Zeitlose Augenblicke von Yuugii (Yami/Yuugi/Anzu) ================================================================================ Kapitel 1: Das schönste Lachen der Welt --------------------------------------- „Yuugi?“, entgegnete der Geist dem Jungen, der motiviert vor seinem großen Spiegel stand und sich seine Kleidung noch ein letztes Mal zurecht rückte. Er drehte seinen Kopf zur Seite, betrachtete das durchsichtige Gesicht des Geistes und lächelte, fragte ihn, was er wollte. Yuugi hatte erneut ein Date zwischen seinem anderen Ich und seiner besten Freundin Anzu veranlasst und immer wieder hatte der Geist, welcher ein Pharao aus alten Zeiten war, angedeutet, dass ihm bei dieser Sache mulmig zumute war. Ein Stück weit konnte Yuugi seinen Freund verstehen, jedoch musste er zugeben, dass er einen festen Entschluss gefasst hatte. Seine Freunde waren ihm wichtig und er tat alles, was in seiner Macht stand, damit sie alle glücklich sein konnten. Anzu war seine beste Freundin und dies seit dem Kindergarten. Anzu unterstützte ihn. Auch wenn die Brünette nicht viel mit seiner Passion für Spiele anfangen konnte und oftmals gereizt reagierte, dass dieser lieber über die neuesten Spiele und Karten auf dem Markt sprach, als Interesse an ihr und ihren Hobbys zu zeigen, war sie immer da und kam stets zu ihm zurück. Sie hatten nicht viel gemeinsam. Anzu wollte Tänzerin werden. Sie schwärmte für die kitschigen Fernsehsendungen und liebte es unter die Leute zu kommen. Wilde Partys und eine lange Nächte gehörten zu den Dingen, die sie besonders gern hatte. Neue Bekanntschaften zu schließen und mit anderen Menschen zu reden und ihre Sichtweisen kennenzulernen und zu verstehen, machte ihr großen Spaß. Sie war ein offener Mensch und hatte stets ein offenes Ohr für ihre Freunde. Auch wenn sie Yuugis Leidenschaft nicht teilte, unterstützte sie ihn dennoch. Allein dafür war er dankbar. Yuugi erinnerte sich an ihre Vergangenheit. Schon im Kindergarten war er lieber allein. Mit den anderen Kindern wurde er nicht richtig warm. Während die anderen Jungs und Mädchen im Sandkasten tollten oder Fangen spielten, stand er allein am Rand und sah ihnen zu. Er traute sich nicht, auf sie zuzugehen und mit ihnen zu spielen. Er fürchtete zu sehr, abgelehnt zu werden oder schlechte Erfahrungen zu machen. Also war er für sich allein und beschäftigte sich mit Spielen. Mit seinem Gameboy und dem neuesten Mario Spiel von Nintendo konnte er sich gut selbst beschäftigen. Eines Tages kam ein junges Mädchen neu dazu. Sie hatte einen stark ausgeprägten Charakter. Jeder mochte sie. Ihr Lachen war ansteckend. Sie hatte kein Problem damit, neue Freundschaften zu schließen und schon bald wurde sie zur Anführerin ihrer bunten Truppe. Auch beim gemeinsamen Üben von Hiragana und Katakana stach sie hervor und war nicht nur vorlaut und frech, sondern auch ziemlich intelligent. Die anderen Kinder sahen zu ihr hoch und sie war immer umringt von lachenden Gesichtern. Doch eines gefiel ihr nicht. Ein Junge saß immer allein und zeigte kein Interesse an den anderen. Also hatte sie ihn angesprochen und auch wenn es Yuugi erst ziemlich unangenehm war, dass sie ihn immer wieder ansprach, wurde er mit jedem Wort, das er mit ihr wechselte, immer offener. Als er ihr sagte, dass sein Vater selten nach Hause kam, weil er beruflich viel umherreiste, hatte sie aufgehört zu lächeln und wirkte ebenso bedrückt. „Bei mir ist es ähnlich“, meinte sie dann und verschränkte ihre Arme. „Immer Arbeit, Arbeit und noch mehr Arbeit. Ich sehe ihn fast gar nicht mehr.