Anziehung von QueenLuna ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Anziehung Mit einem leisen Seufzen trinke ich den letzten Schluck aus meinem Bierglas und verlasse anschließend das kleine Lokal. Vor der Tür muss ich erst einmal einen Augenblick lang stehen bleiben, um wieder zu Atem zu kommen. Selbst für mich, als gelegentlicher Nikotinkonsument, ist der allgegenwärtige Dunst in der Bar gegen Ende zur Qual geworden. Umso erfrischender und wohltuender fühlt sich der leichte Windhauch an, der sanft meine Nasenspitze streift. Während ich die frische Luft tief in meine Lunge ziehe, schweift mein Blick ziellos über die dunkle Hausfassade mir gegenüber. Sie hat sicher auch schon bessere Zeiten gesehen und steht irgendwie im harten Kontrast zu den grellen Lichtern, die von der nur wenige Meter entfernten Vergnügungsmeile bis hierher reichen und mich scheinbar zu sich rufen zu wollen. Es ist spät. Eigentlich sollte ich nach Hause gehen, in mein gemütliches Bett. Allerdings würde mir dort wohl nach kurzer Zeit die Decke auf den Kopf fallen. Wie die letzten Abende. Ich gebe mir innerlich einen Ruck, entscheide mich gegen mein Bett und gebe den Lockruf nach. Mein Bett rennt schließlich nicht weg. Mit einer Mischung aus leichter Trunkenheit und schlafloser Unruhe verlasse ich die Seitenstraße und tauche ins Gewimmel der feierwütigen Nachtschwärmer ein. Vor den Clubs und Restaurants nahe des Dotonbori Rivers haben sich lange Schlangen von Leuten gebildet, die trotz der späten Stunde auf den Einlass in die teils völlig überfüllten Gebäude warten. Gekonnt schiebe ich mich an ihnen vorbei, versuche etwas Abstand zwischen mich und die Menschenmengen zu bringen. So viele Leute auf einen Haufen machen mich immer ein wenig wirr im Kopf – ich bin das echt nicht mehr gewohnt. In den letzten Wochen hatte mich die Tour mit Decays völlig vereinnahmt. Das war okay gewesen. Die komplett durchgeplanten Tage bestanden beinahe ausschließlich aus Konzerten, Proben, Interviews und durch die Lande fahren. Die Zeit nach den Konzerten hatten wir oft zusammen verbracht, obwohl es auch Abende gab, an denen jeder auf seinem eigenen Hotelzimmer hockte. Dennoch war es nie langweilig geworden und ich hatte immer das Gefühl gehabt, eine Art Ziel, einen Plan zu haben. Nur jetzt, unmittelbar nach der Tour, stecke ich in einem Loch fest. Alles, was mich vorher in Atem gehalten hat und für Ablenkung sorgte, ist plötzlich weg. Und das ist auch genau der Grund, der mich vor wenigen Stunden dazu gebracht hat, wenigstens ein Mal außerhalb zu essen und vielleicht ein wenig im Nachtleben zu verschwinden. Ich mag meine eigenen vier Wänden nicht mehr sehen, die Stille darin und die innere Unruhe machen mich fast wahnsinnig. In solchen Momenten komm ich mit mir selbst nur schwer zurecht, um so mehr ersehne ich die übernächste Woche herbei. Dann würde die zweimonatige Pause von Dir en Grey enden und ich würde meine anderen Bandkollegen wiedersehen – was auf jeden Fall ein Lichtblick ist. Die Tour mit Decays war zwar toll und erfolgreich gewesen – ich liebe das Gefühl am Mikrofon zu stehen und gemeinsam eine ganz andere Welt für das Publikum zu erschaffen – dennoch hat die Arbeit mit Dir en grey immer etwas von ›nach Hause kommen‹. Auch wenn es sicher Zeiten gegeben hat, in denen ich etwas anderes behauptet hätte. Aber mit den Jahren haben wir Mittel und Wege gefunden, immer rechtzeitig die Reißleine zu ziehen, wenn es mal wieder zu stark in der Band brodelte. So wie dieses Mal nach der letzten Tour. Aber ein wenig Abstand zueinander kann wahre Wunder wirken, darin sind wir inzwischen Experten. Der Wind frischt etwas auf und weht mir eine lange Strähne ins Gesicht. Am Fluss ist es meist etwas angenehmer, obwohl es auch nur Einbildung sein kann. Die sommerlichen Temperaturen halten sich seit Wochen hartnäckig in den Straßen Osakas. Ein Ende ist kaum abzusehen. Dennoch genieße ich für einen Augenblick den leichten Luftzug auf meiner erhitzten Haut, während ich der Uferpromenade gemächlich und ohne Ziel folge. Auf der ruhigen Wasseroberfläche spiegeln sich die Lichter der unzähligen Werbetafeln und der am Ufer stehenden Gebäude, nur unterbrochen von einem Partyboot, das im gemäßigten Tempo vorbeifährt. Der dumpfe Beat der Musik schallt zu mir herauf, berührt einen Gedanken in mir, mit dem ich nicht gerechnet habe. Vielleicht… Nein, eigentlich bin ich nicht der Typ dafür. Nicht mehr. Wobei…. Seufzend bleibe ich stehen, beobachte, wie sich das Boot langsam aber sicher von mir entfernt und die leichte Vibration des Basses mit sich nimmt. Ach, warum eigentlich nicht? Wozu war ich sonst unterwegs? Früher, besonders in den Anfangsjahren war ich oft mit den anderen von Bar zu Bar gezogen. Wir hatten in manchen Nächten fast sämtlichen Szene-Clubs einen Besuch abgestattet, nur um am Morgen halbtot ins Bett zu fallen. Gleichzeitig hatte ich mich selten lebendiger gefühlt. Vielleicht wäre es an der Zeit, dieses Ritual wenigstens zum Teil wiederzubeleben. Und wenn es nur heute Nacht war. Denn zu Hause halte ich es ja gerade sowieso nicht aus. Obwohl ich vor wenigen Tagen erst von einer Tour zurückgekehrt bin, will sich die erhoffte Entspannung einfach nicht einstellen. Ich fühle mich ruheloser denn je, gleichzeitig