Thin Lines von Mitternachtsblick ================================================================================ Kapitel 5: Der Plan ------------------- Kai spähte durch die Tür des Schlafzimmers nach draußen, wo langsam mehr und mehr Leute ins Penthouse eintrudelten. Er beobachtete, wie Iwanov lächelnd Hände schüttelte und einer Frau mit pinkfarbenen Haaren in Lederjacke auf die Schulter klopfte. Eine andere Frau, mit aufgesteckten, blauen Haaren und engem, schwarzem Lederrock in Knielänge, steckte sich eine Zigarette an und lieferte sich dann einen Schlagabtausch mit Papov, der darin endete, dass dieser ihr einen Drink machte. Kai atmete tief durch, dann schickte er Takao eine Nachricht: Gehe voll Undercover für den Abend. Melde mich. Er schaltete das Handy gleich darauf ab. Eine Moralpredigt von Takao war das letzte, was er nun hören wollte. Sicher, wäre Takao an seiner Stelle, würde er Dinge anders handhaben und vieles an seiner Herangehensweise war sicher nicht falsch. Im Gegenteil, Takao war der Grund, warum Kai überhaupt bei der Polizei angefangen hatte - er war ein guter Mann, einer der wenigen wirklich unbestechlichen Ermittler mit einer herausragenden Erfolgsquote. Man feierte ihn in der Stadt als Champion der Unterdrückten, als Verteidiger der Schwachen. Kai hatte ihn gesehen, getroffen, und er hatte gewusst, dass er so sein wollte wie er, nur ein kleines bisschen. Nur ein kleines bisschen mehr sein als Takao, ein kleines bisschen besser, nur ein kleines bisschen gefeierter von der Gesellschaft sein und er konnte sich einbilden, dass er vollkommen frei von der stillen Faszination war, die das Ausnutzen von Lücken im System in ihm hervorrief. Und dass er nicht manchmal, nur manchmal, die Welt brennen sehen wollte, die ihre Ungerechtigkeit so oft selbst verschuldete. Kai verstand Iwanov in gewisser Weise sehr gut. Auch deswegen war er so gefährlich für ihn. „Man kann dich bis draußen seufzen hören“, sagte Iwanov vom Türrahmen aus. Er war lautlos wie der Teufel erschienen und Kai fluchte vor Schreck. Im Spiegel konnte er sehen, wie Iwanow, die Arme vor der Brust verschränkt, seine Lippen zu einem amüsierten Lächeln verzog. „Was ist los?“ Kai antwortete nicht, sondern richtete sich die Manschettenknöpfe. Es war seltsam, woran sich das motorische Gedächtnis noch erinnerte, auch wenn der restliche Verstand sein Bestes getan hatte, um bestimmte Dinge zu vergessen. Er hatte überhaupt keine Schwierigkeiten damit, seine Krawatte in einem Windsorknoten zu binden und dann alles an seine Stelle zu rücken. Seine ganze Kindheit und Jugend hatte er damit verbracht, Etikette zu lernen und sich auf ein Leben zwischen Reichtum, Schönheit und Korruption vorzubereiten. Er würde lügen, wenn er behauptete, dass die Macht ihm nicht gefallen hatte, die Macht und das Glitzern einer Welt, die ihm zwischen Exzessen und Ekstase zu Füßen lag. Fast schade, dass sein Hass und sein Bedürfnis nach einem eigenständig gelenkten Leben größer gewesen waren. Kai zuckte beinahe zusammen, als lange Finger über seinen Hemdkragen und das Jackett glitten, aber nur beinahe. Er behielt den Blick stur auf die Krawatte gerichtet, aber Iwanov war wie ein glühender Schatten hinter ihm im Spiegelglas, als seine Finger weiter über Kais Ärmel strichen, bis sie für den Bruchteil einer Sekunde die nackte Haut seines Handgelenks berührten. Kai biss die Zähne zusammen, ignorierte das Aufflammen von Interesse, das sich nur intensivierte, als sich sein und Iwanovs Blick im Spiegel trafen. Der Bastard legte es darauf an, das war so sicher wie das Amen im Gebet. „Was sagt Kuznetsov dazu, dass du extra reingekommen bist, um mich zu befummeln?