Wegweiser von rokugatsu-go ================================================================================ Kapitel 8: Karma ---------------- Sasuke hoffte inständig, dass Sakura ihm nichts anmerkte. Seit sie Komidori verlassen hatten, waren gut sieben Monate vergangen und sie hatten wie geplant die Orte aufgesucht, in denen Sasuke noch einmal nach dem Rechten hatte sehen wollen. Ein Ort war von Raubüberfällen geplagt gewesen, doch seit Sasuke Uchiha persönlich sich darum gekümmert hatte, hatte sich keine Bande auch nur mehr in die Nähe des Ortes getraut. Ein anderes Dorf war einst von einem Erdrutsch verschüttet worden und dort hatte er geholfen, einen Schutzwall gegen eventuelle zukünftige Erdrutsche zu errichten. Hier und da auf ihrem Weg halfen sie weiteren Menschen und bei jeder Begebenheit dieser Art bemerkte Sasuke das Lächeln seiner Frau. „Ich bin stolz auf dich“, hatte sie ihm gesagt und auch wenn es ihn in seinem tiefsten Innern berührt hatte, hatte er ihr als Antwort darauf nicht mehr als ein Kopfschütteln gegeben. Er hatte nicht das Gefühl, dass er stolz sein durfte auf das, was er bisher geleistet hatte. In seinem Kopf herrschte die Überzeugung, dass es noch so viel mehr gab, das er tun musste, um seine Untaten zu sühnen. Was in seinem Kopf in letzter Zeit auch herrschte, war nackte Angst. Sakura sollte davon nichts merken, aber feinfühlig wie sie war, befürchtete er, dass sie dies längst tat. Sasuke freute sich auf das Kind, doch viel mehr hatte er Angst, dass irgendetwas schief gehen könnte. In seinem Leben war nicht allzu viel glücklich verlaufen und mit jedem Tag, an dem das Kind in Sakura wuchs, fürchtete er mehr und mehr, dass sich dieses Schicksal auf sein Kind und seine Frau übertragen würde. Das Schlimmste war, dass er nichts gegen diese Angst tun konnte und nichts hasste er so sehr, wie sich hilflos zu fühlen. Mitten im Nirgendwo, in einem Wald, der über zwei Tage Fußmarsch vom nächsten Ort entfernt war, holten ihn seine Angst und die ihm so verhasste Hilflosigkeit ein. Bis dato hatte Sakura ihn immer wieder beruhigt, dass es noch über einen Monat bis zur Geburt war und er sich deswegen keine Sorgen machen sollte. Doch dann, wie aus dem Nichts, mitten in diesem verlassenen Nirgendwo, schrie Sakura plötzlich vor Schmerzen auf. „Was ist?!“ „Ich weiß es nicht.“ Sakura atmete mit einem Mal viel schneller, sie hatte offensichtlich Schmerzen. „Irgendetwas … stimmt nicht.“ Behutsam half er ihr, sich auf den Boden zu setzen. „Irgendetwas stimmt nicht“, war das Letzte, was er hören wollte, wenn er sich sowieso schon verloren fühlte. „Das … das könnten Wehen sein“, fügte Sakura hinzu und Sasuke versuchte, die Übelkeit zu unterdrücken, die vor Panik in ihm hochstieg. „Aber das ist zu früh!“ Ihm war bewusst, dass er sie anfuhr, obwohl sie nichts für diese Situation konnte. „Ich weiß“, presste die Kunoichi gequält hervor, während sie sich bemühte, ihre Atmung zu regulieren. „Das kann ... passieren, es muss nichts … heißen ...“ Sie sah, wie Sasuke immer bleicher wurde. „Wir dürfen nicht ... in Panik geraten ... okay?