Flügelschwingen - Adventskalender von Dradra-Trici ================================================================================ Kapitel 23: Türchen 23 ---------------------- Es schneite wieder. Das gleichmäßige Rollen von Kofferrädern über den Asphalt dröhnte in Yuriys Ohren. Gleichzeitig war er taub für das Geräusch geworden. Es war noch früh am Morgen. Sein Zug würde in zehn Minuten von Gleis 2 gehen. Er atmete tief durch, zog sich die Mütze weiter in die Augen. Es fühlte sich nicht an, als würde er in den Urlaub fahren. „Yuriy!“ Es fühlte sich viel eher so an, als liefe er davon. „Yuriy! Jetzt warte, Mann!“ Er hielt inne. Dann hatte er sich das doch nicht eingebildet. Da rief jemand nach ihm. Er wandte sich um. Ein paar andere Leute, die ebenfalls zum Zug wollten, passierten ihn mit ihren Koffern. Sie duckten sich ebenfalls vor den herabrieselenden dicken Flocken. Weiße Weihnachten. Es würde wunderschön werden. „Yuriy!“ Seine Augen weiteten sich unwillkürlich, als er erkannte, wer da auf ihn zugelaufen kam. Drei Gestalten. Sie waren voller Schnee. Die Kälte hatte Wangen und Nasenspitzen rot anlaufen lassen. Er wollte etwas sagen, doch wusste er nicht, was. „Wo willst du hin?!“ Sachi baute sich mit in die Seiten gestemmten Armen vor ihm auf. „Wonach sieht es denn aus?“ Gerne hätte Yuriy etwas Schlagfertigeres erwidert. Aber ihm fehlten die Worte. Was machten sie hier? „Du kannst nicht einfach abhauen!“ Sachi klang brüskiert. Auf eine neckische Weise vorwurfsvoll. „Wir hab’n nämlich ‘ne Überraschung für dich, Kumpel“, ergänzte Sven mit einem Grinsen auf den Lippen. „Eine Überraschung?“ Yuriy war verblüfft. Sven, Sachi und Katiya sahen sich an. „Wenn wir es dir nun verraten, ist es keine Überraschung mehr“, meinte Katiya verschmitzt. „Was echt ‘ne Sauerei ist!“, warf Sachi ein und hakte sich bei Katiya ein. „Immerhin hab‘ ich mich die ganze Zeit nicht verplappert – und jetzt verraten wir’s dir doch schon.“ „Was verratet ihr mir …?“ Eine Ahnung beschlich Yuriy. Was war das für ein Gefühl? Ihm war wohlig warm ums Herz. Die Wärme strömte in seine Magengrube, breitete sich in die Arme, die Beine aus. „Alter!“, Sven trat auf ihn zu und zog ihn kumpelhaft mit einem Arm zu sich heran. „Wir wollen Weihnachten mit dir feiern!“ Yuriys Augen weiteten sich noch ein Stück. Eine Welle der Rührung überkam ihn. „Wir haben uns voll ins Zeug gelegt!“ Sachi tat empört, als sie salopp nach dem Griff von Yuriys Trolli griff. Yuriy ließ es zu, dass sie ihm den Koffer aus der Hand riss, um ihn in die andere Richtung zu lenken. „Die ganze Deko und so, ohne dass du’s merkst!“ Das hatten sie also zu verbergen gehabt! Yuriy ging ein Licht auf. Sein Blick wanderte zu Katiya, die ihn schelmisch anlächelte. Mit einem Mal verstand er, weswegen sie das Thema um die Geheimniskrämerei derart gemieden hatte. Weswegen sie so gleichgültig auf die Nachricht mit seinem Urlaub reagiert hatte. Eine andere Reaktion hätte sie verraten. Yuriy blinzelte, um vorsorglich ein paar Tränen der Rührung Einhalt zu gebieten. Seine Freunde. „Jetzt kommt!“, war es wieder Sachi, die das Wort ergriff. „Es ist voll kalt!“ Mit diesen Worten zog sie Katiya mit sich, bei der sie sich noch immer untergehakt hatte. Katiya sah Yuriy an. Um ein Haar hätte sie ihm auffordernd die Hand hingestreckt, um ihm zu zeigen, dass sie ihn mit sich ziehen wollte. Sven jedoch kam ihr zuvor, indem er Yuriy einen Stoß in den Rücken verpasste. „Komm, los! Das Ticket zahlen wir dir“, meinte er. An das herausgeschmissene Geld hatte Yuriy noch gar nicht gedacht. Der einzige Gedanke, der in seinem Kopf Platz fand, war der, dass seine Freunde ihn bei sich haben wollten. Dass er Weihnachten nicht alleine verbringen würde. Dass es wirklich Menschen gab, denen er etwas bedeutete. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)