Fremde gehen von suugakusan ================================================================================ Einige Wochen sind seit meinem Entschluss vergangen und alles läuft immer noch größtenteils wie bisher. Mein Vorhaben zieht sich furchtbar hin und dadurch fühle ich mich von Tag zu Tag mieser. Hinzu kommt, dass Naruto unter der Woche sehr glücklich wirkt. Dagegen fällt ihm der Abschied ins Wochenende jedesmal spürbar schwerer. Von Montag bis Donnerstag ist er eine kleine Sonne mit einem lebensfrohen Lächeln und strahlenden blauen Augen, die mich immer so unerklärlich verhexen. Diese blumigen Bilder kontrastieren harsch mit den eines unterdrückten Wesens, das Freitag Nachmittag kurz in meinem Büro zum Verabschieden erscheint. An sich ist es nicht hundertprozentig belegt, dass er meinetwegen so ist. Er hat mich zumindest nie darauf angesprochen. Aber ja, nur ein völlig Gehirnamputierter würde hier keinen Zusammenhang vermuten. Tief in meinem Inneren weiß ich, dass seine Stimmungsschwankungen doch irgendwie was mit mir zu tun haben, und mein Gewissen schreit, dass ich mich endlich darum kümmern muss. Und was mache ich? Richtig, Aufschieben. Morgen. Montag. Freitag. Nächste Woche… ich warte den nichtexistenten perfekten Moment ab, um mit meinem Seitensprung Schluss zu machen. Tja, Sasuke, viel Spaß dabei! Gott, ich bin so verdammt schwach! Trotzdem nehme ich ihn bei all dem Chaos jede Nacht ins Hotel mit. Nein, ich bin nicht nur schwach, sondern auch extrem widerlich. Um auf andere Gedanken zu kommen: Heute ist tatsächlich Freitag. Das bedeutet, ich kann endlich nach Hause. Diese Woche hatte Menma die Aufnahmeprüfung auf seine Wunschuni. Ich bin richtig gespannt, wie sie verlaufen ist. Sarada hat bestimmt viel über ihr Physikprojekt zu erzählen. Sie haben schon ein funktionierendes Prototyp eines Mikroskops, sie wird bestimmt Fotos davon zeigen. Mit Sakura möchte ich heute über unseren Urlaub reden. Anscheinend gibt es da irgendwelche Probleme mit der Buchung. Heute gibt es Katsudon zum Abendessen. Ich freu mich voll drauf! Morgen gehen wir alle ins Kino. Menma ist von dieser Idee überhaupt nicht begeistert. Er hat allgemein wenig Lust auf Familie, was an sich okay ist. Neuerdings hat er eine neue Freundin und seine Abneigung uns gegenüber nimmt jetzt katastrophale Ausmaße an. Er ist überhaupt nicht scharf darauf, das kostbare Wochenende mit den Alten und seiner kleinen Schwester zu verbringen. Mittlerweile ist Sakura und mir seine Einstellung dazu egal. Wenn Menma seine Freundin nicht nach Hause einladen möchte, dann kann er sie mal auf Freitag oder Montag schieben. Es ist ja nicht so, als würden wir ihm jedes Wochenende rauben. Viel zu tun hat er auch nicht. Naja, Menmas sauere Miene ist kein Weltuntergang. Ich habe ihn trotzdem lieb und freue mich auf alle drei. Was mir diesen lieblichen Vorgeschmack verdirbt, ist der bevorstehende Abschied von Naruto. Jedesmal, wenn er niedergeschlagen mein Büro verlässt, zuckt mein Herz schmerzhaft zusammen. „Klopf-klopf…“ Ich hebe meinen Kopf hoch. Naruto steht in der Tür. „Ich wollte gleich nach Hause gehen.“ Oh nein. Jetzt ist es soweit. „Wow, machst heute um unglaubliche 15:30 Schluss? Was ist los?