Lost Memories von ElenaMorris ================================================================================ Kapitel 1: One. --------------- Wie viel Leid kann ein Mensch ertragen? Wie viel, bis die kleine, arme Seele zu brechen beginnt? Wie viel Schmerz muss man ertragen, bis alles ein jähes Ende findet? Ich weiß nicht, wie viel ich von diesem Schmerz noch ertragen kann. Wieder sitze ich auf dem Asphalt, halte die leblose Hand eines kleinen Mädchens, welches gerade einmal acht Jahre alt war. Ihre weißen Sachen zerrissen und voller Blut. Die Augen leer und leblos. Die Haut kalt. Die blonden Haare voller Schmutz und Blut. Alles was ich höre, sind die Schreie der Mutter und den Regen der auf uns herunter prasselt.   „Zeitpunkt des Todes… 19.47 Uhr.“ Ich hasse meinen Job. Immer mehr. Wie ungerecht kann das Leben sein? Ein junger Mann von 27 Jahren hatte eine rote Ampel überfahren. Das Mädchen war mit ihrem kleinen pinken Fahrrad schon vorgefahren, während ihre Mutter rief, sie solle warten. Doch das Mädchen fuhr lachend über die grüne Fußgängerampel. Dann krachte es. Das Mädchen flog über das Auto. Als wir ankamen mit lauten Sirenen und blauen Licht war es schon zu spät. Die Mutter hielt ihre tote Tochter in den Armen und schrie sich die Seele aus dem Leib. Und alles was ich sagen kann in dieser Situation war: „Es tut mir leid, doch wir konnten nicht mehr für ihre Tochter tun.“ Die Sanitäter waren dabei die Mutter mit einem Medikament zu beruhigen. Für diese Mutter war das Leben vorbei. Solche Dinge sah ich immer und immer wieder. Ich sah solch viele schreckliche Dinge. Damals im Krieg, sowie heute. Ich strich über die Wange des leblosen Mädchen. „Es tut mir leid, dass du einen so schmerzvollen Tod hattest. Doch nun wirst du nie wieder Schmerzen spüren müssen […] Ich weiß, es ist nicht tröstlich, immerhin hättest du ein ganzes Leben vor dir haben können.“ Warum nur war das Leben so ungerecht? Es sind nicht mehr Gottes Wege, nicht sein Schicksal. Es kann keinen Gott geben, der solche Dinge zuließ. Ein armes, reines Kind zu töten. Eine liebevolle Mutter in den Ruin zu treiben, während andere Menschen so viel schlimmeres tun und damit ungestraft davon kommen. Egal wie oft ich darüber nachdachte, es ergab nie Sinn für mich, dass wird es auch nie.   Der Bestatter traf am Unfallort ein. Sie zogen einen kleinen Sarg aus dem Wagen. Ein dunkles Mahagoniholz. Der Regen prasselte und tropfte auf das Holz nieder. Langsam auf einen Karren kam der Bestatter mit dem Kindersarg zu uns gefahren und öffneten ihn. Es wirkte immer wieder so unwirklich. Langsam hoben wir beide den zerbrochenen, winzigen Körper in das weiße Samt hinein. Ich besah mir noch einmal ihr Gesicht. Ich werde auch ihr Gesicht nie vergessen können. So wie jedes andere Gesicht, von Menschen die vor meinen Augen starben oder ich mit zu Grabe getragen habe. Ich blickte nicht weg. Ich erwies ihr die Ehre. Die letzte Ehre. Keiner würde sie noch einmal so sehen. Mit dem aufgeschürften Gesicht. Den glasigen leeren Augen. Langsam schloss ich den Deckel des Sarges und drehte mich um. „Ich hoffe wir sehen uns so schnell nicht wieder Lorénz. Ich habe die Nase voll davon.“ Es war traurig genug das ich den Unfall Bestatter per Vornamen kannte. Dann weiß man wie oft mir meine Patienten vor der Nase wegstarben.   „Ich wünschte, ich könnte das selbe behaupten Viktor. Wirklich. Besonders wenn es um solche zarten, kleinen Geschöpfe geht.“ Er sah mich an. Ich war schon vollkommen durchnässt. Doch ihm in seinem schwarzem Anzug schien es nicht anders zu gehen. Seine Haare hingen ihm in sein Gesicht. Die braunen Augen sahen mich traurig an, während sich auf seinen Lippen ein betroffenes lächeln schlich. „Doch der Tod ist immer allgegenwärtig. Er wird nie aufhören uns in die Realität zurück zu holen um uns zu zeigen, wie vergänglich dass Leben ist. Egal wie pietätlos es klingen mag, doch der Tod ist das beste Geschäft.“ Ich sah die Straße hinab. Die Laternen glitzern über den feuchten Asphalt, ebenso wie das Blaulicht unserer Krankenwagen und die der Polizei.   „Ich weiß es Lorénz, ich weiß es. Doch ich habe genug Tote zu Grabe begleitet, und oft genug Menschen für Tod erklären müssen“ Ich legte eine Hand auf den kleinen hölzernen Sarg. Ich schloss die Augen. „Ich ertrage es nicht mehr. Sie war noch ein Kind, verdammt!“ Mein Unverständnis paarte sich mit der Wut. Diese Ungerechtigkeit auf dieser Welt. Und keiner sah es. Alle übersehen gerne das Leid anderer. Das Leid, welche Menschen im alltäglichen Leben wie diesem erleben müssen. Sie laufen weiter und tun so als wäre nichts. Ich wandte mich ab, ließ meine Hand von dem Kindersarg gleiten.   „Ich glaube, ich hänge diesen Job an den Nagel.“ Mit diesem Satz ließ ich den Bestatter stehen und wandte mich ab. Langsam ging ich zu unserem Dienstwagen und setzte mich hinein. Für uns war hier nichts mehr zu tun. Ich fuhr den Dienstwagen wieder zum Krankenhaus. Wo ich es auch stehen ließ. Meine Schicht war noch lange nicht vorbei. Doch für mich war er vorbei. Ich ging zu meinem Privatwagen und fuhr heim. Den Pieper und die Schlüssel ließ ich gleich im Krankenhaus. Ich kann das nicht mehr. Ich halte es nicht aus.   Seit einer Woche hatte ich meine Wohnung nicht mehr verlassen. Ich ignorierte die Anrufe von Bekannten und auch von meinem Arbeitgeber. Doch länger könnte ich mich doch nicht verstecken. Immerhin gehen auch mir einmal die Vorräte aus. Ich zog mir eine Jeans an, einen grauen Pullover und zog noch eine dünne Jacke über. Man spürte den Herbst. Man roch ihn. Man sah ihn. Ich sah in den Spiegel. Ich sah nicht das erste mal so fertig aus wie eben. Die dunkle Mähne zerzaust, der drei Tage Bart war nun schon fast anderthalb Wochen alt und in den Augen sah man keinen Glanz mehr. Das letzte mal, dass man dies konnte, war auch schon ewig her. Das waren noch Nächte wo ich den Schlaf fand und keine Albträume, welche mich regelrecht heimsuchten. Ich sehe es als meine persönliche Strafe an. Ich nehme sie auch gerne an, da ich weiß was ich alles für Dinge tat und ich habe es wirklich mehr als verdient. Ich nahm mir meine Tasche und ging vor die Tür. Welch ein Wunder, es regnete. Langsam zog ich mir die Kapuze über meinen Kopf und lief durch die Straße. Die Gehwege waren gut gefüllt mit Wasser. Immer wieder sah ich mein angeschlagenes Abbild in den Pfützen. Ich habe mich aufgegeben, und dass nicht erst letzte Woche, sondern schon viel länger. Ich blieb stehen als ich Sirenen hörte. Das Stadthorn blies laut durch die Straße als ein Krankenwagen mit Blaulicht an mir vorbei fuhr. „Es ist doch eh wieder zu spät, ihr Idioten.“ Ich setzte langsam meinen Weg fort. Ich weiß auch nicht wann ich genau zu so einem verbitterten Mann geworden bin. Ich glaube vor zehn Jahren fing es an. Während meines ersten Einsatzes in Afghanistan. Alleine bei dem Gedanken verdreht sich mir der Magen. Ich versuchte dieses Gefühl schnell wieder zu verdrängen. Flink lief ich zur Kaufhalle und besorgte alles von Nöten, nur um mich wieder auf dem Weg nach Hause zu machen. Als ich kurz vor meiner Wohnung ankam, sah ich einen Menschen, den ich nie wieder sehen wollte. Tobias. „Ich habe dir gesagt, ich will dich nie wieder sehen. Was tust du hier?“ mehr als einen giften Ton konnte ich ihm nicht entgegen bringen. Er kam ein paar Schritte auf mich zu gelaufen. „Ja, was tue ich wohl hier? Nach dir sehen. Es war einige Jahre sehr still um dich und ich habe mich einmal umgehört. Notarzt was?“ Ich lief an ihm vorbei. Ich wollte kein weiteres Wort mit ihm wechseln. Ich ging zu meiner Tür und wollte sie aufschließen, jedoch kam er mir einige Schritte hinterher. „Was? Ignorierst du mich jetzt? Deinen besten Bruder?“ Ich wandte mich zu ihm um. Mein Ausdruck muss beängstigend ausgesehen haben, da er einige Schritte wieder zurück weicht. „Wir sind nichts! Du bist ein Mörder, ein Vergewaltiger! Mit so einem Abschaum wie dir, will ich nichts mehr zu tun haben […] Mit keinem der restlichen Überlebenden möchte ich Kontakt pflegen.“   „Hey. Wir waren eine Einheit […] Keiner von uns wusste, ob wir je lebend zurück kommen. Wir taten Dinge auf die keiner mehr Stolz ist. Ich eingeschlossen.“ Ich wandte meinen Blick ab. Ich wollte ihm nicht länger zuhören, ihn nicht länger sehen.   „Du hast Angst, dass ist verständlich. Wir alle haben Angst […] aber wir fliehen nicht vor der Vergangenheit und versuchen nicht, etwas wiedergutzumachen, was damals unser Befehl war. Du musst damit abschließen Viktor.“ Mein Einkauf fiel zu Boden, ich wandte mich zu ihm, packte fest seinen Kragen und zog ihn näher an mich und sah ihn mit leeren Augen an. Mit diesen leeren Augen, welche ich seit damals besaß. „Ich werde es niemals vergessen können, auch niemals verdrängen können so wie ihr […] Ich bin kein Monster das damit einfach abschließen kann, und so tun kann, als wäre alles wieder wie früher. Ich beneide euch, dass ihr herzlosen Schweine dazu fähig seid. Aber ich bin es nicht. Irgendwo tief in mir, besitze ich noch etwas, ein Gefühl für Moral und Anstand. Ein Gefühl für Reue. Und ja! Natürlich möchte ich es irgendwie wiedergutmachen […] ich kann es ja nicht mehr ungeschehen machen.“   Ich ließ ihn los, bückte mich, sammelte meinen Einkauf ein und verschwand in den Hauseingang. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)