Noch einmal mit Gefühl von 4FIVE ([Itachi x Ino | Sasuke x Sakura | modern AU]) ================================================================================ Kapitel 13: Kleine Schritte --------------------------- . . ♦   —Los Angeles, Kalifornien; 7 Jahre zuvor   »Eine Schande, dass deine Mutter nicht mitgekommen ist«, meinte Inoichi und fing einen Tropfen seiner Kiwieiscreme mit der Zunge auf. In Los Angeles’ Hochsommer Eis zu essen, war eine riskante Angelegenheit, aber er hatte nicht auf seine Tochter hören wollen. »Sie wird mir nie vergeben, oder?« »Meine beiden Mädchen sind eben stur«, wich er aus. »Aber es ist schön zu sehen, dass es dir hier gutgeht. Alleine dafür hat sich der Urlaub gelohnt.« »Ja.« Ino warf den Kopf zurück, um ihr Gesicht besser in die Sonne zu halten. Vor ein paar Minuten hatten sie sich nach einer ausgiebigen Stadttour auf der Steinmauer der Strandpromenade niedergelassen, um den Sonnenuntergang über dem stillen Meer zu beobachten. »Ich bereue keine Sekunde.« »Das ist schön.« Er schlang seinen freien Arm um ihre Schultern und drückte sie an sich. »Versprich mir nur eines, Ino. Wenn du mal reich und berühmt bist, vergiss niemals, wer du bist.« Sie warf ihm einen Blick aus den Augenwinkeln zu, aber er hatte die Lider geschlossen und sein Gesicht ebenfalls gen Sonne gewandt. »Versprochen.« »Ach ja, und vergiss nicht, uns ein Haus zu kaufen. Ich will ein Smarthome mit Lichtern, die beim Klatschen angehen, und singende Toiletten in jedem Stockwerk! Hörst du? Das hat oberste Priorität!« Lachend zuckte Ino die Schultern. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass das nicht unbedingt die landläufige Definition von Smarthomes ist, Papa. Aber klar, bei meinem ersten Academy Award bekommt ihr eine singende Toilette. Deal?« »Deal.« ♣   —Tokio, Japan; Gegenwart   Als Sasuke aufwachte, langte er in einem ersten Instinkt nach seinem Smartphone, dessen kleines Lämpchen aufgeregt blinkte. Die Uhr zeigte kurz nach acht – wann hatte er zuletzt so lange geschlafen? Durch den Vorhangspalt fielen bereits kräftige Sonnenstrahlen in das Schlafzimmer, in dem nur mehr ein halb ausgepackter Koffer Zeuge der gestrigen Heimkehr war. Sakura hatte versucht, ihren gesamten Kram zu verstauen, aber sie hatte während der Trennung zu viele Racheeinkäufe auf seine Kreditkarte getätigt, um damit fertig zu werden, bis Sasuke es nicht mehr ausgehalten hatte und angefangen hatte, sie mit Küssen und Streicheln abzulenken. Nun lag sie nackt an seiner Seite, eine Hand quer über seine Brust, und sie sabberte. Er hatte ganz vergessen, dass sie meist mit offenem Mund schlief. Sachte versuchte er ein Stück nach links zu rücken, um sein Smartphone zu fassen zu bekommen. Die Bewegung provozierte ein müdes Raunen unter dem rosa Haarschopf. »Sasuke«, murmelte Sakura, ohne die Augen zu öffnen, »wenn du es anfasst, schwöre ich bei Gott, du wirst es bitterlich bereuen.« Er stoppte, schluckte und hob demonstrativ seine leeren Hände hoch. »Alte Gewohnheit, tut mir leid.« Sakura richtete sich auf und streckte sich, nur um erschöpft wieder auf die Matratze niederzubrechen. Der Sex gestern war nicht einmal ansatzweise so gut gewesen wie sie beide sich erhofft hatten. Jahre der emotionalen und körperlichen Distanz hatten sie ungeschickt und unsicher miteinander gemacht. »Also«, lenkte er sich ab. »Wie läuft so ein freier Tag?