Schwarz-Weiße Weihnacht von Maginisha ================================================================================ Kapitel 6: 6.Dezember --------------------- Omi atmete tief durch. In Gedanken überprüfte er noch einmal alle Dinge, die er für seine Expedition vorbereitet hatte. An der Tür stand sein Rucksack. Darin waren warme Wechselsachen für einige Tage, ein Schlafsack, seine Zahnbürste, mehrere Notfallrationen, Handschuhe, Schal und Mütze. Immerhin würde es vermutlich ziemlich kalt werden. Daneben standen seine Schuhe, die dicken Winterstiefel natürlich. Er selbst war bereits entsprechend gekleidet und trug einen dicken Strickpullover und eine lange Hose, darunter warme Thermo-Unterwäsche und ein zusätzliches Paar Socken. Nichts durfte dem Zufall überlassen werden. Jede Kleinigkeit, die er übersah auf seiner Reise zum kältesten Punkt der Welt, konnte seinen Tod bedeuten. Er musste auf alles vorbereitet sein. Die Recherche, die er dazu zum Thema Polar-Expeditionen durchgeführt hatte, war wirklich aufschlussreich gewesen. Sonst hätte er wohl kaum eine Salbe gegen Frostbeulen oder Sonnencreme mitzunehmen. Wer fuhr an den Nordpol und dachte dabei an Sonnencreme? An einen Erste-Hilfe-Koffer hatte er natürlich gedacht. Er war zwar kein Experte, aber dass er den brauchen würde, daran bestand kein Zweifel.   Er warf noch einen letzten Blick die Treppe hinunter. Ja, es war alles für einen schnellen Aufbruch vorbereitet. Jetzt galt es, die gefährliche Reise endlich anzutreten. „Auch der weiteste Weg beginnt mit dem ersten Schritt“, sagte er zu sich selbst, straffte die Schultern und trat in den Flur. Mit einigen schnellen Schritten war er am ersten Punkt seiner bevorstehenden Reise angekommen. Mit großen, blauen Augen sah er zu Ayas Zimmertür hinauf. Er wusste, dass Aya dort drinnen war. Omi hatte den ganzen Morgen seine Schritte verfolgt, damit auch keine ungeplante Abweichung seinen Plan stören würde. Heute war es soweit. Heute würde er ihm beichten, dass er den Pullover weggegeben hatte. Und dann würde er rennen. Sehr schnell rennen und sich für mehrere Tage irgendwo in einem leeren Lagerhaus oder so verstecken, bis Ayas schrecklicher Zorn verraucht war und er nicht mehr in Gefahr schwebte, von seinem Katana durchbohrt zu werden.   Er holte tief Luft, hob die Hand und...klopfte ins Leere. Amethystfarbene Augen musterte ihn streng. „Was ist?“, fragte Aya und seine Stimme vermochte es, durch die Lagen von Wolle und isolierendem Stoff zu dringen und eine Gänsehaut über Omis Körper zu jagen. „Ich...“, begann er und stockte. Ayas Blick wurde noch eine Spur kälter, als er Omis Kleidung bemerkte. Vermutlich erinnerte ihn der Pullover daran, dass sein eigener verschwunden war. Omis konnte es in den violetten Iriden erkennen. Kälte, Eis, grausamer Tod. Plötzlich wusste er, warum Ayas Gegner so oft vor Furcht erstarrten, wenn der rothaarige Weiß-Anführer mit dem Schwert auf sie zustürzte, um ihr Leben zu beenden. Es lag nicht an der Waffe, dem schwarzen Mantel oder dem fürchterlichen Kampfschrei. Es lag an dem Blick. Die Kälte in diesen Augen konnte einem die Seele erfrieren lassen. Und plötzlich wusste Omi, dass er nicht ausreichend ausgestattet war. Er hatte sich auf Schnee und Eis und die bitterste Kälte vorbereitet. Aber der Frost, der in Ayas Blick lag, traf ihn vollkommen unvorbereitet. Er ließ seine Glieder erlahmen und nahm ihm den Mut weiterzumachen. Langsam ließ er die Hand sinken. „Ich...“, versuchte er es noch einmal, dann drehte er sich auf dem Absatz herum und stürmte in sein Zimmer zurück. Schwer atmend lehnte er sich gegen die Tür, die er hinter sich zugeschlagen hatte, in der Hoffnung, dass er so die eisige Kälte aussperren konnte. Es half alles nichts. Er musste einen Weg finden, den Pullover wiederzubeschaffen. Eine erneute „Expedition zum Aya“ würde es nicht geben.       Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)