Omniscient von lady_j (YuKa) ================================================================================ Kapitel 5: Kairo ---------------- Neo Borg vs. Barthez Soldiers Baihuzu vs. PPB All Starz BBA Revolution vs. F Sangre „Du willst was?” Boris sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren und Kai verdrehte entnervt die Augen. „Du hast mich schon gehört.” „Aber das ist unmöglich!” „Ist es nicht und du weißt es.” Er nutzte die Überraschung des anderen und drängte ihn kurzerhand in dessen Zimmer zurück, damit sie endlich die Tür schließen und unbehelligt reden konnten. Boris machte ein abschätziges Geräusch, doch es war erkennbar, dass es in seinem Kopf zu Arbeiten begonnen hatte. Vielleicht war es Kai tatsächlich gelungen, seinen Ehrgeiz zu wecken. Boris war ein wahrer Meister, wenn es darum ging, Beyblade-Teile zu individualisieren. Er hatte ein unglaublich detailliertes physikalisches und chemisches Wissen, das er ständig ausbaute. Nur Boris gelang es, einen Attack-Ring gerade so dünn zu schleifen, dass er messerscharf wurde, jedoch nicht bei der ersten Berührung brach. Boris kannte Mischverhältnisse für Legierungen, die einen Blade widerstandsfähig machten oder so glatt, dass jeder Angreifer einfach abrutschte. Es war ihm zu verdanken, dass Yuriys Wolborg, obwohl ein Ausdauerblade, immer noch starke und wendige Attacken ausführen konnte, ohne dabei an Energie zu verlieren. Um es kurz zu machen: Kai brauchte Boris Hilfe. „Du bist komplett durchgeknallt, Hiwatari”, sagte der in diesem Moment, „Es ist physikalisch nicht möglich, den Spin Gear zweimal zu aktivieren. Selbst du müsstest das wissen.” „Ich will ihn ja gar nicht zweimal aktivieren”, entgegnete Kai und ging zum Tisch, wo er sich ungefragt setzte. Er wies auf den zweiten Stuhl. „Setz dich, dann erkläre ich es dir.” Er trug diese Idee schon mit sich herum, seit Spin Gears eine Standardkomponente ihrer Blades geworden waren. Sie waren wesentlich, um besonders starke Spezialattacken hervorzubringen. Der einzige Nachteil war, dass sie so auf eine einzige Spezialattacke pro Kampf beschränkten - der Turbo war nicht nachladbar. Natürlich konnten sie ohne ihn angreifen, doch es nahm ihnen einen Großteil ihrer potenziellen Kraft. Kai wusste, dass Yuriy beispielsweise leicht zwei Novae Rog hintereinander zünden lassen konnte, doch was machte das schon für einen Sinn, wenn die zweite nur noch zum Nachtreten reichte? Viele Blader versuchten daher, ihre stärksten Angriffe nach hinten zu schieben, sie nur im Notfall einzusetzen. Das war möglich, solange es sich um kurze Kämpfe handelte. Doch sie schritten weiter im Turnier voran, und je stärker ihre Gegner wurden, desto länger würde es dauern, sie in die Knie zu zwingen. In nicht allzu weit entfernter Zukunft würde Kai sein ganzes Repertoire an Strategien einsetzen müssen, denn sie würden auf Baihuzu treffen und, wenn das Schicksal mitspielte, erneut gegen die BBA Revolution. Und außerdem ging ihm seit dem Match gegen Max ein Gedanke durch den Kopf, den er nicht mehr loswurde. Eine neue Attacke, mächtig genug, um es mit Kinomiya aufnehmen zu können. Mächtiger als der Blazing Gig Tempest, den er bisher ebenso sorgfältig unter Verschluss gehalten hatte. Kai wusste auch, dass er sie nicht ohne die Hilfe seines Leaders entwickeln konnte. Doch bisher hatte er nicht den richtigen Moment gefunden, um Yuriy darauf anzusprechen. Wenn es soweit war, würde er seine ganze Überzeugungskraft aufbringen müssen. Das alles sagte er Boris natürlich nicht. Boris musste nur eines wissen, und zwar, dass Kai den Spin Gear in seinem Blade rückwärts laufen lassen wollte. Doch der andere war nicht dumm, natürlich nicht. Er dachte eine Minute darüber nach, dann schien es ihm klar zu werden. „Links-Spin”, murmelte er und hob den Blick wieder von seinen verschränkten Armen, um Kai anzusehen. „Wie Dragoon.” Kai rechnete fest damit, dass Boris ihm eine Beleidigung an den Kopf werfen und zehn Gründe aufzählen würde, warum der Plan nicht funktionieren konnte. Stattdessen breitete sich ein wölfisches Grinsen in seinem Gesicht aus. In seinen Augen glomm der Ehrgeiz. „Du durchtriebenes Stück Dreck, Hiwatari”, sagte er. Sergeij konnte sein Erstaunen nicht verbergen, als Kai und Boris gemeinsam zum Training erschienen. Es war ihm nicht zu verübeln, schließlich gingen sie sich sonst nach Möglichkeit aus dem Weg. „Wo ist Yuriy?”, fragte er, doch keiner der beiden hatte eine Antwort. „Vielleicht ein Meeting”, vermutete Boris. Die Teammanager trafen sich beinahe jeden zweiten Tag, nicht zuletzt, um zu erfahren, wer gegen wen antreten würde. Hinter den Paarungen stand wohl ein recht kompliziertes System, das mehr oder weniger auf Leistung und Zufall basierte. Da sie sich nun schon in der vierten Runde der Weltmeisterschaften befanden, hielten sich die möglichen Kombinationen inzwischen aber in Grenzen. Sie hatten bisher zwei Punkte geholt. Nun galt es, keine Fehler mehr zu machen, wenn sie ins Finale kommen wollten. Je größer der Punkteabstand zu den anderen Teams war, desto besser. „Hey”, sagte Kai laut, um die Aufmerksamkeit seiner Teamkollegen auf sich zu ziehen. „Ihr zwei gegen mich.” „Dein Ernst?”, fragte Boris belustigt, „Ist dir dein Sieg über Klein-Maxie zu Kopf gestiegen?” Kai schnaubte. „Gewinnt einen Kampf und denkt, er ist der große Macker. Komm Sergeij, das wird spaßig.” Kai ging hinüber zur Bowl und machte sich bereit. Er hatte Boris nicht umsonst getriezt: Ein schnelles Übungsmatch würde ihm guttun. „Was dauert das so lange, habt ihr Angst?” Boris klickte Falborg auf den Starter. „Träum weiter, Hiwatari. Ich dachte, du brauchst deinen Blade noch.” „Um deinen ist es dafür nicht schade, Kuznetsov.” Boris machte ein abfälliges Geräusch und winkte Sergeij noch einmal zu sich. Der Blonde setzte sich seufzend in Bewegung. Doch noch bevor er bei Boris angekommen war, flog die Tür auf und Yuriy kam fluchend in den Trainingsraum. „Dieser verschissene…” Er hielt inne, als er sah, in welcher Position sich sein Team befand. „Was zur Hölle macht ihr da?” „Hiwatari will eins aufs Maul”, antwortete Boris, „Die Gelegenheit wollten wir uns nicht entgehen lassen.” Yuriy blickte Sergeij und ihn einen Moment lang an, dann seufzte er. „Hör auf mit dem Scheiß, Boris.” „Aber Hiwatari hat angefangen!” „Weg von der Bowl hab ich gesagt!” Boris stöhnte genervt und zog seinen Blade wieder vom Shooter, bevor er sich auf eine Bank fallen ließ. Kai war der kurzen Auseinandersetzung mit gehobenen Augenbrauen