“ „Unsere Väter machen uns nur Ärger“, sagte Yuugi mit einem kleinen Lächeln. Sie beide lachten und lästerten über ihre fiesen Eltern, die lieber Zeit mit ihren erwachsenen Kollegen verbrachten, als sich zu Hause blicken zu lassen und für ihre Familie da zu sein. Da sie in dieser Hinsicht ähnliches durchmachten, fühlten sie sich etwas mehr verbunden. Geteiltes Leid war nun mal halbes Leid. Dann erzählte Yuugi ihr von dem Spielladen seines Großvaters und zeigte ihr seinen Gameboy. Stutzig betrachtete sie das kleine Gerät und hielt es in ihren Händen. Als er ihr erklärte, welche Tasten sie drücken musste, hörte sie aufmerksam zu und folgte seinen Anweisungen. Yuugi war so unheimlich froh, dass er endlich jemanden gefunden hatte, der seine Leidenschaft teilte und ihm zuhörte. Doch dann wurde sie wütend und warf das Teil zornig auf den Boden. Obwohl sie sich so sehr bemühte, konnte sie das Level nicht abschließen. Ohne Schwierigkeiten tat Yuugi das, was ihr so schwerfiel und als eine fröhliche Musik ertönte, die seinen Sieg verkündete, sank ihre Laune auf einmal noch mehr. Mit Leichtigkeit hatte er das geschafft, was ihr verwehrt blieb. „Ich bring dir morgen ein anderes Spiel mit, Anzu. Eines, das ganz einfach ist!“, sagte er lachend und sie nickte stumm, während sie immer noch ihre Backen aufgeblasen hatte und die beleidigte Leberwurst spielte. Dann riss sie ihm das Gerät aus der Hand, schaltete es ab und legte es zur Seite, fasste seine Hand und zog ihn zu den anderen Kindern. Yuugi war es äußerst unangenehm, dass sie ihn ohne zu fragen, zu den anderen Kindern brachte, mit denen er bisher kaum ein Wort gewechselt hatte. Trotzdem war er ihr irgendwie dankbar dafür. Ohne sie hätte er nie den Mut gefunden, mit den anderen zu sprechen. Sie zog ihn in ihre bunte, fröhliche Welt. Sie lachte so schön und verbreitete überall, wo sie hinging, gute Laune. Deshalb mochte Yuugi sie gern und er war froh, dass dieses tolle, mutige Mädchen auch auf ihn aufpasste. Wenn die anderen Kinder gemein zu Yuugi waren, weil er aus Nervosität stotterte und keinen ganzen Satz herausbrach, ging sie dazwischen und ermahnte die anderen. Sie war immer da und beschützte ihn. Ein bisschen wie eine große Schwester, die er nie gehabt hatte. Doch als sie dann in die Primärschule kamen, sahen sie sich seltener. Anzu lernte viele neue Menschen kennen. Als Mädchen blieb sie häufiger unter den Mädchen. Wie es in dem Alter so war, blieben die Jungs unter sich und plötzlich war es irgendwie peinlich, mit Mädchen abzuhängen. Dann wurden lustige Parolen gerufen und Lieder gesungen und alle zeigten mit dem Finger auf einen. Yuugi hielt sich zurück und betrachtete das brünette Mädchen, das sonst von sich aus zu ihm kam, aus der Ferne. Er hörte ihr Lachen, aber es galt nicht mehr ihm. Er war enttäuscht. Traurig darüber, dass er ausgetauscht wurde. Ja, er fühlte sich von ihr verraten. Im Gegensatz zu ihm hatte sie viele neue Freunde gefunden, doch er war immer noch allein und traute sich nicht, die anderen Jungs anzusprechen. Ihr Kontakt wurde schleichend weniger. Nachmittags wenn sie sich auf dem Heimweg befanden, wechselten sie ein paar Worte. Doch meist erzählte die Brünette dann nur von den anderen Mädchen. Sie fragte nicht nach ihm und er erzählte auch nichts mehr von sich, sondern hörte ihr immer nur aufmerksam zu. „Und dann hat sie gesagt, dass Miyamoto-sensei sie auf den Kieker habe“, sagte sie dann und fuchtelte mit den Händen umher. „Ist das nicht die Sportlehrerin der Mädchen?“, fragte Yuugi unsicher nach. „Genau! Außerdem hat sie mir unterstellt, ich würde mich bei ihr einschleimen und deshalb gute Noten kriegen. Aber ohne Fleiß, kein Preis! Nicht wahr?