« Resignierend schüttelte Sakura den Kopf. Mit ihren Fingern hob sie sein Kinn und strich über den leichten Bartschatten, der sich in den vergangenen Tagen dort gebildet hatte. »Rasieren erstmal. Und Frühstück. Die Reihenfolge kannst du dir aussuchen.« Schwungvoll stand sie auf und streckte sich erneut ausgiebig. »Erst Frühstück. Soll ich Sarada wecken?« Nachdenklich legte Sakura den Kopf schief, während sie eine der bereits ausgepackten Hosen über ihre Beine zog. »Das mache ich lieber. Sie ist in letzter Zeit morgens etwas unleidig.« »Oh. Okay.« Sakura hatte seit jeher ein Talent dafür gehabt, hinter seine glatte Fassade zu sehen, selbst in seinen erbärmlichsten Momenten von Selbsthass und Verzweiflung. Jetzt seine Enttäuschung zu bemerken, war ihre leichteste Übung. Sie setzte sich auf die Bettkante und drückte seine Hand. »Das ist keine Bestrafung, Sasuke. Du warst den meisten Teil ihres Lebens einfach nicht da. Ich kann dir verzeihen, aber sie weiß kaum, dass du ihr Vater bist. Gib uns ein wenig Zeit, ja?« Sasuke nickte, konnte nichts anderes tun als das. Jedes ihrer Worte war wahr. Bei synCOMs offiziellem Kick-off war Sarada ein Jahr alt gewesen, seitdem hatte seine Beziehung zu ihr aus gelegentlichen Momenten bestanden. Er wusste, dass er selbst daran schuld war. Aber es war hart, die Konsequenzen seiner sowieso schon schmerzlichen Selbsterkenntnis in voller Tragweite zu sehen. Frühstück würde dabei nicht helfen, aber Sakura hatte ihn darum gebeten. Müde manövrierte Sasuke sich nach einer kurzen Morgentoilette in seine Küche und durchwühlte sämtliche Schränke, bis er etwas gefunden hatte, das man für ein Frühstück verwenden konnte. Vom Kinderzimmer aus hörte er Quengeln und Diskussionen, während er prüfend an der Müslipackung roch. Sakura war nur ein paar Wochen weg gewesen, bis dahin konnte Müsli nicht schlecht werden, oder? Er war fast schon erleichtert, dass er tatsächlich eine Mahlzeit zustande bekam, bis ein Blick in den Kühlschrank offenbarte, dass keine frische Milch da war. Natürlich nicht. Er war kaum zuhause gewesen. Als Sakura mit Sarada an der Hand aus dem Badezimmer kam, hob sie eine Augenbraue über den leeren Esstisch. Sasuke zuckte die Schultern. »Tut mir leid. Nichts da«, sagte er. Im selben Moment klingelte sein Smartphone. Itachi. Den konnte er sowas von überhaupt nicht gebrauchen. Er schaltete auf stumm. »Was machen wir jetzt?« Nachdenklich sah Sakura sich in der großzügigen Wohnküche um. Auch sie fand nichts Essbares. »Ich habe später ein Vorstellungsgespräch. Wenn du jetzt mit Sarada losfährst, könnt ihr noch was im Supermarkt kaufen, bevor sie im Kindergarten sein muss. Kriegst du das hin?« »Klar«, behauptete er, ohne zu wissen, ob es der Wahrheit entsprach. Wie schwer konnte es schon sein, mit einem Kleinkind einkaufen zu gehen? Schwierig, wie sich herausstellte. Den gesamten Weg über plärrte und heulte Sarada und keine der vorhandenen Süßigkeiten im Supermarkt konnte ihren Schreikrampf lindern. Auch bei der Auswahl ihres Frühstücks war sie äußerst unkooperativ, sodass Sasuke sich ohne ihre Zustimmung für einen Müsliriegel und ein Päckchen Orangensaft entschied. Erst im Flur des Kindergartens beruhigte sie sich. Er versuchte, sich seine Enttäuschung nicht allzu sehr anmerken zu lassen, als die Pädagogin im Betriebskindergarten ihn höflich grüßten und sich