gefolgt und gab Yuriy nun ein stummes Signal, damit er erzählte, was ihn so aufregte. Sein Teamchef stand neben ihm und presste die Lippen fest zusammen, sodass sein Mund nur noch ein grimmiger Strich war. „Diese Meetings mit Daitenji sind eine einzige Schlammschlacht. Die reine Zeitverschwendung”, sagte er schließlich. „Oooh”, machte Boris, „Sag mir bitte, dass die PPB-Tante diesem Kinomiya-Schnösel die Augen ausgekratzt hat!” Selbst von Sergeij kam nun ein beifälliges Geräusch. Doch Yuriy schnaubte nur. „Schön war’s. Miss Judy tut so, als würde Ricks Verhalten ihr leid tun, aber ihre Heuchelei ist so schlecht gespielt, es ist beinahe lustig.” Inzwischen hieß Max’ Mutter bei den meisten nur noch Miss Judy, und das war nicht immer höflich gemeint. „Kinomiya benimmt sich, als gehörte ihm die gesamte BBA und Daitenji bricht sofort der Schweiß aus, sobald mal jemand etwas lauter spricht. Aber der schlimmste von allen ist - Barthez.” Der Name erklang wie ein dunkles Grollen. „Was hat er gemacht?”, wollte Boris wissen, da Yuriy nicht weitersprach. Es dauerte auch eine ganze Weile, bis eine Antwort kam. „Er hat mir nach dem Meeting aufgelauert, nur um mich zu beleidigen”, sagte Yuriy dann. „Aber warum?” „Wir treten als nächstes gegen Barthez Soldiers an. Er wollte mich nur triezen. Aber das Schlimme ist - er hat es geschafft.” „Respekt”, sagte Sergeij nur und Kai fragte sich, was in aller Welt der Alte wohl gesagt hatte. Yuriy war nicht leicht zu reizen, obwohl selbst sein Nervenkostüm unter dem Stress des Turniers zu leiden begann. Anders als die anderen Teams hatten sie mit ihm nur eine einzelne Person, die die Jobs von Captain, Coach und Athlet in sich vereinte. Und Barthez war ihnen sowieso nicht geheuer. Nicht, seit sie den ersten Kampf seines Teams gesehen hatten. Kurz dachte Kai an Miguel, der ein ernstzunehmender Blader sein könnte, wenn er sich von seinem zwielichtigen Manager trennte. Er wies einladend auf die Bowl. „Gehört ganz dir.” Vielleicht würde das Yuriy helfen, sich wieder zu beruhigen. Und tatsächlich lächelte der andere kurz zu ihm hinab, was dazu führte, dass Kais Blick einen Deut zu lange auf seinem Mund verweilte. Seit Madrid herrschte eine ganz neue Anziehungskraft zwischen ihnen, und er erwischte sich regelmäßig dabei, wie er in völlig unpassenden Momenten gedanklich abdriftete. Sie hatten sich noch ein paar Mal geküsst, gerade so oft, dass er sich noch an jedes einzelne Mal erinnern konnte. Es passierte einfach, und keiner von ihnen stellte es unnötig infrage. Eventuell hatten sie am vorigen Abend dabei ein wenig die Zeit aus dem Blick verloren. Denn Yuriy zu küssen wurde nicht langweilig. Hinter ihnen erklang ein Räuspern. Kai schreckte hoch und drehte sich erneut zur Tür um. Dort stand Kyoujyu, den Laptop an die Brust gepresst und offensichtlich eingeschüchtert von den vier düsteren Augenpaaren, die ihm entgegensahen. Er machte ein langgezogenes, ängstliches Geräusch, konnte sich dann aber fangen und stotterte drauf los: „Ich wollte euch wirklich nicht stören - hi Kai erstmal, schön dich… Egal, denkt bitte nicht, dass ich euch ausspionieren will, ich wollte nur mit euch sprechen wegen Barthez Soldiers, ich meine, weil ihr doch…” „Kyoujyu”, unterbrach Kai ihn, „Atmen nicht vergessen.” Der Junge rang zitternd nach Luft. „Und jetzt kommst du rein, machst die Tür hinter dir zu und setzt dich.” Es dauerte eine Weile, bis Kyoujyu den Mut fand, sich in einen geschlossenen Raum mit Neo Borg zu begeben. Immer wieder warf er Yuriy ängstliche Blicke zu, konnte ihn aber nicht länger als eine Sekunde ansehen, was dem Rothaarigen ein für den Kleineren nicht registrierbares Grinsen entlockte. Erst als sie sich setzten und nicht mehr ganz so hoch vor ihm aufragten, beruhigte Kyoujyu sich. „Also”, fing er noch einmal an, „Ich bin wegen Barthez Soldiers hier. Wir haben am letzten Abend in Madrid schon Baihuzu und die PPB All Starz getroffen. Ursprünglich wollten wir euch auch dazuholen, aber ihr wart nicht auf euren Zimmern.” „Wir waren in der Stadt”, sagte Boris knapp, warf Kai und Yuriy aber einen verwirrten Blick zu. Kai erwiderte diesen ausdruckslos. Dabei ging ihm eine Frage durch den Kopf: Waren da nicht stimmen draußen im Flur gewesen, als sie - ? „Was ist mit Barthez Soldiers?”, fragte Yuriy. „Genau.” Kyoujyu klappte den Laptop auf und drehte ihn herum, sodass sie den Bildschirm sehen konnten. Darauf lief ein Video, dass zwei sich umkreisende Beyblades zeigte. Die Bewegungen waren um ein Vielfaches verlangsamt. „Das ist das Match zwischen Baihuzu und Barthez Soldiers”, erläuterte Kyoujyu. Viel mehr musste er nicht sagen. Durch die Zeitlupe waren deutlich die Haken zu erkennen, die aus Miguels Blade schossen und Driger trafen, noch bevor dieser Death Gargoyle überhaupt erreicht hatte. „Hm”, machte Yuriy, „Also so haben sie es gemacht.” Kai brummte zustimmend. „Ihr wusstet, dass sie betrügen?”, sagte Kyoujyu, „Warum habt ihr nie etwas gesagt?” „Wir waren nicht sicher. Und ihr habt sie doch besiegt, oder? Also was interessiert es dich noch?” Kyoujyu klappte den Laptop wieder zu. Er wirkte nachdenklich, vielleicht war er sogar verärgert über Yuriys Worte. „Wir haben uns mit den anderen Teams darüber beraten, wie wir vorgehen. Es macht keinen Sinn, Barthez Soldiers vom Turnier auszuschließen. Das würde eine Wiederholung aller bisherigen Matches nach sich ziehen. Trotzdem wollten wir euch warnen, weil ihr als nächstes gegen sie antretet.” „Danke, Kyoujyu”, sagte Kai und schnitt damit Boris das Wort ab, der schon wieder den Mund öffnete, um eine spöttische Bemerkung zu machen, „Du hast unseren Verdacht nur bestätigt. Wir haben nicht vor, uns von Barthez verarschen zu lassen.” „Gut.” Der Kleinere sprang auf, offensichtlich froh darüber, seine Nachricht überbracht zu haben. „Das war es eigentlich auch schon. Das heißt, eigentlich...” Er warf Kai einen Blick zu. „Vielleicht solltest du wissen, dass Takao… ” „Was hat Kinomiya?” „Ach, nichts - nichts!” Er trat übertrieben hastig den Rückzug an. „Kai...Yuriy...War schön, euch mal wieder gesprochen zu haben…” Und schon fiel die Tür hinter ihm zu. Nun wanderte die Aufmerksamkeit des gesamten Teams zu Kai. „Was sollte das denn?”, fragte Boris. Er hob nur die Schultern. Yuriy lief im Zimmer auf und ab und schien etwas zu suchen. Die Vorhänge waren offen, sodass hinter ihm die Stadt und die Wüste am Horizont zu sehen waren, wo die Sonne langsam tiefer wanderte. Kai lag auf dem Bett und versuchte zu lesen. „Ich