Die Harmonie der Elemente von Pandora- ================================================================================ Kapitel 1: Vorgespielte Gerechtigkeit ------------------------------------- Elenoras Absätze klapperten auf der kopfsteingepflasterten Straße, während sie ihren Kopf in ein höchst interessantes Buch vertieft hatte und die Elendsviertel von Hallstatt, die Zeugen zahlloser Geschichten und Schicksale waren, durchquerte. An diesem sonnendurchfluteten Tag bewegten sich die Blätter der Bäume und es hörte sich an Flüstern. Als Elenora die Gasse durchquerte und sich einer Menschenansammlung näherte wurden die Geräusche von Menschen lauter. Verloren standen die Einwohner von Hallstatt, die verurteilt worden waren, auf einer Bühne. Eine makabre Präsentation derer, die das Unheil in diesem düsteren Viertel auf sich gezogen hatten. Die Zeit schien stillzustehen, als Elenora ihren Blick näher auf das Geschehen richtete und sich die Hand vor den Mund schlug. Ein frisch erworbenes Buch, welches die geheimnisvolle Inschrift "Elementargeister und andere Wesen" trug, entglitt ihrer Hand und fand seinen Weg auf den Boden. Das Geräusch des Aufpralls war dumpf und niemand schenkte ihm Beachtung. Unter den Verurteilten fiel ihr Blick auf ein schmutz- und blutverschmiertes Gesicht, das vertraut schien. Es war das Antlitz ihrer Schwester Helena, gefangen auf dieser Bühne des Leids. Ein verzweifeltes Verlangen, sie zu berühren, sie zu erreichen, durchzog Elenoras zitternde Hand, die sich wie von selbst ausstreckte. Sie konnte sich nicht erklären, weshalb Helena dort war. Der Abstand zwischen den Schwestern schien unüberwindlich, doch Elenoras Entschlossenheit war stärker als die räumliche Distanz. Jeder Schritt näher zur und schließlich auf die Tribüne fühlte sich an wie ein Kampf gegen sich selbst und in ihrem Inneren kam eine stumme Frage auf, die unaufhörlich an ihrem Herzen nagte: Litt ihre Schwester Qualen? Elenora vernahm nicht einmal die Geräusche der Schaulustigen und wurde von einer Schockwelle erfasst, welcher sie über die Tribüne schleuderte. Sie fiel auf der anderen Seite hinunter, doch bevor sie auf dem Boden aufschlug, prallte sie gegen einen Holzpflog. Staub wurde aufgewirbelt und verteilte sich in ihrem Haar und auf ihrer Kleidung. Ihre zitternden Finger fanden den Weg zu ihrer Stirn und berührten die pochende Wunde. Blut - wie lange war es her, dass sie sich eine Verletzung zugezogen hatte? Ein Großteil ihres Lebens war von Geborgenheit und Sicherheit geprägt gewesen. Mit einem erstickten Laut richtete sich Elenora auf und spähte hinter der Tribüne hervor. Dabei erhaschte sie einen Blick auf den Mann, der sie von der Tribüne befördert hatte, sein Blick ruhend und doch bedrohlich wie das unheilvolle Grollen eines sich sammelnden Gewitters. Seine regungslose Haltung erinnerte an einen Soldaten, der zum Kampf bereit war. Kaum hatte sie ihn entdeckt, verschwand er auch schon wieder im dichten Gewirr der Menschenmenge. Elenora nahm ihren lauten Atem wahr, ihr Blut wurde wie ein reißender Fluss durch ihre Venen gepumpt. Geschockt zuckte sie zusammen, als jemand sie von hinten packte. „Bitte… lass mich los...“, rief Elenora und versuchte und sich zu befreien, aber der Mann zog sie an sich und hielt ihr Handgelenk in seinem eisernen Griff gefangen. Das junge Mädchen wimmerte. „Was hast du vor? " flehte Elenora und in einem flüchten Augenblick erhaschte sie einen Blick auf sein Gesicht - ein Soldat, der etwa in ihrem Alter sein musste. Seine rabenschwarzen Haare schimmerten und seine dunklen Augen machten den Eindruck Geheimnisse zu verbergen. Der junge Mann lauschte gleichgültig ihren Worten, eine undurchdringliche Maske auf seinem Gesicht, während er sie ohne Zögern von der Tribüne fortzog. Sie waren bereits von Schaulustigen umgeben, die wie hungrige Beobachter jede Regung aufsaugten. "Sie ist meine Schwester...", flüsterte Elenora, ihre Stimme brach mitten im Satz. Der versteinerte Ausdruck des Soldaten schien keine Emotion zu kennen. Sie bäumte sich auf, ihre verzweifelten Versuche, sich aus dem Griff zu befreien, wurden von der unerbittlichen Stärke des Mannes vereitelt. Seine Präsenz war überwältigend, er hielt sie fest an seiner Seite, als sei sie ein aufsässiges Kind, das zur Ordnung gerufen werden muss. Elenora hatte eine Vorahnung davon, wo sie sich bald wiederfinden würde. Ein kaum wahrnehmbares Wimmern entwich den Lippen des jungen Mädchens, während sie mit aller Kraft versuchte, ihre aufsteigende Panik zu unterdrücken. Die Welt um sie herum schien zu schwinden, während sie gefangen war zwischen den Schatten der Gegenwart und den Vorahnungen einer düsteren Zukunft. Der Verräter zog sie von den engen Gassen der Stadt hinein in einen Raum, gefolgt von dem dumpfen Klang, als die Tür ins Schloss fiel. „Ein Raum, an dem Wahrheit und Lüge sich unentwirrbar vermischen“, hörte Elenora eine Stimme, die von keinem der Anwesenden im Raum stammte und die nur sie wahrnahm. Es war offensichtlich, dass sie sich einer Art Verhör unterziehen musste. Das Tummeln der Straßen von Hallstatt wich einer bedrückenden Atmosphäre. Das Büro war verwinkelt, und ein Gemälde eines gealterten Mannes in würdevollen Gewändern starrte auf die am Schreibtisch sitzende Person herab. Diese Person hatte es nicht eilig, sondern winkte Elenora mit einer Handbewegung zu sich, und diese näherte sich zaghaft. „Dein Name?“, fragte er, ließ sich jedoch nicht vom Verfassen eines Schriftstückes abbringen. „Elenora von Hohenheim.“, erwiderte sie. Die Bewegung seines Schreibgerätes verursachte Gänsehaut. „Du sitzt vor Richard von Epstein und verschwendest dessen kostbare Zeit.“ „Ich bestreite nicht, dass ich mich unerlaubt in das Elendsviertel gewagt habe, obwohl es meiner Stellung nicht zusteht. Doch ich bitte Sie, hören Sie mich an. Sir, ich hatte keine bösen Absichten." „Welche Absichten hattest du denn?" „Die Suche nach Wissen trieb mich dazu, ein Buch..." „Vor nicht allzu vielen Stunden führte ich ein gleichsam enttäuschendes Gespräch mit deiner Schwester. Ihr habt euren hochgeborenen Stand nicht in Würde vertreten.", lauteten seine Worte. Sie erreichten einen tiefen Ort in Elenoras Seele und sie spürte, wie ihre Hand sich automatisch zu einer Faust ballte. Wie oft hatte sie sich zurückgehalten? Die Frustration, die sich im Laufe der Zeit angesammelt hatte, brodelte. Jeder belanglose Vorwurf, jeder Moment, den sie hinuntergeschluckt hatte, fand sich in dieser geballten Faust wieder. „Was hat sie getan?", flüsterte Elenora, ihre Stimme vibrierte. „Wie bitte?“, erwiderte er. „Helena von Hohenheim, meine Schwester.“, sagte Elenora, überrascht über ihre eigene Vehemenz, also ob sie ihre Worte nicht mehr zurückhalten konnte. „Wir haben keine Wahl. Ich wollte nie im Lazarett arbeiten und Helena nie Soldatin sein.“ Elenora bereute die Worte in dem Moment, in dem sie ausgesprochen waren. Nun stand Richard von Epsteins Mund offen. Zum ersten Mal seit ihrem Eintreffen legte er sein Schreibgerät aus der Hand und musterte ihr Gesicht. „Weißt du, was du da sagst? Du hast dein Leben annehmlich verbracht, wie es für Hochgeborene üblich ist.“ „Dort draußen ist eine ganze Welt, die lebt und die wir ignorieren. Stattdessen verbringe ich meine Abende mit Teepartys, Empfängen und Ballnächten während ich unter tags im Lazarett Wunden versorge!“, Elenoras Worte flossen wie ein ungestümer Fluss aus ihr heraus, lange unter der Oberfläche aufgestaut und nun endlich frei. Sie träumte von Reisen, von Forschung, von einem Leben, das weit über die engen Grenzen ihres bisherigen Daseins hinausging. Schon seit ihrer Kindheit hatte eine Stimme in ihr geflüstert, dass sie für Höheres bestimmt war. Eine Forscherin, eine Denkerin, eine Verbesserin der Welt. Sie wollte ihr Leben nicht mit einem auferlegten Rang im Lazarett Hallstatt verbringen. Der Gedanke, dass Helena und sie im jeweils falschen Leben gefangen waren, beschlich sie gelegentlich. „Wir wissen zu wenig über Elementargeister, Wesen, die unsere Welt auf unbekannte Weise durchdringen - und wie viel ist uns über die Dunkelheit der Metabolen bekannt?“, sprudelten die Worte aus ihr heraus, als ob sie nicht länger zurückgehalten werden könnten. Ihre Leidenschaft für die Mysterien und die unentdeckten Wahrheiten trieb sie voran, ein brennender Antrieb, der wie ein Funke in ihrer Brust glühte. „Vielleicht kann dir Vincent mehr davon erzählen? Er ist Metabole aus Winterthur und wird zu einer Mission dorthin aufbrechen.“, höhnte Richard von Epstein. Elenora konnte spüren, wie die Blicke der Anwesenden auf ihr ruhten, besonders die des jungen Mannes, der sie verraten hatte. Stocksteif drehte sie sich, bis ihr Blick auf den seinen traf. Grüne Augen begegneten dunklen, und in diesen schien eine Welt von Geheimnissen zu liegen. In Elenoras Heimat waren jene selten, die mehrere Elemente in sich trugen. Metabolen waren so interessant wie gefährlich, ihnen wurden Geisteskrankheiten und grausame Verbrechen nachgesagt. Sie waren Werkzeuge, die von Kindesbeinen an mit brutaler Härte zu Soldaten geformt wurden oder Opfer von grausamen Verfolgungen. Als Soldaten hatten sie Folge zu leisten, die Alternative war die Verbannung aus Hallstatt und damit die Auslieferung in eine Welt die Metabolen bis zum Tod verfolgte. Elenora hatte von brutalen Hinrichtungen gehört, von schmerzvollen Verstümmelungen oder qualvollen Verbrennungen. Doch sie wusste auch, dass Metabolen, so gefährlich sie sein mochten, oft keine Kontrolle über ihre Kräfte hatten und dadurch eine Gefahr für sich selbst und ihre Umgebung darstellten. „In Winterthur gibt es nichts und Metabolen tendieren dazu sich selbst auszulöschen.“, entgegnete Vincent und seine Mine veränderte sich nicht, was ihn für Elenora unnahbar wirken ließ. „Fühlt ihr es nicht? Die Elementargeister sind im Wandel.“ Etwas in der Natur war aus den Fugen geraten, eine Störung in der Harmonie der Welt. Elenoras Herz schlug wild. Sie war bereit, in die Dunkelheit der Geheimnisse vorzudringen. Schon als Kind hatte sie Theorien entwickelt, die darauf warteten, erprobt zu werden. Richard erhob sich und beugte sich vor, als er mit Nachdruck seine nächsten Worte aussprach. "Du hast das Verbot missachtet, die Elendsviertel zu betreten, und das wird Konsequenzen haben.", sprach Richard mit einer kurzen Pause. "Deine Aufgabe ist es, die Wunden der Soldaten zu versorgen, wenn sie zurückkehren. Das und nichts anderes soll deinen Kopf füllen. Wenn du die dir übertragene Aufgabe nicht erfüllen kannst, ist deine Strafe die Verbannung.“ Mit einem schnellen Kopfnicken wies Richard Vincent an, Elenora wegzuführen. Stocksteif setzte sie sich in Bewegung. Ihre Beine wollten nicht gehorchen, als Vincent sie durch den Raum geleitete, von wo aus eine Türe eine schmale Treppe in den Untergrund preisgab. Ein beklemmender Geruch von Modrigkeit und Feuchtigkeit strömte aus der Grotte hervor, in die sie hinabstiegen. „Das könnt ihr nicht machen.“, empörte sich Elenora und wagte den ersten Schritt hinunter. Der Moment schien unwirklich. „Ich möchte nur helfen.“ „Hallstatt existiert, weil seine Bewohner ihre festgelegte Funktion erfüllen.“ Mit diesen Worten schloss Richard von Epstein die Türe hinter Elenora und sie fand sich mit Vincent in der Grotte wieder. „Bitte, was ist mit meinen Eltern und meinen Schwestern?“, flehte sie. Von Vincent hatte Elenora von Hohenheim kein Mitleid zu erwarten. Warum sollte es ihn auch interessieren? Dieses reinrassige Mädchen wusste nichts von der Grausamkeit des Lebens. Ein Mädchen aus einer Welt, die er nie erfahren würde. Ihre einzige Gemeinsamkeit war, dass Hallstatt beiden nicht gewährte wonach sie verlangten. Er war Soldat der Befehle ausführte, gleichgültig, wen er ermorden oder verraten musste. Der kleinste Fehltritt bedeutete seine Verbannung und sicheren Tod. Er kam aus dem Nichts. Elenora gehörte einer Familie von Hochgeborenen an, womit ihr Stand über seinem war. Sie setzte diese Privilegien leichtfertig aufs Spiel. Die Naivität, mit der sie die Welt betrachtete, brachte sein Blut zum Kochen. Er wünschte sich bereits am Ende der Gänge angekommen zu sein, um das Tor hinter ihr zu schließen und sie außerhalb der Stadtmauern zurückzulassen. Die Chance, durch die anstehende Mission einen höheren Rang zu erlangen, war für Vincent gering, jedoch nicht aussichtslos. Selbst wenn es bedeutete, in das Land seiner Geburt zurückzukehren, so wie viele vor ihm, und dort vielleicht sein Leben zu verlieren. Jeder hatte seiner Ansicht nach das Recht, sein eigenes Ziel zu verfolgen – genauso wie dieses Mädchen, dessen unbedachte Worte sie in diese missliche Lage gebracht hatten. „Ich weiß, dass ich ein behütetes Leben geführt habe – aber ich habe das nicht verdient...", sagte Elenora. „Du wohlbehütete Hochgeborene redest nur. Allerdings nichts, das mich interessiert.“ stellte Vincent klar und richtete zum ersten Mal Worte an sie. Seine Stimme war unerwartet. Tief und aggressiv, so als ob er jeden Moment einen Kampf austragen würde. „Bitte, bring mich nach Hause, ins Windviertel. Ich bin sicher meine Eltern könnten-“, sie blickte ihm flehend in die Augen. „Dein Schicksal liegt an dir.“, verkündete er entschlossen, bevor er die schwere Eisentüre schloss. Elenora war damit von Hallstatt verbannt. Eine Stadt, die ihr in letzter Zeit wie ein Käfig vorgekommen war. Ihr Schicksal lag tatsächlich vor ihr. Sie hatte sich zu ihren Träumen und Überzeugungen bekannt, und dieses Bekenntnis brachte Konsequenzen. Sie erwog gegen das Tor zu hämmern. Doch was würden die Soldaten auf der anderen Seite dann unternehmen? Sie konnte versuchen in die Stadt zu gelangen, damit ihre Eltern um Gnade für sie ansuchten. Oder sie konnte dem Ruf ihres Herzens folgen und Hallstatt verlassen. Elenora durchforstete ihre Habseligkeiten, bei sich hatte sie einen Rucksack und etwas Geld, sowie das einzige ihrer Besitztümer, das ihr etwas bedeutete: das Notizbuch mit ihren Schriften. Leider schien es wenig realistisch unter diesen Voraussetzungen die Grenze nach Winterthur zu erreichen. Kapitel 2: Kerze im Schneewind ------------------------------ „Vincent, siehst du auch manchmal was Lebendiges, wenn du in die Natur blickst?