offensichtlich darüber wunderten, dass Uchiha-sama vor ihr stand. Sarada lief zu ihren Freunden, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, und Sasuke ging, bevor er irgendeinem anderen Uchiha über den Weg laufen konnte. Nicht, dass sonderlich viele von ihnen in diesem Teil des Firmengebäudes unterwegs waren. Als er wieder nach Hause kam und eine Tüte mit halb wahllos zusammengesuchten Einkäufen auf den Küchentresen warf, war Sakura bereits verschwunden. Eine Notiz lag am Küchentisch, Wünsch mir Glück und fütter das Kaninchen! Er legte den Zettel beiseite und kramte eine Karotte aus der Einkaufstüte. Der Kaninchenkäfig stand übergangsweise auf dem Couchtisch vor dem Fernseher, bis sie einen dauerhaften Platz entschieden hatten. Und vielleicht einen größeren Käfig gekauft hatten. Wenn das Tier noch ein bisschen wuchs, würde es ziemlich eng werden. Sasuke öffnete den Käfig und hielt dem Kaninchen versöhnlich eine Karotte entgegen. »Und, kleiner Freund?«, fragte er ratlos. »Was machen wir jetzt?« ♠   Shiroganes Freund hatte ihr letzte Woche einen Antrag gemacht, aber anstatt sich zu freuen, brach sie in Panik aus. Nicht, weil sie ihn nicht liebte, ganz im Gegenteil. Aber wer um alles in der Welt sollte Uchiha-sama bei diesen wichtigen Dingen helfen, wenn sie sich eine Woche Urlaub für die Hochzeitsreise nahm? »Wenn Sie mir die ganzen Bilanzen verschaffen, bin ich für die nächsten Monate erstmal versorgt«, hatte Itachi ihr mehrfach versichert, bis sie ihm endlich geglaubt und begonnen hatte, die Finanzbuchhaltung zu tyrannisieren. Und nun stand er hier. »Was soll das sein?«, fragte er sie mit einem Deut gegen seinen Schreibtisch, der unter Kisten und Papierbergen nicht mehr zu sehen war. Entschuldigend neigte Shirogane ihren Kopf. »Die Dokumente, die Sie angefordert hatten, Uchiha-sama.« »Das ist Papier. Damit kann ich nicht arbeiten.« »Ich weiß. Aber Minami-san hat darauf bestanden, dass er keine Berechtigung hat, diese Dokumente in elektronischer Form zur Verfügung zu stellen.« So sehr Itachi gehofft hatte, sich zu irren, so sehr hatte er es kommen sehen. Natürlich wollte der Aufsichtsrat ihm seine Nachforschungen so schwer als möglich machen. Das war die Strafe für seine offene Provokation. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Shirogane nicht alles in ihrer Macht Stehende versucht hatte, um an die entsprechenden Dateien zu kommen. Sie konnte beängstigend sein, wenn jemand ihre Arbeitsaufträge behinderte. Er würde sich selbst darum kümmern müssen. Dem COO würde sich Minami nicht entgegenstellen können. Doch genau das tat er. Bleich und fast schon zitternd unter den strengen Augen des Chefs seines Chefs seines Chefs, aber er bedauerte nach wie vor mit einer tiefen Verbeugung, dass er klare Anweisungen von ganz oben hatte. »Bitte wenden Sie sich an den Aufsichtsrat, Uchiha-sama, dann komme ich Ihrer Anfrage sehr gerne sofort nach.« Itachi hielt seinen funkelnden Blick einen Moment aufrecht in der Hoffnung, dass der Buchhalter doch noch einknickte. Leute einschüchtern konnte er gut. Leider schien die Autorität der höchsten Führungsebene schwerer zu wiegen als sein bedrohliches Auftreten. Er entließ seine Arme aus der strammen Verschränkung und nickte. »Wie Sie wollen.« »Bitte«, japste Minami, »feuern Sie mich nicht.