habe das Gefühl, wir fahren besser, wenn ich das erste Match mache”, sagte Yuriy, der in diesem Moment bis zu den Ellenbogen in seiner Reisetasche stecke. „Jedesmal wenn du der erste warst, haben wir schlechter gespielt. Also fange ich morgen an.” „Okay”, murmelte Kai. Yuriy richtete sich auf und warf ein Kleidungsstück zur Seite. „Hast du was dagegen, wenn ich Miguel übernehme?”, fragte er. „Hm?” Nun sah Kai doch auf, gerade rechtzeitig um zu beobachten, wie der andere sich das Shirt über den Kopf zog. Seine Augenbrauen zuckten nach oben und er gönnte sich einen etwas längeren Blick. Als Yuriy das bemerkte, warf er sein Oberteil nach ihm. „Was ist nun?” Kai setzte sich auf und verschränkte die Arme. „Du wirst dich schon entscheiden müssen”, sagte er, „Entweder du willst als erstes kämpfen oder du willst gegen Miguel antreten. Dass beides klappt wird dir ja niemand versprechen können. Um ehrlich zu sein würde ich gern selbst gegen Miguel spielen.” „Das dachte ich mir, und deswegen frage ich ja.” „Du bist doch sonst nicht wählerisch mit deinen Gegnern”, stellte Kai fest, „Warum bestehst du jetzt so darauf?” Daraufhin schwieg Yuriy. Er stand noch immer halbnackt da: groß, schlank; starke Arme; lange, helle Wimpern. Kai hätte sich gerne noch länger an diesem Anblick erfreut. Doch dann seufzte der andere und griff nach dem neuen Shirt, um es sich überzuziehen. „Wahrscheinlich hast du recht”, meinte er, „Es ist egal; du kannst ihn haben.” „Hm”, machte Kai, den diese Worte nicht überzeugten. „Da ist doch noch was.” Der Rothaarige hielt inne und schenkte ihm ein schiefes Grinsen, als er langsam auf ihn zukam. Er ließ sich neben ihm auf der Bettkante nieder und betrachtete ihn von der Seite. „Es ist nichts, Kai. Ich will diesem Team nur seinen Betrügerarsch versohlen. Und vielleicht will ich Barthez ein bisschen weinen sehen. Außerdem bin ich ja nicht der einzige mit Geheimnissen hier, nicht wahr?” Kai runzelte die Stirn und Yuriy beugte sich ein Stück zu ihm. Eine einschüchternde Geste, zumindest für die meisten. „Was heckst du mit Boris aus, hm? Glaubst du ich weiß nicht, dass er Teile für dich entwirft?” Kai wandte den Blick ab und blätterte gelangweilt in seinem Buch. „Warum fragst du ihn nicht selbst?” „Das hat Boris auch gesagt. Er will nichts verraten, solange er nicht sicher sein kann, dass es überhaupt funktioniert.” „Nun, dann wirst du dich wohl gedulden müssen.” „Ich mag es nicht, wenn in diesem Team Dinge hinter meinem Rücken geschehen.” Yuriy hob eine Hand, um ihm eine Haarsträhne aus der Stirn zu streichen. „Aber ich lasse es dir durchgehen, wenn du dafür Miguel erledigst. Schließlich bist du…” Die kalten Finger wanderten seine Wange hinab, schlossen sich um sein Kinn und Yuriy senkte die Stimme, bis sie nur noch ein Wispern war „...mein stärkster Blader.” Kai ließ zu, dass er seinen Kopf herumzog, um ihn direkt anzusehen. Es gab nur wenige Menschen, die sich trauten, ihm so herausfordernd zu begegnen und noch weniger, die er dafür nicht sofort in die Schranken wies. Die spielerische Provokation zwischen ihnen trieb seinen Puls an. Seine ausbleibende Gegenwehr schien auch Yuriy zu gefallen, denn seine Mundwinkel hoben sich ein wenig. „Also gehst du morgen in die Arena und kämpfst für mich, verstanden?” Er unterstrich diese Worte mit einem festen Griff, und Kai ergötzte sich noch etwas an dem Leuchten in seinen Augen. Dann blinzelte er ihm zu. „Aye, Captain.” Doch noch immer ließ Yuriy ihn nicht los. „Schon komisch”, meinte er, „Ich wusste wirklich nicht, woran ich an dir bin. Selbst auf dem verdammten Sofa dachte ich, du würdest mir wegrennen.” „Witzig, dass du das sagst”, murmelte Kai, „Ich wusste ja nicht einmal, ob ich für dich überhaupt eine Option bin.” „Du hast mich ja auch nie gefragt.” „Touché.” Dieser Abend in Madrid war gerade zwei Tage her - die Zeit genügte kaum um zu verstehen, was gerade zwischen ihnen passierte. Oder besser: ob etwas passierte. Kais Gedanken waren im Augenblick mit so viel anderem beschäftigt, nicht zuletzt den Matches, die vor ihnen lagen. Damit sie weiter voran kamen, brauchte er das Wissen seines Leaders. Und der wiederum brauchte ihn ebenso, um sein Ziel zu erreichen - was auch immer dieses Ziel war. Kai hatte schlicht keine Energie, lange zu überlegen, wie er seine Beziehung zu Yuriy interpretieren sollte. Es gefiel ihm, so viel wusste er. Und solange ihre Leistung dadurch nicht beeinflusst wurde, war doch alles in Ordnung. Yuriy zog ihn das letzte Stück zu sich heran. Sofort fanden ihre Lippen sich und sie versanken in einem Kuss, der länger zu werden versprach. Kai löste nun endlich die Hand des anderen von seinem Kinn, nur, um seinerseits nach oben in das rote Haar zu greifen, damit Yuriy den Kopf in den Nacken legte und er an seinen Hals herankam. Er wurde mit einem wohligen Seufzen belohnt. Seine Finger fuhren durch Yuriys Mähne. „Nicht, Kai, meine Haare…Argh…Du…bist scheiße…” Das klang höchsten halb so überzeugend wie es sein könnte. Er wollte gerade noch einmal zupacken, als Yuriy sich versteifte. „Ist das dein Handy?“ Kai richtete sich auf und drehte den Kopf. „Nein“, sagte er, „Das ist deins.“ Plötzlich stieß Yuriy ihn von sich weg, sodass er rücklings auf der Matratze landete. „Scheiße!“, rief er und rannte schon zu seiner Tasche zurück, um hektisch in ihr zu wühlen, „Die Pressekonferenz! Die habe ich total vergessen!“ „Ich kann diese hässliche Fratze nicht mehr sehen”, grollte Boris am nächsten Morgen. Er spähte an Yuriys Kopf vorbei zum nächsten Tisch, wo Barthez Soldiers saßen. Es wirkte, als wäre die Stimmung dort drüben recht trüb. Jeder war in seine eigenen Gedanken vertieft und Barthez saß am Tischende wie ein Aasgeier über der Beute. „Oh bitte”, sagte Kai, „Dein Spiegelbild bist du doch auch gewohnt.” „Halt die Fresse, Hiwatari.” „Willst du mich provozieren, Kuznetsov?” „Hört auf”, ging Yuriy dazwischen, doch er machte sich nicht einmal die Mühe, die Stimme zu heben. „Ich helfe Hiwatari nur, sich auf den Kampf einzustimmen, Yura.” „Ich brauche keine Cheerleader!” „Haltet bitte einfach das Maul, ja?!” Yuriy seufzte und begann, sich die Schläfen zu massieren. Kai und Boris warfen sich einen verwunderten Blick zu, doch keiner von beiden wusste, weshalb ihr Leader heute so angespannt war. Kai konnte sich nicht erklären, warum er ausgerechnet vor dem Match gegen Barthez Soldiers nervös werden sollte. Der einzige fähige Blader in diesem Team war Miguel, und selbst der hinkte im Vergleich zu Leuten wie