Fremde gehen von suugakusan ================================================================================ Wir sind seit einigen Stunden bei ihm zuhause. Ich habe ihn hingelegt und saß solange auf der Bettkante, bis er sich endgültig beruhigt hat. Jetzt schläft er und ich bin mir nicht sicher, was ich machen soll. Es ist noch nicht so spät, dass ich nicht gehen könnte. Die Züge in meinen Vorort fahren immer noch. Aber Naruto jetzt allein zu lassen kommt mir total falsch vor. Ich habe außerdem versprochen, bei ihm zu bleiben. Wenn ich jetzt wirklich abhaue, wäre die Endstation des Hinterhältigseins auf jeden Fall erreicht. Das würde Naruto vermutlich sehr traurig machen und genau das möchte ich nicht. Ich habe natürlich zwischen all dem komplett vergessen, Sakura Bescheid zu sagen, dass ich erst Samstag Vormittag komme. Jetzt sehe ich die zwei Shitmails von ihr. Ach, naja. Mit den Konsequenzen muss ich mich morgen rumschlagen. Heute muss ich mich dringend um Naruto kümmern. Ich sitze in seiner Küche und gerade wird mir bewusst, dass wir die allerletzte Regel gebrochen haben, die wir bis dato zu hundert Prozent eingehalten haben. Keine Hausbesuche. Tja, nicht mehr. Ich wusste schon vorher, wo er wohnt. Jetzt weiß ich auch, wie es hier aussieht. Ich fühle mich hier überhaupt nicht wohl. Irgendeine Ablenkung soll her, denn sonst drehe ich komplett durch. Wie wäre es denn zum Beispiel mit Kochen? Ach ja, gute Idee! Mal sehen, was ich machen kann. Sein Kühlschrank sieht ziemlich trist aus. Ew, da hinten schimmelt der Käse! Da steht eine dreckige Pfanne mit mittlerweile nassen Nudeln drin. Ist das eklig! Okay, dann koche ich halt nicht sofort. Zunächst muss dieser Biohazard beseitigt werden und danach muss ich anscheinend einkaufen. In seinem Kühlschrank könnte sich jemand fast erhängen. Cool. Sowas erinnert mich an mein Studium. Damals konnte man einen schimmeligen Kühlschrank deutlich länger aushalten. Nach zweieinhalb Stunden war ich durch mit allem. Ich musste deutlich mehr putzen, als nur den Kühlschrank. Den Herd zum Beispiel. Er hatte überall alte klebrige Fettablagerungen. Die Arbeitsplatte auch. Die Schneidebretter waren nicht besonders sorgfältig abgewaschen. Teilweise klebten alte Reste vom Gemüse dran. Irgendwie ist seine Küche wie sein aktuelles Leben: oberflächlich in Ordnung, aber eigentlich eine Katastrophe. Wer ist daran wohl schuld, ha? Im spiegelnden Edelstahl des großen Kochtopfs mit dem brodelndem Inhalt sehe ich mein verzerrtes Bild. Ha, wie passend… Die Abendmahlzeit ist schlussendlich Ramen geworden. Ich erinnere mich daran, dass er mal erzählt hat, dass er die Nudelsuppe liebt. Hoffentlich freut er sich darüber. Keine Ahnung, ob sie schmeckt. Ich stand schon seit Ewigkeiten nicht mehr in der Küche und bin ganz schön aus der Übung. Schade eigentlich, weil ich früher richtig gern gekocht habe. Das war meine Aufgabe. Zunächst kleine Mahlzeiten für Sakura und mich. Sie hat immer mein Essen gelobt und jedesmal hat mich das richtig gefreut. Dann größere für Kinder und uns. Ich bekam noch mehr Lob und freute mich noch mehr. Dann wurde ich zum Abteilungsleiter. Plötzlich war die Aufgabe nicht nur meine, weil es zeitlich nicht mehr ganz gepasst hatte. Zunächst konnte ich mich dafür am Wochenende revanchieren. Seitdem ich im Vorstand bin, klappt es nichtmal am Wochenende. Jetzt kann ich nur dann kochen, wenn jemand meinetwegen einen Nervenzusammenbruch erleidet. Irgendwie ist das schon traurig. „Sasuke?“, höre ich aus dem Nachbarzimmer. Naruto ist wach geworden. „Warum riecht es hier so gut?“ „Ich hab gekocht.“ „Ach, wie cool!“ Er kommt rein, lächelt mich müde an und setzt sich mir gegenüber. „Vielen Dank.“ „Kein Ding.“ Das Gespräch hat abrupt aufgehört. Narutos Blick ist starr auf einem Punkt fixiert. Seine Augenlider sind angeschwollen. Er wirkt leicht verschlafen und desorientiert. „Willst du was essen?