Willkommen im Bittersweet von Lycc ================================================================================ Kapitel 8: Ginkgo ----------------- Raven sorgte engagiert dafür, dass ihre Gläser nie lange leer blieben, und daher dauerte es nicht lange, bis Aiden den berauschenden Schwindel des Alkohols spürte und sein Unbehagen mehr und mehr davon verdrängt wurde. Recht schnell fand er sich mit Reel zwischen all den anderen Feiernden auf einem der Floors wieder, legte seine Scham ab und übergab das Steuer an den Whisky-Cola, den er grade ausgetrunken hatte. Niemand kannte ihn hier, keiner würde über ihn urteilen und nicht eine einzige Menschenseele in dieser Masse aus Körpern erwartete irgendwas von ihm. Also warum sollte er nicht einfach mal seine Außenwirkung und seinen Ruf vergessen und sich so geben, wie er sich wirklich fühlte? Reel schien es da ganz ähnlich zu gehen. Mit einer Eleganz, die Aiden ihm bei dieser Musikrichtung so gar nicht zugetraut hatte, und der Selbstsicherheit, die er bereits von ihm kannte, bewegte Reel seinen Körper – nichts schien selbstverständlicher oder einfacher für ihn zu sein und diese lockere Mühelosigkeit hatte etwas Ansteckendes an sich. Benebelt vom Alkohol, beschwingt von der Musik und ermutigt von Reels freizügigen Bewegungen ließ Aiden sich ebenfalls zu zunehmend offenerem Tanzen verleiten. Sorgenfrei ließ er sich vom Rhythmus der Musik und irgendwann ganz unbewusst von Reels Händen führen, der in der Enge der Menschenmasse immer näher kam. Seine Finger strichen bemüht beiläufig über Aidens halbnackte Oberarme und ließen einen angenehmen Schauer durch seinen gesamten Leib wandern. Seine hellen Augen hefteten sich immer unverhohlener auf den jugendlichen Körper vor sich und fingen Aidens Blick dabei unwillkürlich ein. Der Alkohol raubte Reel die Sinne, den Verstand und schließlich auch die Selbstbeherrschung – genau darum trank er normalerweise nicht so viel, aber jetzt war es zu spät. Seine Hand ruhte bereits auf Aidens Wange und ehe er es sich versah, trafen seine Lippen auf dessen Mund. Erschrocken weiteten sich Aidens Augen. Er hatte erahnt, was Reel vorhatte, aber sein Körper und Verstand waren einfach erstarrt. Er konnte ihn nicht rechtzeitig abwehren und wenn er endlich mal ehrlich zu sich war, wollte er ihn auch gar nicht abwehren. Sein Körper regierte ganz instinktiv – er schloss die Augen, seine Finger krallten sich in Reels Oberteil und seine Lippen gingen bereitwillig auf das Spiel ein, während Reel ihn gierig näher zu sich zog. Dessen Zunge glitt fordernd über Aidens Lippen und spaltete sie vergnügt um sich Einlass zu verschaffen. Aiden konnte spüren, wie Reel seine Mundhöhle in Besitz nahm, und als er sich auf das Zungenspiel einließ, bemerkte er eine interessante, kleine Metallkugel. Reel trug also auch dort ein Piercing – das war Aiden bisher gar nicht aufgefallen, aber es machte ihren Kuss um einiges spaßiger. Vergnügt umspielte Aiden die kleine Kugel mit der Zunge und kostete Reels reizvollen Geschmack voll aus. Wenn er morgen wieder nüchtern, klar und im Vollbesitz seiner geistigen Fähigkeiten war, würde er das hier sicherlich bereuen, aber jetzt gerade war es ihm schlichtweg egal. Reel schmeckte einfach zu gut, seine Lippe fühlten sich so berauschend an und seine flinken Finger wanderten frech unter den Saum von seinem geliehenem Oberteil. Aiden verschränkte inzwischen seine Arme in Reels Nacken und schmiegte sich gierig näher an ihn. Zwischen zwei Küssen legte Reel schließlich seine Stirn an Aidens, hielt sich schwankend an ihm fest und kicherte beschwipst. Sein Gleichgewichtssinn wurde schlechter und Aiden musste schnell schalten um ihn mit Mühe und Not noch festzuhalten. „Reel? Alles okay? Du siehst irgendwie nicht so gut aus“, fragte Aiden besorgt und konnte der Farbe in Reels Gesicht quasi beim Verschwinden zusehen. Der hielt sich nun gequält den Schädel und sah zu Boden. Verdammt, er hatte seinen Pegel nicht nur erreicht, sondern bei Weitem überschritten. Was für ein beschissenes Timing. „Sollen wir kurz raus?