Loki: The Dark Prince - Der dunkle Prinz von uk ================================================================================ Kapitel 8: Sturz nach unten --------------------------- Loki fiel. Und fiel. Und fiel. Er hatte den Eindruck, dass dieser Fall endlos war, kein Reisen im Bifröst, wie er es kannte, sondern ein Sturz im wahrsten Sinne des Wortes. Und hätte er selbst nicht immer wieder ein entsetztes Keuchen ausgestossen, hätte er mit Sicherheit dasjenige der Frau gehört, die mit ihm fiel. So aber gingen ihre überraschten Laute in den seinen unter. Er fühlte, wie die Erde näherkam, und schloss die Augen in Erwartung des Aufschlags, der diesmal wohl kaum einer sanften Landung gleichkommen würde. Und er sollte sich nicht getäuscht haben. Mit einem lauten Krachen schlug sein Körper auf den Boden auf, und Loki schwanden sekundenlang alle Sinne. Er hatte das Gefühl, dass kein einziger Knochen in seinem Körper heil geblieben war. Nun, das stimmte zum Glück nicht ganz, wie er nach einigen Momenten feststellte, als er, noch benommen und mit verschwommenem Blick, versuchte, sich hochzurappeln – aber doch teilweise, denn als er die linke Hand am Boden abstützte, schoss ein stechender Schmerz in sein Gehirn. Er keuchte und fluchte leise vor sich hin. Offensichtlich war sein Handgelenk gebrochen. Na wunderbar! Das fing ja toll an. Melinda Crave merkte, dass etwas nicht stimmte, und es brauchte auch keine Fantasie, um zu wissen, was passiert war. Als Loki schmerzhaft das Gesicht verzog, wusste sie ebenfalls, dass er sich das Handgelenk gebrochen hatte. Ihr selbst war zum Glück nichts passiert, denn anders als Loki, der die «Reise» im Bifröst ja das erste Mal als sozusagen normaler Sterblicher mitmachte, hatte sie immerhin schon zum zweiten Mal das Vergnügen gehabt – und war somit besser vorbereitet gewesen. Kurz vor der Landung hatte sie sich deshalb zum halbwegs sanften Abrollen am Boden bereit gemacht. Nun schaute sie unsicher zu dem Mann hinüber und fragte sich, ob er sie trotz ihres Tarnanzuges bemerkt haben könnte. Doch gleich darauf atmete sie erleichtert aus: Loki war offensichtlich vollkommen ahnungslos, dass sie sich in seiner unmittelbaren Nähe befand. Zudem hatte er im Moment wahrhaft andere Sorgen! Er trug noch immer seine asischen Kleider – zwar ohne das grüne Cape und den Helm, aber trotzdem auffällig genug, dass es nicht lange dauern konnte, bis er erkannt wurde. Und da sie, wie Odin es versprochen hatte, genau an der Stelle gelandet waren, von der sie nach Asgard aufgebrochen waren, befanden sie sich demzufolge mitten im Central Park in New York. Und damit nicht nur mitten in der Stadt, die Loki fast dem Erdboden gleichgemacht hatte, sondern auch noch an einem ihrer belebtesten Punkte! Der einzige, kleine Vorteil, den Loki hatte, bestand darin, dass es langsam Abend wurde und bereits eindunkelte. Trotzdem war es noch hell genug, dass es einige Menschen gab, die dem nicht gerade unfauffälligen Mann verwunderte Blicke zuwarfen. Ein paar Leute blieben sogar stehen, zeigten mit dem Finger auf Loki und begannen zu tuscheln. Dem Mann war klar, dass er so schnell wie möglich verschwinden musste. Aber als er Anstalten machte, sich davon zu stehlen, verzog er wieder schmerzhaft das Gesicht: offensichtlich hatte er bei dem Sturz genügend Prellungen davongetragen, dass er nicht mehr ganz so leichtfüssig auf den Beinen war. Als nur wenige Meter von ihnen entfernt zwei grosse, bullige Männer plötzlich stehen blieben und eindeutige, düstere Blicke auf Loki warfen, bemerkte Melinda ganz deutlich, wie dieser blass wurde. Langsam drehte sich Loki um und versuchte, so gelassen wie möglich zu verschwinden. Seine gespielte Ruhe liess die beiden Männer tatsächlich unsicher werden, und diesen kurzen Moment nutzte Loki, um möglichst rasch ausser Sichtweite zu gelangen. Es klappte auch dank der vielen Bäume und Sträucher, die es im Park