“ Sie griff nach seiner Hand und drückte diese fest. Entgeistert starrte er sie an. Wenn Sakura davon sprach, nicht in Panik zu verfallen, dann war das ein eindeutiges Warnsignal, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Und er war die einzige Hilfe, die sie hatte. Er war für sie verantwortlich. Er musste einen kühlen Kopf bewahren. Er musste nachdenken. Was sollte er jetzt tun? Nein, das half nichts. Was konnte er tun? Was gab es, das er tun konnte? Das musste er sich überlegen. Sie brauchten Hilfe von jemand anderem. Entgegen ihrer Annahme schien es, dass Sakura dies nicht alleine schaffte, besonders wenn es irgendwelche Komplikationen gab. Woher sollte- nein, woher konnte er hier Hilfe bekommen? Vor seinem geistigen Auge rief Sasuke sich ins Gedächtnis, wo sie sich in etwa befanden. Sie hatten sich auf den Weg in Richtung Westen gemacht, aber waren noch nicht so weit gekommen. Die Gegend hier kam ihm bekannt vor. Aber wann war er schon einmal hier gewesen? Und wieso? Plötzlich durchzuckte ihn ein Geistesblitz. Wenn ihn nicht alles täuschte, hatte Orochimaru nicht weit von hier ein Versteck gehabt. Wo genau wusste er nicht mehr, er war auch nur kurz mal hier gewesen, aber vielleicht … vielleicht! Es war alles, was er tun konnte. Sakura war nicht transportfähig, doch wenn sie dort war, dann könnte er sie herbringen. Doch wie standen die Chancen, dass sie zufällig gerade hier sein sollte? Das war eine aussichtslose Hoffnung, wollte Sasuke gerade denken, als er inne hielt. Sein Pessimismus war definitiv keine Hilfe. Was würden eine Knalltüte wie Naruto oder ein wirres Genie wie Kakashi in so einem Moment tun? - Alles auf diese eine Chance setzen. In Windeseile rief Sasuke seinen großen Falken herbei und schickte ihn los. „Was … was machst du?“, fragte Sakura verwirrt und dem Uchiha gefiel es ganz und gar nicht, dass ihre Stimme immer schwächer klang. Wenn ihr oder dem Kind etwas passieren würde, dann wäre dies allein seine Schuld. Und alles, was er tun konnte, war auf eine Hoffnung zu bauen, die so verschwindend gering war, dass er sie kaum Hoffnung nennen konnte. „Halte durch, Sakura“, sagte er ihr, „ich lasse nach Hilfe suchen.“ „Hilfe? Hier?“ Wenn die Kunoichi die Kraft gehabt hätte, sie hätte ihn zu gerne gefragt, was in aller Welt in seinem Kopf vorging. Panisch blickte Sasuke zum Himmel. Würde irgendein Gott ausgerechnet sein Flehen erhören? Ein Flehen von jemandem, der so in Ungnade gefallen war? Dies war alles seine eigene Schuld. Seinetwegen war Sakura hier, seinetwegen war sie in Gefahr. Er hatte sie gebeten, bei ihm zu bleiben, obwohl es klüger gewesen wäre, sie nach Konoha zurückzubringen. Wieso? Wieso traf er immer wieder die falschen Entscheidungen? Bitte, flehte er innerlich, bitte, helft nicht mir. Helft meiner Frau. Sie hat nie jemandem etwas zu Leide getan. Bitte, irgendjemand. Ich bitte euch. Ermöglicht mir nur dieses eine Wunder. Die Zeit verging zäh, während er immer wieder diese Bitte wiederholte und Sakuras Hand hielt, während sie vor Schmerzen schrie (seine Schuld, seine Fehler, seinetwegen, seinetwegen, seinetwegen) und alles, was er tun konnte, war es, die Hoffnung nicht aufzugeben. Sein früheres Ich hätte es niemals auch nur gewagt, Hoffnung zu hegen, aber sein früheres Ich war im wahrsten Sinne des Wortes ein hoffnungsloser Fall gewesen. Sein jetziges Ich jedoch wagte es zu lieben und zu hoffen und Sasuke betete, dass dies einen Unterschied machen würde. Nicht für ihn - vielleicht war da wirklich zu viel verloren – aber für Sakura und für das Kind, das er liebte, obwohl es noch gar nicht auf der Welt war. Plötzlich kreischte der Falke vom Himmel. Sasuke konnte seinen Ohren kaum trauen. Hatte es wirklich funktioniert? Sollte wirklich jemand seine Bitte erhört haben? In diesem Moment stieß Sakura erneut einen Schrei aus, der ihm durch Mark und Bein ging und Sasukes Augen schnellten zu dem landenden Falken, von dessen Rücken jemand abstieg. Sakura verstand nicht, was los war. Von wo wollte er hier Hilfe holen? Sie konzentrierte sich weiter auf ihre Atmung und durchwühlte ihr Hirn nach Informationen, die sie während ihrer Ausbildung gelernt hatte. Es war erschreckend schwierig, dies zu tun, während sie solche Schmerzen hatte, ihre Kraft immer mehr nachließ und sie, entgegen ihrer eigenen Worte, in Panik verfiel. Es ließ sich nicht leugnen. Sie hatte die Situation entsetzlich unterschätzt. „Was zur Hölle …?!