“ Reel nickte abwesend und stützte sich schwer auf Aiden, der ihn mühsam zur Tür geleitete. Draußen lehnte Reel sich gegen die Hauswand, drehte sich von Aiden weg und übergab sich schließlich. 'Na toll. Ich hab ja echt ne eigenwillige Wirkung auf ihn. Oder ich küsse wirklich schlecht', dachte Aiden still bei sich, während er Reel beruhigend den Rücken streichelte. „Wir gehen wohl besser heim, was?“ Reel nickte schwach und wich beschämt Aidens Blick aus. „Tut mir leid. Ich vertrage Alkohol nicht besonders gut.“ „Schon okay. Hier.“ Beschwichtigend reichte er ihm ein Taschentuch, legte sich dann Reels Arm über die Schultern und brachte ihn zu Fuß und in quälend langsamem Tempo zurück in die kleine Wohnung. Die drei Treppen erwiesen sich ebenfalls als schweres Hindernis, aber irgendwann standen die beiden endlich vor der Wohnungstür und Aiden fischte etwas peinlich berührt in Reels Hosentasche nach dem Schlüssel. Kaum hinter der Tür führte Reels erster Weg ins Bad. Aiden blieb an seiner Seite, streichelte ihm beruhigend über den Rücken und passte auf, dass Reel nicht das Gleichgewicht verlor. Schwer ließ der sich schließlich auf den Wannenrand sinken und stützte sich an der Wand ab, während Aiden geistesgegenwärtig einen Zahnputzbecher mit Leitungswasser füllte und ihm reichte. „Ich trinke nie wieder Alkohol.“ „Das sagen sie alle“, antwortete Aiden grinsend und setzte sich neben den leidenden Reel. „Schon etwas besser?“ „Hm“, brummte der bestätigend. „Ich bin müde. Ich putze nur noch Zähne und dann will ich ins Bett.“ „Alles klar. Ist dir noch schlecht?“ „Ja, aber ich glaub, ich hab nichts mehr im Magen, was ich noch loswerden könnte.“ Unbeholfen wand Reel sich aus seinen Klamotten, ließ sie achtlos auf dem Boden liegen und verkroch sich nur mit seiner Boxershort bekleidet im Bett. Aber wann immer er seine Augen schloss, drehte sich plötzlich alles und er musste fürchten, sich erneut zu übergeben. „Können wir noch irgendwas auf den Laptop anmachen? Nur bis das Drehen aufhört?“, nuschelte er Aiden zu und der holte schnell besagtes technisches Gerät vom Schreibtisch. „Tut mir leid“, entschuldigte er sich schon wieder, als Aiden neben ihm ins Bett krabbelte. „Ist doch okay. Du bist nicht der Erste, der Einen über´n Durst getrunken hat.“ „Aber jetzt hab ich dir den Abend versaut.“ Unwillkürlich musste Aiden lachen und schlang einen Arm um Reel. „Nein, hast du nicht. Ich hatte Spaß, wirklich. Und jetzt kann ich mich wenigstens mal ein bisschen bei dir revanchieren. Sonst musst du dich ja immer um mich kümmern, jetzt kann ich mal auf dich aufpassen.“ Dankbar kuschelte Reel sich an Aidens Brust und ließ sich von ihm den Rücken kraulen, während im Hintergrund irgendein YouTube-Video dudelte. Reel nickte so langsam in seinen Armen ein, aber Aiden kam noch lange nicht zur Ruhe. So langsam wurde auch er wieder nüchterner und spielte im Geiste nochmal ihren Clubbesuch nach. Verdammt, er hatte Reel geküsst – und zwar nicht so unschuldig und unverfänglich wie beim Rauchen – er hatte seine Zunge in seinem Mund gehabt. Und es hatte ihm unglaublich gut gefallen. Was war nur los mit ihm? Geistesabwesend strich er durch Reels rabenschwarze Haare. Aiden musste sich wohl oder übel eingestehen, wovor er bisher so vehement