AX-4 von Futuhiro ================================================================================ Kapitel 12: ------------ 12 Ungeduldig sah Crawford auf die Armbanduhr. Dann wanderte er wieder auf dem Dach im Kreis herum, um alle Himmelsrichtungen im Auge zu behalten. Die Aussicht von hier oben war sogar ziemlich hübsch. Über ihnen trieben watteweiche Quellwolken über einen strahlend blauen Himmel, unter ihnen waren gesunder Rasen und grüne Bäume, die ein großes Grundstück mit gepflegter Einfahrt säumten. Alles war ruhig und friedlich. Aber gerade diese Ruhe zehrte an Crawfords Nerven. „Sie wird schon kommen“, versuchte Omi ihn zu beruhigen. „Jede Minute ist für Schuldig eine verlorene Minute!“, fauchte der aufgekratzt zurück. Eine Art, die er von sich selber nicht kannte. Ja, er wusste selbst, daß Ayax kommen würde. Inzwischen konnte er wieder orakeln und sah sie im Geiste bereits vor sich. Trotzdem dauerte ihm das zu lange. „Wir stehen uns hier schon seit Stunden die Beine in den Bauch! Wir werden noch von den MTF-Mitarbeitern entdeckt werden, bevor Ayax auftaucht!“ „Wir stehen hier noch nicht mal 2 Minuten, ja? Ääääähm ... Oracle!?“ Omi schlief ein wenig das Gesicht ein, als er die riesige Kreatur auf den Parkplatz zugaloppieren sah. Das Ding musste gut 4 Meter hoch und 6 Meter lang sein, zuzüglich drei ellenlanger, dürrer Peitschenschwänze. Der monströse Kopf hatte Stierhörner, eine lange Schnauze mit reihenweise spitzen Reißzähnen, und die stämmigen Beine endeten in mächtigen Tatzen mit scharfen, gebogenen Krallen. Das Wesen brach wie ein Bulldozer durch den Maschendrahtzaun, walzte auf seinem Weg einige Autos platt und hielt ohne Umwege auf das Gebäude zu. „Das ist sie, oder!?“, entfuhr es Crawford unnötigerweise. Natürlich war das Ayax. Was sollte dieses Vieh sonst sein? „Sie hat die anderen beiden AX-Modelle offenbar schon assimiliert“, vermutete Omi überfordert. „Ihre Stärke muss gigantisch sein. ... und ihr Energiebedarf erst.“ „Wo ist Schuldig?“ „Ich schätze in ihr drin. Sie schleppt ihn sicherlich in ihrem Bauch mit sich rum, weil er nicht mehr ...“ „Ich geh ihn holen!“, fiel Crawford ihm ins Wort und wollte sich abwenden, um das Dach auf der Stelle zu verlassen und nach unten zu rennen. „WAS!? Spinnst du?“ Omi hielt ihn am Ärmel fest. „Mit diesem Ding können wir es nicht mehr aufnehmen!“ „Ich WERDE es damit aufnehmen!“ „Oracle, sei vernünftig! Das schaffst du nicht!“ „Hau doch ab, du Feigling!“ „Gib es auf!“, bat Omi und zerrte ihn grob am Arm zurück, in der Hoffnung, ihn zum Bleiben zu bewegen. „Du kannst Schuldig nicht mehr helfen! Er ist tot!“ „Er ist NICHT tot!“, schrie Crawford und verpasste dem Jungen eine Maulschelle, die ihn zu Boden schickte, womit sich auch sein Griff um Crawfords Arm löste. Omis Basecap flog davon. In Crawfords Augen blitzte der pure Hass auf. Wie konnte dieser kleine Bengel es wagen!? „Er ist! Nicht! Tot! Das will ich nie wieder von dir hören!“ Mit diesen Worten drehte er sich endlich um und ging. Mit einem schmerzlichen Ton wendete sich Omi von seiner bäuchlings vollzogenen Bruchlandung wieder auf den Rücken herum und hielt sich den Unterkiefer. Mürrisch sah er dem Schwarz-Leader nach.   