Was sie nicht wissen... von Atina ================================================================================ Kapitel 2: Kapitel 2 -------------------- Die nächsten Wochen vergingen, das neue Jahr begann und der Frühling gewann die Oberhand über den zuletzt sehr milden Winter, auch wenn er noch gar nicht an der Reihe war. Tests und Klausuren wurden geschrieben, Vorträge gehalten und Hausarbeiten geschrieben. An einem Morgen Anfang Februar lief Klaus über den Flur in Richtung Vertretungsplan, als ihm Natascha entgegenkam. Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Das Mädchen mit den grünen Augen und den blonden Haaren, die immer zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren, saß in Mathe und Deutsch in seiner unmittelbaren Nähe und gelegentlich besprachen sie gemeinsam die zu bearbeitenden Aufgaben. Er mochte sie, er mochte sie sogar sehr. Als Natascha nur noch einen Meter von ihm entfernt war, sah er sie freundlich an und sagte mit seiner angenehmen Stimme: „Guten Morgen!“ Die Blonde grüßte zurück und im nächsten Augenblick war sie an ihm vorbeigelaufen. Ein Lächeln zeichnete sich auf ihren Lippen ab und gut gelaunt lief Natascha zu dem Unterrichtsraum, in dem sie die erste Stunde hatte. Sie war in zwei Kursen, in denen Klaus auch war, und weil die beiden nah beieinandersaßen, arbeiteten sie ab und zu gemeinsam an den Aufgaben. Sie mochte ihn, sie mochte ihn sogar sehr. Nachdem Klaus am Vertretungsplan gesehen hatte, dass für ihn nichts ausfiel, sah er sich die anderen Aushänge an, es waren noch fünfzehn Minuten bis zum Stundenbeginn, er hatte Zeit. Neben dem Klausurplan und dem Aufruf zum Blutspenden fand er eine Notiz, dass nur noch wenige Karten für das Stück der Theatergruppe zu erstehen waren. Ohne lange darüber nachzudenken ging er zum Sekretariat herüber, klopfte und trat ein. „Was möchtest du?“, fragte die dicke Sekretärin, die auf ihrem Stuhl saß und hoffte, sich nicht bewegen zu müssen. „Ich wollte zwei Karten für das Theaterstück kaufen.“ Sie suchte ihm zwei Karten aus der Kiste heraus, erhob sich schwerfällig und trat zu ihm. „Sechs Euro dann bitte.“ Klaus reichte ihr das Geld passend, nahm die Karten und machte sich auf den Weg zum Unterricht.   Natascha stand in der großen Pause mit ihren Freundinnen auf dem Schulhof, an der Stelle, an der sie immer standen. Es war schon relativ warm, der Baum unter dem sie standen, trug bereits weiße Blüten. „Klaus hat sich gerade, zum wiederholten Male, mit Frau Schneider angelegt, völlig unberechtigt hat er sie vollgemault, weil sie angeblich Punkte für Folgefehler unterschlagen hat“, erzählte Lilli, die in der vorhergehenden Stunde Physik gehabt hatte. „Ich glaube nicht, dass Klaus sich ohne Grund aufgeregt hat. Ich habe schon von vielen Schülern gehört, dass Frau Schneider einfach nicht die Folgefehler gibt“, erwiderte Natascha und dachte daran, dass Klaus sie heute freundlich gegrüßt hatte. „Sag mal, was findest du eigentlich an Klaus? Dieser Typ ist doch schrecklich!“, bemerkte Jana. „Ich finde ihn nett. Er hilft mir auch immer, wenn ich in Mathe eine Frage habe. Das würde er ja nicht machen, wenn er ein Arsch wäre, oder?““ „Sieh dir doch bloß einmal seine Freunde an – Pascal und Christian kann man echt in die Tonne hauen, von den Mädels will ich gar nicht erst reden.“ „Du kannst doch nicht davon ausgehen, dass er so ist wie seine Freunde!“, erwiderte Natascha. Sie verstand nicht, was Lilli und Jana gegen Klaus hatten. „Wenn er nicht so ist wie die anderen, warum sollte er dann mit ihnen befreundet sein?“ „Vielleicht kennen sie sich schon seit dem Kindergarten oder durch den Fußballverein. Hat Klaus nicht bis zu seiner Knieverletzung auch gespielt?“, überlegte Natascha. „Keine Ahnung“, meinte Jana. „Aber ich kann mir trotzdem nicht vorstellen, dass sie befreundet wären, wenn Klaus ganz anders wäre als die beiden. Und was die schon für einen Müll zusammen gemacht haben.“ „War das nicht die Clique, die in der achten Klasse auf der Klassenfahrt mit Alkohol und Zigaretten erwischt wurde?