Max und Rick oder Rei und Lai weit hinterher. Bei seinem Battle gegen Kinomiya hatte er ein paar nette Moves gezeigt, die wesentlich mehr über sein Potenzial verrieten als alle vorigen Runden zusammen. Dennoch war er, während Barthez das Team ständig zu Betrügereien angestiftet hatte, komplett von allen anderen abgehängt worden - und der Rest seines Teams erst recht. Für Kai war er interessant, weil sein Death Gargoyle ein Feuer-Bit-Beast war. Es gab nicht viele neue Blader, die ihm nachhaltig im Gedächtnis blieben. Anders als Kinomiya mit seiner Beyblade-Klasse hatte er auch nie daran gedacht, sein Wissen irgendwann weiterzugeben. Bei Miguel aber dachte er, wenn er ihm hier und da ein paar Tricks verraten würde, könnte der Blonde es ziemlich weit bringen. Zunächst aber musste ihm gezeigt werden, wer die Herrin des Feuers war, und das war unbestreitbar seine Suzaku. „Privjet!” Ihre Blicke hoben sich, denn niemand von Neo Borg hatte gesprochen. Es war Max, der zu ihnen herüber gekommen war, in Begleitung von Emily. Boris verzog missbilligend das Gesicht, doch Kai ignorierte ihn und bot den Amerikanern einen Stuhl an. Max steckte aber nur die Hände in die Taschen und lächelte auf sie hinab. „Ich hatte gehofft, dich mal kurz entführen zu können, Kai”, sagte er, „Und Emily wollte dich nach einem Date fragen.” „Was? Max!”, rief Emily erbost und holte Luft, um sich zu erklären. „Boris. Zu dir wollte ich.” Der Angesprochene verschränkte die Arme. „Ich brauche das Rezept für deine Legierung.” „Warum sollte ich dir das geben? Damit die PPB es gegen uns verwenden kann, falls ihr ins Finale kommt?” „Ich will es erst nach dem Turnier, Dummkopf! Es heißt, du bist der beste Tuner hier und unsere bisherigen Legierungen sind Schrott.” „Wow.” Boris lehnte sich nun vor, „Kannst du das noch mal etwas lauter sagen? Die PPB gibt zu, etwas nicht zu können?” Emily schnaubte verächtlich. „Das heißt noch lange nicht, dass sein Rezept wirklich besser ist als unseres. Ich will nur Vergleichsdaten.” „Schätzchen”, sagte Boris, „Guck dir Wolborg an. Der beste Blade, den ich je entwickelt habe. Und selbst Hiwatari benutzt inzwischen meine Teile. Glaub mir, ich weiß, was ich tue.” „Na bitte. Was ist nun?” „Du kannst mein altes Rezept haben, um das ist es nicht schade…” Das Gespräch ging noch weiter, doch in diesem Moment stieß Max Kai an und nickte in Richtung des Ausgangs. Kai drehte sich zu Yuriy und sah ihn fragend an, woraufhin sein Leader eine flüchtige Geste machte. „Wir bleiben hier noch eine Weile. Ich glaube, ich brauche noch einen Kaffee.” Mit diesen Worten erhob er sich. Kai tat es ihm nach und während Yuriy zur Kaffeemaschine schlenderte, folgte er Max. Max zog zwei Dosen Cola aus dem Automaten, mit denen sie sich nach draußen in den Schatten einer Palme setzten. „Barthez Soldiers…“, meinte er und kassierte einen Seitenblick von Kai. „Ihr wisst über alles Bescheid? Habt ihr die Aufnahmen von Kyoujyu gesehen?“ „Ja“, sagte Kai, „Er ist sogar persönlich zu uns gekommen. Aber ich weiß nicht, ob es etwas nützen wird. Kinomiya hat sie in Madrid ganz schön aus dem Konzept gebracht.“ „Glaubst du, sie ändern ihre Taktik?“ Kai hob die Schultern. „Könnte doch sein, oder? Ich hoffe nur, dass Miguel trotzdem antritt. Alle anderen in diesem Team sind nicht zu gebrauchen.“ „Zu viele technische Patzer“, sagte Max nickend, „Zu unerfahren. Mit Fairplay hätten sie nicht die geringste Chance.“ „Dafür sind sie der Publikumsliebling“, meinte Kai und deutete zum Eingang des Stadions, der sich in ihrer Sichtweite befand. Dort tummelte sich bereits eine bunte Masse. „Sind das Cosplayer?“ Max kicherte nur ungläubig und nahm einen Zug aus seiner Dose. Kai musterte ihn erneut von der Seite. Der Blonde benahm sich vielleicht wie immer, sah aber nicht so aus. „Du hast zu wenig geschlafen“, stellte er fest. „Ich schlafe seit Tagen zu wenig“, entgegnete Max, sein Lächeln verschwand beinahe gänzlich. „Es ist ziemlich tough dieses Jahr. Habe ich dir eigentlich jemals dafür gedankt, dass du den Leuten bei unserem Match gesagt hast, sie sollen das Maul halten?“ „Hast du nicht, aber ein Kaffee wäre nett“, sagte Kai und bekam einen Klaps gegen den Oberarm. Wieder ließ er den Blick zu der Masse von Cosplayern wandern. Barthez Soldies waren, zugegeben mit mehr als ein wenig Zutun von Rick, am schlechten Ruf des amerikanischen Teams Schuld. Sobald die PPB das Stadion betrat, wurden sie verbal von den Menschen zerpflückt. Natürlich ging das einem sonnigen Gemüt wie Max mit der Zeit unter die Haut. Kai erinnerte sich an die Atmosphäre purer Feindseligkeit, die ihr Match überschattet hatte. Nach den durchwachten Nächten wegen Yuriys Zusammenbruchs waren seine Nerven zu gespannt gewesen, um auch noch ein schwieriges Publikum, das die ganze Zeit schimpfte, aushalten zu können. Später hatte Boris gemeint, dass er ein ziemlich beeindruckendes Volumen hatte für jemanden, der so wenig sprach. Max neben ihm rutschte ein wenig hin und her und holte sich so seine Aufmerksamkeit wieder zurück. Er hatte geahnt, dass sein ehemaliger Teamkollege nicht nur mal eben ein wenig Plaudern wollte. Irgendetwas lag in der Luft. „Hat Kyoujyu erwähnt, dass wir uns in Madrid mit Baihuzu und der BBA Revolution getroffen haben?”, fragte Max schließlich. Kai nickte nur. „Okay, also… Bei diesem Treffen sind ein paar unschöne Sachen zur Sprache gekommen.” „Nämlich?” „Tja, es ging um Yuriy und die anderen. Und um Volkov.” Kai wandte sich ihm zu. „Aber das ist kein Geheimnis.” Immerhin wussten zumindest alle Teams, die schon bei der ersten Meisterschaft dabei gewesen waren, was vorgefallen war. „Schon, aber an die große Glocke hängt es nun auch niemand”, sagte Max. „Die Sache ist die, Kai - Rick ist ziemlich ausgeflippt, als er die Geschichte gehört hat. Er scheint der festen Überzeugung zu sein, dass mit eurem Team irgendwas nicht stimmt. Vermutlich ist sein Ego ziemlich angeknackst, weil er gegen dich verloren hat. Aber ich weiß nicht, ob er sich nicht gerade etwas zu sehr in seinen Frust reinsteigert.” Kai runzelte die Stirn. Max wollte es vielleicht nicht direkt sagen, aber er warnte ihn hier gerade ausdrücklich vor seinem eigenen Tagteampartner. „Bist du sicher, dass du mit dem Typen klarkommst?”, fragte er deswegen, doch Max winkte müde ab. „Ja ja. Mach dir um mich keine Sorgen. Pass lieber auf dein eigenes Team auf.” „Oh, wir wissen uns schon zu verteidigen. Hast du sonst noch mal mit Rei oder Kinomiya gesprochen?” Max schüttelte den Kopf. „Ich