ist da diese unerträgliche Leere in mir, die ich nicht greifen kann und die nicht verschwindet. Es ist ein ständiges Auf und Ab. Meist hab ich das Gefühl, dass das Blut sehr träge durch meine Adern fließt und meine Lungen nur Sauerstoff aufnehmen, um mich am Leben zu halten – nicht, um mich wie sonst das Leben und die Begeisterung spüren zu lassen. So wie auf der Bühne, wo mein Atem schneller schlägt, die Aufregung und die Energie der Fans meine Haut zum Prickeln bringen. Es ist, wie es ist. Solche Pausen tun mir nicht gut, das weiß ich schon lange. Ich will mich nicht so fühlen, trotzdem konnte ich es bisher nie verhindern. Gedankenverloren schweift mein Blick über die Hausfassaden und die Menschen um mich herum, in der Hoffnung jemanden zu finden, der so aussieht, als teile er meinen Musikgeschmack und könnte mich zufällig zu einem passenden Club führen. Vielleicht würde wirklich ein kleiner Ausflug in die Vergangenheit helfen – wenn auch nicht auf Dauer, so viel ist mir klar. Ich habe Glück. Nahe einer kleinen Querstraße entdecke ich einige dunkel gekleidete Gestalten, die die schwüle Nacht rauchend und trinkend genießen. Durch die geöffnete Tür neben ihnen dringt schwach flackerndes Licht nach draußen, ebenso leise, dumpfe Bässe, die immer lauter werden, als ich mich nähere. Unschlüssig bleibe ich stehen. Der Clubname, der auf einem rot blinkenden Schild über dem Eingang prangt, sagt mir nichts, aber eigentlich ist das auch egal. Ich will mich einfach nur ablenken. Und aktuell sind meine Anforderungen an Abendunterhaltung sowieso nicht sonderlich hoch, also zwänge ich mich an den Leuten, die die Tür belagern, vorbei ins Innere. Der lange, schmale Gang dahinter ist nur spärlich beleuchtet, eine Einlasskontrolle gibt es nicht. So folge ich der lauter werdenden Musik, die mich immer weiter bis zur Tanzfläche lockt. Sofort erfassen die ruhig vibrierenden Bässe meinen Körper, während mein Blick durch den Raum streift. Blaues Licht geistert über die wogende Masse der Tanzenden. Sie geben sich der weichen, düsteren Atmosphäre der Musik völlig hin und scheinen regelrecht zu einem Ganzen zu verschmelzen. Die Luft knistert förmlich und ich bekomme eine Gänsehaut, als mich diese leicht aufreizende Stimmung, die hier alles umgibt, körperlich berührt. Gleichzeitig erfasst mich eine angenehme Ruhe, die mich für einen Moment innehalten und die Augen schließen lässt. Ich atme tief durch, mein Geist fühlt sich angenehm befreit, beinahe leicht an – als hätte alles an Gewicht verloren. Das ist es. Ich will nicht mehr denken müssen. Die Musik streichelt sanft über meine Haut, ich spüre die unzähligen Menschen um mich herum. Unbewusst fange ich an, mich leicht zu der Musik zu bewegen, ein kleines Lächeln lässt meine Mundwinkel zucken, während ich den Augenblick genieße. Es ist nicht wichtig, wer ich bin, was gewesen ist oder was mich morgen erwartet. Gerade ist nur wichtig, dass das Leben wieder in mich zurückzukehren scheint und sich alles so echt anfühlt. Als ich meine Augen nach einer Weile wieder öffne, ist es, als würde ich aus einem Traum erwachen. Doch die Ruhe in mir bleibt. Ebenso das leichte Lächeln. Gerade bin ich wirklich froh, hierher gekommen zu sein, aller Zweifel zum Trotz. Schmunzelnd beobachte ich anderen Clubbesucher, die ebenfalls recht zufrieden und gut gelaunt wirken. Ja, es war wirklich eine gute Entscheidung. Mit einem Mal erstarre ich mitten in der Bewegung. Träume ich doch? Irritiert blinzle ich, das Bild bleibt und mein Herz setzt für einen Schlag aus. Wieso – ? In einer Millionenstadt wie Osaka, wo es unzählige Clubs und Orte gibt, an denen man sich zum späten Abend befinden könnte, bist du ausgerechnet hier. Alles Blinzeln hilft nichts, es ist keine Einbildung. Mitten auf der Tanzfläche stehst du, wiegst dich sanft zu den Klängen der Musik. Das Licht streicht über deine vom Schweiß glänzende Haut, das enge, schwarze Shirt schmiegt sich an deinen Körper, betont deine Figur damit noch mehr. Wie gebannt beobachte ich jede deiner Bewegungen, kann einfach nicht wegsehen. Das schwarze Haar fällt dir in die Stirn, verdeckt deine Augen, während eine Hand gedankenverloren über den freiliegenden Nacken fährt. Du scheinst in dir selbst versunken zu sein. Ich versuche den Kloß, der sich bei deinem Anblick in meinem Hals gebildet hat, herunterschlucken. Ich bin mir nicht sicher, dass du dir wirklich bewusst bist, welche Wirkung du hast, welche Anziehung du auf andere ausübst, wenn du dich so gibst. Mein Kopf ist wie leergefegt, während mein Herz endlich seine Arbeit wieder aufnimmt, allerdings jetzt in doppelter Geschwindigkeit. Ich könnte dir ewig zuschauen. Die Musik vibriert über meine Haut, die Lichter zucken durch den Raum, der voller Menschen ist, doch in diesem Augenblick gibt es nur dich darin, wirkst für mich nicht wie von dieser Welt, nicht greifbar. Dein Anblick lässt meinen Puls mehr beschleunigen als in den gesamten letzten Wochen und bringt damit alle Empfindungen für dich, die ich in den vergangenen Monaten fast erfolgreich verdrängt hatte, zurück in mein Bewusstsein. Woher diese Gefühle kamen – ich weiß es nicht. Irgendwann waren sie einfach da, obwohl ich sie nicht gewollt habe. Du warst noch nie ein Kind von Traurigkeit gewesen und hast