Bonds of power von -Amber- (The world gone mad) ================================================================================ Kapitel 1: On the road ---------------------- Marius "Grey!" Eine weitere Seite in seinem Buch umblätternd, folgten seine Augen Zeile um Zeile der sich ihm dort bietenden Geschichte, verfolgten wie sich dessen fantastische Welt vor seinem inneren Auge aufbaute, sich vergrößerte, erweiterte und schließlich… "Himmel… Grey!" Das Buch langsam senkend bis er über den Rand hinwegsehen konnte, heftete sich der Blick seiner graublauen Augen auch alsbald auf den Mann, der da versuchte, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Auf ihn und auf das blaue metallische Fass in seiner Nähe, dessen Spuren davon verkündeten, dass es bis hierher gerollt worden war. Oder geschleift. Harry selbst war gerade dabei, sich den Schweiß mit dem schwarz-blau kariertem Hemd von der Stirn zu wischen und zu verschnaufen. Scheinbar damit zufrieden seiend nun seine Aufmerksamkeit zu besitzen. Marius hob das Buch wieder an. "Du bist so ein Gott verdammtes Arschloch!" Es klang mehr resigniert als wirklich verärgert. "Komm jetzt von dieser verdammten Veranda herunter und hilf mir mit dem verdammten Fass." Da musste man wirklich nicht mal besonders lange nachdenken. Ein Fass an diesem warmen Frühlingstag gemeinsam mit Harry zu dessen Bar schleppen oder hier im Schatten der Veranda im Schaukelstuhl sitzen bleiben? Einer seiner Mundwinkel zuckte unter dem Amüsement, das er mit der Situation verspürte. "Ich sitze aber recht gut auf dieser verdammten Veranda, in meinem verdammten Schaukelstuhl, im verdammten Schatten", gab er schließlich zurück und blätterte - diesmal wirklich demonstrativ - eine weitere Seite um. Auf die Beleidigung ging er gar nicht erst ein. Jeder hier wusste, was aus Harrys Mund kam, sobald er ihn öffnete. Man müsste im Umkehrschluss eher aufmerksam sein, wenn jener einen nicht beleidigte. Jener begann auch sofort sehr fantasievoll und vor allen Dingen ausführlich zu fluchen. Es gab eine interessante Kulisse zu den Geschehnissen in Marius‘ Buch. "Du bekommst ‚nen Teller von dem Eintopf heute Abend umsonst." Und man hörte es dem Wirt an, dass ihn dieses Angebot Überwindung kostete. Marius gab einen hummenden Laut von sich. "Kochst du oder ist Silvia an der Reihe?" Den Frass den Harry selbst kochte aßen im Normalfall nur die Besucher ihrer kleinen Stadt. Die Durchreisenden. Die armen Seelen, die keine Ahnung davon hatten, dass sie ungewollter Weise so kurz vor dem nächsten harten Abschnitt noch eben vergiftet wurden. "Silvia. Und jetzt beweg deinen Arsch endlich hier runter!" Das Buch zuklappend und es auf den Schaukelstuhl legend, nachdem er aufgestanden war, streckte er sich kurz, bevor er schließlich die paar modrigen Holztreppen runtermarschierte und auf Harry zuhielt, der mit seinem dummen Fass inmitten der mit ein paar Schlaglöchern versehenen Straße stand. Beim Näherkommen runzelte er seine Stirn, als er die Aufschrift des Fasses bemerkte. "Ich dachte das Zeug wird dir wöchentlich geliefert? Mit Betonung auf geliefert." Nach ein wenig Rangieren schnappte sich jeder von ihnen ein Ende des Fasses und wuchteten es zwischen ihnen nach oben. Allerdings war es Harry, der nun rückwärts zu gehen hatte. "Wird es normalerweise auch", presste der Angesprochene hervor, dem nach ein paar Schritten wieder der Schweiß auf der Stirn stand. Es ließ seine immer röter werdende Haut seltsam schimmern, was im Zusammenhang mit den natürlich roten Haaren wirklich unschön aussah. "Das hier ist eine meiner Reserven. Die letzten Tage hatten wir mehr Durchgang als sonst. Die nächste richtige Lieferung kommt erst übermorgen." "Verstehe." Es war ihm auch schon aufgefallen, dass sie in letzter Zeit mehr Leute auf der Durchreise hier hatten und etwas daran stieß ihm irgendwie unschön auf. Ob es langsam wieder an der Zeit wäre, sich etwas Neues zu suchen? Aber zum ersten Mal seit Jahren spürte er tatsächlich so etwas wie leisen Unwillen darüber in sich selbst. Die kleine Stadt war wie auf ihn zugeschneidert. Die Menschen ratschten und lästerten zwar genauso viel wie alle anderen auch, aber sie waren ein eingeschworener Kern. Sie mochten sich ja auch ganz gern selbst die Köpfe einschlagen, aber wenn es auch nur den Hauch eines Drucks von außen gab, schlossen sich die Reihen und dann gab es kein Durchkommen mehr. Sie ließen ihn zum Großteil in Ruhe und er erledigte kleinere Arbeiten dafür. Manchmal. Schließlich nach einigem Bugsieren an der Bar ankommend, hievten sie das Fass noch die Treppen dort zum Eingang hoch und ließen es dann krachend auf den Boden nieder. Leise seufzend hob Marius die Hand, um sich über die rechte Schulter zu massieren