Land unserer Väter von Futuhiro (Magister Magicae 1) ================================================================================ Kapitel 22: Fragensteller ------------------------- [Moskau, Russland] „Also. Wie kommen wir in den Kreml rein?“, wollte Ruppert wissen, während Edd und Mischka ihren Krempel zusammensuchten, um den Tisch zu wechseln. „Wie meinst du das? An der Besucher-Schranke anstellen und warten, bis wir dran sind, schätze ich mal“, entgegnete Waleri. „Ich dachte an einen etwas weniger auffälligen Weg. Mein Genius Intimus und ich, wir können beide auf die Astralebene wechseln.“ Waleri runzelte die Stirn. „Und weiter?“, hakte er gespannt nach. „Frag doch nicht so naiv! Du weißt genau, was ich meine. Über die Astralebene sollte doch wohl ein Reinkommen sein. Ohne lästige Einlasskontrollen mit Namenslisten. Und ohne Aufpasser an der Backe zu haben, oder?“ „Und du meinst, die Regierungs-Elite des Landes hätte diesen Fall nicht bedacht und keine Vorkehrungen dagegen getroffen?“ „Doch, natürlich haben sie das! Wenn ich das nicht meinen würde, hätte ich dich doch nicht gefragt, wie wir da reinkommen!“, raunzte Ruppert ihn ungeduldig an. „Also Mischka und ich können jedenfalls nicht auf die Astralebene wechseln. Bei diesem Einbruch-Versuch sind wir euch keine Hilfe“, klärte Waleri den Engländer auf. „Wir brechen doch nicht ein. Wir sehen uns nur um.“ „Dann seid ihr Spione. Und Mischka hat euch ja gerade gesagt, was wir hier mit Spionen machen. In diesem Fall würde ich euch übrigens bitten, zu vergessen, dass ihr uns jemals begegnet seid. Da will ich nicht mit reingezogen werden.“ „Elender Feigling. Ich dachte, du wirst uns helfen! Kannst du nicht mal dein Gehirn ein bisschen anstrengen und eine Lösung für mich finden? Ihr müsst ja nicht mit reinkommen. Ich will bloß die nötigen Infos.“ Mischka ließ sich zwei Tische weiter auf einem beliebigen Stuhl nieder. „Ich hab nachgedacht“, begann er. Der Greif mit den langen Dreadlocks kicherte. „Das ist ja grundsätzlich schon mal gut.“ „Stimmt es, dass man totale Kontrolle über jemanden erlangen kann, wenn man seinen wahren Namen kennt?“ „Ja.“ „Kannst du mir das beibringen?“ „Was!? Wozu?“, wollte Edd erschüttert wissen. Seine Belustigung war sofort verpufft. „Nur so. Das klingt nach einer nützlichen Fähigkeit. Gerade, wenn ich später mal als Polizist arbeiten will.“ Edd sah ihn weiter skeptisch an. In der Gegenwart eines Greifen konnte man nicht lügen. Er ging also nicht davon aus, dass Mischka komplett gelogen hatte. Aber die ganze Wahrheit war das sicher auch nicht gewesen. „Die meisten Halunken machen dir die größten Probleme, BEVOR du ihre kompletten, wahren Namen kennst. Und mal davon abgesehen, ist das auch ziemlich hohe Schule. So weit bist du noch nicht.“ „Ist Edd dein richtiger Name?“, wollte Mischka dreist wissen. Edd schüttelte den Kopf. „Nein, natürlich nicht. ‚Edd‘ ist nur ein Code-Name. Die Kurzform von ‚Edelig‘, meinem Arbeitgeber. Mit meinem richtigen Namen hat die Abkürzung ‚Edd‘ nicht das geringste gemein.“ „Ist Ruppert Edelig sein richtiger Name?“ „Bedauerlicherweise ja“, seufzte der Greif unglücklich. „Ruppert hält nicht viel davon, seinen Namen vor anderen Magiern geheim zu halten. Er fühlt sich leider völlig sicher und unantastbar. Das macht uns Schutzgeistern die Arbeit nicht gerade einfacher. Ist ‚Waleri‘ etwa der echte Name deines Genius?“, hakte Edd nach. „Ja, ist er.