Champ Stories von Platan (Band 1: Endynalos) ================================================================================ Kapitel 16: Ich hatte nur einen bösen Traum ------------------------------------------- Nachdem Delion die Bestellung erfolgreich abgeschlossen hatte, und sie daher nur noch geduldig warten müssten, lenkte er den Blick zu Raelene. Statt sofort zu ihr zu kommen, stand er eine Weile einfach nur da und lächelte verträumt, bis sie ihn schließlich zu sich winkte. Erst dann kam er ebenfalls zum Sofa, setzte sich neben sie und legte einen Arm um ihre Schulter – gefolgt von einem erleichterten Laut, als hätte der Körperkontakt ihm etwas bestätigt. „Sieht aus, als hätten wir jetzt schon mal ein glückliches Baby.“ Raelene schmiegte sich an ihn, achtete aber darauf, Azurill nicht zu wecken. „Glückliche Babys sind das Beste~. Genau wie dieser Moment.“ Es kam ihr, schon wieder, viel zu perfekt vor, um wahr sein zu können. Inzwischen würde es ihre Welt zusammenbrechen lassen, wenn das nur ein Traum wäre. Darum beschloss sie, dass es auf jeden Fall die Realität war. Einfach so. „Also, welche Kämpfe genau schaut ihr euch hier immer so an?“, fragte sie, wobei sie Richtung Fernseher nickte. „Manchmal ein paar alte Kämpfe von mir“, antwortete Delion. „Die Pokémon lieben es, sich selbst kämpfen zu sehen. Während der Arena-Challenges sehe ich mir Aufnahmen der Arena-Kämpfe an. Ich hatte in den letzten Jahren schon drei Teilnehmer, die ich disqualifizieren musste, nachdem ich auf den Aufnahmen gesehen habe, dass sie betrogen oder sonst wie gegen Regelungen verstoßen haben.“ Bisher hatte Raelene immer angenommen, alle Kämpfe wurden speziell für das Fernsehen aufgezeichnet. Anscheinend waren die Aufnahmen aber ziemlich wichtig, sonst könnte man Betrüger nicht so leicht erwischen. Mit dem Wissen erschien es ihr dumm, dass es einige trotzdem versucht hatten. „Und dann natürlich alle Champ-Cup-Kämpfe und all deine Schaukämpfe. Natürlich auch nur in Aufnahmen, live bin ich ja immer dabei.“ Hitze strömte wieder in Raelenes Gesicht. Waren ihre Kämpfe wirklich so interessant? Sie hatte sich nie ernsthaft selber Aufnahmen von sich angesehen, weil ihr das meistens peinlich war. Für Delion musste es aber genauso erfüllend sein wie für Raelene, wenn sie sich alte Videos von seinen Kämpfen ansah. Offenbar waren sie sich in vielen Punkten ähnlicher, als sie immer gedacht hatte. „Es regt mich auf, dass es echt Leute gibt, die betrügen“, griff sie das Thema nochmal auf. „Das ist so unfair allen gegenüber, die sich anstrengen. Außerdem macht es doch auf die Weise auch gar keinen richtigen Spaß.“ Immerhin gab es nichts, worauf man nach einem Sieg stolz sein könnte, wenn man diesen nur durch Betrug errungen hatte. Einigen ging es wohl nur um Aufmerksamkeit und Geld. „Ich verstehe den Sinn dahinter auch nicht. Selbst wenn man es durch Betrug durch die ersten Arenen schafft und wir das nicht bemerken, spätestens bei Roy dürfte man damit nicht mehr durchkommen.“ Wahrscheinlich deutete Delion all die Selfies an, die Roy während der Kämpfe schoss – oder er meinte eher die Sandstürme, die einem die Sicht erschwerten. Das dürften nämlich auch Betrügen das Leben ziemlich schwer machen. „Und alles, was man bis dahin bekommen hat ... verliert man dann auch, und man wird von der Liga ausgeschlossen. Das lohnt sich doch überhaupt nicht.