und jene ein wenig hin und her zu rollen. Abgesehen davon wirkte es nicht so, als hätte er gerade eine schweißtreibende Tätigkeit hinter sich. Ganz im Gegensatz zu Harry, dessen langen Haare ihm im Nacken klebten. "Du stellst mir den Teller beiseite?", wollte er schließlich wissen und der Wirt nickte abwinkend. "Jaja, keine Sorge, du musst nicht früher hier sein als sonst." Und das war gut, da er es vorzog, später am Abend hier für sein Abendessen aufzuschlagen, wenn ihm danach gelüstete. Dann waren die meisten der Gäste hier schon in ihren Zimmern oben. Den ganzen Vieren die es hier gab. "Ausgezeichnet." Die Hand zum Abschied kurz hebend, machte er sich gleich darauf wieder auf den Weg zurück zu seiner Veranda. Marius wollte unbedingt wissen, wie es mit dem Helden weiterging. Crash Wenn man krampfhaft versuchte, sich nicht zu bewegen, war das verdammt anstrengend. Crash wollte sich aber nicht bewegen. Crash wollte genau so liegenbleiben, genau so wie er gerade lag. Warum? Weil jede Bewegung bedeuten würde, dass es kalt werden würde. Er lag in seinem Kokon eingerollt, so dass es ihm gerade so warm war, dass er nicht das Gefühl hatte, doch noch erfrieren zu müssen. Sobald er sich bewegte, würden die Füße in Gebiete kommen, in denen es kalt war, oder die Arme oder die Nasenspitze, die im Moment noch eingezogen im Schlafsack war, bevor der Sauerstoff zu knapp werden würde und er sie doch wieder hinausstrecken musste. Crash blinzelte durch die schmale Öffnung seines Schlafsacks. Im Inneren des Autos war es noch ziemlich dunkel, aber wenn er durchs Fenster blickte, schien es, als würde die Sonne bald über den Horizont wandern. Die Sonne, so hatte seine Mutter immer gesagt, war das einzige, worauf man sich verlassen konnte. Die Sonne und die Sterne. Das Aufstehen war unangenehm gewesen, kalt und ohne Kaffee. Er war froh, wenn er die Appalachen heute verlassen würde und Richtung Küste weiterfuhr. Alles würde wieder freundlicher werden, weniger feucht und kalt. Er hasste diese feuchte Kälte, die überall hindurchkroch. Aber er hatte in Richmond gelernt, dass es besser war, die Küste mit Vorsicht zu genießen. Allerdings gingen seine Vorräte aus und er musste unters Volk. Vor zwei Tagen war er an einer kleinen Siedlung vorbeigekommen. Freundliche aber misstrauische Menschen, die im Kleinen versuchten zu überleben, die unbemerkt bleiben wollten, ihm aber geraten hatten Richtung Charleston zu fahren, dort gäbe es einen Ort, der einen guten Markt habe und Fremden gegenüber aufgeschlossener sei. Ein sogenannter „Point Zero“, ein neutrales Gebiet, an dem ein scheinbarer Frieden herrschte und man sich in Ruhe ließ, egal mit welcher Absicht man unterwegs war. Crash bremste und lauschte, schloss die Augen. Den alten Straßenatlas, den er aus einem Autofrack hatte entwenden können, lag neben ihm am Beifahrersitz. Eine Siedlung war in der Nähe. Er lauschte, hörte seinen Atem, den Ruf eines Vogels, etwas Knacken, Stille, das leise Surren des Motors… Er wendete den Wagen und fuhr in Richtung der Siedlung. Sie war verlassen, die Natur hatte schon ganze Arbeit geleistet, sich ihrer zu bemächtigen. Crash parkte, stieg aus und schulterte die Schrotflinte, machte sich daran, die Häuser zu durchstreifen. Er hatte gelernt, wie man durch sie hindurch gehen musste, um versteckte Lebensmittel zu finden; Konserven, Eingelegtes, Päckchen Kaffee, Zucker, manchmal sogar Mehl ohne Maden. Doch diesmal hatte er kein Glück und fuhr alsbald weiter. Crash liebte es, einfach unterwegs zu sein, obwohl so manche Situation ihn auch an seine Grenzen geführt hatte und er jeden Tag froh sein konnte, nicht schon das Zeitliche gesegnet zu haben. Und doch spürte er gerade eine vage Vorfreude darauf, wieder ein wenig unter Menschen zu kommen. Er fuhr am späten Nachmittag in den Ort, parkte seinen Wagen zentral bei anderen Autos, so dass er nicht weiter auffiel. Dann organisierte er sich Lebensmittel und Wasser, das er allerdings erst morgen aus dem gesicherten Laden abholen würde. Es dauerte, bis er fertig war. Er genoss die Zeit in dem Geschäft einfach die Waren anzusehen und zu lauschen, was andere erzählten. Er ließ sich eine Unterkunft empfehlen und machte sich mit einer Tasche auf den Weg zu eben jener. Er freute sich auf eine Dusche, warmes Essen, ein Bier und vor allem aber freute er sich letztlich auf ein weiches Bett. Als er den Gastraum betrat, frisch geduscht und sogar rasiert, sondierte er die Männer, die anwesend waren. Mit ihm waren an diesem Tag noch zwei weitere Männer gekommen, die er etwas Abseits sitzen sah. Die Stimmung war gelöst, manche Männer waren aber bereits im Aufbruch. Crash setzte sich an den Tresen, da kein Tisch mehr frei war. Es ärgerte ihn ein wenig. Am Tresen war das Risiko, angesprochen zu werden, größer. Und er hatte alles, nur absolut keine Lust, mit irgendwem zu kommunizieren. „Etwas von dem Eintopf“, sagte er und fügte in Gedanken hinzu: ‚Der scheint das einzig Essbare hier zu sein.