Die Harmonie der Elemente von Pandora- ================================================================================ Kapitel 1: Vorgespielte Gerechtigkeit ------------------------------------- Elenoras Absätze klapperten auf der kopfsteingepflasterten Straße, während sie ihren Kopf in ein höchst interessantes Buch vertieft hatte und die Elendsviertel von Hallstatt, die Zeugen zahlloser Geschichten und Schicksale waren, durchquerte. An diesem sonnendurchfluteten Tag bewegten sich die Blätter der Bäume und es hörte sich an Flüstern. Als Elenora die Gasse durchquerte und sich einer Menschenansammlung näherte wurden die Geräusche von Menschen lauter. Verloren standen die Einwohner von Hallstatt, die verurteilt worden waren, auf einer Bühne. Eine makabre Präsentation derer, die das Unheil in diesem düsteren Viertel auf sich gezogen hatten. Die Zeit schien stillzustehen, als Elenora ihren Blick näher auf das Geschehen richtete und sich die Hand vor den Mund schlug. Ein frisch erworbenes Buch, welches die geheimnisvolle Inschrift "Elementargeister und andere Wesen" trug, entglitt ihrer Hand und fand seinen Weg auf den Boden. Das Geräusch des Aufpralls war dumpf und niemand schenkte ihm Beachtung. Unter den Verurteilten fiel ihr Blick auf ein schmutz- und blutverschmiertes Gesicht, das vertraut schien. Es war das Antlitz ihrer Schwester Helena, gefangen auf dieser Bühne des Leids. Ein verzweifeltes Verlangen, sie zu berühren, sie zu erreichen, durchzog Elenoras zitternde Hand, die sich wie von selbst ausstreckte. Sie konnte sich nicht erklären, weshalb Helena dort war. Der Abstand zwischen den Schwestern schien unüberwindlich, doch Elenoras Entschlossenheit war stärker als die räumliche Distanz. Jeder Schritt näher zur und schließlich auf die Tribüne fühlte sich an wie ein Kampf gegen sich selbst und in ihrem Inneren kam eine stumme Frage auf, die unaufhörlich an ihrem Herzen nagte: Litt ihre Schwester Qualen? Elenora vernahm nicht einmal die Geräusche der Schaulustigen und wurde von einer Schockwelle erfasst, welcher sie über die Tribüne schleuderte. Sie fiel auf der anderen Seite hinunter, doch bevor sie auf dem Boden aufschlug, prallte sie gegen einen Holzpflog. Staub wurde aufgewirbelt und verteilte sich in ihrem Haar und auf ihrer Kleidung. Ihre zitternden Finger fanden den Weg zu ihrer Stirn und berührten die pochende Wunde. Blut - wie lange war es her, dass sie sich eine Verletzung zugezogen hatte? Ein Großteil ihres Lebens war von Geborgenheit und Sicherheit geprägt gewesen. Mit einem erstickten Laut richtete sich Elenora auf und spähte hinter der Tribüne hervor. Dabei erhaschte sie einen Blick auf den Mann, der sie von der Tribüne befördert hatte, sein Blick ruhend und doch bedrohlich wie das unheilvolle Grollen eines sich sammelnden Gewitters. Seine regungslose Haltung erinnerte an einen Soldaten, der zum Kampf bereit war. Kaum hatte sie ihn entdeckt, verschwand er auch schon wieder im dichten Gewirr der Menschenmenge. Elenora nahm ihren lauten Atem wahr, ihr Blut wurde wie ein reißender Fluss durch ihre Venen gepumpt. Geschockt zuckte sie zusammen, als jemand sie von hinten packte. „Bitte… lass mich los...