“, warf Lilli ein. „Stimmt. Und dann mussten sie von den Eltern abgeholt werden. Voll dumm sich erwischen zu lassen, weil sie alles im Schließfach deponieren wollten und dabei die Flaschen umstießen, als der Lehrer grad die Treppe herunterkam.“ „Ja, so war das. Jetzt, wo du es sagst.“ Lilli musste lachen. „Das war schon herrlich. Aber das Schwänzen des Sportfestes war auch selten dämlich. Sich einen Verweis einhandeln, nur weil man keine Lust auf das bisschen Laufen und Abwurfball hatte.“ Lilli und Jana kramten immer mehr Geschichten um Klaus und seine Clique heraus und amüsierten sich darüber, während Natascha nur seufzend zuhörte. Klaus ist trotzdem anders als Pascal und Christian, dachte sie. Auch wenn er die eine oder andere Dummheit mit ihnen mitgemacht hat.   Am nächsten Tag stand Deutsch als letzte Stunde auf dem Stundenplan von Natascha und Klaus. Die Tische waren angeordnet wie ein kleines in einem großen U und die Zwei hatten ihren Platz in der ersten Reihe. Rechts von Natascha saß Claudia, links von ihr war ein Platz frei, dann kam Klaus. Neben ihm saßen eigentlich Pascal und Christian, aber die beiden waren heute nicht da, der eine war krank, der andere war bei einem Vorstellungsgespräch. Der Unterricht begann mit drei Gedichtrezitationen, eine pro Halbjahr war für jeden Schüler Pflicht. Im Nachhinein mussten die anderen Schüler eine Einschätzung geben und einen Notenvorschlag machen, insgesamt waren bereits fünfundzwanzig Minuten vergangen. Den Rest der Stunde verbrachte man mit der Besprechung und Interpretation einer Szene aus Goethes Faust, dann hatte man den Schultag geschafft. Alle packten ihre Hefter zusammen, einige eilig, andere gemächlich, und verließen den Raum. Natascha wollte gerade mit Claudia losgehen, als Klaus sie zurückhielt. „Wartet, ich komme ein Stück mit!“ Zu dritt liefen sie über den Schulhof und sprachen über die Mathehausaufgaben, die zum nächsten Tag auf waren. „Ich habe vorhin in der Freistunde versucht eine Lösung zu finden, aber ich bin nicht darauf gekommen“, erklärte Klaus. „Wenn du schon daran scheiterst, werden wir bestimmt keinen Erfolg haben.“ Claudia sagte es und verabschiedete sich dann von ihnen, sie musste in eine andere Richtung. Eigentlich hätte Klaus mit Claudia mitgehen können, es war der kürzere Weg nach Hause, aber er wollte mit Natascha allein sein. „Sag mal, Tascha, weißt du schon, ob du zu der Aufführung der Theatergruppe gehst?“ „Wann ist die noch mal?“, erwiderte die Blonde. „Am Donnerstag in einer Woche.“ „Ich denke schon, dass ich hingehen werde, bis jetzt war ich bei jedem Stück, das sie aufgeführt haben, seit ich auf dieser Schule bin. … Warum fragst du?“ Diese Frage war die entscheidende, Klaus hatte sie erwartet, aber auch gefürchtet. „Na ja, ich habe noch eine Karte übrig und würde sie dir gern anbieten.“ Seine Stimme klang gleichgültig, doch damit überspielte er nur die Angst, die er vor der falschen Antwort hatte. „Wenn das so ist, brauche ich das Sekretariat wohl nicht mehr aufsuchen.“ Mit einem strahlenden Lächeln sah sie ihn an. „Gut, dann wäre das geklärt.“ Die Zwei unterhielten sich noch über einige schulische Themen und dann trennten sich ihre Wege. Natascha lief die Einfahrt zur Wohnanlage hinunter und Klaus die Straße weiter. Die Blonde zog den Hausschlüssel aus ihrer Jackentasche und schloss die Tür auf, dann trat sie ins Haus, stellte die Schultasche ab und ging zum Briefkasten, der ein Werbeprospekt eines Baumarktes, die lokale Tageszeitung und drei Briefe enthielt. Oh man, ich kann es gar nicht glauben. Hat Klaus mir gerade wirklich angeboten, dass ich mit ihm zum Theaterstück gehe?, dachte sie und sah die Post durch. Und Tascha hat er mich auch genannt, das sagen sonst nur Lilli und Jana zu mir. Ein strahlendes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.   ***   Am Wochenende hatte sich Besuch angekündigt. Ein befreundetes Ehepaar, Stefan und Petra, wollte mit ihrem Sohn Anton zum Spieleabend vorbeikommen. Die Familien kannten sich seit der Geburt der Kinder, die in der gleichen Krabbelgruppe gewesen waren, und trafen sich mehrmals im Jahr, meistens mit den Kindern, aber auch ab und zu ohne. „Soll ich dir bei irgendwas helfen?