auch kein Geheimnis daraus gemacht. Du genießt das Leben und heiße Nächte in jeglicher Form, ob in weiblicher oder männlicher Begleitung war dir bisher unwichtig. Nur an uns Bandkollegen hast du dich nicht herangetraut. Zwar blieben wir vor deinen Flirts nicht verschont, aber dabei blieb es. Es waren nur unbedeutende Flirts und Kindereien. Alles andere wäre ein Spiel mit dem Feuer gewesen. Vermutlich hast du es deswegen dabei belassen. Ob du eine Nacht mit einem von uns verschmäht hättest, wenn wir ernsthaft darauf eingegangen wären? Keine Ahnung. Eigentlich hätte mich das alles abschrecken müssen, nur mein verräterischer Körper sah das anders. Anfangs warst du nur wie ein lockender Duft, der mich umwehte und zu dir rufen wollte. Doch bald konnte ich meine Augen kaum mehr von dir abwenden. Egal, ob bei den Proben, im Tourbus, ob du kühl und professionell mit den Fotografen arbeitetest, dann plötzlich mit beinahe kindlicher Begeisterung herumsprangst oder auf der Bühne komplett abgedreht bist und die Fans damit zum Ausrasten gebracht hast – mein Blick konnte nicht von dir lassen. Es war einfach zu faszinierend, dich zu beobachten. Diese daraus geborene Anziehung nahm von Mal zu Mal zu, obwohl ich zunächst noch dagegen ankämpfte. Ich wollte deine Aufmerksamkeit bekommen, dich einfach nur zum Lachen zu bringen. Das war noch in Ordnung, dieses Bedürfnis konnte ich durchaus als freundschaftlich abtun. Doch gleichzeitig waren da diese Wünsche. Wünsche, die zu Freundschaft nicht mehr passten. Ich wollte dich spüren, dir über den Nacken zu streichen, den deine Haare endlich wieder frei geben oder mit den Fingern dem Ausschnitt deines oft viel zu tief geschnittenen Oberteils zu folgen, um zu erproben, ob dein Oberkörper sich wirklich so hart und heiß anfühlte, wie er immer von weitem wirkte. Und noch viele mehr. Und genau das erschreckte mich und rüttelte mich endgültig wach. Es war nicht normal, weshalb ich in den letzten Wochen wirklich versucht habe, dich und diese Empfindungen zu vergessen. Schlussendlich habe ich mich völlig in der Arbeit vergraben, um ja keine Gedanken für dich frei zu haben. Ich hatte mir eingebildet, dass es funktionierte. Doch nun kommt alles mit einem Schlag zurück, was ich in letzter Zeit so verzweifelt verdrängt hatte, denn da ist keine Ablenkung mehr und du bist hier, nur wenige Meter entfernt. Mir ist nicht zu helfen. Es ist sinnlos. Atemlos beobachte ich dich und versuche meinen Herzschlag zu beruhigen. Was soll ich tun? Rausschleichen und darauf hoffen, dass die nächsten Tage ausreichen, um mich wieder in den Griff zu bekommen, damit ich dir beim nächsten Meeting nicht komplett aufgekratzt gegenüberstehe? Oder sollte ich dir einfach nachgeben und sehen, was passieren würde? Würdest du mich überhaupt ernst nehmen? Wieder einmal reagiert mein Körper von alleine und nimmt mir die Entscheidung ab. Unbewusst hatte ich mich durch die wogende Menge treiben lassen, auf dich zu. Nun stehe ich hinter dir, passe mich einfach deinen langsamen Bewegungen an. Dein Duft umschmeichelt meine Nase, eine Mischung aus Parfüm, Schweiß und deinem ganz eigenen Geruch. Du ziehst mich einmal mehr in deinen Bann. So komme ich niemals von dir los, da kann ich mich noch so sehr gegen dieses Gefühl, gegen diese Anziehung, wehren. Ich bin wie die berühmte Motte, die sich nicht vom Licht fernhalten kann, auch wenn sie Gefahr läuft zu verbrennen. Meinen Körper, meine Gedanken zieht es immer wieder zu dir. In diesem Augenblick, als ich dicht hinter dir stehe und fast wie ein Schatten deinen tanzenden Bewegungen folge, verliere ich endgültig meinen inneren Kampf. Früher hätte ich dich einfach spielerisch anrempelt, um auf mich aufmerksam machen. Du hättest dich lachend zu mir gedreht und wir hätten gemeinsam feiernd einen feucht fröhlichen Abend verbracht. Das wäre normal gewesen. Doch das möchte ich jetzt nicht mehr. Ich will keine Normalität. Eigentlich wollte ich heute nur einen freien Kopf haben und mich der Musik und dem Leben hingeben. Doch nun ist er voll – so voll von dir. Ich habe das Gefühl, dass mir deine Präsenz die Luft zum Atmen nimmt. Ich gebe auf... ich kann und will mich nicht mehr wehren. Es bringt sowieso nichts. So überbrücke ich die restliche Distanz und fahre leicht mit den Händen an deinen Seiten entlang. Mit den Lippen streiche ich hauchzart über die freiliegende Haut deiner Schulterpartie bis zum Ohr hinauf. „Du weißt, dass sämtliche Blicke auf dir liegen, wenn du so tanzt, Toshiya“, raune ich dir zu. Du stockst und hältst für einen winzigen Moment die Luft an, bevor du dich wieder fängst. „Hallo, Die.“ Bist du überrascht? Hast du auf jemanden gewartet? Oder wolltest du nur wieder jemand Neues für eine Nacht kennenlernen? Eigentlich ist es egal, denn das leichte Lächeln und der Blick, den du mir über deine Schulter hinweg zuwirfst, gilt in diesem Moment nur mir allein. Und doch muss ich fragen. „Hast du jemanden erwartet?“ „Nein …“ Du hältst kaum merklich in deinen Bewegungen inne und drehst den Kopf zu mir. Deine Lippen streifen mein Ohr. „…aber ich bin gerade sehr froh, dass du hier bist.