NOT HIM von Silberstrich ================================================================================ Kapitel 9: Der Horror --------------------- Nancy stolperte regelrecht auf Eric zu, der sich eigentlich schon auf sein heimisches Bett gefreut hatte. "Eric! Warte! Du musst ...du musst mir helfen. Jun ist-", keuchte sie außer Atem. Sie musste sich sehr beeilt haben ihn noch zu erwischen. Wieso war sie überhaupt noch oder schon wieder hier? Hatte sie nicht bereits vor 8 Stunden Feierabend gemacht?! Am liebsten hätte er so getan, als hätte er sie gar nicht mehr gehört und wäre schnell in den Fahrstuhl verschwunden, doch die Türen waren bereits dabei sich zu schließen und er hatte zu lange gezögert. Moment wie war das? "Was ist mit Jun?!", wollte er wissen und eilte bereits zurück in die Richtung aus der sie gekommen war. "Also ich hatte ein Problem mit meinem Rechner und ...Ach Herrje du bist ja jetzt Abteilungsleiter, das möchte ich dir eigentlich gar nicht sagen....was mir da passiert ist. Ich kann wirklich fast nichts dafür." "Nancy was ist mit Jun?!", fragte Eric erneut ohne sich beim laufen zu ihr umzudrehen. "Naja...", begann sie langsam und versuchte sich neuen Lippenstift aufzutragen während sie angestrengt bemüht war mit ihrem neuen Chef Schritt zu halten. "Komm zum Punkt!" "Naja also Jun sollte mir bei diesem kleinen Problemchen helfen und er ist-" Eric riss bereits die Tür auf, hinter der sich Nancy's Arbeitsplatz befand und hätte sie für den Schreck am liebsten gewürgt. Äußerlich bewahrte er aber Ruhe. "Und er ist eingeschlafen.", beendete sie schließlich ihren Satz. Jun lag mit dem Kopf auf dem Schreibtisch und atmete leise und friedlich. Die Brille lag zwischen seinem Kopf und der Tastatur. Eric fuhr sich durch die Haare und seufzte. "Und jetzt soll ich dir helfen?" "Das wäre toll.....", lächelte sie zerknirscht. Eric seufzte erneut und sah sie dann etwas friedlicher an: "Nancy geh ruhig nach Hause. Ich kümmer mich um alles." Sie konnte ihm sowieso nicht helfen und er war defnitiv zu müde, um sie die ganze Zeit über in seinem Nacken zu ertragen. Natürlich nahm sie das Angebot schnell an. "Ist das wirklich in Ordnung? Vielen, vielen Dank! Bis Morgen!" Er nickte nur und sie verschwand dankbar und ohne ein weiteres Mal nachzufragen aus der Tür. Für gewöhnlich blieb sie wirklich niemals länger als nötig und ihr Taxi wartete nach wie vor an der Straße. Eric zog sich einen eigenen Stuhl heran und begann mit der Problembeseitung. Nancy hatte leider ganze Arbeit geleistet, aber es lies sich noch beheben. Eine Weile später schaltete er auch ihren Rechner ab und lehnte sich im Stuhl zurück. Automatisch wanderte sein Blick zum noch immer schlafenden Jun. Klar, irgendwann musste der ja auch mal erschöpft sein. Es war eine ziemlich harte Woche gewesen und Jun stellte ebenso harte Ansprüche an sich selbst. als würde er die Verantwortung für alles was in der Abteilung passierte auf seinen Schultern tragen. Wann kapierst du endlich, dass es meine Verantwortung ist? Wann entspannst du dich endlich?, dachte er mürrisch. Eric war so in Gedanken, dass er gar nicht direkt merkte, wie er mit der Hand durch Jun's Haare strich. Ob er ihn zur Couch tragen sollte? Nein...dann würde er doch garantiert aufwachen. Stattdessen, verschwand er kurz und kam wenige Minuten später mit einer zusammen gefalteten Decke wieder, die er neben Jun's Kopf auf den Schreibtisch legte. Außerdem stellte er eine Flasche Wasser dazu, dann schlich er aus dem Raum und machte sich erneut auf den Weg zum Fahrstuhl und nach Hause. Es wurde wirklich Zeit. Auch wenn es ein ungutes Gefühl war, Jun hier allein zu lassen. Das konnte so nicht weiter gehen. Für den nächsten Tag nahm er sich fest vor Jun früher nach Hause zu schicken oder ihn dazu zu überreden Überstundenfrei zu nehmen. Klar, würde der Kleine sich zunächst dagegen streuben aber irgendwie würde er es ihm schon beibiegen. Außerdem war er nun immerhin dessen Vorgesetzter. Jun wachte erst zwei Stunden später mitten in der Nacht und mit