“, werfe ich ihm verspielt zu und trage den Betreff der Email ein. Vielleicht ist er heute besser drauf als sonst? „Ich hab zu viele Überstunden“, antwortet er ernst. Ne, er scheint nicht in Stimmung auf eine schlagfertige Antwort zu sein. Okay, dann necke ich ihn nicht weiter. „Ist ja richtig. Dann mach dir einen schönen Abend noch.“ „Danke.“ Ich führe meinen Blick zurück zur Email. Er geht nicht. Seine Präsenz macht sich gerade richtig bemerkbar. Ich spüre seine zaghaften Blicke auf meiner Haut. „Ähm, hast du das vorhin mitbekommen?“, fragt er planlos. Er möchte definitiv eine Unterhaltung erzwingen. „Dass Orochimaru-san am Montag gleich auf 8 Uhr verlegt wurde?“, frage ich ohne die Augen vom Monitor wegzunehmen. „Ja.“ „Ja, habe ich. Danke, dass du nochmal Bescheid gibst.“ Stille. Er beäugt mich immer noch. Er will nicht gehen, aber er muss und das weiß er. Ich weiß auch, dass er es weiß. Trotzdem möchte er die Regel unbedingt missachten. Aber ehrlich gesagt, wenn wir an diesem Punkt angelangt sind, wen kümmert‘s schon? „Ist noch was?“ Ich hebe meinen Kopf hoch. In seinen Augen erblicke ich eine zarte hoffnungslose Melancholie. Nein, Naru, bitte nicht machen! „Nein, aber…“ Er geht hastig auf mich zu, zieht mich vom Stuhl hoch und küsst mich. Das ist eigentlich auch gegen die Regeln. Keinen körperlichen Kontakt während der Kernarbeitszeit haben. Das hier ist deutlich schwerwiegender. Eigentlich müsste ich ihn stoppen. Aber nein. Ich bin zu schwach. Meine Arme winden sich fest um seinen Oberkörper und ich erwidere den Kuss. In dieser Sekunde bin ich vollständig seiner Leidenschaft hingegeben. „Heeeey, was soll das? Die Kernarbeitszeit ist noch nicht um“, sage ich erst jetzt, als es eh zu spät ist. Ja, ich möchte mich dadurch nur etwas besser fühlen. „Niemand sonst ist hier, keine Sorge.“ Er versucht mich nochmal zu küssen, aber diesmal habe ich genug Vernunft, um ihn aufzuhalten. „Du solltest jetzt auch gehen.“ „Aber…“ „Nein“, schneide ich ihn zackig ab. Er wirft mir einen verzweifelten Blick und ich tue so, als hätte ich diesen nicht mitbekommen. Natürlich habe ich und natürlich tut es fürchterlich weh. Ich trenne mich körperlich von ihm und erzwinge das Ende des Gesprächs: „Schönes Wochenende. Bis Montag.“ Er verlässt stumm mein Büro. Ich kollabiere auf den Stuhl. Mein Herz pocht wie verrückt. Ich muss auf andere Gedanken kommen. Wie ging nochmal die Email? Ich starre den Bildschirm an, aber es wirkt nicht. Nichts anderes ist in meinen Kopf gekommen. Ich habe ihn schon wieder verletzt. Davon wird mir richtig mies. Nächste Woche beende ich alles. Nächste Woche unbedingt. Diesmal traue ich mich wirklich. Versprochen. *** Es ist schon 18:30 und jetzt steht nichts meinem Feierabend im Wege! Alle Emails abgeklappert, drei Berichte fertig gemacht und an diversen Meetings teilgenommen. Gut, oder? Nur noch alles runterfahren, zumachen und abhauen. Wochenende, ich komme! Mein Rechner ist bereits aus und mein Büro ist ordentlich. Sehr schön. Tür zu und jetzt weg von hier! Ich laufe entlang eines langen dunklen Gangs, der nur durch den Ausgang am Ende beleuchtet wird. Ja, ich habe mir nichtmal Licht angemacht. Ich bin zu faul. Ist ja eh… warte… was war das gerade eben? Sah aus, wie ein… Mensch? Ha! Da ist wirklich ein Mensch! Er rennt sogar weg! Was zur…?! „Hey!