Crawford fiel unten förmlich zur Tür hinaus und stolperte kurz auf der Türschwelle, dann sah er sich auch schon dem gewaltigen Monstrum gegenüber, das mal Ayax gewesen war. Er stockte zurück. Dieses Ding war aus der Nähe betrachtet noch viel größer als es vom Dach aus gewirkt hatte. Ayax blieb vor ihm stehen und schaute geifernd und zähnefletschend auf ihn herunter. Ein kehliges Grollen. „Du schon wieder!“ Crawford presste sich erschrocken beide Hände an die Schläfen, als diese Stimme ihm dermaßen den ganzen Kopf klingeln ließ, daß er beinahe in die Knie brach. Die Kreatur konnte sich mit der langen Raubtierschnauze wohl kaum artikulieren, also war die donnernde Stimme telepathisch in seinen Kopf hinein projiziert worden. Musste die denn unbedingt so laut sein? „Wird man dich denn gar nicht los?“, rumorte Ayax. „Ich dachte, meine Botschaft wäre letztes Mal deutlich genug angekommen, auch wenn Schuldig mich davon abgehalten hat, dich zu töten.“ „Gib mir Schuldig wieder!“, brüllte Crawford zurück. „Du weißt, daß ich das nicht kann. Ich brauche ihn noch. Oder bietest du dich als Ersatz für ihn an, Hellseher? Ich hätte Verwendung für dich. Du bist noch stark und frisch, im Gegensatz zu deinem schon fast toten Kollegen. Und deine mentalen Fähigkeiten sind kompatibel.“ Crawford taumelte unter einem Schwächeanfall. Sie griff tatsächlich nach seinen Energiereserven, wurde ihm klar. Er bekam eine akute Vorstellung davon, wie Schuldig sich gefühlt haben musste. Ihm brach kalter Schweiß aus. Aber er hatte keine Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, wie das bei ihm funktionierte, ohne ihr Wirt zu sein. Crawford griff sich die Pistole, die er immer noch in der Gesäßtasche trug und legte an. Das verfluchte Ding schien in seinen Händen plötzlich Tonnen zu wiegen, so schwach fühlte er sich. Ayax holte mit einer Klaue aus, bevor er zum Abdrücken kam, und schlug ihn durch die Luft wie einen Tennisball. Ungelenk klatschte er einige Meter weiter auf den Asphalt des Parkplatzes. Sie stapfte ihm knurrend hinterher. Ächzend rappelte sich der Hellseher wieder auf und rannte. Im Vorbeihechten klaubte er seine Pistole wieder vom Boden, dann sprintete er weiter. Als ob er ein 4 Meter großes Viech recht lange hätte abhängen können. Aber er brauchte freie Schussbahn und nur ein bisschen Abstand. Als er meinte, genug Vorsprung zu haben, um ausreichend Zeit zum Zielen zu finden, fuhr er wieder herum und schoss. Leider klickte die Pistole nur mehrfach im Leerlauf. Sie hatte keine Munition mehr. Crawford stieß ein wütendes „Was!?“ aus. Er hatte mit dieser Pistole diesen dubiosen Herrn Yamanaka erschossen, sonst nichts. War in der Waffe etwa nur die eine Patrone drin gewesen? Wer lief bitte mit einer Knarre mit nur einem einzigen Schuss herum? Da konnte man ja auch gleich einen Schreckschuss-Ballermann nehmen. Schnaubend warf er Ayax die nutzlose Kanone an den Kopf und rannte erneut um sein Leben. Sie holte ihn ein und schleuderte ihn abermals durch die Luft. Wieder legte Crawford eine ziemlich unsanfte Landung hin. Der Energieverlust beeinträchtigte auch seine hochtrainierten Reflexe erheblich. Dennoch biss er die Zähne zusammen und sprang wieder auf. Gut, dann anders! Ohne nachzudenken rannte er auf Ayax zu, korrigierte im letzten Moment seine Richtung, so daß ihr zuschnappendes Maul ihn verfehlte, hüpfte mit Anlauf über Motorhaube, Windschutzscheibe und Dach eines geparkten Autos und von dort aus seitlich an Ayax‘ Flanke. Er bekam das lange, zottige Fell zu fassen, stemmte die Füße zum Klettern gegen ihren Rumpf und – ohne selber