Champ Stories von Platan (Band 1: Endynalos) ================================================================================ Kapitel 1: Das wird sicher eine schöne Abwechslung -------------------------------------------------- Das kleine, friedliche Dorf Furlongham, das im Grunde nur Wollys, einen mysteriösen Wald und Champs von Galar kannte – schließlich kamen ganze zwei von hier – war an diesem Tag vom Geruch gegrillten Fleisches und dem Geräusch von Gelächter erfüllt. Wie die Mutter von Delion schon oft angekündigt hatte, waren die Nachbarn zu einer Grillparty eingeladen worden, diesmal zur Feier, dass sowohl ihr ältester Sohn - der alte Champ - als auch Raelene - der neue Champ - gerade Zeit fanden, in aller Ruhe mit der Familie zu essen. Und jeder wusste: Das kam nur selten vor. Sogar Hop hatte sich von seiner Forschungsarbeit loseisen können. Vielleicht war das zum Teil Sania zu verdanken, die sich solche Gelegenheiten zum Entspannen nicht entgehen ließ. Laut ihr sollte man nämlich stets darauf achten ab und zu mal den Kopf frei zu bekommen, statt nur ohne Ende Bücher zu wälzen. Auch die Zwillinge, Gloria und Victor, waren der Einladung zum Grillfest gefolgt, um mal wieder, wie in alten Zeiten, einen schönen Tag mit ihren Freunden verbringen zu können, wobei das gute Essen natürlich als ein willkommenes Plus galt. Zu ihrem Glück war dieser Tag gesegnet mit einem strahlend blauen Himmel und einer warmen, sanften Brise. Fast als hätte das Universum selbst gewollt, dass nicht mal das Wetter diesem Treffen einen Strich durch die Rechnung machen sollte. Alles war perfekt. Jedenfalls könnte es das sein, wenn Raelene nicht so angespannt wäre. Inzwischen war es schon mehrere Jahre her, seit Delion seinen Titel an Raelene verloren hatte. Nun war sie bereits 18 Jahre alt, aber wirklich erwachsen fühlte sie sich deswegen nicht. Im Vergleich zu früher hatte sie sich auch nicht allzu sehr verändert, abgesehen von ihrer Körpergröße. Ihr glattes, dunkelblaues Haar trug sie immer noch lang und offen. Beim Kleidungsstil griff sie bis heute bevorzugt zu sportlichen Sachen, falls sie mal nicht ihre Champ-Uniform trug, wie auch an diesem Tag. Diesen Anblick hatte sie Delion ersparen wollen. Seit Raelene Champ geworden war, hatte er den Posten als Liga-Präsident übernommen. Die Beziehung zu ihm war irgendwie … kompliziert geworden. Immer, wenn sie sich trafen, kam es ihr so vor, als fände auch er es seltsam, Zeit mit ihr zu verbringen. Dennoch war er zur Grillparty gekommen, jedoch nicht so redselig, wie Raelene ihn in Erinnerung hatte. Er antwortete, wenn er angesprochen wurde, oder gab bei bestimmten Themen einen kurzen Kommentar ab, doch ansonsten schwieg er eher und blickte auf seinen Teller hinab. Es musste an Raelene liegen. An ihrer Anwesenheit. Deshalb stocherte sie gerade unbeholfen in ihrem Salat herum und beteiligte sich auch nur wenig an den Gesprächen. Außerdem vermied sie es, Delion anzuschauen, obwohl sie genau das liebend gerne tun würde. Raelene befürchtete aber, dass ihr Gesicht sofort wieder knallrot werden und dadurch jeder erahnen könnte, was das zu bedeuten hatte. Vor etwa fünf Jahren hatte sie realisiert, dass sie hoffnungslos in Delion verliebt war. Sehr sogar. So sehr, dass es ihr nun unglaublich schwerfiel, einfach normal mit ihm zu reden. In ihren Augen war sie nun mal nichts weiter als ein Störenfried, eben diejenige, die ihm den Titel gestohlen hatte. Trotz seiner bewegenden Ansprache damals, kurz nach ihrem Sieg im Champ-Cup, wurde sie nie das ungute Gefühl los, ihm etwas Kostbares weggenommen zu haben. Etwas, wofür er voll und ganz gelebt hatte. „Woll, woll, woll~!“, rief ihr Wolly fröhlich. Als sie den Blick zu ihrem Pokémon lenkte, stellte sie fest, dass es munter auf der Stelle hüpfte und dabei das eigene Spiegelbild in dem kleinen Teich im Garten betrachtete. Es fand den Anblick wohl lustig, genau wie Raelene, die lächeln musste. Pokémon in der Nähe zu wissen beruhigte sie zumindest etwas. Schön, dass ihr Wolly Spaß hatte, genau wie Delions Glurak. Grillen schien seinem Partner ziemlich zu gefallen. „Du bist ganz schön still“, bemerkte Sania amüsiert. An einem langen Holztisch, der zu diesem Anlass zusätzlich im Garten aufgestellt worden war, saß Raelene zusammen mit Delion, Hop, Gloria, Victor – der vorhin aufgestanden und irgendwo hingegangen war – und eben Sania. Letztere hatte sich ebenfalls kaum verändert, nur dass sie, genau wie Hop, mittlerweile öfter eine Brille trug. Auch als Professorin stach ihr Sinn für Mode noch sichtlich hervor. Iva war leider als einzige nicht bei diesem Fest anwesend, was Raelene äußerst schade fand. Mit Sicherheit war es ihrer Verpeiltheit zu verschulden, dass sie nicht mehr an dieses Treffen gedacht hatte und es nun nicht mehr rechtzeitig nach Furlongham schaffen würde. „Drückt dir Delion etwa zu viel Arbeit auf?“, fragte Sania, aus heiterem Himmel. Die Erwähnung seines Namens sorgte dafür, dass Raelene sich sofort auf die junge Professorin konzentrierte und rasch mit dem Kopf schüttelte. Warum machte Sania sie so plötzlich zu einem Thema? „Nein!“, stieß sie hervor, sprach danach aber wesentlich leiser weiter. „Das ... würde er nie tun.“ Zudem hatten sie, leider, nur dann mehr miteinander zu tun, wenn der Champ-Cup geplant und organisiert werden musste, was im Moment nicht der Fall war. Alles weitere, wie Werbe-Deals, Interviews und solche Sachen, regelten meistens andere Leute. Oft musste Raelene dann nur noch zustimmen oder ablehnen. „So?“ Mit einem unbekümmerten Lächeln wandte Sania sich an Delion. „Stimmt das auch?“ Delion zuckte zusammen, als er auf einmal so direkt darauf angesprochen wurde. Anscheinend hatte er über etwas nachgedacht. Irritiert tippte er mit dem Daumen gegen den Schirm seiner Kappe und schob sie dadurch ein Stück nach oben. Dieses Detail war optisch die einzige Erinnerung an seine damalige Champ-Time, denn mit der Eröffnung des Kampfturms trug er fast nur noch einen roten Frack. Nicht, dass es Raelene störte, denn es stand ihm außerordentlich gut. Etwas in ihr fand es nur schade, Delion nicht mal zum heutigen Grillfest in anderer Kleidung sehen zu dürfen. Als wollte er dadurch einen gewissen Abstand zu ihr wahren und nicht zu privat werden. Vielleicht interpretierte sie da aber nur zu viel hinein und er machte sich schlicht nicht viele Gedanken darüber. „Du gibst Hop mehr Arbeit als ich dem Champ“, erwiderte er, auf Sanias Frage. Es traf Raelene ein wenig, dass er sie nicht einmal bei ihrem Namen nannte. „So viel ist das gar nicht“, meldete Hop sich dazwischen, während er an einem Maiskolben knabberte. Seine Brille verrutschte ein wenig, so dass er sie direkt wieder an ihren Platz schob. Es war immer noch ungewohnt, ihn so zu sehen. Als Kinder hatten sie beide ununterbrochen davon geredet, die stärksten Trainer zu werden, so wie Delion. Solange Hop aber wirklich zufrieden mit dem Weg war, den er für sich gewählt hatte, freute Raelene sich für ihn. Er hatte es verdient glücklich zu werden. „Siehst du?“, sagte Delion in Sanias Richtung. „Ich gebe ihr nicht zu viel Arbeit.“ „Absolut nicht“, stimmte Raelene nachdrücklich zu. „Delion ist ein wunderbarer Liga-Präsident.“ Kaum hatte sie das ausgesprochen, hätte sie sich am liebsten selbst geohrfeigt. Was, wenn sie damit nur unnötig Salz in die Wunde streute? Sicher wollte Delion viel lieber wieder Champ sein, statt sich um die Bürokratie kümmern zu müssen. Schnell, sie musste sich irgendwie retten. „Alles, was er macht, ist wunderbar.“ Was? Nein, zu viel des Guten. Ihr Gesicht lief schlagartig rot an, obwohl sie das hatte vermeiden wollen. Ob es komisch wäre, sich mit dem Kopf in der Salatschüssel zu verstecken, bis sie sich beruhigt hatte? Beschwichtigend hob Sania die Hände. „Okay, okay~. Ich weiß doch selbst sehr gut, wie fleißig Delion sein kann, wenn er sich nicht gerade verläuft. Wollte nur auf Nummer sicher gehen.“ Es kam Raelene so vor, als würde Sania ihr entschuldigend zulächeln. Das änderte trotzdem nichts daran, dass ihr Gesicht nun glühte wie eine Tomato-, nein, Tamotbeere. Delion sagte nichts, sondern wirkte wieder nachdenklich. Besser, Raelene versuchte gar nicht erst, zu erahnen, was in seinem Kopf vorging. Dabei dürfte nichts Gutes herauskommen, in Zusammenhang mit ihrer Person. „Mach dir da keine Sorgen“, meldete Hop sich noch einmal. „Ich bin sicher, dass Raelene sich gegen Delion durchsetzen könnte, wenn er doch mal zu viel will. Wahrscheinlich muss man Delion aber eher zwingen, auch mal Aufgaben abzugeben.“ „So schlimm ist es inzwischen nicht mehr“, widersprach Delion. „Raelene macht einen guten Job als Champ, das erleichtert schon einiges.“ Ein Lob von Delion? Ein Lob! Ihr Herz machte Freudensprünge. Egal, ob es ehrlich gemeint war oder er das nur aus Höflichkeit gesagt hatte, sie freute sich darüber. Deshalb huschte auch ein verlegenes Lächeln über ihre Lippen. Sania beobachtete sie aufmerksam, wie Raelene bemerkte, weshalb sie versuchte ganz normal zu wirken. „Das hört man doch gern~. Immer schön weiter so! Oh, Großmutter wäre übrigens auch gerne gekommen“, erzählte Sania schließlich, als wollte sie, Raelene zuliebe, das Thema wechseln. „Aber sie wollte ihren jährlichen Kontrollbesuch bei Endynalos nicht verschieben. Obwohl sie nun in Rente ist, kann sie die Arbeit nicht sein lassen. Typisch für sie.“ Seufzend tätschelte Sania Voldis Kopf. Das Hunde-Pokémon saß auf ihrem Schoß und hechelte die ganze Zeit gierig, während es auf das ganze Essen auf dem Tisch starrte – dabei hatte Sania bereits mehr als genug mit ihrem kleinen Liebling geteilt. „Mama gibt bestimmt gern noch mal eine Party, wenn sie auch kann.“ Hop legte den Maiskolben auf seinem Teller ab, um einen Schluck zu trinken. „Nachzusehen, ob bei Endynalos alles okay ist, ist immerhin auch wichtig.“ Da hatte Hop recht. Bei seiner letzten Befreiung wäre Endynalos fast dazu imstande gewesen, Galar auszulöschen, so etwas durfte nie wieder passieren. Delion schien sich nicht gern an Endynalos zu erinnern. „Ach ja …“ Sicher konnte ihm das niemand verübeln. Von allen hatte er den schwersten Kampf mit Endynalos austragen müssen, ganz allein. Rückblickend war es auch für Raelene ein Wunder, dass am Ende alles gut ausgegangen war. Ohne Zacian und Zamazenta hätten sie einpacken können … „Wie steht es bislang?“, fragte Delion. „Ist er noch sicher verwahrt?“ Soweit Raelene wusste, hatte man eigens zur sicheren Verwahrung von Endynalos in den verschneiten Bergen hinter Circhester eine Einrichtung erbaut. Laut einigen Berichten sollen die Bauarbeiten damals unfassbar schnell abgelaufen sein, was man wohl als wahre Glanzleistung von Menschen und deren Pokémon bezeichnen konnte. Die Gegend um das Gebäude herum war angeblich ziemlich verlassen, damit, im Falle eines erneuten Ausbruchs von Endynalos, der Schaden so gering wie möglich gehalten werden könnte, bis Hilfe eintraf. Die Einrichtung lag außerdem zwischen Score City und Claw City, also könnten zügig aus diesen Städten oder aus Circhester Trainer herbei eilen. „Es gab bisher jedenfalls keine Probleme“, berichtete Sania zufrieden. „Großmutter macht sich stets auch ein Bild von den dortigen Forschern und Wachen, damit nicht nochmal ein Unglück geschieht.“ Raelene runzelte nachdenklich die Stirn, weshalb Sania sie fragte, was los sei, worauf sie folgende Antwort erhielt: „Ich wundere mich nur ... irgendwie dachte ich immer, ihr würdet Endynalos erforschen.“ „Oh, den Vorschlag habe ich gemacht“, versicherte Sania. „Großmutter meinte aber, dass man Dinge, die außerhalb der eigenen Kontrolle liegen, besser ruhen lassen sollte. Oder so ähnlich.“ Wie aus dem Nichts packte Raelene eine Frage, die ein Gefühl von Unruhe in ihr auslöste: „Wie sich Endynalos wohl fühlt?“ „Bestimmt einsam“, antwortete Delion darauf, überraschend schnell. Obwohl es Delion nicht gelungen war, Endynalos einzufangen und es schlimmstenfalls ganz Galar hätte vernichten können, zeigte er Empathie für dieses Pokémon. Raelene konnte nicht anders, als ihn bewundernd anzusehen und zu lächeln. Kein Wunder, dass sie so verliebt in ihn war. Hop sah ihn kurz an, aber da Delion das nicht weiter ausführen wollte, übernahm er das Wort: „Ich fände es auch gut, wenn wir ihn erforschen könnten, immerhin wissen wir nichts über ihn. Aber ich denke auch, dass es besser ist, ihn in Ruhe zu lassen. Solange er schläft, kann nichts schiefgehen.“ „Ja, auch wenn es trotzdem schade ist“, stimmte Sania zu. Ihr Voldi wollte scheinbar auf den Tisch springen, doch sie hielt es rechtzeitig davon ab und knuddelte es stattdessen ordentlich durch. „Hey, tu nicht so, als würdest du bei mir nie was zu essen bekommen, du Vielfraß~.“ Raelene lachte herzlich. „Dedenne tut auch immer so, als hätte er nichts bekommen, während er mit Beeren vollgestopfte Backen hat und ganz unschuldig vor einem steht. Meistens gebe ich dann nach, weil er dabei zu süß ist.“ „Das kann ich mir gut vorstellen.“ Hop lachte ebenfalls. „Deswegen ist es mit Relaxo sehr einfach, der schläft die ganze Zeit. Besonders nachdem er mein Mittagessen geklaut hat. Manche Pokémon wissen Menschen einfach zu gut auszunutzen.“ Sania hob theatralisch eine Hand an ihre Stirn. „Und ich muss dann auf meinen Schönheits-Smoothie verzichten. Wenn Relaxo erst mal schläft, bekommt man ihn nicht mehr so leicht wach.“ Vielleicht sollten sie sich besser einen zweiten Kühlschrank besorgen. An zwei Orten gleichzeitig könnte Relaxo nicht im Weg liegen. Wenigstens konnte man sich sicher sein, dass Relaxo also immer satt und zufrieden war. „Euer Alltag ist also auch immer aufregend, was?“, schmunzelte Raelene. Sania nickte enthusiastisch. „Aber klar! Vor allem unsere Außen-Einsätze sind manchmal nicht ohne. Es gibt nichts Spannenderes, als den Spuren von Pokémon auf den Grund zu gehen.“ „Vor allem mitten in einem Schneesturm“, führte Hop weiter aus. „Letztes Mal musste ich mich an Zwollock festbinden, um nicht aus Versehen verweht zu werden.“ Ein Glück nur, dass Hops Zwollock derart unempfindlich gegen alles war. Raelene hatte oft genug gegen die beiden gekämpft, weshalb sie das so genau wusste. Bestimmt hatte Zwollock den Wind einfach nur an sich abprallen lassen, während er stoisch und stolz mitten im kniehohen Schnee gestanden hatte. Ohne ihre Pokémon könnten sie solche Dinge niemals alleine schaffen. „Fehlen euch nicht die Pokémon-Kämpfe?“ Delions Frage gewann sogleich Raelenes Aufmerksamkeit. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Leben ohne Pokémon-Kämpfe – gegen andere Trainer – wirklich erfüllend ist.“ „Das glaub ich dir auf's Wort, dass du dir das nicht vorstellen kannst!“, lachte Sania, und beugte sich über den Tisch, bis sie Delion gegen die Brust klopfen konnte. „Es ist ja nicht so, dass wir niemals kämpfen. Nur eben nicht gegen Trainer. Es ist oft nötig, wilde Pokémon durch einen Kampf zu schwächen, um sie zu untersuchen.“ „Aber das ist doch nicht das gleiche“, wandte Raelene ein – ihre goldgelben Augen fingen an zu leuchten wie Sterne. „Die Spannung und das Knistern in der Luft, wenn beide Trainer und ihre Pokémon alles geben, erlebt man nur in einem richtigen Kampf~.“ Da fiel ihr ein, dass sie schon ewig nicht mehr gegen Hop gekämpft hatte, obwohl es damals fast schon zu ihrem Alltag zählen konnte. Irgendwann waren von seiner Seite aus auch keine Herausforderungen gekommen. Vielleicht war er zu beschäftigt für solche Kämpfe oder wirklich nicht mehr interessiert daran. Schade eigentlich. „Aber solange jeder auf seine Weise Spaß hat, ist ja alles super“, fügte sie hinzu. Delion nickte zufrieden. „Wenigstens eine Person hier, die mich versteht.