Land unserer Väter von Futuhiro (Magister Magicae 1) ================================================================================ Kapitel 18: Gauner ------------------ [Moskau, Russland] Yarupolk prügelte Waleri eine Rechts-Links-Kombination in den Leib. Obwohl die Schläge gesessen hatten, blieb eine adäquate Reaktion aus. Yarupolk stöhnte genervt. „Komm schon, was ist los mit dir? Warum kämpfst du nicht vernünftig?“ „Was meinst du?“, maulte Waleri nicht minder genervt zurück. „Du hast keine Deckung. Und austeilen tust du auch nicht. Du stehst einfach nur rum und lässt dich verkloppen. Warum bist du schon seit Wochen so unkonzentriert?“ „Bin ich das? Tut mir leid.“ Der Bergtroll-Genius ließ die Fäuste sinken und brach den Trainingskampf ab. „Was hast du? Rede mit mir.“ Waleri fuhr sich mit dem Box-Handschuh über den Nasenrücken, um Zeit zum Finden passender Worte zu gewinnen. „Ich bin zurzeit frustriert von meinem Leben. Seit Mischka seine Freundin hat und so schwer verliebt ist, stecke ich echt in der Misere.“ „Weil du für ihn nicht mehr an erster Stelle stehst?“ „Nein, ach, das wäre meine geringste Sorge“, befand er. „Es ist, weil er am laufenden Band mit ihr rumvögelt. Ich bin mental mit Mischka verbunden. Ich spüre diese Triebe, die dabei in ihm toben, durchaus auch. Aber im Gegensatz zu Mischka kann ich ihnen nicht nachgehen. Und leider kann ich mich nicht komplett von ihm abschotten. Wenn ich ihnen nicht dabei zugucken will, muss ich ja wenigstens auf der geistigen Ebene aufpassen, dass nichts passiert.“ Yarupolk grinste anzüglich. „Du brauchst ein Mädchen, Kumpel.“ „Und woher?“, grummelte Waleri unwillig. „Mischka wird mich wohl kaum in einen Puff begleiten, wenn er selber in festen Händen ist.“ Yarupolk überlegte einen Moment hin und her. „Lass uns morgen nochmal drüber reden, wenn ich wieder meine Lieferung in deinem Keller einlagere.“ Als Yarupolk am nächsten Tag vorbeikam, hatte Waleri das Gespräch längst wieder vergessen. Daher schaute er erstmal reichlich dumm, als sein Boxer-Kollege zum ersten Mal in Begleitung erschien. Wie immer hatte er einen rundherum zugeklebten Pappkarton bei sich, den er in Waleris Keller deponieren wollte. Er war nicht größer als ein Postpaket. Waleri hatte ihn nie gefragt, was in den Kartons eigentlich drin war. Er wollte es gar nicht wissen. Wenn Yarupolk ein paar Tage später nochmal auftauchte und sein Paket wieder abholte, war Waleri schon zufrieden. Heute bekam Yarupolk sein Paket allerdings von einer mürrisch dreinschauenden, junge Dame hinterhergetragen. Waleri zog gerade eine frisch gewaschene, noch nasse Jacke aus der Waschmaschine im Keller, als Yarupolk sich zu ihm gesellte. „Hey“, grüßte der Sport-Kollege ihn verwundert. „Musst du jetzt schon das Waschweib für Mischkas Familie spielen? Sind die inzwischen so sauer, dass du nicht arbeiten gehst, dass sie dir den Haushalt aufs Auge gedrückt haben?“ „Nein. Es ist bloß ne gute Ausrede, um in den Keller zu verschwinden und dich zu treffen, ohne dass es jemand mitbekommt. Und Mischka ist oben mit seinem Mädchen alleine in der Wohnung“, brummte Waleri missgestimmt. Er klatschte die Jacke in den Wäschekorb und räumte die Waschmaschine weiter aus. „Du hast schlechte Laune“, bemerkte Yarupolk. Er grinste dabei leicht, als wolle er Waleri aufziehen. „Du kannst dir sicher denken, was die beiden da oben machen. Sie wollen ihre Ruhe vor mir, um ungestört ... du weißt schon.