“ Mein Herz setzt kurzzeitig aus, in meinen Ohren rauscht es. Ich kann nicht anders als zu starren. Lächelnd erwiderst du meinen Blick, ehe du den Kopf wendest und ihn leicht zur Seite neigst. Es ist eine Einladung, wie ich leicht verspätet bemerke. Eine Einladung mit meinen Lippen über die weiche Haut deines Halses zu streichen und dir noch näher zu kommen. Wie soll ich dem widerstehen? Der plötzliche Mut, mich auf dich einzulassen und das Ganze nicht als Scherz abzutun, überrascht mich selbst ein wenig, aber es fühlt sich so unglaublich gut an. Wie oft habe ich davon geträumt? Wie oft bin ich deshalb nachts schweißnass in meinem Bett aufgewacht und habe versucht diese Bilder loszuwerden? Ich war mir bisher sicher, dass du nie so offen auf Annäherungen meinerseits eingehen würdest. Nicht, dass dein kleines Flirtspiel ernster werden könnte als beabsichtigt. Doch anscheinend habe ich heute die Gelegenheit meinen Träumen nachzugehen, denn du stehst weiterhin dicht gedrängt vor mir und machst keine Anstalten, dich zu lösen. Wir versinken in unsere eigene Welt, bestehend aus sanften Bewegungen und minimalen Berührungen. Die Luft um uns herum knistert und brennt förmlich auf der Haut. Meine Gedanken schweigen und eine wohltuende Ruhe herrscht in meinem Geist. Am liebsten würde ich die Zeit anhalten, jeden Augenblick mit dir in mich aufsaugen und sicher in mir verwahren. Wie in Trance fahre ich mit den Händen über deinen Brustkorb und Bauch, dessen Muskeln sich wunderbar unter dem dünnen Shirt abzeichnen, während ich sanfte Küsse in deinen Nacken und auf die Schultern hauche. Deine Nähe macht mich wahnsinnig. Und du scheinst diesen Berührungen ganz und gar nicht abgeneigt zu sein, so eng wie du dich mit deinem Rücken an mich lehnst. Es passt kaum Luft zwischen uns, als aus meinen streichelnden Bewegungen eine Umarmung wird. Meine Hände kommen auf deinem Bauch zur Ruhe. Ich lege die Stirn auf deine bloße Schulter und atme tief durch. Das Oberteil ist verrutscht und gibt nun noch mehr von dir frei. Deine Haut schmiegt sich herrlich heiß an meine. Du fühlst die Hitze wohl ebenso, denn mein Atem verursacht dir eine Gänsehaut. Es sind schließlich deine Hände, die sich über meine schieben und mich damit aus meiner Trance holen. Langsam drehst du dich zu mir um und ich hebe den Blick zu deinen Augen, die mich kurz – beinahe verträumt – mustern. Auch du scheinst gerade langsam wieder aus deiner eigenen Gedankenwelt aufzutauchen, wie dein leicht verklärter Blick zeigt. Du lässt eine meiner Hände los, doch bevor ich überhaupt enttäuscht auf diesen fehlenden Hautkontakt reagieren kann, spüre ich, wie du mit den Fingern hauchzart über meine Schläfe fährst und eine der langen Haarsträhnen hinter mein Ohr streichst, bis sie in meinem Nacken zum Liegen kommen. Diese überraschend sanfte Berührung lässt mich die Augen schließen. Meine Haut kribbelt. Bevor ich mich gänzlich dieser Empfindung hingeben kann, spüre ich deine Lippen dicht an meinem Ohr. „Kommst du mit raus? Es ist so warm hier drinnen. Ich brauche frische Luft.“ Ich bringe geradeso ein Nicken zustande, woraufhin du mir ein Lächeln schenkst, das mein Herz wiederholt zum Stolpern bringt. Du nimmst mich fester bei der Hand und ziehst mich durch die tanzende Menschenmenge hinter dir her. Als mich die kühle Nachtluft im Eingangsbereich des Clubs trifft, ist es wie ein Schubs ins kalte Wasser. Nichts erinnert mehr an die stille und vertraute Zweisamkeit, die wir bis vor wenigen Minuten geteilt haben, als du mich nun zielsicher an den Leuten, die draußen ebenfalls eine Abkühlung von der stickigen Luft des Clubs suchen, vorbei lotst. An einer abseits gelegenen, brusthohen Mauer machst du halt und lässt mich los, nur um dich mit fast schon jugendlicher Energie hochzustemmen. Kurz siehst du mich schmunzelnd an, ehe du dich hinlegst und die Augen schließt. Würde ich dich nicht schon jahrelang kennen, wäre ich jetzt sicher verwirrt, doch ich weiß, dass du ab und zu so solchen Aktionen neigst, um wieder runterzukommen. Und das muss ich auch. Auf eine Kletterpartie habe ich gerade keine Lust, ich fühle mich sowieso irgendwie zu mitgenommen und zu wackelig auf den Beinen, als dass ich mich dort rauf trauen würde. So stütze ich mich einfachheitshalber mit den Ellenbogen auf der Mauer ab, verschränke die Unterarme und lege den Kopf auf sie. Wie von allein schließen sich meine Augen, ich kann deine Wärme auf meiner Haut spüren, so nah sind wir uns. Nach paar Minuten angenehmen Schweigens, das nur vom leisen Geplauder der wenige Meter entfernten Partygäste begleitet wird, unterbrichst du unsere persönliche Stille. „Schau mal, Die, da oben sind Sterne.“ Irritiert hebe ich mein Gesicht von den Armen und drehe mich langsam an der Mauer um, sodass ich nun mit dem Rücken dagegen lehne. Ich folge deinem ausgestreckten Arm, der in den Himmel deutet. Es ist dunkel, von Sternen keine Spur. „Toshiya, du spinnst… Man sieht hier in der Stadt keine Sterne.“ Du lachst auf und erst jetzt bemerke ich, als ich skeptisch zu dir sehe, dass du deine Augen immer noch geschlossen hast. „Ach Die, hab doch mal ein bisschen Fantasie… Wäre es nicht schön, wenn man hier die Sterne sehen würde?