“ Jetzt würde Raelene gerne auf der Stelle gegen ihn kämpfen, aber sie konnte Delion nicht mehr einfach herausfordern. Sie wollte ihn nicht bedrängen oder riskieren, dass er das falsch verstand. Gerade heute sollten sie die gemeinsame Grillparty einfach genießen, schon weil nicht alle oft die Zeit dazu fanden. Außerdem war sie schon glücklich genug, dass er nun ein wenig lockerer geworden war. Darum fing sie endlich mal damit an, ihren Salat zu essen, statt nur darin herumzustochern – er schmeckte wirklich großartig. Für die Pokémon standen natürlich Schälchen mit verschiedenen Beeren bereit, sollten sie Hunger haben. Zumindest Wolly tollte aber noch lieber herum und sprang dabei geschickt zwischen den ganzen Anwesenden umher, ohne jemanden anzurempeln oder zu stören. „Das klingt alles sehr lustig“, sagte plötzlich jemand, etwas verträumt. Dieser Jemand war Gloria. Bislang war sie recht still gewesen und hatte vor sich hin gestarrt. Für Victor, ihren Bruder, war das nicht ungewöhnlich. Schon als Kind war er die Ruhe in Person gewesen und hatte die oft fehlende Vernunft der anderen ausgeglichen. Aber der war gerade nicht mal anwesend. Bei Gloria musste man sich schon eher darüber wundern, wenn sie derart still war. Als Raelene bei ihr nachhakte, was sie meinte, blinzelte sie überrascht und hob verlegen die Hände vor ihr Gesicht. „Hab ich das laut gesagt? Entschuldigung. Ich musste mir das nur vorstellen, wie Relaxo den Kühlschrank plündert.“ Gloria hing wirklich noch bei der Stelle ihrer Gespräche fest? Irgendwie war das … süß. Eigentlich kannte Raelene das gar nicht von ihr, dass sie so hinterherhinkte. Normalerweise war Gloria ziemlich aufmerksam. Womöglich beschäftigten sie aber auch noch andere Dinge, wegen denen sie etwas abwesend gewesen war. Sie fanden alle wirklich kaum noch die Gelegenheit dazu, sich über den Alltag und die Arbeit auszusprechen. Besorgt sah Gloria Hop an. „Bekommst du denn trotzdem genug zu essen?“ Das passte schon eher zu ihr. Ihre Fürsorglichkeit war eine ihrer größten Stärken, konnte aber manchmal auch etwas zu weit gehen. Raelene freute sich darüber, dass Gloria und Victor sich auch nicht wirklich verändert hatten, obwohl sie nicht mehr so viel miteinander abhingen. Dadurch entstand so eine vertraute Atmosphäre, die Raelene sehr genoss. „Nur keine Angst“, sagte Hop schmunzelnd. „Ich hol mir dann einfach was vom Lebensmittelhändler in der Nähe, der kennt mich schon.“ Sichtlich erleichtert atmete Gloria auf. „Gut, schließlich brauchst du die Energie ja genauso wie jeder Trainer.“ Reine Kopfarbeit konnte auf ganz andere Weise anstrengend sein, sagte man. Für Raelene war es auf jeden Fall erstaunlich, dass Hop freiwillig so viel lernte. Sie selbst war oft erschöpfter als nach einem Training mit ihren Pokémon, nachdem sie etwas gelesen hatte. Darum war sie mehr als froh, als Champ keine Bücher wälzen zu müssen. Gloria war es stets ähnlich ergangen wie Raelene, was das Thema Lernen anging. Da Gloria versuchte eine richtige Züchterin zu werden, musste sie garantiert auch wieder viel pauken. Die Arme. „Gönn dir auch mal eine Auszeit. Oh, ich weiß was! Ihr solltet uns mal im Hort besuchen kommen~“, schlug Gloria vor. „Wir haben gerade viele frisch geschlüpfte Babys dort. Sie zu beobachten und mit ihnen zu spielen macht wirklich viel Spaß.“ Von dem Vorschlag schien Hop eindeutig begeistert zu sein. „Oh ja, gute Idee. Ist bestimmt entspannend.“ „Ich war neulich auch dort“, sagte Victor, der wieder dazukam, nachdem er kurz nach den Knospis vor ihrem Haus nebenan geschaut hatte. „Sie sind echt süß.“ Das konnte Raelene sich gut vorstellen. Wie lange war es her, seit sie zuletzt mit einem Baby-Pokémon gespielt hatte? Nun, ihr Dedenne war zwar schon lange keines mehr, aber benahm sich oft noch wie eines, woran sie sich nicht störte. Sie liebte ihr kleines Leckermäulchen, das bestimmt einige Gene von einem Mampfaxo in sich trug. Hop sah hoffnungsvoll zu Sania hinüber. „Bekomme ich dafür mal einen Nachmittag frei?“ Sania tippte sich mit dem Finger gegen das Kinn und tat so, als müsste sie zuerst angestrengt darüber nachdenken, ob sie ihm das erlauben wollte, aber sie lächelte schließlich nickend. „Nur, wenn du dafür an einem anderen Nachmittag im Labor bleibst, damit ich auch mal im Hort vorbeischauen kann~“, flötete sie vergnügt. „Außerdem bist du immer sehr fleißig, natürlich darfst du dir da mal frei nehmen.“ „Wie schön!“ Begeistert klatschte Gloria in die Hände. „Wenn du dann kommst, können wir ein kleines Picknick im Hort machen.“ Das klang schon fast romantisch. Wie gerne würde Raelene mal mit Delion campen, aber wie sollte sie ihn danach fragen? Hätte er überhaupt Lust darauf? „Super!“ Hop grinste aufgeregt. „Dann freue ich mich schon doppelt!“ „Bei Baby-Pokémon bin ich auch dabei“, beschloss Delion. „Ich komme also auf jeden Fall auch mal. Was ist mit dir, Raelene?“ Raelenes Gesicht begann sofort zu leuchten. Sicher, Baby-Pokémon waren unglaublich niedlich, aber noch schöner war in diesem Moment, dass Delion sie, völlig unerwartet, danach fragte, ob sie auch Lust darauf hätte. Oder will er nur sichergehen, dass ich nicht da bin, wenn er zum Hort geht? Schlagartig war sie wieder unsicher. Sie wollte diese Chance, wenn es denn eine war, jedoch nicht verstreichen lassen. Also kramte sie ihre Entschlossenheit als Champ hervor und gab sich selbst den nötigen Ruck. „Natürlich, wenn ich darf.“ „Warum solltest du nicht dürfen?“, wandte Gloria ein, wobei sie ihr ein aufmunterndes Lächeln schenkte. „Sagt mir nur vorher den Tag, dann melde ich euch alle an und bereite das Picknick vor. Bringt auch eure Pokémon mit. Es ist gut für die Babys, soziale Erfahrungen zu sammeln~.“ Für einen furchtbar kurzen Moment lang schien Delion Raelene prüfend zu mustern. Oder bildete sie sich das auch wieder nur ein? Warum konnte sie nicht einfach lesen, was in seinem Kopf vorging? Nein, genau das wollte sie doch lieber nicht, falls er wirklich etwas gegen sie hatte. Es war so kompliziert. Schließlich nickte Delion aber dann Gloria zu. „Okay, dann sagen wir Bescheid.“ „Hey“, meldete Hop sich. „Heißt das jetzt, ihr kommt alle am selben Tag wie ich?“ Würde ihn das etwa stören? Zugegeben, Raelene wollte gerne mit Delion alleine sein, wenn möglich. So unsicher sie sich in seiner Gegenwart auch fühlte, sie sehnte sich danach Zeit mit ihm zu verbringen. Selbst wenn sie sich am Ende nur gegenseitig anschweigen würden, könnte sie ihn wenigstens sehen. Dafür nahm sie ihre Unsicherheit in Kauf. Aber wie stellte sie das am besten an, zu vereinbaren, dass sie zu zweit an selben Tag zum Hort gingen? „Ich richte mich da gern nach euch“, meine Gloria geduldig. „Da ich dort arbeite, bin ich ja schon mal sowieso immer vor Ort. Ihr könnt das natürlich so einrichten, wie es für euch passt.“ Raelene schielte verlegen zu Delion, was an ihrer Stimme aber nicht herauszuhören war: „Also ich habe momentan noch recht viel Zeit. Ich kann mich anpassen.“ Bei Delion konnte man das dagegen nie so genau wissen. Als Liga-Präsident gab es wahrscheinlich immer irgendetwas zu tun. „Wenn es dann nicht zu viel Arbeit ist, komm ich nicht am selben Tag wie Hop.“ Delion dachte kurz nach. „Aber ich will dir trotzdem nicht zu viel aufhalsen, also kann ich mich ja einfach unserem Champ anschließen.“ Was? Hatte sie das gerade richtig gehört? Delion hatte von sich aus gesagt, er würde mit ihr zusammen hingehen? Wäre es zu auffällig, wenn sie sich kurz selbst kniff, nur zur Sicherheit? Besser stimmte sie ihm lieber rasch zu, bevor er es sich noch anders überlegte oder ihr Schweigen falsch deutete. Also nickte Raelene lächelnd, um zu zeigen, dass sie damit einverstanden war. Wenn Delion so etwas schon von sich aus vorschlug, wollte sie das unbedingt dankbar annehmen. „Gerne, ich freu mich~“, gestand sie offen - ihr Herz machte einen Sprung, weil sie das tatsächlich laut aussprach. „Das wird sicher eine schöne Abwechslung.“ Am besten ließen sie zuerst Hop den Vortritt und besuchten dann an einem Tag nach ihm den Hort. Er hatte schließlich als erster gefragt, ob er dafür frei haben könnte. Sania schmunzelte und lehnte sich gemütlich im Stuhl zurück. „Ich komme dann mal alleine vorbei. Zu viel Trubel auf einmal ist für die Kleinen sicher auch nicht gut.“ Also stand schon mal fest, wer jeweils zusammen oder alleine ging. Nun konnte Raelene es kaum noch abwarten. Wie gerne würde sie einfach aufspringen, Delions Hand greifen und mit ihm sofort geradewegs Richtung Hort eilen. Aber sie musste sich gedulden. Es war schon ein riesiges Glück, dass sie überhaupt zu zweit gehen würden. Sein Schicksal sollte man nicht unnötig herausfordern, vor allem wenn es gerade einen Weg einschlug, der einem willkommen war. „Moment mal“, bemerkte Victor ernst. „Warum gab es eigentlich kein Picknick, als ich da war? Oder überhaupt was zu essen?“ Ein paar Sekunden lang starrte alle Victor sprachlos an. Anhand der Gesichtsausdrücke war zu sehen, wie jeder das Gesagte verarbeitete. Plötzlich brachen am Tisch dann alle in Gelächter aus, außer Victor und Gloria. Letztere lächelte nervös. „Es war so viel zu tun“, wich sie aus. „Die Babys waren gerade erst geschlüpft, da muss man sie ganz besonders im Auge behalten. Nächstes Mal bekommst du auch etwas zu essen, versprochen.“ „Apropos, Essen!“, warf Sania ein. Voldi verstand sofort und sprang von ihrem Schoß, damit sie aufstehen konnte. „Glurak, ich brauche noch etwas vom Grill! Ich habe viel Hunger mitgebracht~.“ Der Großvater von Delion und Hop, der zusammen mit Glurak am Grill stand, salutierte direkt lächelnd und auch Glurak gab ein freundliches Brummen von sich. In diesem Moment stellte Raelene fest, dass ihre Anspannung verschwunden war, worüber sie zufrieden seufzte. Mit etwas Glück könnte sie sich vielleicht sogar mit Delion aussprechen, wenn sie zum Hort gingen, damit sie in Zukunft nicht mehr so schrecklich unsicher wäre. Nun sollte sie aber erst mal weiter das Grillfest genießen. Es war immer wieder schön, so zusammenzukommen und diese friedliche Stimmung zu genießen – und das Essen. Kapitel 2: Wie kann man nicht begeistert von dir sein? ------------------------------------------------------ Eine Woche nach dem erfolgreichen Grillfest, hatte Hop als erster Gloria im Hort besucht. Ihr gemeinsamer Tag war ziemlich positiv verlaufen, was Raelene in Form von kurzen Textnachrichten mitgeteilt worden war. Hop hatte dabei noch recht normal geklungen, vielleicht etwas blumiger als sonst, und ihr nur „Viel Glück“ bei ihrem Ausflug mit Delion gewünscht – was Raelene etwas unsicher zurückließ, weil sie nicht wusste, wie genau er das meinte. Glorias Bericht dagegen war mit einem Haufen Herzchen ausgeschmückt gewesen … und hatte letztendlich auch nicht genau verraten, was an dem Treffen so gut gelaufen war. Vermutlich waren die Baby-Pokémon einfach nur unglaublich entzückend. So sehr, dass es einen ins höchste aller Glücksgefühle versetzte und man den Verstand verlor. Ja, daran musste es liegen. Wobei das nicht erklärte, warum Gloria so auf Wolken schwebte. Immerhin arbeitete sie im Hort und bekam die niedlichen Babys tagtäglich zu Gesicht. Hätte sie da nicht schon vorher so starke Emotionen zeigen müssen? Vielleicht sollte Raelene sich deswegen aber nicht so viele Gedanken machen. Einen Tag später war nämlich sie an der Reihe, sich die Baby-Pokémon anzuschauen. Zusammen mit Delion! Nervosität und Glücksgefühle vermischten sich in ihr zu einem unkontrollierbaren Sternenschauer, jedes Mal, sobald sie sich das vor Augen führte. Wüsste sie, was wirklich bei Hop und Gloria los war, hätte sie das vermutlich nur noch unsicherer gemacht – beizeiten sollte sie trotzdem mal nachhaken. Die Freude darüber, Delion so schnell wiedersehen zu können, überwog aber deutlich. Viel zu früh stand Raelene daher bereits vor dem Hort, wie verabredet, und wartete unruhig auf ihn. Gloria arbeitete in der Hauptfiliale auf Route 5, zwischen Turffield und Keelton. Das war eine ziemlich schöne Lage, sehr ländlich. Im Rücken schmiegte sich sogar ein kleines Wäldchen an den Hort. Hoffentlich fand Delion den Weg. Hätte Raelene ihm bei der letzten Verabschiedung anbieten sollen, dass sie zusammen hierher fliegen könnten? Unsinn ... bestimmt nahm er sich ein Flugtaxi oder ließ sich sogar von Glurak herbringen. Also alles in Ordnung. Er war sich seiner kleinen Orientierungsschwäche sicher selbst bewusst. Notfalls rief sie ihn einfach an. Genau. Immer wieder strich Raelene sich durch die Haare und kontrollierte, ob ihre Kleidung anständig saß. Eigentlich machte sie sich sonst nicht viel aus solchen Dingen, aber wenn Delion ankam, wollte sie ... gut aussehen, so weit es ihr eben möglich war. Für den Besuch im Hort hatte sie sich trotzdem eher sportlich gekleidet, damit sie sich problemlos bewegen konnte. Wenn sie bei einigen Fototerminen für Werbung oder Interviews elegantere Kleidung tragen musste, fühlte sie sich darin stets furchtbar eingeengt und unwohl. Große Erleichterung machte sich in Raelene breit, als sie schließlich am wolkenlosen Himmel endlich ein Flugtaxi entdeckte. Die Flügelschläge des Krarmor hatten noch nie so erlösend und wohltuend geklungen. Gerade, als ihr in den Sinn kam, dass es mit der Kabine auch an ihr vorbeifliegen könnte, weil eine völlig andere Person darin saß, warf Delion einen kurzen Blick aus dem Fenster. Er war es also wirklich – und wirkte noch dazu zufrieden, auch wenn das wahrscheinlich nicht an ihrer Anwesenheit lag. Kaum war das Krarmor mit der Kabine sicher vor dem Hort gelandet, stieg Delion aus. Freundlich bedankte er sich bei dem Piloten und dem Pokémon, bevor er sich von dem Flugtaxi entfernte. Mit einem lauten Krächzen hob Krarmor kurz darauf schon wieder ab, während Delion geradewegs auf Raelene zuging. Je näher er kam, desto mehr lächelte er. Obwohl er noch einige Schritte von ihr entfernt war, hob er locker die Hand. „Hey, Raelene. Tut mir leid, dass du warten musstest.“ Delion hatte ihren Namen gesagt! Zwar tat er das nicht zum ersten Mal, aber ihr Herz schlug dennoch auf Anhieb schneller, sobald es passierte. So sehr, wie sie sich gerade freute, mussten ihre Augen in dieser Sekunde besonders hell leuchten. Sie hob ebenfalls die Hand und begrüßte ihn nervös, jedoch auch freudig. „Hey, Delion~! Mach dir keine Sorgen, ich war viel zu früh da. Sonst hätte ich gar nicht lange warten müssen.“ Raelene ballte die Hände zu Fäusten und hob sie ein wenig hoch, um zu zeigen, wie aufgeregt sie war. „Bist du auch schon so gespannt wie ich?“ Vor ihr angekommen, blieb er stehen und strich sich ein wenig verlegen über den Nacken. „Ja, auf jeden Fall.“ Ob er die Baby-Pokémon meinte oder auch wegen anderen Dingen aufgeregt war, so wie sie? Es fiel ihr schwer, das einzuschätzen. Rührte seine Verlegenheit daher, weil er es unangenehm fand, sich so mit ihr zu treffen? Vielleicht hatte er sich das leichter vorgestellt und war nun schon überfordert davon. „Was denkst du?“, fragte Delion. „Wird unter diesen Baby-Pokémon auch ein starkes dabei sein?“ „Das hoffe ich doch“, antwortete sie, wobei sie zur Tür deutete. „Lass uns gleich reingehen~.“ Da Gloria sie erwartete, sollten sie ihre Freundin nicht warten lassen, auch wenn es sie wahrscheinlich nicht stören würde. Außerdem wollte Raelene lieber verhindern, dass sie in ihrer Unsicherheit etwas Peinliches sagte oder wieder rot wurde, sollte sie zu lange mit Delion alleine sein ... was sie durchaus genoss. Delion trat bereits zur Tür und öffnete diese, bedeutete ihr dann aber, dass sie vor ihm eintreten sollte. „Ich glaube, es ist höflicher, wenn ich dich zuerst reingehen lassen.“ Sie waren nicht mal fünf Minuten hier und schon schaffte er es erneut, ihre Gefühle Achterbahn fahren zu lassen. Raelene bedankte sich lächelnd und überlegte, ob sie ihm beim Vorbeigehen freundschaftlich gegen die Schulter klopfen sollte, entschied sich aber im letzten Augenblick dagegen. Schließlich wollte sie nicht riskieren, dass sie sich selbst komplett in die gefürchtete Friendzone verbannte. „Ah, da seid ihr ja“, ertönte Glorias Stimme, kaum dass sie einen Fuß ins Innere des Horts gesetzt hatten. „Herzlich Willkommen, ihr zwei~!