“ „Da hast du recht. Wenn man etwas wirklich will, muss man dafür etwas tun“, entgegnete Yuugi ihr und fragte sich, warum er selbst das, was ihm hier über die Lippen kam, nicht in die Tat umsetzen konnte. „Yuugi, hör mal... ich mache mir wirklich Sorgen um dich. Die Jungs aus der 6c schubsen dich immer herum und du wehrst dich nicht einmal. Ich kann nicht immer zur Stelle sein, also musst du mal den Mund aufmachen und ihnen sagen, dass du das nicht willst.“ Plötzlich wechselte sie das Thema und legte ihren Kopf schief, versuchte dem Jungen, der zwei Köpfe kleiner war als sie, ins Gesicht zu sehen. Yuugi errötete. Anzu hatte also etwas mitbekommen. Mist. Jetzt musste er sich sicher anhören, dass er sich „männlicher“ verhalten musste und seine „Brust aufplustern“ sollte, weil das „echte Männer“ nun einmal so machten. Selbst sein Vater nahm seine Probleme nicht ernst. Yuugi hatte entschlossen, dass er diese fiesen Typen einfach ignorieren würde. Bald käme ja die Mittelschule und solange würde er ihre Hänseleien schon noch durchhalten. Dann würde es besser werden. Anzu legte eine Hand auf seine Schulter und blieb stehen. Ihr Weg trennte sich in nur wenigen Metern. „Halt durch und lass dich nicht von diesen Idioten veräppeln. Du bist so, wie du bist, toll. Ich kenne keinen Jungen, der so aufmerksam zuhören kann wie du“, sagte sie mit einem breiten Grinsen. „Ja, ich schaffe das schon irgendwie“, meinte er kleinlaut und wagte es immer noch nicht, sie anzusehen. „Wir sehen uns Morgen wieder!“, sagte sie freudig. Yuugi nahm seinen Mut zusammen. „Wollen wir heute Nachmittag nicht zusammen Hausaufgaben machen?“, fragte er dann und wurde puterrot. „Oh, ich muss heute zum Ballett. Morgen vielleicht“, waren ihre Worte und Yuugi lächelte. „Dann viel Spaß dabei“, meinte er nur, ließ sich die Enttäuschung nicht ansehen und sie gingen erneut getrennte Wege. Am nächsten Tag hatte sie wieder keine Zeit. Ihre Mutter brauchte ihre Hilfe beim Putzen und irgendwann hatte Yuugi auch nicht mehr gefragt. Aus Angst er würde wieder eine Absage bekommen. Während der Mittelschule war sie nicht mehr in Japan. Ihr Vater arbeitete in einer Firma, die von ihm verlangte, monatelang seine Heimat zu verlassen und so kam es, dass Anzu – das Mädchen mit dem schönen Lachen – aus seinem Leben verschwand und der Kontakt zwischen ihnen abbrach. Drei Jahre hatte er sie nicht mehr gesehen. Immer mehr hatte sich das Gefühl in ihm breit gemacht, wertlos zu sein und nicht in diese Gesellschaft zu passen, während er sich davon zu überzeugen versuchte, dass es vollkommen in Ordnung war, dass er allein war. „Ich spiele ja sowieso lieber allein“, sagte er sich dann und nickte sich zustimmend zu, wissend, dass er sich selbst belog. Selbst sein Großvater machte sich Sorgen und fragte täglich, wie es ihm in der Schule ergangen war und er antwortete immer mit denselben Worten: „Es war okay.“ Die liebe, schöne, lachende Anzu war nicht mehr hier. Er war vollkommen auf sich allein gestellt. Die Jungs lachten über ihn. Für einen Mittelschüler war er viel zu klein. Und er begann, die Schule zu hassen und sich immer mehr zurückzuziehen. Seine Klassenkameraden zeigten mit dem Finger auf ihn, tuschelten hinter seinem Rücken und egal, wie offen und ehrlich auf die anderen zuging, er fand einfach keinen Anschluss. Sie lachten über seine Körpergröße und nannten ihn den „laufenden Zwerg“ oder verglichen ihn mit einem Oni Dämon aus dem Buddhismus. Dann riefen sie ihm „Abura Sumashi kommt! Lauft weg!