“ „Ich wünschte, alle würden einfach fair spielen“, seufzte sie. Raelene hatte aber schon viel zu früh lernen müssen, dass die Welt leider so nicht funktionierte. Vermutlich wirkten Menschen wie Delion deshalb umso attraktiver auf eine Vielzahl von Leuten, was sie absolut verstehen konnte. Zum Glück hatte er sich aber für Raelene entschieden. „Umso besser, dass unser Schaukampf fairer als fair ablaufen und deshalb phänomenal werden wird~. Ich kann es jetzt kaum mehr erwarten. Es ist ewig her, dass wir gegeneinander gekämpft haben.“ „Oh ja~. Ich weiß ja, dass du in der Zwischenzeit wahnsinnig viel dazugelernt hast.“ Wenn er jeden einzelnen Kampf von ihr ansehen musste, selbst zu Zeiten als er noch genervt von ihr gewesen war, führte das garantiert über kurz oder lang dazu, dass er ihre Taktiken und Pokémon genau kennenlernte. Natürlich garantierte ihm das noch keinen Sieg, denn es gab noch mehr Variablen als nur die benutzte Strategie, die zu einem Gewinn führten. „Aber ich war auch nicht untätig“, fuhr Delion fort. „Ich hab viele verschiedene Team-Zusammensetzungen und Strategien getestet. Ich kann es kaum erwarten, sie an dir auszuprobieren~.“ „Gut so, du musst mich nicht schonen~“, sagte Raelene entschlossen. „Für mich wird das also eine große Überraschung. So etwas hatte ich schon lange nicht mehr.“ Oft kannte sie den Kampfstil ihrer Herausforderer, weshalb sie sich darauf einstellen konnte. Wenn Delion aber in den letzten Jahren auch noch völlig neue Strategien ausgearbeitet hatte, dürfte das eine ziemlich harte Nuss werden. Sie sollte besser auch einige andere Team-Zusammensetzungen ausprobieren und mit ihnen trainieren. „Schade, dass der Monat nicht schon vorbei ist.“ „Denne, denne~!“ Hinter ihnen sprang Dedenne auf die Rückenlehne des Sofas, rannte auf ihr entlang und hüpfte auf das nächste Möbelstück hinüber. Sofort folgte Pichu ihm vergnügt lachend, wobei er einige elektrische Funken ausstieß. Sah so aus, als würden die beiden Fangen spielen. Plötzlich sprang Pichu in die Luft, um sich an einer Schaukel – die vermutlich eigentlich für Vogel-Pokémon gedacht war – zu überschlagen und Dedenne weiter hinterher zu springen. Delion blickte ihnen hinterher und lachte begeistert. „Es ist eine Weile her, dass hier so viel gespielt wurde.“ Abgesehen von Pichu und den Grolldras dürften seine anderen Pokémon schon lange nicht mehr so einen hohen Drang zum Spielen haben. Irgendwie schade. „Dabei ist deine Wohnung so ein schöner Spielplatz~.“ Raelene würde sich an ihm ein Beispiel nehmen und ihr Zimmer auch etwas für Pokémon umgestalten. Es war dort zwar etwas eng, aber ein paar Kleinigkeiten fielen ihr bestimmt ein. Azurill nieste leise, wachte dadurch aber nicht auf, sondern rollte sich auf ihrem Schoß nur noch mehr zusammen. Beruhigend strich Raelene ihr über den Kopf. „Ja, das finde ich auch~“, sagte Delion zufrieden. „Aber als Liga-Präsident komme ich nicht oft dazu, mir junge Pokémon einzufangen, die noch mehr Spaß am Spielen haben.“ Schon an Maxax erkannte man, dass seine Hauptgruppe langsam ein Alter erreichte, in dem man lieber seine Ruhe haben wollte – oder in dem man sich um die nachfolgende Generation kümmerte. Über solche Dinge hatte Raelene bislang nie nachgedacht, weil ihr Team immer noch recht jung und aktiv war, aber irgendwann würde sich das bei ihr auch ändern. „Dann schauen wir einfach mal immer wieder im Hort vorbei“, schlug Raelene vor. „Aber wir müssen aufpassen, dass wir irgendwann nicht alle Babys adoptieren, weil sie so niedlich sind.