“ Ihre Freundin saß am Empfang und wirkte ziemlich gut gelaunt. Ähnlich wie in der Textnachricht von gestern Abend, die Raelene bekommen hatte. War Delion auch von Gloria und Hop Bericht erstattet worden? Nun war es ein bisschen zu spät, ihn danach zu fragen. Auf dem Empfangstisch saß ein Kussilla, das gleichmäßig mit dem Kopf vor und zurück wippte, als wolle es jemanden küssen. Falls Raelene sich richtig erinnerte, hatte Gloria ihr mal flüchtig von einem Maskottchen erzählt, das im Hort lebte und sehr an ihr hing, weshalb es meistens in ihrer Nähe war. Dabei handelte es sich bestimmt um dieses Pokémon. „Kuss!“, ahmte das Kussilla Gloria lebhaft nach, wobei es mit den Ärmchen wedelte. „Silla~.“ Plötzlich fuhr Gloria blitzschnell von ihrem Platz hoch und schnappte sich mit beiden Händen das Kussilla, welches in dieser Sekunde zu einem Sprung in Richtung Delion angesetzt hatte. Unfassbar, wie erstklassig Glorias Reaktionszeit war. Sie behielt das Kussilla auf dem Arm, das mit großen, glänzenden Augen Delion weiter anstarrte – verständlich, er war umwerfend. Delion grüßte Gloria, dann sah er das Kussilla neugierig an. Baby-Pokémon bekam man in der Wildnis eher selten zu Gesicht, weswegen er nur umso faszinierter wirkte. „Hatte es vor, uns anzuspringen?“ Gloria lachte amüsiert. „Ja, um euch zu küssen.“ „K-küssen?“, wiederholte Raelene – und versuchte krampfhaft, dabei nicht Delion anzuschauen. „Ja, das machen Kussillas immer, um zu prüfen, was oder wen sie mögen. Es hat gestern schon Hop erwischt, also war ich diesmal schneller.“ Verstehend nickte Raelene ihr zu. Auch Delion gab einen Laut von sich, der verriet, dass er diese Eigenart von Kussillas scheinbar schon im Gedächtnis gehabt hatte und für sich selbst festhielt, richtig gelegen zu haben. Bei Glorias flinker Handlung, mit der sie das Pokémon aufgehalten hatte, lag jedoch die Vermutung nahe, dass so etwas schon öfter vorgekommen war, als nur bei Hop gestern. Das war sicher lustig für die beiden gewesen, aber auch überraschend für Hop. „Ich bin sicher, Kussilla mochte Hop, hm?“, vermutete Delion, mit absoluter Überzeugung. Jedenfalls war die Vorstellung, ein Pokémon könnte Hop nicht mögen, irgendwie abwegig. In der Hinsicht konnte Raelene ihm also zustimmen. Vielleicht hatte Delion diese Vermutung aber nur deswegen, weil es um seinen kleinen Bruder ging ... nein, Hop war ein guter Mensch, deswegen war es doch nur natürlich, dass ein Kussilla ihn mögen würde. „Jedenfalls danke, dass du uns davor gerettet hast.“ Bislang konzentrierte das Kussilla sich eigentlich nur auf Delion, wie Raelene auffiel. Allerdings behielt sie das für sich, zumal sie es nicht persönlich nahm. Im Gegenteil, sie verstand Kussillas Begeisterung nur zu gut. „Kein Problem“, versicherte Gloria. „Ich muss mir endlich angewöhnen, Kussilla immer festzuhalten, wenn Kunden kommen. Ach, und natürlich mochte sie Hop~.“ „Ah, ein Mädchen also~“, bemerkte Raelene. Ernsthafte Konkurrenz. Da konnte sie direkt einpacken. Bei Pokémon konnte man nur den Kürzeren ziehen. Während Raelenes Gedanken sich verselbstständigten, rief Gloria nach einer Kollegin namens Leya, die für sie den Posten am Empfang übernehmen sollte. Als die Frau den Raum betrat, begrüßte sie Delion und Raelene respektvoll und murmelte so etwas wie „Wow, gleich zwei Champs!“. Es war schön, dass Delion von vielen immer noch als einer bezeichnet wurde. Für Raelene würde er auch auf ewig der einzig wahre Champ bleiben. Etwas an Delions Blick verriet ihr, dass es ihn ebenso freute, von einigen Leuten noch als einer betrachtet zu werden. Wie auf Stichwort nagte das schlechte Gewissen an Raelene … „Alles klar, folgt mir einfach“, bat Gloria. „Die Babys sind hinten im Garten.“ Delion bedeutete Raelene erneut, dass sie ruhig vorausgehen sollte. Dankend ging sie dem nach und lief vor ihm, um Gloria zu folgen. Raelene wollte daran glauben, dass er einfach nur besonders höflich war, von Natur aus ein Gentleman eben, und es nicht irgendeinen anderen Grund dafür gab. Vielleicht sollte sie Hop mal unauffällig danach fragen und herausfinden, ob er das vielleicht nur bei ihr tat. Allerdings bliebe dann als nächstes noch die Frage offen, ob er sich nur so verhielt, weil sie der Champ war. Oder er so auf seine Art Distanz zu ihr wahrte. Ich denke zu viel nach. Also schüttelte sie diese Gedanken ab und freute sich stattdessen lieber auf die Baby-Pokémon. Vor einer Tür hielt Gloria an und wandte sich ihnen lächelnd zu. Kussilla wedelte aufgeregt mit den Ärmchen – zu süß! „Okay, hier eine Mini-Einweisung für euch“, begann Gloria. Aufmerksam starrte Raelene sie an, weil sie nichts verpassen wollte. Würde sie im Umgang mit den Baby-Pokémon etwas falsch machen, könnte sie sich das nie verzeihen. Bei genauerer Betrachtung fiel ihr auf, wie sehr Glorias kurzes, braunes Haar an diesem Tag glänzte. Auch die Farbe ihrer Augen war kräftiger als sonst und ihre gesamte Haltung strahlte Lebendigkeit aus. Offenbar tat es ihr ausgesprochen gut, sich mit Kindheitsfreunden zu treffen. „Unsere Babys müssen erst lernen, mit ihren Kräften richtig umzugehen. Sie können noch nicht einschätzen, wie viel man Menschen zumuten kann. Stellt euch also darauf ein, dass ihr möglicherweise kleinere Bisse, Schocks oder Kratzer erleiden werdet.“ Von Delion war eine leise Zustimmung zu hören. Sicher hatte er schon mal mit Baby-Pokémon zu tun gehabt und kannte ihren kindlichen Übermut bereits. Als Glorias Blick sich auf ihn fixierte, schien er erst zu denken, dass er zu vorlaut gewesen war. Seine Mimik nahm eine leicht panische Note an. Konnte Sania etwa ungehalten werden, wenn er sich so ähnlich bei ihr verhielt? „Vor allem du solltest dich in Acht nehmen, Delion~“, warnte Gloria ihn. „Aber keine Sorge, sie sind noch nicht stark genug, um ernsthaften Schaden anzurichten.“ Das entzog sich merklich Delions Verständnis. „Warum muss gerade ich aufpassen?“ Diese Frage stellte Raelene sich im Geiste auch. Waren Baby-Pokémon angriffslustiger, wenn Männer sich ihnen näherten? Hort-Mitarbeiter waren meistens weiblich. Lag es eventuell daran? Trotz dieser Warnung schien Delion das Ganze aber auch nur noch neugieriger zu machen. Schmunzelnd zwinkerte Gloria ihm zu. „Ich verrate es dir, sobald du die ersten Angriffswellen überstanden hast.“ Irgendetwas schien ihr daran Freude zu bereiten. Raelene tauschte mit Delion einen Blick der Ratlosigkeit aus. Er käme sicher schon klar, darüber machte sie sich keine Sorgen. Jetzt war aber auch sie gespannt, was das zu bedeuten hatte. Ohne weitere Erklärungen öffnete Gloria die Tür und führte sie nach draußen. Delion und Raelene folgten ihr und lauschten interessiert den folgenden Erklärungen ihrer Freundin. Hinter dem Gebäude befand sich ein großflächiger, gut gepflegter Garten, in dem die Pokémon spielen oder sich einfach ausruhen konnten. Die Leitung des Horts hatte versucht, beim Aufbau möglichst vielen Arten gerecht zu werden. Aus diesem Grund gab es neben einem bunten Blumenbeet auch eine großzügige Sandfläche, einen Teich und sogar eine Ecke mit mehreren Felsen sowie dunklen Höhlen. In der Mitte des Gartens stand ein hoch gewachsener Beerenbaum, aber weil die Pokémon stets alles wegfraßen, trug er meistens keine Früchte mehr. Das alles war viel größer, als Raelene gedacht hatte. Beeindruckt lenkte sie den Blick von einer Ecke zur anderen. Ähnlich überwältigt schien auch Delion zu sein. Keiner von ihnen hätte so ein liebevoll eingerichtetes Gebiet hinter dem Hort erwartet. Durch die Bäume des Wäldchens war der Garten nämlich vor neugierigen Blick geschützt. „Ihr habt wirklich eine tolle Umgebung für die Babys geschaffen“, sagte Delion anerkennend. Lächelnd blickte Gloria über ihre Schulter. „Danke, das werde ich gerne weiterleiten~. Wir geben uns alle große Mühe.“ Es waren bereits einige Stimmen von Pokémon zu hören aus der Richtung des Beerenbaumes. Dort hielten sich die Babys wohl recht gerne auf, also war der Bereich mit einem hohen Auslaufgitter abgetrennt worden – zur Sicherheit, falls mal keine menschliche Aufsichtsperson in der Nähe war, lautete Glorias Erklärung. Nur ein Knuddeluff saß gerade bei den Babys und behielt sie im Auge. Sie konnten schon von der Ferne her ausmachen, dass zwei Pichus immer wieder versuchten am Stamm des Beerenbaumes nach oben zu klettern, doch es gelang ihnen noch nicht so wirklich. Ein Mobai dagegen hatte sich ein sonniges Plätzchen ausgesucht und schlief friedlich – man könnte es leicht mit einem Bonsai-Bäumchen verwechseln, wenn man nicht wusste, dass es sich um ein Pokémon handelte. Am lautesten war das Azurill, das lachend auf dem Ball am Ende seines Schweifs herumhüpfte. Dann waren noch ein Pantimimi und ein Pii zu sehen, die zusammen tanzten, wenn auch etwas ungeschickt. Dennoch versuchte Pii stets besonders anmutig dabei zu sein, Pantimimi ahmte sie fleißig nach. „Wie niedlich!“, jauchzte Raelene, bevor sie überhaupt am Gitter angekommen waren. Fast wäre sie einfach losgerannt, um schneller bei den Baby-Pokémon anzukommen, doch es waren sowieso nur noch ein paar Meter, weshalb Raelene sich zusammenriss. Kaum waren sie am Ziel, öffnete Gloria ein kleines Tor im Gitter und setzte Kussilla auf der anderen Seite zu den Pokémon. Begeistert rannte die Kleine direkt Richtung Beerenbaum, zu den beiden Pichus. „Na kommt, keine falsche Scheu. Geht ruhig rein“, ermutigte Gloria die beiden Besucher. Das ließ Raelene sich nicht zweimal sagen. „Oh ja, unbedingt~.“ Vorsichtig ging sie durch das Tor und kniete sich sofort ins Gras, um nicht zu groß zu sein. Sie begrüßte die Baby-Pokémon aufgeregt. „Na, wer von euch wird mal später in der Arena gegen mich antreten, hm?“ Mühevoll rissen die beiden Pichus sich von Kussillas wilden Begrüßungsküssen los und kamen sofort neugierig angerannt, schnupperten und knabberten an ihr. Auch das laute Azurill hüpfte voller Elan auf sie zu, kaum dass es ihre Haare erblickt hatte – es liebte wohl die Farbe Blau. Mit Schwung sprang es hoch und klammerte sich mit dem Schweif an einigen Strähnen fest. „Azurill, rill! Azurill~.“ Schon nach diesen ersten Sekunden war Raelenes Herz aufgrund der Niedlichkeit dieser Pokémon geschmolzen wie Eis. Pantimimi versteckte sich hinter Mobai und wirkte eher nicht wie der Typ, der sich über Besuch freute, doch das war in Ordnung. Pii vollführte auch lieber weiter ihre Tänze. In der Zwischenzeit hatte auch Delion den Auslauf betreten und kniete sich ebenfalls hin. „Hey, Babys.“ Augenblicklich hielten die Baby-Pokémon inne und starrten Delion an. Ihre Augen fingen dabei ähnlich an zu leuchten wie schon bei Kussilla vorhin. Von einer Sekunde auf die andere stürmten sie dann allesamt, außer das dösende Mobai, auf ihn zu. Kussilla sprang ihm geradewegs ins Gesicht, die Pichu schleuderten ihm kleine Stromstöße entgegen, Pii tänzelte holprig-elegant um ihn herum, Pantimimi versuchte angestrengt ihn mit den Händen hochzuheben und Azurill ließ von Raelenes Haaren ab, um gegen seine Schulter zu hüpfen. Dabei plauderten alle ganz aufgeregt durcheinander. „Huch?!“ Raelene blinzelte irritiert. „Was ist denn jetzt los?“ Bestimmt fragte Delion sich das gerade auch, während er Kussilla mühelos mit den Händen auffing, bevor sie ihn erreichen konnte. Somit machte er Glorias Reaktionszeit ernsthafte Konkurrenz. Die Stromstöße dagegen musste er wohl oder übel ertragen, doch sie kitzelten sicher nur ein wenig, und die restlichen Pokémon konnte er nur verwirrt mustern. „Okaaay“, sagte er langgezogen und nickte zu Raelene hinüber. „Wenn ihr Champ werden wollt, kommt ihr ein paar Jährchen zu spät, um gegen mich zu kämpfen. Da müsst ihr euch an Raelene wenden.“ Schräg lächelnd hob Raelene eine Hand. „Schuldig.“ Verwirrt hielten die Pokémon erneut inne, außer Kussilla, die wild mit den Ärmchen ruderte, als könnte sie Delions Gesicht so doch noch erreichen. „Pi?“, sprach das eine Pichu das andere an. „Pichu?“ Es schüttelte den Kopf. „Pi, pi, pi ...“ „Pii~“, stimmte das Pii summend mit ein. Gloria lachte herzlich über diese Szene. „Moment, ich zeige euch den Grund für dieses Verhalten. Aber dann müsst ihr einen Moment ohne mich auskommen. Knuddeluff ist bei euch, falls ihr Hilfe braucht. Sie ist mein Partner und arbeitet hier mit mir zusammen.“ Zustimmend hob das Knuddeluff einen Arm: „Knuddel!“ Daraufhin ging Gloria auch schon zielstrebig weg, zurück in den Hort hinein. Delion sah zu Raelene hinüber. „Was könnte es für einen Grund geben, dass sie es auf mich abgesehen haben? Mögen sie meine Haarfarbe nicht?“ Den letzten Satz meinte Delion nicht wirklich ernst, wie sie an seiner Stimme erkannte. Nachdenklich beobachtete Raelene die Pokémon. Pantimimi versuchte immer noch, Delion hochzuheben. Auch die Pichu setzten weitere Stromstöße gegen ihn ein. Nur Azurill verlor schnell die Lust, weil offenbar nicht das passierte, was die Kleinen erwarteten, und kuschelte sich lieber wieder an Raelenes Haare. Und Pii war so in ihrem Tanz vertieft, dass sie sich unbewusst mehr und mehr von ihnen entfernte. „Wenn ich an ihre Blicke denke, als sie dich gesehen haben, scheinen sie total begeistert von dir zu sein, was ich verstehen kann. Vielleicht wollen sie einfach nur spielen.“ „Spielen, na klar. Wir können gern spielen, Babys.“ Dafür setzte er Kussilla erst mal auf dem Boden ab. Offenbar kitzelten die Stromstöße der Pichus ihn wirklich nur, denn er lachte inzwischen leise. Raelene musste lächeln, während sie Delion und die Babys beobachtete. Plötzlich schien er sich dann etwas bewusst zu werden. Etwas, das Raelene betraf. Sein Blick wanderte zu ihr. „Bist du denn auch begeistert von mir?“ Zunächst begriff sie nicht so recht, woher er diese Frage auf einmal nahm, bis auch ihr bewusst wurde, was genau sie vorhin laut gesagt hatte. … scheinen sie total begeistert von dir zu sein, was ich verstehen kann. Ein Schwall von Hitze stieg ihr sofort ins Gesicht. Irgendwie sorgte das scheinbar dafür, dass Kussilla sie ins Visier nahm und ihr entgegen sprang. Wie in Trance ahmte Raelene Delion nach und fing die Kleine ebenso mühelos ab, ehe sie ihr Ziel erreichen konnte. So schwer war das gar nicht, wie sie angenommen hatte. „Nun ... ja, natürlich“, gab sie verlegen zu. „Wie kann man nicht begeistert von dir sein?“ Er lächelte zufrieden. „Oh, das weiß ich auch nicht. Ist wirklich eine unnötige Frage, was?“ Nach dieser Aussage schwieg er kurz, fuhr dann aber fort: „Ich habe gedacht, du hättest was gegen mich. Deswegen frage ich nur. Ich meine, ich weiß, dass ich anfangs ziemlich problematisch war, nachdem du Champ geworden bist. Aber es spricht doch nichts dagegen, dass wir Freunde sind, oder?“ Freunde. Es versetzte ihrem Herz einen Stich, doch das war immer noch besser, als Delion überhaupt nicht mehr sehen zu können. Solange sie wenigstens Zeit mit ihm verbringen konnte, selbst wenn es nur aus Freundschaft war, wollte sie diese Bindung hüten wie einen Schatz. Durch seine Erklärung wurden ihr einige Verhaltensweisen seinerseits aber mit einem Mal klarer. „Ich hatte nie etwas gegen dich“, versicherte sie, wobei sie ihn beruhigend anlächelte. „Ironischerweise dachte ich immer, du hast eher was gegen mich, weil ich dir deinen Titel gestohlen habe ... und dich dann im Kampfturm belästigt habe. Gleich drei Mal. Aber da du jetzt freiwillig Zeit mit mir verbringst, außerhalb eines Cups, hab ich mir wohl umsonst Sorgen gemacht.“ In seinen Augen flackerte etwas auf, das wie eine Erkenntnis aussah. Offensichtlich verstand er durch ihre Sicht der Dinge nun ebenso einiges besser. Hatte sich also wirklich jeder von ihnen die ganze Zeit Sorgen darüber gemacht, dass der jeweils andere eine Art Groll gegen einen hegte? Wie tragisch das wäre … Etwas zerknirscht senkte er den Blick. So eine Aussprache hätte er sich wahrscheinlich auch früher gewünscht. Sicher, sie waren stets freundlich zueinander gewesen, jedoch irgendwie distanziert. Die Unsicherheit darüber, ob der andere einen hasste oder nicht, hatte immerzu für einen gewissen Abstand gesorgt. „Am Anfang war ich auch ziemlich wütend auf dich“, erklärte Delion weiter. „Das hat sich aber ziemlich schnell geändert. Inzwischen bewundere ich dein Können. Du hast dir den Titel wirklich verdient.