“, fragte er daher trocken. Iwanovs Augen blitzten amüsiert auf. „Na, na, da wird doch wohl nicht jemand eifersüchtig sein?“ Kai hatte sehr genau mitbekommen, dass er seine Frage nicht beantwortet hatte. „Takao und ich haben schon den Wiedervereinigungssex mitbekommen, den Eifersuchtssex braucht es echt nicht.“ Iwanovs Lächeln breitete sich. „Oh, ich bin niemandem Rechenschaft schuldig, keine Sorge.“ „Weiß niemand das auch?“ „So interessiert an meinem Liebesleben“, murmelte Iwanov, „dabei hat es mit deiner Mission doch absolut nichts zu tun, wen ich vögle oder nicht.“ Kai schwieg, denn leider hatte Iwanov bis zu einem gewissen Grad recht. Ehe er eine passende Antwort parat hatte, hatte Iwanov die Hand von ihm genommen und war zurückgetreten. Augenblicklich war es, als ob er eine unsichtbare Wand um sich herum aufgezogen hatte. Er lächelte immer noch, aber es war nicht mehr in seinen Augen. Erstaunlich, wie klar Kai solche Dinge aus seinem Gesicht lesen konnte, ohne eine einzige Ahnung seiner Gedanken zu bekommen. „Wenn du dann deinen lächerlich komplizierten Krawattenknoten fertig hast, komm hinaus“, sagte er. „Es sind mittlerweile alle da und ich will anfangen.“ Sein Blick glitt noch einmal über Kai, kühl und kalkulierend. Einen Moment lang schien da noch etwas anderes in seinen Augen zu sein, ein Aufblitzen von etwas, das Kai nicht richtig benennen konnte - fast etwas wie eine Erinnerung, zu flüchtig, um sich lange daran festzuhalten. Dann wandte er sich ab und verließ das Schlafzimmer, und wenig später konnte Kai seine Stimme fest und amüsiert über die Gruppe waschen hören. Kai atmete schwer aus, warf noch einen Blick auf sein Spiegelbild. Es starrte mit rostroten Augen und undurchdringlichem Ausdruck zurück - nicht ganz ein Fremder, eher im Gegenteil. Er fuhr sich über das Gesicht und wandte sich ab. Dann marschierte er mit festen Schritten hinaus und legte sämtliche Hiwatari-Arroganz in seine Haltung, als er in das Wohnzimmer trat. Mehrere Augenpaare richteten sich auf ihn. Mental machte Kai sich zu jedem Gesicht im Raum Notizen. Einige davon kannte er aus den Daten rund um Iwanov, die er obsessiv studiert hatte, allen voran natürlich Kuznetsov, Ivan Papov und Sergeij Rybakov. Sie hatten sich fast komödiantisch um Iwanov herum positioniert: Kuznetsov hinter dem Armstuhl stehend, auf dem Iwanov mit lässiger Eleganz thronte, Rybakov und Papov an den nächsten Enden der beiden großen Sofas im Raum. Auf der Armlehne von Iwanovs Stuhl saß ein Rotschopf mit dem gleichen amüsierten Lächeln und der gleichen selbstverständlichen Haltung der Gelassenheit wie Iwanov. Sie musterte Kai neugierig aus dunklen Augen, während ihre schlanken Finger unruhig mit einem Fidget Cube spielten, den sie methodisch zu einem flachen Viereck zerlegte und dann wieder zu einem Würfel zusammensetzte. Das Mädchen war sicher die Jüngste