Eine Geschichte ohne Ende von phean (Kleiner Engel lerne fliegen) ================================================================================ Kapitel 6: Der Spiegel zu einem anderen Selbst ---------------------------------------------- Wie viel Zeit war schon vergangen? Wie lange starrte sie schon auf den See vor sich? Sie merkte nicht einmal, dass ihre Finger taub wurden und sie auch das Gefühl in ihren Zehen verlor. „Du erkältest dich noch“, erklang eine sanfte Stimme von der Seite. Eine Stimme, die ihr eine Gänsehaut bescherte und schmerzte. Sie biss direkt die Zähne aufeinander, da sie Angst hatte, dass erst ihre Unterlippe und dann ihr gesamter Kiefer zu zittern anfangen würden. Und danach würden ihr die Tränen in die Augen steigen. Und dann könnte sie nicht mehr mit ihren Gefühlen umgehen. Sie war auch so schon kurz davor durchzudrehen. Seine Anwesenheit machte es nur noch schlimmer und beschleunigte den Vorgang. „Na und ...“, ihre Stimme war kaum vorhanden und sie zwang sich dazu, ruhig zu bleiben, dadurch klang sie allerdings eher verbissen, als natürlich. In ihrem Augenwinkel sah sie ihn und wie er die Lippen aufeinander presste. Seine Hände hatte er bis dato in seinen Jackentaschen gehalten, doch jetzt zog er sie heraus. Sie sah auf seine Hände, die in Handschuhen steckten. Doch schnell wandte sie sich wieder ab. Sie wollte es nicht sehen. Ihn nicht sehen. Das hier war falsch. Doch ehe sie irgendeine Bewegung machen konnte, bemerkte sie eine ungewohnte Wärme an ihrem Hals. Daneben stieg ihr dieser altbekannte Duft in die Nase, den sie so sehr vermisst hatte. Er legte ihr seinen Schal um und ließ seine Finger über ihre Schultern gleiten. Sie wusste nicht, was Takeru empfand, wie er sich aktuell fühlte. Hikari allerdings verfing sich gerade in ihrem eigenen Chaos ihrer Gefühlswelt. „Fröhliche Weihnachten“, grinste sie breit und hielt ihrem besten Freund ein Päckchen entgegen. Skeptisch musterte Takeru das Geschenk in ihren Händen. Es war so sauber eingepackt, wie er es von ihr kannte. Vermutlich hatte sie sich noch mehr Mühe gemacht, denn alles schien äußerst sauber und perfektioniert. Bei seinen Gedanken hob sich eine Augenbraue. Aber er nahm es entgegen. „Du weißt aber, was ausgemacht war?“, fragte er sicherheitshalber nach. Ein artiges Nicken folgte. Es durfte nicht zu groß sein und nicht zu viel Kosten. Daran hatte sie sich gehalten und war prompt bei Sora in die Lehre gegangen. Gestalterisch war sie äußerst talentiert. Unter ihrem wachsamen Auge hatte sie an dem Geschenk gearbeitet. Sie war ihr eine große Hilfe gewesen. Doch das hier war ihr erstes Weihnachten als Paar, da sollte es in ihren Augen perfekt sein. Noch perfekter als sonst, denn an sich machte sie sich schon immer voll den Kopf, was sie ihm schenken könnte. Jedes Mal überraschte er sie mit etwas, was noch besser war. Hoffentlich würde sie sich heute nicht wieder so ärgern. Natürlich hatte sie keinen Grund dafür, denn ihm schien es immer zu gefallen, trotzdem hatte sie das Gefühl, dass sie mehr geben könnte. Tief atmete sie durch und rief sich zur Ruhe. Wenn sie ihm ihr Geschenk zuerst gab, gab es zuerst die Enttäuschung und dann die Freude. Hikari erhoffte sich nicht viel, war aber dennoch aufgeregt, als er es auspackte. Aus jeder Regung in seinem Gesicht versuchte sich zu lesen, was er dachte. Aber es ging nicht. Nervös fing sie an, auf ihrer Unterlippe zu kauen. Er machte es aber auch spannend und packte es verdammt langsam aus, sodass sie kurz davor war, es ihm aus der Hand zu reißen und selbst zu öffnen, nur um es ihm dann wieder ins Gesicht zu werfen. Doch