“ Raelenes Gesicht fing an zu strahlen, als sie sein Lob hörte. „Danke~. Dass du das sagst, bedeutet mir echt viel.“ Inzwischen war den Pichus etwas schwindelig, weil sie zu viel Elektrizität abgegeben hatten. Auch Pantimimi gab es nun auf und lehnte sich bei Mobai an. Behutsam setzte Raelene Kussilla wieder ab, die nun zielstrebig zu den Pichus lief, um stattdessen die beiden mit Küssen zu überhäufen. Vermutlich weil die beiden sich vor Erschöpfung gerade kaum dagegen wehren konnten. Diese Aktion sorgte bei Delion für ein Lächeln, was ihm wesentlich besser stand. Jeder wurde bei so viel Niedlichkeit schwach. Ein Wunder, dass Raelene nicht die ganze Zeit dabei war jedes Baby zu knuddeln. Im Moment erschien es ihr aber eher wie eine gute Gelegenheit, weiter mit Delion zu reden. Über ein paar bestimmte Sachen. „Wenn wir gerade schon so offen sind ... stört es dich eigentlich, dass ich als Champ deine Gesten nachahme?“ Ehrlich gesagt konnte sie nicht mal genau erklären, warum sie das tat. Für sie gehörte das dazu. Täte sie das nicht, würde etwas Wichtiges fehlen. Letztendlich blieben es aber speziell Delions Gesten, die er ins Leben gerufen hatte. Ihre Hater bezeichneten die deswegen schon seit langer Zeit als Ditto-Champ, was nicht wirklich eine Beleidigung war, wie sie fand. Gut, am Anfang hatte sie das ziemlich verletzt. Seit ihre Fans diese ursprüngliche Beschimpfung aber als etwas Positives nutzen, das sie ihr im Cup zurufen können, dachte sie anders darüber. Trotz ihrer Nachahmungen machte sie das gleichzeitig doch einzigartig. Nur könnte Delion das trotzdem nicht gefallen. Diese Sorge löste sich mit seinen folgenden Worte jedoch in Luft auf: „Das stört mich nicht. Ich finde es sogar gut, damit leben die Gesten immerhin weiter.“ Ein wenig verträumt blickte er nach oben. „Vielleicht werden in Zukunft alle Champs diese Gesten benutzen, das wäre doch großartig~!“ Wie gern würde Raelene ihre Hand ausstrecken und seine nehmen. Etwas an diesem Moment war für sie ziemlich ergreifend. Delion gelang es andauernd, ihr Herz mehr und mehr zu erobern. „Ja, das finde ich auch großartig“, stimmte sie zu, voller Liebe in der Stimme. Plötzlich flog etwas über ihre Köpfe hinweg und landete vor ihnen im Gras: Ein großer Ball, der auf und ab hüpfte, auf dem Delions Gesicht abgebildet war. Ernst starrte er ihnen entgegen. „Da ist es, das Lieblingsspielzeug der Babys“, erklärte Gloria, die wieder zu ihnen gestoßen war. In ihren Armen trug sie einen Picknickkorb bei sich. „Den hab ich vor einigen Wochen beim Ausmisten des Lagers gefunden.“ Musste ein altes Merchandiseprodukt sein, das einst für Pokémon zum Spielen entwickelt worden war – das erklärte einiges. Nicht mal Raelene als brennender Fan hatte gewusst, dass so etwas mal käuflich zu erwerben war. Was für Produkte mit ihrem Gesicht wohl gemacht wurden? Diesen ganzen PR-Kram überließ sie komplett der Liga, weil sie dafür weder ein gutes Gespür noch die Lust aufbringen konnte, sich damit länger als wenige Minuten zu beschäftigen. „Dann waren sie so aufgeregt, weil sie dachten, ich sei auch ein Ball?“, vermutete Delion. Ein Hauch von Enttäuschung lag in seiner Stimme. Dagegen musste etwas unternommen werden. Sicher würden die Baby-Pokémon ihn schnell viel mehr lieben als diesen Ball. Davon war Raelene überzeugt. „Was meinst du, wie aufgeregt sie erst sein werden, wenn das Original mit ihnen spielt?“, wandte sie motiviert ein. Gloria stimmte dem zu. „Tobt euch ruhig aus. Ich lasse euch den Picknickkorb hier stehen. Bedient euch, wenn ihr hungrig seid.“ Als Raelene fragte, ob sie denn nicht bei ihnen bliebe, lächelte Gloria entschuldigend und erklärte, dass sie einer Kollegin im Hort bei etwas helfen musste. Kurz darauf war sie auch schon wieder verschwunden. Somit bekäme sie noch mehr Zeit alleine mit Delion … und einem kleinen Haufen Baby-Pokémon. Nach ihrem Gespräch vorhin fühlte es sich wenigstens schon wesentlich natürlicher an. „Tja“, meinte Delion, während er Raelene ansah, „dann sollten wir eine Weile mit den Kleinen spielen, was?“ Ihr Stichwort! Das klang immerhin nach jeder Menge Spaß. Und Spaß war schließlich ihr Motto, sowohl als Champ als auch im Leben an sich. Raelene nickte beflügelt und klatschte in die Hände. „Okay, ihr Lieben! Die zwei großartigsten Champs aller Zeiten zeigen euch jetzt mal, wie toll sie auch spielen können~.“ Kapitel 3: Willst du also nicht wissen, wie ich schmecke? --------------------------------------------------------- Es folgte eine ausgiebige, intensive Spielphase. Unter anderem stand Fangen auf dem Plan, Delion und Raelene stellten sich als Kletterbaum zur Verfügung und sie versuchten alle gemeinsam mit Pii eine Tanzchoreografie auf die Beine zu stellen – beide stellten dabei fest, für so etwas keinerlei Talent zu besitzen. Nicht mal eine Stunde später hatten die Kleinen sich ordentlich ausgetobt und waren schlagartig müde geworden. Einige von den Baby-Pokémon kuschelten sich nun an Knuddeluff, die ihnen ein leises Schlaflied sang. Azurill klammerte sich mit ihrem Schweif immer noch an Raelenes Haaren fest und hing kopfüber, hatte jedoch, genau wie die anderen, die Augen geschlossen. Eines der Pichus war offenbar total vernarrt in Delion und schlief deshalb einfach auf dessen Kopf, wie in einem gemütlichen Nest. Er störte sich nicht daran, da es ohnehin noch ziemlich leicht sein dürfte. Raelene und Delion nutzten die Gelegenheit und hatten derweil den Picknickkorb ausgepackt. Darin war eine große, flauschige Decke gewesen, auf der sie nun saßen. Über ihnen zogen inzwischen einige wenige Wolken vorbei, die an eine Herde Wollys erinnerten. Ein wahrlich malerischer Tag im Spätsommer. „Obwohl Babys so viel Energie haben, werden sie echt schnell müde“, bemerkte Raelene, den Blick auf die schlafenden Pokémon gerichtet. Delion achtete darauf, sich nicht zu heftig zu bewegen, damit das Pichu auf seinem Kopf am Ende nicht doch noch herunterfiel. „Dafür erholen sie sich aber auch ziemlich schnell wieder“, meinte er. „Sie können ihre Kraft eben noch nicht einschätzen und verpulvern ihre Energie deswegen zu unbedacht.“ Irgendwann könnten sie es sicher, dann wären sie wahrscheinlich sogar ernstzunehmende Gegner. Sein Lächeln ließ vermuten, dass er sich genau darauf schon freute. Raelene nickte verstehend. „Es ist das erste Mal, dass ich wirklich Zeit mit Baby-Pokémon verbracht habe. Kaum zu glauben, wie stark sie werden können, wenn sie erst mal älter sind.“ Besonders das war aber auch in gewisser Weise die Faszination dahinter. Sie griff nach einem der Sandwiches, welche Gloria ihnen zubereitet und mit allerhand anderen leckeren Sachen in den Korb gelegt hatte. Hungrig nahm Raelene einen großen Bissen und kaute anschließend zufrieden. Getränke standen auch bereit, unter anderem Wasser, verschiedene Teesorten und Saft. Nach einem weiteren, flüchtigen Blick in den Korb entdeckte Raelene zudem Salat und Pudding. Ihre Freundin war sogar so umsichtig gewesen, eine Schale mit Beeren für die Pokémon bereitzustellen. Gloria hatte sich wirklich viel Mühe mit diesem Picknick gegeben. Schade, dass sie jetzt nicht mal dabei sein konnte. Inzwischen war die Stimmung zwischen Delion und Raelene dafür derart gelöst, dass sie ohne Nervosität mit ihm sprechen konnte, wofür sie äußerst dankbar war. Darum plapperte sie auch einfach lebhaft weiter, während sie aß. „Obwohl ... als ich damals Hopplo von dir bekommen habe, war er ja im Prinzip auch noch ein Baby. Aber er wirkte schon so erfahren.“ Bevor Delion ihr antwortete, nickte er sich selbst zu, als wäre ihm die Erinnerung daran soeben nochmal durch den Kopf gegangen. Wie Raelene hatte er sich zuerst ein Sandwich geschnappt und aß ebenfalls nebenher. Ihm schien es genauso zu schmecken wie Raelene. „Hopplos sind sehr abenteuerlustig und werfen sich mit Vorliebe in jede Gefahr, deswegen wirken sie so.“ „Ah, kein Wunder, dass wir dann so gut zusammengepasst haben.“ Ein sehnsüchtiger Seufzer entglitt ihr, als sie an damals zurückdachte. „Wenn du wüsstest, wie oft wir während der Arena-Challenge fast in eine Schlucht gefallen wären. Die Gegend um Passbeck herum ist echt nicht ganz ohne.“ Aufmerksam hörte Delion ihr zu und lachte, als sie ihm davon erzählte. Vermutlich, weil sie dabei so sorglos klang. Sein Blick im Anschluss wirkte aber dann recht besorgt. Schließlich hätte ihr damals einiges zustoßen können, doch das war Vergangenheit. Glücklicherweise saß sie nun hier mit ihm, gesund und munter. Da er ihr gerne zuzuhören schien, erzählte sie direkt weiter: „Das erste Mal im Wirrschein-Wald hatte ich mich sogar auch mal heftig verlaufen und gedacht, meine Pokémon und ich kommen da nicht mehr heil raus, obwohl ich ja mein Handy dabei hatte.“ Nur dank eines wilden Brimano war sie aus dem Wald wieder herausgekommen – und dieses Pokémon hatte Raelene später im Champ-Cup als Silembrim obendrein noch in den Kämpfen beigestanden. Diese Arena-Challenge war wirklich spannend und manchmal nervenaufreibend gewesen. Ganz Galar zu bereisen sorgte wahrlich für allerlei Abenteuer. Dadurch hatte sie diese Region, ihre Heimat, richtig lieben gelernt, vor allem ihre Pokémon. Erneut entfuhr ihr ein Seufzer, diesmal war es jedoch aus Betrübtheit heraus. „Und obwohl wir zusammen reisen wollten, war dann irgendwie jeder ganz woanders.“ „Ja, das hat Hop mir erzählt. Traurig, dass es so schnell gegangen war.“ Erwartungsvoll blieb sein Blick weiterhin fest auf sie gerichtet. „Aber du hast trotzdem viel von den anderen gelernt, oder?“ „Auf jeden Fall“, bestätigte Raelene lächelnd. „Ohne die anderen hätte ich sicher nicht so gute Fortschritte gemacht.“ Genüsslich nahm sie einen weiteren Bissen von ihrem Sandwich. Raelene aß für gewöhnlich immer etwas zu schnell, wenn sie aufgeregt war oder einfach nicht viel Zeit hatte. In diesem Moment lag es daran, dass sie sich so sehr freute, ungezwungen mit Delion reden zu können. Dann fiel ihr etwas ein, worüber sie noch mit ihm sprechen konnte, weil er bei diesem Thema vielleicht ähnlich fühlte wie sie. „Weißt du, damals, in der Arena-Challenge, hatte ich einen spannenden Kampf nach dem anderen. Ich will nicht undankbar klingen oder eingebildet, aber jetzt, als Champ, hat man jedes Jahr nur ein einziges Mal einen richtig großen Kampf. Das finde ich irgendwie schade.“ Tatsächlich konnte er das auf Anhieb nachfühlen. „Ja, das rührt noch aus den Zeiten, als ich als Champ ziemlich beschäftigt war.“ Stimmt, damals war Delion oft unterwegs gewesen, um Probleme mit Pokémon in Galar zu lösen. Oder andere Dinge zu regeln, bei denen man seine Fähigkeiten benötigt hatte. Nicht zuletzt, weil hin und wieder eines von Roses Experimenten schiefgelaufen war. Wo der sich inzwischen wohl herumtrieb? Eigentlich wollte Raelene es nicht unbedingt wissen. „Da wollte man verhindern, dass ich mal nicht zur Rettung präsent sein kann, nur weil meine Pokémon erschöpft wären“, führte er weiter aus. Gegenwärtig gab es kaum noch Schwierigkeiten, zu denen Raelene hinzugezogen wurde, um sie zu lösen. Deswegen wäre es im Grunde nicht mehr nötig, den Champ von Galar warmzuhalten, statt mehr Schaukämpfe oder ähnliche Veranstaltungen anzubieten. Zu ihrer Freude sah Delion das offenbar genauso. „Ich kann in der Liga mal anmerken, dass wir öfter Veranstaltungen mit Kämpfen haben, wenn du magst.“ „Das wäre super!“, platzte es begeistert aus Raelene heraus. Kaum hatte sie das herumgeschrien, hielt sie sich erschrocken eine Hand vor den Mund und warf einen Blick zu den Baby-Pokémon, aber sie schliefen zum Glück noch alle friedlich. Trotzdem sprach Raelene lieber etwas leiser weiter: „Ich bin natürlich froh, dass es kaum Notfälle gibt, bei denen man mich braucht, aber ich fühle mich gerade darum oft zu unrecht so gut bezahlt, wenn ich ehrlich bin ...“ Es gab Zeiten, wo sie viele Tage am Stück frei hatte. Sicher, sie trainierte dann mit ihren Pokémon, um sich weiterhin jedem Challenger stellen zu können, doch etwas mehr Abwechslung wäre wirklich nett. Delion neigte schmunzelnd den Kopf. „Wir können unseren Champ ja nicht unzufrieden sein lassen, oder? Ich bin sicher, der Liga und mir wird etwas einfallen, das dir gefällt.“ „Das wäre schön. Danke dir~.“ Vielleicht fiel ihnen etwas ein, bei dem auch Delion wieder so richtig Spaß haben könnte. Der Kampfturm war natürlich schon eine großartige Idee gewesen, aber sicher noch nicht ganz das Richtige. Immerhin musste er momentan stets abwarten, ob es überhaupt ein Herausforderer bis zu ihm schaffte. Die spannenden Kämpfen fehlten ihm mit Sicherheit schrecklich, zumindest ihr würde es an seiner Stelle so gehen. Jedenfalls tat es unheimlich gut, sich derart locker mit Delion unterhalten zu können. Sie hätten schon viel früher offener zueinander sein sollen. Mit ihren Gefühlen für ihn blieb sie dennoch erst mal weiter vorsichtig. Da sie sich gerade jetzt ausgesprochen hatten, wäre es schade, es durch die falschen Worten zum ungeeigneten Zeitpunkt schon wieder zu zerstören. Das Azurill fiel plötzlich aus ihren Haaren, wahrscheinlich weil es den Halt verloren hatte. Dadurch wachte es sofort auf und fing an zu schluchzen, was an dem Schreck liegen musste. „Oh je, komm her. Lass mal sehen“, sagte Raelene mitfühlend. Behutsam hob sie die Kleine auf ihren Schoß und griff nach einer Beere aus der Schüssel. Diese gab sie Azurill und kontrollierte nebenbei, ob es sich irgendwo verletzt hatte, aber es war nicht mal eine Beule zu sehen. Und die Beere hatte es auch direkt wieder beruhigt. „Na also, halb so schlimm. Jetzt schaust du dir Delion an, dann geht es dir gleich noch besser~.“ Verwirrt hob das Azurill kauend den Blick und sah Delion an. Wie erwartet fing es an zu strahlen und strampelte mit den Füßchen. Wer bekäme keine gute Laune, bei seinem Anblick? Delion selbst hatte Raelene dabei beobachtet, wie sie mit dem Azurill umging. Etwas an seinem Blick wirkte seltsam verträumt, beinahe sehnsüchtig. Womöglich schmolz schlicht sein Herz, wenn er sah, wie Azurill sich bei seinem Anblick freute. Welchen anderen Grund sollte es sonst geben? Für Raelene war das nachvollziehbar. Lachend winkte Delion Azurill zu. „Na? Scheint ja alles wieder super bei dir zu sein.“ Azurill lachte fröhlich, als wollte es zustimmen. „Bei dem Pichu auf deinem Kopf scheinbar auch. Es knabbert an deinen Haaren“, schmunzelte Raelene. Offenbar träumte es davon zu essen, was unendlich niedlich war. Zu gerne hätte sie ein Foto davon gemacht, aber das wäre zu respektlos Delion gegenüber, glaubte sie. „Anscheinend schmeckst du auch noch gut~.“ Abermals lachte Delion herzlich, statt sich um seine Haare Sorgen zu machen. Im Zweifelsfall wuchs es ohnehin wieder nach, also störte er sich nicht mal daran. Pichu konnte sich wirklich glücklich schätzen. Es war schön, ihn nach Ewigkeiten wieder so fröhlich zu erleben. „Ja, darauf wette ich“, sagte Delion, ohne dabei eingebildet zu klingen. „Obwohl ich mich noch nie probiert habe. Du schmeckst aber bestimmt auch gut.“ Raelene hielt kurz die Luft an. Moment, was? Hatte er das wirklich gerade gesagt? Natürlich freute sie sich, dass er ihr das Kompliment zurückgab, ohne zu wissen, wie der jeweils andere eigentlich schmeckte. Irgendwie kam ihr das nur etwas … intim vor. Interpretierte sie da zu viel hinein? Mit geweiteten Augen winkte Delion rasch ab. „Nein, nein, das ... vergiss das einfach.“ Also doch, sie interpretierte es falsch. Er hatte es sogar zurückgenommen. Fand er also, sie würde sicher doch nicht gut schmecken? Wie groß war die Chance, dass er gerade nur ... verlegen war? „Sch-schon gut“, erwiderte Raelene zögerlich. „Ich hab ja damit angefangen.