Die Harmonie der Elemente von Pandora- ================================================================================ Kapitel 5: Tiefe Gewässer ------------------------- Die Küche war erfüllt von einem harmonischen Ensemble aus Klängen und Gerüchen, und in diesen Momenten schien Elenora sich in einer anderen Welt zu befinden. Eine Welt, in der Notizen zu Forschungen und Thesen wurden, die nur darauf warteten, von der Wirklichkeit geprüft zu werden. Die Tage, die sie bisher in dieser Zuflucht im Höllental verbracht hatte, vergingen in einem bedächtigen, fast meditativen Rhythmus. Sie versank in den Schriften ihres Großvaters, half den Patienten, kümmerte sich um Vincent, und abends, da verlor sie sich in geistreichen Gesprächen. Es war unwirklich, dass sie sich in dieser vergleichsweisen kurzen Zeitspanne bereits lebendiger fühlte als die letzten Jahre in ihrer Heimat. Hier hatte sie die Freiheit, sich zu entfalten, und nichts schien unerreichbar. „Holst du ihn zu uns?", erkundigte sich Diane, während sie bedächtig die dampfende Suppe in einem alten, gebrauchten Topf umrührte. Elenora blickte überrascht auf und sah sie mit einem leisen Lächeln an. „Er kann im Zimmer essen", entschied ihr Großvater, dessen ruhige Autorität den Raum erfüllte. „Ich spreche mit ihm", sagte Elenora und verließ die Stube. Ihre Finger glitten sanft über die Narbe auf ihrem Bauch. Ein stummes Zeugnis ihrer erstaunlichen Heilfähigkeiten. In ihr breitete sich ein Gefühl der Dankbarkeit für die Gabe des Windes aus, die ihr ermöglicht hatte, ihre Wunden zu heilen. Ihre Schritte führten sie vor das Krankenzimmer, in dem Vincent verweilte. Die Stille hing in der Luft wie ein schwerer, geheimnisvoller Vorhang, während sie unentschlossen in der Türschwelle stand und auf das Bett starrte, auf dem Vincent saß. Ihre Augen ruhten auf seinem Rücken. Entschlossen nahm Elenora die ersten Schritte in den Raum. Die Holzdielen knarrten unter ihren Füßen. „In Winterthur gibt es keine Gerechtigkeit.", offenbarte Vincent tief in Gedanken verstrickt, als ob die Geister der Vergangenheit ihn nicht loslassen wollten. Einzelne Schneeflocken rieselten beim Fenster hinein, fingen sich in seinen pechschwarzen Haarsträhnen. „Wie konnte ich nur denken..." Sie blieb in der Mitte des Raumes stehen. Ihr Herz pochte lauter, und ein unerklärliches Ziehen durchzog ihre Brust. Der Wind, der vom geöffneten Fenster her wehte, spielte unbarmherzig mit Vincents schwarzen Haarsträhnen, während er ihm lauschte. Gleichgültig atmete er die eisige Luft ein. Der Verlust der Soldaten hatte ihn offenbar getroffen. Von keinem seiner Kollegen gab es Lebenszeichen. „Vincent", ihre Stimme war sanft, kaum mehr als ein Flüstern in der Abendstille. Er antwortete nicht, sondern blieb stumm auf dem Bett sitzen, ohne erkennbare Emotionen in seinen Augen. „Wie fühlst du dich?", erkundigte sie sich vorsichtig. Die Worte schienen seinen Panzer aus Apathie zu durchbrechen. Vincent seufzte leise, und ein Hauch von Verbitterung schwang in seiner Antwort mit. „Orientierungslos." „Der Verlust der Soldaten hat dich stark mitgenommen, nicht wahr?" „Ich habe sie alle sterben sehen, und ich konnte nichts tun.", murmelte er leise. „Dieser Mann, Constantin", begann sie behutsam, „hast du eine Vorstellung davon, welches Ziel er verfolgt? Weshalb hat er die Soldaten getötet?" Vincent antwortete nicht sofort. Sie musste zugeben, dass sie ihn provozierte und ohrfeigte sich mental dafür es nicht lassen zu können. War er eben noch ruhig, so sah man ihm die aufkeimende Anspannung nun an. Seine Finger krallten sich krampfhaft in das Bettlaken. Eine Wolke untermalte den Augenblick, indem sie sich vor den Mond schob, sodass die Hälfte seines Gesichtes langsam in Dunkelheit versank. „Dasselbe, dass alle wollen: Tote Metabolen.", erwiderte Vincent. Elenora zog die Augenbrauen zusammen. Seine