recht zu wissen, wie – saß er ihr plötzlich im Genick. Das Adrenalin in seinem Körper ließ ihn da einige Details der Kletterpartie vergessen. Das Monstrum knurrte gereizt und begann sich zu schütteln. Crawford blieb nicht viel mehr übrig, als sich erbittert festzukrallen. Das Fell fühlte sich an wie Drahtwolle und eignete sich nicht sonderlich gut, um Halt zu finden. Nun saß er hier auf ihrem Rücken ... und weiter? Von dem wilden Rodeo aus seinem Schwerpunkt gehoben segelte der Anführer von Schwarz ein drittes Mal in hohem Bogen durch die Luft. Noch ehe er auf ein Autodach krachte, schoss ihm durch den Kopf, was für eine blöde Idee diese Aktion gewesen war. Der menschliche Körper war nicht für solche Stürze gemacht. Beim Aufprall splitterte unter ihm Glas. Ayax brüllte animalisch auf, nahm Anlauf und rannte mit offenem Maul auf ihn zu, um ihn einfach in zwei Hälften zu zerbeißen. Ein Schuss. Ayax brach in sich zusammen, überschlug sich dabei und blieb reglos liegen. Luftschnappend fuhr Crawford herum, um zu sehen, woher der Schuss gekommen war. Hinter ihm stand Omi wie eine Halluzination, seine Pistole noch im Anschlag, und atmete erleichtert durch. „Was tust du denn hier?“, wollte Crawford verwundert wissen. Der junge Hacker grinste schelmisch und hielt ihm die Brille hin, die Crawford schon bei seiner ersten Flugstunde verloren hatte. „Dich kann man ja nichts alleine machen lassen, wie man sieht.“ Beide schauten wieder auf Ayax. Ihre Reglosigkeit war gespenstig, nach dem riesigen Aufruhr, den sie veranstaltet hatte. Ihr Körper verlor langsam an Form und sank in sich zusammen wie ein Schwimmring, aus dem man die Luft herausließ. Crawford rutschte von dem Autodach herunter, ignorierte alles was ihm weh tat, tänzelte nervös näher und schaute sich die Misere an. Aus der linken Augenhöhle des Biests hing nur noch ein zerfetztes Stück Kabel heraus. „Junge, du hast ein Auge getroffen! Ihre einzige Schwachstelle!“ „Ja, zum Glück scheint das auch jetzt, nach der Fusion, noch eine Schwachstelle zu sein. Hol Schuldig da raus, schnell.“ Crawford steckte seine Finger in einen der Luftschlitze in den Flanken der Kreatur, die man Schuldig noch gelassen hatte, damit er da drinnen nicht erstickte, und zog daran. Ayax trug zwar äußerlich Fell, war nichts desto trotz aber immer noch aus Metall. Der Stahl gab bei ausreichend Zugkraft auch bald nach. „Ein Glück. Das Zeug ist nicht besser als Konservendosen-Blech. Das lässt sich aufbiegen“, kommentierte Crawford erfreut und machte weiter, völlig ungeachtet der Tatsache, daß er sich an den aufgefetzten Graten die Finger aufriss. Als das Loch groß genug war, griff er hinein und zog den Telepathen an den Schulterpartien der Jacke heraus, was aufgrund der Enge und seiner Reglosigkeit etwas umständlich ging. „Und?“, machte Omi von der Seite. „Bewusstlos, aber lebt noch“, diagnostizierte Crawford knapp. Omi und Crawford erschreckten sich tierisch, als Ayax plötzlich wieder begann zu zappeln und sich zu bewegen. „Gott!“, jaulte der Hellseher hysterisch. „Ich dachte, du hättest sie tot gemacht! Geht der ganze Mist jetzt wieder von vorne los!?“ „Sie rebootet sich und startet ihre Systeme neu. Aber sie scheint Probleme damit zu haben. Wahrscheinlich haben wir doch einiges da drin kaputt gemacht.“ „Schalt sie ab!“ „Wie denn? Hast du noch eine geladene Waffe?