Kristallschmetterling von Morgi (Sesshoumaru / Kagome) ================================================================================ Kapitel 1: Knochenbrunnen ------------------------- Kristallschmetterling - Knochenbrunnen - Autor: Beta: - Fandom: Inu Yasha Genres: Drama, Romantik (Hetero), Epik, Alternate Timeline Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. Vorwort (Februar 2020): Herzlich Willkommen zu einer Reise durch die Sengoku-jidai, die Kagome und Sesshoumaru von Anfang bis Ende in Atem halten wird. Freut euch auf neunundvierzig spannende Kapitel! Bitte beachtet, dass diese Geschichte zu einer Zeit entstand, als im Manga noch viele Kapitel vergehen würden, bis Bakusaiga zum ersten Mal auftauchte und Rin bei Kaede blieb. Aber wer weiß? Vielleicht lernt der mächtige Daiyoukai sogar ein Menschenmädchen außer seiner Ziehtochter in seiner Nähe zu dulden ... - - - - - - - Anfang März, Japan, Neuzeit 1 Ein Flüstern erklang neben ihrem Ohr und Kagome fuhr so erschrocken vom Schreibtisch auf, als ob sie eine Wespe gestochen hätte. Ihr Blick schoss nach links, dann nach rechts – doch nein, nichts. Ihr Zimmer war vollkommen verwaist, solange sie die Schultasche auf ihrem Bett und die Papierseiten unter ihren Fingerspitzen ignorierte. Nur der schmale Kreis der Lampe warf weiterhin seinen beruhigenden Lichtkegel auf den Stift in ihrer Hand. Hatte ... hatte sie sich das gerade eingebildet? Kagome wusste, dass sie bereits seit vier Stunden über ihren Prüfungsvorbereitungen brütete und längst ins Bett gehörte, aber das erklärte ihr nicht den erfrischend lieblichen Geruch im Zimmer. Der Duft erinnerte sie an Kirschblüten, nein, an Magnolien. Doch wie war das möglich? Draußen war es kühl, daher hielt sie die Fenster geschlossen. Nachdenklich drehte Kagome den Kugelschreiber um die eigene Achse, dann legte sie ihn achtlos beiseite und stand auf. Ihre Augenbrauen verkniffen sich argwöhnisch, während sie wie eine Fremde durch ihr eigenes Zimmer schlich und jede Ecke inspizierte. Manchmal hob sie etwas auf, dann wiederum verschob sie mit der Fußspitze ein dickes Buch. Nach frustrierenden anderthalb Minuten gab sie es auf. "Du hörst Gespenster", murmelte Kagome. Sie rieb sich mit den Handflächen über das Gesicht, um die innere Unruhe zu vertreiben. Wahrscheinlich war sie bloß hoffnungslos übermüdet und wünschte sich etwas Gesellschaft, das erklärte alles. Kagome. Sie zuckte zusammen, heftiger als zuvor – dann sah sie es. In einer Ecke des grüngestrichenen Fensterrahmens glühte eine Kugel und erzeugte Schatten, die im Mondlicht wie Geister aussahen. Es war das mit Abstand Beunruhigendste, das sie seit Monaten in ihrem Zimmer gesehen hatte, doch damit nicht genug: Vorwarnungslos zuckte das Wesen zusammen und eilte fort, als ob es sich ertappt – Moment. Das war absurd. Licht kann sich nicht ertappt fühlen, dachte Kagome. Aber was war es dann? Verwirrt sah sie dem Gebilde zu, das an der Scheibe auf- und absprang, nur um dann wieder weich zu landen und zweimal aufzublitzen. Anschließend sandte es ein Flimmern aus, das blaue Strahlen über das Holz tanzen ließ, und begann das Spiel von Neuem. Also wirklich! Allmählich wurde es ihr zu albern. "Kann ich helfen?", fragte sie verärgert und das kleine Licht bremste mitten in der Bewegung ab, bevor es sich wie toll gebärdete. Kagome zog prompt eine Grimasse. Hätte sie bloß nicht gefragt. Wer wusste schon, was das werden sollte? Das Ding schien