“, frage ich leise. „Ummm“, murmelt er bestätigend. „Na dann…“ Ich begebe mich zum Herd und mache ihm einen Teller fertig. „Bitte schön.“ „Iss mit mir zusammen“, rutscht ihm plötzlich aus. Ich habe nicht verstanden, ob es eine Aufforderung war. „Ich möchte das Gefühl kriegen, dass wir ein echtes Paar sind.“ Ich lächele kurz und besorge mir gleich einen Teller. „Besser?“ „Ja. Guten Appetit!“ Und nun essen wir. In peinlicher Stille, die durch gelegentliches Suppenschlürfen unterbrochen wird. Wie ein normales Paar wirken wir erstmal nicht. „Geht’s dir wieder einigermaßen gut?“ Ich versuche ein Gespräch einzuleiten. „Ummm“, murmelt er wieder. „Was soll denn das bitte heißen?“ Ich werde wieder etwas neckisch. „Ja heißt es“, spricht er begeisterungslos. Mein Neckisch scheint an dieser Stelle voll unangebracht zu sein. Verständlich. „Achso. Das freut mich echt“, hauche ich nur leise. Wir versinken wieder in die Stille. Jeder ist für sich. Es ist keine besonders einladende Atmosphäre. Naruto geht es augenscheinlich überhaupt nicht gut, obwohl er gerade eben das Gegenteil behauptet hat. Er wühlt konzentriert in der Suppe und fischt daraus eine einzige Nudel. Dann befördert er sie in den Mund und der Vorgang wiederholt sich. Es sieht richtig anstrengend aus. Jede Bewegung kostet Mühe. Er ist richtig kaputt. „Ich wollt nur sagen, dass es mir super gut schmeckt“, fügt er nach einer Weile hinzu. „Ich hatte schon lange nicht mehr so einen leckeren Ramen gegessen.“ „Wenn du damit zufrieden bist, freue ich mich.“ „Du musst auch essen, sonst klappt das nicht mit dem echten Paar.“ Zum ersten Mal seitdem er aufgewacht ist, schaut er mich direkt an. Diese wunderschönen blauen Augen! Sie verhexen mich immer wieder. Diesmal strahlen sie eine hauchdünne sanfte Traurigkeit aus. Er scheint meine Trennungsabsichten ganz intuitiv spüren zu können, denn dieser Blick vermittelt Endzeitstimmung. Es wird nicht besser und es gibt kein Zurück. Es ist vorbei. Ob ihm das völlig bewusst ist? Ich weiß es nicht, aber sein Körper scheint darauf zu reagieren. Sein Kopf hängt tief. Seine Schulter sind eingesackt. Seine Hände zittern. Jedesmal, wenn er weitere Nudel aus der Schüssel rausfischt, produzieren seine Stäbchen ein schrilles unangenehmes Geräusch. Sein Blick ist weiterhin auf einem Punkt strengst gefesselt. Ich nehme ihn bei der Hand — er reagiert gefühlt eine Ewigkeit später mit einem müden Lächeln. Jeder Reiz wird schmerzhaft und teuer in seinem Gehirn verarbeitet. Es sieht so aus, als ob ihn das Denken zu dieser Sekunde unglaublich anstrengt. Keine gute Gelegenheit um über eine Trennung zu reden. Ich muss es trotzdem tun. Aber erstmal soll er seinen Ramen zu Ende essen. Einiger Zeit später sitzen wir umarmt auf der Couch in völliger Stille. Neben uns brennt eine kleine alte Tischlampe als einzige Lichtquelle. Ihr schwaches flimmerndes Licht ändert an der Raumbeleuchtung nicht wirklich was — der Raum ist immer noch ziemlich düster. Trotzdem ist dieses kleine beinahe sterbende Licht unglaublich warm. Es macht den übrigen grimmen Rest dieses dreckigen Wohnzimmers ein wenig gemütlicher. Naruto schmiegt sich an mich an. Sein Körper strahlt eine sanfte Wärme aus. Nur dadurch würde ich die Atmosphäre in seiner sonst so unangenehmen kühlen Wohnung als „kuschelig“ bezeichnen. Dieses stumme Sitzen ist absolut unproduktiv. Normalerweise sitze ich nie solange rum, ohne etwas zu tun. Doch anscheinend hatte ich sowas seit langem extrem nötig. Ich fühle, wie sich die Umgebung um mich herum entschleunigt. Solche Momente sind echt zur Seltenheit geworden, seitdem ich im Vorstand bin. Mich beschäftigt immer irgendwas — Unternehmensstrategie, Förderungsprogramme, Mitarbeitermanagement, zahlreiche millionenschwere Klagen sowohl gegen uns als auch gegen andere — das Nötige bitte unterstreichen. Auf Dauer verursacht das Wirr im Kopf. Gedankenmüll. Anscheinend konnte ich in den letzten fünf Jahren nie