Whatever butters your Pancakes von CallMeDerp (manchmal bin ich im Krieg mit mir) ================================================================================ Kapitel 2: Depression --------------------- Ich weiß nicht ganz genau wann Depression bei mir eingezogen ist. Irgendwann war sie einfach da. Und kurz darauf kam auch ihre beste Freundin Suizidalität ins Haus. Ich habe die beiden allerdings erst mit ungefähr zwölf identifizieren können und habe dabei festgestellt dass es nicht normal ist solche Mitbewohner zu haben. Dass sich nicht jedes Kind damit außeinandersetzen muss so sehr in der Bedeutungslosigkeit zu versinken, dass man sterben möchte. Dass nicht jedes Kind so heftige und so viele Traumata hinter sich hat dass der Wunsch zu sterben überhaupt erst geboren wird. Diese Erkenntnis war ein harter Schlag ins Gesicht. Sie hat nicht nur mich, sondern auch Borderline stark verunsichert und durcheinander gebracht. Das Biest hat an diesem Punkt schon seit etwa vier Jahren um unser Überleben gekämpft, was keine von uns verstehen konnte. Irgendwie hat nichts wirklich eine Bedeutung, wir können nichts richtig machen, sind für nichts und niemanden gut genug, zu viele Erwartungen, zu viel Druck ... und doch passiert eigentlich gar nichts. Und wenn etwas passiert, können wir das nur schwer aushalten. Keine Ahnung warum man sich das weiter antun möchte, ich habe mich mehr mit Depression und Suizidalität verbunden gefühlt. Vielleicht sollte ich auch noch erwähnen dass Borderline zwar schon bei mir wohnt seit ich vier bin, ich sie aber erst mit dreiundzwanzig wirklich identifiziert habe. Beziehungsweise bin ich mit dreiundzwanzig zum Psychiater, weil Depression und Suizidalität zu schwer geworden sind und der Herr Doktor hat dabei Borderline diagnostiziert. Tatsächlich fällt es einfacher mit etwas umzugehen wenn man einen Namen dafür hat. Damit werde ich heutzutage sehr oft misverstanden weil viele glauben dass ich mich hinter meinen Diagnosen verstecke. Aber das ist nicht der Grund warum ich so daran festhalte. In mir ist so unfassbar viel los, so viel Chaos, Reihenfolgen sind nicht so wirklich unser Ding, alles überfordert mich weil ich in einer ständigen Reizüberflutung lebe. Mein Gehirn kann nicht richtig filtern. Ich weiß wer in meinem System wohnt, ich weiß nicht wer Feind und wer Freund ist, das kann sich ständig ändern. Aber wenn ich einen Namen für den Mitbewohner habe, kann ich eine Strategie zurecht legen wie ich mit diesem Mitbewohner umgehen kann. Dafür nutze ich meine Diagnosen. Mit den Diagnosen kann ich Symptome zuordnen und Skills zurecht legen, das ist mein System und es funktioniert. Wenn ich die Diagnosen weg lasse, habe ich kein System mehr und keine Ordnung. Ich weiß nicht mehr was zu welchem Mitbewohner gehört und welcher Skill gegen welches Symptom hilft. Deswegen ist die Zuordnung für mich wichtig. Ich bin kein Borderliner, ich habe Borderline. Ich bin nicht meine Depression, sie wohnt bei mir. Ich bin nicht suizidal, ich habe Suizidalität in meinem System. Diese Unterschiede, das differenzieren, ist für mich extrem wichtig um mein System am laufen zu halten. Ich verstecke mich nicht hinter meinen Diagnosen, ich lerne aus ihnen. Meine Unterhaltungen mit Depression verlaufen immer gleich. Das Thema mag sich ändern, der Trigger ein anderer sein und die Situation völlig anders als die letzte ... aber die Gespräche haben immer denselben Kern. Es geht mir schlecht. Ich leide. Depression setzt sich zu mir und verspricht mir alles aushaltbarer zu machen. Gesunde Menschen besitzen eine emotionale Haut, eine Art Filter der Emotionen abschwächt und aushaltbar macht. Uns Borderlinern fehlt diese emotionale Haut. Ich habe letztens gelesen dass Borderline mit Verbrennungen dritten