“ „Schlecht. Dann solltest du deinem Genius gelegentlich einen Code-Namen geben und ihn Fremden gegenüber nur noch mit diesem Code-Namen vorstellen. Bei Magiern sind Code-Namen nicht ganz so wichtig, aber bei ihren Schutzgeistern unbedingt. Es ist besser, wenn möglichst wenige Leute den wahren Namen deines Schutzgeistes kennen. Sonst kann man ihn ziemlich schnell außer Gefecht setzen und dich dann ungehindert angreifen, oder noch schlimmer, deinen Schutzgeist gegen dich lenken. Der Vorname alleine ist zwar noch nicht ganz so schlimm wie den vollständigen Namen zu kennen, aber es kann trotzdem unangenehm werden. ... Das ist eigentlich das erste, was man lernt, wenn sich herausstellt, dass man magisch begabt ist, und einen Genius Intimus bekommt“, fügte der Greif ein wenig besorgt an. „Tja. Mir wurde aber leider verboten, irgendwas zu lernen, was mit Magie zu tun hat. Es gibt sehr viel, was ich noch nicht weiß“, kommentierte Mischka. „Ich dachte, wenigstens Waleri hätte dir ein bisschen was beigebracht. Du bringst ihn doch unnötig in Gefahr, wenn du so ahnungslos durch die Welt gehst.“ Der Junge schüttelte mit gesenktem Blick den Kopf. „Von Bann-Magie, oder davon, einen Schützling zu haben, hat er keine Ahnung.“ „Hat Waleri denn keine Ausbildung? Ich meine, irgendwas, was ihn auf seine Aufgabe als Genius Intimus vorbereitet hätte?“ „Nein. Er war schon über 30, als er zu mir gekommen ist. Er hat ja gar nicht damit gerechnet, jemals einen Schützling zu bekommen, deshalb hat er sich mit dem Thema nie beschäftigt. Und meine Eltern haben es ihm auch nicht gerade leichtgemacht, seiner Aufgabe gerecht zu werden.“ Mischka zog eine Schnute. „Und er beherrscht ja selber keine Magie, abgesehen von seinem Zeitpuffer-Talent.“ Edd musterte aufmerksam die Mimik des Jungen. „Bist du enttäuscht oder frustriert von deinem Schutzgeist?“, fragte er ruhig weiter. Mischka sackte erschüttert gegen seine Stuhllehne. „Gott, nein! Waleri ist mir furchtbar wichtig!“, stellte er vehement klar. „Ist Waleri frustriert von dir?“ „Ich denke nicht. ... Naja, zeitweise war er´s mal. Aber wir haben gemeinsam eine Lösung gefunden. Wieso fragst du mich das?“ „Ich versuche nur zu analysieren, was in euch beiden vorgeht“, meinte der Greifen-Genius ehrlich. „Damit ich euch besser helfen kann.“ „Waleri ist ein guter Kerl. Wirklich. Er tut was er kann. Und dadurch, dass er so viel älter ist als ich, hat er mir viel Lebenserfahrung voraus, mit der er mir so gut wie möglich zu helfen versucht. Aber was Magie angeht, ist er halt genauso überfordert wie ich. Wir versuchen einfach nur zu überleben, bis ich volljährig bin. Danach können meine Eltern mir ja nicht mehr verbieten, die Magie vernünftig zu erlernen.“ Edd blies die Wangen zu Ballons auf und ließ die Luft dann langsam wieder entweichen. Er war tatsächlich etwas ratlos. „Ihr seid ein komisches Gespann.“ Der Junge feixte frech. „Noch komischer als ihr?“ „Ruppert und Urnue sind ein ... schwieriges Thema“, gab Edd nickend zu. „Ich schätze, Ruppert ist ein schwieriges Thema.“ Er warf einen etwas miesepetrigen Blick zum Nachbartisch hinüber. Rupperts Körpersprache hatte sich subtil verändert, seit er mit Waleri allein da drüben saß. „Ich mag es nicht, wie er mit Waleri redet. Vielleicht liegt es auch an seinen unausgefeilten Russisch-Kenntnissen, aber er klingt gegenüber Waleri irgendwie immer ein bisschen abfällig. Mit mir redet er allerdings nicht so.“ Der Greif nickte wieder, sagte aber nichts dazu. „Ich habe mit Waleri darüber gesprochen. Er will diese Treffen mit euch trotzdem fortsetzen und euch weiter helfen, damit ich weiter von dir Bann-Magie lernen kann. Er sagt, er hält das aus. Aber ganz glücklich bin ich damit nicht. Vielleicht könntest du mal mit Ruppert darüber reden.“ „Glaub mir, darüber rede ich schon seit 10 Jahren mit ihm“, seufzte Edd. „Dann ist er also nicht nur zu Waleri so?“ Als Mischka wieder keine Antwort bekam, gingen ihm hundert Lichter auf. „Mit dir und Urnue geht er genauso um, oder?