richtig klar denken, denn in dieser Sekunde spüre ich einen deutlichen Unterschied. Ich bin wach. Mein Gedankengang ist stringent, schlüssig und sehr ruhig. Plötzlich kann ich mein Leben von ganz oben betrachten. Ich kümmere mich um die Probleme, die im Endeffekt eh keinem wirklich wichtig sind. Und wofür? Für die Firma? Für meine Familie? Für mich? Oder doch fürs Geld? Vermutlich für all das und wahrscheinlich noch für vieles mehr. Aber lohnt sich das? Was habe ich am Ende? Einen bunten Bericht mit beeindruckenden Kennzahlen und eine satte Aufwandsentschädigung. Meine Familie sehe ich effektiv nur noch am Samstag, weil ich Freitag meistens gegen 19 Uhr Schluss mache und am Montag schon wieder um 7 da sein muss. Dabei funktioniert meine Ehe schon seit langem nicht so richtig. Sakura und ich… tja, entweder besprechen wir irgendwelche Probleme — Kinder, Haus, Urlaub, Autowerkstatt — oder wir streiten uns. Wir kommunizieren also entweder fast schon geschäftlich oder absolut ungesund und scheinbar will auch niemand von uns etwas daran ändern. Zumindest habe ich nichts davon mitbekommen. Stattdessen flüchten wir. Entweder verhalten wir uns passiv-aggressiv, so wie Sakura, oder wir zerstören uns selbst, so wie ich. Das Traurigste dabei ist, dass unsere Ehe mir immer noch sehr viel bedeutet. Sakura war schon immer der wichtigster Mensch in meinem Leben. Sie ist eine Frau von unglaublicher Charakterstärke und dafür respektiere ich sie. Ich kenne sie, seitdem sie 13 ist. Seitdem sie 18 ist, ist sie meine Partnerin. Unsere Beziehung ist schon 22 Jahre alt und die meiste Zeit davon waren wir ein echt cooles Team. Wir haben uns unser gemeinsames Leben nach und nach schöner gemacht, zuerst zu zweit, danach zu dritt und dann zu viert. Sie war der primäre Treiber von den wichtigsten Sachen in meinem Leben: meiner Karriere, meiner Familie, meines geistigen Wohlbefindens. Ohne ihre Unterstützung wäre ich einfach nicht ich geworden. Und dafür liebe ich sie noch heute, selbst wenn unsere Ehe in die Brüche geht. Irgendwo auf diesem Weg sind wir katastrophal falsch abgebogen, sodass ich genau hier gelandet bin, in den Armen meines 23-jährigen Assistenten, mit dem ich sie schon seit einem Jahr betrüge. Diese Affäre ist ein absoluter Fehler. Damit habe ich allen Beteiligten einen extremen Schaden zugefügt. Bravo, Sasuke! Gut gemacht! Was kann man noch dazu sagen? Ich seufze. Ist meine Lage miserabel? Ja, ist sie. Bin ich daran schuld. Ja, bin ich. Ist meine Ehe noch zu retten? Keine Ahnung. Vielleicht. Ich hoffe zumindest darauf, denn ich bin jetzt fest entschlossen, es zu versuchen. Sakura und ich, wir dürfen uns noch nicht aufgeben. Dafür muss ich zwingend Naruto loslassen. „Naruto,“ rufe ich ihn leise beim Namen. „Ja?“, erwidert er, ohne die Augen hochzuheben. „Es gäbe da eine Sache, die wir besprechen müssten“, fange ich vorsichtig an. „Welche?“ Plötzlich wird mir die Kehle fest zugeschnürt. Nein, nicht schon wieder! Komm, Sasuke, sag es ihm endlich! Los! Meine Arme schließen ihn automatisch fester um und ein Klumpen bildet sich in meinem Rachen. Mein Körper weigert sich, die verhängnisvollen Worte auszusprechen. Ich habe eine tierische Angst, ihn schon wieder zu verletzen. Wahrscheinlich werde ich nicht drum herum kommen und es ist ein mieses Gefühl. Aber eine bittere Wahrheit ist besser als eine süße Lüge. Ich darf ihn nicht weiter hoffen lassen. Ich hole tief Luft, nun leider habe ich zu dieser Sekunde das Sprechen verlernt. Ich mache die Augen zu und versuche ruhiger zu werden. Los, Sasuke! Du musst es tun! JETZT! Mit all mir zustehenden Kraft presse ich die bröckeligen Worte kräftig aus dem Inneren meiner Lunge. Der Klumpen in meinem Rachen bewegt sich schmerzhaft. „Wir müssen das zwischen uns beenden.“ Der Satz rollt endlich von meiner Zunge. Und Narutos Herz zersplittert in tausend kleine Scherben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)