Grades verglichen wird, weil diese emotionale Haut fehlt. Wir haben keine Filter. Alles kommt ungefiltert durch und ist wahnsinnig intensiv. Ich weiß nicht wie Emotionen für gesunde Menschen sind, mein System ist krank und kann nicht filtern. Für mich ist alles immer irrsinnig intensiv, ich bin es gewohnt. Es war nie anders. Ich bin eben Hypersensibel, das muss so. Erschwerend zu den nicht vorhandenen Filtern kommt dazu dass ich ADS habe, was mich im Alltag eher weniger beeinträchtigt. Allerdings fällt es mir damit noch schwerer brauchbare Filter zu installieren. Kein großer Nachteil weil mein Hirn das sowieso nicht geregelt bekommt, aber eben ein erschwerender Faktor. Der Punkt ist dass Depression diese viel zu intensiven Gefühle zwar tatsächlich abschwächen und aushaltbar machen kann, ihre Methode allerdings ist eher nicht hilfreich. Ohne meine Zustimmung übernimmt sie einfach was gerade tobt und dann ist da nichts mehr. Depression bedeutet nicht dass man immer nur traurig ist und ständig heulen möchte. Depression bedeutet vor allem nichts zu fühlen. Sich bewusst zu sein dass nichts von Dauer ist, weil die Depression irgendwann wieder übernimmt und dann ist da nichts mehr. Das mag für Depressive schon schlimm sein, was heißt mag, es ist für alle depressiven tatsächlich die Hölle auf Erden, ich will das auf keinen Fall runter spielen! Aber ... wenn man sein Leben lang in völliger Reizüberflutung weil alles viel zu intensiv ist verbringt, und dann ist da plötzlich gar nichts ... das ist ein anderer Kreis der Hölle. Und irgendwie zeichnet das Borderline aus, dieses Gefühl der inneren Leere weil da plötzlich nichts mehr ist. Es ist schrecklich, es treibt uns in den Wahnsinn. Wir wissen nicht wie wir damit umgehen müssen und ich für meinen Teil gehe nach ein paar Stunden nichts fühlen schon die Wände hoch. Die meisten Borderliner reagieren auf nichts fühlen mit Selbstverletzung, um überhaupt wieder irgendetwas zu spüren. Wenn der emotionale Schmerz fehlt, greift man eben auf den körperlichen zurück. Und da fangen meine Probleme auch irgendwie an außer Kontrolle zu geraten. Wenn Depression erstmal alles übernommen hat und nichts übrig lässt, ist das im ersten Moment tatsächlich erleichternd. Dieses unfassbare Gefühl wenn der emotionale Schmerz erstmal weg ist. Ich bin ihr dankbar dass ich wieder durchatmen kann. Und dann wird alles in die Bedeutungslosigkeit gezogen weil ich nichts mehr fühle. Nichts hat mehr einen Sinn. Warum bin ich noch hier wenn alles so sinnlos ist? Wo führt uns unser Weg hin? Wir werden sowieso nichts erreichen ... und das öffnet Suizidalität die Tür. Wenn nichts eine Bedeutung hat, dann können wir schließlich auch einfach gehen, oder...? An diesem Punkt wird es sehr schwer wieder auszusteigen, weil Depression und Suizidalität eng zusammen arbeiten und sehr überzeugend sein können. Borderline findet es zu krass uns umzubringen, sie ist eher in der Abteilung Selbstverletzung. Das bringt immerhin auch unsere Gefühle zurück und ist nicht ganz so endgültig. Ich habe Angst vor Schmerzen. Der Tod macht mir keine Angst, irgendwann holt er jeden einzelnen von uns. Der Gedanke warum ich noch abwarten soll schleicht sich ein. Selbstverletzung macht für mich keinen Sinn. Ich kann mich auch mental völlig abwerten ohne die Hülle zu verletzen. Damit mache ich niemandem Sorgen und ziehe niemanden in meine persönliche Hölle. Umbringen dagegen löst tatsächlich alle meine Probleme, weil die dann einfach nicht mehr existieren. Wieder heult mein Kind. Ich kanns verstehen, ich wollte auch nicht dass das hier aus uns wird, es ist eben passiert, das hat sich meiner Kontrolle entzogen. Ich meide dennoch den Kontakt zu ihr weil ich mit ihr nicht umgehen kann. Sie triggert mich. Sehr hart. Wenn ich mich