“ Ich stoße amüsiert die Luft aus. Manchmal bist du echt ein Spinner. Doch dein kurzer Einwurf haben mir und meinem Kopf gutgetan. Ich habe das Gefühl klarer denken zu können. Der Nebel, der meine verwirrten Gedanken bis jetzt eingehüllt hatte, ist verschwunden und ich kann wieder freier atmen. Gedankenverloren mustere ich dein Profil. Die knisternde Spannung, die auf der Tanzfläche zwischen uns herrschte, scheint nur noch ganz schwach um uns herum zu wehen und doch bin ich dankbar für diesen ruhigen Moment. Du schmunzelst leicht vor dich hin, anscheinend belustigt dich etwas. Dann, mit einem plötzlichen Ruck, der mich zusammenfahren lässt, öffnest du die Augen und setzt dich auf. Geschmeidig schwingst du deine Beine von der Mauer und bleibst mit den Füßen baumelnd darauf sitzen. Deine Lippen verziehen sich zu einem frechen Grinsen, während du mich musterst. Irgendwas scheinst du in Gedanken ausgeheckt zu haben, doch ob das gut für mich ist – da bin ich mir gerade nicht so sicher. Behutsam streckst du die Hand aus, nimmst eine meiner Haarsträhnen und wickelst sie dir um die Finger. Es ziept ein wenig auf der Kopfhaut. Eigentlich sind mir meine Haare heilig, weshalb ich selten jemanden an sie heranlasse, aber dir kann ich die Spielerei mit ihnen nicht verbieten. Dafür fühlt sich diese kleine Geste, mit der du mir deine Aufmerksamkeit schenkst, viel zu gut an. Ein leichtes Streichen über meinen Nacken lässt mich aufseufzen und die Augen schließen. Meinetwegen könnten wir die restliche Nacht so verbringen. Es ist mir auch egal, ob du merkst, wie offensichtlich und deutlich ich auf dich reagiere. Nach unserer Darbietung im Club sollte dich das sowieso nicht mehr überraschen. Eine Berührung am Arm lässt mich aufschauen. Fragend blicke ich dich an, doch du lächelst nur wissend, als du meine Hand nimmst und mich zu dir herumziehst. Ich stehe erneut an die Mauer gelehnt, doch diesmal genau zwischen deinen Beinen, die du um meine Hüfte schlingst und mich dadurch noch näher an dich ziehst. So viel Nähe bringt mein Herz zum Aussetzen und mein Atem stockt. Du verunsicherst mich, weshalb ich den Blick zu deinen Augen wandern lasse, gespannt darauf, was ich in ihnen lesen werde. Das kleine, freche Grinsen hält sich weiterhin auf deinen Lippen, während du mir durchs Haar streichst, bevor deine Arme auf meinen Schultern zur Ruhe kommen und deine Stirn auf meiner liegt. Dein Atem kitzelt ein wenig an meiner Nase. „So, mein lieber Die…“, vernehme ich deine leise Stimme, wobei ich die Worte mehr auf meiner Haut spüre, als dass ich sie höre. „...was wollen wir beiden Hübschen heute noch machen?“ Höre ich da einen leicht lauernden Ton heraus? Ich bin sonst nicht auf den Mund gefallen, aber in diesem Moment weiß ich tatsächlich nicht, was ich sagen soll. Das Offensichtliche – beziehungsweise das, was ich mir schon lange wünsche und vorstelle – möchte ich nicht aussprechen, obwohl ich sonst oft mit der Tür ins Haus falle. Ich kann es einfach nicht. Noch nicht. Also trete ich lieber die Flucht an. Indirekt. Obwohl ich diese Nähe gerade mehr als genieße, löse ich mich vorsichtig von dir und gehe einen halben Schritt zurück, nachdem du deine Beine widerwillig von meiner Hüfte genommen hast. So wie du dort auf der Mauer sitzt, wirkst du wie ein kleiner Junge, der nach Beschäftigung sucht. Schmunzelnd strecke ich dir die Hand entgegen, wofür ich einem fragenden Blick deinerseits ernte. „Lass uns einfach ein wenig spazieren gehen. Vielleicht finden wir ja irgendwo eine Stelle, von der aus ich auch ohne viel Fantasie deine angepriesenen Sterne sehen kann“, beantworte ich nun grinsend auf deine Frage. Kurz schaust du mich irritiert an, vielleicht hattest du mit einer anderen Antwort gerechnet. Doch dann fängst du an zu lachen. „Ein guter Plan. Ich bin mir sicher, dass ich hier in der Nähe schon mal Sterne gesehen habe“, merkst du zwinkernd an, ehe du mit einem Satz von der Mauer springst. Der unterschwellig anzügliche Tonfall, der deine Worte begleitet, lässt mich innerlich mit den Augen rollen. ,Sterne sehen à la Toshiya‘ – alles klar. Du ergreifst meine Hand und wir verlassen die Gasse Richtung Fluss. Meine Haut prickelt leicht, als du mit dem Daumen sanft über meinen Handrücken streichst. Ich lächle vor mich hin, denn ich fühle mich gerade unglaublich frei und schwerelos und … glücklich. Ja, wirklich glücklich, wie ich mir eingestehe, als ich einen vorsichtigen Blick auf dich riskiere. Das Kribbeln in meinem Bauch verstärkt dieses Glücksgefühl. Auch wenn es vielleicht nur dieser kurze Moment ist, den wir heute Nacht teilen, ich möchte mir diese Empfindung in meinem Inneren bewahren und nie wieder vergessen, denn es ist etwas, was ich in dieser Intensität schon lange nicht mehr empfunden habe. „Schau mal, die Lichter im Wasser sehen fast aus wie das glitzernde Sternenzelt.“ Deine bildmalerischen Worte unterbrechen meine Gedanken. Stirnrunzelnd mustere ich die Wasseroberfläche, die ebenso bunt vor sich hin leuchtet wie vor wenigen Stunden, als ich schon einmal hier gestanden habe. „Toshiya, wo bitte hast du denn jemals so bunte Sterne gesehen…?“ „Ich habe ja auch gesagt ‚fast‘…“, erwiderst du leicht schmollend, doch ich sehe dir an, dass dieses Schmollen gespielt ist, denn im nächsten Augenblick grinst du wieder breit. „Ach Die, die Nacht ist noch jung! Lass uns etwas erleben!