“ Das könnte ihr ziemlich schnell passieren. Aber je mehr Pokémon man adoptierte, desto weniger Aufmerksamkeit bekamen die, die sich zur Pflege auf der Ranch befanden, was sie bedauerlich fand. Am liebsten hätte sie immer alle ihre Lieblinge gleichzeitig um sich. „Aber mit mir und meinen Pokémon wird es hier erst mal ziemlich lebhaft bleiben. Versprochen~.“ Sacht lehnte er seine Stirn gegen ihre. „Ich nehme dich beim Wort~.“ Nach diesen Worten blickte Delion auf Azurill hinunter und verfiel in Schweigen. Irgendetwas schien ihm durch den Kopf zu gehen, doch Raelene konnte nicht genau bestimmen was es war. Dafür waren sie dann doch noch nicht lange genug zusammen, also musste sie raten. „Eifersüchtig?“, scherzte sie. „Wenn du ihr erst mal die Party-Pizza serviert hast, wird sie dich lieben. Dann schläft sie auch mal auf deinem Schoß.“ Wenn Pokémon noch so klein waren, konnte man sie wirklich leicht für sich gewinnen. Waren sie älter, gestaltete sich das manchmal dagegen ganz schön schwierig, aber darin lag dann auch die Herausforderung. Delion räusperte sich und hob den Blick wieder. „Oh, keine Sorge. Sobald es Essen gibt, werde ich wahrscheinlich auch wieder von Pichu bedrängt werden. Da braucht es keine Eifersucht~. Als wir hier am ersten Abend gegessen haben, hätte Pichu mir das Essen am liebsten wieder aus dem Mund geklaut.“ „Klingt so, als wird auch essen mit euch allen zusammen aufregend werden.“ Raelene gab Delion einen Kuss auf die Wange. Wenn sie ihm die ganze Zeit so nahe war, konnte sie einfach nicht anders. Ihr Herz würde weiterhin immer etwas schneller schlagen, aber das war vollkommen in Ordnung für sie. Das Sofa erzitterte, als Wolly plötzlich mit dem Kopf voran dagegen lief. Sie stieß ein munteres „Woll~“ als Entschuldigung aus und tat dann weiter so, als würde sie zusammen mit Durengard Feinde überrollen. Durengard selbst warf einen kurzen Blick über das Sofa, um sicherzugehen, dass Delion nicht böse war, erst dann schloss er sich Wolly sofort wieder an. Manchmal leuchtete er dabei sogar ein bisschen, als würde er gerade eine seiner Fähigkeiten einsetzen. „So verspielt hab ich Durengard noch nie erlebt“, meinte Delion überrascht. „Bislang wirkte er eher super-ernst.“ „Wolly verzaubert eben jeden~. Das ist ihre größte Stärke.“ Damit machte sie sogar Feelinara Konkurrenz. Es freute Raelene, dass Durengard so positiv auf Wolly reagierte. Immerhin war es tatsächlich das Pokémon, vor dem sie den meisten Respekt gehabt hatte, eben weil er sonst stets so ernst wirkte. Sogar Zamazenta beobachtete die spielenden Pokémon aufmerksam, statt in Ruhe weiterzuschlafen. Auch in seinen Augen musste das niedlich wirken. „Das verstehe ich~.“ Delion zwinkerte ihr zu. „Aber es wundert mich auch nicht, immerhin hat sie auch eine Trainerin, die jeden verzaubert.“ Mit diesen Worten war Delion nun derjenige, der ihr einen Kuss gab, jedoch auf die Stirn. „Wenn du solche Dinge sagst, werde ich noch eingebildet“, murmelte Raelene verlegen. „Daran musst du dich jetzt gewöhnen~“, flüsterte er und küsste noch einmal ihre Stirn. So schnell wollte Delion also scheinbar wirklich nicht mehr damit aufhören. Eigentlich hörte sie das aber gerne von ihm. Gerade weil sie sich jahrelang nicht richtig unterhalten konnten, mochte sie es, wenn er nun so viele gute Dinge zu sagen hatte. Sie wollte diesen ersten Abend mit ihm zusammen, in seiner Wohnung, ausgiebig genießen.   ***   Nach einem wundervollen Abend, hatte Raelene schon direkt am nächsten Morgen ein ernsthaftes Problem: Sie konnte nicht damit aufhören Delions Gesicht anzustarren, während er noch schlief. Er war einfach zu ... zu ... niedlich! Wie konnte dieser Mann sie selbst dann verrückt vor Liebe machen, wenn er nur schlief? Nicht die Hand auszustrecken und ihm über die Wange zu streicheln war hart. Deswegen lag sie schon seit einer Weile mit einem glühendem Kopf da und starrte vor sich hin. Wolly hatte sich wieder an Delion gekuschelt und schlief ebenfalls friedlich. Wäre es falsch, davon ein Foto zu machen? Reiß dich zusammen! Ihr seid jetzt zwar zusammen, aber werde deswegen nicht zum Creep! Eigentlich war sie nämlich nur schon viel zu früh wach geworden, weil ein Alptraum sie unsanft aus dem Schlaf gerissen hatte. Endynalos war darin nicht sehr erbaut darüber gewesen, dass Delion und Raelene beide glücklich turtelten, während er noch eingesperrt blieb und weiter gefoltert wurde. Ein magentafarbener Blitz war aus der Einrichtung geschossen und hatte sie gezielt durchbohrt, obwohl sie in einer ganz anderen Ecke von Galar gewesen war. Der Schmerz hatte sich viel zu real angefühlt. Seufzend wandte sie sich von Delion ab und rutschte langsam zum Rand des Bettes, um aufzustehen. Hoffentlich gelang es ihr, aus dem Schlafzimmer zu schleichen, ohne jemanden aufzuwecken. So leise wie möglich ging sie ins Wohnzimmer. Zu ihrem Glück war überall gedimmt das Licht an, vermutlich damit die Pokémon auch nachts noch etwas sehen konnten. Draußen war es aber noch dunkel. Liberlo hatte es sich auf dem Sofa gemütlich gemacht und nahm den ganzen Platz für sich in Anspruch. Sie lächelte, als sie sah, dass die Babys und Dedenne zusammen in einem der Bettchen schliefen. Pichu gab immer wieder ein leises, zufriedenes „Chuchuchu~“ von sich. In einem anderem Bett schlummerte Feelinara, Katapultdra hatte seinen Körper schützend um sie herum geschlungen. Maxax, Glurak und Intelleon hatten die Nacht scheinbar zusammen auf der Terrasse verbracht, denn sie waren nirgendwo zu sehen – während der milden Jahreszeiten konnten sie dort vermutlich friedlicher schlafen. Auf einmal wurde dann Durengard aktiv, als er bemerkte, dass jemand durch die Wohnung lief. Er fuhr von seinem Bett im Wohnzimmer hoch und wechselte sofort in die Schwertform, um dem Eindringling zu verstehen zu geben, dass er nicht einfach hier hereinplatzen konnte. Als er aber Raelene erkannte, wechselte er direkt in die Schildform zurück und umschwirrte sie fragend. „Wow, du bist echt besser als jedes Alarmsystem“, flüsterte Raelene beeindruckt, aber auch ein wenig erschrocken. Sie konnte sich wirklich glücklich schätzen, dass Durengard sie offensichtlich als Delions Freundin anerkannt hatte und nicht misstrauisch war, weil sie heimlich alleine in der Wohnung herumschlich. Dieses Pokémon hätte sie nicht gegen sich haben wollen. „Sorry, dass ich dich geweckt hab. Ich hatte nur einen bösen Traum.“ Behutsam tippte sie zum Gruß gegen sein Schild – Durengard schien das sogar zu gefallen, da er in der Luft kurz auf und ab schwebte als würde er hüpfen. „Meinst du, Delion hätte was dagegen, wenn ich seinen Pool benutze?