“ Wäre jetzt eine gute Gelegenheit, möglichst dezent zu erfahren, wie Delion sie betrachtete? Zwar war es ihr schon klar, was für eine Position sie in seinem Leben einnahm, doch es könnte nicht schaden, es direkt von ihm zu hören. Eine gute Freundin, die gleichzeitig der Champ war. So in etwa. Raelene sammelte all ihren Mut zusammen, holte tief Luft und setzte dann ein lockeres Lächeln auf. „Willst du also nicht wissen, wie ich schmecke?“ ... Okay, die Frage war in ihrer Vorstellung irgendwie weniger unangenehm gewesen. Am liebsten hätte sie ihren Mut geohrfeigt. Hätte sie besser einfach die Klappe gehalten. Wie sollte er denn darauf antworten, ohne dass es zu beschämend für sie beide wurde? Überrascht und ein wenig fassungslos, senkte Delion die Hände wieder. „W-was?“ Sein Kopf versuchte sichtlich, diese Frage zu verarbeiten. Bestimmt war er unsicher, was genau Raelene damit in Erfahrung zu bringen gedachte. Hoffentlich käme er zu dem Schluss, dass es einfach nur ein schlechter Scherz sein sollte. Nur so könnten sie aus dieser peinlichen Sackgasse noch entkommen. „W-wie meinst du das?“, stammelte er vor sich her. „Weil, also, eigentlich, na ja, ich hätte nichts dagegen, wenn ...“ Keiner von ihnen strahlte gerade die Würde eines Champs aus, ganz im Gegenteil. Wenn sogar Delion nur noch stammeln konnte, war die Lage ernst. Zu allem Überfluss spürte Raelene, dass ihr Gesicht schon wieder knallrot geworden war. E-er hätte nichts dagegen? Gegen was? Etwa das, was ich denke? Aber was denkt er wirklich? Warum waren Gefühle nur so furchtbar kompliziert und anstrengend? Pokémon-Kämpfe waren wesentlich einfacher und machten Spaß. Mit solchen Situationen konnte sie aber nicht umgehen. In ihrem Leben hatte es bislang nur Pokémon gegeben … bis ihre Liebe für Delion erwacht war. Unbeholfen hob Raelene das Azurill vor ihr Gesicht, das absolut nichts verstand und nur unschuldig blinzelte. „S-sorry, das sollte nicht so ... so ... ich weiß auch nicht. Irgendwie ist es über mich gekommen. Weil ich, ich ... kann nicht ganz so klar denken, wenn du da bist.“ Deshalb würde sie in einen Rematch gegen Delion diesmal wohl sehr wahrscheinlich verlieren, käme es jemals dazu. Trotz Azurill als Schutzschild spürte sie seinen Blick auf ihr. Erst als es sich so anfühlte, als hätte er ihn abgewendet, spähte sie kurz hinter dem Pokémon hervor. Seine Hand griff hilfesuchend knapp über seiner Stirn ins Nichts, was dazu führte, dass er daraufhin unruhig die Arme verschränkte. Erst in diesem Augenblick fiel ihr auf, dass er seine Kappe gar nicht dabei hatte. Hatte er sich hinter ihr verstecken wollen? „Dir geht es also auch so, was?“, murmelte er, irgendwie aufgeregt. Ihre Gedanken wollten sich wieder selbstständig machen und Raelene einreden, dass er etwas ganz anderes meinte und sie das nur vollkommen falsch verstand. Aber selbst wenn es so sein sollte, war es ein unglaublicher Fortschritt. Vor diesem Tag hatte sie noch angenommen, Delion könnte sie nicht leiden. Nun wirkte er nervös und gab ihr zu verstehen, in ihrer Gegenwart auch nicht klar denken zu können. Würde nicht mehr dahinter stecken, hätte er einfach von Anfang an lachen und sie als Witzbold hinstellen können, oder? „Uhm, vielleicht ... sollten wir uns mal verabreden, um richtig darüber zu reden?“, schlug Raelene vor. Natürlich wäre es erlösend gewesen, sofort zu erfahren, was Sache war. Etwas in ihr fürchtete sich aber noch davor, nur komplett daneben zu liegen. Zwischen all den Baby-Pokémon, auf einer Picknickdecke, war außerdem irgendwie nicht der beste Ort, um so etwas zu besprechen, wie sie fand. Zunächst wirkte Delion nicht allzu zufrieden mit diesem Vorschlag. Hätte er am liebsten auch auf der Stelle darüber geredet? Letztendlich gab er nach und nickte. „Ja, eine Verabredung, das wäre sicher das beste.“ Als Raelene gerade fragen wollte, wann es ihm denn recht sei, wachte das Pichu auf seinem Kopf wieder auf und gähnte herzlich. Es roch anscheinend sofort die Beeren in der Nähe, weil die Schüssel inzwischen auf der Decke stand und der Geruch nicht mehr durch den Korb gedämpft wurde. Energiegeladen sprang es von Delions Kopf und eilte auf die Beeren zu, um zu essen. Das machte Azurill wohl nervös, da es auch noch was von den Beeren abhaben wollte. Also setzte Raelene es wieder ab. Nach und nach wachte ein Baby nach dem anderen von dem Geschmatze auf und gesellte sich zu den anderen an die Schüssel, wo sie sich gierig an den Beeren labten. Vermutlich bezogen die Kleinen daraus ihre Energie, indem sie viel aßen – und das schnell. „Essen macht anscheinend wieder munter“, kommentierte Raelene schmunzelnd. „Ich könnte jetzt auch noch was vertragen.“ Beherzt griff sie gezielt zu dem Pudding, statt vorher noch Salat zu essen. Gerade war ihr mal nach etwas Süßem, nachdem ihr Gespräch in so eine unerwartete Richtung verlaufen war. Eigentlich sollten sie das Thema durch diese kleine Unterbrechung von den Baby-Pokémon nicht einfach fallenlassen, doch Raelene wollte Delion nicht zu sehr bedrängen. Nicht noch mehr, als sie schon getan hatte. Delion kümmerte sich nicht um das Essen, sondern legte eine Hand in seinen Nacken. „Wann würde es dir denn passen?“ Raelene ließ den Löffel sinken und sah ihn mit großen Augen an. Wenn er es nun sogar von sich aus nochmal ansprach, musste es ihm wirklich wichtig sein, genau wie ihr. Sehnsucht wuchs in ihrem Herzen, obwohl er genau neben ihr saß. Wahrscheinlich könnte keiner von ihnen diese Nacht schlafen, wenn sie das nicht zeitnah klärten … „Am liebsten ... so schnell wie möglich“, sagte Raelene ehrlich. „Ich hab heute noch Zeit oder morgen. Oder übermorgen. Wann immer es dir passt.“ Sie wusste nicht, ob und wann er Termine hätte. Momentan stand zwar kein Cup an oder so, aber es gab als Liga-Präsident sicher noch zahlreiche andere Dinge zu regeln. „Dann lass es uns heute noch tun“, bat er, ohne zu zögern. „Ich habe keine Termine mehr, und ich würde das auch gern so früh wie möglich besprechen.“ Noch an diesem Tag! Ein großer Teil ihrer Zweifel wurde spontan fortgespült, zumindest vorerst. Raelene nickte hastig und konnte nicht verbergen, dass sie sich freute. Lächelnd rührte sie mit dem Löffel in ihrem Pudding herum. Hoffentlich verstand sie all diese Zeichen nicht total falsch und das klärende Gespräch würde am Ende nicht doch ganz furchtbar werden. „Puh, jetzt bin ich nervös“, gab Raelene zu. „Also, noch mehr als vorher.“ Es kam dem Gefühl nahe, das sie verspürt hatte, kurz bevor sie im Finale damals gegen Delion angetreten war. Delions Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln, allerdings wandte er auch den Blick wieder ab. „Ich bin auch etwas nervös.“ „Das beruhigt mich irgendwie. Ich-, hey!“ Azurill schleckte mit der Zunge ungeniert den Pudding aus ihrer Dessertschüssel auf und ließ sich auch von ihrem erschrockenen Ausruf nicht davon stören. Zum Vorteil der Kleinen brachte Raelene es nicht über das Herz, Azurill davon abzuhalten. „Okay, okay. Schon kapiert, ich sollte auf meine Linie achten“, lachte Raelene warmherzig. „Iss nicht zu viel davon, sonst bekommst du Bauchschmerzen.“ Die anderen Pokémon liefen derweil auf Delion zu und fingen an ihn wieder zu belagern. Der Ball mit seinem Gesicht lag immer noch im Auslauf, aber, wie erwartet, fanden auch sie das Original inzwischen viel besser und interessanter. Delion betrachtete die Baby-Pokémon lächelnd. „Na, wollt ihr noch eine Runde spielen, wenn ihr jetzt schon wieder wach seid?“ Kontaktfreudig hielt er ihnen seine Hände entgegen, damit sie sich eingeladen fühlten – und sich an ihm festhalten könnten, wenn sie wollten. Offensichtlich war er ziemlich gut gelaunt, genau wie Raelene. Jegliche Unsicherheit, die vor wenigen Minuten noch vorgeherrscht hatte, war wieder verschwunden. Begeistert nahmen die Baby-Pokémon seine Geste an und kletterten auf Delion herum. Ob dieser Hort Kameras besaß? Sie würde dieses Bild von ihm liebend gerne für immer bewahren. „Okay!“ Raelene stellte die Dessertschüssel ab und stand entschlossen auf. „Wir haben uns kennengelernt, uns ausgeruht und gegessen. Habt ihr nun Lust auf ein Übungskämpfchen? Ihr seid doch bestimmt schon suuuperstark, nicht wahr~?“ Azurill stimmte lauthals zu und zeigte sofort, wie schnell und hoch sie auf dem Ball am Ende ihres Schweifs springen konnte. Auch die Pichus nickten und rieben mit den Händen über ihre Wangen, um einige elektrische Funken zum Vorschein zu bringen. „Klasse! Teilen wir uns in zwei Teams und dann ...“ Schwungvoll deutete sie auf Delion. „Ich fordere dich heraus~.“ Zuerst war er ein wenig über ihren plötzlichen Sinneswandel irritiert, aber dann grinste er zufrieden. Er stand ebenfalls auf, ungeachtet der Pokémon, die noch auf ihm herumkletterten. „Okay, ich nehme diese Herausforderung an!“ Das war wirklich eine schöne Abwechslung – außerdem hatten sie lange nicht gegeneinander gekämpft. Selbst wenn sie dafür nur Baby-Pokémon benutzen würden. „Ich habe auch nichts anderes erwartet~“, freute Raelene sich. „Gut, wer kommt in mein Team?“ Lautstark meldete sich Azurill sofort zu Wort und hüpfte um sie herum. Somit war schon mal ein motiviertes Baby am Start. Alle anderen ... klammerten sich weiterhin an Delion und die Pichus zeigten sich ebenfalls kampfbereit für ihn. Knuddeluff beobachtete das alles interessiert und blieb gemütlich sitzen. Also stand es 1 gegen 6? „Oh.“ Raelene kratzte sich lächelnd am Hinterkopf. „Ich verstehe schon, Delion ist einfach zu toll. Dann Eins gegen Eins. Du hast die Qual der Wahl~.“ Seine Augen leuchteten vor Freude auf, entweder wegen den Pokémon oder ihrer Bemerkung, wie toll er war. Woran es auch lag, es war jedes Mal auf's Neue ein schönes Gefühl, ihn so zu sehen. Er konzentrierte sich zunächst eine Weile auf die Pichus und wählte schließlich jenes, das zuvor an seinem Haar geknabbert hatte, wie er anmerkte. Für Raelene war es nicht überraschend, dass er es problemlos wiedererkannte. Vorsichtig griff Delion nach diesem Pichu, um es direkt anzusehen. „Na, Kumpel, willst du für mich in den Kampf treten?“ „Pi, pi, pichu!“ Motiviert ballte es die winzigen Pfoten zu Fäusten und schlug blind in die Luft, um zu zeigen, dass es bereit war – und es strahlte vor Stolz, weil Delion ihn gewählt hatte. Raelene kniete sich hin und brachte Azurill dazu anzuhalten, damit sie ihren Kopf tätscheln konnte. „Denk dran, wir üben nur, also hab ganz viel Spaß! Bist du bereit?“ „Rill!“, rief Azurill, ebenso motiviert wie Pichu. Als wüsste es instinktiv, wie so etwas ablief, stellte es sich kampfbereit vor Raelene in Position und hüpfte dabei auf der Stelle. Delion setzte das Pichu wieder auf dem Boden ab. „Streng dich an und hab auch du Spaß~.“ Voller Elan stellte Pichu sich in Position, so wie Azurill. Elektrische Funken zuckten über seine Wangen. Beide Pokémon waren so niedlich. Raelene müsste sich zurückhalten, damit sie es nicht übertrieb. Knuddeluff war derweil aufgestanden und stellte sich mit etwas Abstand in die Mitte, zwischen Raelene und Delion. Sie hob beide Arme in die Luft – anscheinend wollte sie die Schiedsrichterin sein. Streng setzte sie mit einem „Knuddeeel~“ an und stieß ein lautes „Uff!!!“ aus, als sie den Startschuss für den Kampf gab. „Azurill, Tackle!“, rief Raelene sofort. Auf ihrem Ball hüpfte Azurill sogleich verspielt auf Pichu zu. Kapitel 4: Meine Pokémon werden Azurill lieben ---------------------------------------------- Zuerst hätte man befürchten können, Knuddeluff wolle dazwischengehen und den Kampf verhindern. Umso schöner war es, dass sie dieses Spiel unterstützte. Eine Schiedsrichterin anwesend zu haben, machte das Ganze sogar perfekt. Außerdem könnten die Baby-Pokémon dabei sicher schon einiges lernen. Also stand diesem Kräftemessen nichts im Weg. Durch das Auslaufgitter war der Platz zwar etwas eingeschränkt, doch das sollte auch kein Problem darstellen. Wirklich gewaltige Attacken dürften die Pokémon sowieso noch nicht beherrschen. Der Wind hatte ein wenig zugenommen, wie ein unsichtbarer Beobachter, der dem Ganzen gespannt beiwohnen wollte. Nach wie vor tauchte die Sonne, trotz einiger Wolken, die Umgebung in wärmendes Licht, was die Baby-Pokémon nur mit mehr Energie erfüllte. Das galt auch für Azurill, weil sie noch kein Wasser-Typ war, sondern Normal und Fee in sich vereinte. Mit Elan führte die Kleine hüpfend den Tackle aus, doch natürlich reagierte Delion darauf, ohne zu zögern. „Pichu, Donnerschock!“, rief er seinem Mitstreiter zu. Noch waren Pichus elektrische Kräfte nicht sonderlich stark, also sollte es nicht zu viele Schwierigkeiten geben, wenn es Azurill traf. Sofort setzte Pichu den Befehl in die Tat um und kniff angestrengt die Augen zusammen, um Azurill einen Donnerschock entgegen zu schleudern. Da sie nicht auswich, wurde sie frontal davon getroffen und fiel auf den Rücken. Alle anderen Baby-Pokémon, die sich etwas abseits neben Knuddeluff versammelt hatten und den Kampf gespannt beobachteten, gaben erschrockene Laute von sich. Aber Azurill schüttelte sich nur kräftig und sprang danach wieder auf. Ihr vergnügtes Lachen verdeutlichte, wie lustig sie das fand. Das brachte die Zuschauer dazu, begeistert zu jubeln und sie feuerten ihre beiden Freunde fleißig an. „Gut so!“, lobte Raelene Azurill. „Dann kitzel Pichu mal zurück und benutz Blubber!“ Verwirrt hielt Azurill inne und warf einen Blick über die Schulter. Beherrschte sie diese Attacke etwa nicht? Das konnte Raelene sich kaum vorstellen. Als Hilfestellung für Azurill pumpte sie Luft in ihre Wangen und tat so, als würde sie selbst Seifenblasen ausspucken. Offensichtlich half der Kleinen das tatsächlich, denn sie strahlte und nickte eifrig. Auf ihrem Ball hüpfte sie hoch und setzte dabei Blubber gegen Pichu ein. Mehrere Seifenblasen regneten auf die Elektromaus hinab. Für ein Pichu würden sie wohl kaum ernsthaft zur Gefahr werden können, dessen war Raelene sich bewusst. Nur hatte sie nicht damit gerechnet, dass Delion das sogar als Vorteil für sich nutzen wusste. „Pichu! Konzentrier deinen Donnerschock auf die Seifenblasen!“ Pichu folgte weiter motiviert Delions Worten und zielte mit dem Donnerschock auf den Blubber, der ihm entgegen kam. Dadurch, dass es so viele waren, traf er schließlich die vierte Blase hinter den ersten drei, und erzeugte eine elektrische Energiekette, die bis zu Azurill reichte. Erneut wurde sie getroffen und stürzte zu Boden. Noch konnte sie damit nicht ausgeknockt werden, doch dafür kitzelte es wieder ordentlich und sie schüttelte sich. Diesmal wirkte sie aber durchaus erschrocken statt amüsiert. Er gibt sich keine Blöße, nicht mal bei einem Kampf mit Baby-Pokémon. Wie erwartet~. Also musste sie auch ein wenig kreativ werden. Raelene breitete die Arme aus und drehte sich einmal um sich selbst, um Azurill ihre folgenden Worte besser verständlich zu machen: „Dreh dich ganz schnell auf deinen Füßen und tanze so auf Pichu zu! Wie bei unserem Tanz mit Pii.“ Azurill hinterfragte das nicht, sondern schien sogar Gefallen an dem Vorschlag zu finden. Auf ihren Füßchen fing sie an sich zu drehen und das sogar ziemlich gut – sie hatte Pii sicher schon vorher oft genug bei ihren Tanzübungen beobachten können. Der Ball am Schweif von Azurill wurde dadurch auch herumgeschleudert und so zu einer schnellen Angriffswaffe. Pichu stieß nun selbst einen erschrockenen Ruf aus, als er getroffen wurde. Kurz lag er auf dem Boden, und gab ein leises „Chu, chu, chu~“ von sich. Erst sah es schon nach dem Ende für Delion und Pichu aus, dann sprang es aber geschwind auf und schnaubte trotzig. „Chu!“ Vom Kampfwillen her passten die beiden schon mal wirklich gut zusammen, Raelene war beeindruckt. „Heh, das ist mein Kleiner!“ Delion deutete auf Azurill. „Pichu, benutz Rutenschlag!