“ Die letzten Stunden der Nacht hatten die Soldaten auf ihrer Reise nach Winterthur begleitet, und die Finsternis wich allmählich dem neuen Tag. Blätter segelten von den Bäumen herab und landeten auf dem Boden. Aus der Ferne drang das Heulen eines Wolfes. Abseits der Gruppe von Soldaten marschierten Levin und Vincent. Dichte Nebelschwaden verliehen dem Augenblick etwas Mystisches. „Ich habe das Gefühl, dass kurz vor Einbruch des Winters die Nebelgeister ihren Tanz aufführen.“ „Hm.“, antwortete Vincent gedankenverloren. „Geister sehen oft aus wie Nebel, aber in Wirklichkeit sind sie irgendetwas anders, das in der Zwischenwelt haust. Wenn du einem Naturgeist begegnest, könnte er böse Absichten haben.“ Vincent seufzte leise, für seinen Geschmack war sein Freund zu redselig. „Wie lange werden wir eigentlich unterwegs sein?“, fuhr Levin fort. „Mindestens zehn Tage bis ins Höllental.“ „Mann, das könnte wirklich eine Weile dauern. Ein so langer Fußmarsch, und das Wetter wird nicht besser." Levin war sich bewusst, dass sein Freund Vincent alles andere als leicht zugänglich war. Vincent mied die Teilnahme an Gesprächen, lachte kaum, und soziale Interaktionen schienen generell wenig Reiz auf ihn auszuüben. Ganz anders verhielt es sich bei Levin, der das Leben mit einer unbeschwerten Leichtigkeit lebte. „Denkst du, wir hätten nicht bemerkt, dass du uns folgst?“, fragte Vincent plötzlich. Levin wandte seinen Blick irritiert zu ihm. Mit beeindruckender Geschicklichkeit zog Vincent sein Schwert und stieß es direkt neben Elenoras Kopf in einen Baum. Sie hatte sich hinter den dichten Büschen verborgen. Anschließend packte er sie mit seinem Arm und drückte sie gegen den Baum. Seine Bewegungen waren von einer übermenschlichen Schnelligkeit. So wurde Elenoras Vorhaben, den Soldaten von Hallstatt bis nach Winterthur zu begleiten, in einem Wimpernschlag vereitelt. Der Verräter hatte ihre Anwesenheit bemerkt und schien keinerlei Absicht zu haben, ihre Begleitung bis nach Winterthur gutzuheißen. „Vincent, das ist nur ein Mädchen.“, keuchte Levin entsetzt. Elenora rang nach Luft und protestierte: "Ich bin eine Hochgeborene." Ihr Kopf arbeitete auf Hochtouren und formte Sätze, die keinen Sinn ergaben und so schnell verblassten, wie sie kamen. Aufgewachsen in einem wohlhabenden Haus in Hallstatt, war sie weder für das Überleben in der Wildnis noch für gewaltvolle Situationen gerüstet. „Wir sind nicht mehr in Hallstatt", knurrte Vincent. „Ich möchte ins Höllental. Könnt ihr mir nicht helfen?", keuchte Elenora. „Nein", knurrte Vincent. Mit derselben Geschwindigkeit, mit der er sie ergriffen hatte, ließ er sie los und wandte sich von ihr ab. Seine dunkle Kleidung und sein unnachgiebiger Gesichtsausdruck, kombiniert mit seiner Haltung, verliehen ihm eine Aura der Erhabenheit, wie die eines perfekten Soldaten. Die körperliche Wärme, die von ihm ausging, schien ihrer Meinung nach die ständig brodelende Wut zu reflektieren, die von ihm auszugehen schien. Zudem beherrschte er das Feuerelement, davon ging sie fest aus. Dass er auch das Windelement beherrschte, hatte sie bereits am eigenen Leib zu spüren bekommen, als er sie von der Tribüne befördert hatte. „Kommst du auch aus Hallstatt?", fragte Levin mit zusammengekniffenen Augen. „Ja, ich bin Elenora, Enkelin von Paracelsus von Hohenheim", antwortete sie. Paracelsus von Hohenheim war für seine Lehren der Naturphilosophie bekannt und hatte vor Jahren Hallstatt verlassen, um sich in Winterthur niederzulassen. Seitdem gab es gelegentliche Erzählungen über ihn aus dem Süden oder Sichtungen in Winterthur. Man erzählte sich, er arbeite mit Metabolen. „Mein Name ist Leonard, aber alle nennen mich Levin", stellte sich der junge Mann vor. Vincent wandte sich von Elenora ab und bemerkte trocken: „Hier draußen würde niemand bemerken, wenn du getötet wirst." „Wenn du wirklich nach Winterthur möchtest, wäre es wohl besser, auf Passanten zu warten", sagte Levin mit einem Lachen, während er sich auffällig am Kopf kratzte, um die Anspannung zu lösen. Das Sonnenlicht betonte seine durchdringenden Augen. „Ich bin sicher, sie würden dir Hilfe anbieten. Entschuldigung!" Mit diesen Worten schlossen sich die Beiden den anderen Soldaten an und ließen Elenora allein zurück. Sie sah hilflos zu und rief „Ich habe keine andere Möglichkeit...“ Levin drehte sich wieder um und etwas in seinem Blick wirkte so unglaublich freundlich. „Das glaube ich dir, das Höllental ist gefährlich aber unser Kommandant ist nur selten gut gelaunt.“ „Bitte, lass mich einfach mit ihm sprechen." Levin seufzte und nickte dann. Gemeinsam mit Elenora rückten die Beiden zu der Truppe auf, die sich bereits ein Stück voraus befand. Der Kommandant befand sich hoch zu Pferd und verdrehte bei Elenoras Anblick die Augen. „Ich brauche Geleit in das Höllental und biete meine Heilfähigkeiten im Austausch an.“ Sie kannte den Kommandanten von gesellschaftlichen Anlässen der Hochgeborenen. Markus von Rosenberg war zwar ein arroganter Man, der jedoch sehr wohl um Elenoras Heilfähigkeiten wusste und diese bewunderte. Er runzelte die Stirn und musterte sie. "Ich bin unsicher, ob ich deinen Vorschlag annehmen soll. Mir wurde von dir berichtet. Du bist eine Staatenlose, die sich nicht an Regeln hält. Wie können wir sicher sein, dass du uns nicht hintergehst?" Elenora senkte ihren Blick und sprach: „Ich verstehe eure Skepsis, aber ich schwöre, dass ich euch nicht hintergehen werde. Ich brauche lediglich Geleit ins Höllental. Ich werde meine Heilfähigkeiten nutzen, und ab und an erhalte ich Vorhersagen die sich bewahrheiten. Ich werde beweisen, dass ich vertrauenswürdig bin." „Sie ist Helenas Schwester!“, mischte sich Levin ein und Elenora blickte überrascht in dessen Gesicht. Ihre Schwester hatte sie mit keinem Wort erwähnt. „Levin ist ein Metabole, der zu viel Zeit mit deiner Schwester verbracht hat.“, flüsterte ein Elementargeist, den nur Elenora hören konnte, „ergründe alle seine Geheimnisse.“ Der Kommandant dachte einen Moment nach und nickte schließlich. „Eine bekannte Schwester und ein berühmter Großvater, doch von dir habe ich wenig Positives gehört! Du kannst uns ins Höllental begleiten, doch sei gewarnt: wenn du uns betrügst, wird das Konsequenzen haben. Levin soll jeden Schritt beobachten, den du tust." Elenora nickte dankbar und setzte ihre Hoffnung darauf, dass diese Reise rasch vorübergehen würde. Tagelang war Elenora unermüdlich unterwegs, doch langsam versagten ihre Beine ihren Dienst. Der eisige Wind peitschte ihr ins Gesicht, und sie fragte sich, ob dieser Baum nicht bereits zum zweiten Mal ihren Weg säumte. Ihre Kapuze rutschte beharrlich über ihr Gesicht, und der Pfad vor ihr wurde zunehmend schwerer erkennbar. Die Natur schien sich gegen sie verschworen zu haben, und ihre Glieder fühlten sich starr an wie Eis. In ihren Tagträumen als Heilerin im Lazarett von Hallstatt hatte sie von einem Forscherleben geträumt, aber die ermüdenden Reisen und Strapazen, die damit einhergingen, hatte sie sich nicht ausgemalt. Jeder Schritt schien schwerer als der vorherige. Doch ein winziger Funke Licht trieb sie an, ihrem Körper keine Rast zu gönnen. Elenora senkte ihre Augenlider, denn der Lichtfunke wurde heller. „Elenora?“, flüsterte eine klare Stimme. „Nicht du.“, flehte Elenora. „Ich kann kaum noch laufen und verliere den Anschluss an die Soldaten.“ „Aber ich bin wegen dir hier.“ „Du hast schon vorhin mit mir Kontakt aufgenommen. Wer bist du?“ „Ich bin Anemone und ähnle der Luft.“ „Was möchtest du von mir?“ „Ich bin ein Teil von dir, der mit dir spricht. Ich sehne mich nach Nähe und Wärme, genau wie du.“, erklärte die Stimme des Elementargeistes. Der Geist besaß keine Form wie Nebel. „Verschwinde aus meinen Gedanken...“, stammelte Elenora. „Du bist sicherlich kein Teil von mir!“. Der Elementargeist schien darauf abzuzielen, den letzten Rest ihres Verstandes zu rauben. Ihre Hände zitterten und sie hoffte bald einen Zufluchtsort zu erreichen, um der Kälte zu entkommen. „Wir sterben, Elenora. Und ich bin hier, weil du bald ankommen wirst.“ „Was meinst du damit?“, Elenoras Augenlider senkten sich langsam. Diese Geister und ihre Vorhersagen. Sie fühlte selbst, was dieser Geist meinte. Die heilende Natur war nicht mehr im Gleichgewicht. Als Kind hatte sie mit der Natur im Einklang gelebt. Sie hatte den sanften Hauch des Sommerwinds gespürt, der ihr seine Weisheit flüsterte, dem wärmenden Feuer ihre Geheimnisse anvertraut, und sich von der Schönheit eines Sonnenuntergangs verzaubern lassen. Seit ihrer Kindheit konnte Elenora Elementargeister wahrnehmen. Ein Teil von ihr glaubte an die Macht ihrer Vorhersagen, dennoch blieb Skepsis angebracht. „Du musst achtsam sein, denn du wirst noch zwei weiteren Elementen begegnen: Wasser und Erde. Wind und Feuer kennst du bereits. Du siehst in der Natur etwas Lebendiges. Du siehst uns.“, erklärte das Wesen, bevor es so schnell verschwand, wie es aufgetaucht war. Der Schneewind trug den Geruch der Tannenwälder in Elenoras Nase, welche sich über weite Teile der Landschaft erstreckten. Die Sonnenstrahlen kitzelten ihre Nase, vermochten jedoch nicht, die Kälte zu vertreiben. Elenoras intensiv grüne Augen schweiften über die Baumreihen, während in der Ferne Rauch zum Himmel aufstieg. "Was ist das? Das Feuer?", flüsterte sie zu sich selbst, bevor sie ihren Weg zwischen den Bäumen fortsetzte. Als sie näher kam, erkannte sie die Soldaten, die den Ort bereits erreicht hatten. Sie hätte erleichtert sein sollen, dass sie zu ihnen aufgeholt hatte, allerdings hing über diesem Ort eine bedrohliche Atmosphäre, die sie sofort ergriff. Unmittelbar vor ihr kämpfte ein Mann verzweifelt darum, sich von seinen Peinigern zu befreien. Elenora vermutete, dass sie alle hier im Dorf lebten. Seine Hände waren gefesselt, und seine Schreie ohrenbetäubend. Als Elenora bei den Soldaten ankam, konnte sie das Knistern des Feuers hören, das den Mann auf dem Scheiterhaufen verzehrte. Der Mann rang mit seinen Fesseln und schrie um Hilfe, doch niemand reagierte auf seine verzweifelten Rufe. Die Flammen schlugen wild um sich und die Hitze ließ Elenoras Haut prickeln. Der Geruch von verbranntem Fleisch und Rauch hing schwer in der Luft. Der Rauch hatte sich zu einem dichten Dunst vermischt, der den Himmel verdunkelte und die Luft drückend machte. Elenora spürte, wie ihr Herz in ihrer Brust pochte, als sie die entsetzliche Szene sah. „Was geschieht hier?" fragte Elenora. „Ein Reinigungsritual – der Mann ist ein Metabole", erklärte Vincent. Seine Stimme klang gedämpft, während er auf seine Hände blickte. Elenora konnte erkennen, dass er tief in Gedanken versunken war. Fragte er sich, wie viele Leben er bereits genommen hatte? „Wir sollten weitergehen", sagte Levin schließlich, und die Gruppe setzte sich in Bewegung, um dem Ort des Grauens zu entkommen. Die Eindrücke, die Elenora gewonnen hatte, hinterließen eine verstörende Wirkung auf sie. Sie versank in Gedanken über die Sinnlosigkeit des Mordens von Metabolischen. Es musste einen anderen Weg geben, eine Alternative, um die Gesellschaft zu schützen. Sie fragte sich, wie es Vincent und Levin gelang, das Chaos zu beherrschen und nicht dem Wahnsinn zu verfallen. Schritt für Schritt setzte die Gruppe ihren Weg fort, während sie sich durch das unwegsame Gelände und über kleine Bäche kämpften. Die Erschöpfung zeichnete sich auf ihren Gesichtern ab. Schließlich erreichten sie eine Lichtung, an der sie ihr Nachtlager aufschlagen würden, ein Prozedere das Elenora von den letzten Tagen bereits bekannt war. Die Sonne begann langsam hinter den Gipfeln der umliegenden Berge zu verschwinden, während sich die Stille der Natur um sie herum ausbreitete. „Hier machen wir Halt", verkündete der Kommandant und wandte sich an Vincent. "Du hältst heute Wache, und behältst das Mädchen im Auge." Mit einem knappen Nicken stimmte Vincent zu, und die beiden begaben sich auf einen nahegelegenen Hügel, um eine erhöhte Position einzunehmen. Währenddessen begannen die anderen Mitglieder der Gruppe Vorbereitungen für die Nachtruhe zu treffen. Manche sammelten trockenes Holz, um ein wärmendes Feuer zu entfachen, während andere ihre Schlafsäcke ausrollten. Von hier aus hatte Elenora einen atemberaubenden Blick über das Tal. Die Abenddämmerung tauchte das Land in sanftes goldenes Licht, das die Konturen der Berge und Täler betonte. Elenora ließ sich fallen und streckte ihren Körper durch. Das weiche Gras fühlte sich gut unter ihr an und sie spürte, wie ihre müden Muskeln sich entspannten und ihr Körper langsam zur Ruhe kam. Die Anspannung des Tages schien von ihr abzufallen, während sie die majestätische Schönheit der Natur um sich herum aufsog. Möglicherweise war nicht alles an den Reisen verkehrt, auch wenn es viel beschwerlicher und brutaler war als sie angenommen hatte. Vincent ließ seinen Blick über das Tal streifen. Die Dunkelheit breitete sich aus, und die Präsenz der Nacht war ihm vertraut. Seine Augen durchstreiften die Dunkelheit, folgten schattenhaften Bewegungen. Als die Sterne am Himmel zu funkeln begannen, breitete sich ein Gefühl von Frieden und Sicherheit über die Lagerstätte aus. Die Nacht war ruhig, während die beiden Nachtwache hielten. Der kühle Wind strich durch ihre Haare. In der Ferne konnte man das leise Knistern des Lagerfeuers und das Plätschern von Wasser gegen Felsen hören. Elenora starrte in die Dunkelheit, während Vincent seine Augen schloss. Er konzentrierte sich auf seinen Atem und ließ seine Gedanken zur Ruhe kommen. Mit jedem Ein- und Ausatmen spürte er, wie sich die Verbindung zur Natur und zu seiner inneren Kraft steigerte. Die Meditation half ihm, sich zu zentrieren und gestärkt aus der Nachtwache hervorzugehen. Die alten Wälder lagen in tiefer Stille begraben, bis Elenora diese mit ihren Worten brach. "Eine ruhige Nacht, nicht wahr?", sagte sie und zog ihren Schlafsack enger um sich. „Erstaunlich, wie friedlich es hier draußen sein kann.", murmelte Vincent gedankenverloren. Elenora wandte ihren Blick von der Dunkelheit ab und sah zu Vincent hinüber, während sie zustimmend nickte. „Es scheint, als ob die Welt in der Nacht bereit ist, ihre Geheimnisse preiszugeben. Doch für mich bleibt es ein Rätsel, wieso die Menschen einander solche Grausamkeiten antun.“ „Weil Metabolen nicht als Menschen betrachtet werden.