sie allerdings nicht angreifen zu wollen, es war völlig vertieft. Seltsam. "Ich hoffe, du bist nicht verrückt", erklärte sie dem Wesen. "Ich habe weder Lust dich zu läutern, noch meine Aufgaben wegen einer Spielerei zu vernachlässigen. Ich habe nächste Woche den wichtigsten Termin meines Lebens vor mir, hörst du?" Nichts. Kein Flüstern, kein einziges Wort. Alles, was die Lichtkugel auf der Fensterbank tat, bestand darin, enge Kreise neben einem Bonsai-Bäumchen zu ziehen, dem die Blätter ausfielen. Hatte es überhaupt gesprochen? Kaum, dass Kagome nah genug heran war, blitzte es jäh auf – und zischte am Ärmel ihres weißen Hakui vorbei, hinab auf den von Notizzetteln übersäten Boden, bis hin zur Zimmertür. Dort angekommen, flimmerte es wieder, als ob es kein Wässerchen trüben könnte. Kagome zog ihre Lippen unheilvoll zusammen. "Findest du das etwa witzig?" Das Licht sprang fröhlich auf und ab, bevor es abermals einen wilden Kreis beschrieb. Unglaublich! Nicht nur, dass sie sich Stimmen einbildete, nein, sie hatte auch noch einen Gast, der sie offensichtlich zum Narren halten wollte. Sie sollte lernen, verflucht! Und das bitte, ohne sich fragen zu müssen, wie irgendjemand ihr verschlossenes Zimmer durch ein verriegeltes Fenster betreten konnte. Sogar das Schlüsselloch war zu klein, um die Kugel passieren zu lassen. Sollte das eine Schnitzeljagd sein? Wurde sie vielleicht vor lauter Vokabeln und Lerninhalten gerade verrückt? "Hmpf." Falls ja, dann hatte sie sich das eindeutig anders vorgestellt; und auch wenn sie es nicht gerne zugab: Ein bisschen nagte es doch an ihrer Neugierde. Es passierte nämlich nicht jede Nacht, dass sie von Lichtern überfallen wurde. Und warum sollte sich ein boshaftes Wesen erst die Mühe machen, sie zur Weißglut zu treiben? Sie war eine Miko und hatte sich nicht einmal die Zeit genommen, sich nach ihren abendlichen Pflichten und dem Fegen umzuziehen! Dazu war der Schrein in unmittelbarer Nähe, das sprach doch für sich. Nun gut, entschied Kagome. "Du hast fünf Minuten, ehe ich an meinen Schreibtisch zurückkehre. Ich öffne die Tür und folge dir, aber ich werde nicht rennen! Einverstanden?" 2 Eifrig sprang das Licht auf den Rand des Knochenfressenden Brunnens, während Kagome mit geröteten Wangen durch die Eingangstür stolperte und endlich die Hände auf die Oberschenkel stützen konnte. Ihr Atem ging flach, schnell und brannte in ihrer Kehle. Vielleicht ... vielleicht war sie doch gerannt. Aber nur, weil ich nicht ewig in dieser Eiseskälte herumspazieren wollte, dachte sie trotzig. Schnaubend zog sich Kagome den Koshihimo über der Hüfte fester, bevor ihre dunkelbraunen Augen wieder nach ihrer Nemesis suchten. Als ihr Blick jedoch auf das Geländer traf, wurde ihr schlagartig bewusst, wohin man sie geführt hatte – und schneller, als sie die Lippen zusammen beißen konnte, überzog ihre Unterarme eine Gänsehaut. Oh nein! Nein, wiederholte sie stumm. Auf keinen Fall würde sie länger als einen Atemzug in der Nähe des Knochenfressenden Brunnens verweilen. Das Gestein war inzwischen von Moosen und Flechten überwuchert worden, aber deshalb mied sie diesen Ort nicht seit drei Jahren. Die Erinnerungen, die in ihr hochkochten, schnürten ihr die Kehle zu. Mühsam ballte Kagome die Finger zur Faust, während der Schemen in langen Bahnen über Wurzeln und düster wirkende Skelettknochen sprang. Die Kälte des Schreins, die sich in weißen Atemwölkchen vor dem Gesicht der Miko