“ Pichu schien zu überlegen – und bekam glücklicherweise einen Tipp von dem anderen Pichu, das als Zuschauer beiwohnte und die Attacke ohne jede Wirkung vorführte. „Pichu~!“ Damit fuhr er herum und wedelte mit seinem Schweif, in der Hoffnung, Azurill nachlässig werden zu lassen. Tatsächlich war ihr nach den vielen Drehungen ziemlich schwindelig, deshalb wollte Raelene ihr Zeit geben, sich erst mal zu fangen. Gerade, als die Kleine wieder bereit war, bekam sie den Rutenschlag von Pichu ab. Raelene musste dem irgendwie entgegenwirken, solange sie noch konnte. „Azurill, schnell, Heuler!“ Wie befohlen holte Azurill tief Luft, stieß aber nur ein herzhaftes Gähnen aus. Schuldbewusst kratzte Raelene sich an der Wange. „Oh ...“ Die Dreh-Aktion vorhin brachte wohl einige Nachteile mit sich. Delion versteckte das Lachen über Azurills Gähnen hinter einem künstlichen Husten, ohne sonderlich viel Erfolg. Anscheinend beschloss er wohl, sich lieber weiter zu konzentrieren und gab den nächsten Befehl. „Pichu, Wangenrubbler!“ Entschlossen nickte Pichu und rieb sich die Wangen, bis sie elektrisch geladen waren. Dann ... machte es nichts mehr. Diesmal war Raelene diejenige, die sich ein Lachen verkneifen musste. Lernten Pichus die Attacke erst später? „Nein, nicht deine Wangen“, sagte Delion schmunzelnd. „Reib sie an Azurill!“ „Pichu!“ Endlich verstand er, was Delion wollte und stürmte auf Azurill zu. Dort hielt er sich an ihr fest und rieb seine elektrisierte Wange an der von Azurill. Für einen Moment war Raelene immer noch so hin und weg davon, wie ultraniedlich dieses Pichu war, dass sie fast vergaß zu reagieren. Wenigstens schien Azurill eher Freude daran zu haben, so sehr wie sie lachte – sie knuddelte Pichu sogar, während es Wangenrubbler bei ihr benutzte. Eigentlich fast zu schade, diese Szene zu zerstören. „Azurill, schüttle Pichu mit Platscher ab!“ In Sachen Sprungkraft war sie bestimmt schon mehr als geübt, da dürfte dieser Angriff ihr ähnlich viel Spaß machen. Wie richtig Raelene damit lag, konnte sie schnell live beobachten. So wie ein Fisch an Land wild herumzuzappeln fand Azurill ganz besonders witzig. Nicht nur sie, auch die anderen Baby-Pokémon mussten schon beim Anblick darüber lachen. „Rill, rill, rill~!“ „Pi, pi, pi, pi!“ Pichu wurde bei der Zappelei sichtlich schwindelig, weshalb er Azurill schließlich losließ, um besiegt auf dem Boden liegen zu bleiben. Diesmal endgültig. Ein erstauntes Raunen war von den Zuschauern zu hören. Knuddeluff wedelte mit den Armen und verkündete mit einem knappen „Uff!“ offiziell, dass der Kampf vorbei war. Delion hob die Arme. „Das war es dann wohl. Gut gemacht, Raelene.“ „Chu~~~“, klagte Pichu leise. Obwohl ... bei genauerem Hinhören klang es eher ziemlich glücklich. Solange es Spaß hatte, nahm Pichu diese Niederlage also sicher nicht mit. Zumal es eher ein Freundschaftskampf gewesen war. Begeistert klatschte Knuddeluff für die beiden Kämpfer Beifall, die sich super geschlagen hatten. Daran nahmen die Baby-Pokémon sich ein Beispiel und jubelten nochmal wild drauflos. Als Azurill von den Drehungen so super schwindelig gewesen war, hatte Raelene schon angenommen, das wäre für sie das Ende gewesen. Noch während sie das dachte, fiel Azurill auf einmal erschöpft um und schlief auf der Stelle ein. Der Rutenschlag, gefolgt von dem Wangenrubbler, hatte ihr wohl doch zugesetzt. „Sieht so aus, als war das seeehr knapp“, meinte Raelene, die zu Azurill ging und es vorsichtig auf den Arm nahm. „Ich hatte Glück, dass sie so eine Sprungfeder ist. Das hat echt Spaß gemacht~.“ Ziemlich ungewohnt, nicht mit seinen eigenen Pokémon zu kämpfen, jedoch auch aufregend. Delion folgte ihrem Beispiel und hob Pichu vorsichtig hoch. Kaum hatte er das getan, schien auch sein Kämpfer direkt einzuschlafen. Schmunzelnd betrachtete er Pichu, das in seinen Armen lag. Es war seltsam niedlich, dass sich Baby-Pokémon so sehr in einem kurzen Kampf verausgaben konnten. Hoffentlich hatten sie Spaß gehabt. „Das war wirklich lustig“, erwiderte Delion. „Irgendwie erfrischend. Kurz, aber intensiv.“ Mit etwas mehr Unterstützung der Trainer und ganz anderen Schwerpunkten als normale Pokémon-Kämpfe. Solche Erfahrungen halfen auch Delion und Raelene, sich weiterzuentwickeln. So etwas in der Richtung sollten sie öfter machen. Die anderen Pokémon waren nach wie vor total begeistert und wollten sich gar nicht mehr beruhigen, egal wie gut Knuddeluff ihnen zuredete „Nicht zu fassen“, ertönte eine ihnen vertraute Stimme, wie aus dem Nichts. „Euch stehen süße, kuschelige Baby-Pokémon zur Verfügung und ihr veranstaltet ein Kämpfchen mit ihnen. Typisch~.“ Es war Gloria, die plötzlich außerhalb des Gitters stand und sie grinsend ansah. Bestimmt war sie irgendwann mitten im Kampf dazugekommen, ohne dass sie es bemerkt hatten. Zu Raelenes Erleichterung schien sie ihnen diese eigenmächtige Handlung nicht nachzutragen – mit fremden Pokémon zu kämpfen, ohne das vorher abzusprechen, hätte mächtig schiefgehen können. „Die Kleinen wirkten beide sehr glücklich.“ Zufrieden nickte Gloria ihnen zu. „Gut gemacht~. Aber das war von zwei Champs nicht anders zu erwarten. Deshalb hatte ich auch kein schlechtes Gewissen dabei, euch mit ihnen alleine zu lassen.“ So viel Vertrauen entgegen gebracht zu bekommen, fühlte sich gut an. Selbst wenn es als Champ eigentlich normal für Raelene war, dass die Bewohner von Galar sich auf sie verließen, empfand sie es stets als etwas Besonderes. Im eigenen Freundeskreis war es aber einfach etwas anderes. Auf eine andere Art erfüllend. Diesmal war Delion derjenige, der wieder grinste. „Tja, früh übt sich eben, wer mal ein Champ-Pokémon sein will. Hat der Kleine schon einen Besitzer?“ Bei diesen Worten nickte er zu dem Pichu in seinem Arm. Fragte Delion, weil er gerne den eigentlichen Trainer kennenlernen wollte? Sicher könnte er ihm ein paar nützliche Tipps geben – bei Gelegenheit musste Raelene ihn mal fragen, ob er den einen oder anderen Ratschlag für sie hätte. Eventuell sollte sie sich auch nach dem Trainer von Azurill erkundigen und sich gegebenenfalls bei ihm entschuldigen, falls er eigentlich nicht vorgehabt hatte, sie schon kämpfen zu lassen. Falls Pichu keinen Besitzer hatte … würde Delion es dann vielleicht sogar adoptieren? Gespannt sah Raelene zu Gloria, als hätte sie selbst diese Frage gestellt. „Noch nicht“, antwortete Gloria, und deutete zu dem anderen Pichu. „Wir haben die beiden für einen Auftrag gezüchtet, weil jemand eins für sein Team haben wollte. Es sind aber zwei Eier dabei herausgekommen. Da war das Pikachu also sehr fleißig.“ Delions zufriedenem Lächeln nach zu urteilen, waren das gute Nachrichten für ihn. „Kann ich den Kleinen dann adoptieren? Er hat mich sehr begeistert.“ Also doch! Zwar wusste Raelene nicht, wie solche Adoptionen normalerweise funktionierten, aber es sollte mehr als genug Nachweise darüber geben, dass Delion ein guter Trainer war und sich vor allem gut um seine Pokémon kümmerte. Zumal Gloria ihn auch persönlich kannte. Notfalls wäre Raelene auf der Stelle dazu bereit, für ihn zu bürgen, damit er Pichu adoptieren könnte. „Außerdem mag er anscheinend den Geschmack meiner Haare“, berichtete Delion, „das sollten wir ihm nicht vorenthalten.“ Offenbar waren Raelenes Sorgen wieder unnötig, denn Gloria freute sich sehr, dass Delion so begeistert war und Pichu aufnehmen wollte. In gewisser Weise war das wohl auch ein Lob für den Hort und ihre Arbeit, der sie mit Leidenschaft nachging. Dieses Pichu passte einfach zu ihm, das sah Gloria scheinbar genauso. „Es spricht nichts dagegen“, versicherte Gloria. „Vor allem nicht, falls es sowieso gerne bei dir bleiben will, wenn es wieder wach ist.“ „Das will es ganz bestimmt!“, betonte Raelene – mit einer Überzeugung, die nichts und niemand erschüttern könnte. Ein Pichu hatten sie ja noch für den Trainer, der eines haben wollte. Es wäre also nicht so, dass jemand leer ausging oder gar Verlust machte. Außerdem wäre es eine Schande, sich in den Weg zu stellen, wenn ein Pokémon sogar das Haar einer Person mochte. Dankbar nickte Delion Gloria zu. „Kein Problem, dann warten wir, bis es wieder wach wird.“ Eine Weile wären er und Raelene ohnehin noch im Hort. Jedenfalls hatten sie nicht darüber nachgedacht, bald zu gehen, auch wenn sie nach diesem Besuch noch etwas anderes besprechen wollten. Genug Zeit war noch vorhanden. „Bist du fertig mit deiner Arbeit?“, fragte er Gloria. „Dann hast du ja vielleicht noch ein wenig Zeit für uns.“ Guter Punkt. Schließlich waren sie ja unter anderem wegen Gloria hier, nicht nur wegen den Baby-Pokémon. Abgesehen von Telefonaten und Textnachrichten hatte Raelene schon lange nicht mehr in Ruhe persönlich mit Gloria reden können. Dabei waren sie alle als Kinder mal unzertrennlich gewesen – je älter man wurde, desto einsamer schien die Reise zu werden. „Ja, ich hab jetzt Zeit. Entschuldigt, dass ich euch so lange alleine gelassen habe.“ Gloria betrat endlich auch wieder den Auslauf und nahm auf der Picknickdecke Platz, wo sie schon von Kussilla erwartet wurde. Das Baby-Pokémon warf sich in ihre Arme und quietschte glücklich. Raelene setzte sich zu ihr und achtete darauf, Azurill nicht zu wecken. „Wie oft habt ihr denn eigentlich Babys hier?“, fragte sie neugierig. „Fast immer. Wenn wir nicht gerade welche im Auftrag züchten, bekommen Pokémon von den Leuten, die sie hier zur Pflege abgeben, auch manchmal Eier. Während der Arena-Challenge ist hier immer wahnsinnig viel los.“ Delion setzte sich ebenfalls wieder. „Klingt, als könntet ihr während der Arena-Challenge öfter Leute gebrauchen, die hier vorbeikommen, um euch Arbeit abzunehmen.“ Ob er dafür Liga-Mitarbeiter abstellen könnte? Von diesem bürokratischen Kram verstand Raelene überhaupt nichts, auch was fachliche Kenntnisse betraf. Etwas Werbung für den Hort konnte während der Arena-Challenge auch nicht schaden. So gäbe es vielleicht irgendeinen Weg, das Publikum miteinzubeziehen. Freiwillige, die ein wenig aushalfen, ließen sich bestimmt finden. „Das wäre wirklich nicht schlecht“, gestand Gloria, mit einem schweren Seufzen. „Viele Challenger kommen vorbei, um sich bestimmte Pokémon ausbrüten zu lassen oder vertrauen uns ihr Team an, um es für die nächsten Kämpfe vorzubereiten. Da haben wir immer alle Hände voll zu tun.“ Raelene runzelte die Stirn. Sie könnte sich nicht vorstellen, ihre Pokémon von anderen trainieren zu lassen. Das konnte auch nicht fördernd für die Bindung zwischen Trainer und Pokémon sein … Plötzlich tippte Gloria gegen ihre Wange. „Du hast mich gar nicht gefragt, ob Azurill noch frei ist. Ich bin mir sicher, du traust dich nicht. Ich kenn dich doch. Dabei mag es deine Haare doch auch sehr gerne, oder?“ Ertappt. Nachdem Delion schon wegen Pichu gefragt hatte, wollte Raelene nicht so wirken, als würde sie ihn wieder unbedingt nachmachen wollen. Ein dummer Gedanke, aber es änderte nichts daran, dass es sie unsicher machte. Delion sah zwischen Raelene und dem Azurill hin und her. „Ja, und ihr habt euch auch richtig gut verstanden während des Kampfes. Ist es denn noch frei?“ Dass er an ihrer Stelle einfach für sie fragte, entfachte einen Flammenwurf in ihrem Inneren. Hoffentlich war das verlegene Lächeln, das sie Delion zuwarf, nicht zu deutlich … oder aufdringlich. Beide, Delion und Gloria, waren gerade wirklich lieb. „Ist es~“, bestätigte Gloria zwinkernd. „Und ich denke, es wird auch dich gerne begleiten.“ „Wirklich?!“ Sofort strahlte ihr gesamtes Gesicht. „So ein Glück!“ Mit leuchtenden Augen betrachtete Raelene das schlafende Azurill in ihrem Arm. In ihrer Vorstellung sah sie schon jetzt, wie das Baby mit Liberlo durch das Camp hüpfte. Dann wurde Dedenne vielleicht nicht mehr ganz so oft als Ball-Ersatz benutzt. Auch Delion wirkte glücklich. „Da hat sich der Besuch ja enorm gelohnt.“ Wie wahr, in mehrfacher Hinsicht. Sie wussten nun, dass der Hort Hilfe gebrauchen könnte, sie hatten beide jeweils ein neues, vielversprechendes Pokémon bekommen und sie hatte erfahren können, dass Delion sie nicht hasste oder so, sondern in ihrer Gegenwart genau wie sie nur ... verwirrt war. Oder so ähnlich. Und später würden sie vielleicht noch mehr Dinge besprechen, um Klarheit zu bekommen. „Hätte ich das gewusst, wäre ich schon früher mal vorbeigekommen“, fügte Delion hinzu. „Ich auch“, pflichtete Raelene dem bei. Gespielt stolz hob Gloria das Kinn und verschränkte die Arme vor der Brust. „Das war eben eine großartige Idee von mir, euch alle einzuladen~.“ Freundschaftlich stieß Raelene sie mit dem Ellenbogen an und grinste. „Dafür hast du ganz schön lange für diese Idee gebraucht.“ „Großartige Dinge brauchen eben ihre Zeit, Rae~.“ Dabei warf Gloria ihr einen vielsagenden Blick zu, den Raelene mit geneigtem Kopf zur Kenntnis nahm. Anschließend aßen sie gemeinsam noch etwas, beobachteten die Pokémon und redeten über allerlei alltägliche Dinge. Schließlich wachten auch Azurill und Pichu wieder auf. Um sich zu stärken, aßen sie wieder etwas und waren bald darauf erneut putzmunter. So konnte Raelene Azurill endlich die Frage stellen, ob sie gerne bei ihr bleiben wollte, was sie auch ohne Umschweife tat. Zu ihrer Freude stimmte das Baby-Pokémon so begeistert zu, dass es kaum noch Luft bekam. Danach war nur noch ein sanfter Druck mit einem leeren Pokéball gegen Azurills Stirn nötig und es wurde Teil von Raelenes Team. Delion freute sich, dass es für Raelene so gut gelaufen war. Möglicherweise gab ihm das zusätzliche Motivation, selbst mit Pichu zu sprechen und es zu fragen, ob es bei ihm bleiben wollte. Pichu blinzelte verwirrt. „Chu?“ Er zog einen leeren Pokéball aus seiner Tasche und zeigte ihn Pichu. „Wir würden dann viele großartige Kämpfe ausfechten~.“ Das verstand Pichu offenbar, seine Augen glitzerten regelrecht. „Chu! Chu~~!“ Nach dieser Antwort drückte Delion den Pokéball sanft gegen Pichus Stirn. Kurz darauf verschwand es in Form eines rötlichen Strahls. Raelene lächelte Delion zu, ungewohnt oft an diesem Tag. Dann betrachtete sie ihren eigenen Pokéball in den Händen nochmal. „Ich sehe, ihr seid beide sehr glücklich“, urteilte Gloria. „Und die Babys auch. Kümmert euch gut um sie und macht sie zu tollen Champions~.“ „Na klar!“, versprach Raelene. „Meine Pokémon werden Azurill lieben.“ Langsam kam dann aber doch der Zeitpunkt, um aufzubrechen ... und mit Delion zu sprechen. Gloria bot an, sie beide noch zur Tür zu begleiten, sobald sie sich noch von den anderen Babys verabschiedet hatten. Es war ein bisschen schade, sich von ihnen zu trennen, doch immerhin gingen sie nicht alleine. Zum Abschied hob Delion eine Hand. „Also, Freunde, es war echt toll, euch mal zu sehen. Hoffentlich habt ihr noch viel Spaß hier und bei euren Besitzern.“ Blieb nur, zu hoffen, dass sie wirklich zu Leuten kamen, die sich gut um sie kümmern würden, statt sie nur für immer in ihren Pokébällen zu lassen, weil sie den Anforderungen nicht genügten. Am liebsten würde Raelene jeden einzelnen Besitzer dieser Pokémon persönlich unter die Lupe nehmen, nur um sicher zu sein. „Vielleicht sehen wir uns mal in einem Kampf wieder~.“ Die Baby-Pokémon sahen Delion mit traurigen Augen an, weil sie nicht wollten, dass er ging. Ein Gefühl, das Raelene gut verstehen konnte. Kussilla versuchte zum dritten Mal, sich ihm an den Hals zu werfen, doch Gloria hatte diesen Versuch schon kommen sehen und fing sie rechtzeitig ab. „Vielleicht nächstes Mal, meine Süße“, entschuldigte Gloria sich schmunzelnd bei Kussilla. „Wir kommen bestimmt wieder vorbei“, beruhigte Raelene sie. „Passt gut auf euch auf, ihr Lieben.“ Knuddeluff bemühte sich, die Babys zu trösten. Sicher würden sie sich spätestens beim Abendessen fangen. Nickend lächelte Delion den Pokémon zu. „Auf jeden Fall kommen wir wieder.“ Zu sehen, wie schwer der Abschied den Babys fiel, musste auch seine Stimmung ein wenig trüben. Jedenfalls wandte er sich schließlich abrupt ab und konzentrierte sich auf Gloria. „Okay, ich denke, wir sollten gehen, bevor sie noch trauriger werden.