“ Du löst dich von meiner Hand, läufst ein paar Schritte vor, bevor du lachend die Arme ausbreitest, die Augen schließt und den Kopf in den Nacken legst, während du dich um dich selbst drehst. Seitlich zu mir bleibst du stehen, deine Augen sind weiterhin geschlossen, das Gesicht hast du gen Himmel gewandt. Du holst ein paar Mal tief durch die Nase Luft. „Riechst du das? Die Nacht riecht nach Leben!“ Langsam öffnest du die Augen und wirfst mir aus den Augenwinkeln einen langen Blick zu. Ich kann meine Augen einfach nicht von dir nehmen und muss schwer schlucken. So wie du dastehst – du bist schön. So unglaublich anziehend. Ich glaube, ich werde dir heute überallhin folgen, egal was du vorhast. Nein, nicht ‚ich glaube‘, ich weiß, dass ich dir überallhin folgen werde. „Wollen wir die Nacht nicht zusammen mit noch mehr Leben erfüllen, Die?“ ~*~ Ich spüre, wie eine Hand langsam und hauchzart von meiner Brust über den Bauch zu meiner Seite wandert und dann den gleichen Weg wieder zurücknimmt. Eine warme Sommerbrise dringt durch die geöffnete Balkontür herein und umschmeichelt meine Haut. Verschlafen blinzle ich gegen die Sonne, die sich an meinen langen, weißen Vorhängen vorbei ins Schlafzimmer stiehlt. Stimmt... wir hatten es heute Nacht ziemlich eilig. Während ich mich aus dem Traumland freikämpfe, werde ich mir allmählich der Situation bewusst und mein Herz setzt für einen Schlag aus. Ich presse meine Lider zusammen und drehe mich in einem kurzen Akt der Verzweiflung auf die Seite, mit dem Rücken zu dir. Mein Gesicht vergrabe ich dabei im Kissen, um der Realität nicht ins Auge sehen zu müssen. Du scheinst wiederum meine Verzweiflung nicht zu bemerken oder ignorierst sie schlicht und ergreifend. Stattdessen streichst mir in einer sanften Bewegung die Haare aus dem Nacken und hauchst leichte Küsse auf die freigelegte Haut, während ich stocksteif daliege und nicht begreife. Deine Hand fährt an meiner Seite tiefer und tänzelt dann erneut hinauf zu meiner nackten Brust. Schließlich ziehst du mich in eine feste Umarmung, was mir eine Gänsehaut beschert und dich leise auflachen lässt. „Na Schlafmütze, auch schon wach?“ Ich kann deutlich dein Grinsen an meiner Schulter fühlen, als du mir diese Worte zuraunst. Deine von der Nacht angeraute Stimme verursacht mir einen weiteren Schauer. Oh Mann, was bringt es mir eigentlich, mich in meinem Kissen zu verstecken? Die Realität hat mich sowieso bereits eingeholt. Behutsam löse ich mich aus deiner Umarmung und drehe mich unsicher zu dir um. Da liegst du – einfach so in meinem Bett und siehst mich an. Unglaublich. Gedankenverloren strecke ich die Hand aus und streiche dir eine Strähne aus der Stirn. Du bist wirklich hier. Und gleichzeitig wird meine Verunsicherung nicht weniger. Was war diese Nacht für dich? Ich hoffe, ziemlich befriedigend, aber so generell…? Als ich dich seufzen höre und das Lächeln auf deinen Lippen entdecke, macht mein Herz einen holprigen Sprung. Dieses Lächeln... Es hat nichts von diesem überlegenen, manchmal beinahe arrogant anmutenden Lächeln, das du an den Tag legst, wenn du dir deiner Wirkung wieder einmal mehr als bewusst bist und es in vollen Zügen auskostest – und das ich eigentlich erwartet hatte. Auch nicht das Gegenteil davon, das beinahe kindische Grinsen, wenn du dich amüsierst. Nein. Dieses Lächeln, das ein heftiges Kribbeln in meiner Magengegend verursacht, wirkt unheimlich sanft und sinnlich. Deine Augen sind mittlerweile geschlossen und du genießt anscheinend die Streicheleinheiten an deinem Kinn und Hals, die ich unbeabsichtigt fortgeführt habe, als ich dir das Haar aus dem Gesicht strich. „Toshiya? Was machst du noch hier?“ Irgendwie hatte ich damit gerechnet, dass du nicht mehr da sein würdest, wenn ich aufwache. Auch deswegen sind wir zu mir gegangen, nicht nur weil der Weg hierher kürzer ist. Du hättest die Möglichkeit gehabt, dich davonzustehlen, so wie du es wohl sonst bei deinen nächtlichen Liebschaften zu tun pflegst. Denn irgendwie hatte mich der Gedanke, dass unsere Nacht ebenfalls nur eins deiner kurzen sexuellen Intermezzi war, die ganze Zeit nicht losgelassen. Vielleicht hatte ich ja falsch gelegen… Du antwortest mir nicht, sondern hältst einfach nur schweigend unseren Blickkontakt aufrecht. Die Situation überfordert mich. Nichts ist, wie ich vorher erwartet habe. Ich brauche einen Moment für mich, weshalb ich mich von dir löse und mich vorsichtig aus dem Bett erhebe. Dass ich dir damit meine nackte Kehrseite präsentiere, stört mich nicht, denn die hast du ja heute Nacht sowieso ausreichend betrachten dürfen. Trotzdem suche ich mir schnell Shorts und ein Shirt zum Anziehen – meine Nachbarn möchte ich nun nicht mit meiner Nacktheit beglücken. Bevor ich fluchtartig durch die Balkontür ins Freie verschwinde, werfe ich dir einen letzten Blick zu, doch du schaust mich nicht an. Deine Augen sind zur Decke gerichtet, zwischen deinen Brauen liegt eine tiefe Falte. Leise schließe ich die Tür hinter mir und stecke mir eine Zigarette an, die stets für kurze Suchtattacken auf dem Balkon bereitliegen. Der Rauch füllt meine Lungen und ich hoffe in diesem Moment, dass das Nikotin schnell seine Wirkung entfaltet. Mein Blick schweift abwesend über das Häusermeer unter mir, während ich meinen Gedanken nachhänge. Ich hatte die Wohnung vor Jahren nicht nur wegen der schönen Aussicht gekauft, sondern weil hier der dauerhaft