“, rief Elenora und versuchte und sich zu befreien, aber der Mann zog sie an sich und hielt ihr Handgelenk in seinem eisernen Griff gefangen. Das junge Mädchen wimmerte. „Was hast du vor? " flehte Elenora und in einem flüchten Augenblick erhaschte sie einen Blick auf sein Gesicht - ein Soldat, der etwa in ihrem Alter sein musste. Seine rabenschwarzen Haare schimmerten und seine dunklen Augen machten den Eindruck Geheimnisse zu verbergen. Der junge Mann lauschte gleichgültig ihren Worten, eine undurchdringliche Maske auf seinem Gesicht, während er sie ohne Zögern von der Tribüne fortzog. Sie waren bereits von Schaulustigen umgeben, die wie hungrige Beobachter jede Regung aufsaugten. "Sie ist meine Schwester...", flüsterte Elenora, ihre Stimme brach mitten im Satz. Der versteinerte Ausdruck des Soldaten schien keine Emotion zu kennen. Sie bäumte sich auf, ihre verzweifelten Versuche, sich aus dem Griff zu befreien, wurden von der unerbittlichen Stärke des Mannes vereitelt. Seine Präsenz war überwältigend, er hielt sie fest an seiner Seite, als sei sie ein aufsässiges Kind, das zur Ordnung gerufen werden muss. Elenora hatte eine Vorahnung davon, wo sie sich bald wiederfinden würde. Ein kaum wahrnehmbares Wimmern entwich den Lippen des jungen Mädchens, während sie mit aller Kraft versuchte, ihre aufsteigende Panik zu unterdrücken. Die Welt um sie herum schien zu schwinden, während sie gefangen war zwischen den Schatten der Gegenwart und den Vorahnungen einer düsteren Zukunft. Der Verräter zog sie von den engen Gassen der Stadt hinein in einen Raum, gefolgt von dem dumpfen Klang, als die Tür ins Schloss fiel. „Ein Raum, an dem Wahrheit und Lüge sich unentwirrbar vermischen“, hörte Elenora eine Stimme, die von keinem der Anwesenden im Raum stammte und die nur sie wahrnahm. Es war offensichtlich, dass sie sich einer Art Verhör unterziehen musste. Das Tummeln der Straßen von Hallstatt wich einer bedrückenden Atmosphäre. Das Büro war verwinkelt, und ein Gemälde eines gealterten Mannes in würdevollen Gewändern starrte auf die am Schreibtisch sitzende Person herab. Diese Person hatte es nicht eilig, sondern winkte Elenora mit einer Handbewegung zu sich, und diese näherte sich zaghaft. „Dein Name?“, fragte er, ließ sich jedoch nicht vom Verfassen eines Schriftstückes abbringen. „Elenora von Hohenheim.“, erwiderte sie. Die Bewegung seines Schreibgerätes verursachte Gänsehaut. „Du sitzt vor Richard von Epstein und verschwendest dessen kostbare Zeit.“ „Ich bestreite nicht, dass ich mich unerlaubt in das Elendsviertel gewagt habe, obwohl es meiner Stellung nicht zusteht. Doch ich bitte Sie, hören Sie mich an. Sir, ich hatte keine bösen Absichten." „Welche Absichten hattest du denn?" „Die Suche nach Wissen trieb mich dazu, ein Buch..." „Vor nicht allzu vielen Stunden führte ich ein gleichsam enttäuschendes Gespräch mit deiner Schwester. Ihr habt euren hochgeborenen Stand nicht in Würde vertreten.", lauteten seine Worte. Sie erreichten einen tiefen Ort in Elenoras Seele und sie spürte, wie ihre Hand sich automatisch zu einer Faust ballte. Wie oft hatte sie sich zurückgehalten? Die Frustration, die sich im Laufe der Zeit angesammelt hatte, brodelte. Jeder belanglose Vorwurf, jeder Moment, den sie hinuntergeschluckt hatte, fand sich in dieser geballten Faust wieder. „Was hat sie getan?", flüsterte Elenora, ihre Stimme vibrierte. „Wie bitte?“, erwiderte er. „Helena von Hohenheim, meine Schwester.“, sagte Elenora, überrascht über ihre eigene Vehemenz, also ob sie ihre Worte nicht mehr zurückhalten konnte. „Wir haben keine Wahl. Ich wollte nie im Lazarett arbeiten und Helena nie Soldatin sein.“ Elenora bereute die Worte in dem Moment, in dem sie ausgesprochen waren. Nun stand Richard von Epsteins Mund offen. Zum ersten Mal seit ihrem Eintreffen legte er sein Schreibgerät aus der Hand und musterte ihr Gesicht. „Weißt du, was du da sagst? Du hast dein Leben annehmlich verbracht, wie es für Hochgeborene üblich ist.