Herz über Kopf von Centranthusalba ================================================================================ Kapitel 8: Zwischen Bierkisten und Cola-Küssen ---------------------------------------------- „Kommt Sarah nicht mit?“, fragt Mario erstaunt, als Elsa allein durch die Haustür auf die Straße tritt. Anstelle einer Antwort presst sie nur die Lippen aufeinander und schüttelt den Kopf. Viktor gibt ein Schnauben von sich und steigt in sein Auto, an dem er und Mario bis eben auf die Mädchen gewartet hatten. Letzterer hält seiner Freundin noch die Autotür auf, bevor er sich selbst auf den Beifahrersitz fallen lässt. „Das heißt also, es ist tatsächlich aus zwischen euch beiden?“, stellt er mit gerunzelter Stirn fest. „Das tut mir echt Leid, Viktor.“ Viktor stöhnt nur und rangiert aus der Parklücke. „Du weißt ja, was man sagt: Lieber ein Ende mit Schrecken, als.. naja. Vielleicht ist es besser so.“ Mario blickt betroffen aus dem Fenster, doch Elsa zuckt unwillkürlich zusammen. Im Rückspiegel trifft sie für einen winzigen Moment auf Viktors tiefe, dunkle Augen. Rasch wendet sie den Blick ab. „Wir schaffen das auch zu dritt“, erklärt er mit einem Schulterzucken, „Elsa, hast du die Liste?“ Wie zur Bestätigung hebt sie den langen Zettel in die Höhe und nickt. Insgeheim verflucht sie Sarah für ihren Dickkopf, der ihr nun die missliche Lage eingebrockt hatte, allein mit Mario und Viktor für Erics Geburtstagsparty einkaufen fahren zu müssen. Während der Fahrt tut Mario sein Bestes vom Thema abzulenken, indem er Viktor in detaillierte Fragen zum nächsten Training verwickelt. Offensichtlich dankbar geht sein Kapitän darauf ein. Elsa zieht die Stirn in Falten. Viktor gab sich cool wie immer, doch sie wüsste gerne, wie es wirklich in ihm aussah. Unauffällig begutachtet sie ihn von der Rückbank aus. Sah er müde aus? Waren die Wangen eingefallen? Waren das Augenringe? Sarah hatte furchtbar gezetert bei der Vorstellung irgendetwas in Viktors Gegenwart zu unternehmen, einzukaufen, geschweige denn mit ihm in einem Auto zu sitzen, sodass Elsa eben geradezu aus der gemeinsamen Wohnung geflüchtet war. Drei Tage war ihr letzter Streit nun her und Viktor war dieses Mal tatsächlich nicht gekommen. Drei Tage, in denen Sarahs Laune minütlich zwischen Tränen, Wutanfällen und Apathie schwankte. Es vertrug sich nicht mit ihrem Stolz den ersten Schritt zur Versöhnung zu machen und Viktor spielte anscheinend diesmal dieses Spiel nicht mit. Elsa selbst fühlte sich zwischen allen Stühlen. Einerseits litt sie mit Sarah, wollte als beste Freundin für sie da sein, doch dieses Mal konnte sie ihr einfach nicht zustimmen, dass es alles Viktors Schuld sei. Zum ersten Mal seit Beginn ihrer Freundschaft konnte sie ganz klar Sarahs eigenen Anteil an der Situation erkennen. Aus früheren Streits wusste Elsa, dass Viktor die Folgen der häufigen Auseinandersetzungen nicht offen zeigte, aber wenn man genau hinsah, konnte man an kleinen Anzeichen erkennen, dass auch er geweint hatte, dass auch er schlecht schlief, dass auch er auf wenig Lust hatte, das ihn ablenken würde. Sie wundert sich etwas, dass er gleich bereit gewesen war, sein Auto für den Großeinkauf für Erics Geburtstagsparty zur Verfügung zu stellen. Andererseits war er auch der einzige in ihrem Freundeskreis, der ein entsprechend großes Auto besaß. Während Elsa noch ihren Gedanken hinterherhängt, biegt Viktor auf den Parkplatz eines größeren Einkaufszentrums ein. Sie steigen aus und die Jungen bewaffnen sich sogleich jeder mit einem großen Einkaufswagen. „Elsa, du bist heute die Chefin. Du musst sagen, wo wir hin sollen.