‘ „Und ein Bier.“ Er legte sogleich etwas Geld auf den Tresen. Er war schon oft genug an Orten gewesen, an denen er schnell losmusste, und er hasste es, Schulden zu hinterlassen. Dafür war er zu aufrichtig. Das Bier kam zügig. Crash zog sein Notizbuch heraus und schrieb das Wort „Nazzie“ auf. Er hatte zwei Männer darüber reden hören. „Ein Nazzie hat Camden heimgesucht.“ Er skizzierte aus dem Gedächtnis die Karte von South Carolina, ergänzte, was er noch gehörte hatte, grübelte darüber, wie er weiterfahren sollte. Irgendwann wurde ihm der Eintopf serviert. Marius Er war noch eine ganze Weile auf der Veranda gesessen und hatte gelesen. Es war nicht seine Veranda. Oder die von irgendwem, wenn man es genau nahm. Das Haus, das dazu gehörte, war so baufällig, dass sich da nicht mal Leute reintrauten, um nicht im Regen schlafen zu müssen. Änderte nichts daran, dass das Holz davor den Schaukelstuhl noch aushielt und es damit zu einem seiner Lieblingsplätzen hier geworden war. Zudem man von dort auch so einiges mitbekam, was sich hier so tat, und man so zumindest ein halbes Auge und Ohr darauf haben konnte. Sich aber schließlich doch von dem Buch losreißend, war er doch zu seiner eigenen Bleibe spaziert und hatte sich eine Dusche gegönnt. Nicht dass das hier etwas Besonders war. Nen Zimmer, das als Zimmer für alles diente, und das Badezimmer. Wenn er wirklich etwas Kochen wollte, konnte er das bei Harry und Silvia tun. Er vermutete sein Bett war bequem genug und am Bad hatte er lange genug rumgeschraubt, dass es als ein eben solches durchging. Musste ja auch seine Vorteile haben, schon fast ein Jahr an einem Fleck zu sein. Sich die schwarze Lederjacke vom Bett schnappend und sie sich über das ebenfalls schwarze Shirt ziehend, beschloss er sich auf den Weg zu seinem Eintopf zu machen. Mit ein paar kurzen, fast schon abwesend gestalteten Bewegungen kontrollierte er, ob die Messer noch in den Ärmeln der Jacke befestigt waren, dann trat er vor die Tür. Ungeniert gähnend hielt er auf die Bar zu. Von dem vielen Nichtstun der letzten Tage war er inzwischen schon fast in einer Art Lethargie versunken. Vielleicht sollte er morgen mal schauen, dass er wieder ein paar Bäume fällte und Holz besorgte? Es war nachts doch noch reichlich kalt, auch wenn der Frühling auf dem Vormarsch war, und wenn er den Ofen unter dem Wassertank damit anwarf, wurde nicht nur sein Wasser warm. Die paar Treppenstufen hochgehend, betrat er die Bar, warf einen kurzen Rundumblick durch den Raum und trat dann an den Tresen. Höchstens ein wenig irritiert darüber seiend, dass sein Tisch belegt war. Passierte ja wahrlich nicht zum ersten Mal. Harry warf ihm eine Grimasse zwischen Lächeln und Irritation zu. Vermutlich war jener immer noch genervt darüber, dass er Marius Hilfe hatte erkaufen müssen. So strahlte er einfach mal zurück, was sich gleich darauf zu einem deutlich ehrlicherem kleineren Lächeln wandelte, als er sah, wie ihm der Wirt mit der Faust drohte. "Da bist du ja endlich. Ich dachte schon, ich muss deine Portion selbst essen. Setz dich und steh da nicht so saudumm rum." Marius folgte der freundlichen Anweisung, ließ allerdings einen Platz zwischen sich und nem Fremden frei, der da ebenfalls saß und scheinbar irgendwas in nem Buch herumschrieb. "Da du eh schon zu fett bist, wäre das eine wahre Ohrfeige für die anderen hier herumlungernden Hungerhaken gewesen." Harry klappte sprachlos der Mund auf. "Bring noch nen Bier mit, wenn du eh schon dabei bist." "Wenn man dir Arschloch auf die Stirn tätowieren würde, wäre das immer noch zu wenig Warnung für uns schwer arbeitende Normalbürger", maulte es ihm entgegen, bevor der Wirt sich umdrehte und in die Küche ging, um das bestellte Zeug zu bringen. Heutzutage gab es selbst in ihrem relativ ruhigen Örtchen nichts direkt von unter der Theke. Sich ein wenig zurücklehnend, warf er abermals einen Blick durch die Runde. Die meisten hier kannte er, wenn auch nur flüchtig. Marius besaß zu den wenigsten hier einen ähnlichen Kontakt wie zu Harry und Silvia. Was wohl gerade ersterer bedauerte, denn so kam fast ausschließlich ihm Marius spitze Zunge zugute. Naja egal, der Kerl da neben ihm sah auch auf den zweiten Blick nicht so aus, als könnte Marius sich nicht wenigstens etwas entspannen. Was er auch tatsächlich erst nach der zweiten Prüfung des Raumes tat. Und auch wenn es vorher nicht auffällig gewesen war, so wurde seine ganze Haltung ein wenig weicher auf seinem Stuhl. Ein wenig