“ hinterher und lachend gingen sie ihm aus dem Weg. Die Verzweiflung und die Trauer darüber, nirgendwo hinzugehören, machte ihm sehr zu schaffen. Es war so dumm von ihm, zu glauben, dass Anzu immer da sein würde, um ihn zu beschützen. Außerdem war er ein Mann. Es war seine Aufgabe sie zu beschützen. Er musste stark, männlich und mutig sein. All diese Eigenschaften hatte er nicht. Viel zu oft redete er sich selbst runter. Er hatte kein Selbstwertgefühl und noch viel weniger Selbstvertrauen. Yuugi konnte nicht sagen, wann genau es passierte, aber irgendwann hatte er begonnen, sich selbst kleinzureden. Er sagte nichts, von dem er sich nicht sicher sein konnte, andere zu verärgern. Lieber er hielt sich zurück, als dass er in Kauf nahm, jemand anderes zu verletzen oder erneut Ziel von Schikanen zu werden. Er zog sich zurück und wurde zum stillen Beobachter. Doch war schon okay so. Das machte ihm nichts aus. Unsichtbar zu sein hatte durchaus seine Vorteile. In der Oberschule hatte er nur einen Wunsch: Einen Freund finden, der ihn nie verriet und den er selbst niemals verraten würde. Dass Anzu wortlos aus seinem Leben gegangen war und nicht mehr auf ihn zukam, hatte ihn verletzt. Einige Monate nachdem das neue Schuljahr begonnen hatte, wurde die Tür geöffnet und der Lehrer kündigte eine neue Mitschülerin an. Eine junge Frau mit kurzen brünetten Haaren kam hinein. Ihre blauen Augen strahlten Überzeugung aus. Ihr Lächeln richtete sich an alle und sie griff nach der Kreide und schrieb ihren Namen in gut lesbaren Schriftzeichen auf die Tafel, drehte sich grinsend um und sprach laut, ohne Angst, das aus, was sie zu sagen hatte. „Mein Name ist Mazaki Anzu, 15 Jahre alt! Seit einem Monat bin ich zurück in Japan. Mein Vater hat lange Zeit im Ausland gearbeitet, aber jetzt wurde er zurückversetzt und ich bin endlich zurück in meiner Heimat. Tut gut, wieder japanische Luft zu atmen!“, lachte sie und verneigte sich leicht. Ihr kurzes Haar fiel nach vorne. Yuugi erkannte sofort ihr Lachen. Sein Herz wurde schneller. Sie war zurück. Zurück in Japan und in seinem Leben. »Das ändert aber nichts daran, dass wir keine Freunde mehr sind«, dachte er und vermied es sie anzusehen und warf einen Blick aus dem Fenster, um Desinteresse vorzutäuschen. Trotzdem hatte er die Hoffnung, dass es wieder wie früher sein würde. Dass sie auf ihn zukam und ihn fragte, wie es ihm ging. Dass sie wissen wollte, wie es ihm ergangen war und was er am Nachmittag vorhatte. Das war albern und kindisch. Yuugi hasste sich selbst dafür, so viel von ihr zu verlangen und fragte sich, warum er nur diesen Hoffnungsschimmer in sich bewahrte, wo er doch genau wusste, dass das einfach nur eine kindische Träumerei war. Wie erwartet sprachen sie die ersten Monate kaum miteinander. Anzu war äußerst beliebt. Mit ihren großartigen Englischkenntnissen überzeugte sie die anderen Schüler und auch die Lehrer. Ihr Englisch war Akzentfrei. Jedes Wort kam flüssig über ihre Lippen und man hätte meinen können, dass diese Sprache ihre Muttersprache war. Sie schrieb sich in einen Tanzklub ein. Nach der Schule traf sie sich dann mit den anderen Klubmitgliedern und die Jungs pfiffen ihr regelmäßig hinterher. Anzu war so beliebt in ihrer Klasse – nein im ganzen Jahrgang sogar – dass sie zur Klassensprecherin gewählt wurde und auch bei dem Schülerrat dabei war. Sie war viel unterwegs und sprach mit jedem. Nur Yuugi hatte das Gefühl, dass sie kein Interesse an ihm hatte. Er verübelte es ihr auch nicht. »Ich bin ja auch total langweilig und niemand möchte von meinen Spielen hören. Ich will sie