“ Elsa späht auf Sarahs lange Liste. Sie hatte die ganze Zeit bereits darauf gestarrt, nur gelesen hatte sie sie bisher noch nicht. „Ich denke…“, beginnt sie, „Ich denke wir holen zuerst die Getränke. Die sind schwer und müssen zuerst in die Wagen.“ Viktor feixt und rempelt Mario von der Seite an: „Los, wer zuerst beim Bier ist!“ Mario entfährt ein lautes Lachen, zählt bis drei und sogleich stürmen die beiden mit ihren Einkaufswagen davon. Elsa bleibt mit offenem Mund zurück. Es ist wohl unnötig, sich Sorgen zu machen. „Schau mal, wir könnten auch das hier nehmen“, Mario zeigt auf einen großen Sonderposten mit Bierkisten, „das ist im Sonderangebot.“ „Mag sein“, antwortet Viktor, „aber das hier kennt jeder, das nehmen wir, auch wenn es teurer ist. Nachher haben wir ein Sonderangebot, aber niemand trinkt es.“ „Ich weiß nicht. Vielleicht sollten wir…“ „Nein. Ich als dein Käpt‘n sage, wir nehmen das hier. Oder Chefin was sagst du?“ Elsa sieht die beiden Jungen mit großen Augen an: „Haltet mich da raus! Bier ist definitiv nicht mein Thema.“ „Falsche Abteilung, Viktor“, grinst Mario. Dieser blinzelt kurz verwirrt, doch dann blitzen seine Augen: „Ahh verstehe, zu wenig Koffein?“ „Phhh“, macht Elsa nur, kehrt ihnen den Rücken zu und tritt an ein weiteres Regal, in dem sich Chipstüten türmen. Viktor sieht ihr einen Moment lang nach. Er gab es nur ungern zu, aber jedes Mal, wenn sie sich von ihm wegdrehte, versetzte es ihm einen Stich ins Herz. Er musste sich dann sehr zurückhalten, nicht alles mögliche zu tun, um sie dazu zu bringen, sich wieder umzudrehen. Auch jetzt spürt er schon wieder das Kribbeln eines flotten Spruches auf der Zunge. Er wollte einfach nur das Leuchten in ihren Augen sehen. Ein Leuchten, das Sarah nie gehabt hatte. „Hey Käpt‘n“, Mario wuchtet keuchend die nächste Bierkiste auf den Wagen, „packst du mal mit an?“ Als Elsa bis unters Kinn beladen mit raschelnden Tüten zurückkommt, lässt sie diese mit einem leicht missbilligenden Blick auf die gestapelten grünen Flaschen fallen. „Was ist?“ Viktor ist ihre Mimik natürlich nicht entgangen. „Ekelhaftes Zeug“, sie deutet auf das Bier und schüttelt sich demonstrativ, „Ich verstehe nicht, wie Jungs das eines nach dem anderen in sich hineinkippen können.“ Er zuckt mit den Schultern. „Was ist so schlimm daran? Hast du schon mal eines probiert?“ „Nein, habe ich nicht“, antwortet sie spitz, „und ich werde es auch nicht. Aber ich finde es auch nicht gut, wenn Jungs das trinken!“ „Weil sie dann betrunken werden?“ „Nein, weil Bierküsse ekelig schmecken.