Nackenschmerzen auf. Verwirrt sah er sich um. Dann kam die Erinnerung wieder und er bewegte die Computermaus. Doch der Rechner war ausgeschaltet. War er etwa schon fertig gewesen? Irgendwie war die ganze große Erschöpfung mit einem Schlag gekommen und alles war etwas verschwommen. Gähnend sah er zur Seite und auf die Decke und das Wasser neben sich. Na immerhin ...das war doch nett von Nancy. Allerdings wäre es ihm irgendwie lieber gewesen wenn sie ihn geweckt und mit nach Hause genommen hätte. Gerädert stand er auf, nahm die Decke unter den Arm und die Flasche in die Hand und schlurfte den langen Weg zurück in den Aufenthaltsraum, wo er sich mit wenigen Handgriffen erneut häuslich einrichtete. Furchtbar. Das durfte auf keinen Fall zur Gewohnheit werden. Jun wollte gerade die Augen schließen als er den großen Umriss in der Tür bemerkte. Sofort saß er wieder aufrecht: "Wer...wer ist da?" "Keine Angst. Ich bin's..", sagte Eric leise, warf sein Jackett über einen Stuhl und kam näher. Er war letztendlich gar nicht bis nach Hause gefahren, hatte nur Philip eine Nachricht geschrieben und war durch die nächtlichen Straßen gelaufen nur um sich nach zwei Stunden wieder vor der Arbeit wieder zu finden. Langsam setzte er sich zu Jun auf die Couch. Es war nicht leicht darüber zu sprechen. In den Therapiesitzungen hatte er bisher immer geschwiegen. Er kam ja zurecht. Er arbeitete, er sorgte für seine Familie. Natürlich war nicht alles gut. Aber das konnte es ja auch nie wieder werden. Das hatte er irgendwie still und leise ganz privat für sich akzeptiert. "Ich dachte du bist schon längst zu Hause und schläfst?", flüsterte Jun und krallte die Finger tiefer in die Decke. Eric seufzte leise. Ein, zwei Minuten schwiegen sie nur, dann begann er leise zu sprechen: "Ich hab ihnen versprochen, dass ich mich mal wieder blicken lasse..", seine Stimme wirkte ungewohnt brüchig. Jun sah Eric nur im dunklen an. Sah gerade so seine Umrisse. Er wollte ihn jetzt auf gar keinen Fall unterbrechen. Er wusste sofort worum es ging. Eric setzte erneut an, es schien als wäre es harte Arbeit die Worte aus seinem Mund zu bekommen: "Natürlich bin ich zu spät gekommen, weil ich unbedingt noch dieses scheiß Programm zu Ende schreiben wollte.. sie laufen ja nicht weg hab ich mir gesagt....Gott...ich kann mich an jede Minute dieses Tages erinnern. Ich hab als ich vor ihrem Haus geparkt habe noch in ruhe einen Espresso getrunken, weil ich keine Lust auf das Treffen hatte." Jun bemerkte, dass er während Eric erzählte die Luft angehalten hatte. Leise atmete er tief ein und aus und schwieg weiter. Gab dem anderen einfach Zeit. Er hätte auch gar nicht gewusst was er sagen sollte und er bekam eine Gänsehaut wenn er daran dachte was er schon wusste: Ich habe sie gefunden.....oder das was von ihnen übrig war.. Eric lies sich neben Jun auf die Couch fallen. Auf dem Rücken liegend starrte er hoch zur Decke, obwohl dort im Dunkeln natürlich nicht wirklich etwas zu sehen war. Er sah ohnehin nur wieder die Bilder dieses längst vergangenen Tages vor sich erscheinen. "Ich bin aus dem Auto ausgestiegen und hab noch schnell mit einem Geschäftspartner telefoniert. Dann hab ich beim Telefonieren die leicht geöffnete Tür bemerkt. Das war der Moment in dem mich dieses komische Gefühl überkam, dass irgendetwas nicht stimmte. Ich hab das Gespräch beendet und bin rein gegangen. Als erstes..." Eric hielt inne. Jun spürte eine leichte Beklemmung in seiner Brust. Eric's Stimme wirkte jetzt noch leiser: "Als erstes...hab ich ein Ohr gefunden....es war so abstrakt.... da lag einfach nur ein Ohr auf dem Teppich...dann hab ich das Blut gesehen...gerochen....mir wurde übel und trotzdem war alles noch so unwirklich..." Eric begann etwas schneller zu sprechen als würde er es einfach hinter sich bringen wollen: "Der ....Torso meiner Mutter....lag auf dem Küchentisch.....sie war ausgenommen worden wie ein....", Eric brach ab. Ach du Scheiße..., schoss es Jun durch den Kopf. Er konnte sich an soetwas erinnern. Er hatte damals etwas in der Zeitung