“, wollte Omi wissen und zog vielsagend seine leere Patronenstange aus der Pistole. Wem auch immer er dieses Ding abgenommen hatte, bei Medi Tec schien es Standard zu sein, Pistolen nur mit einem einzigen Schuss zu bestücken. „Nein. Mein Magazin ist auch leer.“ Der Junge klopfte suchend seine Taschen ab, aber er hatte nichts mehr einstecken, was sich dazu geeignet hätte, es in Ayax‘ Augenhöhlen zu rammen. „Dann schnapp Schuldig und lauf! Die einzige Chance, die wir haben, ist, sie von ihrer Energiequelle zu trennen. Wir müssen ihren Wirt wegbringen.“ Crawford ließ suchend den Blick über den Parkplatz schweifen. „Sieh nach, ob du ein nicht abgeschlossenes Auto findest! Ich kann das kurzschließen!“, schlug er vor, kümmerte sich aber selbst lieber um seinen Teamkollegen, statt bei der Suche zu helfen. Den Kerl würde er so schnell nicht wieder alleine lassen. Einverstanden nahm sich Omi sofort die erste Parkreihe vor und klapperte die Türen aller Wagen ab. Brad Crawford konnte sich ein kurzes, überglückliches Schmunzeln nicht verkneifen, obwohl er mit Schuldig noch lange nicht in Sicherheit war. Das monströse Vieh, das mal Ayax gewesen war, und nach wie vor ihren Energietribut von Schuldig einzog, zappelte immer noch unkoordiniert neben ihm herum wie ein Duracell-Hase mit Wackelkontakt. Nicht auszudenken, was geschah, wenn sie wieder in einen betriebsbereiten Zustand zurückfinden sollte. Wie weit würde er Schuldig wohl von ihr wegbringen müssen, damit sie nicht mehr von ihm zehren konnte? Wie weit würde er Schuldig wegbringen müssen, damit der wieder aufwachte? Ob der überhaupt wieder aufwachen würde? Seine Haut war kreideweiß. Die Haare klebten ihm schweißnass auf der Stirn, dort wo sein Stoff-Stirnband sie ihm nicht sowieso schon ins Gesicht klitschte. Sein Puls und seine Atmung waren kaum noch feststellbar und er war eiskalt. Crawford hoffte inständig, daß der Telepath keine dauerhaften Schäden davontrug oder seine Vitalfunktionen ganz wegbrachen. Er zerrte Schuldig umständlich hoch und versuchte ihn irgendwie huckepack zu nehmen, um ihn tragen zu können. Echt schlimm, wie schwer so ein lebloser Körper sein konnte, der keinerlei Eigenspannung mehr hatte und schlaff wie ein nasser Sack in seinen Armen hing. Und dabei war der Deutsche schon einer von den Gertenschlanken. „Hier! Hab eins!“, rief Omi und winkte ihn aus der dritten Parkreihe zu sich heran.   Crawford erreichte gerade das von Omi gefundene Auto, etwa 40 Meter von Ayax entfernt, da kam Schuldig das erste Mal wieder zu sich. Mit einem heißeren, kraftlosen, aber dennoch hörbar irritierten „Bombay?“ machte er auf sich aufmerksam. Crawford verdrehte den Hals, um irgendwas von ihm zu erkennen. „Schu‘, hey, du bist wieder wach?“ „Lass mich runter ...“ „Kannst du denn schon stehen?“, zweifelte Crawford, ließ den Telepathen aber doch vorsichtig von seinem Rücken rutschen. Schuldig stand etwas schwankend und zittrig, aber er hielt sich tapfer, während er sich umschaute. Das Gelände kam ihm unbekannt vor. Er entdeckte nur Crawford, den kleinen Weiß-Knirps und etwas weiter entfernt einen undefinierbaren Fellberg, den er wohl oder übel für Ayax halten musste. Überhaupt war er erstaunt, gerade keine telepathische Verbindung mehr zu Ayax zu haben. „Was ist passiert?“ „Erzähl ich dir unterwegs. Wir müssen erstmal schnellstmöglich hier weg.“ „Mit dem da!?“, wollte er wissen und deutete auf Omi. „Ja, mit dem da. Bombay hat uns geholfen. Er war der, der dich gerettet hat.