“, hörte sie plötzlich eine Frau fassungslos brüllen. Sakura erschrak, als sie die Stimme zuordnen konnte und sah Sasuke schockiert an. „Karin!“, rief der Uchiha mit bebender Stimme der heraneilenden Kunoichi entgegen. „Wir brauchen deine Hilfe!“ „Das ist nicht dein Ernst!“, kreischte die Rothaarige entsetzt, als sie bei den beiden ankam. „Das … ist nicht … dein Ernst“, presste auch Sakura hervor. „Bitte, Karin, hilf ihr“, sagte Sasuke eindringlich und unbeeindruckt von dem geschockten Blick seiner früheren Kameradin und dem entgeisterten Ausdruck in den Augen seiner Frau. Karin starrte ihn einen Moment lang an, atmete durch und hockte sich dann zu ihnen auf den Boden. „Okay, was genau ist los? Außer dem Offensichtlichen.“ „Sakura hatte plötzlich starke Schmerzen und sie wird immer schwächer. Für Wehen ist es noch gut einen Monat zu früh“, erklärte Sasuke hastig. „Okay, okay, schon klar.“ Karin war nicht nur sichtlich angenervt, sondern auch nervös. „Und war irgendwas mit dir?“, wandte sie sich an Sakura. „Ich habe mich in … letzter Zeit … sehr erschöpft und … schwach gefühlt.“ „Was?!“ Sasuke wusste, dass er wieder zu laut wurde. „Davon hast du nichts gesagt!“ „Ich dachte … es wäre nichts ...“, gab die hellhaarige Kunoichi kleinlaut zu. „Wie konntest du das verschweigen?!“ „Vorwürfe sind jetzt nicht hilfreich“, stöhnte Karin. „Habt ihr ein Glück, dass ich in der Nähe war. Ich habe letztens zufällig gedacht, ich sollte noch mal nach dem Versteck sehen, sonst wäre ich gar nicht hier gewesen.“ Bei ihren Worten zog Sasuke scharf die Luft ein. War ihm tatsächlich eine höhere Macht wohlgesonnen? Oder war dies ein wirklich, wirklich großer Zufall? „Weißt du, was zu tun ist?“, fragte er wieder ruhiger. „Na ja“, antwortete die Rothaarige, „ich habe das erst einmal gemacht und das ist ewig her. Das war vor meiner Zeit bei Orochimaru. Hoffen wir also das Beste.“ Sakuras Finger krallten sich in Sasukes Hand. „Nein … nein ...“, sagte sie lediglich. „Nicht … sie.“ „Reg dich ab“, entgegnete Karin trocken. „Glaubst du, ich würde dir oder Sasukes Kind was tun? Davon hätte ich nichts.“ „Sakura“, versuchte er seine Frau zu beruhigen, „du wolltest, dass ich anderen vertraue. Jetzt musst du mir hiermit vertrauen.“ Die Angesprochene schluckte schwer. Was blieb ihr anderes übrig? „Karin“, wandte sich der Uchiha ernst an seine ehemalige Kameradin, „ich lege das Leben meiner Frau und meines Kindes in deine Hände.“ „Oh, gut, nur kein Druck“, antwortete sie. „Und deine Frau ist sie auch noch. Super. Was für ein Tag.“ Sie stöhnte laut. „ Sakura, wenn du mich beißt, sollte dich das bei Kräften halten. Und dann holen wir das Baby. Sasuke, auch wenn du danach aussiehst, fall jetzt bitte nicht in Ohnmacht. Wir brauchen dich hier noch.“ Karin krempelte ihre Ärmel hoch. „Okay, also los geht's.“   Eine für jeden der Anwesenden gefühlte Ewigkeit später, mitten in einer sternenklaren Nacht, ertönte endlich das erlösende Geschrei eines Neugeborenen. Zu ihrem Glück war das Klima, in dem sie sich aufhielten, sehr mild, sodass die Nächte auch im Herbst nicht zu kalt waren. Obwohl Sakura vollkommen am Ende war, checkte sie ihre Tochter sofort durch. „Sie scheint soweit in Ordnung zu sein. Wir haben wohl rechtzeitig gehandelt“, stellte sie erleichtert fest, während sie das Mädchen im Arm hielt. Sasuke hatte zum ersten Mal seit Stunden das Gefühl, wieder atmen zu können. „Sie ist so klein“, sagte er hörbar um Fassung ringend und den Blick auf das Kind gerichtet. „Ist das ein Problem?