“ Ein paar Runden zu schwimmen wäre eine schöne Abwechslung. Und solange es noch dunkel war, müsste sie sich auch nicht vor Rotom-Drohnen fürchten, von denen sie heimlich gefilmt wurde – eine Zeit lang war das leider oft vorgekommen. Da Durengard auf ihre Frage keine Antwort geben konnte, schwebte er einfach zur Terrassentür, um ihr zu verstehen zu geben, dass sie den Pool benutzen dürfte. Raelene folgte ihm und ging nach draußen. Dort bemerkte sie sofort, dass Maxax, Glurak und Intelleon wirklich hier waren. Letzterer lag gerade auf dem Rücken im Wasser und ließ sich davon tragen. Eigentlich wollte sie die drei nicht auch noch aufwecken. Raelene nahm einen tiefen Atemzug und streckte sich. „Ah, die Luft ist richtig angenehm ...“ Kein Wunder, dass einige Pokémon lieber draußen schliefen. Wenn man in der Großstadt auch noch die Sterne richtig gut sehen könnte, würde sie sofort ebenfalls jede Nacht auf der Terrasse verbringen. Als Glurak und Maxax kurz die Köpfe hoben, hielt Raelene unbewusst den Atem an, doch die beiden schienen nur prüfen zu wollen, ob alles in Ordnung war. Kurz darauf schliefen sie nämlich sofort friedlich weiter. Intelleon hatte Raelene ebenfalls bemerkt und erkannte, dass sie gerne ins Wasser wollte, nachdem Durengard ihm das erklärt hatte. Elegant stieg Intelleon aus dem Pool, schüttelte sich einmal – worauf Glurak im Halbschlaf leise brummte – und ging anschließend in die Wohnung, wo er sich eines der größeren Betten aussuchte, um darin zu schlafen. Das konnte Raelene durch die Fensterfront hindurch beobachten. Durengard gab ihr schließlich zu verstehen, dass sie den Pool nun benutzen könnte, ehe er Intelleon hinein folgte, wo er seinen Schlaf ebenso wieder aufnahm. Und bestimmt gleichzeitig dennoch wachsam blieb, wie auch immer er das anstellte. Raelene bedankte sich noch lächelnd bei Durengard, auch wenn er das inzwischen nicht mehr hören konnte. Sogar Delions Pokémon waren alle rücksichtsvoll und liebenswert. Hoffentlich durfte sie ganz lange bleiben, um das jeden Tag erleben zu können. Dank der Flamme am Ende von Gluraks Schweifs war es auf der Terrasse nicht stockdunkel, noch dazu drang auch etwas von den gedimmten Lichtern aus der Wohnung nach außen. Also konnte sie einfach loslegen. Da Raelene fast immer die Uniform von Kates Arena unter ihrer Kleidung trug, konnte sie sich an Ort und Stelle ausziehen. Ihre Sachen legte sie sorgsam an einem Platz ab, wo sie nicht nass werden könnten. Der große Vorteil an dieser Uniform war, dass er gleichzeitig als Badeanzug diente. Sie verzichtete darauf, nochmal reinzugehen, um sich die Haare hochzubinden, und stieg ins Wasser. Frisch, aber nicht kalt. Im Grunde die perfekte Temperatur, wie sie fand. Motiviert schwamm Raelene ein paar Bahnen. Weil sie sich eigentlich nur etwas ablenken wollte, ließ sie es dabei aber ruhiger angehen. Nachdem sie einige Runden geschwommen war, hatte sie sich danach etwas treiben lassen und die ruhige Atmosphäre genossen. In den sternenlosen Himmel zu starren sorgte dafür, dass sie wieder an Endynalos in seinem Pokéball denken musste, weshalb sie lieber die Augen schloss. Obwohl Delion dafür gesorgt hatte, dass die Einrichtung mehr finanzielle Hilfe von der Liga bekäme, dürfte es noch etwas dauern, bis Magnolica dort wirklich Veränderungen anbringen könnte, ohne den Zorn irgendwelcher Unterstützer auf sich zu ziehen. Wäre sie noch ein Kind, hätte sie Endynalos einfach sofort mitgenommen, egal wie gefährlich und dumm das auch gewesen wäre. Erwachsen zu sein war aber wesentlich komplizierter … Mach dir nichts vor. Du hast Angst vor Endynalos, darum bleibst du so passiv. Diese Gedanken sollte Raelene lieber nicht vertiefen, also beschloss sie, noch mehr Runden zu schwimmen. Bewegung