Worte waren brutal und erschreckend. „Nicht alle. Ich will das nicht." Constantins Wahrheit beinhaltete offenbar, dass Metabolen Feinde waren. Der Konflikt zwischen Menschen und Metabolen überdauerte bereits Jahre und Generationen. „Was willst du von mir?", fauchte die Dunkelheit und die Adern auf Vincents Hals pulsierten. Da schwang Bitterkeit in seiner Aussage mit. Von seiner Mission hing alles ab. Doch ohne Levin und die anderen Soldaten war diese aussichtslos. „Die anderen Soldaten sind tot, und Levin ist verschwunden. Diese Mission ist zum Scheitern verurteilt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich als Metabole enttarnt werde." „Ich will das nicht hören. Die Verletzung an deiner Schulter ist schwer, aber du lebst!" Vincent berührte den Verband vorsichtig und biss die Zähne zusammen, als der Schmerz aufblitzte. „Und das soll beweisen, wie gut du Metabolen behandelst?", spottete er. „Oder willst du nur untermauern, was für eine Maria Theresia du bist? Du kannst dich nicht verteidigen und wirst in diesem Land sterben. " Elenora schluckte schwer und rang um Fassung. „Wieso sagst du...?", ihre Stimme brach. Seine Worte gingen tief. Für Elenora verkörperte Vincent die Kraft und Perfektion eines Soldaten, gemischt mit der Raserei und dem Hass eines Metabolen - eine einzigartige Kombination. „Zumindest interessiert mich mehr als mein Rang.", fauchte Elenora verletzt zurück. Mit einem plötzlichen Anflug von Wut erhob er sich, überbrückte den Abstand zwischen ihnen und baute sich in voller Größe vor ihr auf. Elenora schüttelte den Kopf. Bei seinen Verletzungen war zu erwarten gewesen, dass er mehrere Tage im Krankenbett verbringen würde. Sie fragte sich, ob der Grund für sein Verhalten war, dass er sich keine Schwäche erlaubte. Weshalb ignorierte er sonst seine Gesundheit? Seine Haltung und das wütende Beben seiner Schultern signalisierten Gefahr und Unberechenbarkeit. Sie wünschte sich, auch nur einen Funken Dankbarkeit in seinem Gesicht zu erkennen, fand jedoch nur Zorn. Dann ging er an ihr vorbei, doch Elenora wich nicht zur Seite, sie leistete Widerstand. „Geh mir aus dem Weg.", sagte er und entblößte bedrohlich seine Zähne. „Nein! Nicht, solange du mir nicht sagst, was du jetzt vorhast.", beharrte sie. Sie war noch nicht fertig mit ihm, solange das Chaos drohte ihn zu verschlingen. Sie wollte sehen, wie weit er gehen würde. Konnte sie die Dunkelheit in ihm so einfach hervorlocken? „Was willst du von mir?", sagte Vincent. Die Ruhe vor dem Sturm. Es war offensichtlich, dass ihn sein derzeitiger Zustand an den Rand seiner Geduld trieb und dass Elenora die Situation zusätzlich verschärfte. Er konnte nicht länger an diesem Ort verweilen. Solange er lebte, würde ihm niemand seine Würde nehmen. Ihr unausstehlicher Drang sich ihm aufzuzwängen, brachte sein Blut zum Kochen. Seine Pupillen zuckten hin und her. „Ich verstehe, dass es dir nicht gut geht, Vincent", begann Eleonora, „aber ich wollte dir vom ersten Moment an nicht böses und habe dir das Leben gerettet." „Ich habe dich nie um irgendetwas gebeten", spie er. Es war weder seine Absicht, hier bei ihr zu sein, geschweige denn, ihre Fragen zu beantworten. Ihre Faszination für Metabolen war ihm völlig unbegreiflich. Er fühlte sich wie ihr Versuchskaninchen. Sein erster und drängendster Wunsch war Rache, sobald er wieder bei Kräften war. Da war das Chaos in ihm, das zunehmend Macht über ihn gewann. Wie befriedigend es wäre, Constantin bei lebendigem Leib zu verbrennen. Doch das Chaos würde ihn verschlingen, wenn er sich auf diesen Weg begab. Elenora seufzte und erwiderte mit einer Mischung aus Enttäuschung und Unverständnis: "Vincent, du hast mich in Hallstatt verraten, und du schuldest mir dafür eine Erklärung. Aber du scheinst dich nur für deine eigenen Angelegenheiten zu interessieren." „Provozier mich nicht.", er