nicht belästigen. Besser ich warte darauf, dass sie auf mich zukommt«, sagte er sich dann und wiederholte diese Worte wie ein Mantra. Zwei andere Jungen in seiner Klasse machten sich regelmäßig über ihn lustig, nahmen seine Sachen und warfen sie umher. Honda und Jounouchi hatten keinen guten Ruf. Keiner mochte sie. Vor allem Jounouchi wurde von den anderen gemieden. Er war arm und nicht sonderlich klug. Sein blondes Haar identifizierte ihn als Raufbold und selbst die Lehrer schimpften über seinen wilden Stil. Doch er hörte nicht und irgendwann interessierte es keinen mehr, was er tat. Im Unterricht überforderten ihn die einfachsten Aufgaben und immer wieder stellte der Lehrer ihn bloß, sodass alle über ihn und seine Dummheit lachten. Yuugi aber lachte nicht über ihn. Er fand es unfair, wie die Klassengemeinschaft und auch die Lehrer ihn behandelten, doch er ging auch nicht dazwischen und blieb als stummer Beobachter in der hinteren Reihe. Yuugi war sich sicher, dass Jounouchi sich nur so schlecht benahm, weil er beachtet werden wollte. Er kämpfte um Aufmerksamkeit. Und doch war er frustriert, weil die anderen in ihrer Klasse über ihn lachten. Irgendwie konnte Yuugi weder Honda noch Jounouchi böse sein. Genau genommen waren sie alle Außenseiter, die nicht wirklich in die Klasse passten. Yuugi hatte das Gefühl, dass er sich gut mit den beiden verstehen würde, wenn sie sich aufeinander einließen. Aber auch das war auch nur ein naiver Wunschtraum. Und dann ärgerte er sich wieder über sich selbst, weil er so dachte und gerne mit den anderen befreundet gewesen wäre und er genau wusste, dass er sich selbst dabei im Weg stand. Yuugi war introvertiert, unsicher und schüchtern. Und er war kleiner als die anderen. Mit seinen 1,53m waren selbst die Mädchen größer als er. Kein Wunder, dass ihn keiner ernst nahm. Yuugi war unsichtbar in seiner Klasse. „Hey, Yuugi! Willst du beim Basketball mitmachen?!“, fragte einer der Jungen, als der Gong zur Pause klingelte. Yuugi hob den Blick und betrachtete den Jungen unsicher. Meinte er wirklich ihn? Dumme Frage eigentlich, es gab ja nur einen Yuugi in der Klasse. Er schüttelte leicht den Kopf. „Ach nein, mein Team verliert doch eh“, sagte er und senkte erneut den Blick. Nicht nur das. Bei der Teamaufstellung würde er nur wieder als letztes gewählt werden und dann würden sich die beiden Kapitäne der Mannschaften darum streiten, wer denn nun Yuugi nehmen müsste. Sein Angebot war nett gemeint und Yuugi fand es ja auch schön, dass man ihn in diese Klassenaktivitäten miteinbeziehen wollte, doch er wusste auch, dass sie ihn nicht wirklich dabei haben wollten, sondern ihn nur aus Höflichkeit fragten. Vermutlich hatte die Klassensprecherin darum gebeten, dass man auch die Außenseiter der Klasse – also Yuugi, Jounouchi und Honda – mehr in diese Aktivitäten miteinbezog und sie nicht ausschloss. Anzu war nett und zuvorkommend und strebte ein harmonisches Miteinander an. Wahrscheinlich hatte er auch nur wegen ihr gefragt. Der Junge verließ den Raum, so auch alle anderen. Niemand blieb zurück und so war Yuugi wieder allein. Er zog seinen kostbarsten Schatz aus seiner Tasche. Ein goldenes Kästchen mit goldenen Puzzleteilen. Sein Großvater hatte es ihm zum achten Geburtstag übergeben und hatte ihm gesagt, dass er es niemals fertigstellen könnte, weil es verflucht wäre. Das hatte Yuugis Ehrgeiz geweckt. Immerhin bemühte er sich acht Jahre um dieses verfluchte Ding, von dem er fest überzeugt war, dass es ihm einen Wunsch erfüllen würde. Wie sein Puzzle wohl aussehen würde, wenn es fertig war? Vorsichtig