“ Der Greifen-Genius rutschte auf seinem Stuhl demonstrativ in eine andere Position. „Was soll ich dir heute beibringen?“, wollte er betont offenherzig wissen. Widerwillig ließ Mischka sich auf den Themenwechsel ein und sammelte seine Gedanken. Er hatte tatsächlich eine Frage für seinen Mentor vorbereitet. „Na schön. Kann man mit Bann-Magie Wunden heilen?“ Edd überlegte. „Hmmmm~ nein“, entschied er. „Bann-Magie ist keine Heil-Magie. Du kannst vielleicht die Haut oberflächlich versiegeln, wie mit einem Druckverband. Aber die darunterliegenden Verletzungen und die inneren Blutungen behebst du damit nicht. Jedenfalls wüsste ich aus der Kalten nicht, wie man das anfangen sollte. Und falls es doch ginge, dann würde es wohl richtig schwierig und aufwändig sein.“ Er grübelte noch einen Moment über dem Thema. „Das ist eine ziemlich ungewöhnliche Idee, die du da hattest. Gibt es einen Grund, warum du das wissen willst?“ Der Nachwuchs-Magier wich Edds Blick aus. „Schon. Aber ich kann dir das nicht erklären. Wahrscheinlich ist es lächerlich.“ „Erzähl doch mal. Ich versuche, nicht zu lachen.“ Mischka griff nach seinem Glas Wasser, das er zwischenzeitlich vom Wirt dieser Spielunke hingestellt bekommen hatte, und nahm erstmal einen tiefen Zug daraus. „Also ... ich hatte letzte Nacht einen ziemlich beunruhigenden Traum. Ich getraue mich gar nicht, ihn bis ins Detail wiederzugeben.“ „Ist darin jemand verletzt worden?“ „Waleri“, bestätigte Mischka gedrückt. „Ich habe geträumt, dass wir beide überfallen worden sind. Mich hatten sie zuerst. Sie haben mir ein Messer an den Hals gehalten. Waleri hat sich widerstandslos gefangen nehmen lassen, weil er annehmen musste, dass sie mir was antun, wenn er sich wehrt. Aber sie haben ihm einfach ... obwohl er sich überhaupt nicht gewehrt hat ...“ Der Junge stockte schaudernd, als er sich erinnerte. „Sie haben ihm einfach einen Dolch durch den Körper getrieben. So richtig langsam und genüsslich. Zentimeter für Zentimeter, diagonal durch den Oberkörper. Vorn am Bauch rein ... und hinten zwischen den Schulterblättern kam er wieder raus. ... Einfach so, ohne Grund. Dann sind sie weitergegangen und haben uns dort zurückgelassen, als wäre nichts passiert.“ Mischka nagte auf seiner Unterlippe. „Das Schlimmste war: Ich konnte Waleri nicht helfen. Weder mit meiner Magie, noch sonst irgendwie. Er ist mir unter den Händen weggestorben.“ „Das ist bitter“, kommentierte Edd beklemmt. Wo nahm so ein junges Gehirn bloß solche grausamen Fantasien her? „Aber es war ja zum Glück nur ein Traum.“ „Mh. Das hat Waleri auch gesagt.“ „Hast du ihm denn davon erzählt?“ „Ja. ... Aber er ...“ Mischka schluckte, die Augen noch immer auf die Tischplatte geheftet, um Edds Blick auszuweichen. „Naja, er hat sich nicht direkt darüber lustig gemacht. Aber ernst genommen hat er es auch nicht.“ „Ich denke, es ist erstmal ein gutes Zeichen, wenn sich dein Unterbewusstsein so um deinen Schutzgeist sorgt und du Angst um ihn hast und ihn nicht verlieren willst. Das zeigt, wie nahe ihr euch steht, schätze ich. Aber mehr als das solltest du in diesen Traum vielleicht wirklich nicht hineininterpretieren.“ Mischka schüttelte unmerklich den Kopf. „Ich muss stärker werden“, entschied er. „Ich muss Waleri helfen können, wenn irgendwas ist.“ Edd lächelte mild. „Du bist ein guter Junge“, kam er nicht umhin anzumerken. „Ich mach dir einen Vorschlag. Ich kann dir zwar nicht beibringen, Wunden zu heilen. Aber ich kann dir beibringen, Waleri mit magischen Schutzschilden zu decken, damit er gar nicht erst verletzt wird, okay?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)