“, erwiderte Vincent. Ihre Augen ruhten fest auf ihm, ihr Blick unbeirrt. „Für mich bist du ein Mensch." Vincent blieb ihr eine Antwort schuldig. „Wieso ist dieser Mann dessen letzte Momente wir heute mitangesehen haben dem Chaos verfallen, während andere Metabolen so wie du damit zurechtkommen?" stellte sie Vincent eine Frage, die ihr auf der Seele brannte. „Disziplin", entgegnete er knapp und ließ seinen Blick sinken. „Trotzdem ist es nur eine Frage der Zeit." Lag es daran, dass er eine klare Mission verfolgte und seine gesamte Energie darauf richtete, seine Pflichten als Soldat zu erfüllen? Ihre grünen Augen trafen auf seine schwarzen, während Verrat und Verbannung aus Hallstatt sich erneut vor ihrem geistigen Auge abspielten. Vincents Mund verzog sich, Rätselhaftigkeit lag in seinen starren Zügen. „In der Welt gibt es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als Menschen sich vorstellen können. Die Nacht ist eine Zeit, in der die Schleier zwischen den Welten dünner werden." Elenora lauschte gebannt seinen Worten und fühlte, wie sich eine seltsame Verbindung zwischen ihnen aufbaute. Die Welt mochte voller Geheimnisse sein, doch sie hatte sich fest vorgenommen, diese zu ergründen. Elenora fand sich in Gedanken verloren, während sie darüber sinnierte, ob sich jemals etwas am Schicksal der Metabolen ändern würde. Schon immer hatte sie den Umgang mit Metabolen als bedenklich empfunden. Ihr Interesse galt nicht nur den Geheimnissen der Natur, sondern auch der Verbesserung der Lage der Metabolen. Möglicherweise besaß sie die Fähigkeit, den Ursprung des Chaos zu ergründen und zu verstehen, was mit den Metabolen geschah, wenn sie dem Wahnsinn verfielen. Kapitel 3: Hass und Heilung --------------------------- Die Gruppe brach in den frühen Morgenstunden auf. Die zarten Strahlen der Morgenröte hatten Elenora aus ihrem Schlaf geweckt und sie spürte die erfrischende Energie des neuen Tages. Gegen Nachmittag würde das Höllental erreicht sein, und dort würden sich die Wege der Soldaten von ihnen trennen. Jeder Soldat in der Truppe schien seine eigene Geschichte zu tragen – gezeichnet von vergangenen Schlachten und Konflikten, jeder mit Wunden und Eigenarten. In den Augen des Kommandanten Markus von Rosenheim erkannte sie eine Tiefe, die ihre Neugierde weckte. Sie beschloss, ihn in zukünftigen Gesprächen nach seinen Gedanken zur Zukunft der Metabolen zu befragen. Die Landschaft, von Schnee bedeckt, erstreckte sich endlos vor ihnen, während Elenora und Levin Seite an Seite durch die winterliche Stille schritten. Levin wandte seinen Blick zu Elenora, die neben ihm ging. Die ersten Sonnenstrahlen tauchten SEIN Haar in ein warmes, goldenes Licht. Levin macht es einem einfach einen zu mögen. Beispielsweise begrüßt er jeden neuen Tag stets mit einem Spruch, den er von Einheimischen auf seinen zahlreichen Reisen aufgeschnappt hatte: „Aus meiner Seele zieht mit Nasenflügelbeben ein ungeheurer Appetit nach Frühstück und Leben.“ Elenora genoss besonders seine Erzählungen von den Gepflogenheiten anderer Orte. „Diese Landschaft erinnert mich an Geschichten aus alten Büchern“, begann Levin mit einem sanften Lächeln. „Die Helden durchqueren verschneite Wälder auf der Suche nach Abenteuern und Geheimnissen.“ Elenora lächelte zurück und ließ ihren Blick über die schneebedeckte Szenerie schweifen. „Ja, es ist fast so, als ob die Natur ihre eigenen Geschichten erzählt. Manchmal frage ich mich, welche Geheimnisse dieser Wald wohl birgt und höre mir seine Geschichten an.“ Sie musste besonders achtgeben, nicht irgendwelchen Tagträumen zu verfallen. „Wie meinst du das?“, fragte Levin neugierig. Gemeinsam setzten sie ihren Weg fort, während sich die Umgebung allmählich veränderte. Die Luft wurde kälter, und eine dünne Schneedecke bedeckte den Boden. „Hast du schon mal Menschen mit dem Windelement getroffen? Abgesehen davon, dass ich geschickt darin bin, Windströme zu manipulieren und damit Wunden zu lindern, kann ich Naturgeister wahrnehmen, die für das bloße Auge unsichtbar sind. Gelegentlich erzählen sie vom Wald.“ „Deine Schwester auch?“, fragte Levin überrascht. „Woher kennst du Helena?“, fragte Elenora plötzlich, ihren Blick fest auf Levin gerichtet, als suchte sie in seinen Augen nach Antworten. Levin presste die Augen sichtlich nervös zusammen und runzelte die Stirn, als ob er eine unbekannte Last trug. „Nun ja, wir alle – nicht nur ich – kennen sie. Wir waren gemeinsam als Soldaten unterwegs.“ „Sie wurde von Richard von Epstein gefangen genommen“, gestand Elenora schließlich. Ihre Worte hallten wie ein Echo in der eisigen Stille wider. „Ich weiß nicht wie es ihr geht.“ Levins Blick senkte sich zum Boden, und für einen Moment schien sein Atem zu stocken. „Sie ist eine Kämpferin.“, sagte er schließlich. Seine Reaktion auf ihre Sorge ließ erahnen, dass Helena ihm mehr bedeutete, als er bisher hatte erkennen lassen. Das sanfte Knirschen des Schnees unter ihren Schritten begleitete sie auf ihrem Weg durch die Winterlandschaft. Elenora verweilte einen Moment lang, um den Weg, den sie zurückgelegt hatte, in Augenschein zu nehmen. Ihr Blick streifte über die Spuren im Schnee, die hinterlassen worden waren, und blieb schließlich bei Vincent hängen. Er schritt am Ende der Truppe. Elenora fragte sich, welche Gedankenwelt er wohl durchwanderte. Die Erinnerung an ihre gemeinsame Wache mit ihm ließ ein warmes Gefühl in ihrer Brust aufkeimen, bevor sie den Blick rasch abwandte. Mit der Zeit bemerkte Elenora, dass es immer mühevoller wurde, Schritt zu halten mit dem zügigen Tempo der Soldaten. Letztendlich verlor sie den Anschluss. Die beißende Kälte prickelte auf ihren Wangen, während sie ihre Schritte beschleunigte. Plötzlich durchdrang ein Knall die Stille, wie ein markerschütterndes Signal in der klaren Luft. Die Bäume zitterten leicht im Nachklang des Geräusches. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Ihre Füße trugen sie durch das dichte Unterholz, während sie eilig dem Ursprung des Knalls näherkam. Schon bald fand sie sich an einem kleinen Abhang wieder. Vor ihr lag ein gefrorener See, auf dessen Eisoberfläche sich Risse gebildet hatten. Am anderen Ufer sah sie ein halb zerstörtes Gebäude, das durch eine gewaltige Detonation in Mitleidenschaft gezogen worden war. In dieser Kulisse der Zerstörung und Verwüstung hielt Elenora einen Moment inne, ihre Lungen füllten sich mit scharfer Luft, als sie unweit von sich den Kommandanten Markus von Rosenberg bemerkte, wie er sich selbst einen improvisierten Verband anlegte. Es war nicht zu übersehen, dass die Soldaten aus Hallstatt in einen Konflikt geraten waren. Elenora wurde sich der schwerwiegenden Verantwortung, die auf ihr lastete, bewusst. Die Situation erforderte schnelle Hilfe. Sie überwand den Weg bis zum Kommandanten. „Ich werde medizinische Versorgung leisten“, erklärte sie entschlossen. Die Augen des Kommandanten waren aufgerissen, und sie konnte die Verwirrung und Fassungslosigkeit in seinem Blick erkennen. „Sie haben uns überrascht und das knapp vor dem Höllental.“, gestand er. Plötzlich zischten Geschosse aus der Richtung des halb zerfallenen Gebäudes, und Elenoras Aufmerksamkeit wurde dorthin gezogen. Ein Soldat stürzte nur wenige Schritte von ihr entfernt zu Boden. Ihr Magen zog sich unangenehm zusammen, während Übelkeit aufstieg, doch sie hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, ob sie ihre Nerven in einem echten Kampf bewahren könnte. Ohne zu zögern, ließ sie den Kommandanten hinter sich und bahnte sich ihren Weg durch Trümmer und über die Eisplatte, um zu dem Verwundeten Soldaten zu gelangen. Ihre Finger ertasteten eine kleine blutende Wunde, aus der das Leben des Mannes zu entweichen drohte. Mit Entschlossenheit übte Elenora Druck aus, um den Blutfluss zu stoppen, doch das Licht in den Augen des Soldaten verblasste bereits. Sie hatte keine Zeit, diesen Tod zu realisieren, denn eine weitere Detonation erschütterte das Schlachtfeld. Die Luft erfüllte sich mit unterschiedlichen Trümmern, die wie ein brausender Regen um sie herum niedergingen. Inmitten des ohrenbetäubenden Klangs und Chaos hielt sie sich die Ohren zu und schloss die Augen. Der Klang der Zerstörung sorgte dafür, dass sie jede Orientierung verlor. Sie war inmitten eines Schlachtfeldes aus Tod und Blut gefangen. Auch die aufkommenden Tränen konnten das lähmende Gefühl, das sich ihre Eingeweide hinunter fraß, nicht vertreiben. Warum konnte kein Frieden auf dieser Welt existieren? Hatte sie nicht schon genug Elend und Schmerz mitangesehen? Als jemand Elenora unsanft an der Schulter rüttelte, schreckte sie auf. Reflexartig war sie in der Realität. Ihre Sehkraft klärte sich und gab allmählich den Blick auf schwarze Haarsträhnen frei, die der eisige Wind des Schnees unbarmherzig hin und her wirbelte. Ein leises "Verräter." – formte sich auf ihren Lippen, nicht mehr als ein Reflex. Mit gewohnter Leichtigkeit stand er vor ihr, als wäre es das natürlichste der Welt. Er hatte gekämpft. Sie vermutete es aufgrund seiner Kleidung und der Art wie er seinen Atem ausstieß. Elenoras Herz pochte wild in ihrer Brust, während sie den Kloß in ihrem Hals hinunterschluckte. Der Klang ihres eigenen Pulses dröhnte in ihren Ohren, und ihre Hände zitterten unkontrolliert, als hätten sie ein Eigenleben entwickelt, ihr Herz schlug ihr bis zum Hals sie - sie würde vermutlich jeden Augenblick hyperventilieren. „Könntest du dich darum kümmern?", fragte Vincent mit nüchterner Entschlossenheit. Seine Worte trugen die Ernsthaftigkeit eines erfahrenen Soldaten. Elenora spürte den bohrenden Schmerz, der von ihrer Bauchwunde ausging, und zwang sich, ein leises Stöhnen zu unterdrücken. Sein Blick ruhte ruhig auf ihr, als er ihren Zustand einschätzte. Die Winterlandschaft um sie herum schien in diesem Moment stillzustehen, als ob sie sich in einer eigenen, abgeschiedenen Realität befanden. Seine Augen verrieten eine Tiefe, die weit über die Oberfläche hinausreichte. Elenora fühlte sich von seinem Blick durchdrungen. „Ja“, pflichtete sie ihm schlicht bei und konzentrierte sich darauf, sich nicht von ihrer Verletzung überwältigen zu lassen. Seine Präsenz beruhigte sie. Ihre Finger tasteten nach ihrem Bauch, während sie versuchte, ihren Atem zu beruhigen. Die Wunde war schmerzhaft, doch sie weigerte sich, vor Vincent Schwäche zu zeigen. Sie zog behutsam ein Stück Holz aus ihrem Bauch, ein schmerzvolles Keuchen entwich ihren Lippen. Sie weigerte sich, sich hilflos zu fühlen, und biss die Zähne zusammen, während sie sich auf ihr Windelement besann und ihre Augen schloss. Vor ihrem geistigen Auge zeichneten sich die Umrisse von Organen und Venen ab. Elenora konnte die komplexen Verbindungen erkennen und spürte genau, an welcher Stelle die Verletzung lag. Blut strömte in beunruhigender Menge aus ihrem Körper. Das Windelement erlaubte ihr, Blutgefäße erneut zu verbinden. „Ich hätte nicht damit gerechnet, dass du zu mir kommst...“, murmelte sie, was ihr durch den Kopf schoss. Sofort verfluchte sie sich innerlich für ihre Unbedachtheit. „Tut mir leid, ich bin nur –" Ihre Worte verloren sich in der Unsicherheit, die plötzlich in ihrer Stimme mitschwang. „Überrascht von der Situation.“ Die Zeit stehen zu bleiben, als Vincent ihr diesen undefinierbaren Blick schenkte, der alles oder nichts bedeutete. Hatte er erwartet sie würde die Nerven behalten? „Kannst du gehen?“, war seine emotionslose Frage, während seine Augen etwas in der Ferne zu suchen schienen. Die Stille, die sich über das Schlachtfeld ausgebreitet hatte, war geisterhaft und unterstrich die Präsenz des Todes. War dies die harte Realität, die ihr bisher verborgen geblieben war? Ein unerwartetes Kichern durchbrach die Stille. „Vincent Wolf kehrt nach Hause zurück. Du bist erwachsen geworden.“ Keuchend stütze Elenora sich im Schnee ab, und erkannte einen hellhaarigen Mann. Ein psychopatisches Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab, dass es nicht gut mit einem meinen konnte. Was sofort ins Auge stach war seine unnatürlich weiße Hautfarbe, die ihn beinahe mit dem Schnee verschmelzen ließ, sowie die Brandwunde, die sich über einen Teil seines Gesichts erstreckte. „Hat euch die Demonstration meiner neusten Erfindung gefallen?“, sagte er, während er ein Holzgeschoss in den Händen hielt, aus dessen vorderem Ende feiner Rauch aufstieg. Damit musste er den Soldaten zuvor getötet haben. „Die Mission lautet dich aufzuspüren, Constantin.“ Vincents Stimme blieb unnachgiebig. Der Mann, den Vincent gerade als Constantin genannt hatte, brach in ein krächzendes Lachen aus, das unpassend wirkte. Die Tonlage und das neurotische Klingen des Lachens durchzogen die Luft und ließen Elenoras Magen sich unangenehm zusammenziehen. „Wegen dem, was ich mit deinen Eltern gemacht habe?“, hakte Constantin spöttisch nach. „Tz ...“, zischte Vincent, sein Gesicht blieb emotionslos wie eine Maske. Die gespannte Atmosphäre zwischen den beiden Männern war spürbar und schien förmlich darauf zu warten, sich in einem unausweichlichen Zusammenprall zu entladen. Elenora kämpfte gegen die Müdigkeit an und zwang sich dazu, wach zu bleiben. Sie wollte sehen, was gleich geschehen würde. „Für das -" Constantin strich über sein vernarbtes Gesicht. „Habe ich mich nicht bei dir revanchiert. Der Tod ist ein herrliches Schicksal für Wesen wie dich!" Constantins Augen ließen keine Reflexion erahnen, wie zwei leere schwarze Tunnel saßen sie in seinen Augenhöhlen. Eine grausame Entschlossenheit lag in ihnen. „Ihr Soldaten seit alle so überheblich, lebt in dem Glauben, über uns Menschen zu stehen. Es ist meine Bestimmung Metabolen Angst beizubringen. Ihr werdet gejagt und hingerichtet.“, fügte er mit einer geballten Faust hinzu, während sein Gesicht sich in ein finsteres Grinsen verzerrte. Ein bedrohlicher Blickwechsel zwischen den beiden Männern spiegelte die feindselige Spannung wider. „Das Zeitalter der Metabolen neigt sich dem Ende zu!“ Seine Worte hallten wie ein düsteres Omen in der eiskalten Luft wider. „Kannst du etwas anderes als reden?