habe Hiromi ein paar mal zufällig getroffen, aber mehr als Smalltalk war nicht drin.” Kai brummte. Dann war es wirklich nicht nur seine Wahrnehmung. Zwischen den ehemaligen Bladebreakers war es still geworden. Vor allem Kinomiya, ausgerechnet er, hatte sich zurückgezogen. Ob er immer noch beleidigt über ihre Trennung war? Dass Rei keinen Kontakt wollte, war irgendwie nachvollziehbar. Sein Ehrgeiz war nicht zu übersehen. Beinahe war man gewillt, ihm zu sagen, er solle sich beruhigen, damit er sich nicht selbst im Weg stand. Komisch, normalerweise war das immer Kais Problem. „Wir treten als nächstes gegen Baihuzu an”, sagte Max leise. „Das werde ich mir nicht entgehen lassen.” „Ja. Ich hoffe nur, dass Rick sich benimmt…” Darauf erwiderte Kai nichts. Max war nicht auf Tipps angewiesen, und Kai war sich sowieso nicht sicher, ob er in dieser Situation einen guten Rat geben konnte. Die Art und Weise, wie sie Probleme lösten, war bei ihnen zu einem großen Teil grundverschieden. So schwiegen sie einträchtig und leerten ihre Getränkte. Nach einer Weile hob Max die Arme über den Kopf, streckte sich und seufzte. „Okay, genug Trübsal geblasen!”, sagte er entschlossen, „Erzähl mir was Positives, Kai!” „Bitte was soll ich?” „Komm schon, ich brauche ein paar good vibes. Wie läuft es mit Yuriy? Sag mir bitte nicht, dass du ihn immer noch aus der Ferne anschmachtest!” „Ich schmachte nicht!”, entgegnete Kai entrüstet. „Lenk nicht ab. Glaubst du, mir ist nicht aufgefallen, dass du ihn um Erlaubnis gefragt hast, bevor du mit mir mitgekommen bist? Ich meine, ausgerechnet du! Kai - ich komme und gehe wann ich will - Hiwatari! Er hat dich ganz schön im Griff, mein Lieber!” Max lachte, als Kai ihm einen bösen Blick zuwarf. „Jetzt guck nicht so. Ich glaube schon, dass du Chancen bei ihm hättest. Denkst du nicht, er hat vielleicht Interesse?” „Hmm”, machte Kai unbestimmt und verkniff sich ein Grinsen. Als sie in den Speisesaal zurückkamen, war Emily schon wieder zu den PPB All Starz gegangen und Neo Borg saßen über ihre jeweiligen Aufgaben gebeugt. Kai verabschiedete sich von Max und wollte gerade zu den andern gehen, als sich Barthez von seinem Stuhl erhob. Mit ein paar Schritten war er bei den Russen angekommen und stützte sich mit einer Hand auf dem Tisch ab, sodass sie ihn nicht ignorieren konnten. Kai hob die Augenbrauen, dann eilte er zu seinem Team. „...könnt es gebrauchen”, hörte er Barthez noch sagen, als er ankam. Seine Stimme war gesenkt, doch messerscharf. „Eure Leistungen haben schließlich ein wenig gelitten. Aber bei so verbrauchten Beybladern wie euch ist das ja nicht verwunderlich.” Kai konnte nicht anders, als Barthez fassungslos anzustarren, genau wie so ziemlich alle anderen, die im Saal versammelt waren. Sie hatten ihn nicht gehört, fragten sich aber sicherlich, was er kurz vor dem Match mit Neo Borg zu schaffen hatte. Kai zumindest verstand es nicht. Die Mienen seiner Teammitglieder waren wie versteinert. Boris’ Hände waren um die Tischkante gekrallt und Sergeij war auf beunruhigende Weise erbleicht. Barthez ignorierte sie allesamt und lachte gekünstelt. „Nun ja, ich kann es verstehen. Euch fehlt ebenso die harte Hand, die euch führt…” Bei diesen Worten riss Boris die Augen auf. Kai wollte schon nach seinem Arm greifen, da er der festen Überzeugung war, dass der andere sich im nächsten Moment auf Barthez stürzen würde. Doch eine weitaus bedrohlichere Bewegung vollzog sich zu seiner anderen Seite: Yuriy erhob sich, und obwohl er äußerlich ruhig wirkte, umstrahlte eine Aura aus Wut ihn weit. „Barthez”, sagte er leise, „Verschwinde.” „Aber, aber. Ich will mich doch nur unterhalten… Yuriy.” Sein Gesichtsausdruck verriet jedoch, dass mehr dahinter steckte. Am Rande seines Blickfeldes bemerkte Kai, wie Judy und Hitoshi sich näherten. Wahrscheinlich waren sie aufgeschreckt durch Yuriys Angriffshaltung. Warum ließ sich sein Leader so von dem Alten provozieren? „Du musst schon zugeben, du hattest schon bessere Turniere”, fuhr Barthez fort, „Als Beyblader hast du ganz klar den Zenit überschritten. Gut, dass du Hiwatari gekauft hast, nicht wahr? Deine anderen beiden Teammitglieder hier...tja.” Er warf einen mitleidigen Blick auf Boris und Sergeij, „Lange könnt ihr jedenfalls nicht mehr mithalten.” „Was hast du gesagt?“ Yuriys Stimme war kaum noch zu hören und hatte eine Färbung angenommen, die Kai aufs Höchste alarmierte. „Ach komm schon, Yuriy, sieh den Tatsachen ins Auge: Ohne ein wenig...Unterstützung seid ihr hier verloren!” Noch ehe jemand etwas hätte tun können, hatte Yuriy Barthez am Kragen gepackt. Der Alte war vielleicht breiter gebaut, doch Yuriy überragte ihn und entgegen alledem, was Barthez soeben behauptet hatte, wirkte er in diesem Moment wesentlich stärker. „Halt mein Team da gefälligst raus!”, zischte der Rothaarige. Es wirkte, als würde er in den nächsten Sekunden einfach zuschlagen. Und alle sahen zu, ebenso überrascht wie Kai. Das könnte sie die Meisterschaft kosten. In diesem Augenblick wurde ihm alles klar: genau das war Barthez’ Plan. Wenn Yuriy gewalttätig wurde, war das ein guter Grund, sie zu disqualifizieren. Kai wechselte einen Blick mit Boris, der ihm mit einem kurzen Handzeichen bedeutete, sich zurückzuhalten. Wahrscheinlich hatte er ebenso erkannt, was hier gespielt wurde. Und ausnahmsweise hörte Kai auf ihn. Auch Judy hatte sie inzwischen erreicht, begleitet von Hitoshi. „Yuriy, eine Prügelei können wir hier nicht dulden“, sagte dieser, „So ein Verhalten wird Konsequenzen haben.“ „Halt’s Maul!“, zischte Boris und es war sein Glück, dass er Russisch gesprochen hatte. Ihr kurzer Schlagabtausch schien gar nicht bei Yuriy anzukommen. Seine Fingerknöchel waren weiß und wenn man ganz genau hinsah, konnte man seine Hände zittern sehen. Hitoshi blickte nun Kai an und öffnete den Mund, doch er schnitt ihm das Wort ab: „Sei ruhig.“ Nun bewegte sich Sergeij. Er ging zu den Erwachsenen und stellte sich sehr dicht neben Hitoshi, der zuerst irritiert und dann ein wenig eingeschüchtert wirkte. Sergeij nickte Boris und Kai kaum merklich zu. „Yuriy“, sagte Boris nun leise. Sie standen so dicht hinter ihm, dass sie ihn hätten berühren können, doch weder Kai noch Boris wagten, die Hand auszustrecken. Sie warfen sich noch einen Blick zu und Kai war sich nicht sicher, was Boris von ihm wollte: Dass er auch mit ihrem Leader sprach oder ihn notfalls von hinten packte, sollte er die Beherrschung verlieren? „Halt dich da raus!