Northernwell Abbey von Salix ================================================================================ Kapitel 3: Irrungen und Wirrungen --------------------------------- Falls Kathy gedacht hatte, alles würde nach ihrem Plan gehen, so hatte sie sich darin geirrt. Schon das Wetter machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Sie verbrachte die Zeit nach dem Frühstück mit Mrs. Adams im Salon. Mrs. Adams strickte und sie las, wie so oft einen Roman. Die letzten Tage hatte sie sich allmählich daran gewöhnt diese Zeit mit Mrs. Adams zu verbringen oder für sich zu haben, anstatt mit Haushaltstätigkeiten oder im Garten beschäftigt zu sein. Am ungewohntesten für sie war, dass es ein Hausmädchen gab, welches auch noch als Mrs. Adams und ihre Magd fungierte. „Wolltest du nicht heute Spazierengehen, Liebes?“, riss Mrs. Adams sie aus ihrer Lektüre. Kathy blickte auf. „Ja, das war so mit den Geschwistern Tally verabredet.“ „Nun, die grauen Wolken von heute Früh entleeren sich gerade.“ Kahty erhob sich, schritt zum Fenster und sah hinaus. Mrs Adams lag richtig, es regnete kräftig. Tropfen hämmerten vom Wind getrieben gegen die Scheibe und die Straße hatte sich in einen kleinen Bach verwandelt. „Oh je, ich hoffe, es ist nur ein kurzer Schauer“, rief Kathy aus. Doch um elf regnete es immer noch. „Vielleicht ist es ja bald vorbei oder soll ich ihnen eine kurze Mitteilung schreiben?“, überlegte sie. Nach einer weiteren Viertelstunde Regen entschloss sie sich dazu und holte ihr Schreibzeug. Fünf Minuten später, als es zu regnen aufhörte, hatte sie gerademal die Anrede zu Papier gebracht. Erleichtert räumte sie Feder, Tinte und Papier beiseite. „Ich zieh mich rasch um und gehe zum Haus der Tallys. Vielleicht wollen sie ja doch noch spazieren gehen.“ „Bist du sicher, die Spazierwege werden alle schlammig sein.“ „Ich bin mir sicher, was kann es schon schaden sie zumindest zu fragen?“ Kaum hatte sie zu Ende gesprochen, da klingelte es. „Oh, vielleicht sind sie es!“ Kathy eilte in die Eingangshalle, wo sie abrupt zum Stehen kam. Das Hausmädchen ließ eben James, sowie John und Isabella Thorne ein. „Oh, hervorragend, sie sind ausgehfertig!“, gab John Thorne statt einer Begrüßung von sich. „Wie vorrausschauend von dir, Liebes!“, warf Isabella ein. „Ähm, was… wieso sind sie hier?“ „Na, wir hatten doch besprochen eine Ausfahrt zu machen.“, erklärte John. „Aber das war doch nur allgemein überlegt worden“, protestierte Kathy. „Nun, heute passt doch! Wo sie schon zum Ausgehen bereit sind.“ „Ich habe eine Verabredung mit den Tallys zu einem Spaziergang“, stelle Kathy klar. „Ach, die kommen nicht mehr, die sind ohne sie gegangen“, behauptete John. „Das würden sie nie tun“, widersprach Kathy, doch leichter Zweifel kroch in ihr hoch. „Doch, doch, sie sind in Richtung Stadtzentrum gegangen, nicht wahr, Isabella?“, blieb John hartnäckig. „Ja, genau. Komm Liebes, mit solchen Leuten brauchst du dich nicht abzugeben.“ „Aber… ich…“ Kathys Protest erstickte als Isabella sie beim Arm nahm und sie Richtung Ausgang dirigierte. Kathy kam noch nicht einmal dazu sich bei den Adams zu verabschieden. Sie hörte allerdings ein:“Sag doch den netten Leuten bei denen deine Schwester untergekommen ist, dass wir sie auf einen Ausflug mitnehmen, bei dem du dabei bist.