nachlässiger. Auch wenn wohl kein vernünftiger Mensch diese Stühle als bequem bezeichnen würde. Und schon stapfte Harry mit seinem Eintopf und der Flasche Bier aus der Küche und klatschte es ihm vor die Nase. "Das Bier bezahlst du." "Nimmst du auch Naturalien?", hinterfragte er, während er nach dem Löffel griff und damit ein wenig in der noch heißen Suppe herumrührte. Der Wirt mit wohl irischen Vorfahren verdrehte die Augen, lehnte sich jedoch ihm Gegenüber an den Tresen, nachdem er mit einem Blick festgestellt hatte, dass gerade keiner was von ihm wollte. "Hast du das von Lenz gehört?" Von dem Eintopf probierend, gab er einen zufriedenen Laut von sich und hob den Kopf dann leicht an, den Augenkontakt suchend. Fragend. Der Wirt verzog die Lippen, offensichtlich unwillig. "Weiter oben, Richtung RedBeak solls nen Überfall gegeben haben." "Und daran ist genau was neu?", wollte Marius wissen und merkte, wie er direkt jetzt schon das Interesse an der Unterhaltung verlor und deshalb den Blick wieder auf sein Essen senkte. Es wurde ständig irgendwer von irgendwem überfallen. Wenn es nicht genau hier in ihrer Siedlung passierte, war es ihnen allen im Grunde egal. Da konnte ihm keiner etwas anderes erzählen. Harry druckste ein wenig herum, was ihn doch wieder aufblicken ließ. "Es war kein solcher Überfall." Marius hielt kurz inne, seufzte dann jedoch. "Du willst mir jetzt nicht wieder irgendwas von kleinen, grünen Männchen erzählen? Ich versuche gerade zu essen, ohne dass es mir wieder hochkommt." Sein Gegenüber schnaubte ungnädig und nahm eines der herumliegenden Tücher, um damit den Tresen zu putzen. "Fuck you, Grey. Ich rede nicht von kleinen, grünen Männchen. Es heißt, es wären wandelnde Schatten gewesen." Jener stockte kurz. Scheinbar fiel ihm selbst auf, wie dumm das klang. "Ich meine.. ich erzähle ja nur, was ich erzählt bekommen habe. Einer der‘s überlebt hat, soll inzwischen fast verrückt sein." Marius Blick schärfte sich für die Zeit eines Lidschlages, doch dann war sein Ausdruck wieder desinteressiert. Mit dem Löffel in der Hand deutete er auf den Fremden, ein wenig neben ihm am Tresen: "Komm, erzähl deine Horrorgeschichten Leuten, die dich nicht so gut kennen." Crash Der warme Eintopf war wirklich gut und leider viel zu schnell aufgegessen. Crash wischte mit etwas Brot die letzten Reste raus und schluckte schließlich seufzend den letzten Bissen herunter. Fast wäre ihm dieser im Hals stecken geblieben, als ein weiterer Mann die Bar betrat. Er musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass es ein Mann war. Die Aura von Frauen war anders, nicht unbedingt nicht auch bedrohlich oder groß, aber eben anders. Hier, in diesem Moment stellten sich ihm die Nackenhaare auf, er spürte, wie sich die Atmosphäre im Raum direkt veränderte. Nicht das Gemurmel der Stimmen, das Hinstellen der Gläser oder das Surren des Generators, der Licht und Kühlschrank betrieb, sondern eine Atmosphäre, die nicht jeder wahrnehmen konnte. Er konnte das, seit einiger Zeit ließ er es bewusst zu, nutzte es. Ob sich die Stimmung zum Guten oder zum Schlechten geändert hatte, vermochte er nicht direkt zu sagen, aber die Aura, die diesen Mann umgab, war stark, mächtig - ihm unbekannt. Er hatte etwas in der Art noch nicht wahrgenommen. Und sie war eines: warm und hell und seltsamer Weise genauso vertraut wie fremd. Der Wirt hob die Faust. Drohte er? War der Typ da, um Ärger zu machen? Crash spürte, wie sich sein Körper anspannte und er in Gedanken den Raum nach Fluchtwegen durchdachte. Doch offenbar war der Wirt nicht in Alarmbereitschaft. Crash blieb ungerührt sitzen. Einzig sein Finger, den er hatte heben wollen, um sich noch eine Portion zu bestellen, senkte sich ungesehen wieder. Er hätte heute gerne das angenehme Gefühl gehabt, satt zu sein, satt einschlafen zu können. Doch mit vollem Magen wurde man unbeweglich und solange er nicht wusste, wie sich das hier entwickelte, musste er beweglich bleiben. Dass sich der Typ ausgerechnet zu ihm setzte war der Situation geschuldet. Deswegen war es aber nicht angenehmer. Was die Situation für ihn entspannte war die Tatsache, dass der Wirt diesen Mann kannte, sie sich offenbar so gut kannten, dass sie miteinander frotzeln konnten, ohne sauer aufeinander zu sein. Dass der Typ ein ‚Arschloch‘ auf der Stirn zurecht tragen würde, ließ ihn die Stirn runzeln. War das nur freundschaftliches Geplänkel oder wahr? Wie auch immer, es bestätigte ihm gleichzeitig, vorsichtig zu sein. Zumal sich jener nicht nur einmal vergewisserte, wer alles hier im Raum saß. Auch ein vorsichtiger... was er wohl fürchtete? Crash trank einen Schluck Bier und blätterte wieder in seinem Notizbuch, was er während des Essens zugeklappt hatte. Wenn er