“ „Und wir auch“, fügte Raelene hinzu. Gloria verstand sie nur zu gut, also bat sie die beiden, ihr wieder zu folgen. Zusammen gingen sie zurück in den Hort, so dass die Stimmen der Baby-Pokémon bald nicht mehr zu hören waren. Wie hielt Gloria das nur aus, sich regelmäßig von ihren Schützlingen zu trennen, die sie eine Weile gepflegt hatte? Dafür musste man sicher harte Nerven haben … Am Empfang wurden sie noch kurz von Leya aufgehalten, weil sie schüchtern um Autogramme bat. Nach diesem schönen Tag konnten Delion und Raelene ihr diese Bitte kaum abschlagen, erst recht weil sie ebenso ihren Beitrag für den Hort leistete. Anschließend wechselten sie noch einige ungezwungene Worte miteinander – und im nächsten Augenblick standen sie schon draußen, vor dem Gebäude. Nur Delion und Raelene. Das war plötzlich ziemlich schnell gegangen. Schlagartig kehrte die Nervosität zurück, gleichzeitig fühlte sie sich wehmütig, weil sie die Baby-Pokémon bereits vermisste. Unglaublich, wie schnell einem die Kleinen ans Herz gewachsen waren. Unsicher schielte Raelene zu Delion hoch. Umringt von Pokémon war es etwas leichter gewesen, alleine mit ihm zu sein. Ein wenig verloren standen sie vor dem Eingang herum und fanden erst keinen richtigen Anfang. Irgendwann gab Raelene sich dann einen Ruck. „Und ... hast du einen Ort, wo du gerne hin willst?“ „Uhm ... nicht so richtig“, zögerte er. „Ich meine, du weißt, wie ich bin.“ Nun, er verlief sich gerne, so viel wusste sie. Besaß er deswegen etwa auch keinen richtigen Blick für seine Umgebung? Eigentlich hatte doch jeder mindestens einen Ort, den man besonders mochte. Womöglich kam er gerade nur nicht darauf, weil er auch nervös war. „Du bist darin wahrscheinlich besser als ich. Wo möchtest du gern hin?“ Angestrengt dachte Raelene nach. Es wäre ein Platz gut, wo sie nicht plötzlich von Fans unterbrochen werden könnten. Ihr Lieblingsort waren die Kronen-Schneelande, aber das wäre für diesen Tag vielleicht zu weit. Immerhin war inzwischen schon fast Abend. Allmählich begann der Himmel sich zu verfärben, weil die Sonne sich senkte. „Wie wäre es mit dem Schlummerwald?“, schlug sie vor. „Der See beim Altar von Zacian und Zamazenta ist wunderschön und friedlich.“ Und dort dürfte sie wirklich niemand stören. Damals drohte der Ort zwar zu einer Touristenattraktion zu werden, nachdem Raelene Champ geworden war, aber mit der Hilfe der Bewohner von Furlongham und einer Herde Wollys konnten sie das irgendwie unterbinden – und die deutliche Ansage der Liga diesbezüglich hatte letztendlich wohl auch geholfen. Ob Delion seit damals nochmal dort gewesen war? „Geht klar.“ Beide Hände in die Hüfte stemmend, warf er Raelene einen fragenden Blick zu. „Sollen wir auf Glurak hinfliegen?“ Mit großen, kindlichen Augen starrte sie Delion an. Schon öfter hatte Raelene davon geträumt, aber nie geglaubt, dass es wirklich mal passieren könnte. Zusammen mit Delion auf Glurak fliegen … das könnte sie gar nicht ablehnen. Außerdem müssten sie dann nicht erst auf ein Flugtaxi warten. Auf Glurak ließ er garantiert nicht einfach jeden steigen, daher fühlte Raelene sich sehr geehrt. „G-gerne!“ Begeistert hüpfte sie ein wenig auf und ab. „Wenn Glurak nichts dagegen hat.“ Zwar hatte Raelene ein kleines bisschen Höhenangst, aber diese Gelegenheit würde sie auf keinen Fall ungenutzt verstreichen lassen. Darüber schien Delion sich sogar zu freuen. „Ach, bestimmt nicht.“ Überaus locker holte er einen Pokéball hervor und warf ihn in die Luft, woraufhin Glurak direkt neben ihnen erschien. „Oder, Partner?“ Glurak streckte sich erst einmal ausgiebig und breitete seine Flügel aus. Erst dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf die beiden, wobei er speziell Raelene eingehend betrachtete. Noch bevor Delion etwas sagen konnte, nickte Glurak, wobei er sogar zu lächeln schien. Ein Glück, für eine Sekunde hatte Raelene befürchtet, er könnte sie nicht leiden – schließlich hatte sie Glurak genauso den Titel als Champ-Pokémon gestohlen. Schnaubend senkte Glurak seinen Rücken ab, so dass sie einfach aufsteigen konnten. Diesmal ließ Delion ihr nicht den Vortritt, sondern stieg zuerst auf, wahrscheinlich weil er mehr Übung und Erfahrung darin hatte. Lächelnd streckte er Raelene anschließend seine Hand entgegen, um ihr hochzuhelfen. „Na dann~.“ Es war wirklich ganz genau wie in ihren Träumen. Sie musste aufpassen, dass sie nicht komplett ihre Haltung verlor vor Begeisterung. Durch die Nase atmete sie einmal tief durch, damit es nicht so auffällig war. Bevor sie Delions Hand nahm, bedankte sie sich bei Glurak. Als sein Griff sich kurz lockerte, kaum dass sie sich berührten, hätte sie aus Reflex fast wieder losgelassen. Sie warf ihm einen flüchtigen Blick zu und bemerkte, dass ein Rotschimmer in seinem Gesicht lag. Sogleich schlug ihr Herz schneller. Wann hatten sie zuletzt die Hand des jeweils anderen gehalten? Musste eine Ewigkeit her zu sein … Ihr Blick schien Delion noch verlegener zu machen, deshalb festigte sich sein Griff und er zog sie rasch zu sich nach oben, wo er sie vor sich bugsierte. Der Moment war schnell vorbei, aber als Raelene dann so nahe bei ihm saß, flippte ihr Herz regelrecht aus. Wenigstens könnte sie nun selbst rot werden, ohne dass er es sah. Zur Ablenkung tätschelte sie vorsichtig Gluraks Hals, was sie auch immer schon mal hatte tun wollen. Er war wesentlich muskulöser, als es den Anschein hatte. Das erklärte aber auch seine unfassbare Stärke, gegen die man kaum ankam. „Du stehst einem Krarmor sicher in nichts nach~. Kennst du den Weg zum Schlummerwald, Glurak?“, erkundigte Raelene sich. Eigentlich fragte Raelene nur, um ihm so zu sagen, wo genau sie hin wollten, auch wenn er das wahrscheinlich bereits mitbekommen haben könnte. Glurak gab ein zustimmendes Brummen von sich. Also konnte der Flug wohl losgehen. „Halt dich am besten irgendwo fest, Raelene“, riet Delion. „Wir wollen dich unterwegs ja nicht verlieren.“ „Ich will auch nur ungern verloren gehen.“ Im Notfall könnte Glurak sie bestimmt mühelos auffangen, aber unbedingt erleben musste sie das nicht. Den Schock wollte sie sich doch lieber ersparen. Zumindest für den Anfang. Darum beugte sie sich nach vorne, um sich besser an Glurak festhalten zu können. Sie fand schnell eine recht sichere Position und teilte mit, dass sie bereit war. Trotz ihrer Höhenangst freute Raelene sich darauf. Zusammen mit Delion und Glurak fühlte sie sich absolut sicher, wahrscheinlich war sie deswegen derart zuversichtlich. Vielleicht könnte sie so einen Flug also mal richtig genießen. Kapitel 5: Wir haben es uns ganz schön umständlich gemacht ---------------------------------------------------------- Delion erteilte Glurak den Befehl zum Abflug, woraufhin dieser so kräftig mit den Flügeln schlug, dass ein wenig Dreck aufgewirbelt wurde. Schwungvoll erhoben sie sich in die Luft, um Kurs auf den Schlummerwald zu nehmen. Innerhalb weniger Sekunden gewannen sie an Höhe und ließen den sicheren Boden hinter sich. „Sag Bescheid, wenn es dir zu viel wird!“, rief Delion gegen den Wind, damit Raelene es hören konnte. So oft, wie Raelene Aufnahmen davon gesehen hatte, wenn Delion und Glurak zum Flug abhoben, wusste sie sofort, dass aus Rücksicht auf sie alles etwas langsamer als sonst ablief. Wahrscheinlich war das ganz gut so, denn auf einem Glurak zu fliegen dürfte doch etwas anderes sein, als gemütlich in einer geschützten Kabine zu sitzen. Daran musste man sich erst mal gewöhnen, konnte sie sich vorstellen – und Delion flog schon regelmäßig auf Glurak, seit er jung war. Hoffentlich fing er sich nicht an zu langweilen, weil er normalerweise ein anderes Tempo bevorzugte. „Alles gut!“, entgegnete Raelene. Der Abend war angebrochen. Ein malerisch orange-goldener Himmel bildete die Kulisse für ihren Flug Richtung Schlummerwald. Sanft strich der Wind über ihre Haut, der immer noch sommerlich warm war, und rauschte leise an ihren Ohren. Unter ihnen zog die nun winzige Landschaft von Galar an ihnen vorbei. Das war ein vollkommen neues Flugerlebnis für Raelene. Auf einem Glurak zu fliegen war wirklich etwas ganz anderes. Ein bisschen wie ein Abenteuer. Sie wagte es, den Blick über die Umgebung schweifen zu lassen. Die Höhe gab ihr ein mulmiges Gefühl, doch ihr Herzklopfen übertraf es mit weitem Abstand. Aufregung siegte über jede Form von Furcht. Wie sie schon geahnt hatte, gab es für Raelene in Gegenwart von Delion keinen Grund Angst zu haben. Vorsichtig richtete sie sich ein wenig auf, um den Ausblick noch besser genießen zu können. Im Nacken spürte sie Delions Blick, doch auch das empfand sie als angenehm. Bald schon flogen sie über Engine City hinweg. Von oben wirkte die Stadt viel kleiner und lag schon bald hinter ihnen. Obwohl Glurak sein Tempo für sie gedrosselt hielt, kamen sie ziemlich schnell vorwärts. Kurze Zeit später erstreckte sich schon die südliche Naturzone unter ihnen. „Es dauert nicht mehr lange!“ Delion deutete nach unten. „Schau, da ist schon der Milza-See!“ Neugierig lehnte Raelene sich ein bisschen zur Seite, weil sie einen genaueren Blick auf den See werfen wollte. Auch der wirkte von ihrer Position aus nur wie ein winziger Wasserfleck, das war seltsam surreal, aber faszinierend. Leider wurde ihr dann doch ein wenig schwindelig, also nahm sie lieber wieder eine sichere Haltung ein und rückte unbewusst dichter an Delion heran. „Ich liebe die Naturzone~“, erzählte sie, zur eigenen Ablenkung. „Pokémon in freier Wildbahn sind immer besonders spannend!“ Man wusste schließlich nie, wie sie reagierten. Manche griffen einen einfach sofort an, andere waren nur neugierig. Kein Wunder, dass sie Victor damals während der Arena-Challenge dort verloren hatten. Plötzlich legte Delion einen Arm um ihre Hüfte, vermutlich damit sie nicht doch noch herunterfiel und weil er gemerkt hatte, dass ihr schwindelig geworden war. Raelene hielt die Luft an. Dass ihr Gesicht bei all der Hitze aus ihrem Inneren noch nicht verglüht war, konnte man als wahres Wunder bezeichnen. Am liebsten würde sie ewig mit ihm so sitzenbleiben, auch wenn sie am Ende aufgrund ihrer explodierenden Emotionen, wegen denen ihr Gehirn aussetzte, ersticken könnte. „Das stimmt!“, erwiderte Delion, auf ihre letzten Worte. „Deswegen bin ich auch gerne dort~.“ Sicherlich war er auch kaum noch dazu gekommen, in Ruhe durch die Naturzone zu streifen, als er selbst noch Champ gewesen war; wegen den Fans, denen man dort schnell mal an jeder Ecke begegnen konnte. Besonders während der Arena-Challenge wurde es meistens besonders schlimm und man musste haufenweise Autogramme geben, statt sich nur um die Pokémon kümmern zu können. Deshalb zog Raelene es inzwischen vor, sich in den Kronen-Schneelanden aufzuhalten. Nach dem Bahnhof der Naturzone zog der Berg über sie hinweg, durch den ein Tunnel nach Brassbury führte. Bei diesem Anblick musste Raelene an ihr Wolly denken, denn es war schon immer mehr eine Bergziege als ein Schaf gewesen. Was für Pokémon wohl dort auf dem Berg lebten? Vielleicht könnte sie irgendwann mal mit Delion eine Tour zu Orten machen, wo sie beide noch nie gewesen waren ... wenn das Gespräch gleich gut verlief. Aber sie saß auf Glurak und Delion hielt sie fest. Warum hatte sie noch die Sorge, dass alles schieflaufen würde? Nur kurze Zeit später waren sie bereits beim Schlummerwald angekommen. Der See war dann nur noch einen Felilou-Sprung entfernt. Da inzwischen keinerlei Bann mehr über dem Wald lag, konnten sie mit Glurak dort einfach landen. Kaum berührten sie den Boden, sprang Delion bereits hinunter und reichte Raelene erneut seine Hand, um ihr herunterzuhelfen. „Oder schaffst du das allein?“ Gewiss würde sie das ohne Hilfe hinbekommen, aber weil Raelene unbedingt nochmal seine Hand nehmen wollte, murmelte sie ein leises „Danke“ und ließ sich von ihm von Glurak helfen. „Ich bin mir sicher, ihr habt euch für mich zurückgehalten, oder?“ Sein Nicken bestätigte ihre Vermutung. „Ja, normalerweise fliegen wir schneller. Aber das ist für die meisten Leute eher ungewohnt. Nicht jeder ist so ein Draufgänger wie ich.“ Sein stolzes Grinsen brachte sie zum Schmunzeln. Da konnte sie ihm nicht widersprechen. Irgendwann könnten sie vielleicht zusammen in einem Tempo fliegen, das Delion normalerweise mit Glurak anstrebte. Allerdings erst, wenn Raelene das auch ein wenig gewohnt wäre, so wie er schon angemerkt hatte. Sie wandte sich Glurak zu und lächelte. „Danke für den Flug~. Ich würde mich freuen, wenn wir das mal wiederholen.“ Glurak brummte zufrieden, dann zog er sich von selbst in den Ball zurück, was Raelene überraschte. Delions Partner war offensichtlich sehr umsichtig. Beschwingt, jedoch mit etwas weichen Knien, drehte sie sich Richtung See und atmete entspannt aus. Die Ruhe dieses Ortes griff förmlich nach ihr und hüllte sie ein, wie in eine warme Decke. Das Wasser war glasklar und schien auf magische Weise die Umgebung zu erhellen. Nur das leise Rascheln der Baumkronen war zu hören, wie ein friedliches Schlaflied. Bald würde es hier ziemlich dunkel werden, sobald die Sonne vollständig untergegangen war. „Jetzt kommt es mir fast so vor, als wäre der Tag heute nur ein Traum gewesen ...“ Prüfend sah sie Delion an und neigte dabei den Kopf. „Bist du echt?“ „Nun, das lässt sich testen.“ Probehalber kniff er sich selbst in den Arm. „Autsch. Ja, kein Traum.“ Schmunzelnd sah er sie an. „Oder willst du mich selbst kneifen?“ Nicht unbedingt kneifen, aber … Bedeutungsvoll hob sie eine Hand und tippte mit dem Zeigefinger sacht gegen seine Schulter. Dann nochmal ein Stück versetzt, und ein weiteres Mal. Raelene ging um ihn herum und tat das gleiche bei seinem Rücken, bis sie schließlich wieder vor ihm stand. Verlegen grinste sie ihn an. „Du bestehst aus fester Materie und löst dich nicht auf. Also hab ich wohl Glück.“ Delion erwiderte ihr Grinsen. „Tja, nachdem wir das jetzt geklärt haben ...“ Da kehrte die Verlegenheit mit aller Macht wieder zurück. Nicht nur bei Raelene, sondern auch beim ihm, so wie er eine Hand wieder in seinen Nacken legte. „Also, sollen wir jetzt darüber reden?“ Unsicher senkte Raelene den Blick und verlagerte ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Nun war es also so weit. Der Moment, den sie sich so oft schon vorgestellt hatte. Im Traum war es oft gut ausgegangen, aber in ihrer Vorstellung endete es meistens katastrophal. Egal, was am Ende dabei herauskam, sie wollte Delion nicht verlieren. Auf keinen Fall. „Kannst du mir vorher etwas versprechen?“, fragte sie nervös, und hob den Blick wieder. „Falls das Gespräch irgendwie ... unangenehm ausgeht, können wir trotzdem Freunde bleiben? Wobei ... es würde mir schon reichen, wenn du mich nicht einfach ignorierst.“ Auf ihre Worte hin machte Delion ein sichtlich besorgtes Gesicht, was zum Ausdruck brachte, dass er keinen unangenehmen Gesprächsverlauf wollte. Einige eigene Ängste und Befürchtungen schienen ihm gerade durch den Kopf zu gehen. Irgendwann schüttelte er leicht den Kopf, als wolle er seine tragischen Gedanken abschütteln. „Ich verspreche dir, dass ich dich auf keinen Fall ignorieren werde, egal wie dieses Gespräch ausgeht. Und dass wir Freunde bleiben.“ Beruhigt atmete Raelene auf und nickte sich selbst zu. Bevor sie dieses Gespräch startete, hatte sie einfach nur nochmal sichergehen wollen. Sicher-sicher, sozusagen. Vor Nervosität wollte sie den Kopf abermals senken, hielt sich aber dazu an, ihm offen in die Augen zu schauen. „Also, da ich mit der ganzen Sache angefangen habe, dass du gut schmeckst und ... nun, ich uns so in eine seltsame Situation gebracht habe, ist es wohl nur fair, wenn ich anfange.“ Ihr Herz wollte ihr aus der Brust springen, wegwehen, wie von einem Wirbelwind erfasst. Warum konnte sie dieses Gefühlschaos nicht endlich ordnen? Inzwischen war sie doch kein Kind mehr. Genau, sie konnte das schaffen! „Bevor ich doch noch wie ein Abra kneife, rede ich nicht lange drum herum sag es dir direkt. Bist du bereit?