“, höhnte Vincent. Seine Körperhaltung wandelte sich, er verlagerte seinen Stand und nahm eine Angriffsposition ein. Constantin setzte die linke Hand in die Hüfte und richtete das Holzgeschoss auf Vincent. In einem Augenblick der Entschlossenheit stürmte Vincent voran. Seine Geschwindigkeit übertraf alles, was Elenora je gesehen hatte. Zugleich brach aus dem Holzgeschoss ein Schuss hervor, der zischend durch die Luft schnitt. Doch das Geschoss war zu schnell, um durch bloße Reaktion auszuweichen. Mit einem wütenden Schrei drang es in seine Schulter ein, und der dumpfe Aufprall seines Körpers im Schnee war zu hören. Elenora spürte Hitze auf ihrer Haut. Das Flammenmeer, das Vincent nun umgab, wirkte wie eine unaufhaltsame Naturgewalt, bei deren Anblick ihr der Atem stockte. Rauchschwaden erhoben sich von dem verdampfenden Schnee und trübten ihre Sicht. Die Wunde an Elenoras Bauch pochte schmerzhaft, während sie verzweifelt versuchte, ihr Windelement zu bündeln, um die Verletzung zu verschließen. Doch die Erschöpfung zehrte an ihrer Kraft. Müdigkeit legte sich über sie wie eine dunkle Decke, und langsam schlossen sich ihre Augenlider. Frischluft strömte in ihre Lungen und riss Elenora aus ihrer Benommenheit. Reflexartig richtete sie sich auf. Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, während sie dort gelegen hatte, und rappelte sich auf. Ein vorsichtiger Blick um sie herum sollte ihr Aufschluss über die Situation geben. Vincent kniete nicht weit von ihr entfernt im Schnee. Außer ihnen schien sich kein weiteres lebendiges Wesen an diesem Ort zu befinden. Alarmiert kämpfte Elenora sich auf die Beine. Ihre Schritte waren wankend, aber sie setzte einen Fuß vor den anderen. Vincent hatte seine Hände schützend vor die Augen geschlagen. Sein Gesicht, von Strähnen schwarzen Haares verdeckt, wirkte gequält und verzweifelt, Blut zeichnete Muster in den Schnee um ihn herum. „Vincent -“, ächzte sie, doch er ließ sich nicht besänftigen, schlug animalisch in ihre Richtung. In Anbetracht der Lage konnte sie ihm das nicht verdenken. "Ich bring ihn um!", schrie Vincent, die Luft um ihn begann zu vibrieren, und Elenora trat zurück. Die Stille des Ortes schien von seinen Worten durchbrochen zu werden. Ein Kontrast zur früheren Wortkargheit, die sie von ihm kannte. "Ich bring ihn um!", wiederholte er, schlug erneut in den Schnee, der vor Hitze verdampfte. Etwas an ihm wirkte anders, seine Aura wirkte Dunkel und unheilvoll. Sie fragte sich, ob das Chaos ihn jetzt verzehren würde oder ob etwas von ihm übrigbleiben würde. Kapitel 4: Elementare Konflikte ------------------------------- „Beruhige dich -", sagte Elenora und legte ihre Hand sanft auf Vincents Schulter. Doch das Berühren seiner Haut war wie der Kontakt mit glühendem Eisen, und sie zog ihre Hand reflexartig zurück, als hätte sie sich an ihm verbrannt. „Fass mich nicht an!“, fauchte Vincent. Seine Stimme klang wie das Grollen eines wilden Tieres, das in die Enge getrieben wurde. Elenoras Worte schienen seinen Zorn weiter zu entfachen. Das Weiß des Schnees färbte sich in sattes Dunkelrot und Vincent schlug um sich. Die Aura, die ihn umgab, strahlte Finsternis aus und schien sie förmlich zu verschlingen. Verbitterung kämpfe sich an die Oberfläche, gepaart mit einer Art Lähmung, die es Elenora erschwerte zu handeln. Vincent würde verbluten, wenn sie die Blutung nicht stoppte. Erfahrung ließ sie wissen, welch kritischer Faktor Zeit war. In dieser Situation war jede Sekunde kostbar, und sie wusste, dass sie handeln musste. Im menschlichen Körper flossen etwa fünf Liter Blut - wie viel noch in seinem Körper? "Vincent, hör auf!", Elenoras Stimme schnitt durch die explosive Atmosphäre. "Lass nicht zu, dass deine Wut dich beherrscht." Ihre Worte schienen ihn zu erreichen. Vincent war ermüdet, seine Bewegungen verlangsamten sich. Seine Augen, von einem wirren Glanz erfüllt, trafen ihre. In diesem Moment schien es, als ob sich zwei Seelen in einem Konflikt gegenüberstanden. Als er schließlich nachgab und zusammensank, half sie ihm, seinen Kopf abzulegen. Sofort handelte sie, ihr Windelement konzentrierte sich, während ihre Hände über seine Schulter glitten. Elenora spürte die Energie in ihren Handflächen, die Macht des Windes, den sie beherrschte. Der Wind umhüllte sie beide, eine unsichtbare Barriere zwischen ihnen und der Welt. In einer fließenden Bewegung legte sie ihre Hände auf seine Wunden. Elenora schluckte schwer. Eine Kugel hatte an seiner Schulter Schaden angerichtet und Gewebe und Adern zerfetzt, sowie Rückstände in seinem Fleisch hinterlassen. Eine Operation war unausweichlich. Die Stille um sie herum war erdrückend. Die Dunkelheit des umliegenden Waldes und der Geruch von Blut vermischten sich zu einer surrealen Kulisse. Elenora schloss die Augen und konzentrierte sich, ließ ihre Energie in die Wunden fließen, um diese notdürftig zu verschließen. Ihre Finger arbeiteten konzentriert, während sie versuchte, sein Leben zu retten. Nachdem sie Vincent stabilisiert hatte, machte sie sich auf den Weg zu den anderen Soldaten, die noch vor wenigen Stunden ihre Begleiter gewesen waren. Die Szenerie, die sich ihr bot, war ein Bild des Schreckens – tote Körper, Trümmer und das Fehlen jeglicher Anzeichen von Levin oder dem Kommandanten. Ein Schaudern lief über ihren Rücken, als sie begriff, dass sie inmitten einer verlorenen Schlacht stand. Elenoras Atem stockte, als sie einen schmerzhaften Kloß in ihrer Kehle spürte. Tränen brannten in ihren Augen, während sie die Ausmaße des Grauens um sich herum erkannte. Sie weinte um das Leben, das verloren gegangen war, und um ihre eigene Unschuld, die in dieser Nacht gestorben war. Die Grausamkeit eines realen Schlachtfeldes war ihr bisher verwehrt geblieben. Sie dachte an Vincents Worte, als er sie als wohlbehütete Hochgeborene bezeichnet hatte. In diesem Moment hatte sie das Gefühl, dass das Atmen nicht funktionierte. Sie versuchte es mit aller Kraft, schien es jedoch verlernt zu haben. Schneeflocken segelten vom Himmel, würden mit der Zeit das Rot im Schnee bedecken, das sich an diesem Ort breitgemacht hatte. Doch sie machte sich bewusst, dass sie nicht aufgeben durfte. Mit einem entschlossenen Blick wandte sie sich um und lief zurück zu Vincent. Sie wollte, dass er weiterlebte. Dafür waren Materialien wie Verbände oder eine Zange, um das Geschoss zu entfernen, notwendig. Schnee rieselte sanft auf den durchgefrorenen Boden im Höllental. Der Himmel war in leuchtendes Blau getaucht und läutete die Abenddämmerung ein. Wo die Wolken aufgebrochen waren, konnte man einen hellen Schein sehen. Obgleich dieses wunderschönen Naturschauspiels unterschied sich das Höllental von Elenoras Vorstellung. Die Gebäude waren aus gräulichem Gestein errichtet, um Schutz vor der unbarmherzigen Kälte zu bieten. Während Elenora sich fortbewegte, wurde sie von einer Schneeflocke bei ihrem langsamen Fall begleitet. Kaum hatte diese den Boden berührt las Elenora in altertümlicher Schrift „Lazarett von Hohenheim“. Ihre zitternden Hände formten sich zu einer Faust, um an den Hauseingang zu klopfen. Der Türspalt öffnete sich, und eine Frau in einem blauen Kittel erschien. „Es tut mir leid, es ist bereits geschlossen“, begann sie, bevor ihre Augen auf den reglosen Körper von Vincent fielen und sie innehielt, ihre Miene von Überraschung gezeichnet. „Ich bin auf der Suche nach meinem Großvater: Paracelsus von Hohenheim.“, flehte Elenora. „Elenora?“, ertönte eine vertraute Stimme aus dem Inneren des Lazaretts. „Großvater?“, rief Elenora, ihre Augen füllten sich mit Tränen der Erleichterung. Gemeinsam bugsierten sie den bewusstlosen Vincent auf eine Pritsche im Eingangsbereich. Von hier aus hatte sie einen Blick auf den geräumigen Flur, der in eine warme Stube führte. Dort saß ein alter Mann, von seinen Büchern und Schriften umgeben. Elenora hatte ihn in ihrer Kindheit oftmals in seinem Büro besucht und von ihm gelernt. Vielleicht war sie nach ihm gekommen – er hatte ihren Wunsch die Welt zu erkunden geweckt. Die Faszination für die Geheimnisse der Heilung, die die Natur barg. „Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, warst du ein Mädchen, das gerade dabei war, im Lazarett eine Ausbildung zu beginnen. Was führt dich in diese abgeschiedene Gegend?“, erklang die sanfte Stimme ihres Großvaters. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, als sie ihren Großvater ansah, der in einem Sessel mit Rollen saß – ein Zeichen der Zeit, die voranschritt. Ihr Großvater, der offenbar ihre Erschütterung bemerkte, erwiderte nur: „Keine Angst, in meinem Leben habe ich alles gesehen und durchlebt.“ Paracelsus lächelte warm und öffnete die Arme in einer einladenden Geste. Elenora eilte zu ihm und ließ sich von seinen Armen umfangen. „Was ist mit ihm?“, fragte die Frau die Elenora die Türe geöffnet hatte. „Er hat eine Kugel in der Schulter, wir müssen ihn sofort operieren!“, erklärte Elenora. „Ich hole die nötigen Materialien“, erklärte die Frau im blauen Kittel, und eilte hinaus, um die benötigten Instrumente bereitzulegen. „Es ging alles rasend schnell“, murmelte Elenora, den Blick zu ihrem Großvater gewandt. „Ich weiß nicht, wie viele Soldaten gestorben sind oder was genau geschehen ist, doch es gibt nur mich und einen weiteren Überlebenden.“ „Die Dinge sind manchmal unerklärlich, Elenora“, antwortete Paracelsus ruhig. Seine Aura der Gelassenheit schien auf sie überzugehen und milderte die Aufregung, die noch immer in ihr tobte. Gemeinsam bereiteten sie sich auf die Operation von Vincent vor. Mit zusammengezogenen Augenbrauen konzentrierte Elenora ihr Windelement, um herauszufinden, an welcher Stelle die Kugel sich befand. Die Frau, die sich als Diane vorstellte, leiste Assistenz während Paracelsus die Wunde öffnete, um mit einer Zange das Geschoss zu entfernen. Die Uhrqualität ihrer Familie war die Luft. Luft, das als Element der Heilung und des Lebens galt. Vincents Körper bäumte sich unter der Behandlung auf, doch Elenora drückte ihn kontrolliert auf die Pritsche. Der letzte Rest Aufregung wich ruhiger Präzision. „Und so habe ich beschlossen dich aufzusuchen.“, endete Elenora ihre Schilderung der Geschehnisse, die zu ihrer Verbannung aus Hallstatt und ihrem Erscheinen am heutigen Abend geführt hatten. Die Reisen ihres Großvaters hatten diesen ins Höllental geführt, wo er ein Lazarett eröffnet hatte. Die rustikal eingerichtete Stube ihres Großvaters wurde von einem flackernden Kaminlicht warm erleuchtet. Das Abendessen hatte aus aufgewärmten Resten bestanden, deren Duft noch in der Luft hing. „Du wurdest von Vincent Wolf verraten?“, fasste Diane zusammen, die ihre Erzählungen ebenfalls gehört hatte. In ihren jungen Jahren war Diane von einem Gebäude gestürzt und dabei schwer verletzt worden. Während ihr Großvater nun regelmäßig ihre Schmerzen linderte, unterstützte Diane diesen im Lazarett. „Dieser Nachname…“, Elenoras Großvater fuhr sich nachdenklich durch das Haar und ließ dabei sein fortgeschrittenes Alter erkennen. Elenora begutachtete eine Kugel, die sie zwischen Daumen und Zeigefinger drehte, um sie aus allen Winkeln zu untersuchen. Diese musste mit ungeheurer Geschwindigkeit abgefeuert worden sein. „Ach ja, jetzt erinnere ich mich. Inzwischen habe ich an so vielen Orten gelebt, da können Einzelheiten schon mal durcheinandergeraten. Seine Eltern kamen aus Winterthur. Seine Mutter war eine Metabolische, und sein Vater war ein bekannter Politiker. Die Familie wurde ermordet.“ „Seine Eltern wurden ermordet?“, fragte Elenora überrascht und blickte ihren Großvater an, der nachdenklich nickte. „Ein Konflikt, der bereits Generationen andauert: Sich für die Metabolen einzusetzen, kann ein Todesurteil bedeuten und die beiden waren politisch aktiv." Ihr Großvater wandte seinen Blick nicht ab, doch es schien, als ob er in die ferne Vergangenheit blickte. "Der Schmerz des Verlustes oder der Ausgrenzung kann Hass in Menschen entfachen. Gewalt verursacht Gegengewalt. Solange Menschen nicht lernen zu vergeben und die Kette der Rache durchbrechen, werden sie in diesem endlosen Kreislauf gefangen bleiben.“ „Was mir Sorgen macht", begann Elenora, ihre Zähne fest aufeinandergebissen „ist diese dunkle Aura der Wut, die ihn umgeben hat.“ „Es ist allgemein bekannt, dass Metabolen gewalttätig sind. Das Chaos schlummert in ihnen und früher oder später bricht es aus. Viele haben durch Metabolen Angehörige verloren. Die Zivilbevölkerung in Winterthur ist wütender und aufgebrachter denn je.“, bemerkte Diane mit einem Hauch von Resignation in ihrer Stimme. „Was Metabolen unterscheidet, ist die Tatsache, dass sie mehrere Elemente besitzen. Dadurch entsteht ein unberechenbarer Zustand. Sie wird auch Uhrqualität des Wahnsinns genannt. In meinen Schriften habe ich diesen Zustand als Chaos betitelt.“, erklärte Paracelsus ruhig. „Vermischt man die Elemente, hat ein Kind beispielsweise Elternteilte mit der Uhrqualität Erde und Wasser, erweckt ihr Kind das fünfte Element. Dieses Kind trägt ein weiteres Element in sich: eine Dunkelheit. In Hallstatt halten wir die Elemente daher strikt getrennt: Menschen mit den Uhrqualitäten leben in isolierten Vierteln, während die Metabolen in den Elendsvierteln hausen. Doch außerhalb von Hallstatt gibt es Menschen mit gemischten Uhrqualitäten. Das führt immer wieder zu Unruhen, Verfolgungen und Morden, und Metabolen werden von der Zivilbevölkerung gefürchtet und gejagt." „Das habe ich mit eigenen Augen gesehen.“, sagte Elenora. „Ein Mann wurde auf einem Scheiterhaufen verbrannt. Sie nannten es Reinigungsritual.“ Doch auch die Elendsviertel in Hallstatt waren unerträglich. Elenora fragte sich, wo die Metabolen leben sollten. Weder in Hallstatt noch sonst in dieser Welt schien es Platz für sie zu geben. „Kann man das Chaos verhindern?“ „Darüber haben sich viele den Kopf zerbrochen. Ich vermute, dass das Chaos durch die Geister beeinflusst wird. Es ist deshalb nicht beherrschbar. Ich bin der Meinung, dass Metabolen unausweichlich früher oder später alles in ihrer Umgebung zerstören.“ „Jeder Metabole?", fragte Elenora nachdenklich. Elenora dachte an Vincent, der sich in ihrer Obhut befand. Er hatte sie verraten, doch sie hasste ihn nicht, viel mehr versuchte sie seine Lage zu verstehen. Ihr Großvater atmete tief durch, bevor er antwortete, seine Stimme von einer ungewöhnlichen Schwere durchdrungen. „Vincent Wolf ist ein Metabole, und sein Inneres wird vom Chaos verzehrt werden." „Er ist dennoch ein Mensch“, beharrte Elenora, ihre Augen auf Paracelsus gerichtet. Die Zukunft der Metabolen hing in der Schwebe, und sie erkannte, dass Lösungen nicht einfach waren. „Sein Menschsein wird nach und nach vom Chaos überdeckt. Sein Arm, hast du ihn gesehen? Die schwarze Veränderung des Fleisches – das ist das Chaos, das in ihm wütet, es ist weit fortgeschritten. Du solltest dich von ihm fernhalten, wenn dir dein Leben lieb ist.