“ Der Telepath gab einen geringschätzigen ‘tse‘-Laut von sich. Als ob sie bei Schwarz ihre Dinge nicht mehr selber geregelt kriegen würden und auf die Hilfe so eines Winzlings angewiesen gewesen wären. „Gut, nehmen wir ihn mit. Farfarello freut sich, wenn er den als Geisel bekommt. Dann hat er was zum Spielen“, entschied er. Dann lachte er auf, als er unvermittelt in den Lauf von Omis Pistole schaute, welcher diesen Plan logischerweise gar nicht lustig fand. „Was wird das denn jetzt? Hast du mich bloß da rausgeholt, damit du mich selber kalt machen kannst? Na los, dann tu es!“ „Nein“, meinte Omi betont ruhig, um sich seine Ernüchterung nicht allzu sehr anmerken zu lassen. War dieser Kerl denn nicht mal im Angesicht des Todes irgendwie klein zu kriegen? Omi richtete seine Pistole wieder nach oben in den Himmel. „Aber ich hoffe, wenn wir uns das nächste Mal begegnen, wirst du dich noch dran erinnern, daß ich dich habe laufen lassen, obwohl ich auch anders gekonnt hätte.“ Der Kleine wollte auf dicke Hose machen? Nicht mit ihm! Schuldig senkte seine Nase etwas und setzte einen durch und durch gehässigen Blick auf, der von Überlegenheit nur so strotzte und Omi einen Schauer den Rücken hinunter jagte. „Du glaubst, auf deine Gnade bin ich angewiesen?“ Er griff mit seinen telepathischen Fähigkeiten härter nach Omis Geist als es nötig gewesen wäre, und nötigte ihn dazu, sich die Mündung an die eigene Schläfe zu heben. Der Junge bekam riesige, schreckgeweitete Augen und seine Hände zitterten sichtlich, als er gegen das Durchbiegen seines Armes ankämpfte. Es war eine unsagbar seltsame Form von Manipulation. Es war keinerlei körperliche Gewalt im Spiel. Er hatte das Gefühl, sich immer noch völlig frei bewegen zu können. Es war eine reinweg psychologisch basierte Zwangshandlung, eine Kopfsache, die Omi dazu brachte, sich die Pistole an die Stirn zu halten. Sowas wie ein Reflex, den man einfach nicht unterbinden konnte, selbst wenn man es noch so sehr versuchte. Er war absolut machtlos dagegen. Er konnte sich gegen Schuldigs Kontrolle nicht im Geringsten zur Wehr setzen. Nur ein Zentimeter im Zeigefinger eingeknickt und er würde sich selber das Gehirn wegblasen. Der Telepath hatte es komplett in der Hand. „Schuldig!“, protestierte Crawford von der Seite. „Hör auf damit!“ Sein Kollege warf ihm nur einen kurzen Seitenblick aus dem Augenwinkel zu. Ein Zeichen, daß er Crawford gar nicht ganz ernst nahm. „Lass mir meinen Spaß!“ „Nein! Er hat dich gerettet, Herrgott nochmal!“ „Ach was!“, machte Schuldig geringschätzig. „Ohne seine Hilfe hätte diese vermaledeite AX-4 dich umgebracht!“ „Kein Grund für den Bastard, mich mit einer Pistole zu bedrohen. Ich hasse es, wenn man mir droht.“ Crawford legte ihm nachdrücklich eine Hand auf die Schulter, als könne ihn das wieder zur Vernunft bringen. „Hör jetzt auf! Du bist noch viel zu schwach, um deine telepathischen Kräfte einzusetzen! So ein dramatischer Auftritt macht wenig Eindruck, wenn du dabei wieder bewusstlos umkippst!