“ Viktor vergisst für einen Moment zu atmen. Mit hochgezogenen Augenbrauen starrt er sie an. Elsa scheint erst an seinem Gesichtsausdruck zu bemerken, was sie da gerade gesagt hat. Rasch dreht sie sich um, um ihr rotes Gesicht zu verstecken. Wie war sie denn jetzt bloß darauf gekommen? Sie stellt sich etwas abseits in den Gang mit den Getränkekisten und tut so, als müsste sie wieder Sarahs Liste studieren. Doch in Wirklichkeit lässt sie ihren Blick über die beiden schwer arbeitenden Männer schweifen. Während Mario die Kisten genau begutachtet und sich nur zögerlich für eine entscheidet, packt Viktor einfach zu und wuchtet mit sicherem Griff einen Kasten nach dem anderen auf den Einkaufswagen. Elsas Nackenhaare stellen sich auf. Wie es sich wohl anfühlte, von diesen Armen gehalten zu… Bevor sie den Gedanken zuendedenken kann, reißt sie ihren Blick los und marschiert entschlossenen Schrittes zu den Softdrinks. Sie atmet einmal tief durch und betrachtet die unschuldigen, bunten Flaschen. „Schmecken Cola-Küsse besser?“, ertönt es belustigt direkt hinter ihr. Beinahe wäre sie vor Schreck in die Luft gehüpft. Stattdessen knurrt sie leise, während ihre Finger ihre Einkaufsliste zerknüllen. „Und wenn es so wäre?“, antwortet sie mit einem gekünstelten Lächeln, Beherzt greift sie nach dem Kasten direkt vor sich und ist schon dabei ihn hochzuheben, da legen sich zwei Hände auf ihre. „Ich könnte mir vorstellen, dass Cola-Küsse süßer sind als Kaffeeküsse.“ Elsa zuckt bei der Berührung wie vom Blitz getroffen zurück, lässt den Kasten los und Viktor ihn mit einem Ruck aus der Reihe ziehen. „Und vor Allem: prickelnder“, raunt er noch nah vor ihrem Gesicht. „Meinst du?“ Ihre Augen funkeln angriffslustig. Vergessen sind die Sorgen, die sie sich vorhin im Auto noch gemacht hatte. Mit seinen Sprüchen, seinen Berührungen, seiner ganzen Präsenz reizte er sie jetzt maßlos. Alles in ihr sträubt sich davor, ihn das letzte Wort haben zu lassen. „Ich denke, das sollte ich auf der Party unbedingt testen“, überlegt er laut. „Es ist Erics Geburtstagsparty und keine Single-Börse.“ „Es sind doch auch Mädchen eingeladen, oder nicht?“ Elsa knurrt nur bestätigend. Ein Stück des Papiers in ihren Händen reißt ein. „Also das beste aus beiden Welten. Ich sehe da gar kein Problem.“ „Und du meinst, dass die Mädchen da mitmachen?“ „Küsse ich so schlecht?“ Elsa verschluckt sich kurz. „Es gibt eigentlich nur eine, die das beurteilen könnte, und die ist gerade nicht gut auf dich zu sprechen.“ Über Viktors Gesicht huscht ein Schatten. „Ich denke nicht, dass Sarah da noch mitzureden hat.“ „Ist es für dich wirklich…?“ „Ja“, unterbricht er sie schnell. Eindringlich sieht er sie an, als könnte er allein mit seinen Blicken jeden Zweifel an seiner Aussage beiseite räumen. Elsa holt tief Luft. „Schatz, wie viele Flaschen von der Limo soll ich einpacken?“, meldet sich Mario von der anderen Seite der Kistenstapel. Sie braucht eine Sekunde, um sich zu besinnen, wo sie eigentlich waren. Sie wirft Viktor noch einen funkelnden Blick zu, dann reckt sie den Hals und ruft hinüber: „Sechs Flaschen, Mario.“ Als die lange Einkaufsliste abgearbeitet ist, zwängen sich die drei zurück ins Auto und fahren wieder zur WG von Viktor und Eric. Elsa sitzt dabei auf der Rückbank eingeklemmt zwischen diversen Getränkekisten, die nicht mehr in den Kofferraum gepasst hatten und hält bei jeder Kurve alarmiert den Stapel an seinem Platz. Sie selbst trägt nur die große Tasche mit den federleichten Chips und Crackern in den dritten Stock, während die Jungen stöhnend und keuchend eine schwere Kiste nach der anderen die Treppen hinaufschleppen. Sobald die ersten Kisten die Küche erreicht haben, macht Elsa sich daran, die ersten Getränke in den Kühlschrank einzusortieren. Immerhin war die Party bereits morgen Abend und weder Cola noch Bier schmeckte im lauwarmen Zustand. „Mario holt noch die letzte, dann haben wir es geschafft“, erklärt Viktor und betritt hinter ihr die Küche. „Wie wäre es mit einem Kaffee zur Belohnung für die schwere Arbeit?