Land unserer Väter von Futuhiro (Magister Magicae 1) ================================================================================ Kapitel 14: Sturkopf -------------------- [London, England] „Ruppert, kann ich dich was fragen?“ „Nein“, entschied der, ohne aus seinem Lehrbuch aufzusehen. Er büffelte gerade für eine Prüfung und gedachte sich nicht stören zu lassen. Urnue ließ nicht locker. „Ich hab ein Problem mit meinen Hausaufgaben. Kannst du mir das nochmal erklären?“ „Komm, verpiss dich, du kleiner Wichser!“, maulte der Student. Edd, der Gameboy spielend auf dem Sofa lag, zog missbilligend die Augenbrauen zusammen. „Ruppert, so solltest du nicht mit ihm reden.“ „Wieso? Er nervt!“ „Er ist ein Kind, Herrgott nochmal!“ „Kein Grund, ihm Narrenfreiheit zu lassen“, entschied Ruppert. „Du kannst nicht erwarten, dass er dich mit seinem Leben verteidigt, wenn du ihn so behandelst!“ „Wie du schon sagst: Er ist bloß ein Kind. Also kann er mich so oder so nicht retten.“ „Er wird nicht ewig ein Kind bleiben!“ Ruppert brummt nur. „Du solltest Urnue zur Schule gehen lassen.“ „Wozu?“ „Er unterliegt der Schulpflicht, Ruppert!“ „Ich unterliege auch der Schulpflicht!“ „Du bist Student!“ „Er hat ‘nen Privatlehrer, der zu uns ins Haus kommt! Das reicht! Ich setz mich wegen ihm bestimmt nicht in die 1. Klasse einer Grundschule! Und jetzt lass mich endlich für meine Prüfung lernen, Edd!“ Der Greifen-Genius mit den langen Dreadlocks zog ein uneinsichtiges Gesicht und verschränkte die Arme. „In einer Schule wäre Urnue zumindest mal unter Gleichaltrigen! Ich bin sicher, das würde seiner Entwicklung sehr guttun.“ Ruppert winkte derb ab, womit er das Gespräch unmissverständlich für beendet erklärte. Seufzend stand Edd vom Sofa auf, legte dem kleinen, italienischen Jungen einen Arm um die Schultern und zog ihn mit sich aus dem Zimmer. „Komm schon, zeig mir mal deine Hausaufgaben“, bot er Urnue an. „Ich erkläre sie dir.“ Urnue standen Wuttränen in den Augen, während er mit dem Bodyguard durch den Flur und die Treppen hinauf ins Obergeschoss ging. „Ruppert hasst mich.“ „Ach, das liegt nicht an dir“, versuchte Edd ihn zu beruhigen und strich ihm tröstend über die Wuschelhaare. „Ruppert kann ALLE Genii nicht ausstehen. Ich wüsste auch gern, warum. Ich habe es noch nicht herausgefunden. Aber irgendwann erfahren wir es schon noch, ganz bestimmt.“ „Aber wie kann ich Ruppert denn umstimmen? Nicht mal, wenn ich fleißig lerne und meine Hausaufgaben mache, ist er stolz auf mich.“ Edd strich ihm abermals durch die Haare. „Lern immer fleißig weiter. Irgendwann wird er stolz auf dich sein.“ Wahrscheinlich war das eine Lüge, gestand er sich ein. Aber was sollte er diesem 6-jährigen Kind schon sagen? „Hilfst du mir?“ „Ja.“ Langsam schlich sich wieder ein Lächeln auf Urnues Züge. „Ich bin froh, dass du da bist. Und ich hab Angst, dass du weggehen musst.“ Edd schmunzelte warm. „Ich geh so schnell nirgendwo hin. Du bist noch viel zu jung und noch nicht stark genug, um als Rupperts Schutzgeist alleine auf ihn aufzupassen. Die Behörden werden nicht zulassen, dass du mit ihm alleingelassen wirst. Es wird noch sehr lange Zeit jemand bei euch bleiben müssen, der euch beide unterstützt.“ Das schien den Jungen zumindest ein bisschen zu erleichtern. „Ich vermisse meine sorella“, wechselte er geknickt das Thema. „Ich weiß“, gab Edd nur mitfühlend zurück. Aber machen konnte er nichts. Urnue würde seine Schwester so bald nicht wiedersehen, egal wie man es drehte und wendete. Ruppert hatte deutlich gemacht, dass er nicht „grundlos“ nach Italien fahren würde. Schon gar nicht, um seinem kleinen Schutzgeist einen Gefallen zu tun. Urnues Mutter Francesca war ebenfalls vor einigen Tagen abgereist und endgültig nach Italien zu ihrer Familie zurückgekehrt, nachdem sie zuvor einige Monate zwischen London und Verona gependelt war. Sicher würde Urnue auch sie bald vermissen. Die nächste Zeit würde für den Jungen nicht leicht werden. Und da halfen ihm Rupperts Feindseligkeiten nicht gerade weiter. Edd hatte mit Urnue seit einer guten halben Stunde Rechnen geübt, als Ruppert von unten nach ihm rief. Wie immer hatte der Hellseher einen Nachdruck in der Stimme, der keine Verzögerung duldete. Edd unterdrückte ein Seufzen und klopfte stattdessen Urnue neben sich auf die Schulter. „Du schlägst dich gut. Ich denke, das reicht erstmal. Mach Schluss für heute, okay? Du hörst ja, ich muss runter zu Ruppert.