die Muster richtig deutete, dann war das, was ihn vor einigen Tagen von der Küste weg in die Appallachen getrieben hatte, auf dem Weg in den Süden. Er war einem dieser Wesen begegnet. Sie schienen sich in die Gedanken der Menschen einzuklinken, um sie zu manipulieren. Es schien, als ernährten sie sich davon. Sie benutzten die kontrollierten Menschen nicht selten, um die anderen Einwohner zu töten. Es hieß, sie hätten selbst keine Körper. (Crash wusste es besser) Was ihr Ziel war, konnte er nicht sagen. Der manipulierte Mensch überlebte, doch er war gefangen in einem ewigen Alptraum. Die normalen Menschen glaubten, dass die Opfer aufgrund der gesamten Situation den Verstand verloren hatten. Es war immer angenehmer, sich alles Unerklärliche schön zu reden. "Hast du das von Lenz gehört?" Crash blätterte auf die Seite mit der Skizze der Karte. RedBeak - ein weiterer Punkt mit der Signatur für ‚shadow‘. Sie rückten tatsächlich weiter nach Süden vor. Vermutlich könnten sie in zwei drei Tagen hier sein. Ein Grund mehr, morgen früh von hier zu verschwinden. Selbst wenn er es nicht gewollt hätte, hätte er keine andere Wahl gehabt, als das Gespräch weiter zu belauschen. Er spürte, wie sich etwas im Raum veränderte, sich zu konzentrieren schien. Zudem fiel ihm auf, dass es im Schankraum stiller geworden war, dass die zwei, die mit ihm hier angekommen sind, nervös wurden. "Komm, erzähl deine Horrorgeschichten Leuten, die dich nicht so gut kennen." Crash huschte ein Schmunzeln über die Lippen. Die Worte des scheinbar so Desinteressierten widersprachen dem, was sich eben für einen kurzen Moment bei diesem verändert hatte. „Und das sagt ausgerechnet jemand, mit dieser Aura um sich...“, entfuhr es ihm sehr leise, ohne zu den zwei Männern zu sehen, so als habe er nichts gehört. Er schloss sein Buch, um zu verhindern, dass dieser Typ hineinsehen konnte, falls er überhaupt zu ihm sehen würde, falls er die Worte doch gehört hätte. Erst jetzt blickte er den Wirt an. „Kann ich noch ein Bier haben?“, sagte er zuvorkommend lächelnd, während seine Finger bereits Münzen aus der Hosentasche herauszogen, abzählten und auf den Tresen legten. Marius Marius sah zu, wie der Wirt sich tatsächlich dem Fremden zuwandte, und tauchte seinen Löffel wieder in den Eintopf, als jener sich ein Bier bestellte. Alles in allem wirkte es nicht so, als würde er sich das Wort Aura durch den Kopf gehen lassen. Das war es doch, was der Typ da gemurmelt hatte, nicht? Nicht so, als ob jener sich am Gespräch tatsächlich beteiligen wollte. Ein wenig sarkastisch amüsiert? Hm... Marius spürte selbst, wie sich die Aufmerksamkeit der Kneipe auf ihr Gespräch gelenkt hatte. Sie alle gaben auf die ein oder andere Weise vor, von solchen Berichten nicht beeindruckt zu sein. Aber ein jeder hörte zu. Das war gut. Seine eigene Aufmerksamkeit war jedoch seit dem Kommentar unabdinglich von seinem Essen weggezogen worden. Ganz als ob auf einem Radar auf einmal etwas aufblinkte, mit dem man nicht gerechnet hatte, und man mit dem Finger dagegen tippen wollte, um sich zu vergewissern, dass mit dem Gerät alles in Ordnung war. So änderte er seine Körperhaltung, um den Fremden und Harry gleichzeitig im Blickfeld haben zu können, als dieser ihm das gewünschte Bier hinstelle. "Ich will nichts von kleinen, grünen Männchen wissen. Aber wenn du auf deiner Reise hierher was gehört hast, was ungewöhnlich ist, dann würd ich‘s tatsächlich gern hören. Dann geht das Bier hier auch aufs Haus", bot der Wirt diesem an. Marius‘ Blick ruhte auf diesem, als er den nächsten Löffel zu sich nahm. Drahtig, wäre das Wort, das ihm als erstes einfallen würde. Gespannt wie eine Bogensehne, leise sirrend darauf wartend, los zu schießen. Oder geschossen zu werden. Kurze schwarze, etwas lockige Haare, wache dunkle Augen. Immer noch keine direkte Gefahr für ihn. Bei der Einschätzung blieb er. Aber nach diesem Kommentar? Vielleicht indirekt. Und vielleicht würde er auch nicht das Wort Gefahr in den Mund nehmen. "Erzähl ihm einfach irgend ne Horrorstory, damit ist er schon zufrieden", richtete er schließlich das Wort an diesen, den Blick nicht abwendend. Es war nicht so, als würde er wie so nen Irrer starren, immerhin hatte er beide Männer im Blickfeld. Aber dennoch… Marius Herzschlag und Puls blieben völlig normal, doch wie vorher eben trat ein anderer Ausdruck in seine Augen. Klärte sie auf unbeschreibliche Art, ohne dass sich sonst etwas an ihnen änderte. Länger diesmal. Prüfend. Abschätzend. Sondierend. Bis er sich den nächsten Löffel des Eintopf gönnte zumindest. "Ich will nicht irgend ne Story, ich will die Wahrheit“, gab der Wirt zu bedenken und Marius schnaubte. Die Wahrheit. Sie alle wollten immer die Wahrheit, nur um dann