« Itachi gab keine Antwort, verließ die Buchhaltungsabteilung mit schnellen Schritten und atmete seine Aufregung im Treppenhaus hörbar aus. Am liebsten hätte er die Scheibe mit baren Fäusten eingeschlagen, doch das Treppenhaus war ein Fluchtweg und verfügte deswegen über Sicherheitsglas, an dem er sich nur sämtliche Knochen gebrochen hätte. Ein Krankenhausaufenthalt war das Letzte, das er brauchen konnte. Zurück in seinem Büro bedeutete er Shirogane, ihr aktuelles Telefonat zu beenden. »Neuer Plan. Leiten Sie Ihr Telefon zum Empfang um und sagen Sie den Leuten unten, dass Sie niemanden durchstellen sollen. Unter keinen Umständen. Ich will für heute nicht gestört werden. Dann können Sie Feierabend machen.« »Uchiha-sama, ich verstehe nicht ... ist alles in Ordnung?« Sie sah an ihm vorbei zu dem ungeordneten Chaos an Dokumenten und Berichten. Was er vorhatte, lag auf der Hand. »Sie wollen das doch nicht alles alleine durcharbeiten? Das wird Wochen dauern. Lassen Sie mich wenigstens helfen!« Das Angebot war verlockend. Sie war schlau und konnte gut mit Zahlen umgehen. Aber er konnte niemanden in diese Sache mit reinziehen, schon gar nicht jemanden, der nicht zur Familie gehörte. »Gehen Sie nach Hause und feiern Sie Ihre Verlobung.« Die Skepsis in Shiroganes Augen war deutlich, dennoch fragte sie nicht weiter nach, telefonierte nur kurz mit dem Empfang und ging. Sobald sie weg war, schloss Itachi alle Türen und versuchte, sich Orientierung über den lachhaft großen Papierberg zu verschaffen. Es war unglaublich, wie unübersichtlich ungeordnete Finanzbuchhaltung sein konnte. Wer auch immer die Stapel sortiert hatte, hatte einen absichtlich schlechten Job gemacht. Deckblätter waren beim Zusammenheften vertauscht worden, Inhaltsverzeichnisse fehlen größtenteils, Seiten waren nicht in der korrekten Reihenfolge. Er konnte sich fast schon vorstellen, wie der gesamte Aufsichtsrat nachts zusammengesessen war, um mit Heftklammermaschinen bewaffnet das größtmögliche Chaos zu produzieren und Itachis pflichtbewusste Hartnäckigkeit darunter zu begraben. Nicht mit ihm. Das hier war unbequem und unnötig, aber er würde die Sache noch lange nicht ruhen lassen, nur weil er keine elektronische Suchfunktion benutzen konnte. Etliche Stunden arbeitete er ohne Störung. Die automatische Anrufweiterleitung ließ kein einziges Klingeln durch, sein Firmenhandy war auf lautlos gestellt, sein Privathandy ausgeschaltet. Pausen gab es nicht, brauchte er nicht. Nur Kaffee gönnte er sich, wann immer er das Gefühl hatte, seinen Fokus zu verlieren. Wie lange er hier gesessen war, als Inabi ohne zu klopfen in seinem Büro stand, wusste Itachi nicht. Stunden vielleicht, oder Tage. Seine Muskeln brannten, als er zum ersten Mal seit Ewigkeiten seinen Kopf aufrichtete.  »Inabi-san, was kann ich für dich tun? Fass dich bitte kurz. Wie du siehst, bin ich beschäftigt.« Inabis Mundwinkel zuckten zu einem süffisanten Lächeln nach oben. Kein Zweifel, dass er das Bild urkomisch fand. »Fünfunddreißig ist reichlich alt, um dir jetzt noch Humor anzueignen, findest du nicht? Wie auch immer. Es gibt etwas, das der Aufsichtsrat mit dir besprechen möchte. Da du nicht gewillt zu sein scheinst, deine Anrufe oder E-Mails zu beantworten, überbringe ich die Nachricht gerne offiziell.« »Und diese Nachricht wäre?