“ „Es macht nicht den Eindruck“, erwiderte Sakura und lächelte das schreiende Mädchen an. Das Kind schien kräftig und gesund zu sein. Vielleicht hatte es einfach nur schlechtes Timing gehabt. „So wie die schreit“, kommentierte Karin, die auch ziemlich fertig war, „wirkt sie, als sei sie in Ordnung.“ „Willst du sie mal halten?“, fragte Sakura ihren nach wie vor leichenblassen Mann, der sie daraufhin erschrocken anstarrte. „Warte kurz.“ Eilig stand Sasuke auf und verschwand hinter dem nächsten Baum, was die beiden Frauen nicht daran hinderte zu hören, wie er sich übergab. „Männer“, sagte Karin und rollte mit den Augen. „Von Sasuke hätte ich ein bisschen mehr erwartet.“ Sakura musste von neuem lächeln, auch weil endlich die ganze Anspannung von ihr abfiel und ihre Tochter sich ebenso endlich beruhigte. Sie sah zu ihrer Helferin. „Ich danke dir.“ „Pah.“ Die Rothaarige wandte ihren Blick ab. „Werd jetzt bloß nicht sentimental oder so was. Ich mag dich immer noch nicht.“ „Ich danke dir trotzdem.“ „Ja ja, schon gut.“ Karin blickte wieder zu ihr und dem Kind. „Sie sieht Sasuke ähnlicher als dir.“ Sakura unterdrückte ein Augenrollen. Sie wollte es ihr auch nicht einfach machen, oder? „Findest du? Dann wird sie bestimmt auch mal so hübsch wie ihr Papa.“ „Du solltest dir lieber wünschen, dass sie nicht seine Launen kriegt.“ Die jungen Frauen tauschten Blicke aus und mussten lachen - was Sasuke nun mitbekam, als er, sichtlich in seinem Stolz gekränkt, wieder zu ihnen stieß. „Ist alles in Ordnung?“, fragte er irritiert. Wenn Sakura und Karin zusammen lachten, dann war das mehr als verdächtig. „Bei uns schon“, antwortete Sakura und betrachtete ihn besorgt. „Und bei dir?“ „Was soll sein?“, entgegnete er hastig und wollte so wohl überspielen, was gerade geschehen war. „So hübsch. Und so anstrengend.“ Karin seufzte. „Ach so, wie heißt die Kleine eigentlich?“ Nun war es an den frischgebackenen Eltern, Blicke auszutauschen. „Äh, darüber haben wir noch nie gesprochen“, sagte Sakura schließlich und war selbst darüber erschüttert, dass sie dies versäumt hatten. Sie hatte die ganze Zeit nur daran gedacht, das Kind heil auf die Welt zu bringen. An alles, was darüber hinausging, hatte sie noch keinen Gedanken verschwendet. „Waas? Ist das euer Ernst? Ihr habt keinen Namen für sie?“ Das Kind gab grummelnde Geräusche von sich, als wäre es selbst empört über seine Namenslosigkeit. „Hast du je über einen Namen nachgedacht, Sasuke?“, fragte Sakura. „Ich dachte, du würdest einen Namen aussuchen.“ Karin seufzte lauter. „Zieht bei eurer Namenswahl gerne in Betracht, dass ICH euch geholfen habe.“ „Wir werden sie nicht nach dir benennen“, erwiderte Sasuke, während Sakura ihm vorsichtig ihre Tochter in den Arm legte. Andächtig hielt er sie im Arm und betrachtete sie, als sei sie ein Wesen aus einer anderen Welt. Das dies seine Tochter sein sollte. Nein, das musste er erst noch verarbeiten. Alles, was hier gerade geschehen war, überstieg sein Verständnis bei weitem. Dieses Mädchen war ein Wunder. „Ohne mich seid ihr ja anscheinend vollkommen aufgeschmissen“, durchbrach Karin die Stille, die aufgekommen war, während die beiden Frauen sich fasziniert dem Anblick von Sasuke mit dem Kind hingegeben hatten. „Eure beiden Namen fangen mit der Silbe 'Sa' an. Ich würde damit arbeiten.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)