Nachts wach zu liegen und sich vor all den Schrecken fürchten zu können. Er zuckte mit den Schultern, um zu zeigen, wie egal es ihm war. Langsam am Boden des Tellers ankommend, griff er sich die Scheibe Brot und führte sich diese zu Gute, bevor er schließlich nach seinem Bier griff und einen Schluck davon nahm. Er gab sich immer desinteressiert, sobald es um solche Themen ging. Naja, im Grunde war er es die meiste Zeit auch tatsächlich. Die Geschichten, die manche der Reisenden erzählten hatten wenig mit den Dingen zu tun, die es dort draußen wirklich gab. Sie schürten Aberglauben, ließen die Zuhörenden jedoch auch aufmerksamer durch die Welt gehen. Darum mischte er sich eher selten ein. Höchstens, um klar zu machen, wie wenig er im Allgemeinen davon hielt. Marius hielt den Ruf als unantastbarer Nichtgläubiger, wenn es um Monster ging. Sein Bier nachlässig in der Hand hin und her schwenkend zeichnete er sich innerlich eine Karte zum RedBeak. Zwei bis Drei Tage bis hierher über Land. Über den Fluss könnte es schon soweit sein. Aber natürlich rechnete niemand den Fluss mit ein, mit seinen tückischen Schnellen, Untiefen und vereinzelten Wasserfällen. Für Menschen nicht möglich. Daher auch nicht für anders, richtig? Gänzlich falsch. Aber sie waren eine Art kleine Siedlung und sollten damit uninteressant sein. Und da er ja nun noch hier war.. Man sollte einfach sagen, er würde heute Nacht trotz sämtlicher Geschichten über Schattenwesen sehr gut schlafen. Aber vielleicht sollte er trotzdem mal ne Runde drehen, bevor er ins Bett ging. Konnte ja nicht schaden so ein kleiner Spaziergang an der frischen Luft. Crash Etwas Ungewöhnliches? War es denn nach so langer Zeit wirklich ungewöhnlich? Müsste man nicht eher sagen, „es ist ungewöhnlich“, wenn nichts passierte, wenn alles normal war, wenn alles danach stank, dass es ‚normal‘ war? Was war eigentlich ‚normal, was war ‚gewöhnlich‘? Crash lächelte matt, schob dem Wirt demonstrativ das Geld hinüber und nahm das Bier. Er strich mit dem Daumen über das feuchte Etikett. Der Generator tat hier gute Dienste. Der Kommentar seines Nachbarn, er solle ihm ‚irgendeine Horrorstory‘ erzählen, ließ ihn auf- und diesen anblicken. Hm, offenbar hatte jener doch gehört, was er gesagt hat und hatte nun doch Interesse an ihm. Warum sonst sollte er sich ihm zugewandt haben, obwohl er vorhin so bemüht war, an niemand anderem Interesse zu haben, als an dem Eintopf? Hieß das nun, dass er sich nicht irrte und diesen etwas Besonderes umgab? Schließlich fragte er nicht nach oder war gar erbost über seinen Kommentar. Solche ‚Vorwürfe‘ konnten in falschen Ohren normalerweise auch Schwierigkeiten für den Beschuldigten bedeuten und Crash ärgerte sich über sich selbst, dass sie ihm herausgerutscht waren. Einen Moment blickten sie sich an, die strahlend blauen Augen des anderen waren ausdrucksstark, schier durchdringend. Ja, dieser Mann war stark. Er war niemand, bei dem er sich freiwillig für einen Käfigkampf melden würde. Seine Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf den Wirt, der erneut nachhakte, er wolle die ‚Wahrheit‘ hören. Crash schnaubte. „The truth is a beautiful thing“, murmelte er halblaut und fügte in Gedanken weitere Textzeilen aus dem Lied hinzu. ‚ Could you take my place and stand here? I do not think you'd take this pain. You'll be on your knees and struggle under the weight‘ „Nichts Ungewöhnliches“, sagte er und zuckte mit den Schultern. Damit sagte er die Wahrheit. Nein, er war allem aus dem Weg gegangen – zumindest gestern und heute. Zudem: Nein, es war nichts mehr Ungewöhnliches, all diesen Wesen zu begegnen, all den Menschen zu begegnen, die Kräfte hatten, die man früher in ‚irgendwelchen Horrorstorys‘ verpackt hatte. Es sollte zum Alltag werden, es sollte genauer untersucht werden, gelehrt werden, gelernt werden. Es gab Möglichkeiten, all diesen Dingen zu begegnen – zumindest ahnte das Crash. In New York gab es Bewegungen, deren Absichten er noch nicht durchschaute, aber sie propagierten ein gemeinsames Miteinander – solange beide Seiten friedlich waren. Er selbst hatte bisher immer nur gelehrt bekommen, Ärger aus dem Weg zu gehen und dass alle Wesen abartig waren. Doch er zweifelte, hatte immer gezweifelt. Die Menschen, die mit dem vermehrten Auftreten von allerlei Wesen und lichtscheuem Gesindel umgehen konnten, wurden selbst für Wesen gehalten, die der Menschheit übel wollten. Jeder, der offenbarte, diese Wesen bekämpfen zu können, war selbst verdächtig, übernatürliche Eigenschaften zu haben. Und alles, was als übernatürlich angesehen wurde, wurde verteufelt. Dabei war das… Nun ja, er verrannte sich in seinen Gedanken. „Nichts, was es nicht schon gab“, fügte er an. „Nichts, was man nicht schon gesehen hat. Nichts, vor dem man sich nicht ohnehin schützt.