gelesen über ein älteres Ehepaar, das im eigenen Haus-, er konnte den Gedanken nicht einmal zu Ende denken so schrecklich war es. Aber jetzt zu wissen, dass es Eric's Eltern gewesen waren. Vielleicht hätte er es lieber doch nicht gewusst. Eric schien fertig zu sein. Er konnte einfach nicht weiter darüber sprechen und Jun wollte ihn auf keinen Fall dazu zwingen. Stattdessen setzte er sich auf, wartete bis Eric es ihm nachtat und nahm ihn einfach in den Arm. Eric erwiderte die Umarmung. "Wenn ich früher gekommen wäre ...hätte ich vielleicht...." "Nein so darfst du gar nicht denken ...bitte..", warf Jun schnell ein. "Ich geh besser...", beendete Eric schließlich als erster die Umarmung und stand auf. Jun hätte ihn am liebsten festgehalten: "Bist du sicher, dass du fahren kannst? Bleib lieber hier..." Eric schüttelte den Kopf: "Das wäre nicht gut....wir sehen uns morgen. Außer du möchtest dir frei nehmen." Da war er wieder sein normaler Ton, als hätte er die Alltagsmaske wieder aufgesetzt. "Nein ich werde da sein...bin ja sowieso schon hier und es ist ohnehin fast Wochenende.." "Dachte ich mir....dann geh morgen aber wenigstens mal pünktlich." "Eric....bitte bleib hier...", Jun konnte es kaum fassen, dass so ein Satz mal aus seinem Mund kommen würde. "Ich kann nicht..." "Wieso denn nicht?" "Schlaf gut.", lächelte Eric und zog sein Jackett von der Stuhllehne, dann verschwand er so leise wie er gekommen war. An Schlaf war für Jun jetzt nicht mehr zu denken. Es dauerte eine Weile bis er merkte, dass ihm eine Träne über die Wange lief. Wie schrecklich. Es war ja schon schrecklich genug überhaupt jemanden tot vorzufinden aber so....auf diese Art und weise. In diesem Zustand....unvorstellbar. Tagsüber merkte man Eric gar nicht an was er für ein Trauma mit sich herum schleppte. Jun dachte an den Artikel zurück. Nach all der Zeit konnte er sich natürlich nicht an jedes Wort erinnern, was er aber wusste war, dass es sich wohl um einen Psychopathen...einen Serienmörder gehandelt hatte.... sie hatten ihn ungefähr drei Monate später gefasst. Aber das brachte die Opfer nicht zurück. Jun seufzte tief und schwer. Was für eine Scheiße... und das war das Ereignis welches Eric dazu gebracht hatte den Job oben anzunehmen...weil er auf einmal seine Geschwister bei sich hatte.....weil seine Eltern.... Scheiße.. Eric war inzwischen bei seinem Auto angekommen. Seine Gedanken hingen immernoch bei diesem einen schwarzen Tag seines Lebens. Philip und Luna kannten die Wahrheit bis heute nicht. Gott sei Dank waren beide an dem Tag des Grauens nicht zu Hause gewesen. Wie durch ein Wunder. Sie dachten es wäre ein Autounfall gewesen... auch nicht schön...aber besser als die Bilder mit denen er leben musste. Und er würde sie nie vergessen. Das Blut in der Spüle.....die Gedärme seiner Mutter die vom Tisch hingen... Sein Vater der mit dem Kopf im Kamin lag. Die zerhackten Glieder...die aufgerissenen Augen........die Augen..... Eric ging um sein Auto rum und übergab sich in den Busch dahinter. Sein Handy klingelte. "Ja?" "Ich kann nicht schlafen....wieso bist du nicht zu Hause?" "Luna es tut mir leid es ist einiges dazwischen gekommen. Ich bin gleich da." "Du arbeitest zu viel!", maulte das kleine Mädchen am anderen Ende und man hörte wie sie die Decken zurecht zog. Eric lächelte leicht: "Ja du hast vielleicht Recht. Aber jetzt beeil ich mich und ich komm nochmal hoch zu dir, ok?" "Wehe wenn nicht.", mit diesen Worten legte sie auf. Eric lächelte immer noch. Luna , Philip und die Arbeit hielten ihn wirklich auf Trab und das war gut so. Jun dachte diesmal daran sich einen Wecker zu stellen und als der ihn am Morgen weckte, wirkte alles nur wie ein Traum. Trotzdem machte er sich sorgen um Eric. Ob der schon wieder da war? Eilig und ohne sich frisch zu machen hetzte er zu seinem Arbeitsplatz. Trotz der Beförderung war Eric dort geblieben. Als Jun rein stürmte, sah er kurz auf: "Morgen Jay.", lächelte Eric. Die Sorgen wurden schlagartig weniger. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)