gab – denn obwohl die zwei Männer nach einigem Zögern in die Richtung eilten, wo Loki eben noch gestanden hatte, fanden sie ihn nicht mehr. Melinda hörte, wie der eine sagte «Komm schon, gehen wir. Er kann es ja schliesslich unmöglich gewesen sein!» Der andere schnaubte was von wegen, er sei sich ganz sicher gewesen, und dieses Gesicht würde er sein Leben lang nicht mehr vergessen, liess sich dann aber doch zum Weitergehen überreden. Loki atmete sicht- und hörbar erleichtert auf, als die Schritte der beiden verklangen. Er sass zwischen zwei grossen Kirschlorbeersträuchern und verschwand darin dank seiner vorwiegend grün-braunen Kleidung fast völlig. Melinda, die sich nur wenige Meter von ihm entfernt befand, liess keinen Blick von ihm. Sie sah, wie er erschöpft die Augen schloss und ganz offensichtlich versuchte, seine Gedanken zu ordnen – und seine nächsten Schritte zu überlegen. Was sie nicht wusste, war, dass mehr als nur Erschöpfung in Loki tobte. Nein, da war noch ein ganz anderes Gefühl, eines, das er bislang noch nie empfunden hatte: Panik! Er befand sich völlig allein, ohne seine übermenschliche Natur, ohne Magie, ohne jegliche Waffe, dafür aber verletzt in einer Welt, in der er nur Feinde hatte... Und als ob das nicht schon ausgereicht hätte, war ihm sein Körper auch fremd geworden: schwach, ausgelaugt, geradezu erbärmlich! Bitter kamen ihm Odins Worte in den Sinn: «Es ist gut möglich, dass ich dich damit gerade zum Tode verurteilt habe, denn allzu freundlich werden dich die Menschen wohl nicht empfangen!» Fast hätte er aufgelacht – wäre da nicht die unheimliche Angst gewesen, dass Odin damit genau das prophezeit hatte, was ihm wohl bevorstand. Und dann diese Schmerzen in seinem Handgelenk! Es war nicht das erste Mal, dass Loki sich in seinem langen Leben etwas gebrochen hatte, doch er war es gewohnt, dass Knochenbrüche innert weniger Sekunden heilten. Doch dieser Bruch hier würde wohl viel länger brauchen, um zu heilen... einige Wochen, wenn er sich nicht irrte. Auf einmal verfluchte er sich dafür, dass er sich nicht mehr für die menschliche Physis interessiert hatte. Aber woher hätte er auch ahnen sollen, dass er mal in einem rein menschlichen Körper feststecken würde? Melinda hingegen fragte sich, was sie jetzt eigentlich tun sollte. Schliesslich konnte sie kaum die ganze Zeit über den unsichtbaren Schatten spielen – zumal alles in ihr danach schrie, sich dem Mann zu offenbaren. Und zwar am liebsten mit der geladenen Pistole in der Hand! Loki warf indes immer wieder gehetzte Blicke um sich und wartete ganz offenbar auf die Dunkelheit. Mit der rechten Hand löste er den langen Gurt, der von seiner linken Schulter quer über die Brust verlief und am unteren Teil seines langen Überwurfs befestigt war, und band sich damit notdürftig das verletzte Handgelenk ab. Als er schliesslich einigermassen sicher sein durfte, dass er halbwegs unbemerkt entwischen konnte, erhob er sich langsam. Doch ihn schwindelte, und da ihm sekundenlang schwarz vor Augen wurde, hielt er sich instinktiv am Stamm des grossen Kischlorbeers in seinem Rücken fest. Dummerweise hatte er dazu die verletzte Hand benutzt, und ein leises «verdammt!» entfuhr ihm, als der Schmerz durch seinen Arm schoss. Dieser Körper war wirklich zum wahnsinnig werden unbrauchbar! Wie sollte er darin bloss überleben? Ihm war klar, dass er Hilfe brauchte, denn dass Knochen, die nicht innerhalb von Sekunden wieder zusammenwuchsen, geschient und somit über längere Zeit stabilisiert werden mussten, war ihm klar. Undeutlich erinnerte er sich daran, in Bartons Gedächtnis etwas von einem Gips gelesen zu haben, den dieser einst bei einer ähnlichen Verletzung wochenlang hatte tragen müssen. Dummerweise hatte Loki nicht nur keinen blassen Schimmer, wo er die nötige Hilfe bekommen konnte, sondern vor allem keine Ahnung, wie er es schaffen sollte, lange genug unerkannt zu bleiben, damit