sie hielt sich zurück, krallte stattdessen ihre Hände in den Rock, den sie trug. Als er das Papier weglegte, hielt sie die Luft an, dann öffnete er die Schachtel. Sie hatte sich alle Mühe mit dem Schal gemacht. Er war in verschiedenen Blautönen gestrickt und sie hatte sich die größte Mühe damit gegeben. Die Materialkosten waren im Rahmen, den sie sich gegeben hatten, die Nadeln nicht mit eingerechnet. Er musste nicht wissen, dass sie schon im Oktober damit angefangen hatte, damit sie genug Zeit hatte um keinen Fehler zu machen. Die Augen des Takaishi weiteten sich. Er stellte die Schachtel ab und holte den Schal heraus. Er fühlte ihn zwischen den Fingern und schmiegte dann seine Wange daran. „Der war doch sicher teuer ...“, murrte er und zog einen Schmollmund. „Gar nicht ... der ist im Preislimit“, gab sie zurück, „nur die Liebe darin lässt sich nicht mit einem Preis bemessen ...“ Seine Augen weiteten sich weiter ungläubig und er starrte sie an, „den hast du selbst gemacht? Ich hätte ihm abgekauft, dass er gekauft ist.“ Ein Kichern folgte und sie schenkte ihm ein Lächeln, „das würde ich als Kompliment sehen ...“ „Ist es, er ist wunderschön, vielen lieben Dank“, er beugte sich vor und legte seine Hände, in denen er noch den Schal hielt, an ihre Wangen und küsste sie. „Da traue ich mich gar nicht, dir deines zu geben“, er grinste. „Ich will es trotzdem haben“, grinste nun auch sie breit und streckte fordernd ihre Hände aus. Sie liebte Geschenke, das gab sie offen zu und war kein Geheimnis. „Meine Liebe ...“, neckte er und erhielt einen Schmollmund. Einen Augenblick driftete die Brünette davon, als sie aus ihrer Träumerei erwachte, bemerkte sie, wie sie den Schal über ihren Mund geschoben hatte und ihr der Duft noch intensiver in die Nase stieg. Noch immer war der Schal so weich wie früher, als wäre es erst gestern gewesen. Niemals hätte sie es für möglich gehalten, dass er ihn noch hatte. Ihr Blick glitt zur gefrorenen Wasseroberfläche. Hikari fehlten die Worte. Worüber sollten sie sprechen? Sie waren auseinander gegangen. Sie spürte den Schmerz in ihrer Brust. „Wie geht es dir?“, fragte Takeru leise. Das war schon die erste Frage, an der sie scheiterte. Ihre Finger krallten sich in den Schal, dabei fiel ihr auch erst jetzt auf, dass sie ihren eigenen wohl bei Meiko und Taichi vergessen hatte. Dann müsste sie ihn eben in den nächsten Tagen holen oder Taichi brachte ihn ihr vorbei. „Gut ...“, brachte sie erneut geprest hervor. „Und wieso glaube ich dir das nicht?“, wollte er weiter wissen. „Keine Ahnung ... weil du nicht weißt, dass ich mich verändert habe?“, stellte sie eine Gegenfrage. Sie war eine Lüge. Denn Hikari hatte sich nicht verändert. Sie spürte ihr Herz in ihrer Brust schlagen. Wild. Freudig. Schmerzhaft. Sehnsüchtig. Nicht so wie bei Daisuke. Es war falsch, dem Brünetten gegenüber, doch er war da, er liebte sie, sie mochte ihn und sie hatte nie gedacht, dass sie Takeru je wiedersehen würde. „Dann sieh mich an und sag es mir nochmal.“ Seine Stimme war sanft, aber unmissverständlich, dass er keine Widerworte zuließ. Erneut schmerzte ihre Brust. Mit jeder Sekunde, die er hinter ihr stand, wurde es schlimmer. Mit jeder Sekunde, in der sie den Schal gegen ihre Nase presste. Mit jeder Sekunde, in der sie an ihn dachte. Aber sie konnte nicht wiederstehen. Sie liebte seine Augen. Sie wusste, dass es ein Fehler war, in diese zu blicken, doch sie konnte sich nicht dagegen wehren. Ihr Körper reagierte, bevor ihr Kopf ihn davon abhalten konnte. Sofort fingen seine Augen sie ein. Noch immer klammerten sich ihre Finger, die mittlerweile eiskalt und rot waren, an den Schal. Doch den Blick konnte sie nicht mehr abwenden. Sie hatte den Fehler gemacht, hinein zu sehen. Dieses wunderschöne blau. Doch sie meinte, dass damit etwas nicht stimmte, irgendwas war an diesen Augen, die sonst immer Hoffnung ausgestrahlt haben, falsch. Schwer schluckte sie, doch das machte es nicht besser, ihr Mund fühlte sich trocken an. „Also ... wie gehts dir?