“, was an James gerichtet war. John bugsierte Kathy in seinen Einspänner, währen Isabella in einen von James gemieteten stieg. Johns Pferd scharrte unruhig mit den Hufen im Schlamm. Kaum saß James ebenfalls hinter den Zügeln, gab John seinem Pferd das Zeichen zum Loslaufen. Wie schon am Vortag lief es rasch dahin und John achtete wenig auf andere Verkehrsteilnehmer. So entgingen ihm auch Eleanor und Henry, die auf der anderen Straßenseite auf das Haus der Adams zugingen. „Stopp, halten sie an! Da sind die Tallys! Sie sind sicher gekommen, um mich zu unserem verabredeten Spaziergang abzuholen!“ Kathys Ruf war laut genug, um Eleanors und Henrys Aufmerksamkeit zu erregen. „Da haben sie sich versehen“, behauptete John nur und ließ das Pferd noch beschleunigen. „Nein, ich habe mich nicht geirrt! Ich habe sie ganz genau gesehen!“ „Das war sicher nur ein Paar, welches den Tallys ähnlich sieht“, stellte John Kathys Entdeckung in Zweifel. Sein Tonfall war so sicher und bestimmt, dass sie selbst an sich zu zweifeln begann. Kurz darauf trabten sie schon außerhalb der Stadt dahin. Isabella und James schienen sich wunderbar zu amüsieren, während Kathy erneut gezwungen war Johns angeblichen Heldentaten zu lauschen. Doch dieses Mal pries er auch noch seinen Mentor an, der zurzeit auf einem Schloss in der Nähe zur Erholung weilte und den John mit ihrem Besuch überraschen wollte. Nachdem sie ein paar Meilen zwischen Feldern dahin getrabt waren, kamen sie in einen Wald. Obwohl es kurz vor Mittag war, John hatte entschieden eine Mittagspause sei unnötig, da sie auf dem Schloss sicher bewirtet würden, bemerkte Kathy leichte Nebelschlieren, die über dem Waldboden schwebten. Je tiefer sie in den Wald vordrangen, desto unheimlicher wurde er Kathy, trotz Johns Beteuerungen alle sei in Ordnung. Eigentlich liebte Kathy Bäume und sie konnte stundenlang den Wald bei Fiddlersfield durchstreifen und sich sicher dabei fühlen, aber dieser Wald war anders. Die Bäume waren krumm und schief. Immer mehr Nebel sammelte sich um sie herum und aus dem befestigten Waldweg war ein Holzweg geworden. „Sind sie sicher, dass es hier lang geht?“, fragte Kathy, die allmählich bezweifelte, dass John eine Ahnung hatte, wo sie waren. Der Nebel hüllte sie ein und dämpfte den Hufschlag der Pferde so sehr, dass Kathy ihn kaum noch wahrnehmen konnte. Nur noch die Bäume am Wegrand waren im Grau zu erkennen. Johns nebelgraues Pferd schien mit der Umgebung zu verschwimmen, nur die blauen Funken, die von seinen Hufen stoben, zeigten an, dass es ihren Wagen zog. „Ich bin mir verdammt sicher!“, pflaumte John sie an. Kathy zog ihren Wollmantel enger um sich. Der Nebel kroch ihr in die Kleider und brachte sie zum Zittern. Der Weg endete im Nichts. John zügelte das Pferd auf einem Platz, der eindeutig von Holzfällern genutzt wurde. Um sie herum befanden sich Nebel, Bäume und Baumstümpfe. Der von John gewählte Weg hatte sich als Sackgasse herausgestellt. Kathy stellte leicht beeindruckt fest, dass Johns Vokabular eine erstaunliche Menge an Scheltworten enthielt. Sie war fast sicher, dass er sich nur geradeso zusammenriss um richtig Flüche zu vermeiden, die in dieser Situation nur schaden konnten. „Das war dieser elendige Gaul!