lärmende Geräuschpegel der Großstadt endlich einmal weit weg zu sein scheint und mir somit etwas Ruhe sicher ist. Nur die innere Ruhe lässt gerade vergebens auf sich warten, zu sehr macht mir die Situation zu schaffen. Warum bist du nicht gegangen, während ich schlief? Und dazu weckst du mich noch so lieb und zärtlich. Es ist, als ob – Nein, ich will der Hoffnung noch nicht gänzlich nachgeben. Etwas zittrig nehme ich einen weiteren Zug von der Zigarette und verfluche mich dafür, dass ich seit Neustem nur noch Light rauche, denn das Nikotin darin reicht definitiv nicht aus, um mich wirklich zu beruhigen. Wobei, eigentlich wollte ich doch sowieso mit dem Rauchen aufhören. Das Geräusch der sich öffnenden Balkontür dringt an mein Ohr, leise Schritte von bloßen Füßen folgen zaghaft. Wenige Augenblicke später fühle ich, wie eine Hand über meinen Rücken wandert und ich zucke leicht zusammen. „Die, sieh mich an“, vernehme ich deine Stimme dicht neben mir. Nein, ich will nicht, weshalb ich nicht reagiere und lieber auf die Häuser unter mir starre. Die Unsicherheit überwiegt gerade, ich kann dir nicht in die Augen sehen. Du stöhnst genervt auf. „Alter Sturkopf!“, schimpfst du mich leise und gleich darauf dirigiert eine Hand mein Gesicht in deine Richtung. „Ach komm, schau mich an! Ich beiße nicht… also nicht jetzt.“ Der amüsierte Tonfall, der in diesen Worten mitschwingt, lässt mich nun doch den Blick heben. Ein freches Grinsen ziert deine vollen Lippen, dennoch meine ich in deinen Augen ebenfalls eine gewisse Unsicherheit zu erkennen. Aber nein, ich muss mich irren. Ich senke ein wenig resigniert den Kopf. Du bist nie unsicher. Warum solltest du auch? Für dich ist das hier doch nichts Neues: Du hast mal wieder eine heiße Nacht in einem fremden Bett verbracht. Und ich kann das nicht einmal bestreiten. Die Nacht war heiß gewesen. Ehe ich mich versehe, stibitzt du mir die nahezu aufgerauchte Zigarette aus der Hand und genehmigst dir einen tiefen Zug davon, bevor du sie im Aschenbecher hinter dir ausdrückst und dich erneut zu mir umdrehst. Stirnrunzelnd musterst du mich, vermutlich weil ich immer noch keinen vernünftigen Ton herausgebracht habe. „Sprich mit mir, Die! Ich kann nicht Gedanken lesen.“ Einen Moment lang presse ich meine Lippen aufeinander und spiele mit dem Gedanken, weiterhin den Stummen zu mimen. Aber was soll das bringen? Du würdest sowieso keine Ruhe geben, bis die Sache geklärt ist, denn du lässt Unausgesprochenes nicht gern so stehen. Ich eigentlich auch nicht. Außerdem sind wir theoretisch erwachsene Menschen, weshalb ich mich auch nicht weiter wie ein verstockter Teenie benehmen sollte. Leichter gesagt als getan, denn blöderweise bringst du die dämlichsten Verhaltensweisen in mir ans Licht. Ich schnaube kurz und gespielt genervt. „Nicht mal in Ruhe eine Morgenzigarette kann man hier rauchen“, versuche ich ein letztes Ablenkungsmanöver, das du mit einer hochgezogenen Augenbraue und einem „Es ist bald Mittag…“ konterst. Na dann halt nicht. Unsicher kratze ich mich am Kopf. „Ich… ich hatte eigentlich erwartet, dass du schon weg wärst, Toshiya. Irgendwie verwirrt mich das gerade.“ „Ach Die…“ Deine Hand wandert zu meiner Wange und streicht drüber, vielleicht um mich zu beruhigen und mich zum Weitersprechen zu animieren. Ich seufze. Soviel Körperkontakt bringt mir nur leider momentan das Gegenteil, weshalb ich mich deiner Hand entziehe, indem ich mich zur Brüstung drehe und die Unterarme darauf abstütze. Mein Blick sucht die Ferne, doch ohne irgendwelche Details zu erfassen. „Ich weiß nicht recht, was ich sagen soll.“ Ich breche ab. Oh Mann, ich klinge wirklich wie ein Teenager, der nicht weiß, wie er mit seinem ersten One-Night-Stand umgehen soll. Wäre es irgendein One-Night-Stand würde es mich vermutlich kalt lassen – doch es geht hier um dich, einen meiner engsten Freunde und Arbeitskollegen und das ist dann doch eine andere Nummer. Abgesehen von dem eventuellen Gefühlschaos in meinem Inneren, das dabei wohl ebenso eine gewisse Rolle spielt. Ich schüttle frustriert den Kopf und lasse ein kurzes Auflachen hören, bevor ich mein Gesicht in den Handflächen vergrabe. Ich will meine frühere Selbstsicherheit zurück! Das kann doch nicht so schwer sein! „Toshiya, ich bin ein wenig überfordert“, gestehe ich, aber das weißt du sicher schon. „Die Nacht war echt schön, aber ich weiß nicht, wie ich jetzt damit umgehen soll. Es ist nicht so, dass ich was gegen One-Night-Stands habe, aber wir kennen uns zu gut, als dass ich es sofort abhaken könnte.“ Ich halte inne, um mir meine nächsten Worte zurechtzulegen. „Ich werde wohl immer, wenn ich dich ab jetzt ansehe, die Bilder dieser Nacht vor Augen haben… wie du dich unter mir räkelst und stöhnst. Und vielleicht… vielleicht will ich diese Bilder auch nicht vergessen.“ Ein schneller, seitlicher Blick zu dir verrät mir, dass deine Augen auf mir ruhen. Deine Wangen haben sich leicht gerötet, doch du unterbrichst mich nicht. Nur deine Hand, die auf meinen Rücken liegt, hält kurz inne, ehe sie langsam weiter darüber streicht. „Ich glaube nicht, dass das so gut ist.