zeigte, überging die Lichtkugel völlig. Sie tanzte eifrig weiter, tauchte hinab in die Untiefen der Zisterne und sprang genauso schnell wieder hinaus. Jedoch, nichts geschah. Kagome trat weder einen erhofften Schritt näher, noch ging sie von dannen. Sie starrte auf die Rillen des Bodens und die Holztreppenstufen; völlig blind für den stärker werdenden Geruch der Magnolien oder den Schmutz, der auf ihren weißen Tabi lag. An anderen Tagen hätte sie darüber geschimpft, denn wenn ihre Söckchen während des Fegens Staub abbekamen, stand dahinter nur ihre eigene Unachtsamkeit. Als Priesterin des Higurashi-Schreins versuchte sie, diesen Unannehmlichkeiten aus dem Weg zu gehen. Das, was damals jedoch geschehen war ... Kagome atmete ein, aber es war zu spät, um die Erinnerungen weiter im Zaum zu halten. Sie spülten über sie hinweg und zogen sie zurück in die Vergangenheit, hin zu einem Ort, an dem ein einzelner Blitz die Nacht zerriss. Und dann war alles wieder da. Die Sengoku-jidai wurde wieder so lebendig, als ob sie nie fortgegangen wäre: Sie roch erneut den Regen, der kalt und dicht auf ihre Haut prasselte, und spürte den Schlamm unter ihren Nägeln, als sich die vertrauten Züge des Hanyous aus dem Nebel schälten. Inuyasha. Ihr lieber, teurer Freund. Nie hätte sie vermutet, dass er nur sieben Sätze benötigen würde, um sie zu erschüttern. Sieben kurze Sätze. Dieser Hund! Grimmig biss sich Kagome auf die Lippen, während sie die Augen im Diesseits öffnete und den weißhaarigen Halbdämon dafür verfluchte, dass weder er noch sie hatten ahnen können, wie Recht er mit seinen Worten behalten sollte. Er war fortgegangen – zu den Toten; aber das war nicht seine Entscheidung gewesen. Und ihre? Oh, als ob sie zu solch einer Tat fähig wäre! Sie hatte genug von diesem Ort und den Schrecken, die er mit sich brachte. Kagome wandte sich ab, doch ehe sie auch nur den ersten Schritt gesetzt hatte, um die Lichtkugel sich selbst zu überlassen, fuhr sie zusammen: Da! Da war es schon wieder! Direkt vor ihrer Nase, und ... unmöglich. Die Miko schluckte trocken, während sich feine, blaue Wellen im Innern des Schreins ausbreiteten, als ob jemand einen Stein auf eine Wasseroberfläche geworfen hätte. Die Erkenntnis nahm ihr allen Wind aus den Segeln, denn sie fühlte sich blind und fürchterlich naiv: Das war keine Lichtkugel, sondern ein Shikigami. Ein geisterhafter Bote, der sich vor ihren Augen als Schmetterling entpuppte! Warum hatte sie das nicht schon viel früher bemerkt? Es war doch eindeutig. "Wer hat dich geschickt?", fragte Kagome. "Und warum ausgerechnet jetzt? Es ist weit nach Mitternacht." Kagome. Die hauchdünnen Fühler, auf denen hunderte, winzige Härchen saßen, reckten sich neugierig in ihre Richtung, während die staubbedeckten Flügel so schnell auf- und abschlugen wie es kein irdischer Falter vermocht hätte. Dann tauchte der Schmetterling abermals in die Zisterne hinab – und Kagome verstand nur zu gut. "Oh nein", erklärte sie wütend. "Wenn du mich deshalb hierher gebracht hast, war das Zeitverschwendung. Dieser Hokuspokus findet ohne mich statt. Auf Wiedersehen!" Sollte sich der Falter doch eine andere Dumme suchen, die Brunnen liebte und durch die Zeiten sprang, um dort Dämonen gegenüberzustehen und Freunde zu verlieren. Bei ihr war mit einem solchen Vorhaben kein Blumentopf mehr zu gewinnen. Zornig schritt Kagome aus, woraufhin der Shikigami enttäuscht seine Flügel hängen ließ, bevor er noch aufgeregter