“, knurrte John, der nicht eingestehen wollte, dass er die Orientierung verloren hatte. Er sprang vom Wagen, ergriff einen dicken Ast und hob ihn zum Schlag bereit. „Nicht!“ Hastig folgte Kathy ihm. Sie zerrte an seinem Mantel. „So behandelt man kein gutes Pferd und schon gar kein Feenpferd!“ Sie war froh, als John den Ast senkte. „Na dann mal zu, Missy. Zeigen sie mir doch mal, wie sie hier herausfinden!“, höhnte er. Kathy ignorierte seine Worte, pflückte eine Handvoll Klee und nährte sich dem Feenpferd behutsam. Erst als es den Klee von ihrer flachen Hand annahm, wagte sie es am Kopf zu streicheln. „So ist es gut. Du bist ein wunderbares Wesen und bestimmt klug genug, uns hier herauszuführen.“, flüsterte sie dem Tier zu, dass zur Antwort die Ohren aufstellte. Noch während sie sprach, kamen James und Isabella auf der Holzfällerlichtung an. „Du verstehst ganz genau, was ich sage, nicht wahr?“, fragte Kathy das Pferd, welches den Kopf so bewegte, dass man es als Nicken interpretieren konnte. „Führst du uns hinaus, wenn ich dich gut behandle und dir zu einer Portion Hafer noch drei Möhren und einen Apfel geben, wenn wir zurück sind?“ Das Pferd stupste sie sacht an der Schulter Richtung Einspänner. Kathy konnte sich ein zufriedenes Grinsen nicht verkneifen. „Wir haben also einen Deal. Mr. Thorne setzen sie sich und geben sie mir die Peitsche!“ Nur widerwillig und durch James Zureden ermuntert, überließ John Kathy seinen Platz hinter den Zügeln. Sie setzte sich zurecht, griff die Zügel und schnalzte mit der Zunge. Anstatt, wie zuvor unruhig loszustürmen, stampfte das Pferd einmal auf, woraufhin blau schimmernde Hufabdrücke im Gras und im Matsch sichtbar wurden, ehe es sich sanft in Bewegung setzte. Geruhsam und lammfromm ließ das Pferd eine Kurve fahren, damit sie der leuchtenden Fährte folgen konnten. Es gehorchte Kathy brav den ganzen Rückweg. Im Stall am Stadthaus der Thornes angelangt, bestand sie darauf es zu versorgen und zu füttern, anstatt dies von den Stallburschen erledigen zu lassen, schließlich hatte sie nun ihren Teil des Handels zu erfüllen. Henry saß an seinem Schreibtisch und versuchte einen Brief zu schreiben, versuchte war die passende Bezeichnung, da er vor allem gedankenverloren aus dem Fenster starrte. Ein Klopfen lenkte seine Aufmerksamkeit zur Tür. Im Türrahmen stand sein Vater. „Hast du einen Augenblick Zeit?“ „Ich habe sogar mehr als einen Augenblick. Worum geht es denn?“ Er wandte sich seinem Vater zu. „Vorhin war eine Miss Morgan hier um dich und Elanor zu sprechen.“ „Aha“, so ganz verstand Henry nicht, was sein Vater ihm damit mitteilen wollte. „Sie war so aufgewühlt, dass sie sich recht wirr bei mir dafür entschuldigte, euch bei eurem geplanten Spaziergang versetzt zu haben.“ Nun hatte er Henrys volle Aufmerksamkeit. „Und?“ „Ich habe ihre Entschuldigung in eurem Namen angenommen, sowie einen Spaziergang für drei Uhr mit euch vereinbart.“ „Hm? Hat sie erklärt, was das Gestern war?“ „Sie hat es versucht, aber eigentlich war das unnötig. Mein Sohn, ist dir bewusst, dass auf diesem armen Mädchen zwei verschiedene Beeinflussungszauber liegen?“ Henry seufzte. „Das war einer der Gründe, aus denen ich sie zum Spaziergang eingeladen hatte, vor allem, da diese Zauber bei unserem ersten Treffen noch nicht da waren.“ „Hast du einen Verdacht, wer für solch einen Missbrauch der Magie verantwortlich ist?