von der Außenwelt zu sehr abkapsel, dann kommt auch von Außen kein Impuls der uns aus diesem Loch raus holt und ich verbringe Tage mit Depression und Suizidalität. Ich weiß dass mir das nicht gut tut, aber ich fühle mich wie gelähmt und kann das Zimmer nicht verlassen. Eigentlich haben die beiden ja Recht, wir arbeiten jetzt seit 2013 daran dass es uns besser geht und es wird wenn überhaupt nur für ein paar Tage oder im Bestfall ein paar Wochen gut und erträglich. Und dann geht wieder alles den Bach runter. Warum tu ich mir das noch an? Was erhoffe ich mir vom Leben dass ich weiter kämpfe? Liegt wahrscheinlich daran dass ich nichts anderes kann. Ich bin auf dem Schlachtfeld aufgewachsen, kämpfen kann ich. Frieden kann ich nicht. Ich fühle mich unwohl und komisch wenns zu lange harmonisch bleibt und kein neues Problem auftaucht. Ich bin irgendwie für den Kampf geboren, sobald der aufhört... habe ich keinen Grund mehr zu existieren. Und jetzt wo meine Eltern nach Ungarn ausgewandert sind, habe ich keine regelmäßigen Kämpfe mehr. Niemand sonst steht mir nah genug dass ich ihn wegen seiner Attitüde so sehr hassen könnte wie ich meine Mutter gehasst habe. Mittlerweile habe ich sogar Verständnis für meine Mutter. Ich kann sie immer noch nicht über längere Zeit aushalten, ertragen ... der Hass kommt immer wieder an die Oberfläche, aber ich kann jetzt besser damit umgehen. Ich habe keinen Grund mehr zu existieren ... Und wenn es ihr zu viel wird, kommt das Biest und Bitch slappt mich zurück in die Realität. Weil ich angefangen habe zu depersonalisieren, zu derealisieren. Mich aus der Realität zurück gezogen habe, mich abgekapselt habe, Kontakte abgebrochen habe und nur noch allein in meinem Elend sitze. Das Biest zieht mich aus den Fängen von Depression und Suizidalität und setzt mich zurück auf Null. Ihre Methoden sind nicht die besten, aber sie funktionieren. Sobald ich meine emotionale Ebene wieder spüren kann, kann ich mich wieder booten und versuchen rational an die Sache ran zu gehen. So klar man sich nämlich fühlt wenn die ganzen überfordernden Emotionen abgeschaltet sind, so gelogen ist dieser Eindruck. Der Verstand allein kann nicht die Antwort sein. Das ist nicht menschlich. Im Leben geht es darum eine Balance zu finden, zwischen allem. Freizeit und Arbeit ist wohl das bekannteste. Das wichtigste - meiner Ansicht nach - ist allerdings Herz und Verstand. Wir können nicht einfach nur unserem Herzen folgen und den Verstand abschalten weil uns das irgendwann in den Tod treibt. Das Herz ist blind. Es sieht die Gefahren nicht früh genug, es kann nicht vorhersehen. Aber auch wenn wir unsere Gefühle abschalten und nur dem Verstand folgen wird uns das in den Tod treiben. Ich merke das an meiner Depression. Wenn die Gefühle weg sind, ist alles bedeutungslos. Warum dann noch hier bleiben? Nur wenn Herz und Verstand zusammen arbeiten kann man tatsächlich gut durch kommen. Ich habe mich meine gesamte Kindheit und Jugendzeit auf meinen Verstand verlassen weil ich mit meinem Herz nicht umgehen konnte. Seit ich Borderline kennen gelernt habe, habe ich auch gelernt mit meinen Gefühlen umzugehen. In dem Punkt ist Borderline wahrscheinlich ein Segen. Man kennt die Vorurteile, die Stigmata... Borderline Partner sind die Hölle auf Erden weil sie höchst manipulativ sind. Stimmt auch wenn sie nicht therapiert sind. Wenn sie nicht selbstreflektiert sind. Ein reflektierter Borderliner wird zu dem was du dir dein ganzes, verdammtes Leben gewünscht hast... das versuche ich zu erreichen. Die beste Version von mir selbst. Grade ist allerdings wieder Besuch da, Depression und Suizidalität machen es sich bequem, bis ich eine Methode gefunden habe sie raus zu werfen... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)