um sie herumflatterte. Das war doch nicht zufassen! Kagome versuchte einen Bogen um ihn zu schlagen, aber das Ergebnis blieb dasselbe. Der Schmetterling verlor weder den Eifer, noch war er zu verscheuchen: Sie schlug nach ihm, und er tauchte zwei Zentimeter später direkt vor ihren Wimpern auf. Sie ging drei Schritte und er flog ihr obendrein ins Gesicht, bis sie dank der verlorenen Staubsporen niesen musste. Zur Hölle nochmal! "Ich sagte nein", wiederholte Kagome gepresst. "Hör auf! Verschwinde endlich!" Eindringlich hob der Shikigami einen Fühler empor, doch die Miko lief verärgert eine Schleife, nur um ihn einen Herzschlag später wieder vor dem Gesicht zu haben. Langsam riss ihr der Geduldsfaden. Was war an einem simplen 'nein' so schwer zu verstehen, dass man sie nicht einfach ziehen ließ? Schlimm genug, dass sie wegen diesem Mist überhaupt aus ihrem gut geheizten Zimmer gegangen war! Der Shikigami ließ sich jedoch auch nicht von ihrem blutrünstigen Gesichtsausdruck einschüchtern. Ganz im Gegenteil. Emsig flatterte er ein Stück empor, bevor er auf- und abtanzend wieder in die andere Richtung deutete. Vielleicht war es ja wirklich wichtig? Nein, das ist es nicht, berichtigte sie sich prompt und schüttelte den Kopf. Soweit kam es noch, dass sie sich wegen eines Schmetterlings in das Mittelalter zurückbegab. Eher würde sie den Hof mit ihrer Zahnbürste säubern! 3 Eine Stunde. Eine verflixte Stunde hatte es gedauert, dann war ihre Laune an einem Tiefpunkt angelangt, der von Wut und Abscheu geprägt war. Kein Mensch ertrug dieses Geflattere länger, und obwohl es Kagome nicht schmeckte, hatte sie ihren Versuch aufgegeben, zehn weitere Zeilen unter die Prüfungsvorbereitungen zu setzen. Ihr war kein Mittel eingefallen, um das Summen und Surren zu bändigen. Und sich ein Kissen auf die Ohren zu drücken, während man in der anderen Hand den Kugelschreiber hielt, grenzte an Lächerlichkeit. Eisern fixierte Kagome nun zum zweiten Mal in dieser Nacht den Brunnenrand, um den der Shikigami aufgeregt herumflog, bevor er wieder und wieder abtauchte. Dieses Biest! Es wusste doch nicht, was es da von ihr verlangte! Andererseits würde sie ihn auch nicht mehr loswerden, denn dass der Falter genauso hartnäckig war wie sie, hatte er ausdrücklich unter Beweis gestellt. Zähneknirschend schloss sie ihre Augen und kämpfte gegen das flaue Gefühl in ihrem Magen an. Sie hatte ihrer Mutter einen Zettel geschrieben, der nun direkt neben dem Korb frischer, leuchtend roter Äpfel auf der Küchentheke lag. Seit Großvaters letzter, schwerer Erkältung, die ihn über Tage fiebernd und keuchend an den Futon gefesselt hatte, war ihre liebe Mama die Erste, die pünktlich zum Sonnenaufgang das Wasser für einen frisch gebrühten Tee aufsetzte und dabei unbekümmert eine Melodie summte: Kagome wollte nicht, dass sie das schwere Lacktablett erst bis in ihr Zimmer trug, dort über ihr verwaistes Bett stolperte und sich dann Sorgen machte. 