“, entgegnete Yuriy. „Nein, das werde ich nicht“, fuhr Boris fort. In so einer ruhigen Stimmlage hörte man ihn selten reden. Er schien auf jedes Wort bedacht zu sein. „Vergiss nicht, Yuriy, du bist unser Teamchef. Du handelst verantwortungslos. Wenn du ihn zusammenschlägst werden wir disqualifiziert.“ Yuriy atmete aus. „Hör auf, das bringt nichts“, sagte nun auch Kai und versuchte, denselben Ton anzuschlagen, wie Boris. Und tatsächlich schienen ihrer beider Stimmen den Rothaarigen endlich zur Besinnung zu bringen. Kai beobachtete, wie seine Schultern sich entspannten und die Hände entkrampften. Endlich konnte Barthez sich wieder aufrichten. Er fingerte an seinem Kragen herum und versuchte überheblich zu gucken, doch seine Mimik verriet deutlich, dass ihn Yuriy trotz allem nervös gemacht hatte. Ihr Teamchef hingegen stieß noch einmal verächtlich die Luft aus und wandte sich ab, warf noch einen flüchtigen Blick auf sein Team und ging dann an ihnen vorbei auf den Ausgang zu. Sämtliche Augen im Saal waren auf ihn gerichtet und flogen zurück zu Kai und den anderen, als er weg war. „Du mieses Stück Scheiße!”, fauchte Boris auf Russisch und stürzte in Barthez’ Richtung, doch er wurde von Sergeij aufgehalten, der ihn an der Schulter packte. Barthez beugte sich leicht nach hinten, wie um ihm auszuweichen, und grinste schon wieder. Es wirkte mehr denn je wie eine Maske. Erst jetzt fielen Kai Miguel und die anderen auf, die hinter ihrem Coach Aufstellung genommen hatten, puren Schock auf den Gesichtern. Er trat noch einmal an Barthez heran. „Du hast keine Ahnung, welches Glück du eben hattest“, sagte er, bevor er sich umdrehte und Yuriy folgte. „Warte, bleib hier! Lass ihn in Ruhe!“, rief Boris ihm hinterher, doch er beachtete ihn nicht. Er fand Yuriy in ihrem Zimmer, wo er mit dem Rücken an die Wand gelehnt saß, die Beine angezogen. „Alles okay?“, fragte Kai unbeholfen und er nickte. „Danke“, sagte er, „Ich hätte ihn weich geschlagen, wenn ihr nicht dazwischen gegangen wäret.“ Kai machte eine fahrige Bewegung mit den Schultern und musterte seinen Teamchef. In ihm arbeitete es wohl immer noch. Er war angespannt, sein Blick irrte hin und her und heftete sich dann an Kai. Wollte sein Gesicht nicht mehr loslassen. Kai konnte seine Augen nicht vor Yuriys verschließen. „Ich hätte beinahe die Beherrschung verloren“, sagte der Rothaarige, „Ironisch, oder? Ausgerechnet bei einer falschen Bemerkung über die Abtei raste ich aus. Das ist mir…seit einer Ewigkeit nicht mehr passiert. Nicht einmal in Irkutsk, als wir uns geschlagen haben.“ Er konnte seine Hände nicht stillhalten. Obwohl er die Arme verschränkt hatte, krochen seine Finger stetig über seinen Pullover. Sie schienen immer noch zu zittern. „Er hat dich absichtlich provoziert”, erklärte Kai, „Von Anfang an hat er darauf gesetzt, dass wir disqualifiziert werden. Es war wie immer nur ein mieser Trick - und du bist ja nicht darauf reingefallen.” „Weil ihr da wart, Kai“, entgegnete Yuriy, „Was, wenn ihr nicht da gewesen wäret? Oder wenn ich auf euch losgegangen wäre? Auf Boris? Auf dich? Du verstehst nicht, wie das ist. Manchmal ist mein Körper stärker als mein Geist. So tief steckt die Abtei in mir drin.“ „Aber du gehst nicht auf Boris los. Er ist dein bester Freund“, unterbrach Kai, „Und ich… In Irkutsk hast du auch nur einmal zugeschlagen.“ Daraufhin schnaubte Yuriy und lehnte den Kopf nach hinten an die Wand. Er wirkte auf einmal sehr erschöpft. „Diese Weltmeisterschaft bringt alles Schlechte in uns hervor. Erst die Migräne…jetzt das…“ Kai war sich nicht sicher, ob er sich neben ihn setzen sollte, also blieb er, wo er war. „Das stimmt nicht“, sagte er, „Wir spielen fair. Und alle wissen es. Wir sind nicht diejenigen, die betrügen. Yuriy, du bist Kapitän eines Weltmeisterschaftsteams. Und unser Manager. Und aktiver Spieler. Und du machst deine Sache verdammt gut.“ Doch diese Worte schienen an seinem Leader abzuprallen. Von irgendwoher zog Yuriy eine Schachtel Zigaretten und machte Anstalten, eine herauszunehmen, doch seine Finger zitterten. „Nicht hier“, sagte Kai und trat einen Schritt auf ihn zu, um ihn am Oberarm zu packen. „Lass uns rausgehen.“ Er deutete auf die Balkontür und stieß ihn sanft in diese Richtung. „Ich brauche bald was Stärkeres…”, murmelte Yuriy, doch Kai überging es. Wahrscheinlich hatte er auch mehr mit sich selbst gesprochen. Draußen nahm er Yuriy die Zigaretten ab, zog eine aus der Packung und schob sie zwischen seine Lippen, bevor er ihm Feuer gab. „Danke”, nuschelte der Rothaarige und nahm einen tiefen Zug. Kai lehnte sich mit verschränkten Armen an das Balkongeländer. Zum ersten Mal fiel ihm auf, wie sehr sich Hotelzimmer ähnelten. In seinen Erinnerungen verwischten die letzten Tage zu einem diffusen Ereignisstrom. Die Meisterschaftskämpfe waren an ihm vorbeigezogen, denn außerhalb der Arena war so viel mehr passiert. Und trotzdem erschöpften gerade die Matches ihn am Meisten. „Warum hasst du Barthez so?”, fragte er, „Warum ausgerechnet ihn?” „Warum bist du so freundlich zu Miguel?”, entgegnete Yuriy. „Sie sind Arschlöcher, die nur spielen können, wenn sie betrügen. Sie verdienen unsere Anerkennung nicht.” „Hm. Ich glaube, Kinomiya hat sie aufgeweckt”, sagte Kai und meinte das Match in Madrid. „Was noch lange nicht heißt, dass wir uns morgen auf ein Fairplay verlassen können!” „Ist ja gut. Geht es dir jetzt besser?“, fragte Kai, doch er konnte schon sehen, dass Yuriy sich langsam etwas zu entspannen schien. Die Müdigkeit war noch da, aber sie zehrte nicht mehr an ihm. „Du solltest noch ein wenig schlafen, bevor wir losgehen.