“ „Dort draußen ist eine ganze Welt, die lebt und die wir ignorieren. Stattdessen verbringe ich meine Abende mit Teepartys, Empfängen und Ballnächten während ich unter tags im Lazarett Wunden versorge!“, Elenoras Worte flossen wie ein ungestümer Fluss aus ihr heraus, lange unter der Oberfläche aufgestaut und nun endlich frei. Sie träumte von Reisen, von Forschung, von einem Leben, das weit über die engen Grenzen ihres bisherigen Daseins hinausging. Schon seit ihrer Kindheit hatte eine Stimme in ihr geflüstert, dass sie für Höheres bestimmt war. Eine Forscherin, eine Denkerin, eine Verbesserin der Welt. Sie wollte ihr Leben nicht mit einem auferlegten Rang im Lazarett Hallstatt verbringen. Der Gedanke, dass Helena und sie im jeweils falschen Leben gefangen waren, beschlich sie gelegentlich. „Wir wissen zu wenig über Elementargeister, Wesen, die unsere Welt auf unbekannte Weise durchdringen - und wie viel ist uns über die Dunkelheit der Metabolen bekannt?“, sprudelten die Worte aus ihr heraus, als ob sie nicht länger zurückgehalten werden könnten. Ihre Leidenschaft für die Mysterien und die unentdeckten Wahrheiten trieb sie voran, ein brennender Antrieb, der wie ein Funke in ihrer Brust glühte. „Vielleicht kann dir Vincent mehr davon erzählen? Er ist Metabole aus Winterthur und wird zu einer Mission dorthin aufbrechen.“, höhnte Richard von Epstein. Elenora konnte spüren, wie die Blicke der Anwesenden auf ihr ruhten, besonders die des jungen Mannes, der sie verraten hatte. Stocksteif drehte sie sich, bis ihr Blick auf den seinen traf. Grüne Augen begegneten dunklen, und in diesen schien eine Welt von Geheimnissen zu liegen. In Elenoras Heimat waren jene selten, die mehrere Elemente in sich trugen. Metabolen waren so interessant wie gefährlich, ihnen wurden Geisteskrankheiten und grausame Verbrechen nachgesagt. Sie waren Werkzeuge, die von Kindesbeinen an mit brutaler Härte zu Soldaten geformt wurden oder Opfer von grausamen Verfolgungen. Als Soldaten hatten sie Folge zu leisten, die Alternative war die Verbannung aus Hallstatt und damit die Auslieferung in eine Welt die Metabolen bis zum Tod verfolgte. Elenora hatte von brutalen Hinrichtungen gehört, von schmerzvollen Verstümmelungen oder qualvollen Verbrennungen. Doch sie wusste auch, dass Metabolen, so gefährlich sie sein mochten, oft keine Kontrolle über ihre Kräfte hatten und dadurch eine Gefahr für sich selbst und ihre Umgebung darstellten. „In Winterthur gibt es nichts und Metabolen tendieren dazu sich selbst auszulöschen.“, entgegnete Vincent und seine Mine veränderte sich nicht, was ihn für Elenora unnahbar wirken ließ. „Fühlt ihr es nicht? Die Elementargeister sind im Wandel.“ Etwas in der Natur war aus den Fugen geraten, eine Störung in der Harmonie der Welt. Elenoras Herz schlug wild. Sie war bereit, in die Dunkelheit der Geheimnisse vorzudringen. Schon als Kind hatte sie Theorien entwickelt, die darauf warteten, erprobt zu werden. Richard erhob sich und beugte sich vor, als er mit Nachdruck seine nächsten Worte aussprach. "Du hast das Verbot missachtet, die Elendsviertel zu betreten, und das wird Konsequenzen haben.", sprach Richard mit einer kurzen Pause. "Deine Aufgabe ist es, die Wunden der Soldaten zu versorgen, wenn sie zurückkehren. Das und nichts anderes soll deinen Kopf füllen. Wenn du die dir übertragene Aufgabe nicht erfüllen kannst, ist deine Strafe die Verbannung.