'Ich bin bald zurück.' Der Satz erfüllte sie mit Zuversicht, denn dieses Versprechen würde sie halten. Sie war keine fünfzehn mehr, sodass sie sich mit ihrem Rucksack davonstahl und tagelang nichts von sich hören ließ, weil ihr die Abenteuer im Mittelalter und Inuyasha, ja, auch all ihre Freunde den Abschied erschwerten. Dieses Mal würde sie keinen einzigen Tag fortbleiben, schwor sie sich stumm. Dann sprang sie. 4 Mit einem verbissenen Schnaufen stemmte sich Kagome empor, nur um im nächsten Moment fast wieder den Halt zu verlieren. "Grundgütiger!" Der Geruch, der ihr entgegen schlug, war brackig, fast ekelerregend. Von der einst üppigen Wiese waren nur noch abgerupfte Halme übrig geblieben, aber das Unheimlichste war der dichte, modrige Dunst, der sich wie ein Teppich an den Erdboden schmiegte und Baumstümpfe umschmeichelte. Dank der fehlenden Wipfel konnte Kagome den Heiligen Baum erkennen, der viele Dutzend Meter entfernt in den Himmel ragte und als einziger unversehrte Konturen zeigte. Der Anblick wühlte sie auf. Hinter ihm zeichnete sich der nachtschwarze Horizont ab, über den Rauchwolken tanzten. Was war hier geschehen? Erschüttert sah sie zurück zum Shikigami, doch der war auf einmal wie vom Erdboden verschluckt. Ihr Kopf ruckte in die andere Richtung. Nichts. Hä? Verunsichert kniff sie die Brauen zusammen, bevor sie sich restlos über den Rand hievte und inmitten von Asche aufkam, die kurz emporstob, bevor sie erneut auf ihrem alten Platz landete. Auch wenn ihr eine innere Stimme dazu riet, so schnell es nur ging umzukehren: Sie konnte nicht verschwinden, ohne zu wissen, was sich hier abgespielt hatte. War ein Brand dafür verantwortlich? Ein Youkai? Wachsam schritt sie aus. Trotz des Rußes an den Pflanzenresten gab es keine Glut und auch keine Hitze, die sich in ihre Wangen fressen konnte, aber die Miko spürte, dass irgendetwas in der Luft lag, das nicht hierher gehörte. Eine solche Nacht hatte sie noch nie erlebt. Wo war dieser vermaledeite Schmetterling? Erst ein kurzes Keuchen am Rande ihrer Wahrnehmung lenkte ihre Aufmerksamkeit zurück zu den Nebelschwaden, die sich keine Handbreit von ihr entfernt anschlichen. Entsetzt wich sie zurück; lauerte darauf, dass der Dunst ihr erneut entgegenkroch. Als nichts dergleichen passierte, verwarf sie die Möglichkeit gerade einem besonders gerissenen Dämon auf den Leim zu gehen. Das fehlte ihr auch noch! Sie war unbewaffnet. Kagomes Herz klopfte schneller, während sie sich umso hartnäckiger auf ihre Instinkte konzentrierte. Es musste eine bessere Erklärung geben – einen Hinweis! Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass sie tatsächlich allein herumirrte? Das Dorf konnte nicht weit entfernt sein, obwohl die Silhouetten der mit Reisig bedeckten Hüttendächer fehlten. "Ist da jemand?“, rief Kagome und ein weiteres Knistern ihrer Schritte verschluckte fast die Stimme. Dann stieß sie gegen etwas Hartes, das mit einem leisen Poltern weiterkullerte und ein schmerzhafter Stich in ihrem Fuß mahnte die Miko, dass sie in Zukunft besser Acht gab, wohin sie trat. "H-hallo?“, klang es dünn zu ihr zurück und Kagome hielt abrupt inne sich zu verfluchen, während sich ihre Pupillen weiteten. "Sango!“, entfuhr es ihr heiser und wie zur Antwort konnte sie abermals ein flüchtiges Klirren hören, bevor sich der Nebel schlagartig auflöste. 5 Wie eingefroren starrte die Miko auf die Dämonenjägerin hinab, der ein Rinnsal Blut zwischen den Lippen hervorquoll. Der Anblick war so verstörend, so ungeheuer entsetzlich, dass sich ihr Herz ohne Vorwarnung zusammen zog. Wie ... wie hatte es so weit kommen können? Zitternd umklammerte Sango eine Schwertlanze, deren blattförmige Klinge sie knapp unterhalb des ersten Rippenbogens durchdrungen hatte. Noch immer flatterte ein gelbes Band im Wind und Kagome brauchte keine Fantasie, um zu wissen, dass die Einlagen am Heft, die mit Rochenhaut bespannt worden waren, von einem übermächtigen Gegner stammen