“ „Ja, Mama.” Kai grinste schief. „Hör ruhig auf mich, ich habe jahrelange Teamlead-Erfahrungen. Bei Kinomiya haben Nickerchen immer Wunder gewirkt.” Aaron hatte gegen Yuriy keine Chance. Die Aggression, die den Rothaarigen an diesem Tag umgab, hatte bis zu ihrem Match nicht nachgelassen. Im Gegenteil, als DJ einen nachlässigen Kommentar zu seinen beiden verlorenen Matches machte, schien er damit alles nur noch zu verschlimmern. Boris zog bei der Bemerkung scharf die Luft ein und selbst Sergeij ächzte. „Irgendwann bringt ihn jemand für sein großes Maul um”, murmelte Boris und Kai konnte nur nicken. An jedem anderen Tag wäre Yuriy so etwas wohl am Allerwertesten vorbeigegangen, aber heute war sein Geduldsfaden knapp vor dem Zerreißen. Zum Glück tobte er sich nur in der Arena aus. Kai, der davon ausging, dass jemand wie Aaron seinem Leader haushoch unterlegen war, beobachtete nicht das Battle, sondern das gegnerische Team. Natürlich hatte Barthez wieder etwas ausgeheckt. Und warum ließ er Miguel nicht antreten? Kai empfand eine ähnliche Beleidigung wie beim Kampf gegen die BBA Revolution in Rom. Schon wieder versuchte irgendein hinterlistiges Arschloch, ihn von einem guten Match abzuhalten. Miguels Augen wanderten in seine Richtung und ihre Blicke trafen sich. Scheinbar war er nicht der einzige, der diese Situation nicht verstand. Nun, wenn es denn unbedingt sein musste, dann würde er mit Claudes Blade das Stadium auswischen und Miguel herausfordern, sobald sich die Gelegenheit bot. In Barthez kam Bewegung. Auf einmal wirkte er aufgeregt, beinahe etwas panisch. Kai fokussierte nun wieder den Kampf und binnen Sekunden war ihm klar, was dort gerade passierte: Aaron rebellierte. Was auch immer sein Coach ihm aufgetragen hatte, er führte den Plan nicht aus. „Ah, jetzt wird es interessant”, sagte Sergeij neben ihm und lehnte sich vor. Während die Zuschauer von allem nichts zu bemerken schienen, verzerrte sich Barthez’ Miene wütend. Das Team allerdings wurde euphorisch: Mathilda ballte die Fäuste, Claudes Augen brannten sich in Aarons Rücken als könne er ihm so Kraft geben und Miguel wirkte, als könne er sich nur sehr schwer davon abhalten, ihn laut anzufeuern. Nun, es war eine nette symbolische Geste, aber Yuriy nahm an diesem Tag keine Gefangenen. Sobald sich der Engine Gear aufgeladen hatte, startete er den Novae Rog. Die Attacke war viel zu stark, und Kai war überrascht, dass sie Aarons Blade nicht komplett vernichtete. Im Stadion herrschte einen Augenblick Stille, bevor der Jubel von Neuem begann. Barthez Soldiers hatten hier nicht wenige Fans, aber Kai wusste inzwischen, dass Neo Borgs Anhängerschaft sehr, sehr laut sein konnte. Als Yuriy zu ihnen zurückkam wirkte er zum ersten Mal wieder etwas gelöster. „Na, hast du noch was für Kai übrig gelassen?”, fragte Boris belustigt. Ihr Leader setzte sich neben ihn und verschränkte die Arme. „Das hat gut getan”, stellte er fest. Kai erhob sich. „Ich geh dann mal die Reste zusammenkehren.” Schon hörte er wieder die ersten Rufe von den Rängen. Seit Madrid waren ihre Fans wohl wirklich inspiriert. Ob er wohl bald Autogramme geben musste? Kurz vor der Bowl fiel ihm auf, dass auf der anderen Seite Tumult entstanden war. Es gab eine lautstarke Auseinandersetzung zwischen Miguel und Barthez. Kai hob die Augenbrauen. Das Glück war ihm an diesem Tag scheinbar hold, denn auf einmal trat nicht Claude, sondern Miguel vor, um das Match zu spielen. Die Anzeigen auf den Monitoren änderten sich binnen Sekunden entsprechend. Kai stieß die Luft aus und konnte nicht ganz verhindern, dass sich sein Mund zu einem Grinsen verzog. Dann standen sie sich gegenüber und er sah die Entschlossenheit in Miguels Gesicht. Der Junge hatte sich diesen Kampf verdient. Er würde ihm zumindest die Chance geben, seine Spezialattacke zu fahren. Auch Suzaku erwachte nun in ihm, vielleicht spürte sie das andere Feuer-Bit-Beast. Auch sie wollte ihre Kräfte zur Schau stellen. Sobald sie ihre Blades gestartet hatten, schoss Death Gargoyle davon. Seinem Namen zum Trotz war er in dem prallen Sonnenschein ein schöner Anblick: Seine Bewegungen waren elegant und gezielt, die rote Legierung glänzte, sodass es wirkte, als zöge er einen leuchtenden Schweif hinter sich her. Kai sparte seine Kräfte und erfreute sich ein wenig an seinem Gegner. Miguel hatte durchaus Potential; sein Blade war gut ausbalanciert und reagierte perfekt bei plötzlichen Richtungswechseln, er erreichte durchaus ernstzunehmende Geschwindigkeit und Miguel wusste, wann er diese drosseln musste, damit ihm nicht die Puste ausging. Darauf konnte man aufbauen. Dann schrie er Kais Namen, schleuderte ihm eine Herausforderung ins Gesicht. Er wollte demonstrieren, was er konnte, auch ohne Barthez. Death Gargoyle brach in Flammen aus - da war sie, die Fire Execution. Kai kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können, machte sich aber nicht die Mühe, dem Angriff auszuweichen. Ein Feuersturm kam auf ihn zu, doch im Vergleich zu Suzakus Energie war er nicht mehr als ein warmer Windhauch. Dranzer wurde in das Feuer gesogen und vielleicht sah es von außen so aus, als hätte Miguel etwas ausrichten können - die Rufe seiner Fans wurden jedenfalls lauter. Suzaku versengte Kais Inneres, was zwar unangenehm, für ihre Verhältnisse aber fast schon eine zärtliche Geste war. Sie bezirzte ihn, sie wollte freigelassen werden. Er hielt sie zurück, nur noch etwas. Manchmal mochte er es, sie zu necken. „Denkst du wirklich, diese Flammen könnten meinem Dranzer etwas anhaben?”, fragte er an Miguel gewandt und der andere zuckte zusammen. Death Gargoyles Feuersäule stand zwischen ihnen und womöglich wirkte es, als stünde Kai auf einem Scheiterhaufen. „Ich zeige dir richtiges Feuer.” Und mit diesen Worten ließ er Suzaku gewähren. Sie stieß einen triumphalen Schrei aus, als sie über Dranzer aufstieg, und ihr langer Schweif peitschte einmal quer über Kais Oberkörper - die Rache dafür, dass er sie so lange hatte schmoren lassen. Dann war sie blaues Feuer, und diese Hitze mussten selbst die Menschen auf den Rängen spüren. Der Blazing Gig fuhr auf Death Gargoyle nieder und katapultierte ihn aus der Arena. Kai roch verbrannten Kunststoff. Scheinbar hatte Suzaku es geschafft, die Bowl zumindest teilweise zu schmelzen. Seine Fans waren in begeistertes Kreischen ausgebrochen und auch DJ schrie irgendetwas, während die Arena von einem Wasserstrahl gelöscht wurden. Über den aufsteigenden Dampf hinweg konnte Kai Miguels Gesicht sehen. Der starrte ihn mit offenem Mund an. Eine ähnliche Bewunderung hatte er zuletzt vor Jahren bei Kinomiya gesehen, und irgendwie rührte ihn das. Mit einer flinken Bewegung drehte er sich um und fing Dranzer auf. „Das war eine gute Attacke”, sagte er über die Schulter hinweg, bevor er das Podium verließ. Sie wankten beide, als sie zurück in ihr Zimmer kamen, vermutlich zu gleichen Teilen aus Euphorie und Erschöpfung. Nach seinem Kampf war Kai verschwitzt, auf seiner Haut klebte feiner Sand, den der Wind hier mit sich trug. Er nahm seinen Schal ab und seufzte erleichtert. Suzaku brannte in ihm, sie war schwer im Zaum zu halten nach dem letzten Match. Wahrscheinlich hätte sie noch drei solcher Runden spielen können, doch dann wäre Kai arg in Mitleidenschaft gezogen worden. Ihre Euphorie steckte ihn an und er war zittrig wie eine Flamme im Wind, gleichzeitig rebellierte sein Körper gegen ihre Hitze. Yuriys Gestalt