“ Urnue nickte wortlos. Der Greif ließ ihn in seinem Zimmer sitzen und beeilte sich, die Treppe hinunter und ins Wohnzimmer zu kommen. Ruppert hatte inzwischen einen Laptop vor sich aufgebaut und das Handy in der Hand. „Hier bin ich. Was ist denn los?“, wollte Edd wissen. Ruppert winkte ihn zu sich herum, damit er mit auf den Bildschirm schauen sollte. „Wir fliegen nach Peru“, stellte er dabei ernst klar. Das war eine Tatsache, eine beschlossene Sache. Daran gab es nichts mehr zu rütteln. Das hörte man an seinem Tonfall deutlich. Auf dem Laptop war eine Zeichnung eines Schmuckstücks abgebildet. Es sah aus wie eine Bleistift-Skizze aus einer archäologischen Aufzeichnung. Das Objekt bestand aus fünf länglichen Metallplatten, die oben und unten mit jeweils einer Schnur aneinander gefädelt worden waren und auf diese Weise eine hautenge Halskette ergaben. Zwischen die Platten waren kleine Perlen als Abstandhalter mit eingefädelt. Auf jeder Platte waren Edelsteine eingearbeitet und komplexe Muster eingraviert, die Edd sofort als magisch erkannte. Aus irgendeinem Grund wusste Edd, dass Ruppert gerade mit irgendjemandem wegen dieser Kette telefoniert hatte. „Nach Peru?“, war das einzige, was er in diesem Moment über die Lippen brachte. „Mich hat gerade ein Kunde angerufen. Er will diese Kette hier haben. Leider ist sie nicht mehr in einem Stück. Er hat nur eine der Platten, die restlichen vier Teile sind über die halbe Welt verstreut. Ich soll die fünf Bruchstücke wieder zusammentragen und die Kette wieder komplettieren.“ „Gehst du jetzt unter die Antiquitäten-Händler?“, konnte sich Edd nicht verkneifen. „Der Kunde zahlt gut dafür“, meinte Ruppert schulterzuckend. „Und es bedarf eines Hellsehers, um die Bruchstücke zu finden. Es ist nicht genau bekannt, wo die alle hin sind. Wir werden suchen müssen.“ „Das gefällt mir nicht“, gestand der Greif und fuhr sich mit der Hand über die nach hinten gebundenen Deadlocks, um zu kontrollieren, ob die alle noch an Ort und Stelle saßen. Das tat er oft ganz unterbewusst und vor allem dann, wenn er etwas unbehaglich fand. Ruppert warf ihm einen bösen Blick von der Seite zu. „Es ist mir egal, ob dir das gefällt. Bereite dich auf die Reise vor“, trug er Edd im Befehlston auf. „Sieh nach, ob dein Reisepass noch gültig ist, und überlege, was wir für eine längere Reise alles brauchen. Wir werden nicht in 14 Tagen zurück sein. Anfang nächster Woche schreibe ich meine Prüfung an der Uni, danach fliegen wir sofort los.“ „Hast du denn eine Ahnung, was es mit dieser Kette auf sich hat? Die ist eindeutig magischer Natur. Wer weiß, wozu sie mal gedacht war, wenn sie vollständig ist.“ „Edd ...“ „Ist dein Kunde ein Magier?“ „Weiß ich nicht.“ „Solltest du aber!“ Der Greif beugte sich näher an den Bildschirm heran, um die Muster auf den einzelnen Platten zu studieren. „Diese Kette bezieht alle fünf Elemente mit ein, die man in Asien üblicherweise kennt. Das ist ein kompletter, geschlossener Energiekreis. Wenn ich raten müsste, würde ich annehmen, dass diese Kette ihrem Besitzer eine Menge Macht verleihen soll. Insbesondere magische Kräfte, die er ohne diese Kette nicht hätte. Wie alt ist sie, Ruppert? Aus welcher Zeitepoche stammt sie? Und aus welcher Kultur?“ „Edd!“, unterbrach der Student ihn genervt. „Such deinen verdammten Reisepass!“ Der Genius richtete sich wieder in eine gerade Haltung auf und verschränkte die Arme. Er hasste es, wenn Ruppert die offensichtlichsten Probleme und Gefahren ignorierte. Der Student war da echt beratungsresistent. Um so schlimmer, da sie den 6-jährigen Urnue würden mitschleppen müssen. Edd beschloss, mit Rupperts Vater darüber zu reden. Auf seinen Vater hörte Ruppert noch eher als auf einen Genius. „Schön, ich bereite die Reise vor. Aber versprich mir, über dieses Ding noch ein paar Erkundigungen einzuziehen, bevor wir losfliegen!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)