mussten. Das Ächzen ihrer Freundin ging ihr durch Mark und Bein, als Sango alle Reserven aufbot, den Griff fester packte und sich Blut würgend auf den Ellenbogen stemmte. "Nicht", entfuhr es Kagome heftig. "Du machst es schlimmer, Sango! Nicht bewegen!" "Was?" Die Dämonenjägerin keuchte, dann fuhr sie sich mit dem verdreckten, bebenden Handrücken über den Mund. In ihrem Rücken knackten die Überreste einer verbeulten Rüstung, und es war ein dumpfer, unheimlicher Laut, als sie auf das Metall zurückfiel. Fieber glänzte in ihren Augen, während sie in ihren eigenen, schmutzverkrusteten Lederkleidung ausharrte und nach der Stimme suchte, die sich ihr bald als Schemen empfahl. Dann schwoll unübersehbar Zorn in ihrer Brust an. "W-wer hätte das gedacht?", zischte Sango dünn. "Kagome." 6 Das Blätterrauschen umspielte die dichten Wipfel der Zedern und des Fächerahorns, ehe ein Windstoß durch die Knospen fuhr und eine Handvoll Blüten mit sich riss. Erst an den feinen Haaren eines Schulterfells blieben sie haften. Unbewegt wankten sie hin und her, doch der Daiyoukai warf kaum einen Blick auf die Überreste, ehe er seine goldenen Augen zurück auf das Gesicht des Magnolienbaums richtete. Bokusenou war der älteste und weiseste Geist in diesen Gefilden, und wann immer er ihm die Aufwartung machte, schienen die Furchen noch tiefer unter seinen Augenhöhlen zu graben. "Es gibt Dinge, die liegen selbst für mich im Schatten, Sesshoumaru", knarzte Bokusenou. "Vielleicht –" Oh. Das Knacken eines Astes ließ den Baumgeist verstummen, und dieses Mal sah der Hundedämon genauer hin. Ahnungsvoll zog Sesshoumaru die Brauen zusammen, während sich ein dunkelhaariges Mädchen laut schniefend durch einen Haselnussbusch zwängte und auf ihn zulief, um keinen Meter entfernt stehen zu bleiben. Rin. Niemand sonst hätte es gewagt, sich ihm derart zu nähern. Ihr gelb-orange karierter Yukata hing so unglücklich an ihren Schultern herab, dass sie ihre Hände nicht mehr zu Fäusten pressen musste, damit er ihre Stimmung erriet. "Sesshoumaru-sama!", quengelte Rin. "Jaken sagt, wenn ich nicht bald ruhig bin, kommt ein Dämon und frisst mich! Dabei bin ich ganz leise! Das bin ich doch, oder?!“ Ihre großen Augen sahen ihn beschwörend an, als könnte seine Antwort jede Bedrohung in die Flucht schlagen und ihre Hoffnung erneuern. "Du solltest schlafen, Rin", erwiderte Sesshoumaru, aber das Mädchen schnappte nur empört nach Luft. "Ich kann doch nicht schlafen, wenn mich gleich ein Dämon frisst!", erklärte sie, bevor sie schmollend die Unterlippe vorschob. Der Herr der Hunde seufzte innerlich. Was für ein lächerlicher Einwand. Hatte es einen Sinn, ihr zu erklären, dass schwache Oni ihre Beute attackierten, sobald sie sich überlegen wähnten? Wach zu bleiben, sicherte nicht den nächsten Morgen. Dennoch verriet Sesshoumaru das Rauschen der Wipfel, dass zumindest einer der Anwesenden amüsiert schien. Vergnügt fuhr sich der Baumgeist mit einem langen Ast über die Rinde. "Dein Welpe scheint wie du nachtaktiv zu sein“, erklärte Bokusenou bedächtig. "Es sollte mich wundern, wenn –" "Seht nur, Sesshoumaru-sama!", rief Rin aufgeregt dazwischen und deutete auf eine tanzende Lichtkugel, die über dem Schulterfell des Hundeyoukais tanzte. "Ist das schön!" Sesshoumaru musterte mit einem Seitenblick das schillernde Wesen, das nun mit einem Ruck vor seiner Nase auf- und abflog, bevor es einen Kreis vor seinen schmal gewordenen Lippen beschrieb und hinab zu Rin huschte. „Ein Shikigami?