“ Ein leichtes Schmunzeln ziert deine Lippen, als ich schließlich schweige. Ich betrachte dich abwartend, denn jetzt bist du dran. Du wendest den Blick ab und lässt ihn nun statt meiner in die Ferne schweifen. „Die…“, beginnst du und sofort beschleunigt sich mein Herzschlag. „Denkst du, ich hätte mich darauf eingelassen, wenn ich mir der Konsequenzen nicht bewusst wäre, die so eine Nacht mit sich bringen würde? So naiv oder notgeil bin ich nicht, als dass mir nicht klar wäre, was passieren könnte, wenn ich mich auf einen meiner Freunde einlasse...“ Deine Augen wandern leicht betreten nach unten. „Ich bin kein Arschloch, Die, das alle nur für das eigene Vergnügen ausnutzt... auch wenn es manchmal auf euch so wirken mag.“ Du nimmst einen langen Atemzug, bevor du Blickkontakt mit mir suchst und fortfährst. „Weißt du, ich habe schon eine Weile gespürt, dass du – nun wie soll ich sagen? – dass du anders als sonst an mir interessiert bist.“ Ich schaue dich ein wenig verwundert an. Eigentlich dachte ich, dass ich mich recht gut im Griff gehabt hätte. Auf meine Verwunderung reagierst du mit einem kurzen Auflachen. Das Kribbeln in meinem Bauch verstärkt sich. „Du hast einfach kein Pokerface, mein Lieber. Daran solltest du arbeiten.“ „Wie…“ Ich breche ab. Du weißt sowieso, was ich wissen möchte. „Deine Blicke sind anders geworden – intensiver. Du hast mir ein paar Mal eine echte Gänsehaut verpasst.“ Du lachst verlegen auf. Ich schweige, will dich nicht unterbrechen. „Und doch habe ich irgendwie eine Mauer zwischen uns gespürt. Du warst verändert... stiller, aufgekratzt und unruhig, wenn wir uns unterhalten haben. Anfangs hat mich das irritiert und verunsichert, weil ich nicht wusste, wie ich damit umgehen sollte... und... na ja... ich war mir nicht mal sicher, ob ich nicht zu viel in dein Verhalten hineininterpretiere. Jetzt guck mich nicht so skeptisch an, Die. Ich bin auch nicht immer so stark von mir überzeugt, wie es auf den ersten Blick wirken mag.“ Du lächelst mich so süß an, dass es mich einfach überkommt und ich den Abstand zwischen uns überbrücke und dir einen Kuss auf die Lippen drücke. Du scheinst ja sowieso alles zu wissen, also warum noch verstecken und zurückhalten? Ich kann mein Glück gar nicht fassen. Dein Gesichtsausdruck ist absolut Gold wert. Nach diesem Überfall meinerseits musst du dich erst einmal räuspern, um weitersprechen zu können, was ich mit einem zaghaften Grinsen kommentiere. Diese Verlegenheit steht dir. „Außerdem bist du einer meiner engsten Freunde, da muss man vorsichtig sein. Nicht, dass man mit zu viel Interpretation etwas kaputt macht. Eigentlich war ich froh über die paar Monate Auszeit. So konnte ich wenigstens meine Gedanken ordnen. Doch…“ Du seufzt auf und legst dann deine Stirn an meiner Schulter ab. Deine Arme schlingst du in einer lockeren Umarmung um meine Mitte. „... irgendwie hat mir der Gedanke gefallen, dass du mich anziehend finden könntest“, nuschelst du gegen mein Shirt. Das bringt mich endgültig zum Grinsen und ich fahre dir mit einer Hand über das kurze Haar im Nacken. „Je länger ich darüber nachgedacht habe, desto mehr habe ich mich an dieses Gefühl gewöhnt.“ Du löst dich wieder vorsichtig von mir und schaust mir in die Augen, während deine Hand über meinem aufgeregt hämmernden Herz liegen bleibt. „Mein Herz hat wohl ebenfalls Gefallen an diesem Gefühl gefunden...“ Du machst eine kurze, bedeutungsschwangere Pause. „... und hat sich deinem angepasst.“ Ein flüchtiger Kuss streift meine Lippen, dann schaust du mich erwartungsvoll mit großen Augen an. Nach diesem mir Gänsehaut bringenden Augenblick bin ich es nun, der sich räuspern muss, um seine Stimme wiederzufinden. „Nach der vergangenen Nacht solltest du eigentlich wissen, dass du mit deiner Interpretation gar nicht so falsch lagst“, meine ich nur, gleichzeitig breitet sich ein schiefes Grinsen auf meinen Zügen aus. Meine frühere Selbstsicherheit kehrt langsam zurück, was dich auflachen lässt. „Mhmm, ja, wohl wahr. Ich muss gestehen, ich hatte darauf gehofft. Deshalb wollte ich es gestern drauf ankommen lassen, als ich merkte, dass du nicht abgeneigt warst. Eigentlich hatte ich nicht mal unbedingt so eine Nacht erwartet. Aber beschweren werde ich mich keinesfalls darüber und... wir können es gerne wiederholen, damit du noch andere Bilder von mir im Kopf hast, wenn du mich ansiehst.“ Dein freches Zwinkern bringt mich zum Lachen. Ich kann nicht anders, als dich an mich zu ziehen und meine Lippen auf deine zu pressen. Mein Magen schlägt einen Salto, als du den Kuss intensiv erwiderst. An sich sollte mich nun nichts mehr überraschen, da die Karten jetzt offen vor uns auf dem Tisch liegen. Und doch überrollt mich dieses Glücksgefühl, mit dem ich bis vor wenigen Stunden sicher nicht gerechnet hätte, einfach. Genauso könnte es gern bleiben, dann würde mir auch eine erneute Bandpause nichts ausmachen, solange du bei mir bist. Du löst schließlich den Kuss, was mich zum Murren bringt und dich zum Feixen. Ich hasche ungeduldig nach deinen verführerisch weichen Lippen. Ich werde wohl niemals genug von ihnen bekommen. Lachend drückst du mich ein wenig von dir. „Hey, lass mich mal Luft holen.“ Ein Finger stupst kurz gegen meine Nase, doch deine nächsten Worte lassen meinen ganzen Körper kribbeln. „Also, Die… bist du bereit, neue Bilder von uns in deinen Kopf zu malen?“ – ENDE – Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)