“, erwiderte ihr Großvater unverblümt. Seine Worte klangen wie ein düsteres Urteil. „Wieso haben wir ihn dann gerettet, wenn wir ihm nun nicht helfen können?" Elenora seufzte und faltete ihre Hände in ihrem Schoß. Kapitel 5: Tiefe Gewässer ------------------------- Die Küche war erfüllt von einem harmonischen Ensemble aus Klängen und Gerüchen, und in diesen Momenten schien Elenora sich in einer anderen Welt zu befinden. Eine Welt, in der Notizen zu Forschungen und Thesen wurden, die nur darauf warteten, von der Wirklichkeit geprüft zu werden. Die Tage, die sie bisher in dieser Zuflucht im Höllental verbracht hatte, vergingen in einem bedächtigen, fast meditativen Rhythmus. Sie versank in den Schriften ihres Großvaters, half den Patienten, kümmerte sich um Vincent, und abends, da verlor sie sich in geistreichen Gesprächen. Es war unwirklich, dass sie sich in dieser vergleichsweisen kurzen Zeitspanne bereits lebendiger fühlte als die letzten Jahre in ihrer Heimat. Hier hatte sie die Freiheit, sich zu entfalten, und nichts schien unerreichbar. „Holst du ihn zu uns?", erkundigte sich Diane, während sie bedächtig die dampfende Suppe in einem alten, gebrauchten Topf umrührte. Elenora blickte überrascht auf und sah sie mit einem leisen Lächeln an. „Er kann im Zimmer essen", entschied ihr Großvater, dessen ruhige Autorität den Raum erfüllte. „Ich spreche mit ihm", sagte Elenora und verließ die Stube. Ihre Finger glitten sanft über die Narbe auf ihrem Bauch. Ein stummes Zeugnis ihrer erstaunlichen Heilfähigkeiten. In ihr breitete sich ein Gefühl der Dankbarkeit für die Gabe des Windes aus, die ihr ermöglicht hatte, ihre Wunden zu heilen. Ihre Schritte führten sie vor das Krankenzimmer, in dem Vincent verweilte. Die Stille hing in der Luft wie ein schwerer, geheimnisvoller Vorhang, während sie unentschlossen in der Türschwelle stand und auf das Bett starrte, auf dem Vincent saß. Ihre Augen ruhten auf seinem Rücken. Entschlossen nahm Elenora die ersten Schritte in den Raum. Die Holzdielen knarrten unter ihren Füßen. „In Winterthur gibt es keine Gerechtigkeit.", offenbarte Vincent tief in Gedanken verstrickt, als ob die Geister der Vergangenheit ihn nicht loslassen wollten. Einzelne Schneeflocken rieselten beim Fenster hinein, fingen sich in seinen pechschwarzen Haarsträhnen. „Wie konnte ich nur denken..." Sie blieb in der Mitte des Raumes stehen. Ihr Herz pochte lauter, und ein unerklärliches Ziehen durchzog ihre Brust. Der Wind, der vom geöffneten Fenster her wehte, spielte unbarmherzig mit Vincents schwarzen Haarsträhnen, während er ihm lauschte. Gleichgültig atmete er die eisige Luft ein. Der Verlust der Soldaten hatte ihn offenbar getroffen. Von keinem seiner Kollegen gab es Lebenszeichen. „Vincent", ihre Stimme war sanft, kaum mehr als ein Flüstern in der Abendstille. Er antwortete nicht, sondern blieb stumm auf dem Bett sitzen, ohne erkennbare Emotionen in seinen Augen. „Wie fühlst du dich?", erkundigte sie sich vorsichtig. Die Worte schienen seinen Panzer aus Apathie zu durchbrechen. Vincent seufzte leise, und ein Hauch von Verbitterung schwang in seiner Antwort mit. „Orientierungslos." „Der Verlust der Soldaten hat dich stark mitgenommen, nicht wahr?" „Ich habe sie alle sterben sehen, und ich konnte nichts tun.", murmelte er leise. „Dieser Mann, Constantin", begann sie behutsam, „hast du eine Vorstellung davon, welches Ziel er verfolgt? Weshalb hat er die Soldaten getötet?" Vincent antwortete nicht sofort. Sie musste zugeben, dass sie ihn provozierte und ohrfeigte sich mental dafür es nicht lassen zu können. War er eben noch ruhig, so sah man ihm die aufkeimende Anspannung nun an. Seine Finger krallten sich krampfhaft in das Bettlaken. Eine Wolke untermalte den Augenblick, indem sie sich vor den Mond schob, sodass die Hälfte seines Gesichtes langsam in Dunkelheit versank. „Dasselbe, dass alle wollen: Tote Metabolen.", erwiderte Vincent. Elenora zog die Augenbrauen zusammen. Seine Worte waren brutal und erschreckend. „Nicht alle. Ich will das nicht." Constantins Wahrheit beinhaltete offenbar, dass Metabolen Feinde waren. Der Konflikt zwischen Menschen und Metabolen überdauerte bereits Jahre und Generationen. „Was willst du von mir?", fauchte die Dunkelheit und die Adern auf Vincents Hals pulsierten. Da schwang Bitterkeit in seiner Aussage mit. Von seiner Mission hing alles ab. Doch ohne Levin und die anderen Soldaten war diese aussichtslos. „Die anderen Soldaten sind tot, und Levin ist verschwunden. Diese Mission ist zum Scheitern verurteilt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich als Metabole enttarnt werde." „Ich will das nicht hören. Die Verletzung an deiner Schulter ist schwer, aber du lebst!" Vincent berührte den Verband vorsichtig und biss die Zähne zusammen, als der Schmerz aufblitzte. „Und das soll beweisen, wie gut du Metabolen behandelst?", spottete er. „Oder willst du nur untermauern, was für eine Maria Theresia du bist? Du kannst dich nicht verteidigen und wirst in diesem Land sterben. " Elenora schluckte schwer und rang um Fassung. „Wieso sagst du...?", ihre Stimme brach. Seine Worte gingen tief. Für Elenora verkörperte Vincent die Kraft und Perfektion eines Soldaten, gemischt mit der Raserei und dem Hass eines Metabolen - eine einzigartige Kombination. „Zumindest interessiert mich mehr als mein Rang.", fauchte Elenora verletzt zurück. Mit einem plötzlichen Anflug von Wut erhob er sich, überbrückte den Abstand zwischen ihnen und baute sich in voller Größe vor ihr auf. Elenora schüttelte den Kopf. Bei seinen Verletzungen war zu erwarten gewesen, dass er mehrere Tage im Krankenbett verbringen würde. Sie fragte sich, ob der Grund für sein Verhalten war, dass er sich keine Schwäche erlaubte. Weshalb ignorierte er sonst seine Gesundheit? Seine Haltung und das wütende Beben seiner Schultern signalisierten Gefahr und Unberechenbarkeit. Sie wünschte sich, auch nur einen Funken Dankbarkeit in seinem Gesicht zu erkennen, fand jedoch nur Zorn. Dann ging er an ihr vorbei, doch Elenora wich nicht zur Seite, sie leistete Widerstand. „Geh mir aus dem Weg.", sagte er und entblößte bedrohlich seine Zähne. „Nein! Nicht, solange du mir nicht sagst, was du jetzt vorhast.", beharrte sie. Sie war noch nicht fertig mit ihm, solange das Chaos drohte ihn zu verschlingen. Sie wollte sehen, wie weit er gehen würde. Konnte sie die Dunkelheit in ihm so einfach hervorlocken? „Was willst du von mir?", sagte Vincent. Die Ruhe vor dem Sturm. Es war offensichtlich, dass ihn sein derzeitiger Zustand an den Rand seiner Geduld trieb und dass Elenora die Situation zusätzlich verschärfte. Er konnte nicht länger an diesem Ort verweilen. Solange er lebte, würde ihm niemand seine Würde nehmen. Ihr unausstehlicher Drang sich ihm aufzuzwängen, brachte sein Blut zum Kochen. Seine Pupillen zuckten hin und her. „Ich verstehe, dass es dir nicht gut geht, Vincent", begann Eleonora, „aber ich wollte dir vom ersten Moment an nicht böses und habe dir das Leben gerettet." „Ich habe dich nie um irgendetwas gebeten", spie er. Es war weder seine Absicht, hier bei ihr zu sein, geschweige denn, ihre Fragen zu beantworten. Ihre Faszination für Metabolen war ihm völlig unbegreiflich. Er fühlte sich wie ihr Versuchskaninchen. Sein erster und drängendster Wunsch war Rache, sobald er wieder bei Kräften war. Da war das Chaos in ihm, das zunehmend Macht über ihn gewann. Wie befriedigend es wäre, Constantin bei lebendigem Leib zu verbrennen. Doch das Chaos würde ihn verschlingen, wenn er sich auf diesen Weg begab. Elenora seufzte und erwiderte mit einer Mischung aus Enttäuschung und Unverständnis: "Vincent, du hast mich in Hallstatt verraten, und du schuldest mir dafür eine Erklärung. Aber du scheinst dich nur für deine eigenen Angelegenheiten zu interessieren." „Provozier mich nicht.", er ballte die Fäuste, um seine Wut irgendwo hin abzuleiten. „Lass uns unten etwas essen, damit du wieder zu Kräften kommst.", versuchte sie, die Spannungen zwischen ihnen zu lösen. „Du sagt mir ständig was ich zu tun habe.", stieß Vincent bedrohlich hervor. Grob packte er ihren Ellenbogen und zwang sie, ihren Arm zu heben. Sie stieß ein schmerzhaftes Keuchen hinter zusammengebissenen Zähnen hervor. „Ich bin dein Feind." Tränen bahnten sich unaufhaltsam einen Weg über ihre Wangen und tropften schließlich auf Elenoras Kleidung. Die Situation war unkontrollierbar geworden. Ihr Magen brannte, wenn sie daran dachte, dass er diese Reaktion auslöste und es nichts gab, womit sie sich schützen konnte. Schlagartig ließ Vincent sie los als hätte er sich an ihr verbrannt. Es war nicht seine Absicht sie zu verletzen und er war zu weit gegangen. Zwar störte er sich nicht daran mit direkten Worten oder Taten, die er als richtig erachtete, zu verletzten. Doch tief in seinem Inneren spürte er, dass das Chaos bereits Besitz von ihm ergriff. „Elenora?", erstarrte er, seine Tonlage hatte sich verändert. Verwirrt hob sie den Kopf, wischte sich Tränen aus dem Gesicht. „Was ist?", spie sie ihm entgegen. „Jemand ist hier..." „Wer?" „Das weißt du so gut wie ich. Ein Reinigungsritual! Sie kommen mich holen." Mehrere Schüsse drangen durch das dünne Holz der Eingangstür des Raumes. Einer davon straff Vincent scheinbar am Bein. Fluchend berührte er die Stelle. „Komm.", presse Elenora hervor, ihre Nerven waren zum Zerreißen angespannt. Sie kam an seine Seite, um ihn zu stützen, doch Vincent schlug bestimmt ihre Hand weg. Lieber starb er, als sich diese Blöße zu geben. Elenora zuckte zusammen als die Holztüre nachgab und aus den Angeln vor ihre Füße fiel. Zwei Männer stürzten herein und Elenora blickte in den Lauf eines Holzgeschosses. Eine flüchtige Bewegung am Abzug bedeute ihr Ende. „Der Metabole!", schrie der Stämmigere der Beiden. Elenora blieben die Worte im Hals stecken, ehe sie ein schwaches „Wieso?", erwiderte. Der Mann benutzte das Holzgeschoss wie einen Schlagstock und traf Elenora damit, sodass sie zu Boden stürzte. Blut tropfte von ihrer Schläfe herab. Hatte sie in Hallstatt das Gefühl des Kampfes noch ersehnt, so bereute sie nun ihre Naivität. Die plötzliche Wut und die nachfolgende Gewalt des Mannes waren für Elenora unbegreiflich und erschütternd. "Bleib liegen, wir wollen nur den Metabolen", zischte der Angreifer erneut, und sein Gesicht war von Kälte und Entschlossenheit gezeichnet. Sie war sich sicher, dass dieser Mann Vincent nicht persönlich kannte. Elenora rang nach Atem, während ihr klar wurde, was gerade geschah. Sie waren hier wegen Vincent. Sie würden ihn jetzt nach draußen zerren, und auf einen Scheiterhaufen lebendig verbrennen oder eine andere grausame Art der Hinrichtung wählen. Jemand in der heutigen Gruppe von Patienten hatte möglicherweise verraten, dass er hier war. Vielleicht war es auch Diane gewesen, doch im Augenblick spielte das keine Rolle. Elenora hatte bereits eine Metabolen Verbrennung erlebt. Vincent mochte ein schwieriger Mensch sein, doch deshalb verdiente er gewiss nicht den Tod. Sie hätte in diesem Augenblick den Mund halten können, doch sie konnte einfach nicht den Blick von Vincent abwenden. Es war nicht seine Schuld. Er mochte ein egoistischer Eisklotz sein, doch vielleicht hatten ihn die Umstände dazu gemacht. Er war als Metabole geboren und niemand hatte eine Wahl in dieser Angelegenheit. Er verdiente es nicht, deswegen zu sterben. Doch ohne den Schutz der anderen Soldaten würde die Zivilbevölkerung ihn töten. Ein sinnloser Tod von vielen. Ihre Blicke trafen sich, und in diesem Moment waren sich beide bewusst, dass ihre Schicksale auf unerklärliche Weise miteinander verknüpft waren. Elenora würde sich nie mit der Situation abfinden, und er war auf sie angewiesen. Sie blickte ihn an und er erwiderte ihren Blick. In diesem Augenblick waren sich beide bewusst, dass ihre Schicksale auf unerklärliche Weise miteinander verflochten waren. Elenora würde sich nie mit der Lage abfinden und er war auf sie angewiesen. Heftig ausatmend kombinierte Elenora ihre Möglichkeiten und kam zu dem Schluss, dass eine Flucht aus dem Fenster ihre beste Option war. Plötzlich erhellte eine heftige Feuersäule den kleinen Raum und verfehlte den Angreifer knapp. Vincents Angriff hatte die Angreifer abgelenkt und Elenora wusste, dass es Zeit für eine Flucht aus dem Fenster war, und zwar jetzt. Sie lief darauf zu und sprang gemeinsam mit Vincent hinaus. Katzengleich landete Elenora auf der Schneedecke, das Windelement ermöglichte eine elegante Landung. Vincents blutendes Bein hingegen konnte ihn nicht stützen. Sein Körper zuckte, als er zu Boden gezogen wurde, und sein Schmerzensschrei war ohrenbetäubend. Elenora zuckte zusammen, drehte sich um und sah, wie das Lazarett ihres Großvaters und seine Manuskripte in Flammen aufgingen. Männer standen um das Gebäude. Es waren zu viele, eine ganze Meute. Sie betete, dass ihrem Großvater nichts passiert war, und dann lief sie mit Vincent davon, denn die Männer hatten sie entdeckt. Elenora und Vincent rannten den Weg hinunter bis zum See, dessen Ufer in der Ferne nicht auszumachen war. Die Dunkelheit erschwerte ihnen die Sicht. „Du hattest recht, ich werde sterben!", keuchte Elenora und Vincent hielt den Atem an. „Du musst die Nerven behalten.", gab Vincent nüchtern von sich. „Dort!" Er deutete auf ein Holzbrett, das in Ufernähe trieb. Elenora konnte sich kein Szenario vorstellen, in welchem ihnen dieses Holzbrett von Nutzen gewesen wäre. „Überlass es mir", fuhr Vincent fort. Elenora wollte ihm helfen und stützte ihn von der Seite, da sein Bein immer wieder nachgab. „Ich schaffe es ohne dich", stieß er sie von sich und ging voran. Mit einem geschickten Sprung landete Vincent auf dem Holzbrett, gefolgt von Elenora. Er konzentrierte sein Wasserelement, und das Holzbrett begann sich langsam vorwärtszubewegen. Elenora schluckte. Seine Beherrschung von Wind und Wasser war beeindruckend. Fluchend mussten ihre Verfolger nach einigen Schritten ins Wasser aufgeben und feuerten Schüsse ab, die in die Wasseroberfläche einschlugen. Elenora beobachtete, wie die Männer am Ufer zurückblieben und in die Ferne rückten. Der Mond thronte in all seiner strahlenden Pracht über dem Meeresspiegel und feine Nebelschwaden zogen sich über die Wasseroberfläche. Die Schönheit der Welt war in Augenblicken wie diesen grotesk. Warum hatte sie sich nur dafür entschieden ihm zu helfen? Nun war womöglich auch sie selbst auf der Abschussliste dieser Menschen und konnte nicht zurückkehren. Sie hatte ihren Großvater doch erst vor wenigen Tagen erreicht. Doch tief in ihr wusste sie, dass es ihrem Wesen entsprochen hatte Vincent zur Seite zu stehen. In ihren Augen hatte er den Tod nicht verdient. „War das ein Reinigungsritual?", fragte sie. Vincent nickte. „Sie finden überall in Winterthur statt und du hast selbst bereits eines erlebt. Das Haus wird auf Verdacht nach Metabolen durchsucht. Wenn sie einen finden, zerren sie ihn heraus und verbrennen ihn vor dem Haus." „Was für einen Grund haben sie zu töten?" „Was denkst du denn?", erwiderte Vincent unwirsch. Elenora hielt einen Moment inne und stellte dann eine weitere Frage: „Hat es etwas mit Constantin zu tun?" „Ja mit seiner Politik, und mit Hass und Angst.", antworte Vincent. Seine Worte klangen kalt und emotionslos, während er hörbar ausatmete. Es schien, als sei er nicht gewillt, das Gespräch fortzusetzen. Die Dunkelheit, die ihn umgab, wurde spürbar, als wäre sie physisch greifbar. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis das Chaos ausbrach. Kapitel 6: Zweisamkeit ---------------------- Die Wirtin begutachtete Vincent und Elenora argwöhnisch als sie in die Taverne stolperten. Vincent blutete und Elenora rieb sich die Hände vor Kälte. „Wir benötigen zwei Zimmer.", Elenora lächelte, auch wenn ihr nicht danach zumute war. Die Wirtin zog die Augenbrauen hoch. „Ihr werdet doch keinen Ärger machen?" „Wir sind erschöpft von der Reise", beschwichtigte Elenora und überreichte ihr zwei Kupferstücke. „Dafür ist nicht mal eines zu haben", entgegnete die Frau. Aufgrund der eisigen Temperaturen und Vincents schwindender Kraft waren sie auf diese Gaststätte angewiesen. Jede Bewegung verursachte ihm Schmerzen, doch er hielt sich auf den Beinen. „Geben Sie uns das Zimmer!", äußerte Vincent trocken. Es war unbegreiflich, wie er sich auf den Beinen halten konnte. Elenora legte noch einige Kupferstücke daneben. Jeden Schritt, den er aus Sturheit machte, schien genauso schmerzhaft für Elenora zu sein, wie für ihn. „Gut..", gab sich die Frau geschlagen und nahm das Geld. Dann deutete sie ihnen, dass sie ihr folgen sollten. Vincents Gedanken gehörten jedoch nur einem. Sein Wunsch war Constantin zu töten. Doch es war unwahrscheinlich, dass er in seinem derzeitigen Zustand kämpfen konnte, auch wenn er es sich nicht gerne eingestand. Im Moment war vorrangig zu Kräften zu kommen - auch wenn das Tier in ihm vor Wut kochte. Er wollte nicht schlafen. Er wollte jeden Stein umdrehen, um Constantin ausfindig zu machen und Rache zu nehmen. Schließlich erreichten sie das Zimmer, welches die Wirtin mit einem beiläufigen "Viel Vergnügen" enthüllte. Das Zimmer wirkte verdreckt und armselig, doch beide waren darauf angewiesen. Elenora erstarrte zur Salzsäule. Nur ein Bett. Nur sie und er. Heute Nacht. Sie musste an etwas anders denken! An die winzige Waschschüssel in der Ecke. Kein Rückzugsort. Elenora sah sich im Raum um, der nichts bot, um sie von ihren Gedanken abzulenken. Elenora beobachtete wie Vincent sich ächzend auf das Bett niederließ und machte sich daran die wenigen Sachen, die sie bei sich trug auf dem Tisch auszubreiten und sich einen Überblick zu verschaffen. Schließlich war es Vincent, der das lange Schweigen durchbrach. „Ich habe die Kontrolle verloren." Elenora blickte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Als ich dich am Arm gepackt habe.", sagte er dann. Seine Worte wertete sie als Entschuldigung. „Ich habe es herausgefordert." meinte Elenora sanft, während sie ihren Kopf senkte und in ihrer Tätigkeit stoppte. Vincent nickte kaum merklich. Er empfand sein Versagen als demütigend. Sein Gefühl für Stolz und Ehre war nie klein gewesen. Seine Unterlegenheit stellte ihn bloß und die Tatsache, dass er auf Elenora angewiesen gewesen war, war ihm zuwider. „Waffenstillstand?", fügte Elenora schließlich hinzu und näherte sich dem Bett, auf dem er saß. „Gut.", brummte er. Seine Mimik wirkte erschöpft. „Ich möchte mir deine Wunden ansehen...", setzte sie schließlich an, was sie bereits zu lange beschäftigte: Seine gesundheitliche Verfassung. Er wandte seinen Kopf, und ihre Blicke trafen sich. „Wieso tust du das für mich?" „Ich habe mein Leben lang Verwundete versorgt. Es war immer meine Aufgabe." Widerwillig zog er sich das Oberteil über den Kopf und Elenora hielt die Luft an. „Ich muss die Blutung stillen.", meinte sie, während sie ihr Windelement in ihren Händen mobilisierte. „Du musst erschöpft sein, leg dich hin." Der Blutverlust hatte ihn ermüdet. Sich fügend legte er sich auf den Rücken, ließ seinen Kopf auf dem Kissen nieder. Sein Körper drohte den Dienst zu verweigern, aber seine Gedanken waren wild. Er schloss die Augen und fantasierte, wie er Constantin verbrannte. Dieser Gedanke trieb ihn an nicht aufzugeben, die Vorstellung wie sein Gegner die Augen weidete, erschrocken vom Schmerz. Alles in ihm schrie nach Rache, er hatte diesem Gefühl schon einmal nachgegeben und war in die Dunkelheit gegangen. Er wusste, wie das Leben aussah, wenn man danach trachtete. Dann hörte er Elenoras Stimme, sie summte eine Melodie. Irritiert sah er sie an und war wieder in der Realität angekommen. Das Feuer im Ofen tauchte den Raum in warmes Licht und abendliche Ruhe. „Tut mir leid, das ist ein altes Lied der Windgebohrenen. Damit habe ich gelernt das Windelement präzise zu kontrollieren. Ich bedanke mich bei deinen Venen, dass sie dich am Leben erhalten." Vincent erwiderte nichts und blickte in eine Ecke des Raumes. „Und ich bedanke mich bei deiner Haut, die für dich atmet. Ich habe deinen Arm gesehen", flüsterte sie leise, ihre Stimme von einer Mischung aus Neugierde und Besorgnis geprägt. „Wie schnell breitet es sich aus?" Ihre Worte waren sanft, doch sie verrieten eine tiefe Sorge. Die schwarze Färbung seiner Haut war ein untrügliches Zeichen des Chaos, das sich ausbreitete und ihm den Verstand kosten würde. Vincent atmete vor Schmerz heftig aus, als Elenora begann, die Wunde zu reinigen. „Mir bleibt wohl nicht mehr viel Zeit", stieß er hinter zusammengebissenen Kiefer hervor. „Doch das wusstest du bereits, habe ich recht?" „Ich wusste nicht, ob DU es weißt." „Wieso wolltest du nach Winterthur?", wechselte er das Thema, geschickt ihre übermäßige Redseligkeit nutzend, um sich vom Schmerz abzulenken. Es war das erste Mal, seit sie ihm begegnet war, dass der Verräter etwas über sie erfahren wollte. Doch sie war nicht aufgrund seines Verrats in Winterthur. Das war eine Ausrede, die einfach war. Sein Verrat hatte ihr nur den Aufschwung verschafft, Hallstatt hinter sich zu lassen. Als Hochgeborene hätte sie ihre Eltern um Vergebung bitten können und sie wäre ihr gewährt worden. „Ich möchte neue Entdeckungen machen, die die Welt zum besseren verändern. Verstehst du?" Schon als Kind hatte sie einen sechsten Sinn. Damals hatte sie das Flüstern der Elementarwesen vernommen. Heut war das Flüstern war zu einem Schrei geworden, den sie nicht ignorieren konnte. Sie fand tiefe Unruhe in sich selbst. „Wir sollten versuchen Elementargeister zu verstehen und ihre Weisheit nutzen. Womöglich können sie das Chaos verstehen. Ich könnte unzähligen Metabolen das Leben retten." Die Energie der Elemente war stark in Vincent. Bereits bei ihrer ersten Begegnung spürte sie diese Kraft, die ihn unverkennbar machte. Alles an ihm verwirrte Elenora – von der geheimnisvollen Anziehungskraft bis zu den undurchdringlichen Schatten seiner Vergangenheit. Ihr Herz raste gegen ihre Brust, als hätte es die Orientierung verloren, weil es in einen Wirbelsturm geraten war. „Ich finde dich unendlich interessant.", sagte sie dann. In diesem Moment strif sie sanft über die schwarz gefärbte Haut seines Armes. Vincent versteifte sich, woraufhin Elenora den Kopf sinken ließ und ihre Augen abwandte. Ihre Worte entbehrten sich jeder Logik, und sie wusste, dass er nicht wie sie empfand. Sie dankte Gott, dass er weder wegzuckte noch weiter darauf einging, was sie soeben getan hatte. Sie wandte sich rasch einer anderen Tätigkeit zu: der Waschschüssel, die ihr zumindest diesen Luxus bieten konnte. Während Vincent langsam vor Erschöpfung einschlief, sah sie zu ihm und schämte sich für das, was soeben passiert war. In ihren kühnsten Tagträumen, und davon gab es reichlich, hätte sich Elenora diese Situation nicht ausgemalt. Nachdem Elenora sich gewaschen hatte, schlüpfte sie unter die Decke. Sie spürte, wie ihre Wangen sich erhitzten, und ein unangenehmes Kribbeln durchfuhr sie, als sie zu ihm hinüberblickte und sich fragte, ob ihn anzusehen zur Sucht werden würde. Kapitel 7: Geist der Flammen ---------------------------- Die morgendlichen Strahlen warfen Schatten auf den Boden. Die aufgehende Sonne beleuchtete die hölzernen Schnitzereien an den Wänden, und ein Sonnenstrahl versuchte, das düstere Zimmer zu erobern. Es wäre ihm gelungen, hätte nicht jahrelanger Schmutz alle Fenster verdeckt. Vincent lag auf dem Rücken und gestand sich ein, dass er nicht schlafen würde. Er drehte seinen Kopf zu der Person neben ihm. Ihr Körper war zusammengerollt und ihre Stirn in Falten gelegt. Ihr hellbraunes Haar war wild und verworren, eine Beschreibung, die auch zu seinen derzeitigen Gedanken passte und zu der unerklärlichen Spannung, die in dem Zimmer herrschte. Constantin erlangte zunehmend politische Macht und veränderte das Land zu einem Menschenverachtenden. Seine Worte hatten sich in Vincents Gedanken festgesetzt. „Es ist meine Bestimmung Metabolen Angst beizubringen. Ihr werdet gejagt und hingerichtet." Leben endeten in Blut und Elend. Vincent schloss seine Augen schmerzerfüllt. Ob die Menschen, die er einst Familie genannt hatte Angst gehabt hatten, bevor sie gestorben waren? Sein Seufzten erfüllte das Zimmer, während er sich aufsetzte und seine schmerzende Hand betrachtete. Auch wenn seine körperliche Verfassung bedenklich war, würde ihm nur ein Ortswechsel helfen einen klaren Kopf zu bekommen. Das, was ihm bei seinem Weg aus dem Zimmer verriet, war das laute Quietschen der Holztür. Elenora fuhr aus ihrem Schlaf hoch in eine sitzende Position, während er die Türklinke hinunterdrückte. Er versteckte seine Hand unter seinem Mantel, doch Elenora hatte das Zittern bereits bemerkt. Ein deutliches Zeichen, dass das Chaos seine Handfunktion bereits einschränkte. „Wohin gehst du?", fragte Elenora und unterdrückte ein Gähnen, „Du weißt, dass ich dir wegen deiner Hand helfen kann." Es musste an den Strapazen der letzten Tage liegen, dass ihr Verstand sich verabschiedet hatte und sie mit dem Verräter gehen wollte. Doch er war momentan ihre beste Option. Sich allein durchzuschlagen, ohne ihnen Großvater, wäre unvorsichtig. Sein Nicken signalisierte ihr, dass sie ihm folgen sollte. Ungläubig sprang sie auf und massierte ihre verschlafenen Augen. Auch wenn er es sich nicht gerne eingestand, waren sie aufeinander angewiesen. Nur wenn er die Mission erfolgreich abschloss, hatte er eine Chance in Hallstatt an Macht zu kommen. Wenig später folgte Elenora ihm aus der Unterkunft einen verschneiten Weg entlang, welcher aus dem Dorf einen Hügel hinaufführte. Vor den Beiden offenbarte sich eine schneebedeckte endlose Landschaft und ein ruinenhaftes, gewaltiges Gebilde aus grauem Stein. „Was ist das für eine Kirche?" In diesem Moment fragte er sich, ob sie bisher noch nichts von der Welt gesehen hatte. „Das ist ein Ort der Vorfahren, als diese noch an Elementargeister geglaubt haben." „Das ist die Feuerkirche, habe ich recht?", flüsterte Elenora erstickt. Eine Stimme verriet es ihr. Sie war laut und ungezähmt, rau. „Winterthur beherbergt vier Kirchen, die uns Elementen gewidmet sind.", sagte die dunkle Stimme. Die pompös errichteten Kirchen schienen verlassen, zerfallen und seit Jahrhunderten vergessen. Vincent schenkte Elenora, die an seiner Seite ging einen schiefen Blick. „Die Feuerkirche wird noch immer bewacht von Frauen, die nur einen Sinn haben: Dafür zu sorgen, dass die ewig lodernde Flamme im Inneren nicht ausgeht." „Ewig lodernd?", fragte Elenora. Sie betraten die Kirche und tatsächlich standen einige Frauen zu beiden Seiten, sie schienen sie zwar anzusehen, doch schwiegen ihnen gegenüber und ließen sie ins Innere weitergehen. Fast schien es, als hätten diese jungen Frauen auf die Beiden gewartet. Die Kirche glich aufgrund der Dunkelheit im Inneren einer düsteren Höhle, von Schatten umhüllt. Die Dunkelheit verschlang die Beiden und die Kälte umfing sie wie eisige Klauen, während sie immer tiefer ins Innere vordrangen. In der Ferne hörten sie ein leises, flackerndes Geräusch, das einem schwachen Flüstern glich. Ihr Herz pochte schneller, als sie der Geräuschquelle folgten. Instinktiv wusste Elenora, dass sie sich dem Naturgeist näherten, dessen Stimme sie bereits vor der Kirche gehört hatte. Je näher sie kamen, desto heller flammte ein Licht auf. Sie traten in einen weiteren Teil der Höhle ein, der von einer geisterhaften, bläulich schimmernden Flamme erhellt wurde. In ihrer Mitte glaubte Elenora für einen Moment eine anmutige Figur zu erkennen, die glühte. Doch die Geister besaßen keine feste Form, sie waren nicht greifbar, wie Wind. „Vincent", sprach der Feuergeist. „Du bist hier, weil du die Dunkelheit in dir trägst?" Verwirrt und fasziniert zugleich trat Vincent näher. Elenora war überrascht, dass Vincent den Feuergeist hören konnte, dies war wahrlich ein sonderbarer Ort. „Ich bin der Geist des Feuers, Ignisa. Das Element, das in dir brennt, aber vom Schatten der Vergangenheit erstickt wird." Vincent senkte den Blick, seine Gedanken wurden von Erinnerungen an das Chaos und den Hass überflutet, der in ihm wuchs. „Du musst das Chaos überwinden, Vincent. Nur so kannst du deine wahre Bestimmung erfüllen." Langsam hob Vincent den Kopf, sein Blick klärte sich. „Aber wie kann ich das tun?" Sein Licht flackerte heller auf. Die Flamme wurde zunehmend größer. Elenora fragte sich, ob diese Flamme wirklich ewig loderte. „Indem du dir selbst verzeihst, Vincent. Lass die Vergangenheit los und finde Stärke in deinem Inneren und Frieden. Nur dann wirst du in der Lage sein, die Dunkelheit zu kontrollieren und deine Heimat zu retten. Nicht alle Familienmitglieder sind tot. Hilf Robin, der in der Hauptstadt versucht uns zu