“ Omi entfuhr ein erschrockenes Keuchen, als Schuldig ihn schlagartig losließ und er wieder Herr über seinen eigenen Körper war. „Vergiss bei unserer nächsten Begegnung nicht, daß ICH es war, der DICH hat laufen lassen, Rotzlöffel“, wollte der rothaarige Telepath noch klargestellt haben, bevor er sich abwandte und davonstiefelte. Er kam keine fünf Schritte weit, da taumelte er schon wie bei einem Schwindelanfall, und einen Moment später war er zusammengebrochen und blieb reglos liegen. Brad Crawford ließ resignierend die Schultern hängen. Na? Hatte er´s nicht gesagt? Wegen Überlastung weggeklappt. Ende Gelände. Schuldig war fix und fertig, daran änderte auch sein großes Ego nichts. Manchmal war es frustrierend, ein Hellseher zu sein, ganz genau zu wissen was passieren würde, und trotzdem auf taube Ohren zu stoßen. „Dickschädel ...“, grummelte er leise in sich hinein und ging die paar Schritte hinterher, um ihm zu helfen. „Meine Fresse!“, maulte Omi beleidigt und warf die Pistole in hohem Bogen davon. „Ihr seid Pfeifen! Alle beide!“, fuhr Crawford ihn an. „In der Knarre waren doch gar keine Patronen mehr drin!“ „Ja, ich weiß. Das hab ich in dem Moment nicht bedacht. Seine krassen Fähigkeiten haben mich gerade etwas geschockt.“ „Los, hilf mir, ihn ins Auto zu stopfen.“   Omi schaute über die Schulter nach hinten auf den Rücksitz und musterte Schuldig abschätzend. Er hatte bisher nur wenig Gelegenheit gehabt, sich den Kerl mal genauer anzusehen. Im Gefecht, wenn sie mit Knarren aufeinander ballerten, hatte er andere Sorgen. Omi kam nicht umhin, zu bemerken, daß Schuldig eigentlich ganz sympathisch aussah. Mit einer Prise Coolness, durch die langen, feuerroten Haare und das Stirnband. Rein optisch würde man erstmal gar nicht vermuten, daß er so ein hinterlistiger Krakel war. Aber nagut, Crawford musste auch gute Seiten an ihm kennen, sonst hätte er nicht so darum gekämpft, Schuldig zu retten. „Atmet er noch?“, wollte der Hellseher wissen, einerseits, weil er auf die Straße schauen musste und deshalb nicht selber nachsehen konnte, und andererseits, weil er zu gern gewusst hätte, was Omi gerade dachte. „Ja, ich glaube schon“, meinte der, wandte sich ebenfalls wieder der Frontscheibe zu und verschränkte die Arme. „Aber er ist immer noch bewusstlos.“ „Was glaubst du, was aus AX-4 geworden ist?“ „Tja ... Schwer zu sagen. Dazu müssten wir wissen, wie viele und welche ihrer Systeme wir zerstört haben. Wenn sie schnell genug einen neuen Wirt findet, den sie aussaugen kann, wird sie sich regenerieren und fröhlich weitermachen. Wenn nicht, wird ihr System endgültig zusammenbrechen und wir sind sie los. Zumindest lebt ja keiner der Wissenschaftler mehr, der sie wieder zusammenflicken könnte. Ich fürchte, da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.“ Crawford seufzte leise in sich hinein. „Kann sie Schuldig wiederfinden?“ „Wie weit reicht seine telepathische Fähigkeit denn? Über welche Entfernung kann er kommunizieren?“ Crawford hatte durchaus eine recht konkrete Vorstellung davon, wie das Talent seines Kameraden funktionierte: Schuldig konnte die Gedanken eines anderen auslesen, sobald er dessen genaue Position kannte. Also im Prinzip so weit, wie er sehen oder hören konnte. Er musste sein Opfer wenigstens kurz gesehen oder gehört haben, um auszuloten, wo es sich befand. Einmal lokalisiert, konnte der Blickkontakt dann auch wieder unterbrochen werden, ohne daß die telepathische Markierung wieder verloren ging. Wenn die Verbindung einmal stand, konnte Schuldig sich sogar ziemlich weit entfernen. Erst wenn er den telepathischen Kontakt abgebrochen hatte und wieder neu herstellen wollte, musste Schuldig wieder so nah herankommen, daß er sein Opfer neu lokalisieren konnte. Abgesehen davon konnte er mit seinem Geist wohl auch bis zu einem gewissen Grad blind in der Gegend herum suchen, in der Hoffnung, durch Zufall jemanden zu finden. Aber das war dann wirklich nur Glück, soweit Crawford wusste. „Tut das was zur Sache?