“, fragte Natascha, als sie in die Küche kam, ihre Mutter, die bereits Gemüse schnitt. „Du könntest das Baguette schneiden und belegte Schnittchen zurechtmachen.“ „Alles klar. Ich wasche mir nur fix die Hände.“ Die beiden arbeiteten schweigend an den Häppchen und kleinen Leckereien, im Hintergrund lief das Radio. Es dauerte nicht lange, bis sie fertig waren und auch den Tisch eingedeckt hatten. Der Besuch konnte kommen, was eine halbe Stunde später auch bereits der Fall war. „Schön, dich mal wieder zu sehen, Natascha“, wurde sie von Stefan begrüßt und umarmt, auch seine Frau freute sich über das Wiedersehen. „Hallo Nati.“ Anton sah sie mit einem breiten Grinsen an. „Hey Anton!“, sie umarmten sich und folgten ihren Eltern ins Wohnzimmer. „Wie kommt es denn, dass du den Samstag mit uns Langweilern verbringst?“, fragte Natascha neckend. Anton und sie waren Freunde, weil sie sich schon ihr ganzes Leben lang kannten, obwohl ihre Lebensweisen inzwischen sehr unterschiedlich waren. Natascha war ruhig, strebsam und hatte ihr Ziel vor Augen, wohingegen Anton die Aufmerksamkeit von anderen Menschen liebte, viel in der Stadt unterwegs war und die Schule nicht immer ernst nahm. „Die Party gestern hat mir gereicht. Und jedes Wochenende kann man ja auch nicht hundert Prozent geben, da ist so ein Familientag nicht schlecht. Du kannst ruhig auch bei Gelegenheit mit ins Roxx kommen.“ „Nee, nee, lass mal. Da sind mir zu viele Leute aus meiner Stufe, die ich nicht treffen muss und die sicherlich auch mich nicht sehen wollen“, erwiderte Natascha und winkte ab. „Ach Nati“, Anton legte seinen Arm um ihre Schulter und drückte sie. „So ein Loser bist du doch gar nicht.“ „Na, schönen Dank auch.“ Sie verpasste ihm einen Stoß in die Seite und streckte ihm die Zunge heraus. „Kinder, habt euch lieb und zankt euch nicht schon wieder“, meinte Stefan. „Alles gut, Papa.“ Die beiden setzten sich und Nataschas Mutter goss die Suppe in die Teller. „Ihr habt euch wieder viel zu viel Aufwand gemacht“, sagte Petra, als alle am Tisch saßen. „Die Suppe oder die Schnittchen hätten doch völlig gelangt.“ „Es war doch kein Aufwand“, winkte Nataschas Mutter ab. „Lasst es euch schmecken.“ Während des Essens wurden die Erlebnisse und Neuigkeiten der letzten Wochen ausgetauscht und die erste Weinflasche geöffnet. Als der Tisch abgeräumt war, wurde das erste Spiel – Tabu – herausgeholt. „Das ist ein Schauspieler, der in Filmen spielt, die voller Gefahr und Kampf sind.“ „Actionfilme.“ „Genau. Der Schauspieler ist gesucht. Er spielt eine menschengroße Fledermaus.“ „Batman. Argh, wie heißt der Typ?“ Anton rieb sich über die Stirn. „Christian Bale!“ „Super!“ Natascha griff sich die nächste Karte. „Als wir noch nicht geboren wurden, da waren wir Punkt Punkt Punkt im Schaufenster.“ „Quark.“ „Erstes Wort. Zweites Wort – gibt es auf jeder Vermählungsfeier, wird vom Brautpaar angeschnitten.“ „Torte.“ „Und jetzt zusammen.“ „Quarktorte.“ Natascha wollte die nächste Karte greifen, doch ihr Vater unterbrach. Die Zeit war abgelaufen. „Wie viele Begriffe waren das jetzt?“, wollte er wissen, um die Zahl auf dem Block zu notieren. „Fünf.“ „Nicht schlecht, Kinder“, lobte Petra. „Ihr zieht uns voll ab. Gebt es zu, ihr habt die Karten auswendig gelernt“, stichelte Nataschas Vater. „Du bist bloß neidisch auf unser Erklärungstalent.“ Natascha und Anton grinsten und klatschten sich ab. Die Elternpaare bildeten jeweils ein Team und die Jugend trat als Team an, als sehr erfolgreiches Team sogar. Als Natascha und Anton nach einigen weiteren Runden als endgültiger Sieger feststanden, wurde auf Rommé gewechselt. Hier sah das Blatt schon wieder ganz anders aus. Die Sechs hatten trotz allem gemeinsam Spaß und lachten viel. Als sich Anton und seine Eltern verabschiedeten, war es bereits nach Mitternacht. Natascha half ihren Eltern beim Aufräumen und machte sich dann bettfertig. Beim Zähneputzen dachte sie noch einmal über Antons Vorschlag mit dem Discobesuch nach. Ob Klaus auch da wäre? Und ob es ihm auffallen würde, dass ich da bin? Ach egal, Disco ist einfach nicht mein Fall. Warum darüber nachdenken…   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)