im Raum, was ihrer Selbstsicherheit allerdings keinen Abbruch zu tun schien. Kai hatte sie noch nie gesehen. Sein Blick wanderte weiter. Neben Rybakov, ein wenig verlegen und trotz knallig-pinkem Bob etwas unscheinbar, saß die junge Frau in Lederjacke, die ihm flüchtig zulächelte und dann mit den Knöcheln in ihren fingerlosen Bikerhandschuhen knackte, woraufhin Rybakov zusammenzuckte. Mathilda Alster, erkannte Kai - eine Profispielerin, die sie schon mehrmals aufgrund illegaler Aktivitäten hatten festnehmen wollen, ohne ihr jemals etwas beweisen zu können. Sie neigte sich zu einer Frau neben sich, ebenfalls ein Rotschopf mit einem sanften, fast gütig wirkenden Gesicht, und sagte leise etwas zu ihr. Kai hatte sie noch nie gesehen, daher merkte er sie sich besonders gut. Auf dem Sofa gegenüber neben Papov saß eine Frau mit langen, braunen Haaren und einem hellen Pony in einem roten Kleid. Ihre Kehle war bedeckt von einem filigranen Collier, dessen Steine so sehr im Licht des Kronleuchters glitzerten, dass Kai fast ein wenig schwindelig wurde. Auch ihre Identität kannte er nicht, aber sie hatte etwas an sich, das ihm instinktiv sagte, sie nicht zu unterschätzen, wenn er es nicht bereuen wollte. Die letzte Frau war die Frau mit den blauen Haaren. Sie saß entspannt da, die endlos langen Beine übereinandergeschlagen, und rauchte eine Zigarette, deren Asche sie achtlos in den Kristallaschenbecher neben sich fallen ließ. Auch sie war kein unbeschriebenes Blatt: Mariam Shields war einer Verhaftung im Zuge einer extrem erfolgreichen Reihe an Banküberfällen unter der Schirmherrschaft von Ozuma „Flash Leopard“ Saints nur entkommen, weil dieser die gesamte Schuld auf sich geladen hatte und die Beweise allein ihn betrafen. Wenn sie Kai kannte, zeigte sie es nicht. Ihre grünen Augen schweiften achtlos über ihn hinweg, als er sich neben ihr auf dem Sofa niederließ. Sobald er saß, nahm Iwanov eine etwas geradere Haltung an und kündigte damit sichtlich den Beginn der Planvorstellung an. Kai bildete sich ein, dass er einen ganz flüchtigen Moment schmerzvoll das Gesicht verzog, aber ehe er genauer darüber nachdenken konnte, hatte Iwanov mit einer kleinen Fernbedienung den riesigen Flatscreen an der Wand gegenüber von seinem Lehnstuhl aktiviert. „Meine Lieben, ihr seid hier, weil ihr die Besten in dem seid, was ihr tut“, sagte er gelassen, „und dieser Job kann nur von den besten ausgeführt werden. Die Belohnung ist nicht von schlechten Eltern, wie ihr schon wisst, und wenn irgendjemand dennoch unzufrieden davon rausgeht, werde ich mich schon um die Befriedigung der Gelüste kümmern.“ „Oh, das glaube ich gerne“, schnurrte die Juwelenfrau. Iwanov zwinkerte ihr zu, dann glitt er nahtlos über in seine Erklärung und benutzte dabei eine Slider-Präsentation, um seine Worte zu untermalen. Sein ganzes Gebaren veränderte sich dabei, ein vollkommen glatter Übergang in den Yuriy Iwanov, der Kais Nackenhaare aufstellte: Kühl, kalkuliert, clever. Er verschränkte die Arme vor der Brust in dem Versuch, das Herzklopfen darin zu unterbinden. „Das Ziel ist der Raub des Zeus und Apollon“, sagte Iwanov ohne viele Umschweife. „Die Einnahmen beider Casinos werden im Apollon gelagert. In einer normalen Nacht kommen da schon mal an die 80 Millionen Dollar zusammen, am Wochenende locker 150 Millionen. Und bei Nächten von Sportwettkämpfen locker das doppelte.