die Augen verschlossen hatte – er empfand mehr für Reel. Für einen Mann. Und Reel empfand ihm gegenüber offensichtlich auch mehr, als nur Freundschaft. Geschlagen massierte Aiden sich das Nasenbein. War das jetzt gut, oder schlecht? Wenn Reel ihn nicht auf diese Weise mögen würde, könnte Aiden seine Gefühle einfach als chancenlos und zum Scheitern verurteilt abtun. Aber so war es eben nicht. Reel hatte ihn geküsst und er war darauf eingegangen, also musste Aiden jetzt auch dazu stehen. Dabei hatte er eigentlich mehr Zeit nötig, um sich selbst erst mal an den Gedanken zu gewöhnen und sein eigenes Selbstbild etwas anzupassen. Immerhin hatte er sich noch nie zu Männern hingezogen gefühlt, darum hatte es ihn bei Reel auch so überrumpelt und er hatte jedes Gefühl ihm gegenüber als Einbildung abgetan. Aber jetzt galt keine Ausrede mehr. Er hatte sich in den dreisten, gepiercten, tätowierten Kellner verknallt, der gerade völlig betrunken auf seiner Brust schlief. 'Und sich nach einem Zungenkuss mit mir übergeben hat', ergänzte Aiden gedanklich und mit gemischten Gefühlen. Natürlich war ihm klar, dass es am Alkohol und nicht an ihrem Kuss gelegen hatte, aber ein bisschen nagte das schon an seinem Selbstwertgefühl. Als Reel wieder die Augen aufschlug, begrüßte ihn sofort sein brummender Schädel. Ihm war schlecht, er hatte Kopfweh, schwere Glieder und das viel zu helle Tageslicht blendete in seinen Augen. Gequält stöhnte er auf und vergrub sein Gesicht wieder an... ja, woran eigentlich? Einige Male blinzelte er angestrengt und lief hochrot an, als er sich seiner Situation bewusst wurde. Er lag auf Aidens Brust, hatte die Arme besitzergreifend um ihn geschlungen und trug dabei nichts, außer seiner Unterhose. Verflucht, er hasste Alkohol und er würde nie wieder welchen anrühren. Aufstehen wollte er allerdings auch nicht. Aidens anziehender Geruch hing ihm in der Nase und dessen Arme ruhten ganz unverblümt auf seinem nackten Oberkörper. Kopfschmerzen hin oder her, diese Situation würde er so lange wie möglich auskosten. Ein paar Minuten später spürte Reel allerdings, wie eine Hand unbedacht durch seine Haare glitt und Aiden unter ihm langsam wach wurde. Reflexartig richtete er sich auf, doch sofort befiel ihn ein starkes Schwindelgefühl und er musste sich den Kopf halten. „Reel! Alles okay?“ „Ja, aber schrei doch nicht so.“ „Entschuldige“, flüsterte Aiden verständnisvoll und strich Reel über den Rücken. „Soll ich dir Wasser holen?“ „Ja, bitte.“ Aiden kletterte aus dem Bett und Reel rief ihm noch schnell eine weitere Bitte hinterher. „Kannst du kurz nach Raven sehen?“ „Mach ich.“ Vorsichtig öffnete Aiden Ravens Zimmertür und lugte hinein. Die zierliche Frau lag komplett angezogen und mitsamt ihrer Schuhe neben ihrer Decke auf dem Bett und rührte sich nicht. Bemüht leise schlich Aiden zu ihr rüber, stellte sicher, dass sie atmete, und zog ihr die Decke bis über die Schultern. Mit einem Glas Wasser in der Hand kam er wieder zu Reel, der noch immer auf seiner Bettkante saß und sich den Schädel hielt. „Sie schläft“, beruhigte er Reel und reichte ihm das Glas. Dankbar stürzte der das Wasser in einem Zug hinunter und seufzte einmal gequält. „Warum hab ich eigentlich nichts an? Und wie sind wir nachhause gekommen?“ Etwas verwirrt setzte Aiden sich neben ihn. „Ich hab dich hergebracht, nachdem du dich hinterm Club übergeben hast. Du hast dir die Klamotten vom Leib gerissen und bist ins Bett gefallen.“ Peinlich berührt schlug Reel die Hände vors Gesicht. „Verdammt. Tut mir total leid. Ich hab dir den Abend versaut.“ „Hast du nicht. Hab ich dir doch gestern schon gesagt.