« »Wir hatten heute Morgen eine Abstimmung. Aus gegebenen Anlässen befindet der Aufsichtsrat dich einstimmig als aktuell nicht vertrauenswürdig, um Projektverantwortung zu tragen, Kundentermine wahrzunehmen oder Entscheidungen über Budget und Strategie zu treffen.« Verdammt. Itachi hatte nicht gedacht, dass sie so schnell handeln würden. Sei’s drum. Mit seinen Aktienanteilen war er Key-Stakeholder. »Ihr könnt mich nicht rauswerfen«, sagte er ruhig. Rein rechtlich konnten sie das sehr wohl. »Wer wird denn gleich so übertreiben?«, warf Inabi gespielt schockiert ein. Dramatisch hob er seine Arme. »Wie soll die UCHIHA Corp. ohne ihr hauseigenes Genie auskommen? Nein, Itachi-san, wir entziehen dir nur die Entscheidungsbefugnis.« »Ich darf das Gebäude also betreten, aber nicht arbeiten.« »Vorerst«, sagte Inabi. »Wir werden die aktuelle Situation analysieren und zum gegebenem Zeitpunkt entscheiden, in welchem Ausmaß wir dir unser Vertrauen weiter entgegenbringen können.« Keine schlechte Taktik. Er hatte gehofft, dass sie nicht darauf kommen würde. Äußerlich blieb er ruhig, umrundete langsam seinen Tisch, Schritt für Schritt mit finsterer werdendem Blick. »Wir ihr wollt. Genießt euren kleinen Triumph. Aber wenn du aus diesem Büro trittst und du dir endlich erlaubst, erleichtert auszuatmen und deine Schultern hängen zu lassen, die du gerade so krampfhaft oben hältst, wirst du einsehen, was euch dieser kleine Sieg kosten wird.« Inabi wich nicht zurück. Auch wenn sie nicht da waren, hatte er den gesamten Aufsichtsrat im Rücken, und er wusste es. »Du kommst dir so gut vor, Itachi-sama. Aber am Ende bist du nur ein einzelner Mann. Und wir alle brennen darauf zu sehen, wie weit dich das bringt.« Mit einer wegwerfenden Geste wandte er sich zum Gehen. »Frohes Schaffen.« Itachi verengte die Augen. Was zur Hölle hatte der Aufsichtsrat in der Hinterhand, wenn ein Feigling wie Inabi plötzlich derart selbstsicher war? ♦   Inos Augen waren geschwollen, das konnte selbst Make-up nicht überdecken. Nach einer Nacht mit Pizza, Whiskey und einem Friends-Serienmarathon, hatte sie in den frühen Nachmittag hinein geschlafen, bis sie aufwachte und wütend war. Auf die japanische Filmindustrie. Auf ihre Agentur. Auf Itachi. Auf ihre naiven Hoffnungen, ihre viel zu ambitionierten Ziele. Auf sich selbst. Im Vorbeigehen überprüfte sie alle verpassten Anrufe des heutigen Tages, nur um drei von ihrer Agentin vorzufinden, einen von Sakura, keinen von Itachi. Sie hatte nicht wirklich erwartet, dass er sich nach seiner deutlichen Abfuhr gestern melden würde. Trotzdem war sie enttäuscht, wenn auch nur, weil ihr das die Genugtuung nahm. Gestern hätte sie eine Schulter zum Ausweinen gebraucht. Heute erwartete sie eine Entschuldigung oder wenigstens eine Erklärung. Gleichzeitig wusste sie, dass sie nichts davon bekommen würde. Nicht, nachdem Itachi seine Prioritäten klargemacht hatte. Also doch ein One-Night-Stand. Ein Jammer. Sie hatte ihn wirklich gerngehabt. Es machte sie nur noch wütender. Die emotionale Spirale trieb sie zu einem intensiven Dauerlauf durch den nächstgelegenen Park, der bei dem perfekten Wetter aus Sonnenschein und Wärme an allen Flecken von Paaren, Familien und Studenten der nahegelegenen Kunstakademie bevölkert war. Mehrmals musste Ino abbremsen, ausweichen, kollidierte einmal knapp mit einem Dalmatiner, der von seinem Besitzer an einer viel zu langen Leine gehalten wurde. Hunde waren verboten und Ino wollte darauf aufmerksam machen, aber ihre