zeichnete sich dunkel vor ihm ab, denn die einzige Lichtquelle war eine der Nachttischlampen. Der Rothaarige streifte sich mit einer nachlässigen Geste die Jacke von den Schultern und warf sie auf den Garderobenständer. „Geh ruhig zuerst”, sagte er und nickte in Richtung des Bads, bevor er sich in einen Sessel fallen ließ. Kai runzelte die Stirn, denn sein Tonfall war recht kühl gewesen, erwiderte jedoch nichts und begann, seine nasse Kleidung auszuziehen. „Kai?” Er hielt inne und sah zu Yuriy. „Warum hast du Miguel ein Kompliment gemacht, nach dem Kampf?”, fragte sein Leader. „Weil er es verdient hat”, antwortete er ungerührt und hob die Arme, um seine Haare zusammenzubinden, was ihm nur mäßig gelang. „Hm. Hat er das, ja?” „Nun, seine Attacke war tatsächlich gut. Das musst du zugeben. Und ich war froh, dass sie fair gespielt haben”, fügte er hinzu. „Aber musst du deswegen gleich Freundschaft mit ihm schließen?”, murmelte Yuriy. Kai sah ihn nur wortlos an. „Yuriy, wir sind gerade ins Halbfinale gekommen. Bedeutet dir das nichts? - Und was ist das mit dir und Barthez Soldiers?”, fragte er schließlich, „Erst die Nummer mit dem Alten, dann hast du Aaron bei eurem Match beinahe zerlegt, obwohl jeder wusste, dass er niemals gegen dich ankommt…” Er ließ den Satz ins Leere laufen. Der andere musterte ihn eindringlich. „Ich bin nicht hier, um meine Zeit mit Sentimentalitäten zu verschwenden.” „Ach so?”, stichelte Kai, „Dann hattest du wohl einen kleinen Aussetzer neulich in Madrid, was?” Yuriy stieß die Luft aus, seine Augenbrauen hoben sich. „Wie ich schon an anderer Stelle gesagt habe”, entgegnete er spöttisch, „Ich habe dich nicht wegen deines hübschen Gesichts in dieses Team geholt, sondern damit du für mich bladest. Solange du deine Arbeit machst, haben wir keine Probleme.” Sein Blick wanderte noch einmal an Kai hinab, dem plötzlich bewusst wurde, dass er seit geraumer Zeit fast nackt vor ihm stand. Er zeigte Yuriy nachlässig den Mittelfinger und bekam ein wölfisches Grinsen zur Antwort, bevor er schließlich ins Bad ging. Als er sich im Spiegel sah, stellte er verwundert fest, dass er Bräunungsstreifen an den Armen hatte. An den seltsamsten Stellen hatte er blaue Flecken, die zu einem großen Teil ebenfalls vom Training herrührten. Einige der Schnitte von seinem Kampf gegen den Felsen in Russland waren immer noch nicht ganz verheilt und hoben sich hell von seinen Unterarmen ab. Das Wasser linderte den dumpfen Schmerz in seinen Gliedern. Für eine Weile hielt er die Augen geschlossen, auch dann noch, als er einen Luftzug im Rücken spürte. Er stellte die Dusche ab und drehte sich erst um, als er hörte, wie Yuriy hinter sich die Türen der Kabine wieder schloss. Auch sein Partner hatte einige Blutergüsse und Schrammen davongetragen, und die Sonne hatte dafür gesorgt, dass sich die Sommersprossen auf seinen Armen und Schultern noch weiter vermehrt hatten. Und dann fielen ihm die alten Narben auf, dünne Striche, wie er sie selbst am Körper trug, kaum sichtbar aus größerer Entfernung. Spuren längst vergangener Matches. Kais Blick wanderte langsam hoch zu Yuriys Gesicht, er musste aufgrund der Nähe den Kopf ein wenig zurücklegen. „Na was?”, sagte er leise. Yuriy machte einen Schritt nach vorn, sein Körper war so kühl gegen Suzakus Hitze, er griff an Kai vorbei und drehte das Wasser wieder auf. „Halbfinale, Baby!”, flüsterte er, während die ersten Tropfen auf sie herabprasselten. Kai stand weit über den Rängen auf dem Dach des Stadions und Blickte hinab auf die Bowl, wo die BBA Revolution und F Sangre gerade ihr Match austrugen. Ihm gegenüber befand sich der Bildschirm, auf dem die Bewegungen der Blades um ein Vielfaches vergrößert gezeigt wurden. So konnte er alles überblicken ohne sich zwischen die Fans setzen zu müssen. Im Zuschauerbereich war einfach zuviel Trubel. Natürlich hatte Kinomiya ein Vierermatch verlangt, nachdem Rei und Max am Vortag ein so großartiges Battle gezeigt hatten. Anfangs hatte Kai gezweifelt, denn er konnte noch immer nicht verstehen, warum jemand überhaupt im Doppel antreten wollen würde. Als die vier dann jedoch anfingen, jeder gegen jeden zu spielen, war eine ganz neue Dynamik entstanden. Sie erinnerte ihn an die Zeit vor den offiziellen Turnieren in Japan, als er mit den Shell Killers durch Bakuten gezogen war und sie so gebladet hatten, wie sie es für richtig hielten. Kinomiya allerdings schaffte es nicht, diesen Eindruck in seinem Match weiterzutragen. Daichi und er waren drauf und dran, da unten gegen die Geschwister zu verlieren - und das war nicht Daichis Schuld. Während der Kleinere sich tapfer hielt, schoss Dragoon durch die Bowl als wäre er von einem Anfänger gestartet worden. Während er beobachtete, wie sich das Drama entfaltete, gingen Kai die verschiedensten Gedanken durch den Kopf. Zum Beispiel, dass die BBA Revolution tatsächlich ein sinkendes Schiff war und er gut daran getan hatte, zu Neo Borg zu gehen - so färbte Kinomiyas Leistung auch nicht auf ihn ab. Andererseits wurde er zunehmend wütend. Das sollte sein stärkster Rivale sein, der Blader, gegen den er seit Jahren versuchte, anzukommen? Das war die Person, wegen der er den ganzen Mist während der Vorrunden auf sich genommen hatte? Takao Kinomiya - der Grund, weshalb er überhaupt hier war? Denn ohne ihn waren die Matches, dieses Turnier, ja, der ganze Sport nichts mehr wert. Er hätte schon längst mit dem Bladen aufgehört, wenn es Kinomiya nicht gäbe. Was er Yuriy in Irkutsk an den Kopf geworfen hatte, war keineswegs gelogen. Kai war müde. Er liebte den Sport, und dennoch war es ausgerechnet das Beybladen, das ihm seine schreckliche Kindheit in der Abtei beschert hatte. Und er sah seine eigene Müdigkeit in seinem Team wiedergespiegelt. Auch Yuriy, Boris und Sergeij waren ausgezehrt von den Jahren, die sie dem Bladen geopfert hatten. Sie waren das älteste Team in diesem Turnier und sie alle waren seit über zehn Jahren in erster Linie - Beyblader. Von Anfang an hatte Kai geahnt, dass dies vielleicht seine letzte Weltmeisterschaft war. Die letzte Chance, Kinomiya zu schlagen. Und eben der vermasselte es da unten gerade richtig. Von seinem Standpunkt aus konnte Kai sehen, dass Rei und Max von ihren Sitzen aufgesprungen waren. Sie waren genauso aufgebracht. Und dann war das Match zu Ende und Dragoon lag im Staub. „Erbärmlich”, murmelte Kai und wandte sich vom Geschehen ab. Er musste nachdenken. Und vor allem brauchte er Schlaf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)