“ „Gerne“, antwortet sie, ohne sich in ihrem Tun stören zu lassen. Mit einem Nicken geht Viktor zum Schrank und holt Kaffeepulver und Tassen heraus. „Also Elsa“, beginnt er erneut mit dem Thema, das in sehr zu beschäftigen scheint, „was muss nun ein Mann trinken, damit er gerne von einer Frau geküsst wird?“ „Wieso soll ausgerechnet ich dir das sagen können?“ Elsa fokussiert sich krampfhaft darauf unterschiedlichen Flaschen möglichst gleichmäßig im Kühlschrank zu verteilen. „Du schienst mir damit Erfahrung zu haben…“ „Ich habe tatsächlich bisher nur Mario geküsst und er….“ „… und mich,“ unterbricht er sie rasch. Anstelle einer Antwort erhält er nur einen bösen Blick hinter der Kühlschranktür hervor. „Wir haben uns geküsst“, stellt er schulterzuckend fest. „Der zählt nicht“, entgegnet Elsa sofort und wendet sich wieder hochkonzentriert den Flaschen zu. Viktor verschränkt die Arme vor der Brust und lehnt sich an die Küchenzeile. „Also für mich zählt er.“ „Für mich nicht.“ Ohne ihn anzusehen, schließt sie die Kühlschranktür und hofft das Thema gleichermaßen abschließen zu können, aber Viktor lässt nicht locker. „Und warum zählt dieser Kuss für dich nicht?“ Beinahe trotzig schürzt er die Lippen vor. Elsa spürt wieder dieses Kribbeln in der Magengegend. Sie hebt nun doch den Kopf und sieht ihm in die Augen. „Weil zu einem Kuss immer zwei gehören. Findest du nicht?“ „Definitiv… Waren wir nicht zwei?“ Sie tritt näher an ihn heran und verschränkt ebenfalls die Arme. „Aber ich habe ihn nicht erwidert. Du hast mich einfach so überrumpelt und bevor ich antworten konnte, hast du dich auch schon wieder weggedreht.“ Viktor beugt sich zu ihr vor: „Wolltest du ihn denn erwidern?“ Elsa hält die Luft an. Sie spürt den Küchentresen in ihrem Rücken. Was sollte sie darauf erwidern? Ja? Nein? „Vor meinem Freund und deiner Freundin?“ Sie hebt fragend eine Augenbraue. Viktor wackelt abwägend mit dem Kopf: „Nicht ganz passend, das stimmt. Aber wenn wir allein gewesen wären…?“ Seine Augen funkeln. „So wie jetzt?“ Ihre Stimme zittert leicht. „Willst du, dass er zählt?“ Er beugt sich noch ein Stückchen weiter vor. Seine Nähe raubt ihr den Verstand. „Ich mag keine halben Sachen“, flüstert sie gegen sein Gesicht. Fast unmerklich hebt sie ihr Kinn. Er greift nach ihrer Hand auf dem Küchentresen. „Dann lass ihn diesmal zählen“, flüstert er nur Zentimeter von ihrem Mund entfernt. Elsas Herzschlag jagt durch ihren Körper. Erwartungsvoll öffnet sie die Lippen, ihre zitternden Lider senken sich. DING… DONG! Starr vor Schreck fahren die beiden auseinander. Ding…. Dong! Ein zweites Mal zerreißt die Klingel die Stille in der Küche. Keuchend wendet Elsa ihren Kopf ab und stürmt an Viktor vorbei zur Tür. Immer noch leicht zitternd öffnet sie sie und Mario trägt die letzte Kiste Getränke in den Flur. „Jetzt ist alles bereit“, stöhnt er erschöpft, „Dann kann die Party ja beginnen!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)