“, mutmaßte Sesshoumaru gedämpft und das Ächzen Bokusenous gab ihm Recht. Doch bis auf dieses Geräusch war es urplötzlich still geworden im Heiligen Wald. "Seltsam", murmelte der Baum düster. "Sehr seltsam." Kichernd langte Rin nach dem leuchtenden Wesen, das einige Male vergnügt aufblitzte, bevor es innerhalb von Wimpernschlägen ihre Haare mit blauen Sporen benetzte, in die Luft stieg und dann trudelnd wie ein Ahornblatt auf ihrer Nase landete. "Ein Schmetterling", flüsterte Rin verzaubert und versuchte alle Einzelheiten des Shikigamis gleichzeitig einzufangen. Sie hob die Hände zu ihrem Gesicht, doch kurz bevor sie den Falter berühren konnte, schlug er abrupt mit den Flügeln und wirbelte in einer Spirale empor. Rin kicherte heiter. So ein herrliches Spiel aber auch! Hoffentlich blieb er noch, bis Jaken und Ah-Uhn ... huch? Zu ihrer Enttäuschung schien sich der Schmetterling lieber abseilen zu wollen, denn mit federnder Leichtigkeit glitt er zurück zum Daiyoukai. Ein beschwingter Kreis nur, dann schwebte der Bote vor Sesshoumarus Gesicht – musterte, forschte. Am Ende entschwand er unter einem fast überstürzten Flügelschlag Richtung Osten. Rin sah dem Wesen traurig nach. "Kommt er wieder, Sesshoumaru-sama?“, fragte sie sehnsüchtig, doch der Hundedämon strich sich mit den Klauen lediglich durch das weiße, aufgebauschte Schulterfell. "Kaum", meinte er und sah Rin dabei zu, wie sie die Stirn skeptisch in Falten zog. Das ist aber keine tolle Antwort, vermittelte sie stumm. "Schlaf", ordnete Sesshoumaru finster an. Die Neunjährige reckte protestierend das Kinn vor, doch als er unmissverständlich den Kopf neigte, trollte sie sich lieber. Kaum, dass die Kleine jedoch im Gewirr der wuchernden Farne und Büsche verschwunden war, spähte sie vorsichtig zurück zur Lichtung, wo der Baumgeist auf Sesshoumaru-sama einzureden schien. Bedauerlicherweise verstand sie kein Wort, obwohl sie nur zu gerne gewusst hätte, warum sich die Luft mit Groll auflud und weiße Blitze um ihren Meister zu tanzen begannen. Die Gräser unter ihren nackten Füßen erzitterten ohne jede Brise, bevor sie sich knisternd an den Grund schmiegten. Das Vorzeichen kannte sie; es stellte ihr bis heute die feinen Härchen im Nacken auf: Seine dämonischen Energien regten sich. Für sie war das ungefährlich, doch für andere ... hm! Abgelenkt huschten Rins Augen weiter: Sie musterte den schmalen Pfad, den der Shikigami genommen hatte. Während sie sich über die kribbelnden Unterarme rieb, reifte ein Gedanke heran. Ob es den beiden auffiel, wenn sie nur ganz kurz nachsah, ob der Schmetterling nicht doch noch in der Nähe geblieben war? Bestimmt nicht, oder? Natürlich waren die beiden Dämonen, welche ihre menschlichen Sinne in den Schatten stellten, doch Sesshoumaru-sama hatte ihr nicht verboten, ohne einen kleinen Umweg zu Ah-Uhn zurückzukehren. Außerdem würde sie der zweiköpfige Drache bald besorgt suchen kommen, sodass sie schneller wieder im Lager wäre und schliefe, als sie ein Blumenmuster in den Sand zeichnen könnte. Ja, das klang gut! Entschlossen bog das Mädchen in den Seitenpfad ein, der von dichten Wurzeln, Moosen und Pilzen überzogen war, als sie ein kurzes, blaues Blitzen über einem Eichenzweig bemerkte. Ha! Hatte sie es doch gewusst! - - - - - - - Wer wittert Probleme? Kapitel #2, "Weissagung", fördert einige unschöne Ereignisse zu Tage. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)