öffnete er die Schatulle, doch plötzlich wurde es ihm aus der Hand gerissen. Honda und Jounouchi, die nicht beim Basketball mitspielten, waren zurückgekommen und hatten sich dazu entschieden, die Zeit auf andere Weise totzuschlagen. Verzweifelt versuchte Yuugi seinen Schatz zurück zu bekommen, doch die beiden Jungs gackerten nur und amüsierten sich köstlich. Honda brauchte die Schatulle nur hoch in die Luft zu halten, um ihn daran zu hindern, es zurückzuerobern. Yuugi war so klein, dass er einfach nicht drankam. „Yuugi, du bist wie ein Mädchen!“, lachte Jounouchi und Honda warf ihm das Kästchen zu. Locker hielt er es in der Hand, warf es hoch und runter. „Schwuchteln wie du kotzen mich an! Hör gut zu, ich zeig dir, wie man ein Mann wird!“, sagte er dann und kam auf den Kleineren zu. Yuugi empfand ihn ziemlich einschüchternd und wusste nicht, was er tun sollte. Dass man ihn beleidigte, war ihm ziemlich egal, immerhin wurde er seit der Mittelschule ausgegrenzt und ausgelacht. „Du willst die Kiste doch wiederhaben, oder? Dann komm her!“, rief er auf und schlug sich mit der flachen Hand auf die Brust, forderte Yuugi zum Kampf heraus, während er die Schatulle hoch in der Luft hielt. „Ich hasse Streit und Gewalt!“, kam es dann ungehalten von Yuugi und er verfluchte seine eigene Schwäche. Zurückhaltend hob er eine Hand und bat darum, dass Jounouchi ihm seine Kiste zurückgab. Honda lehnte sich zu ihm und machte ihm klar, dass er auf diese Weise nichts erreichen würde. Neugierig öffnete Jounouchi die Kiste, um zu sehen, was sich in ihr befand. Er drehte sich von den beiden weg, dann nahm er die Kiste und warf sie Honda entgegen, betitelte sie als „öde“. Doch ehe Honda das goldene Kästchen fangen konnte, ging eine weitere Person dazwischen. „Wenn dich das anödet, gib es ihm wieder!“, kam ihre fordernde und mahnende Stimme, die den Raum erfüllte. Sofort wurden die beiden Jungs ruhiger und riefen dann erschrocken ihren Namen aus. „Mazaki!“, sagten sie synchron und sprinteten aus dem Raum. Sie war beliebt. Stark. Mutig. Keiner legte sich mit ihr an. Sich mit ihr anzulegen, bedeutete automatisch, sich gegen die gesamte Klasse zu stellen und weder Jounouchi noch Honda hatten vor, Teil einer Massenprügelei zu werden. Anzu stöhnte genervt, fluchte dann über die beiden und warf noch einen letzten Blick über die Schulter, um ihnen klarzumachen, dass sie bloß abhauen und nicht wiederkommen sollten. Yuugis Herz hüpfte. Mit großen Augen starrte er seine Retterin an. Diese drehte sich zu ihm um und ihre bis eben erzürnte Mimik veränderte sich. Sie war wieder ruhig und nett. Sie zeigte Interesse an ihm und blieb bei Yuugi, fragte ihn nach seinem kostbaren Schatz und was sich in dieser Kiste befand. Yuugi erklärte, dass das Puzzle einen Wunsch erfüllen würde, doch er weigerte sich, ihr zu erzählen, was er sich mehr als alles andere wünschte. Es war das erste Mal seit Langem, dass sie wieder für ihn da war. Als er meinte, dass das Puzzle ein Erbstück wäre, hielt sie inne. Sie schien erschrocken. Als hätte sie ein Pfeil mitten ins Herz getroffen. Für einen Moment glaubte Yuugi so etwas wie Schuld in ihren Augen zu sehen. Sie ermutigte ihn dazu, an seinen Wunsch festzuhalten und weiter seinen Weg zu gehen. Es tat ihm unheimlich gut, nach so langer Zeit mit jemanden reden zu können und plötzlich nahm er es ihr gar nicht mehr übel, dass sie so lange weg war. All die Jahre waren nichts gewesen. Sie war immer noch so nett und zuvorkommend. Ihr Lachen war immer noch so warm und schön. Ab diesem Zeitpunkt verbrachten sie wieder mehr Zeit