“, wiederholte er Takeru seine Frage. Dabei ließ auch er sie nicht aus den Augen. Ihr Mund öffnete sich, dabei hatte sie den Schal wieder etws nach unten gezogen, krallte sich aber nach wie vor hinein. „Gut ...“, wiederholte auch sie und verzog ihren Mund zu einem schiefen Lächeln. Takeru hob eine Hand, die er zwischenzeitlich aus seinem Handschuh gezogen hatte und legte sie an ihre Wange, „und wieso weinst du dann?“ Seine Stimme war noch immer ruhig, während er ihr eine Träne von der Wange strich. Das hatte sie nicht bemerkt. Sie mussten stumm aus ihren Augen getreten sein. Alles in ihr weigerte sich, „weil es eine Lüge ist ...“, hauchte sie, das Lächeln blieb schief. „Und wieso lügst du mich an?“, der Ältere war näher gekommen, „wir konnten uns doch immer alles sagen. Waren immer ehrlich zueinander ...“ Nun war es seine Stimme, die trauriger klang, „was hat sich geändert ...?“ „Ich habe dich gehen lassen“, Hikari konnte nicht länger lügen. Bei ihren Worten, die nur sie hören konnten, sahen sie sich weiter intensiv in die Augen. Keiner konnte sich abwenden, keiner wollte etwas verpassen. Takeru kam noch näher und legte seine Stirn gegen ihre, dabei schloss er die Augen. Weiterhin musterte Hikari ihn und spürte, wie warm seine Stirn war, wie warm seine Nähe war und wie sehr sie diese vermisst hatte. „Ich bin gegangen ... das hätte ich nicht tun dürfen ...“, ließ er sie schließlich wissen, „jeden einzelnen Tag“, seine Augen öffneten sich, „jeden einzelnen Tage habe ich ...“, noch immer war er dicht vor ihr, veränderte jedoch den Winkel. Sein Blick änderte sich und auch ihrer wirkte anders. Ehe es sich einer von beiden versehen konnte, lagen ihre Lippen aufeinander. Ein Feuerwerk brach in der Jüngeren los. Sie krallte sich an den Älteren in der Hoffnung, er würde nie wieder weggehen. Bei keinem fühlte sie so. Der Kuss war liebevoll, aber intensiv, darin lagen die Gefühle, die sie füreinander empfanden, sie übertünchten den Schmerz, den sie sonst verspürte. Ihr Mund öffnete sich, als seine Zunge es versuchte. Der Kuss wurde intimer und er zog sie weiter in seine Arme. Für diesen einen Moment waren entflohen sie der Realität. Sie versteckten sich vor ihr. Trotzdem lösten sie sich nach ein paar endlosen Augenblicken voneinander. Für kurze Zeit hielt Hikari ihre Augen geschlossen und ließ diese Eindrücke, die Gefühle und diese Berührung auf sich wirken. Doch viel zu schnell drückte sich die Realität zurück in ihre Gedanken. Ihr Handy gab einen Signalton von sich, dass sie eine Nachricht empfangen hatte. Dieser Ton gehörte Daisuke. Augenblicklich riss sie die Augen auf und versuchte sie zu orientieren. Ihre Hände drückten sich gegen ihn. „Das ...“, murmelte sie und trat einen Schritt zurück, „ich muss los“, ohne ihn erneut anzusehen wandte sie sich um und rannte los. Dieses Mal jedoch spürte sie die Tränen, die aufstiegen und über ihre Wangen ließen. Eine Hand krallte sich wieder in den Schal, den sie noch immer um ihren Hals trug, die andere presste sich als Faust auf ihren Mund, als könnte sie so das Gefühl seiner Lippen auf sich behalten. Sie wollte dieses Gefühl nicht verlieren, gleichermaßen schmerzte sie. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)