ihm überhaupt jemand half. Er wusste zwar, dass die Heiler auf Midgard Ärzte genannt wurden und sogar, dass eine Art Kodex sie zur Hilfe verpflichtete, aber wo er einen solchen Arzt auftreiben konnte, wusste er nicht. Ausserdem durfte er mit Sicherheit davon ausgehen, dass ein Arzt - selbst wenn er ihm half - in jedem Fall die Polizei rufen würde. Und was das bedeutete, konnte er sich an einer Hand abzählen: S.H.I.E.L.D.! Denen in die Hände zu fallen war in etwa das Letzte, was Loki vorhatte. Verzweifelt versuchte er, das Chaos in seinem Kopf zu ordnen und klar zu denken. «Reiss dich zusammen,» durchfuhr es ihn, «du hast noch immer einen Ausweg gefunden. Also bleib ruhig und denk nach! Sonst bist du wirklich so gut wie tot.» Langsam wagte er sich aus seinem Versteck und warf unsichere Blicke in alle Richtungen. Wo sollte er bloss hin? Er musste irgendwo einen Unterschlupf finden – nur wo? Zu allem Unglück begann ihm jetzt auch noch der Magen zu knurren. Natürlich: er hatte seit zwei Tagen nichts mehr zu essen bekommen. Als Halbgott hatte ihm das nicht viel ausgemacht... Aber als Mensch brauchte er möglichst bald etwas zwischen die Zähne, sonst würde er noch schwächer werden, als er ohnehin schon war. Na toll – besser konnte es wirklich nicht mehr werden! Wieder merkte er, dass ihn ein Anflug von Panik überrollen wollte, und er konnte nicht verhindern, dass ihm ein leises Stöhnen entfuhr. «Fragst du dich, wie es jetzt weitergehen soll – oder bist du einfach nur grade kurz vorm Durchdrehen?» hörte er da plötzlich eine kalte Stimme rechts von sich. Loki zuckte zusammen und wandte sich um. Das war doch nicht möglich..! Sie konnte doch nicht hier sein! Aber sie war es, unzweifelhaft, wie er jetzt, als Melinda die Tarnung ihres Anzugs ausschaltete, deutlich erkennen konnte. Keine zwei Meter stand sie entfernt von ihm, die Pistole auf ihn gerichtet und mit einem zornigen Lächeln im Gesicht. Loki schluckte, und zum allerersten Mal in seinem Leben blieben ihm die Worte im Munde stecken. Er wollte etwas sagen, aber es kam nur ein heiseres Krächzen heraus.. Melinda sah ihm deutlich an, was in ihm vorging, und einen Moment lang durchzuckte sie eisige Genugtuung. Zu ihrem grossen Leidwesen wurde diese jedoch gleich wieder abgelöst durch eine ganz andere Empfindung... Trotzdem gelang es ihr, weiterhin die kalte Rächerin zu spielen. «Na..?» fragte sie und hob – spöttisch, wie sie hoffte – eine Augenbraue. Loki war sekundenlang versucht, sich auf sie zu stürzen und ihr die Waffe aus der Hand zu schlagen. Früher wäre das – auch ohne Magie – kein Problem gewesen. Aber ohne dass er es versuchen musste, war ihm klar, dass er jetzt keine Chance mehr hatte. Nicht nur dass sein Körper vom Fall durch den Bifröst noch immer viel zu lädiert war: da waren auch noch die verletzte Hand und vor allem das sichere Wissen, dass seine übernatürlich schnelle Reaktionszeit auch flöten gegangen war. Er würde es also niemals schaffen, die junge Frau auch nur anzutasten, bevor ihn die Kugel aus ihrer Waffe traf. Der Versuch, sich auf diese Weise zu retten, wäre also letzten Endes nur eines: ziemlich lächerlich! Innert Sekunden überwältigte ihn plötzlich eine nie gekannte Müdigkeit. Ganz flüchtig schlossen sich seine Augen, ehe er leise erwiderte: «Ich brauche mir offensichtlich keine Gedanken mehr darüber zu machen, was ich jetzt tun soll... denn das war's ja dann wohl für mich.» Melinda musste leer schlucken. Spielte er ihr nur gerade den Resignierten vor, oder empfand er wirklich das, was er da durchblicken liess? Sie konnte es nicht recht glauben, doch als er fortfuhr, war sie sich plötzlich sicher, dass er nichts vortäuschte. «Na los, Agent Crave, worauf warten sie noch? Drücken sie schon ab, dann haben wir's beide hinter uns.» Das war der Moment, in dem Melinda nicht mehr wusste, was sie tun sollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)