“ „Habe ich, aber mir fehlen die Beweise.“ „Dann solltest du zusehen, dass du ihr hilfst sie loszuwerden, bevor sie zu etwas gebracht wird, was sie sehr bereuen wird. Sie widersteht den Zaubern noch unbewusst zum Teil, nur bei solchen Zaubern, weiß man nie…“ „Dafür die neuerliche Verabredung, die du ausgemacht hast.“, stellte Henry fest. Er überlegte. „Wenn wir ihr helfen, die Zauber loszuwerden, werden wir zu Zielen. Wir sollten Frederick dazu holen.“ „Welchen Grund gibt es Frederick zu involvieren?“ „Nun er hat seinen Charme, der ihn schwer Widerstehlich für die Damenwelt macht und er ist für die Person, die ich im Verdacht habe, ein Schritt die soziale Leiter hinauf. Das sollte uns behilflich sein.“ „Habe ich dir schon mal gesagt, dass du eine großartige Karriere als Schwarzkünstlerjäger haben könntest, mein Sohn?“ Henry grinste seinen Vater breit an. „Du hast mir aber auch gesagt, dass solch eine Karriere ähnlich gefährlich ist, wie ein Wettermagier bei der Marine zu sein und dir ein Sohn mit lebensgefährlichem Job genügt.“ „Touché! Ach, übrigens, beende deinen Brief lieber bald, du hast nur noch eine halbe Stunde bis Miss Morgan für den Spaziergang kommt.“ Henry salutierte seinem Vater, bevor der sich umdrehte und aus dem Raum marschierte. Die nächste Person, die Henry unterbrach war Eleanor. „Hat Vater mit dir gesprochen?“ Seufzend legte Henry die Feder weg. „Ja, hat er.“ „Also, wie gehen wir es an?“ „Elly, ich versuche einen Brief zu beenden.“ „Den kannst du auch noch heute Abend schreiben! Es ist viel wichtiger, dass wir besprechen, wie wir Kathy sagen, dass sie beeinflusst wird!“ „Wir sagen es ihr nicht.“ „Warum? Sie hat ein Recht das zu erfahren?“ „Mal abgesehen davon, dass sie zumindest einer der verdächtigen Personen vertraut, ist es immer eine schlechte Idee Menschen geradeheraus zu erzählen, dass ihr freier Wille magisch beeinflusst wird.“ „Verstehe.“ Eleanor zog sich einen Stuhl heran und setzte sich ihm gegenüber. „Und, weil dir solche Sachen beigebracht wurden und wir nicht, müssen wir darüber reden, bevor Kathy hier eintrifft. Sie ist im Übrigen nett und sehr hübsch.“ „Elly!“ „Ich wollte es nur erwähnt haben. Wenn wir es ihr nicht direkt sagen können, was dann?“ „Wir machen uns zu Nutze, dass sie sich schon automatisch mit ihrem eigenen magischen Talent zur Wehr setzt. Sie scheint eine starke Verbindung zur Natur und Naturgeistern zu haben, also setzen wir das ein. Ich könnte mir vorstellen, dass ihr ein Baumweibchen zu Hilfe eilt, wenn wir sie in die Nähe eines Weißdorns oder einer Stechpalme bringen.“ „Du meinst, wir lösen nicht einfach den Zauber, sondern lassen das Wesen tun, denen die Schwarze Kunst extrem missfällt.“ „Genau. Würden wir die Zauber selbst lösen wollen, müssten wir ihr vorher genau erklären, was wir vorhaben. Versuchen wir einen Baumgeist auf Kathys Problem aufmerksam zu machen, fällt das weg. Nur sind die meistens zu scheu, um sich zu zeigen, darum müssen wir hoffen, dass Kathys Verbindung zur Natur und ihren Geistern so stark ist, wie ich vermute.“ „Es ist unangenehm, dass wir es ihr nicht einfach sagen können.