retten. Die Macht, die du dir im Hallstatt erhoffst, wirst du nie erhalten." Vincent atmete tief und spürte, wie die Last der Schuld und des Zorns von ihm abfiel. Er konnte das Feuer in sich spüren, wie es langsam stärker wurde und den Raum um ihn erleuchtete. Der Feuergeist sprach noch einmal: „Du bist der Träger des Feuers, und es wird dich beschützen und leiten. Gehe und erfülle deine Bestimmung." Mit einem Gefühl der Entschlossenheit in seinem Herzen verließ Vincent die Höhle und Elenora folgte ihm. Sie bewegten sich an einem eingefallenen Boden vorbei und kletterten über Steine, bis sie in dem überdimensionierten Saal im inneren ankamen. Vincent setzte sich in der Mitte auf den Boden und schloss die Augen. Er lauschte dem Nichts und unweigerlich dem Hall, den Elenoras Absätze auf dem Boden verursachten, während sie sich im Saal umschaute. Er hatte Jahre damit verbracht, die Elemente zu üben. Ein Schlüssel dazu war Konzentration. Das Leben als Soldat unterstützte ihn dabei, dem Chaos möglichst lange zu entkommen, denn es machte Disziplin notwendig. Doch nun schien seine Zeit begrenzt. Elenora ließ sich Vincent gegenüber sinken. Sie konnte ihre Augen nicht von ihm ablassen und ergriff die Gelegenheit ihn unverfroren anzustarren. Wie konnte sie nur herausfinden, was genau mit seiner Familie geschehen war? Und was dachte er über die Vorhersage des Elementargeistes? Viele hielten ihre Vorhersagen für Täuschungsversuche. Einem Elementargeist konnte man nicht vertrauen. „Machen dir deine Wunden nicht mehr zu schaffen?", fragte sie irgendwann. „Du beherrscht dein Handwerk.", so viel musste er ihr zugestehen. „Was weißt du über das Chaos?" Was scherten ihn in Anbetracht von seiner Bestimmung alte Wunden? Er hatte größere Ziele. Sein Heimatland scherte ihn einen Dreck, er wollte Macht und wenn er diese in Hallstadt nicht erhalten würde, dann vielleicht in diesem Land. „Der Äther ist die Substanz, aus der alle Elemente hervorgegangen sind. Er beherrscht und durchdringt die gesamte Schöpfung. In den alten Schriften steht geschrieben: Wer sie nicht kennt, die Elemente, ihre Kraft und Eigenschaft, ist kein Meister über die Geister." Vincent öffnete seine Augen und blickte auf den Schriftzug, der in Stein gemeißelt an den Wänden zu finden war. „Die Geister lassen sich nicht beherrschen.", sagte Vincent. „Manchmal kommt es mir vor, als hätten die Menschen irgendetwas wichtiges im Laufe der Geschichte vergessen. Die Menschen interessierten sich schon lange nicht mehr für die Elementargeister und dieser Ort bezeugt das." Elementargeister waren wie Luft, willenlos und machtlos. „Du redest du viel, Elenora von Hohenheim.", sagte er dann. Nach wie vor verstand er diese Frau nicht, weder ihre Motivation noch ihr Wesen. „Was erwartest du sonst von mir?" „Kämpf mit mir." „Was?", schnappte Elenora. „Wenn du die Luft beherrscht, solltest du dich verteidigen können." „Ich beherrsche die Luft feingranular, doch kämpfen erfordert eine andere Technik. Dazu muss man die Luft schneller und grober manipulieren. Das habe ich nie gelernt und dafür offenbar auch kein Talent." Im Lazarett Hallstadt war Kampferfahrung überflüssig gewesen. „Lass mich selbst sehen." Er wollte kämpfen? Aufgrund seiner Wunden konnte sie ihm nur davon abraten, doch sie bezweifelte, dass er sich von ihr etwas sagen ließ. Vincent erhob sich und brachte Abstand zwischen die Beiden, bevor er sich in Kampfposition begab. Elenora schluckte, wenn sie ehrlich war, galten mittlerweile andere Regeln als die, die sie gewohnt war. Sie begriff seine Absichten nicht, sie konnte sich nur auf ihre Intuition verlassen. Sie verlor keine Zeit und wollte das Überraschungsmoment für sich zu nutzen. Vincent war ihr in Punkto Schnelligkeit überlegen und diesem Vorteil musste sie entgegenwirken. Die Luft, die sie in ihren Händen freisetzte, wurde mit geballten Fäusten auf ihn losgelassen, als sie nach vorne hastete, um ihn mit einem Faustschlag im Magen zu treffen. Vincent wich mit einer eleganten Bewegung aus. Als hätte Elenora mit dieser Reaktion gerechnet, drehte sie sich im selben Moment, um ihn mit ihrem anderen Arm im Gesicht zu treffen. Auch diesem Angriff entkam er spielerisch, indem er sich zurückbeugte. Elenora war langsam, die Energie ihrer Hände fand sich konfrontiert mit seiner Schnelligkeit und Wendigkeit. Sie startete einen weiteren Versuch, donnerte auf ihn los, doch drei Schläge gingen ins Leere. Er war schnell, so verflucht schnell. Seine Art sich zu bewegen, ließ sie lächerlich wirken. Selbst wenn er verletzt war, rechnete sich Elenora keine Chancen aus. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass er sich rechts neben ihr befand. Sie versuchte ihn mit ihrem Bein zu treten, um ihn von den Füßen zu reißen. Mitten im Angriff änderte sie ihre Taktik und zog ihren Arm nach. Diesem Angriff entkam er nur knapp. Elenora lag ein Grinsen auf den Lippen, denn sie war stolz ihn in die Zwickmühle gebracht zu haben. Leider kostete ihr dieser kurze Augenblick ihre Deckung. Vincent benutzte das Windelement und landete einen Volltreffer, woraufhin Elenora zu Boden stürzte und einige Male auf dem staubigen Boden aufkam, bevor sie zu Liegen kam. Keuchend rappelte sie sich auf, sein Schlag hatte es in sich gehabt. „Du lässt deine Gedanken und Gefühle das Beste aus dir holen, du hast gezögert.", bemerkte Vincent. Elenora seufzte. „Du besitzt im Gegensatz zu mir praktische Kampferfahrung und mehrere Elemente." „Ich verwende nur den Wind. Als Windgeborene solltest du dich verteidigen können. Meine Annahme, dass du sterben wirst, scheint ziemlich naheliegend." Elenora fühlte Wut in sich hochsteigen, sie ließ keine Zeit verstreichen, kam auf die Beine und steckte alles in die Schläge, mit denen sie ihn aus dem Gleichgewicht bringen wollte. Seine Worte lösten etwas in ihr aus, dass ihr half noch kontrollierter zuzuschlagen. Der Kampf war plötzlich mehr für sie. Er sollte sie anerkennen. Blitzschnell bewegte sie ihre Faust, um einen Treffer zu landen. Schließlich befand sich eine Mauer in seinem Rücken und er konnte nicht mehr zurückweichen. Mit einer schnellen, unerwarteten Bewegung krallte sie ihre Finger in seine Kleidung, um ihn zu fassen zu bekommen und mit der Faust sein Gesicht zu treffen. Vincent verlor das Gleichgewicht rücklings. Elenoras Hand, die sich in seine Kleidung verkrampft hatte, tat ihr übriges und beide fielen Richtung Boden und landeten in einer unkomfortablen Position. Elenora stürzte auf ihn und er lag flach auf dem Boden unter ihr. Ihre Gesichter waren knapp voneinander entfernt, doch sie erkannte nur Umrisse, denn eine Staubwolke vernebelte die Sicht. Elenora fühlte sein Schwert, dessen Klinge sich an ihrer Kehle befand, während ihre Faust den Boden neben seinem Kopf zertrümmert und Staub aufgewirbelt hatte. Sie hatte ihn verfehlt und Vincent hatte die Oberhand. Der Kampf war vorüber. Es war unfassbar, dass sie soeben den Boden sichtbar deformiert hatte. Sie sah ihm in die Augen, keuchend vor Anstrengung „Du bist verdammt schnell." „Ich will, dass du redest.", sagte er und presse die Klinge fester an ihre Kehle. „Was?" „Was ist deine wahre Motivation?" „Ich will das Chaos erforschen und Metabolen damit..." Er hatte gesehen, was die Welt mit Metabolen anstellte anhand von denen, die er einst Familie genannt hatte. Metabolen waren keine Geister und keine Menschen, ihr Leben hatte keinerlei Wert. Metabolen hatten zwei Möglichkeiten bis zum Ausbrechen des Chaos: als Soldat dienen und dabei getötet werden oder bei Metabolen-Verfolgungen hingerichtet werden. Wenn ihn das Chaos letzten Endes auffraß, waren seine Tage ohnehin gezählt und er würde sterben, ohne jemals Macht erhalten zu haben. Er würde so elend sterben wie ein jeder anderer Metabole vor ihm. Machtlos und rechtelos. „Die Welt kann besser werden.", fügte Eleonora noch hinzu. „Lüg mich nicht an.", schrie er. Elenoras Körper bebte und ihr Hals schnürte sich zu. Er ließ keinen Zweifel daran, dass er es gerade ernst meinte und sie entschied sich dazu, ihm ihren wahren Beweggrund zu verraten. „Meine Schwester Helena kennst du bereits. Doch wir sind drei Schwestern." Elenora berührte ihren Armreif, jenen ihrer Mutter. Diese hatte jeder ihrer drei Töchter ein Schmuckstück überreicht. Helena besaß ein Medaillon und Adela eine Brosche. „Ein Hochgeborener fiel über meine ältere Schwester Adela her. Sie bekam einen Sohn, ein Metabole. Ich möchte .. ich will ihm helfen, meinem Neffen und meiner Schwester. Sie haben bereits genug ertragen, so viel Leid. Es muss eine Heilung für das Chaos geben. Ich würde mir nie verzeihen, wenn er ..." Sie dachte an die Worte ihres Großvaters: Warum sind wir uns so nahe und mögen uns so? Liegt es am Blut? Langsam ließ Vincent sein Schwert von ihrem Hals sinken und sah sie an, sein Blick war unergründlich. Ihre Wangen färbten sich, als sie realisierte, wie anzüglich sie im Moment auf ihm saß. Diese Tatsache entging auch Vincent nicht. Für den Bruchteil einer Sekunde kam ihm der Gedanke, wie es wohl mit ihr wäre. Schnell zog sie sich von ihm hinunter und versuchte vom offensichtlichen abzulenken. „Du hast gut gekämpft, Verräter.", meinte sie. „Nenn mich nicht so.", sagte er beherrscht und sie wunderte sich, dass ihm das offenbar etwas ausmachte. „Du hast gut gekämpft, Vincent.", wiederholte sie und rang um ihre Fassung. „Weshalb bist du so wütend? Ich habe mir den Kopf darüber zerbrochen und bin zu dem Entschluss gekommen, dich am besten zu fragen." Er konnte nicht leugnen, wie aggressiv er sich ihr gegenüber verhielt. Dabei spielten mehrere Faktoren eine Rolle. Vom ersten Moment an hatte er sich daran gestört, dass sie eine Hochgeborene war. Doch ihn nervte auch ihre Person selbst, die Lebenslust, die sie ausstrahlte. Elenora tanzte im Licht und diese Tatsache erinnerte ihn daran, wie sein Leben als Metabole bisher verlaufen war. Doch die Niederlage gegenüber Constantin war der wundeste Punkt, der sein Blut zum Kochen brachte. Und Elenora hatte das Pech Zeugin zu sein und aus einem ihm unverständlichen Grund seine Nähe zu suchen. Zumindest ihre Erklärung, warum sie eine Heilung für das Chaos suchte, erschien ihm plausibel. Seine Wut würde sich früh genug entladen, wenn er seinem Gegner gegenüberstehen würde. „Du bist eine Hochgeborene", war seine schlichte Antwort und sie war nur halb ehrlich. Sie erinnerte ihn an ein verwundbares Kind, welches er nicht beschützen hatte können: Sich selbst. „Ich kann mich nicht dafür entschuldigen, was oder wer ich bin.", gab sie kleinlaut bei. „Aber glaubst du mir, wenn ich dir sage, dass ich das Beste für Metabolen möchte?" „Hm." „Wir werden sehen.", meinte er, ehe er sein Schwert in der Scheide versenkte. Er hatte sein Leben lang vergeblich versucht seine Sünden zu büßen. Es war nicht seine Absicht, neue an ihr zu begehen. Was er wollte, war Macht. Was ihm Frieden geben konnte, war das Begleichen seiner Schuld. Er musste zugeben, dass er zu weit gegangen war und nahm sich vor, gleichgültiger auf Elenora zu reagieren. Nur einige Meter hatte er zurückgelegt als ihn ihre Worte erneut innehalten ließen. „Es könnte immer so sein.", meinte sie, bevor sie sich aufrichtete, um sich ihm anzuschließen. Alle Emotion war von seinem Gesicht weggewischt. Sie tat es schon wieder. Sie näherte sich ihm an. Dafür war er der Falsche, warum begriff sie das es nicht? Er fühlte die giftigen Worte in sich aufkeimen, um sie zum Schweigen zu bringen, stattdessen beschwichtigte er sich selbst. Er wusste nicht, wie er mit Annäherungen umgehen sollte, es überforderte ihn schlichtweg. Solche Dinge waren nicht für ihn bestimmt, daher wehrte er sie für gewöhnlich mit abweisenden Gesten ab. „Wir brechen morgen Richtung Hauptstadt auf! Wir suchen meinen Onkel Robin - wie es der Feuergeist prophezeit hat.", befahl er und ignorierte ihre Worte, bevor er wütend voranging und versuchte seine Gefühle zu schlucken.   8 Die Hauptstadt Die beiden wanderten durch die unberührte Landschaft, bis sie auf einem schmalen Pfad kamen. Als sie das Wort an Vincent richtete, erhielt sie nichtssagende Antworten, deshalb gab sie auf und genoss stattdessen die Natur. Der Weg entpuppte sich als halsbrecherisch und es blieb wenig Zeit für Worte, denn Vincent wollte ihn offenbar in rekordwürdigem Tempo hinter sich bringen. Doch dann teilte sich der Wald vor ihnen und gab den Blick auf gewaltige Gebäude frei. „Jetzt sind wir beinahe angekommen“, durchbrach Elenora die Stille als sie die Stadt erblickte und konnte ihren lauten Atem kaum unterdrücken. Ein eisiger Hauch wehte durch die Straßen, als Elenora und Vincent das Stadttor von Bern passierten. Die Mauern der Hauptstadt ragten hoch über ihnen auf, von Wachttürmen gekrönt, die über das Treiben der Stadt wachten. Der Geruch von Rauch und Gewürzen hing in der Luft, während das sanfte Klappern von Pferdehufen und das Rauschen von Stimmen das Echo der Stadt bildeten. Bern war eine Stadt der Kontraste, geprägt von ihrem Reichtum und ihrer Geschichte. Die gepflasterten Straßen führten vorbei an prächtigen Palästen und schäbigen Hütten, an bunten Marktständen und schattigen Gassen. Überall strömten unterschiedliche Menschen durch die Straßen, von noblen Hochgeborenen in seidigen Gewändern bis hin zu einfachen Handwerkern und armen Bettlern. Die Architektur der Stadt war ebenso vielfältig wie ihre Bewohner, mit gotischen Türmen und Fachwerkhäusern, die sich entlang der engen Gassen drängten. Über allem thronte ein imposanter Palast, dessen silberne Türme im warmen Licht der untergehenden Sonne glänzten. Sanfter Wind strich durch Elenoras seidiges Haar, während Vincent den Palast betrachtete, der immer näher rückte. "Bälle dienen dazu, politische und gesellschaftliche Beziehungen zu festigen, besonders in wohlhabenden und adligen Kreisen", erzählte er. „Schlägst du vor, einen Ball im Palast zu besuchen?“ erkundigte sich Elenora. Er hatte darüber nachgedacht, wie er seinen Onkel finden und was er ihm sagen würde. Wahrscheinlich war dieser mit diplomatischen Schachspielen beschäftigt. „Es dürfte für dich kaum ein Problem sein“, erwiderte Vincent. „Wir sollten uns unter die Leute mischen“, überlegte er, ehe er seine Schritte fortsetzte und die Beiden kurze Zeit später Teil des Trubels wurden. Vincent mochte es nicht unter Menschenmassen zu sein, war lieber für sich. Doch wenn sie unentdeckt bleiben wollten, mussten sie sich unauffällig verhalten. Die Straßen waren mit bunten Laternen geschmückt und erleuchtet, ein sonderbarer Brauch. Der Markplatz, auf dem sie ankamen, war brechend voll mit Menschen in ihren besten Gewändern, die in Feier Laune zu sein schienen. „Was erhoffst du dir davon?