“ Er schauderte, als er genau in diesem Moment eine Welle der Erregung von Mischka abbekam. Ja, er spürte sehr genau, was Mischka da oben gerade machte. Und er hasste es. Sauer versuchte er, die mentale Verbindung zu seinem Schützling weiter zu dämpfen, und konzentrierte sich stärker auf die nasse Wäsche, um sich davon abzulenken. Yarupolk feixte. „Dann ist mein Timing ja super. Ich hab dir was mitgebracht.“ Er packte seine Begleiterin grob am Oberarm und schob sie Waleri hin. Sie trug einen Minirock, ein tief ausgeschnittenes Oberteil mit Leoparden-Muster und im Gesicht jede Menge Schminke. Ihre langen, dunkelbraunen Haare waren zu langen Korkenzieher-Locken gedreht. Der Appell ans Stammhirn funktionierte, wie Waleri bei ihrem Anblick sofort schmerzlich bemerkte. Seine Hand fuhr unbewusst zu seinem Bauch und er unterdrückte ein Stöhnen. Er versuchte, seine Selbstbeherrschung zu wahren. „Wer ist sie denn?“, wollte er gequält wissen. „Marischka, eine Bekannte von mir.“ Der Bergtroll-Genius legte ihr einen seiner mächtigen Arme um den Hals und zog sie zu sich heran. Sie machte dabei kein sehr glückliches Gesicht, sagte aber nichts. „Sie ist eine illegale Einwanderin“, fuhr Yarupolk fort. „Und sie weiß, was wir hier in Russland mit illegalen Einwanderern machen. Also wird sie fein artig sein und nichts sagen. Sie weiß, was ihr sonst blüht.“ „Yarupolk, das ist ...“ „Nimm sie ruhig. Sie gehört dir.“ „Yarupolk!“ „Viel Spaß!“, grinste der Kerl, nahm Marischka das Paket aus den Händen, dann wandte er sich zum Gehen. Er ließ Waleri und das Mädchen allein im Waschkeller stehen und zog die Tür von außen zu. Waleri stöhnte auf, als sein Schützling Mischka ihm eine neuerliche Welle der ungezügelten Lust schickte, die er oben in der Wohnung gerade mit seiner Jelena auslebte. Waleri war zwar durchaus in der Lage, sich von dem silbernen Band zwischen sich und Mischka bis zu einem gewissen Grad abzuschotten und sich abzulenken. Aber gerade die Urinstinkte waren leider am schwersten zu ignorieren. Was für ein elendes Timing ... Waleri saß auf einem Stuhl und starrte Löcher in die Luft. Sein Blick war völlig leer. Er hatte sich die linke Hand unter den rechten Ellenbogen geklemmt, so dass sein Unterarm vor seinem Bauch lag als hätte er Magenschmerzen. Mit Zeige-, Mittel- und Ringfinger der anderen Hand fummelte er an seinen Lippen darum, kurz davor ins Fingernägelkauen umzuschlagen. „Waleri! Antworte verdammt nochmal!“, schrie Mischka ihn an und donnerte lautstark die flache Hand auf die Tischplatte, was seinen Genius Intimus tatsächlich zusammenzucken ließ. „Was hast du getan!?“ Waleri holte tief Luft. „Das gleiche wie du, wenn ich mich nicht irre.“ „Ich habe kein Mädchen vergewaltigt!“ „Ich auch nicht. Sie hat sich nicht gewehrt.“ „Und du denkst, das ist Beweis genug!?“, schrie Mischka weiter. Waleri schaute kurz auf seine Fingernägel, wie um sicher zu gehen, dass er sie tatsächlich nicht abgekaut hatte, und ließ die Hand schließlich kraftlos in seinen Schoß fallen. Sein Blick richtete sich auf den blonden Jungen und wurde dabei düster. „Falls es dir entgangen ist: wir sind da oben drin miteinander verdrahtet!