“ „Die meisten Zauber, die Jemandes Willen beeinflussen, beinhalten einen Leugnungsaspekt. Die Opfer sind dadurch leichter bereit zu leugnen, dass sie beeinflusst werden als es eh schon der Fall ist. Sie glauben sogar eher dem Schwarzkünstler, unter dessen Einfluss sie stehen, als anderen und werden alle möglichen Argumente ins Feld führen, warum sie ganz bestimmt nicht verzaubert wurden.“ „Ich finde es trotzdem schrecklich, dass wir hinter ihrem Rücken agieren müssen.“ „Geht mir genauso.“ Wenige Minuten später klingelte es. Eleanor begrüßte Kathy vor Henry und gab ihr ein Kompliment für ihre schicke, aber dennoch praktische Frisur, welches sie höchst entzückend erröten ließ. Henry hörte, wie sie stammelte, es wäre doch nur eine simple Alltagsfrisur. Er musste Eleanor jedoch zustimmen, dass sie Kathy hervorragend stand. „Guten Tag, Miss Morgan. Es freut mich sie wohlauf zu sehen.“ „Guten Tag, Mr. Tally. Es tut mir Leid, dass ich sie Gestern versetzt habe. Mir wurden falsche Informationen als Tatsachen hingestellt und als ich sie beide sah, versuchte ich noch Mr. Thorne zum Anhalten zu bewegen, aber es misslang.“ „Ich bin mir sicher, sie haben ihr Möglichstes versucht. Aber lassen sie uns lieber das angenehme Wetter bei unserem Spaziergang genießen.“ Das Henry schon etwas länger in Bath weilte als Eleanor, ließ sie ihn die Route wählen. Er führte sie aus der Stadt und zu einem kleinen Hain hin, der in der Nähe des Flusses lag, weil er wusste, dass es darin einen Hügel gab, der einen herrlichen Überblick über Bath bot. Henry beobachtete Kathy aus den Augenwinkeln, die kräftig ausschritt. Es war deutlich, dass Spazierengehen eine gewohnte Tätigkeit für sie war. Eleanor wies ihn auf Landschaftsdetails hin, die sich zu zeichnen lohnten. Rasch war er mit ihr in eine Diskussion über Perspektive und Lichteinfall verstrickt. Um Kathy nicht auszuschließen, fragte er: „Wie gehen sie an die Perspektive bei Zeichnungen heran?“ „Ähm… ich zeichne nicht“, gab sie leise zu, „Ich habe keinerlei Talent dafür.“ „Ich dachte Zeichnen gehört wie Klavierspielen zu den Grundfertigkeiten, welche jede junge Dame zu beherrschen lernt.“ Kathy zögerte. Eleanor nutzte die Gelegenheit eine Antwort einzuwerfen. „Das wünschen sich nur die Herren der Schöpfung, weil sie uns gerne als Schmuckstück und Unterhalterin im Haus haben. Ehrlich gesagt, fehlen in diesen Anleitungen zur Erziehung junger Damen viele sinnvolle und nützliche Fähigkeiten.“ „Welche, liebste Schwester?“ „Erste Hilfe zum Beispiel. Die Anleitungen erwarten immer, dass man eine treusorgende, liebevolle Mutter wird, aber nirgendwo wird auch nur in Betracht gezogen, dass es äußerst sinnvoll für die Kindererziehung sein kann zu lernen, wie man kleinere Verletzungen und Wehwehchen behandelt.* Ich wette, das ist etwas, was Miss Morgan vielen jungen Damen voraus hat.“ „Ich muss zugeben, dass ist sehr sinnvoll, aber noch immer auf den häuslichen Bereich beschränkt. Warum plädierst du nicht dafür, jungen Damen Chemie oder Astronomie beizubringen?“ „Ach, aber Chemie lässt sich doch auch im Haushalt anwenden“, gab sie gelassen zurück. „Wie willst du Chemie im Haushalt anwenden?“, wollte Henry wissen. „Was denkst du wird beim Wäsche waschen oder Putzen angewandt? Seifen und Laugen. Was glaubst du, ist am Kochen so viel anders als an einem chemischen Experiment?