zornige Unruhe hatte sie längst weitergetrieben, weiter, weiter, immer weiter, bis sie erschöpft und immer noch wütend mit einer viel zu großen Schüssel Rohkost auf ihrer Couch zusammenbrach. Während sie fortgewesen war, hatte sie einen weiteren Anruf von Sakura verpasst. Eine nachgefolgte Nachricht verkündete, dass sie ab nächster Woche einen neuen Job hatte. »Yay«, raunte Ino in dem kläglichen Versuch, sich ehrlich zu freuen. Missmutig stopfte sie eine Handvoll Karottenschnitzel in ihren Mund, schob eine zweite und dritte nach, obwohl sie sich nichts sehnlicher wünschte als fettige Chips. Ihre Karriere war sowieso vorbei – nicht, weil sie keine Rollen mehr bekam. Sondern weil sie keine gute Miene mehr zum bösen Drama machen wollte. Sie hatte keine Lust mehr, inhaltlose Interviews zu geben und generische Fotoshootings zu ertragen, bei denen man genauso gut einen Pappaufsteller von ihr verwenden konnte. Nichts von dieser Person war sie, nichts davon hatte irgendetwas mit Yamanaka Ino zu tun – mit der Frau, die sich mit ihrer Ausstrahlung und ihrem Biss auf die abgefahrensten Sets der Weltgeschichte gekämpft hatte. Ja, sie hatte ihre Konkurrenz manchmal manipuliert und möglicherweise hatten zweideutige Kommentare gegenüber dem einen Produzenten oder dem anderen Regisseur ihr manch eine Hauptrolle eingebracht, aber sie hatte sich niemals verkauft. Nicht ihren Körper und schon gar nicht ihre Persönlichkeit. Sie würde nicht damit anfangen. Nicht für die beste Rolle der Welt, und schon gar nicht für japanische Dramas. Und wenn das bedeutete, ihrer lahmenden Karriere den Gnadenstoß zu geben, dann sollte es so sein. Mit neuem Elan – zornigem Elan, aber Elan nichtsdestotrotz – schwang sie die Beine von der Couch und wählte die Nummer ihrer Agentin. Mabuchi ging nicht ran, dafür informierte ihr Assistent sie, dass seine Chefin einen Auswärtstermin hatte. Es bedurfte nur ein paar manipulativer Fragen, um ausreichend Informationen aus ihm herauszuquetschen und Mabuchis Aufenthaltsort zu schlussfolgern. Mit dem Zug waren es gerade einmal zwanzig Minuten und eine viertel Stunde Fußweg zu dem unscheinbaren Bürogebäude. Auf dem ungeduldigen Weg rief sie Itachi erneut an; wenn sie schon dabei war, ihr Leben aufzuräumen, konnte sie mit ihm gleich anfangen. Doch ihr Anruf ging in die Mailbox. Fein. Itachi würde warten müssen. Er hatte Wichtigeres zu tun, und sie auch. Sie wäre einfach so in die Büros gestürmt und hätte jeden Raum nach Mabuchi durchsucht, hätte der Portier sie nicht aufgehalten. Ihr Anliegen erschien ihm merkwürdig, darum ließ er sie im Foyer warten, während er diverse Mitarbeiter durchtelefonierte. Es dauerte fast eine halbe Stunde, in der Ino unruhig durch das Foyer streifte und mehrerer Diskussionen mit dem Portier anfing. Jedes Mal aufs Neue vertröstete er sie, dass sich bald jemand um sie kümmern würde. Dann stand Mabuchi vor ihr, die Arme verschränkt, ihr brauner Bleistiftrock vom vorangegangenen Termin zerknittert, und starrte aus vorwurfsvollen Augen auf ihre anstrengendste Klientin hinab. Ino hatte sich keine Rede zurechtgelegt, keinen Monolog im Kopf geübt. Sie wusste, was sie sagen wollte. Langsam stand sie auf, überragte dabei Mabuchi und ihre Lackpumps um ein paar Zentimeter. Holte Luft. »Ich kündige.« Mabuchi runzelte die Stirn. »Wie stellst du dir das vor? Du hast einen Vertrag.