“, rief er Mischka in bösem Tonfall in Erinnerung, wobei er sich vielsagend gegen den Schädel tippte. „Jedes Mal, wenn du auf deiner Jelena liegst und ich nicht aufpasse, spüre ich das, als wäre ich es selber. Ich bin genauso ein Mann wie du, Kumpel! Ich will nicht sagen, dass du mich zu solchen Maßnahmen wie vorhin im Keller gezwungen hast, aber ...“ Waleri überlegte kurz. Dann winkte er ab. „Doch, genau das will ich eigentlich damit sagen.“ „Gibst du jetzt ernsthaft mir die Schuld!? Soll ich vielleicht im Zölibat leben, nur weil ich einen Schutzgeist habe?“ „Nein! Aber du könntest etwas mehr Rücksicht darauf nehmen, dass du einen hast! Du bist nicht alleine auf der Welt!“, polterte Waleri zurück. Auch seine Stimme wurde langsam deutlich lauter. „Was willst du von mir!? Such dir doch selber eine Tussi! Kann ich etwa was dafür, dass du keine Frauen abkriegst!?“ „Jetzt wirst du ungerecht! Vergiss nicht, dass ich mein gesamtes Leben dir unterordne und rund um die Uhr für dich da bin! Dafür könntest du ruhig etwas dankbarer sein!“ „Dankbar!? Du hast eine Frau vergewaltigt und schiebst es jetzt mir in die Schuhe!“ „Ich hab sie nicht ...!!!“ Die Tür ging auf und Inessa kam mit befremdetem Blick herein. „Wouw! Wouw! Euch hört man ja bis ins Treppenhaus. Ich hätte nie gedacht, dass ihr zwei euch auch mal streiten könnt“, merkte sie an und stellte ihre Tasche säuberlich in die Ecke. „Ich habe euch bisher immer nur unzertrennlich erlebt. Was ist denn passiert?“ „Nicht so wichtig“, nörgelte Mischka, schob sich an ihr vorbei und verließ das Zimmer. Er war gereizt wegen der Unterbrechung, wollte seinen momentanen Ärger aber auch nicht vor seiner Schwester ausbreiten. Inessa schaute Waleri an, der am Tisch sitzen blieb und dem Jungen mit verbissenem, fast hasserfüllten Blick hinterher funkelte. Sie beschloss, lieber nicht weiter nachzuhaken. Die beiden Kerle würden das schon unter sich zu klären wissen. Der Genius durchbohrte mit seinem finsteren Blick noch einen Moment lang die Tür, bevor er die Fingerknöchel wieder an seine Lippen hob und erneut in dumpfes Brüten verfiel. Er war schlagartig stinksauer. Er war sauer auf Mischkas Egoismus. Er war sauer, dass Yarupolk ihm dieses Mädchen angeboten hatte. Und er war sauer auf sich selbst, ehrlich zu Mischka gewesen zu sein. Er konnte ja schwerlich leugnen, dass er sich mit einem Mädchen vergnügt hatte. Das hatte Mischka über ihre mentale Verbindung genauso deutlich gespürt wie er selber Mischkas Aktivitäten mit seiner Jelena gespürt hatte. Aber er hätte einfach sagen sollen, er wäre mit ihr verabredet gewesen und alles sei im gegenseitigen Einvernehmen von statten gegangen. Das hätte vermutlich viel Ärger verhindert. Zum Glück wusste Mischka nur von diesem Mädchen, und nicht von allem, was er und Yarupolk sonst noch so trieben. An diesem Abend stand Waleri im Bad und begutachtete im Spiegel unmotiviert seine Miene mit dem Bart aus Rasierschaum. Seinen Kopf hatte er schon kahlrasiert, jetzt war noch das Gesicht dran. Aber ihm war inzwischen die Lust vergangen. Er hatte so einen Hass auf Mischka und auf sich selbst. Er hatte mit seinem Schützling den ganzen Tag kein Wort mehr gesprochen. Die immerzu brodelnde Wut, die sie beide aufeinander hatten, und die sie über ihre mentale