“, rufe ich laut und renne hinterher. „Bleiben Sie stehen!“ Plötzlich fällt eine Tür zu. Welche war das? Ich glaube die vom Klo. Eine der wenigen Türen, die nicht elektronisch gesichert ist. Macht Sinn. Ich gehe rein. Niemand ist hier. Anscheinend hat sich die Person in einer der Kabinen versteckt. Hmmm, okay. Soll ich so dreist sein und überall nachgucken? Ne, ich versuche es zunächst auf eine diplomatische Art. Wenn das nicht klappt, dann nachsehen? Ne, keine Lust. Also direkt Polizei rufen? Ja. Das Stockwerk kann von außen abgesperrt werden und jedes Büro sollte schon zu sein. Sprich, der Fremde kann sich nur im Flur und nur auf diesem Stockwerk aufhalten. Zumindest theoretisch. Es gibt noch einen Feueralarm und einige Mitarbeiter könnten verkackt haben. Wenn mir so ein Patzer jetzt auffällt, gibt es am Montag richtig Ärger. Hoffentlich muss heute nichts auffallen. Ich hätte echt keine Lust auf einen Polizeieinsatz. Ich will nach Hause. „Hey, Sie befinden sich auf einem Privatgrundstück“, verkünde ich laut. „Wenn Sie das Gebäude gleich verlassen, dann wird niemand Stress haben. Klingt sinnvoll?“ Keine Reaktion. „Ich könnte Sie natürlich hier drin einsperren und die ganze Sache der Polizei überlassen. Das wollen wir beide nicht, oder?“ Plötzlich höre ich ein leises Schluchzen. Das kommt anscheinend aus einer der hinteren Kabinen. „Sie müssen nicht gleich weinen.“ Ich bewege mich in die Richtung, in der ich die Person vermute. „Wenn Sie mitmachen, passiert nichts schlimmes. Kommen Sie einfach raus, okay? Dann können wir…“ Den Rest des Satzes habe ich automatisch verworfen, denn… „Naruto?! Bist du das?!“ Ich höre nochmal hin. Ja, das ist definitiv er. Dieses Schluchzen kann nur ihm gehören. Was zum Teufel macht er hier?! Er ist doch vor langer Zeit nach Hause gegangen! Verstehe ich nicht. Ich klopfe auf die Tür. „Naruto, mach auf!“ „Bitte ruf nicht die Polizei!“ Seine Stimme zittert weinerlich. „Mach ich doch nicht! Bitte komm einfach raus!“ Er sagt nichts. Stille. Nein, das geht gar nicht! Er muss da raus. Ich stecke meine Schlüsselkarte in die Rille am kleinen Plastikschloss und breche die Tür auf. Da sitzt er, zusammengerollt und heulend. Er versteckt sein Gesicht von mir. Ich falle auf die Knien und umschließe ihn fest. „Naruto, was ist los?! Warum weinst du denn auf dem Betriebsklo?! Wolltest du nicht schon vor langem nach Hause?“ Keine Rückmeldung. Seine Tränen sind so bitter! Was ist nochmal passiert?! Ich verstehe gar nichts. „Lass uns bitte ins Büro rübergehen. Da ist es nicht so eng.“ Nichts. Nur schmerzliche Wehklagen. Gott, sein Heulen ist einfach herzzerreißend! Ich kann es nicht länger aushalten! Ich muss irgendwas für ihn tun. Meine Arme wickeln sich fester um ihm, als müsste ich nur hart genug drücken, um all seinen Leid verpuffen zu lassen. Als ob es helfen könnte… er reagiert null auf meine Präsenz. Ihn interessiert all das überhaupt nicht. „Naruto, bitte hör auf… lass uns bitte rübergehen. Dann reden über alles mögliche, okay? Wir klären das. Nur bitte-bitte-bitte hör auf zu weinen!