“ Henry sah, wie Kathy sich ein Herz fasste. „Ich finde Kochen und Backen, was eigentlich auch nur chemische Experimente sind, viel nützlicher, weil man das Ergebnis essen kann, im Gegensatz zu vielen Ergebnissen von wissenschaftlichen, chemischen Experimenten. Allerdings helfen die uns dafür, dabei die Welt besser zu verstehen.“ „Bravo, gut gesagt. Wie du siehst, ist es wichtig sich mit den Substanzen auszukennen, die im Haushalt ständig Verwendung finden.“, lobte Eleanor sie begeistert. „Eindeutig.“, stimmte Kathy ihr zu. „Ich sehe schon, ich muss zugeben, dass chemisches Wissen für Damen nützlich ist, aber wie wollt ihr mich von Astronomie überzeugen?“ „Hm, um die Richtung in einer Gegend zu finden, wo es kaum Landmarken gibt?“, schlug Kathy vor. „Ja, aber wie viele junge Damen landen in solchen Gegenden?“ „Junge Damen, die mit ihren Ehemännern auswandern oder sie aus Expeditionen begleiten oder die einen Schaffarmer in Cornwall heiraten“, erwiderte Eleanor. Henry seufzte gespielt tief. „Überzeugt. Wir sind da. Ist der Ausblick nicht phänomenal?“ Die beiden jungen Damen stimmten ihm zu und ließen sich auf einer Bank am Aussichtspunkt nieder, die unter einem Weißdorn stand. Eine Weile genossen sie schweigend den Augenblick, dann erstarrte Henry und hielt bewusst weiter still. Auch Eleanor entdeckte, was er sah und verhielt sich besonders ruhig. Henry beobachte, wie Kathy sich verdutzt umsah. Ein Lächeln formte sich auf ihren Lippen. Ein kleines braunes Wesen, das so knorrig wie der Baum war, huschte über die Äste. Als es Kathys Lächeln bemerkte, hielt es an. Leise keckernd kramte es in einer Bauchtasche, holte ein verdrehtes Stückchen Wurzelholz hervor und ließ es hastig fallen. Kathy fing das Holzstückchen gerade noch auf. Bei der Bewegung stob das Wesen davon. Kathy drehte das Holzstück in ihrer Hand und musterte es von allen Seiten, schließlich flüsterte sie: „Es sieht aus wie ein zusammengeringelter, kleiner Drachen aus.“ „Wirklich? Faszinierend“, bemerkte Henry genauso leise, obwohl das Wesen schon fort war. Er hatte sich etwas Ähnliches erhofft und war froh, dass seine Hoffnung erfüllt worden war. „Haben sie öfters mit Naturgeistern zu tun?“, wollte er interessiert von Kathy wissen, weil das schneller gegangen war, als er gedacht hatte. „Nun, wir unterhalten uns mit ihnen, kümmern uns um sie und achten auf sie, weil wir sonst unsere Arbeit kaum tun könnten ohne ihnen zu schaden. So hat es mich meine Mutter gelehrt.“ „Da hat sie gut dran getan“, murmelte Eleanor. „Es ist doch recht frisch hier zu sitzen, wollen wir weitergehen und den Wohnraum dieses Weißdornweibchens nicht länger belagern?“ „Oh, natürlich.“ Kathy sprang sofort auf. Sie steckte den kleinen Holzdrachen in ihre Rocktasche. Henry sah, wie sie vor dem Baum einen Knicks machte, ehe sie weitergingen. Nach dem ausgiebigen Spaziergang lud er Kathy noch zum Tee ein, was sie dankbar annahm Auch wenn er neugierig auf das Holzfigürchen war, unterließ er es danach zu fragen, da es unhöflich gewesen wäre, sich nach solch einem Gunstbeweis eines Naturgeistes zu erkundigen. Beim Tee konnte er beobachten, wie auch sein Vater von Kathys natürlichem Charme verzaubert wurde, wie es so nett heißt. Einige Tage später wurde Kathy von James und den Thornes überrascht, die sich selbst bei den Adams zum Tee einluden. Verwirrt beobachtete sie, dass sie