“ Zumindest würde ein solcher Kommentar vielleicht so viel Unruhe schüren, dass sie die Wachen aufrütteln würden. Bevor er heute Nachmittag in die Stadt gefahren war, hatte er sie beobachtet. So, wie dieser Point Zero momentan aufgestellt war, würde jeder die Sperren durchbrechen können – ob Mensch oder Monster. „Frag die zwei dahinten in der Ecke. Die wissen etwas.“ Er deutete mit dem Daumen über seine Schulter in Richtung der zwei Männer, die gerade das Geld auf den Tisch legten, um dann ins Zimmer gehen zu können. Dann wandte Crash sich wieder seinem Bier zu, drehte den Oberkörper etwas mehr als nötig. Nein, er hatte keine Lust über solche Dinge zu reden. Und er sah sich auch nicht in der Pflicht jemanden vor Dingen zu warnen, die jedem bewusst sein sollten. Gewiss merkten die Menschen hier, dass viele Reisende von Norden, vor allem aus der Region der Appalachen durchzogen, die verschreckt waren. Sie hörten gewiss mehr Geschichten wie die von ‚Lenz‘ - wer auch immer das war. Wenn man von zwölf auf Mittag denken konnte, dann war das einfach zu interpretieren. Marius Uuuuuund weg war es, sein Interesse. Der Blickkontakt hatte auch nicht mehr verraten als es sein Gehör getan hatte und die abspeisenden Worte waren eben genau das. Die Typen, die sich hinter ihnen daran machten aufzubrechen, hätten mit Sicherheit nichts beizutragen, sonst wären sie schon lange auf die Aussicht auf ein kostenloses Bier aufgesprungen. Keiner von ihnen lehnte gute, kostenlose Dinge ab. Nun bis auf den Typ da scheinbar. Sich ebenfalls erhebend, setzte er sein Bier an und trank es in einigen Zügen leer, bevor er es wieder auf den Tresen stellte. "Da hörst du es, Harry. Absolut nichts Ungewöhnliches. Du kannst deinen Prinzessinnenschlaf also ruhig beibehalten." Sich dann einen Schein aus der Gesäßtasche seiner Jeans ziehend, warf er diesen ebenfalls auf das dunkle Holz und sah dann am Wirt vorbei zu den kleinen, unscheinbaren Glöckchen an der Wand hinter diesem. Er nickte in deren Richtung: "Das dritte da, ist das der Brunnen?" Harry griff sich den Schein von Marius ebenso wie das Geld von Crash und grunzte. "Richtig. Nichts vor dem man sich nicht ohnehin schützt." Es klang nicht sehr überzeugt. Sich dann zu den Glöckchen umwendend, nickte er. "Ja, wieso?" Die Lederjacke zurechtrückend, ließ er seinen Kopf einmal in den Nacken rollen bis es leise knackste. "Hab vorher gedacht, die hätte sich bewegt. Muss ich mir eingebildet haben." Oder es war wieder irgendwelches Laub durchgeflogen. Die Fäden, die zu den Glocken führten, bimmelten schon mal falschen Alarm. Aber nach dem Gehörten heute Abend… "Die dummen Dinger sind in letzter Zeit in einer Tour am Bimmeln und jedes Mal, wenn wir rausgehen, war‘s irgendwelches Wild, das zu neugierig auf die paar Felder ist, die wir haben." Marius nickte, klopfte mit der Hand auf den Tresen und hob sie dann zum Abschied. "Lass dich nicht von Marsmännchen entführen." "Verpiss dich endlich." Aus der doch recht angenehm warmen Kneipe hinaus in die kühlere Nacht tretend, atmete Marius erst einmal tief durch und warf einen Blick zum Himmel. Zwar einige Wolken, aber man konnte die Sterne klar erkennen. Ebenso wie den fast vollen Mond. Perfekt für den kleinen Spaziergang also. Seine Hände tief in die Jackentaschen versenkend, marschierte er eine Weile die Straße entlang, bis er zwischen zwei Häusern durch eine Gasse lief. Jene führte zum 'hinteren' Teil ihrer Siedlung. Also zu jenem Teil, in dem immer mal wieder versucht wurde, etwas zum wachsen zu bekommen. Und ungefähr 100 Meter weiter in einem der Felder war ihr Brunnen. Eines jener alten Relikte, das überhaupt kein Anrecht darauf hatte, überhaupt noch zu existieren. Aber er tat es. Trotzte mit seinen dicken Steinen nicht nur Wind und Wetter sondern auch Krieg und allem, was sonst noch so in der Welt freigesetzt worden war. Über dem Runden Schacht war eine schwere Steinplatte aufgelegt worden. Es bräuchte 3 Männer, um jene weit genug zu bewegen. Und auf eben genau jene begab er sich mit wenigen Bewegungen und ließ sich darauf in breitbeiniger Hocke nieder. Die Arme locker auf seine Oberschenkel legend, in die Nacht hinaus horchend. "Na kommt, jetzt hab ich soviel gehört, jetzt wäre ich fast enttäuscht…", murmelte er und schloss schließlich seine Augen. Einatmen, halten, ausatmen. Einatmen, halten - pling -, ausatmen. Die Augen wieder öffnend, runzelte er die Stirn. Marius mochte zwar gesagt haben, dass es enttäuschen wäre, aber ... In einer geschmeidigen Bewegung vom Brunnen springend und sich dann aufrichtend, hielt er abermals kurz inne. Sich orientierend. Nur um dann weiter von der Siedlung durch das