“, fragte Elenora. „Mein Onkel wird mit hoher Wahrscheinlichkeit teilnehmen, wenn er in der Stadt ist und wir sollten die politischen Gegebenheiten ausforschen." „Gut, wir werden gemeinsam herausfinden, was im Land vor sich geht", schlug Elenora vor. „Mir ist es nicht gestattet bei politischen Zusammenkünften zu sprechen", erklärte er. „Mit etwas Glück erhalte ich Zutritt als dein Wächter." Während sie durch die belebten Straßen wanderten, dachte sie, dass sie sich an einem Ort befanden, in dem womöglich nicht alles so schön war, wie es auf den ersten Blick schien. Außerdem musste sie sich den Herausforderungen zu stellen die auf diesem Ball warteten. Es war entscheidend, ob sie Personen auf den Bällen hier kannte und wie das politische Geschehen im Land bestimmt wurde. Doch sie war unsicher, ob sie die Rolle der edlen Hochgeborenen spielen konnte, die notwendig sein würde. Elenora blickte zu Vincent und dann auf das Geschäft vor ihnen, das feinste Kleidung aus Seide verkaufte und folgte ihm in das Gebäude. Sie würde so tun, als ob sie diese feine Person war, im Grunde hatte sie diese Rolle schon oft gespielt. Nach einem Gespräch mit der Angestellten hatten sie erfahren, dass an diesem Abend ein Ball stattfand und deshalb auch die Straßen geschmückt waren. Für den Anlass hatte die Dame Elenora ein Kleid herausgesucht. Sie betrachtete sich im Spiegel, feinste Seide schmiegte sich um ihren Körper. Die Hauptstadt hatte Läden zu bieten, von denen viele Frauen träumten. Elenoras Finger berührten die feinen Roben und teuren Stoffe. Unwillkürlich fragte sie sich, ob Vincent das Kleid gefiel, zumindest hatte er sie darin betrachtet. Achtete Vincent auf derartiges? „Ich hasse Bälle", gestand Elenora und Vincent blickte sie an. „In Hallstadt habe ich an einigen teilgenommen.“ „Ich würde gerne deine Macht besitzen", sagte Vincent, bevor er sich abwandte. Metabolen waren auf Bällen kaum anzutreffen. Sie blickte ihm nach, während sie die Stunden bis zum bevorstehenden Ball zählte. Elegant gekleidete Menschen strömten in die Richtung des prächtigen Gebäudes, dessen Tore sich für eine Nacht voller Glanz und Pracht öffneten. Die Wächter am Eingang kontrollierten Elenoras Papiere und nach einem skeptischen Gespräch ließen sie schließlich beide passieren. Im Inneren des Ballsaals herrschte Aufregung. Das Klirren von Gläsern und Silberbesteck mischte sich mit dem gedämpften Murmeln der Gäste, die sich in kleinen Gruppen versammelten, um Gespräche zu führen. Die Wände des Saales waren mit üppigen Stoffen und Kristallleuchtern geschmückt, die das Licht der Kerzen reflektierten und einen funkelnden Glanz über die Tanzfläche warfen. Überall im Raum waren kunstvoll arrangierte Blumen zu sehen, ihre Düfte vermischt mit dem Hauch von Parfüm. Die Musiker auf der Bühne spielen eine klassische Melodie, und Paare glitten elegant über das Parkett, ihre Bewegungen perfekt synchronisiert mit der Musik. Elenoras Kleid glitzerte im Kerzenlicht, und Vincents Kleidung betonte sein gutes Aussehen. Sie wurden von neugierigen Blicken begleitet, als sie sich unter die Gäste mischten. „Welch eine Ehre, eine von Hohenheim in unserer Mitte", bemerkte plötzlich ein Mann, und Elenora wandte sich erschrocken um. Richard von Epstein, der ihr ihre Heimat genommen hatte, stand unmittelbar hinter ihnen und hatte sie sofort entdeckt. Hatten sie bereits verloren? Trotz ihres Unbehagens verbeugte sich Elenora vor ihm, denn der Schein war alles, was zählte. „Ich bin verwundert, euch hier zu sehen, vor allem an seiner Seite“, bemerkte von Epstein. „Es sollte euch wenig wundern mich nicht mehr in Hallstadt anzutreffen“, erwiderte Elenora. Ein Mann, der offenbar mit Richard von Epstein den Tisch teilte, gesellte, sich zu ihnen und küsste Elenoras Hand in einer eleganten Geste. „Es würde mich freuen, diese Schönheit einem Platz an unserem Tisch anzubieten.“, sagte der Mann. Elenora nickte ihm leicht zu und konnte deutlich Richard von Epsteins Ablehnung an seinem Gesichtsausdruck erkennen. Dennoch erhielt sie einen Platz an dem Tisch. Vincent folgte ihnen und stellte sich einige Meter neben dem Tisch an die Wand. „Elenora von Hohenheim.“, stellte sie sich freundlich vor. „Robin Wolf.“, sagte ihr Gegenüber und Elenora erstarrte. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Vincents Onkel so plötzlich zu treffen. Bereits bevor das Essen serviert wurde, hatte sie einige Fakten erfahren. Robin Wolf stammte aus einer Hochgeborenenfamile und hatte sich durch seine diplomatischen Fähigkeiten und seine Hingabe an die Kantone des Landes ausgezeichnet. Als Landammann arbeitete er daran, die Interessen der Kantone zu vertreten und die Unabhängigkeit der Schweiz in einer Zeit großer politischer Turbulenzen zu bewahren. Als Landammann war er der Vorsitzende der Tagsatzung, dem höchsten politischen Gremium der Schweiz, und repräsentierte die Interessen der Kantone nach außen. „Und ihr? Seid ihr etwa mit Paracelsus von Hohenheim verwandt?", fragte ein Mann am Tisch. Er war gutaussehend und von kräftiger Statur mit hellen Augen. „Er ist mein Großvater.“, erwidere Elenora und stocherte in ihrem Essen herum. Wurde Vincent nichts angeboten? Sie widerstand dem Drang zu ihm zu blicken, es ließ sich nur schwer mit der Rolle vereinbaren, die sie heute spielte. „Eine unglaubliche Ehre. In der Schweiz leben nur wenige Windgeborene und ich bin einer von ihnen.“, fuhr der Herr fort und Elenora hatte den Eindruck, dass er sie etwas zu anzüglich betrachtete. „Ich versichere euch, dass sie keine gute Partie für euch darstellt.“, sagte Richard von Epstein, dem seine Blicke ebenfalls nicht unbemerkt geblieben waren. Er verzog den Mund zu einem ernsten Strich. „Sie vertritt heikle Ansichten und eine offensichtliche Vorliebe für Metabolen.“ Von Epstein und die Männer richteten ihre Aufmerksamkeit auf Vincent, der stumm neben ihnen stand. „Er wärmt euer Bett, Lady von Hohenheim?“, erkundigte sich der Windgeborene und Elenora schluckte. „Vincent ist mein Leibwächter.“, eröffnete sie und blickte zu Vincent, der noch immer kein Wort gesagt hatte. Er stand steif neben dem Tisch und blickte zu Boden. „Er beschützte bisher mein Leben.“ „Ich braucht euch nicht rechtfertigen. Hier in Winterthur halten viele Hochgeborene Metabolen für das Bett. Euer Großvater veröffentlichte grandiose Schriften, die dies ermöglichen. Ein wichtiger Mann für unser Land, hat er doch die Kastrationspflicht für Metabolen in seinen Schriften propagiert und aufgezeigt, wie gefährlich sie für die Gesellschaft sind." Elenoras Atem stockte, sie hatte nie geglaubt, dass ihr Großvater ein derartiges Monster sein könnte. Vincent tat ihr leid, wie er dastand und kein Recht hatte zu sprechen oder zu essen. Es zerriss ihr das Herz. Er war die zahlreichen Metabolen vor ihm, unbedeutend und darauf wartend bei einer Metabolbenjagt entsorgt zu werden. In diesem Augenblick begriff sie Vincents Streben nach Macht - er wollte Mitspracherecht. Während sie den Druck verspürte, sich zurückzuhalten, um mehr Informationen zu erfahren, schmerzte ihr Herz wegen ihm, der in dieser Gesellschaft keine Stimme hatte und für alle Metabolen, die in diesem Land Qualen erlitten. „Dieses grauenvolle Gesetz hätte längst abgeschafft gehört.“, stellte Robin Wolf fest. „Seid auch ihr ein Freund der Metabolen? Oder liegt es daran, dass er euer Neffe ist?“, sagte Richard von Epstein. „Ihr könnt wohl kaum die unkontrollierte Verbreitung von Metabolen gutheißen?“ „Um das Gesetz abzuschaffen, bräuchtet ihr die Einwilligung jedes Kantons.“, sagte der Windgeborene. „Darf ich ihre weiteren Getränkewünsche erfragen?“, gab die Kellnerin am Tisch zu verstehen. „Den feinsten Wein für alle.“, antwortete Richard von Epstein und die Kellnerin verschwand. „Entschuldigt mich, ich werde die Runde aussetzen, denn ich habe politische Pflichten zu erledigen.“, sagte Robin Wolf und begab sich auf die vor ihnen liegende Bühne, um eine Rede anzustimmen: „Meine lieben Unterstützer.“, sprach er, während die Kellnerin Elenoras Weinglas füllte. „Wie ihr wisst findet in nur drei Tagen eine wichtige Wahl zum Landamman statt. Wie bereits letztes Mal stehe ich für die Wahl bereit. Lasst mich sagen, dass es für mich nichts Wichtigeres gibt als unser Land! Wer an ein friedliches Zusammenleben glaubt, für den werde ich einstehen! Für jeden einzelnen der mir seine Stimme zusichert!“ Vincent blickte zu Elenora, wie sie an ihrem Glas Wein nippte. Wenn sie ihr Vorhaben beendet hatte, würde sie zweifellos betrunken sein. Nachdem Robin die Ansprache beendet hatte, wanderte er von einem Tisch zum nächsten, um mit potenziellen Wählern zu sprechen. Elenora stand nach einer gefühlten Ewigkeit vom Tisch auf, nachdem jeder sein Essen beendet hatte und sagte, sie wolle sich etwas unter die Leute mischen. Richard von Epstein musterte sie aus kalten Augen und verzog den Mund zu einem ernsten Strich. Sie bewegten sich durch die Menge und hörte, wie Vincent ihr folgte, bis sie Robin erreichten, der sie mit zugekniffenen Augen anlächelte. Er bemerkte leise: „Es ist leider nicht ungefährlich mich mit euch sehen zu lassen, doch wir haben einiges zu Besprechen. Kommt morgen nachts in mein Haus in der Kramgasse. Aber lasst euch in der Zwischenzeit nicht erwischen, es ist nicht besonders klug in dieser Stadt als Metabole Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.“ „Wie gefährlich ist es für Vincent in der Hauptstadt?“, flüsterte Elenora. „Sein Leben steht auf dem Spiel, die Einheimischen haben keine Skrupel Metabolen zu töten.“, erwiderte dieser ernst „Passt auf euch auf!“ und wandte sich kurzerhand ab. Alles sollte wirken wie an jedem anderen Tisch und mit jeder anderen Gruppe, mit der er sprach. „Ich hoffe ihr bleibt bis zum Feuerwerk.“, fügte er winkend hinzu und hatte seine Maske, die des fröhlichen Politikers, wieder aufgesetzt. Es verging eine halbe Stunde in der keiner der beiden etwas sagte und die Show auf der Bühne belustigte die Hochgeborenen offenbar, denn die meisten verfolgten sie aufmerksam. Doch Elenora beobachtete Vincent, der mit nachdenklichem und abwesendem Gesichtsausdruck an ihrer Seite stand. Als sie endlich den Palast verließen und die dunklen Straßen der Hauptstadt begingen konnte sie es kaum erwarten, endlich seine Stimme zu hören. Draußen schienen die Einheimischen zu feiern, genau wie die Hochgeborenen in der Burg, wenn auch auf andere Weise. Die Stimmung war ausgelassen und festlich. Da die beiden mittlerweile einige Meter vom Palast entfernt waren und das Licht gedämpft war, schien es gefahrlos zu sprechen. „Woran denkst du?“, platze sie ungeduldig heraus. „Elenora ..“, brummte er und signalisierte, dass es unpassend war ein Gespräch zu beginnen. „Ich für meinen Teil habe gedacht, dass der Abend nicht schlecht verlaufen ist. Wir haben deinen Onkel gefunden und können ihn morgen treffen, auch wenn es nicht ungefährlich für dich in dieser Stadt zu sein scheint. Vielleicht sollten wir den Abend gemütlich ausklingen lassen. Die Laternen und die Menschen, die feiern sind irgendwie festlich, findest du nicht? Und dein Onkel sagte, wir sollen das Feuerwerk betrachten.“ Er sah sie an, doch antwortete nicht. Auch wenn es ihn nervte, die festliche Stimmung, der Alkohol und die vielen ausgelassenen Menschenstimmen hatten sie eigenartige Stimmung versetzt. Es wirkte, als solle sie ihn aufheitern. Manchmal wunderte er sich über ihre Art die Welt zu sehen. Die feiernden Menschen waren Dinge, die er zwar sah, aber die für ihn keine Bedeutung hatten. Irgendetwas in ihm befand es gut, dass wenigstens sie diese Dinge wertschätzte. Nur wünschte er sich, dass sie ihre Konzentration auf die bevorstehende Wahl richtete. Elenora beschloss es vorerst dabei zu belassen. Im Moment war Vincent nicht wütend und nachdem ihre Tarnung nicht auffliegen durfte, war es besser, wenn es dabeiblieb. Doch sie hatte nach dem, was im Palast gesagt worden war das diffuse Bedürfnis seine Laune zu verbessern. Doch das Feuerwerk über ihren Köpfen und die feiernden Menschen schienen seine Laune nicht zu verbessern. Vielleicht brauchte er eine andere Art von Gespräch. „Als du mit diesem körperlosen Elementargeist gesprochen hast habe ich mir die Frage gestellt, was der Körper wirklich ist. Dieses Gefäß, das uns durch das Leben trägt?“ „Ein Zusammenspiel von Materie und Energie.“, erwiderte Vincent und atmete hörbar aus, wie ein tanzender Mann ihm zu nahegekommen war. „Was ist der Elementargeist dann? Nur Energie?“, sagte sie und schluckte. „Du bist betrunken.“, sagte Vincent doch etwas in seiner Stimme klang interessiert, fast aufgeregt und sie vermutete, dass sie einen Nerv getroffen hatte und beschloss weiterzusprechen. „Ich glaube, der Körper ist ein Gefäß, in dem eine Seele wohnt. Aber ist der Körper nur ein mechanisches Gebilde, gesteuert von biochemischen Prozessen? Oder ist er mehr – ein Medium, das unsere Seele mit der Welt verbindet?“ Elenora legte die Hand auf ihr Herz. „Wenn der Körper leidet, spürt die Seele dann nicht denselben Schmerz?“, fragte Vincent. „Der Körper spürt die Kälte des Windes, die Wärme der Sonne. Aber die Seele – sie ist das unsichtbare Band, das uns mit allem verknüpft. Ich glaube, die Seele ist mehr als nur Empfindung. Sie ist der Ort, an dem unsere Träume, unsere Sehnsüchte, unsere Liebe entstehen. Die Seele - sie sehnt sich. Der Körper mag vergehen, aber die Seele?“ „Elementargeister sind Seelen ohne Körper?“, fragte Vincent und sah sie einen Augenblick lang intensiv an. Dann blickte er in den Himmel und schwieg, doch Elenora konnte ihren Blick nicht von ihm nehmen. „Vielleicht ist der Körper nur ein vorübergehendes Gasthaus für die Seele.“ Elenora schluckte und fragte sich, ob sie ihm das auch angetan hatten ihn zu kastrieren, doch sie traute sich die Frage nicht zu stellen. Vielleicht hatte er in einem nächsten Leben das Glück einen Körper zu erlangen, der von der Gesellschaft nicht herablassend behandelt wurde, ein Körper, der nicht der Körper eines Metabolen war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)