miteinander und auch Honda und Jounouchi wurden seine Freunde. Zwischendurch, so musste er sich selbst eingestehen, hatte er selbst für sie geschwärmt. Immerhin kannte er nicht viele Frauen und keine war ihm so vertraut wie Anzu. Sie war immer da gewesen und schien die einzige zu sein, die Interesse an ihm hatte. Sie war ein bisschen wie die große Schwester, die er nie hatte. Er sah zu ihr hoch, weil sie all das war, was er gerne sein wollte. Doch Anzu hatte ziemlich deutlich gezeigt, dass sie nur freundschaftliche Gefühle für ihn hegte. Für sie war es keine Liebe und weil Yuugi das so deutlich spürte, wollte er sie nicht mit seinen Gefühlen belasten. Außerdem wusste er, dass sie einen starken Mann brauchte. Jemand, der sie beschützte und weil Yuugi sich dieser Aufgabe nicht gewachsen sah, hatte er das akzeptiert. Oder es lag an seinem Minderwertigkeitskomplex und seiner Macke sich stets selbst runterzureden. Selbst sein Anderes Ich wusste nicht alles von ihm und so verschwieg er ihm, wie oft er sich wünschte, genauso sein zu können wie er. Anzus Worte und ihr Verhalten gegenüber seinem Anderen Ich – dem Pharao ohne Namen, den jeder einfach nur „Yuugi“ nannte – waren mehr als nur deutlich zu verstehen. Selbst Yuugi hatte erkannt, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte. Auch wenn es ihn anfangs verletzt hatte, dass sie lieber mit ihm Zeit verbrachte als mit dem echten Yuugi, schätzte er sie so sehr, dass er ihr Lachen bewahren wollte. Sie hatte so viel für ihn getan und hatte ihn immer unterstützt. Jetzt war er an der Reihe, zu beweisen, wie sehr er sie schätzte und wenn er ihr damit helfen konnte, indem er ihr die Möglichkeit gab, sein Anderes Ich zu treffen, dann wäre er der letzte, der dem im Wege stand. Dass Anzu ihn mochte, war immerhin für jeden ersichtlich. Die sonst so vorlaute und mutige Anzu wurde auf einmal kleinlaut und zeigte mit ihrer Körpersprache Unsicherheit. Plötzlich verplapperte sie sich und wandte verlegen den Kopf weg, traute sich nicht, ihm direkt in die Augen zu sehen. Yuugi hatte ihr Verhalten durchschaut. Immerhin hatte er sie eine Zeit lang genauso angesehen. Sein Anderes Ich schien jedoch nichts zu merken. Vielleicht bemerkte er es ja doch und wollte es nur nicht wahrhaben und distanzierte sich absichtlich? Mehrmals hatte er sich schweigend zurückgezogen und blockte dann auch Yuugi ab. Manchmal hatte sein Anderes Ich Momente, wo er einfach nur allein sein wollte und niedergeschlagen war. Dann war er so sehr mit sich selbst und seinen Gedanken beschäftigt, dass er niemanden bei sich haben wollte. Seit dem Battle City Turnier hat er sich verändert, dachte er und wunderte sich, warum der sonst so stolze und unnahbare Pharao so viel von seinen wahren Gefühlen durchsickern ließ. Er zeigte ungern, was er wirklich fühlte, denn dafür war er zu stolz. Er wollte nicht, dass irgendjemand seine Schwächen oder gar Zweifel sah. Doch im Moment war er neben der Spur. Abgelenkt von seinen eigenen Gedanken und er schaffte es nicht, sich auf etwas zu konzentrieren. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich und dann zog er sich wortlos in seinen Seelenraum zurück und schloss die Tür. Dann wollte er wirklich niemanden sehen. Nicht einmal Yuugi. Auch wenn sie sich einen Körper teilten, wollte Yuugi ihn nicht bedrängen. Er verstand, dass er eine Auszeit brauchte und dass er ein Recht darauf hatte, sich ungestört zurückzuziehen. Immer wieder schloss sein Anderes Ich ihn aus und lächelte immer weniger. Er war betrübt. Niedergeschmettert. Die Erkenntnis, dass all das, was er hier