half besser gegen so etwas, als sich nur treiben zu lassen. Erst mehrere Minuten später stieg sie wieder aus dem Pool, wobei ihr bewusst geworden war, dass sie gar nicht wusste, wo die Handtücher waren. Darum hatte sie erst gründlich ihre Haare ausgewrungen, um nicht alles komplett nass zu machen. In ihrem Rucksack, den sie gestern im Wohnzimmer abgestellt hatte, müsste noch ein Handtuch sein. Also müsste sie nur schnell dorthin kommen. Kaum war Raelene zurück in die Wohnung gegangen, lief sie plötzlich Delion in die Arme, der inzwischen aufgestanden war. „Oh! Hey~. Guten Morgen.“ „Ah!“ Erleichterung überkam ihn, als er sie sah, und ließ sein Gesicht strahlen. „Guten Morgen~.“ Erst schien Delion noch etwas sagen zu wollen, stockte aber. Etwas machte ihn scheinbar nervös, denn er sprach schließlich merklich unsicher weiter und seine Stimme war seltsam flatterhaft. „Es ist schön, dass du schon am ersten Morgen schwimmen gehen konntest. Hoffentlich hat niemand hier dir das Leben dafür schwergemacht.“ „Absolut nicht“, versicherte Raelene sofort. „Ich wurde von Durengard ritterlich nach draußen begleitet und Intelleon hat für mich den Pool freigemacht. Wenn, dann habe ich eher ihnen das Leben schwergemacht. Aber ich muss sagen, nach dem Aufstehen zu schwimmen ist echt belebend~.“ Sie streckte sich ein wenig und lächelte Delion an. „Ach, kannst du mir dann kurz zeigen, wo ich hier Handtücher finde?“ Für einen Moment verlor er seine Sprache, aber er fing sich rasch wieder. Sein Verhalten irritierte Raelene. Hatte sie etwas falsch gemacht? Wollte er eigentlich nicht, dass jemand ungefragt seinen Pool benutzt? Das wäre kein Problem, solange er ihr das einfach sagen würde. „O-oh, ja, natürlich“, stammelte Delion nervös. „Tut mir leid, das hätte ich dir gestern schon sagen sollen. Direkt neben dem Badezimmer ist ein Wandschrank, da sind Handtücher drin. Man sieht ihn echt kaum. Ich hab schon überlegt, Sticker draufzukleben, denn ich bin auch schon ein paarmal daran vorbeigelaufen, als ich Handtücher gebraucht habe.“ Raelene hing gebannt an seinen Lippen. Sie mochte es, wenn Delion so lebhaft vor sich hin redete. Das verdrängte ihren Traum umso mehr. Das mit den Stickern klang nach einer kreativen Idee. Plötzlich machte er dann aber eine Sprachpause. Einige Sekunden lang starrten sie sich gegenseitig schweigend, aber intensiv an, bis Delion sich mit den Handflächen gegen die Wangen klatschte – so, wie er es früher immer gemacht hatte. „Äh, ich glaube, ich zeige ihn dir lieber.“ Zustimmend wollte sie bereits zu ihm laufen, hielt aber dann inne und sah auf den Boden. „Oh, bringst du mir vielleicht bitte erst ein Handtuch? Dann mache ich nicht den ganzen Boden nass.“ Entschuldigend hob sie die Hände. „Nächstes Mal denke ich daran, mir sofort eins mitzunehmen. War heute alles ziemlich spontan~.“ „Natürlich, kein Problem!“ Einen Moment wirkte es so, als wolle er sie noch auf etwas hinweisen, doch er lächelte nur fahrig und eilte davon. Beunruhigt folgte Raelene ihm mit ihrem Blick, bis er aus ihrem Sichtfeld verschwand. Was war nur mit ihm los? Nachdenklich neigte sie den Kopf. Lag es daran, weil er sich erschrocken hatte, als sie nicht mehr neben ihm lag? So war es ihr am Morgen beim Camping auch ergangen. Nur so könnte sie sich das alles erklären. Vielleicht sollte sie nächstes Mal einen Zettel hinterlegen und mehr darauf achten, ihm keinen Grund zur Sorge zu geben. Gerade, als Raelene sich fragte, wo Delion so lange blieb, kehrte er mit einem Handtuch zu ihr zurück. „Hier, bitte.