dennoch höflich von den Adams aufgenommen wurden, obwohl Mr. Adams noch vor kurzem von John Thorne als „diesem Flegel“ gesprochen hatte. Nach dem Tee saßen sie im Salon und Isabella verkündete, dass James sich mit ihr zu verloben gedachte. Kathy freute sich weniger für ihren Bruder als sie erwartet hatte. Nach dieser Erklärung bat John um ein Wort allein mit Kathy, die dies lieber vermieden hätte, doch zu ihrer Verblüffung gestatte Mr. Adams es, allerdings nur solange die Tür des Raumes geöffnet bliebe. „Meine Liebe, stellen sie sich nur vor, was für eine grandiose Feier unsere doppelte Verlobung werden wird“, eröffnete John das Gespräch unvermittelt als sie im Nebenraum waren. „Was meinen sie mit doppelter Verlobung?“, erkundigte sie sich. „Na, die Verlobung ihres Bruders mit meiner Schwester und meine Verlobung mit ihnen.“ „Wie kommen sie darauf, dass wir uns verloben?“ „Nun, wir verstehen uns sehr gut, was spricht dagegen?“, gab er ungerührt zurück. „Zunächst einmal die Tatsache, dass sie es unterlassen haben mich zu fragen, ob ich mich überhaupt mit ihnen verloben möchte.“ „Oh, ich dachte sie wären einverstanden.“ „Da haben sie falsch gedacht.“ „Sie scherzen!“ „Ich bin völlig ernst. Ich lehne eine Verlobung mit ihnen ab, erst recht, nachdem sie es als unnötig erachtet haben meine Meinung dazu auch nur in Betracht zu ziehen!“ „Denken sie nur an ihren Ruf, sollte bekannt werden, dass sie einem Gentleman die Verlobung versprochen haben und ihm dann das Herz gebrochen haben.“ „Gehen sie! Ich will von ihnen und ihren Lügen nichts mehr sehen!“ „Das werden sie noch bereuen!“, zischte er. Kathy starrte ihm direkt in die Augen. „Ich werde mit den Konsequenzen meines Handelns leben können. Sollten sie Lügen verbreiten, so bin ich mir sicher, dass meine Familie und Freunde diese durchschauen können und meinen Ruf verteidigen werden!“ John knurrte wortlos, drehte sich auf dem Absatz um und ging ohne sich bei seiner Schwester, seinem Freund und seinen Gastgebern zu verabschieden. James eilte auf Isabellas Veranlassung zu ihr. „Was ist nur los mit dir, dass du den lieben Kerl so verärgert hast?“ „Der liebe Kerl hat gerade damit gedroht meinen Ruf zu ruinieren!“ „Da wirst du etwas missverstanden haben.“ „Oh, ich habe ihn klar und deutlich verstanden! Die Wahl deines Freundes spricht gerade nicht für dich.“ „Dieses Missverständnis wird sich sicherlich klären und du wirst dich wieder bestens mit ihm verstehen“, fuhr James fort als hätte er ihre Worte gar nicht gehört. „Darauf kann ich gut verzichten. Möchtest du noch etwas oder bist du nur gekommen, um mich zu nerven?“ „Ähm… also, ich wollte dich bitten, einen Brief an Vater zu schreiben und ihn zu bitten, mir und Isabella seine Zustimmung zu geben.“ Kathy musterte James, der sonst weniger ungehobelt war und dann Isabella im Nebenzimmer. „Das kann ich dir zurzeit nicht versprechen.“ James seufzte. „Bitte, ich liebe sie wirklich. Wenn du dich wieder beruhigt hast, wirst du es dann in Betracht ziehen?“ „Ich werde darüber nachdenken.“ „Du bist die Beste!