“ „Hast du? Tut mir leid, ich hab nen totalen Filmriss. Hab ich irgendwas dummes gemacht? Ich neige dazu mich in Schwierigkeiten zu bringen, wenn ich trinke. Darum mache ich das normalerweise nicht. Ich hab doch nicht mit irgendwem Stress angefangen, oder?“ Aiden stutzte. Konnte Reel sich etwa auch nicht mehr an ihren Kuss erinnern? Das würde ja bedeuten, dass Aiden doch noch die Zeit bekommen könnte, die er brauchte. Auf der anderen Seite könnten seine Avancen auch nur dem Alkohol entstiegen sein, aber darüber würde Aiden sich später den Kopf zerbrechen. Die Zeit dazu hatte er ja jetzt unerwarteterweise doch. „Nein. Du hast nichts angestellt“, antwortete Aiden daher mit einem beruhigten Schmunzeln. „Na ein Glück.“ Reel seufzte schwer und hielt sich wieder den Schädel. „Darf ich dich nochmal losscheuchen? In einem der Küchenschränke ist ein Medikamentenkoffer. Holst du mir die Schmerztabletten daraus? Ich glaube ansonsten bin ich heute nicht zu ertragen.“ „Na klar. Warte kurz.“ Ganz beiläufig berührte Aiden seine Schulter und holte dann die entsprechenden Medikamente. „Danke. Tut mir leid, dass ich grade so jammervoll bin.“ Aiden lachte verhalten auf. „Ist schon okay. So hab ich wenigstens mal die Gelegenheit mich bei dir zu revanchieren. Ich hab gesehen, dass ihr noch Aufback-Brötchen habt. Soll ich die in den Ofen schieben und wir frühstücken im Bett?“ Reel hatte eigentlich nicht unbedingt Hunger, aber es würde seinen Magen beruhigen, also nickte er dankbar und sah Aiden hinterher, während der wieder in die Küche ging. „Danke. Und mach gleich ein paar mehr. Raven ist immer so unleidlich, wenn sie verkatert Hunger hat.“ „Alles klar. Mach ich.“ Aiden kannte sich inzwischen ganz gut in der Küche aus und wusste, was Reel und auch Raven gerne frühstückten, also kochte er Tee, schmiss die Kaffeemaschine an und belegte ein paar Brötchenhälften. Während er Letzteres tat, schlurfte Raven hinter ihm in die Küche. „Aiden, du bist ein Schatz. Ein Engel. Ein Goldstück. Ein absoluter Lebensretter.“ Sichtlich verkatert, mit verschmiertem Make-Up und heiserer Stimme stahl sie sich ein Brötchen und goss sich eine Tasse des frisch aufgebrühten Kaffees ein. „Wie geht’s Reel? Er hat für seine Verhältnisse wirklich viel getrunken“, fragte sie nachdem sie ein paar mal von ihrem Brötchen abgebissen und die Hälfte ihrer Tasse geleert hatte. „Der ist total verkatert, hat Schmerztabletten genommen und wartet grade im Bett.“ Verhalten begann Raven zu kichern und legte Aiden eine Hand auf die Schulter. „Sieht ihm ähnlich. Pass bloß gut auf mein Brüderchen auf. Der ist viel pflegebedürftiger als er sich immer gibt.“ Raven nahm den Teller mit Brötchen und den Kaffee, Aiden die Teekanne und drei Tassen, und beide liefen zu besagtem Pflegefall ins Nebenzimmer, der sich inzwischen immerhin ein T-Shirt übergezogen und sich dann wieder unter der Bettdecke verkrochen hatte. „Reel, du lebst ja noch.“ „Schrei nicht so, Raven“, beschwerte er sich und sah seine Schwester verärgert an. „Mecker mich nicht an, immerhin hab ich das Essen und den Kaffee“, neckte sie ihn und stellte beides auf den Nachtschrank. „Wirken die Schmerzmittel schon?“ Behutsam strich sie ihm die Haare aus dem Gesicht und setzte sich neben ihn. „Ja, passt schon. Scheiß Alkohol.“ „Du hast echt Glück, dass Aiden so gut auf dich aufpasst.“ Reel brummte bestätigend und schenkte ihm ein verlegenes, dankbares Lächeln, während er sich ein belegtes Brötchen vom Teller nahm. „Ja, er ist ein wahrer Sonnenschein“, ergänzte er mit einem Zwinkern und Aiden stieg das Blut in die Wangen, während er auf Reels anderer Seite ins Bett krabbelte. 