“, entgegnete er nüchtern. Crawford verspürte eigentlich keine Lust, Omi allzu viel über die Fähigkeiten seines Teamkollegen zu verraten. „Schon. AX-4 hat selber keine telepathischen Fähigkeiten. Die ganze Verbindung zwischen ihr und Mastermind beruhte reinweg auf seiner Gabe. Also kann sie ihn nur in einem Umkreis wiederfinden, in dem es auch ihm selber möglich wäre, den Kontakt wiederherzustellen.“ „Okay ... Das klingt optimistisch. Aber besser wäre es trotzdem, sie aufzuspüren und endgültig aus dem Verkehr zu ziehen.“ Omi nickte zustimmend. Wahrscheinlich mussten die sich gar keine Mühe geben, AX-4 aufzuspüren. Diese Arbeit würde die Waffe ihnen sicher abnehmen. Sie würde früher oder später ganz von alleine zurückkommen, dachte er. Dann zückte er sein Handy und begann kommentarlos eine Nachricht zu schreiben. Eine Weile herrschte Schweigen, nur untermalt vom ruhigen Brummen des Automotors. „Wo hattest du eigentlich das Schießeisen her, mit dem du Ayax zur Strecke gebracht hast? Du warst doch gar nicht bewaffnet.“ „Einer der Medi Tec Wissenschaftler hat sie mir gegeben, den ich gerade noch davon abhalten konnte, AX-1 frei zu lassen. Sie wollten die ernsthaft gegen Ayax in den Kampf schicken. Die Forscher hatten ganz schön Muffensausen, angesichts dieses 4 Meter großen Viehs auf ihrem Firmengelände.“ Crawford nickte verstehend. Das wäre gründlich schiefgegangen. Zum Glück hatte Omi das verhindert. Er warf einen Blick in den Rückspiegel, um nach Schuldig zu sehen. War er schon wieder blasser geworden? „Na schön ...“, begann Omi irgendwann als Erster wieder, immer noch abgelenkt vom Tippen auf dem Telefon. „Ich schätze, für heute haben wir nichts mehr miteinander zu schaffen. Kannst du mich irgendwo hier an der Seite rauslassen?“ „Mach ich.“ Crawford hielt Ausschau nach einer Parklücke oder zumindest einer Stelle, wo er kurz anhalten konnte. „Danke für deine Hilfe, ja?“ „Gleichfalls danke für deine“, erwiderte der Junge. „Hör mal, nimm es bitte nicht persönlich, wenn sich an unserem Verhältnis künftig nichts ändern wird, okay? Du arbeitest immer noch für Weiß. Und unsere Aufträge werden sich sicher irgendwann wiedermal überschneiden. Rücksicht werde ich auf dich keine nehmen, wenn wir uns wieder auf verschiedenen Seiten gegenüberstehen.“ Der Knirps sah von seinem Bildschirm hoch und feixte. „Ich wäre auch sehr enttäuscht von dir gewesen, wenn du das getan hättest, Oracle“, fand er. Mit diesen Worten hüpfte er aus dem Auto und verschwand. Statt ihm hinterher zu schauen, warf Crawford beim Weiterfahren einen Blick in den Rückspiegel, um sich erneut davon zu überzeugen, daß Schuldig wirklich da war. Er hatte ihn wieder. Omi drückte derweilen fest auf den 'senden'-Knopf und schickte seine Mitteilung ab. In dieser gab er Yoji den Auftrag, Nagi samt dem Lösch-Chip laufen zu lassen. Wenn AX-4 von Schuldig abgekoppelt und ihre Mission gelöscht wurde, war das ja nur im Interesse aller. Warum sollten sie die Gefahr auf sich nehmen, Geiseln gefangen zu halten und sich um den Chip zu schlagen, wenn sie doch alle das gleiche Ziel verfolgten? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)