erlebte, nicht für immer war, schmerzte ihn sehr und belastete ihn. Yuugi ging es ähnlich. Die Vorstellung, ihn zu verlieren, bereitete ihm Angst. Er konnte sich ein Leben ohne diesem Mann nicht mehr vorstellen. Er war mutig, stets gefasst und sagte immer das, was er wirklich dachte. Er nahm kein Blatt vor den Mund und trotzte selbst jemanden wie Kaiba und bot ihm die Stirn. Dafür bewunderte Yuugi ihn sehr. Umso wichtiger war es ihm, dass er sich nicht noch mehr zurückzog. Anzu hat es schon einmal geschafft, ihn wieder aufzuheitern. Ihr Lachen ist ansteckend und ich bin mir sicher, dass es ihm wieder besser geht, wenn er mehr Zeit mit ihr verbringt, dachte er und warf einen weiteren prüfenden Blick auf seine Accessoires und die schwarze Hose. Der Pharao schien wenig begeistert zu sein. Auch heute war einer dieser Tage, wo er mit niemanden reden wollte und sich einfach nur zurückziehen wollte. Doch Yuugi wollte das nicht zulassen. Sein Anderes Ich war zwar immer stark, doch auch er hatte gewisse Schwächen, die er niemanden zeigen wollte. Krampfhaft bemühte er sich darum, das Bild des mutigen Kriegers zu bewahren und selbst seine eigenen Freunde und vor allem Yuugi täuschte er. Nun, Yuugi hatte es erkannt und spürte, dass vieles mehr Schein als Sein war. „Ich weiß nicht, ob das in Ordnung ist, Aibou. Am Ende wird es sie nur noch mehr verletzen, wenn ich euch verlassen muss“, seufzte er und setzte sich, trotz fehlender körperlicher Substanz, auf das Bett. Trüb blickte er zu Boden und schaffte es nicht, seinen Partner anzusehen. Yuugi erkannt sofort, dass ihn diese Sache sehr beschäftigte. Aber Anzu liebte ihn. Sie hatte es niemals laut ausgesprochen, aber er kannte sie einfach zu gut und zu lange, um die Zeichen nicht zu verstehen. Anzu war vermutlich die einzige, die sein trauerndes Herz aufmuntern konnte. Vielleicht gerade weil sie ihn so sehr mochte und sich intensiver mit ihm befasst hatte, als jeder andere. Außerdem wusste er selbst wie schön und ansteckend ihr Lachen war. Endlich ließ er vom Spiegel ab und näherte sich dem Pharao, legte ermutigend eine Hand auf seine Schulter. „So kenne ich dich gar nicht!“, grinste er und setzte weiter an. „Du bist doch sonst so selbstbewusst, oder nicht? Anzu ist ein großartiger Mensch und ich lasse nicht zu, dass du sie verletzt. Sie mag dich und das weißt du. Ich bin mir sicher, dass es dir guttun wird, mit ihr zu reden und einfach mal alles zu vergessen. Wir können nicht immer aufeinander hocken und müssen auch mal mit anderen Leuten reden.“ „Gerade weil ich das weiß, bin ich mir nicht sicher, ob das hier richtig ist!“ Seine Stimme zitterte leicht. „Du solltest einmal vergessen, was später sein wird und den Moment genießen.“ „Wie könnte ich das verdrängen, Yuugi? Du verlangst zu viel von mir.“ „Das einzige, was ich von dir verlange, ist, glücklich zu sein. Wir wissen nicht, wann du uns verlassen musst und genau deshalb müssen wir die Zeit vollkommen ausnutzen. Anzu ist sich bewusst, was geschehen wird, daher möchte sie die verbleibende Zeit mit dir verbringen. Sie will für dich da sein. Auch ich möchte, dass die wenige Zeit, die wir noch miteinander haben unvergesslich ist. Willst du wirklich nur noch still in deinem Kämmerchen sitzen und darauf warten, dass alles vorbei ist?“ Yuugi lächelte erneut, setzte sich neben den Geist und blickte ihn ermutigend an. Es dauerte eine Weile, bis der Pharao antwortete. „Du hast Recht, Yuugi... ich möchte sie nicht verletzen und ich habe genug davon, deprimiert zu sein. Deshalb gehe ich.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)