“ Mit einem schnellen Kopfnicken wies Richard Vincent an, Elenora wegzuführen. Stocksteif setzte sie sich in Bewegung. Ihre Beine wollten nicht gehorchen, als Vincent sie durch den Raum geleitete, von wo aus eine Türe eine schmale Treppe in den Untergrund preisgab. Ein beklemmender Geruch von Modrigkeit und Feuchtigkeit strömte aus der Grotte hervor, in die sie hinabstiegen. „Das könnt ihr nicht machen.“, empörte sich Elenora und wagte den ersten Schritt hinunter. Der Moment schien unwirklich. „Ich möchte nur helfen.“ „Hallstatt existiert, weil seine Bewohner ihre festgelegte Funktion erfüllen.“ Mit diesen Worten schloss Richard von Epstein die Türe hinter Elenora und sie fand sich mit Vincent in der Grotte wieder. „Bitte, was ist mit meinen Eltern und meinen Schwestern?“, flehte sie. Von Vincent hatte Elenora von Hohenheim kein Mitleid zu erwarten. Warum sollte es ihn auch interessieren? Dieses reinrassige Mädchen wusste nichts von der Grausamkeit des Lebens. Ein Mädchen aus einer Welt, die er nie erfahren würde. Ihre einzige Gemeinsamkeit war, dass Hallstatt beiden nicht gewährte wonach sie verlangten. Er war Soldat der Befehle ausführte, gleichgültig, wen er ermorden oder verraten musste. Der kleinste Fehltritt bedeutete seine Verbannung und sicheren Tod. Er kam aus dem Nichts. Elenora gehörte einer Familie von Hochgeborenen an, womit ihr Stand über seinem war. Sie setzte diese Privilegien leichtfertig aufs Spiel. Die Naivität, mit der sie die Welt betrachtete, brachte sein Blut zum Kochen. Er wünschte sich bereits am Ende der Gänge angekommen zu sein, um das Tor hinter ihr zu schließen und sie außerhalb der Stadtmauern zurückzulassen. Die Chance, durch die anstehende Mission einen höheren Rang zu erlangen, war für Vincent gering, jedoch nicht aussichtslos. Selbst wenn es bedeutete, in das Land seiner Geburt zurückzukehren, so wie viele vor ihm, und dort vielleicht sein Leben zu verlieren. Jeder hatte seiner Ansicht nach das Recht, sein eigenes Ziel zu verfolgen – genauso wie dieses Mädchen, dessen unbedachte Worte sie in diese missliche Lage gebracht hatten. „Ich weiß, dass ich ein behütetes Leben geführt habe – aber ich habe das nicht verdient...", sagte Elenora. „Du wohlbehütete Hochgeborene redest nur. Allerdings nichts, das mich interessiert.“ stellte Vincent klar und richtete zum ersten Mal Worte an sie. Seine Stimme war unerwartet. Tief und aggressiv, so als ob er jeden Moment einen Kampf austragen würde. „Bitte, bring mich nach Hause, ins Windviertel. Ich bin sicher meine Eltern könnten-“, sie blickte ihm flehend in die Augen. „Dein Schicksal liegt an dir.“, verkündete er entschlossen, bevor er die schwere Eisentüre schloss. Elenora war damit von Hallstatt verbannt. Eine Stadt, die ihr in letzter Zeit wie ein Käfig vorgekommen war. Ihr Schicksal lag tatsächlich vor ihr. Sie hatte sich zu ihren Träumen und Überzeugungen bekannt, und dieses Bekenntnis brachte Konsequenzen. Sie erwog gegen das Tor zu hämmern. Doch was würden die Soldaten auf der anderen Seite dann unternehmen? Sie konnte versuchen in die Stadt zu gelangen, damit ihre Eltern um Gnade für sie ansuchten. Oder sie konnte dem Ruf ihres Herzens folgen und Hallstatt verlassen. Elenora durchforstete ihre Habseligkeiten, bei sich hatte sie einen Rucksack und etwas Geld, sowie das einzige ihrer Besitztümer, das ihr etwas bedeutete: das Notizbuch mit ihren Schriften. Leider schien es wenig realistisch unter diesen Voraussetzungen die Grenze nach Winterthur zu erreichen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)