ballte die Fäuste, um seine Wut irgendwo hin abzuleiten. „Lass uns unten etwas essen, damit du wieder zu Kräften kommst.", versuchte sie, die Spannungen zwischen ihnen zu lösen. „Du sagt mir ständig was ich zu tun habe.", stieß Vincent bedrohlich hervor. Grob packte er ihren Ellenbogen und zwang sie, ihren Arm zu heben. Sie stieß ein schmerzhaftes Keuchen hinter zusammengebissenen Zähnen hervor. „Ich bin dein Feind." Tränen bahnten sich unaufhaltsam einen Weg über ihre Wangen und tropften schließlich auf Elenoras Kleidung. Die Situation war unkontrollierbar geworden. Ihr Magen brannte, wenn sie daran dachte, dass er diese Reaktion auslöste und es nichts gab, womit sie sich schützen konnte. Schlagartig ließ Vincent sie los als hätte er sich an ihr verbrannt. Es war nicht seine Absicht sie zu verletzen und er war zu weit gegangen. Zwar störte er sich nicht daran mit direkten Worten oder Taten, die er als richtig erachtete, zu verletzten. Doch tief in seinem Inneren spürte er, dass das Chaos bereits Besitz von ihm ergriff. „Elenora?", erstarrte er, seine Tonlage hatte sich verändert. Verwirrt hob sie den Kopf, wischte sich Tränen aus dem Gesicht. „Was ist?", spie sie ihm entgegen. „Jemand ist hier..." „Wer?" „Das weißt du so gut wie ich. Ein Reinigungsritual! Sie kommen mich holen." Mehrere Schüsse drangen durch das dünne Holz der Eingangstür des Raumes. Einer davon straff Vincent scheinbar am Bein. Fluchend berührte er die Stelle. „Komm.", presse Elenora hervor, ihre Nerven waren zum Zerreißen angespannt. Sie kam an seine Seite, um ihn zu stützen, doch Vincent schlug bestimmt ihre Hand weg. Lieber starb er, als sich diese Blöße zu geben. Elenora zuckte zusammen als die Holztüre nachgab und aus den Angeln vor ihre Füße fiel. Zwei Männer stürzten herein und Elenora blickte in den Lauf eines Holzgeschosses. Eine flüchtige Bewegung am Abzug bedeute ihr Ende. „Der Metabole!", schrie der Stämmigere der Beiden. Elenora blieben die Worte im Hals stecken, ehe sie ein schwaches „Wieso?", erwiderte. Der Mann benutzte das Holzgeschoss wie einen Schlagstock und traf Elenora damit, sodass sie zu Boden stürzte. Blut tropfte von ihrer Schläfe herab. Hatte sie in Hallstatt das Gefühl des Kampfes noch ersehnt, so bereute sie nun ihre Naivität. Die plötzliche Wut und die nachfolgende Gewalt des Mannes waren für Elenora unbegreiflich und erschütternd. "Bleib liegen, wir wollen nur den Metabolen", zischte der Angreifer erneut, und sein Gesicht war von Kälte und Entschlossenheit gezeichnet. Sie war sich sicher, dass dieser Mann Vincent nicht persönlich kannte. Elenora rang nach Atem, während ihr klar wurde, was gerade geschah. Sie waren hier wegen Vincent. Sie würden ihn jetzt nach draußen zerren, und auf einen Scheiterhaufen lebendig verbrennen oder eine andere grausame Art der Hinrichtung wählen. Jemand in der heutigen Gruppe von Patienten hatte möglicherweise verraten, dass er hier war. Vielleicht war es auch Diane gewesen, doch im Augenblick spielte das keine Rolle. Elenora hatte bereits eine Metabolen Verbrennung erlebt. Vincent mochte ein schwieriger Mensch sein, doch deshalb verdiente er gewiss nicht den Tod. Sie hätte in diesem Augenblick den Mund halten können, doch sie konnte einfach nicht den Blick von Vincent abwenden. Es war nicht seine Schuld. Er mochte ein egoistischer Eisklotz sein, doch vielleicht hatten ihn die Umstände dazu gemacht. Er war als Metabole geboren und niemand hatte eine Wahl in dieser Angelegenheit. Er verdiente es nicht, deswegen zu sterben. Doch ohne den Schutz der anderen Soldaten würde die Zivilbevölkerung ihn töten. Ein sinnloser Tod von vielen. Ihre Blicke trafen sich, und in diesem Moment waren sich beide bewusst, dass ihre Schicksale auf unerklärliche Weise miteinander verknüpft waren. Elenora würde sich nie mit der Situation abfinden, und er war auf sie