“ Mit diesen Worten schwebte James wieder zu Isabella zurück, so als hätte es das Gespräch von zuvor nicht gegeben. Am nächsten Tag reisten James und John ab. James bat seine Schwester vor der Abfahrt erneut darum, ein gutes Wort bei ihrem Vater für seine Verlobung einzulegen, während John sie nun demonstrativ ignorierte. Isabella vergoss einige Tränen beim Abschied und ließ sich beim Gang durch die Stadt von Kathy trösten. Sie klagte darüber, wie schwer es sei, von ihrem Liebsten getrennt zu sein, wie untröstlich sie darüber sei und, wie sehr sie hoffte Mr. Morgan möge ihre Verlobung billigen. Doch schon am gleichen Abend konnte Kathy sie in den Lower Rooms beobachten, wie sie angeregt plauderte und von einem hochgewachsenen, blonden Gentleman aufs Parkett geführt wurde, dessen dunkelblauer Gehrock auf eine Zugehörigkeit zur Marine hinwies. Auch Eleanor und Henry traf Kathy an diesem Abend wieder. „Ich verstehe nicht, wie sie so angeregt tanzen kann, wo sie heute Morgen noch so betrübt war“, grübelte sie. „Ach, das Gemüt junger Damen ist so wechselhaft, wie… au… das Wetter. Eleanor, was sollte das?“ Henry war in seiner Äußerung von Eleanors Ellenbogen in seiner Seite unterbrochen worden. „Dich daran erinnern, dass solche Vergleiche Unsinn sind. Außerdem heißt es zwar immer unser Geschlecht sei so emotional und unvorhersehbar, aber es sind die Männer, welche sich Duelle um den Ruf einer Dame liefern. Wie bitte passt das zusammen?“ „Vielleicht sollte ich besser sagen: Menschen sind unterschiedlich und Gefühle rasch veränderlich. Oder vielleicht tanzt ihre Freundin nur gerne.“ Kathy seufzte. „Das tut sie in der Tat. Aber als fast Verlobte so offensichtlich die Gesellschaft eines bestimmten Herrn vorzuziehen, erscheint mir etwas unpassend. Das ist jetzt schon ihr vierter Tanz.“ „Mit wem?“, wollte Henry wissen. „Diesem blonden Gentleman.“ Kathy wies mit ihrem Fächer in die Richtung der Tanzenden. Henry folgte dem Hinweis. „Ach, keine Sorge, das dürfte harmloses Geflirte sein.“ „Woher wollen sie das wissen. Kennen sie den Gentleman?“ „Leider, kenne ich ihn tatsächlich, das ist mein älterer Bruder Frederick. Wenn er auf Landgang ist fliegen ihm die Damenherzen nur so zu, aber noch ist es keiner gelungen seine erste Liebe, die See, zu übertreffen.“ „Sie meinen er ist ein Herzensbrecher?“ „Soweit würde ich nicht gehen, aber er flirtet gerne, wobei er jedoch den Ruf der Dame achtet.“ Eleanor schnaubte nur. „Freddy ist ein Luftikus, was Liebschaften angeht. Seien sie unbesorgt, wenn ihre Freundin ihren Bruder wirklich so sehr liebt, wie sie beteuert, dann hat ihre Liebe von Frederick nichts zu befürchten.“ „Ich hoffe es“, murmelte Kathy. „Etwas anders, Vater, den ihr Besuch bei uns wohl sehr beeindruckt hat, schlug vor, dass sie uns ins unserem Zuhause besuchen könnten und mir dabei dort Gesellschaft leisten könnten.“ „Wirklich?“ „Ja, wenn ihnen die Idee zusagt, würde er mit ihren Begleitern sprechen. Ich würde mich sehr darüber freuen. Manchmal kann es in der Abtei recht langweilig sein, wenn man immer nur die gleichen Leute sieht.“ „Abtei?“ „Hatte ich das nicht erwähnt?“, meldete sich nur Henry wieder zu Wort, „Mein Elternhaus ist eine alte, zum Wohnhaus umgebaute, Abtei.“ „Haben sie nicht. Ich würde sie sehr gerne besuchen und dort Zeit mit ihnen verbringen“, bei ihrer Antwort blickte Kathy vorsichtshalber Eleanor an, statt Henry. „Dann, gebe ich ihre Antwort an Vater weiter“, erwiderte Eleanor verschmitzt lächelnd. 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