“ Meine stimme Bricht zusammen und ich flüstere: „Ich kann es nicht ausstehen. Es tut weh.“ Er wird lauter und hyperventiliert dabei. Sein Atem ist unruhig und er steigert sich mit jedem Moment noch intensiver ins Heulen rein. Ich kann nicht auf ihn einreden. Ich mache es gefühlt nur noch schlimmer. „Sasuke, ich… ich wollte nicht… so…“ Ich umschließe seinen Kopf und küsse seine sonnigen Locken. „Es war eine superdumme Idee! ES TUT MIR AUFRICHTIG LEID!“ Der letzte Satz endete in einem psychotischen Schrei. Es ist kein Heulen mehr. Ich glaube, er erleidet gerade einen Nervenzusammenbruch. Ich drücke ihn noch fester zusammen und senke den Kopf auf seine Schulter. Oh, Naru, seit wann belastet dich das so krass, ha? Ich will nicht, dass es dir so geht. Ich bin körperlich für dich da. Sonst kann ich nichts für dich machen. Komm bitte runter. Bitte… „Kann ich was für dich tun?“, frage ich zögerlich. Keine vernünftige Reaktion. Nur noch mehr Verzweiflung. Okay, dann bin ich jetzt wirklich machtlos. Dann ist es halt so. Er erwidert meine Umarmung. Er krallt sich so fest in mich hinein, dass ich kaum Luft kriege. Er schreit sich die Seele aus dem Leibe und ich höre nur passiv zu. Dabei bricht mein Herz in tausend kleine Stücke. Sein Leid ist unausstehlich. Bloß nicht loslassen. Aushalten. Für ihn da sein. Nur noch ein bisschen. Es ist gleich vorbei. *** Es hat fast Dreiviertelstunde gedauert, bis er zum Stillstand kam. Mittlerweile kann er relativ normal atmen. Wir umarmen uns immer noch. Sein Halt ist bis jetzt ziemlich krampfhaft. Als ob ich für immer verschwinden würde, wenn er sich nur für eine halbe Sekunde entspannt. Das würde ich nicht. „Soll ich dich nach Hause bringen?“, frage ich vorsichtig. Er nickt passiv. Ich warte einen Moment ab. Er lässt mich nicht frei. „Dann müsste ich mich aber darum kümmern…“ Ich deute daraufhin, dass ich aufstehen möchte. „Du kommst mit?“, fragt er erschöpft. „Ja.“ „Wirklich?“ „Ja.“ Er lockert seinen Halt. Ich stehe auf und verlasse endlich die beengende Klokabine. Mein Körper beschwert sich über die unangenehme Sitzposition. Ich strecke mich kurz. „Bleibst du dann bei mir?“ Ich seufze. Es ist schon so spät und eigentlich müsste ich schon lange im Zug sitzen. „Ja, ich bleibe bei dir“, rutscht mir plötzlich aus. Ich seufze erneut. Dann ist jetzt so. Ist vielleicht gut. Er scheint mich dringend zu brauchen. Er lächelt müde, geht auf mich zu und fällt erschöpft in meine Arme. Ich fange seinen geschwächten Körper auf und drücke ihn an mich heran. Er atmet schwer. Er ist so kaputt! Er ist meinetwegen so geworden! Meinetwegen! Ich wusste ja gar nicht, dass die ganze Situation ihn so krass belastet! Sein Lächeln ist immer so schön und er wirkt ja so glücklich! Ne, das kann nicht so weitergehen! Es ist so verdammt falsch! Was hab ich nur getan?! Das alles war überhaupt nicht so gewollt! Man, es sollte nur um ein bisschen Spaß gehen! Niemand sollte dabei ernsthaft einen Nervenzusammenbruch erleiden! Niemand, okay?! Niemand! Nein, es reicht jetzt. Heute wird dieser Wahnsinn beendet. Ich muss es endlich in Ordnung bringen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)