angewiesen. Sie blickte ihn an und er erwiderte ihren Blick. In diesem Augenblick waren sich beide bewusst, dass ihre Schicksale auf unerklärliche Weise miteinander verflochten waren. Elenora würde sich nie mit der Lage abfinden und er war auf sie angewiesen. Heftig ausatmend kombinierte Elenora ihre Möglichkeiten und kam zu dem Schluss, dass eine Flucht aus dem Fenster ihre beste Option war. Plötzlich erhellte eine heftige Feuersäule den kleinen Raum und verfehlte den Angreifer knapp. Vincents Angriff hatte die Angreifer abgelenkt und Elenora wusste, dass es Zeit für eine Flucht aus dem Fenster war, und zwar jetzt. Sie lief darauf zu und sprang gemeinsam mit Vincent hinaus. Katzengleich landete Elenora auf der Schneedecke, das Windelement ermöglichte eine elegante Landung. Vincents blutendes Bein hingegen konnte ihn nicht stützen. Sein Körper zuckte, als er zu Boden gezogen wurde, und sein Schmerzensschrei war ohrenbetäubend. Elenora zuckte zusammen, drehte sich um und sah, wie das Lazarett ihres Großvaters und seine Manuskripte in Flammen aufgingen. Männer standen um das Gebäude. Es waren zu viele, eine ganze Meute. Sie betete, dass ihrem Großvater nichts passiert war, und dann lief sie mit Vincent davon, denn die Männer hatten sie entdeckt. Elenora und Vincent rannten den Weg hinunter bis zum See, dessen Ufer in der Ferne nicht auszumachen war. Die Dunkelheit erschwerte ihnen die Sicht. „Du hattest recht, ich werde sterben!", keuchte Elenora und Vincent hielt den Atem an. „Du musst die Nerven behalten.", gab Vincent nüchtern von sich. „Dort!" Er deutete auf ein Holzbrett, das in Ufernähe trieb. Elenora konnte sich kein Szenario vorstellen, in welchem ihnen dieses Holzbrett von Nutzen gewesen wäre. „Überlass es mir", fuhr Vincent fort. Elenora wollte ihm helfen und stützte ihn von der Seite, da sein Bein immer wieder nachgab. „Ich schaffe es ohne dich", stieß er sie von sich und ging voran. Mit einem geschickten Sprung landete Vincent auf dem Holzbrett, gefolgt von Elenora. Er konzentrierte sein Wasserelement, und das Holzbrett begann sich langsam vorwärtszubewegen. Elenora schluckte. Seine Beherrschung von Wind und Wasser war beeindruckend. Fluchend mussten ihre Verfolger nach einigen Schritten ins Wasser aufgeben und feuerten Schüsse ab, die in die Wasseroberfläche einschlugen. Elenora beobachtete, wie die Männer am Ufer zurückblieben und in die Ferne rückten. Der Mond thronte in all seiner strahlenden Pracht über dem Meeresspiegel und feine Nebelschwaden zogen sich über die Wasseroberfläche. Die Schönheit der Welt war in Augenblicken wie diesen grotesk. Warum hatte sie sich nur dafür entschieden ihm zu helfen? Nun war womöglich auch sie selbst auf der Abschussliste dieser Menschen und konnte nicht zurückkehren. Sie hatte ihren Großvater doch erst vor wenigen Tagen erreicht. Doch tief in ihr wusste sie, dass es ihrem Wesen entsprochen hatte Vincent zur Seite zu stehen. In ihren Augen hatte er den Tod nicht verdient. „War das ein Reinigungsritual?", fragte sie. Vincent nickte. „Sie finden überall in Winterthur statt und du hast selbst bereits eines erlebt. Das Haus wird auf Verdacht nach Metabolen durchsucht. Wenn sie einen finden, zerren sie ihn heraus und verbrennen ihn vor dem Haus." „Was für einen Grund haben sie zu töten?" „Was denkst du denn?", erwiderte Vincent unwirsch. Elenora hielt einen Moment inne und stellte dann eine weitere Frage: „Hat es etwas mit Constantin zu tun?" „Ja mit seiner Politik, und mit Hass und Angst.", antworte Vincent. Seine Worte klangen kalt und emotionslos, während er hörbar ausatmete. Es schien, als sei er nicht gewillt, das Gespräch fortzusetzen. Die Dunkelheit, die ihn umgab, wurde spürbar, als wäre sie physisch greifbar. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis das Chaos ausbrach. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)