Feld, hinaus in die Nacht zu marschieren. Da war keine Angst oder Vorfreude oder sowas. Jede Bewegung war gemächlich, fast etwas nachlässig, bis er abermals stehen blieb. Und wartete. Crash Mit einem Mal herrschte generelle Aufbruchstimmung. Die beiden Männer wirkten wie auf der Flucht. Wieso wollten sie ihre Geschichte nicht loswerden? Weil sie Dinge gesehen hatten, die sie nicht erklären konnten? Crash wusste, wie sehr der Mensch sich scheute, Problemen als solche anzusehen und etwas dagegen zu tun. Genau dieses Verhalten hatte ihnen diese gesamte Scheiße hier letztlich ja eingebrockt. Dass niemand aus der Geschichte lernte, war auch nichts Neues. Irgend so ein Typ, Darwin meinte sich Crash zu erinnern, hatte vor Urzeiten mal die Theorie aufgestellt, dass die Menschen, die es nicht verdienten, dass ihr Erbgut weiter auf der Welt existierte, sich ohnehin gerne selbst umbrachten – oder so ähnlich. Nun, irgendwie schien fast die gesamte Menschheit nicht berechtigt, fortbestehen zu dürfen. Crash trank noch einen Schluck, bekam das Gespräch mit den Glöckchen mit, spürte, wie diese starke, so warme Aura sich entfernte. Etwas wie Wehmut ließ ihn erstaunt den Kopf schütteln. Irgendwas hatte dieser Typ an sich. Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf die anderen Gäste. Er lauschte den Stimmen der beiden Männer, die offenbar miteinander diskutierten. ‚…ein Recht darauf, gewarnt zu werden… wir auch… mehr überlebt…‘ Ob die Shadows doch näher waren, als gedacht? Er trank noch einen schluck Bier, blickte dann zum Wirt, deutete ihm, zu ihm zu kommen. „Harry.., richtig?“ Das Nicken bestätigte ihm das. „Der Mann hier neben mir eben. Ist er ein Ortsansässiger?“ Der Wirt schüttelte lachend den Kopf. „Wenn er von hier wäre, wäre er nicht so ein verdammter Scheißkerl. Meine Frau nennt ihn nur ‚Prinzlein‘. Wo er herkommt, hatte er Menschen um sich, die ihn von früh bis spät bedient haben.“ Er schnaubte und Crash sah ihm an, dass er jenen dennoch mochte. Vermutlich war also an all dem Gerede nichts dran. Vielleicht redete er so, gerade weil er ihn so mochte? Crash schob den Gedanken zur Seite. Er spielte keine Rolle. „Wie lange?“, fragte er dann. Harry hob die Schultern, runzelte die Stirn, verzog nachdenklich den Mund. „‘n Jahr vielleicht, nicht ganz…“ Dann ließ er die Schultern wieder fallen. „War irgendwann da und blieb. Hilft hier und da…“ Crash nickte nachdenklich. Irgendwas irritierte ihn, störte ihn. „Ich muss dann mal…“, entschuldigte sich Harry und kassierte die beiden Männer doch noch ab, auch andere wollten nun zahlen. Ein Mann mit einer großen Aura; jemand, der den Raum erfasste; jemand, der die kleinsten Veränderungen wahrnahm. Jemand, der nicht hierherkam, um Gesellschaft zu finden, sondern Informationen zu sammeln? Ob er auf der Flucht war? Sich hier versuchte zu verstecken, an einem Point Zero? Ging so jemand nach seiner zweideutigen Antwort wirklich ins Bett? Nachdem er das Glöckchen bimmeln gesehen hatte? Crash stand nachdenklich auf, ließ das halbe Bier stehen. „Wo ist dieser Brunnen?“, fragte er den Wirt, der ihm etwas stutzend antwortete und ihm die Richtung erklärte. Crash dankte und fügte hinzu: „Schließ die Tür gut." Dann ging er in sein Zimmer, packte seine Sachen, verließ das Zimmer durch das Fenster über das Schuppendach und eine Leiter, die er vorsichtshalber danach auf den Boden legte. Dann ging er zu seinem Wagen. Er schmiss seine Tasche hinein, sah, dass im Laden noch Licht brannte und ging hinüber, um seine Einkäufe zu holen. Als er den Laden verließ, spürte er es. Es fühlte sich an, wie die Stille vor einem Gewitter, wie die Ruhe im Auge eines Tornados, wie das Zappeln der Fische auf dem plötzlich aufgedeckten Meeresbogen, bevor ein Tsunami hereinbrach. Crash biss sich auf die Lippen. Er war zu früh aus den Appalachen an die Küste gefahren. Er hätte in den Bergen bleiben sollen. Er wollte einsteigen, aber etwas hielt ihn. Schon die ganze Zeit schien in ihm etwas zu hadern. War es Neugierde? War es die Hoffnung, dass da noch jemand war, der mehr wusste, als die anderen wissen wollten? „Fuck!“, knurrte er und schlug die Autotür zu, ohne eingestiegen zu sein. Dafür holte er eine kleine Schachtel aus dem Kofferraum. Dann lief er los zu eben jenem Brunnen, erst zügigen Schrittes, dann rannte er jedoch. Er sah die Silhouette des anderen schon von weitem. Es war fast ein wenig gespenstisch, wie jener auf der Wiese stand, reglos, scheinbar den Brunnen anstarrte. Der Mond verschwand immer nur kurze Momente hinter Wolkenfetzen und bot ansonsten ausreichend Licht. Crash trat näher. „Kommen sie wegen dir?“, sprach er den Gedanken aus, den er schon in der Bar gehabt hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)