesca musste sich wieder einem kurzen Heulkrampf hingeben, bevor sie weiterreden konnte. „Ich ... ich bin gerade im Haus der Familie. Das sind Banker, soweit ich das verstanden habe. Jedenfalls haben sie eine große Villa. Ich darf hier mit Urnue erstmal im Gästezimmer wohnen, bis wir alles geregelt haben. ... Aber ... Aber ...“ „Francesca, Liebling“, redete er sanft dazwischen, um sie zu beruhigen. Sie schniefte. „Der Vater des Schützlings sagt, ich kann ein Jahr hier bleiben. Oder bis Urnue halt genug Englisch kann, um sich hier selber zu verständigen.“ Giovann schnappte nach Luft. „Wie bitte? Du kannst kein ganzes Jahr weg bleiben!“ „Das weiß ich selber!“, heulte sie aufgewühlt ins Telefon. Sie schrie fast. „Aber wenn ich wieder nach Hause komme, dann komme ich ohne Urnue wieder! VERSTEHST du das!?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)