Verbindung wechselseitig sehr lebhaft zu spüren bekamen, war anfangs mal eine ganz nette Abwechslung gewesen, zumal es Waleris Grundstimmung ohnehin gut abbildete. Aber jetzt, nach etlichen Stunden des Grolls, ermüdete und zermürbte es ihn nur noch. Er schaute auf das Rasiermesser in seiner Hand. Versuchte, sich dazu durchzuringen, es sich endlich auf die Wange zu setzen und seine Rasur zu beenden. Er konnte ja nicht die ganze Nacht hier im Bad vor dem Spiegel stehen bleiben. ... Aber stattdessen drückte er die Klinge auf seinen linken Unterarm und zog sie langsam über die Haut. Sofort schoss Blut darunter hervor. Mischka riss keine Sekunde später die Tür auf und kam hereingestürzt. „Waleri! Was machst du!?“, keuchte er gehetzt. Er hatte es über die geistige Brücke zu Waleri mitbekommen, hatte es noch zu verhindern versucht, war aber zu spät. „Nein! Tu doch sowas nicht!“, bat er wehleidig. Er schnappte das linke Handgelenk seines Schutzgeistes, damit der seinen Arm nicht wegzog, und presste die flache Hand auf die Schnittwunde, um die Blutung zu stoppen. Dann atmete er tief durch. Versuchte, sich wieder zu beruhigen. Waleri ließ ihn gewähren und ließ nur wortlos das Rasiermesser ins Waschbecken fallen. Sein Gesicht blieb dennoch eine versteinerte Maske. Mischka hob vorsichtig den Blick und schaute ihn verunsichert an. Er wusste, dass er nicht ganz unschuldig daran war. „Waleri, warum machst du das?“, fragte er leise nach, womit er klar die Verletzung auf dem Arm meinte. Seine stundenlange Wut auf den Genius war wie weggeblasen. Jetzt waren da nur noch Sorge und ein unterschwelliges, schlechtes Gewissen. Als Waleri nicht antwortete, angelte Mischka nach einer Handvoll Toilettenpapier, um das anstelle seiner bloßen Hand auf die Schnittwunde zu drücken. Der Schnitt war nicht tief, nur ein oberflächlicher Ritzer, der schon fast wieder aufgehört hatte zu bluten. Aber trotzdem schockierte er Mischka. „Es tut mir leid, Waleri“, fand der Junge kleinlaut. „Komm schon, wir finden einen anderen Weg. Bitte mach sowas nicht. Tu dir selber nichts an. Das würde ich mir nicht verzeihen.“ „Ich hasse dich ...“ „Ich weiß.“ „Ich hasse dich!“ „Ja doch“, seufzte Mischka und konzentrierte sich weiter auf den Schnitt an Waleris Unterarm. „Ich hasse dich“, meinte Waleri noch ein drittes Mal. Ruhig und beherrscht, aber dennoch mit einer unterschwelligen Wut versehen. „Ist ja gut. Was willst du denn von mir hören?“, entgegnete der matt. „Keine Ahnung“, gab der Genius missmutig zu. Er zog seinen Arm aus Mischkas Griff und kümmerte sich selbst um seine Blessur. „Ich streite ja nicht ab, dass das moralisch nicht ganz einwandfrei war, was ich heute gemacht habe. Aber ich bin einfach so stinksauer, dass du nicht verstehst, warum ich das gemacht habe.“ „Ich versteh schon, warum du das gemacht hast“, erwiderte der Junge ernst. „Mir fällt nur keine schnelle Lösung dafür ein. Soll ich dir jedes Mal eine Prostituierte herbestellen, wenn ich mit Jelena schlafe? Willst du das?“ Waleri schnaufte nur, enthielt sich aber einer Antwort. Darüber musste er selber erstmal in Ruhe nachdenken. Kommentarlos fischte er sein Rasiermesser aus dem Waschbecken, wusch es unter dem Wasserhahn sauber und setzte seine Rasur fort. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)