“ „Danke dir~.“ Rasch trocknete Raelene sich grob ab, damit sie nichts nass machte. Auch durch ihre Haare rubbelte sie nochmal kräftig mit dem Handtuch, bevor sie es über ihre Schultern hängen ließ. Als sie fertig war, lief sie auf Delion zu und umarmte ihn herzlich – womit sie sich auch für diesen Schrecken entschuldigen wollte, den sie ihm beschert hatte. „Jetzt nochmal richtig: Guten Morgen~. Hast du gut geschlafen?“, fragte sie interessiert. „Oh, ich kann nicht klagen“, antwortete er auf ihre Frage. „Wie ist es bei dir? Bist du immer so früh wach oder hast du schlecht geschlafen?“ Erst, als Delion die Umarmung erwiderte, bemerkte sie, wie ... anders die Situation irgendwie war. Als seine Hände ihre nackte Haut berührten, war es so, als würde ein gesamtes Stromkraftwerk hochgefahren werden. Ihr Kopf wurde wieder richtig heiß, wie schon vorher, als Raelene sein schlafendes Gesicht betrachtet hatte. Wie war es ihr gelungen, sich selbst in so eine Lage zu bringen? Nicht, dass es ihr unangenehm wäre … „Äh, j-ja“, murmelte sie als Antwort. „Ich meine, nein, ich habe ...“ Vorsichtig löste Raelene sich etwas von ihm und lächelte bedrückt. „Ich hab schlecht geträumt, deshalb bin ich so früh wach geworden.“ Auch Delions Gesicht war erhitzt, so wie ihres. Somit hatte Raelene ihm nicht nur einen Schrecken eingejagt, sondern ihn auch noch in Verlegenheit gebracht. Vorerst konzentrierte er sich aber auf das, was sie ihm gesagt hatte. „Das ist schade. Ich hoffe, das wird nicht jede Nacht so sein.“ Er sah sie besorgt an. „Willst du darüber reden?“ Raelene wollte nicht, dass er sich ihretwegen Sorgen machte, aber es gab auch keinen wirklichen Grund, es zu verheimlichen. Es war nur ein Traum gewesen, wahrscheinlich ausgelöst durch ihre Schuldgefühle. „Ich hab von Endynalos geträumt“, erzählte sie, wobei sie den Blick senkte. „Er fand es nicht so toll, dass wir beide so viel Spaß haben, während er noch gefangen ist.“ Sie konnte es nach wie vor verstehen, aber leider nichts daran ändern. Jedenfalls nicht sofort. Das würde Endynalos aber wohl auch nur wütend machen. „Denk daran, er muss nicht mehr lang warten. Sobald Professor Magnolica diese restriktive Firma los ist, werden wir uns darum kümmern, dass er nicht mehr eingesperrt sein muss.“ Wenn Delion das sagte, klang es so, als wäre das in naher Zukunft tatsächlich Wirklichkeit. Deshalb nickte sie lächelnd. Es würde Endynalos nicht helfen, sich bis dahin aus dem Weg zu gehen. Zumal sie das nicht aushalten würde, schon wieder auf Delion verzichten zu müssen. „Ich weiß, wir kriegen das schon hin.“ Plötzlich war ein Klingeln zu hören, was sie etwas zusammenzucken ließ. War jemand an der Tür? Im Augenwinkel bemerkte sie, wie das unbekannte Geräusch Azurill aus dem Schlaf riss und sie sich panisch umsah. Liberlo fiel beinahe von dem Sofa, fing sich aber gerade noch rechtzeitig. Pichu folgte Azurills Schrecken und riss nervös die Augen auf, nur um sofort festzustellen, dass anscheinend alles in Ordnung war. Durengard zuckte sofort hoch und wechselte automatisch in Schwertform. „Keine Sorge“, sagte Delion in Richtung seiner Pokémon. „Das war nur die Türklingel.“ Anschließend wandte er sich nochmal an Raelene und lächelte, sichtlich bedrückt, dass jemand ihre Zweisamkeit störte. „Ich gehe besser mal nachsehen, wer es ist.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)