“ Er machte eine Pause und verzog die Lippen zu einem raubtierhaften Lächeln. „Ratet, was Siebald zur Eröffnung seines neuen Babys, dem Poseidon, austragen lassen will. Und ratet, wann wir den Job durchziehen werden.“ Einen Moment lang herrschte Schweigen. Dann fragte Shields sehr ruhig: „Haben sie dir ins Hirn geschissen?“ Der Babyrotschopf neben Iwanov lachte laut auf, während Kai ihr insgeheim nur beipflichten konnte. Er wusste, worum es hier wirklich ging und dass der Raubzug nur ein Ablenkungsmanöver war, aber dieses Vorhaben war absurd. Aus den Augenwinkeln konnte er sehen, wie Aster und die Frau neben ihr besorgte Blicke wechselten. Der harte Kern um Iwanov hingegen wirkte vollkommen ungerührt. Und auch Iwanov breitete sein Lächeln nur, bis er fast manisch wirkte. „Oh nein, Liebling, ich bin bei vollkommen klarem Verstand. Nun. Ein bisschen Wahnsinn gehört zur Genialität wohl dazu. Es steht dir noch allerdings frei, zu gehen - vollkommen ohne Konsequenzen. Aber auch vollkommen ohne die Chance auf das große Geld.“ „Du planst, Siebald um 300 Millionen Dollar zu erleichtern“, sagte Shields langsam. „Nicht ganz“, sagte Iwanov ruhig, „ich plane, ihn um 150 Millionen Dollar und einen Diamanten zu erleichtern.“ Erneut herrschte Schweigen. Aber Iwanovs Augen brannten, und Kai fing Feuer darin, ob er wollte oder nicht. Ein Blick durch den Raum zeigte ihm, dass er damit nicht alleine war. Er atmete tief durch und erinnerte sich daran, dass das hier nicht die Wirklichkeit war - dieser Kai Hiwatari war nicht der wahre Deal, und seine Rolle in diesem Plan war es auch nicht. Die Frau mit dem Juwelencollier hob eine Hand. „Was erwartet uns da?“ „Die Casinos sind schwer bewacht“, sagte Kuznetsov überraschend. Noch überraschender war, dass er dabei grinste, als ob dies das Beste am Ganzen war, und seine Erläuterungen durch Bilder begleitete. „Selbst wenn wir es durch die Security am Eingang schaffen, die Infrarotsicherung in den Aufzügen und Lüftschächten und die Kameras, Fingerabdruck- und Augenscans austricksen, haben wir immer noch den Safe selbst, der nur zu speziellen Anlässen und ganz bestimmten Uhrzeiten von ausgewähltem Personal geöffnet und betreten wird.“ Alster schüttelte den Kopf. „Das ist unmöglich.“ Sie wandte den Kopf zu Shields. „Oder?“ Shields hatte einen Ausdruck im Gesicht, der zeigte, dass sie am Haken hing. „Die Sicherheitssysteme von Casinos sind nahezu unüberwindbar. Der Safe ist da noch unser kleinstes Problem.“ „Mach dir nicht ins Hemd, Große“, sagte Papov grinsend. „Yura hat einen Plan.“ „Dann verrate ihn uns. Kein Hinhalten mehr, Iwanov, sag uns, wie du es machen willst“, sagte Kai rau und zog damit erneut einige Blicke auf sich. Der einzige, auf den es ihm ankam, war Iwanovs. Sie sahen sich lange an, bis Rybakov fast schon unkomfortabel mit der Situation auf seinem Platz herumrutschte und Iwanov die Lippen erneut zu einem seiner unkontrollierten, perfekten Lächeln verzog, die Kai ein heißes, frustriertes Kribbeln in die Leistengegend trieben. „Gut“, sagte er leise, aber klar, „dann passt auf. Wir machen es folgendermaßen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)