'Sonnenschein' war ein kleiner Insider zwischen ihm und Reel, aber das musste kein anderer wissen. Es war ihm schon peinlich genug, dass Reel ihn mit dieser kitschigen Abwandlung seiner Namensbedeutung ständig aufzog. Die drei frühstückten zusammen, schauten Serien auf dem viel zu kleinen Laptopbildschirm und die Geschwister bekämpften gemeinsam ihren Kater, während Aiden sich um beide kümmerte. Wie es jetzt dazu gekommen war, dass der Schüler auf die beiden über 20-jährigen aufpasste, war ihm zwar ein Rätsel, aber irgendwie freute es Aiden, dass er sich auf diese Weise endlich mal bei ihnen bedanken konnte. Außerdem genoss er diesen entspannten Sonntag mit Reel und Raven auch ziemlich. Das hier fühlte sich familiärer an als alles, was Aiden innerhalb der letzten zwei Jahre mit seinen Eltern erlebt hatte, also kostete er die Gesellschaft der beiden liebenswerten Schnapsdrosseln voll aus, bevor er heute Abend wieder zurück in sein 'anderes Leben' musste. Den Rückweg zu Aidens Elternhaus fuhr Reel dieses mal auffallend langsam. Zum Einen dröhnte ihm noch immer ein wenig der Schädel und zum Anderen wollte er Aiden nicht wieder vor dem Reihenhaus absetzen, das der doch so eindeutig hasste. „Danke. Das Wochenende war echt schön“, begann Aiden mit der Verabschiedung, als er in der gepflegten Einfahrt von dem umgebauten Motorrad abstieg und Reel den Helm reichte. „Das freut mich. Du kannst gerne nächstes Wochenende wieder rum kommen. Also nur wenn du nichts anderes vorhast natürlich.“ Verlegen nahm Reel den Helm entgegen und war unglaublich froh darüber, dass sein eigener die verräterische Röte in seinen Wangen verbarg. Über Aidens Gesicht ging indes ein Strahlen und er nahm das Angebot dankbar an. „Ach ja. Das hab ich ja völlig vergessen.“ Aidens Blick hing an seinem Handgelenk, das noch immer von Reels Lederarmband geziert wurde. Unbeholfen machte er sich daran, den Verschluss zu lösen, doch Reel legte beschwichtigend eine Hand auf den Knoten. „Behalt´s ruhig. Ich hab das eh seit Ewigkeiten nicht getragen und es steht dir gut.“ „Danke.“ Kurz zögerte er, aber dann gab Aiden doch dem Impuls nach und umarmte Reel zum Abschied. „Bis Morgen.“ Fast jeden Nachmittag verbrachte Aiden im Bittersweet, fast jedes Wochenende bei den Geschwistern und ehe er es sich versah, besaß er plötzlich zwei Leben – das eine, in dem er ständig versuchten musste, der perfekte Sohn und der perfekte Schüler zu sein, der immer brav „Ja“ und „Amen“ zu allem sagte, niemandem Ärger machte und niemals negativ auffiel. Und das andere, in dem er zu Reel und den Zwillingen gehörte, von Markenjeans in schwarze Szene-Klamotten wechselte, trank, rauchte und sich mit den anderen die Nächte im Krähennest um die Ohren schlug. Die Zweiteilung war perfekt. Beide Leben spielten zwar nur in unterschiedlichen Teilen der gleichen Stadt, aber es hätten genauso gut zwei verschiedene Welten sein können. Ihr einziger Berührungspunkt war das Bittersweet-Café. Wobei das so nicht ganz stimmte, denn immer wieder schlich sich der Einfluss der Geschwister auch in Aidens normalen Alltag. Er war ein wenig selbstbewusster und tat sich weniger schwer damit, seinem Unmut hier und da auch mal Luft zu machen, anstatt ihn immer nur stillschweigend hinunterzuschlucken. Reels Armband legte er nur zum Duschen ab, damit das Leder nicht nass wurde, und den großen, flauschigen Pullover trug er immer, wenn seine Eltern ihm mal wieder zu viel wurden. Eigentlich hatte er ja vorgehabt ihm den wiederzugeben, aber er brachte es einfach nicht fertig, sich von dem kuscheligen, kleinen Rückzugsort zu trennen, und Reel hatte bisher nicht danach gefragt, also behielt er ihn vorerst. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)