« Damit hatte Ino nicht gerechnet. Schimpftiraden oder Flüche hätte sie eher erwartet als eine faktenorientierte Frage, die sie sich selbst noch nicht einmal gestellt hatte. Sie war aus einem emanzipatorischen Impuls hergekommen, nicht, um das Kleingedruckte zu diskutieren. Ihr Zögern gab Mabuchi die Möglichkeit, sie am Ellenbogen zu packen und nach draußen auf den Parkplatz zu zerren. Erst vor ihrem Auto ließ sie los, lehnte sich gegen die Fahrertür und schüttelte tadelnd den Kopf. »Deine Antwort, Yamanaka?« »Ich –« »Ich gebe dir deine Antwort«, unterbrach Mabuchi streng. Hinter ihr schaltete sich die Straßenbeleuchtung in der langsam einbrechenden Dämmerung mit hörbarem Knistern ein. »Wenn du jetzt aussteigst, sind das in etwa 35 Millionen Yen an Pönalen. Dein Vertrag mit N.S.P. geht noch vier Jahre. Falls dich also nicht gerade eine andere Agentur unbedingt für Unsummen abwerben will, kann ich mir kein Szenario vorstellen, in dem das für dich irgendwie machbar wäre. Also?« Ino machte einen Schritt nach hinten, um in der engen Parklücke Platz für eine aufgeregte Geste zu haben. Es war so unbeschreiblich absurd! Sie hatte sich im Schneegestöber nackt ausgezogen, in Cincinattis verwanzten Hotelbetten geschlafen, hatte sich monatelang von Pferdemilch und gebratenen Meerschweinen in Peru ernährt – und letztlich hatten ein mittelmäßiges Drehbuch sie gebrochen. »Jetzt mach keine Szene«, unterbrach Mabuchi sie, bevor sie überhaupt etwas gesagt hatte. »Niemand kann Divas leiden. Außerdem, was willst du machen, wenn du aussteigst? Was kannst du denn schon, außer schauspielern?« Die einfache Wahrheit traf Ino wie ein nasser Fetzen, unerwartet und real. Trotzdem, »Alles ist besser, als –« »Jetzt hör zu, Yamanaka.« Mabuchis Smartphone klingelte in ihrer Handtasche. Mit einem Blick aufs Display drückte sie den Anruf ab. »Ich sag dir, was mit meinen letzten ausrangierten Schauspielerinnen passiert ist. Eine hat reich geheiratet, eine andere schlichtet im Supermarkt Regale nach. Das ist kein Leben für dich, oder? Warum auch? Dich will niemand ausrangieren. Jeder weiß, was du wert bist, und wenn du dich ein wenig zusammenreißt, werden die Rollen von ganz alleine kommen. Wenn du willst, können wir morgen sogar in Ruhe deine Gagenanteile verhandeln. Jetzt fahr erstmal nach Hause und denk darüber nach, ob ein bisschen persönlicher Ausdruck dir ein Leben als Küchenhilfe oder Reinigungskraft wert ist. In Ordnung?« Die zweite Wahrheit traf Ino wie eine Faust, erbarmungslos und ehrlich. Sie reagierte über, nicht wahr? Ohne es zu merken, war sie zu einer dieser pseudointellektuellen Künstlerinnen mit prätentiösen Ansprüchen geworden. Millionen von Leuten hassten ihre Jobs. Sie war nichts Besonderes. »Ich denke darüber nach. Danke, Mabuchi.« Ja, das würde sie. Nachdenken. Einen Plan machen. Für eine Zukunft in der Schauspielindustrie, mit der sie leben konnte. Doch dafür brauchte sie ein schlaueres Hirn als ihres. Im Taxi Richtung Innenstadt war sie versucht, Itachi anzurufen, doch seine Abweisung machte sie immer noch zu wütend. Sakura würde mit ihrem neuen Job keine Zeit haben. Sie brauchte jemanden mit Hirn und Zeit. Ja, das würde funktionieren. »Sakura!«, rief sie in ihr Smartphone, sobald ihre beste Freundin rangegangen war. »Ist Sasuke da? Ich hab eine Aufgabe für ihn.«   . . Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)