“ Delions Körper zuckte verdächtig, als wolle er sie packen und durchschütteln, damit sie ihn nicht länger auf die Folter spannte. Er ballte sogar die Hände zu Fäusten, so sehr stand er wohl unter Druck. Dabei hatte sie ihn nicht derart quälen wollen, sie war nur furchtbar in solchen Dingen. Im Geiste entschuldigte sie sich mehrmals dafür. Entschlossen hielt Delion den Blickkontakt aufrecht und nickte. „Ich bin bereit.“ Raelene nickte ebenfalls und sammelte nochmal all ihren Mut zusammen, den sie auftreiben konnte, um es endlich laut auszusprechen. Nach so langer Zeit. Sie hatte schon viele schwierige Situationen gemeistert, also gelang ihr das hier auch. Raus damit! „Ich bin schon lange wahnsinnig verliebt in dich!“, schrie sie es heraus – ihre Stimme hallte zwischen den Bäumen des Schlummerwaldes nach. Raus war es. Nur nicht aufhören, direkt weitermachen. Auch Raelene ballte die Hände zu Fäusten und hob sie an ihre Brust, weil sie glaubte, diesmal würde ihr Herz wirklich herausspringen. Wie so oft war ihr Gesicht wieder knallrot. Wenn ihre Nervosität sie nicht noch in die Knie zwang, dann spätestens diese enorme Hitze. „Deshalb kann ich nicht klar denken, wenn du da bist.“ Sie kniff die Augen zusammen. „Es tut mir leid, falls das ein Grund war, dass es für dich so gewirkt hat, als hätte ich etwas gegen dich ...“ Einige Sekunden lang herrschte Stille. Durch die geschlossenen Augen konnte sie seine Reaktion nicht sehen, dabei hatte sie bis zum Schluss standhaft bleiben wollen. Jede weitere Sekunde, die verstrich, fühlte sich wie ein Bodyslam an, der sie zu Boden reißen und paralysieren wollte. Aus heiterem Himmel fing Delion dann an zu lachen und griff sie mit beiden Händen an der Hüfte, um sie hochzuheben. Einen furchtbaren Moment lang befürchtete sie, ihre gesamte Welt würde zusammenbrechen. Raelene dachte, er würde sich nur über sie lustig machen und sie nun auch noch geradewegs in den See werfen wollen. Champ time over! „Das ist großartig!“, jubelte Delion erleichtert. Begeistert wirbelte er Raelene durch die Luft, während er sich mit ihr um die eigene Achse drehte. Dann ließ er sie wieder runter und drückte sie liebevoll an sich. „Ich bin auch in dich verliebt!“, offenbarte Delion, sanft und doch immer noch zu aufgeregt. „Schon ewig!“ Hunderte Smettbos flatterten gerade im Schwarm durch Raelenes Körper. Hatte sie das richtig gehört? Drückte er sie wirklich gerade an sich? Alleine seine Wärme, die er ausstrahlte, sollte ihr diese Frage eigentlich schon beantworten. „Wirklich?“, hakte sie nach. Überwältigt vergrub Raelene das Gesicht in seiner Brust und schlang die Arme um ihn. „Ganz im Ernst?“ „Absolut wirklich“, versicherte er, gefolgt von einem verträumten Seufzen. „Aber ich dachte, du könntest mich nicht leiden, weil du in meiner Anwesenheit immer so seltsam warst. Ich hab nicht einmal im Traum daran gedacht, dass es daran liegen könnte, weil du auch in mich verliebt bist.“ „Und ich dachte, du kannst mich nicht leiden, weil ich deinen Titel geklaut habe. Und dir im Kampfturm auf die Nerven gegangen bin ...“, murmelte sie, in seine Brust hinein. Diese Tatsache hatten sie zwar bereits geklärt, doch sie konnte nicht an sich halten. „Dabei hatte ich nur Sehnsucht und wollte dich sehen. Ich hab mir keine Chancen bei dir ausgemalt.“ Damals war sie aber auch noch ein Kind gewesen. Ihr war erst später bewusst geworden, dass sie Delion nicht nur bewunderte, sondern liebte. Nun wollte sie ihn erst mal nicht mehr loslassen, aus Angst, dieser Moment könnte doch noch zerbrechen. „Ich war am Anfang wirklich ziemlich sauer auf dich“, sagte Delion, während er über ihr Haar strich. „Aber irgendwann hat sich das dann in ein anderes Gefühl gewandelt. Ich war erst so verwirrt darüber ... bis mir bewusst wurde, dass ich einfach nur verliebt in dich bin.“ „Oh Mann ...“ Raelene lachte leise. „Wir haben es uns ganz schön umständlich gemacht.“ Es beruhigte sie aber, dass auch Delion solche Sorgen gehabt hatte. Also waren sie sich in dem Punkt ziemlich ähnlich. Einen absolut perfekten Menschen, dem alles auf Anhieb gelang, gab es nun mal nicht. Trotzdem war Delion das in ihren Augen: Perfekt. „Ich weiß gar nicht, wie ich damit jetzt umgehen soll.“ „Ich auch nicht so genau“, gab Delion zu. Womöglich war er in seinen Vorstellungen auch nicht wirklich so weit gekommen. Keiner von ihnen hatte sich wohl gedacht, dass der jeweils andere irgendwann die eigenen Gefühle erwidern würde. Nun standen der Liga-Präsident und der Champ von Galar mitten im Schlummerwald vor dem Altar und wussten nicht so recht, wie es nach einem erfolgreichen Liebesgeständnis weiterging. Zum Glück waren sie unter sich, jeder andere hätte sich vermutlich mit der flachen Hand vor die Stirn geschlagen. „Vielleicht“, setzte Delion zögerlich an, „sollten wir uns einfach nur freuen. Und uns darüber unterhalten, ob wir jetzt ein Paar werden wollen.“ Raelene löste sich von seiner Brust und sah ihn mit glänzenden Augen an. Ihr Gesicht war nach wie vor rot, doch das störte sie nun nicht mehr. Nicht in diesem Moment. Ein Paar ... das klang so schön. Zu schön, um wahr zu sein. „Willst du denn?“, fragte sie hoffnungsvoll. „Also, ich hätte absolut nichts dagegen ... ich will aber nicht zu gierig wirken.“ Sonst verschreckte sie Delion am Ende doch noch, weil sie ihm zu sehr auf die Pelle rückte. Das wollte sie lieber vermeiden. Wenn sie aber sah, wie rot auch Delions Gesicht war und er sie trotzdem gerade ohne jede Verlegenheit verliebt anlächelte, konnte sie wohl davon ausgehen, dass ihre Sorge unbegründet war. Nicht zum ersten Mal. „Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen“, meinte er aufrichtig. „Aber nur, falls du nichts dagegen hast, dass ich kein Geheimnis aus unserer Beziehung machen werde.“ Könnte es Probleme geben, wenn der Champ mit dem Liga-Präsident zusammen wäre? Bescheuerte Gerüchte wurden sowieso täglich in die Welt gesetzt, vollkommen egal, was Raelene tat. Wegen so etwas würde sie nicht davor zurückschrecken, offiziell Delions feste Freundin zu sein. Vor einigen Jahren hatte Raelene bereits auf die harte Tour gelernt, dass sie nicht auf das negative Gerede anderer Leute hören durfte. „Ich bestehe sogar darauf!“ Verträumt erwiderte sie sein Lächeln. „Ich denke, wir haben uns beide lange genug zurückhalten müssen. Das werde ich nicht mehr aushalten.“ Vor allem nicht, da sie nun wusste, dass Delion ihre Liebe erwiderte. Der Smettbo-Schwarm in ihr flatterte immer noch vor Freude herum und verbreitete zusätzliche Wärme in ihrem Körper. „Ich ... werde so eine Klette sein.“ Erleichtert tippte Delion seine Stirn gegen ihre. „Das ist gut, denn sonst müsste ich die Klette sein. Es hat so lange gedauert, da möchte ich nicht mehr so viel auf dich verzichten.“ Glücklich schmiegte Raelene sich wieder an ihn, so dicht wie möglich. Seine Körperwärme und sein Geruch ... endlich durfte sie das alles in sich aufnehmen. Bis sie das wirklich als Realität wahrnahm, würde wahrscheinlich etwas Zeit ins Land ziehen müssen. „Oh!“ Bittend sah sie ihn an. „Kannst du mich nochmal hochheben und herumwirbeln? Vorhin dachte ich, du wirfst mich in den See, weil du meine Liebeserklärung so lächerlich findest, deshalb konnte ich das gar nicht richtig genießen.“ Darum musste sie Delion nicht zweimal bitten. „Aber klar~.“ Er löste sich von ihr, ein wenig widerwillig, und griff sie wieder an den Hüften. Dann wirbelte er sie noch einmal herum. Das kostete ihn kein bisschen Kraft, darum konnte Raelene das ohne schlechtes Gewissen auskosten. Als Delion sie diesmal absetzte, nutzte er die neue Gelegenheit aber auch direkt, um sie küssen. Raelene blinzelte überrascht. Die Smettbos gigadynamaximierten sich schlagartig. Stimmt, sie hatten herausfinden wollen, wie der jeweils andere schmeckte. Sie schloss die Augen und legte eine Hand auf seine Wange, während sie den Kuss erwiderte. Es war ein unbeschreibliches Gefühl. Fast wie in einem überfüllten Stadion, auf dem Höhepunkt eines Pokémon-Kampfes. Nur noch besser. Ihr Atem wurde schwerer. Spätestens jetzt wurde jeder Zweifel fortgespült, dass Delion es nicht ernst meinen könnte. Von diesem Tag an wären sie nicht mehr unglücklich ineinander verliebt, sondern ein richtiges Paar. Besser konnte es gar nicht mehr werden. Alles war perfekt. Eine Weile später löste Delion seine Lippen wieder von ihren und musste erst mal selbst tief durchatmen, woraufhin die Verlegenheit zu ihm zurückkehrte. „Tut mir leid, vielleicht hätte ich erst fragen sollen.“ Raelene schüttelte den Kopf. „Dafür sind wir ja eigentlich hergekommen, oder?“ Halbherzig klatschte sie sich mit einer Hand gegen die Wange, die sich ziemlich heiß anfühlte. Wenn Liberlo in Gigadynamax-Form hinter ihr stand, war das nicht ohne, doch das kam ihr im Vergleich gerade um einiges harmloser vor. War es normal, dass man die ganze Zeit so von innen heraus glühte, wenn man mit der Person zusammen war, die man liebte? „Aber wenn ich deinetwegen Fieber bekomme, musst du mich pflegen~“, forderte sie lachend. Was keine üble Vorstellung war, musste sie zugeben. Dann bekäme sie so viel Aufmerksamkeit von ihm, wie sie sich immer gewünscht hatte. Andererseits würde sie ihm auch Sorgen bereiten, was weniger schön wäre. Prüfend legte Delion eine Hand auf ihre freie Wange, um selbst festzustellen, wie heiß sie sich anfühlte. „Ich kümmere mich dann aufopferungsvoll um dich“, versprach er lächelnd. „Sofern du dich um mich kümmerst, wenn ich stattdessen krank werden sollte.“ „Natürlich~.“ Wie würden wohl die anderen auf diese Nachricht reagieren? Was die Fans oder Kritiker denken könnten, darüber machte sie sich keine großen Sorgen. Aber was, wenn einer ihrer Freunde oder die Familie etwas dagegen hätte? Oder sogar ihre Pokémon? „Wir sollten dann wohl auch bald dafür sorgen, dass sich unsere Pokémon gut vertragen, wenn wir jetzt öfter Zeit zusammen verbringen werden.“ „Das ist eine wirklich hervorragende Idee. Dafür sollten wir uns einen ganzen Tag Zeit nehmen, dann können wir auch beim PokéCamping gleich Curry zusammen essen.“ „Perfekt!“, stimmte Raelene begeistert zu. „Fliegen wir dafür dann in die Kronen-Schneelande.“ In der Naturzone war leider zu viel los, auch außerhalb der Arena-Challenge. Da kämen sie nicht wirklich zur Ruhe. Sie war gespannt, was für ein Curry Delion und seine Pokémon wohl bevorzugten. Gleichzeitig hätten die Babys dann zumindest ein bekanntes Gesicht unter all den neuen Freunden. Zum Glück waren sie beide eher nicht der Typ für Dates in einem feinen Restaurant … das konnte sie sich einfach nicht allzu spaßig vorstellen. Erwartungsvoll starrte Raelene ihn an. „Wann hast du Zeit?“ Gedanklich schien Delion seinen Terminkalender durchzugehen. Ein neuer Cup stand erst nächstes Jahr an, also war er vielleicht nicht sonderlich verplant – genau das teilte er ihr auch direkt mit. „Abgesehen von morgen kann ich erst einmal immer.“ Morgen war eine kleine Konferenz, in der einige Dinge mit Sponsoren besprochen werden sollten, erklärte er Raelene. Ein Glück, dass Delion abgesehen davon aber erst mal reichlich Zeit für sie hätte. Es wäre kaum auszuhalten, wenn sie sich ausgerechnet nach diesem Tag nur selten zu Gesicht bekämen. Dafür sollte sie dem Universum und Arceus danken. „Können wir uns dann direkt übermorgen treffen?“ Raelene lächelte entschuldigend. „Ich hab ja gesagt, dass ich jetzt eine Klette sein werde.“ Bei einer passenden Gelegenheit sollte sie ihm sagen, dass er es ihr notfalls ruhig offen mitteilen konnte, wenn er mal doch wieder etwas Zeit für sich alleine und seine Pokémon bräuchte. Für den Moment wollte sie aber die schöne Stimmung nicht ruinieren. „Aber klar doch~.“ Er küsste sie auf ihr Haar. „Ich will so viel Zeit wie möglich mit dir verbringen, nachdem wir es uns so lange nicht sagen konnten.“ „Ich auch~. Und wir müssen über so viele Dinge reden ... du musst mir ausführlich dein Zimmer zeigen und erklären! Oder mir Geschichten aus deiner Zeit als Arena-Challenger erzählen. Wir können auch zusammen trainieren! Also, wenn du das alles auch willst, versteht sich.“ „Alles, was du willst~“, sagte Delion froh. „Auf all das freue ich mich auch.“ Mit Schwung drückte Raelene sich wieder an ihn und seufzte dabei glücklich. Sie hätten schon viel früher miteinander reden sollen. „Aber das mit meinem Zimmer mache ich nur, wenn du mir dafür auch deines zeigst.“ „Du weißt, wie man richtig verhandelt“, bemerkte Raelene. „Aber das wäre nur fair, also abgemacht~.“ Außerdem bedeutete das, Delion wollte ebenfalls mehr über sie erfahren, was schön war. Zudem hatte sie seines wenigstens schon ein paar Mal flüchtig sehen können, weil sie von klein auf mit Hop befreundet war, aber er war nie wirklich bei Raelene zu Hause gewesen. Vorher sollte sie nur ihre Mutter darum bitten, keine peinlichen Geschichten zu erzählen, wenn er zu Besuch da war. „Dann haben wir ja erst mal eine Menge zu tun. Mach dich auf was gefasst!“ Lachend strich er ihr über den Rücken. „Ich bin gespannt. Und froh, dass wir heute allein im Hort waren.“ „Wir sollten uns wohl bei Gloria für die Einladung bedanken“, meinte Raelene schmunzelnd. Sonst würden sie wohl noch lange weiter heimlich füreinander schwärmen und vielleicht niemals zueinander finden. Der Gedanke kam ihr aber gerade so abwegig vor, weil sie viel zu glücklich war. Sie sah Delion wieder an. „Du schmeckst übrigens nach dem Picknick. Vielleicht sollte ich auch eher mal deine Haare probieren~.“ Ihre Aussage ließ ihn wieder ein wenig mehr erröten, was dazu führte, dass sie selbst erneut von ihrer Verlegenheit aufgesucht wurde. Manchmal sollte sie erst nachdenken, bevor sie anfing zu sprechen. Wenigstens schien Delion vielmehr amüsiert darüber zu sein. „Tu dir keinen Zwang an. Ich fürchte aber, das schmeckt bei weitem nicht so gut. Außer für Pichu.“ „Hmmm ...“ Für einen Augenblick sah sie Delion an, als würde sie ernsthaft darüber nachdenken, dann lachte sie aber. „Ich glaube, das überlasse ich doch lieber weiter Pichu. Außerdem … kann ich ja ab jetzt noch öfter probieren, wie du schmeckst.“ Es klang immer noch etwas komisch, aber dank dieser Sache waren sie letztendlich aufgetaut. Lächelnd drückte Delion sie noch einmal an sich. „Und ich bitte darum, dass du öfter probierst. Willst du jetzt eine Weile hierbleiben?“ Solange sie zusammen waren, wäre es sogar egal, wenn sie mal gar nichts taten, sondern nur hier saßen, die Anwesenheit des jeweils anderen genossen und auf den See blickten – oder sich gegenseitig anstarrten. „Ja, bitte.“ Raelene wollte gerade einfach nur in seiner Nähe sein. Übermorgen würden sie sich zwar schon wiedersehen, aber sie wollte sich trotzdem nicht schon wieder von ihm trennen. Seinen Geruch und das Gefühl, wie seine Körperwärme auf sie überging, sollte sie sich so gut wie möglich einprägen. Daher schloss sie die Augen und hielt ihn weiter fest, als könnte er sonst verlorengehen. Dieser Tag war, ohne Übertreibung, einer der schönsten in ihrem ganzen Leben. Kapitel 6: Das Original ist tausendmal besser --------------------------------------------- Raelene lebte zwar immer noch bei ihrer Mutter, verbrachte die meisten Nächte aber oft draußen. Camping war, seit ihrer eigenen Arena-Challenge damals, zu einer Leidenschaft für sie geworden. Nur selten nahm sie sich ein Hotelzimmer, wenn sie, aufgrund von Terminen, in anderen Städten übernachten musste. Kurz vor und nach dem Champ-Cup machte sie in der Regel eine Ausnahme, weil sie ihren Pokémon und sich selbst diesen zivilisierten Komfort gönnen wollte, um für den großen Kampf bestmöglich ausgeruht zu sein und sich danach entsprechend erholen zu können. Seit Raelene und Delion sich vorgestern irgendwann – sehr zum Leidwesen der beiden – voneinander loseisen und vorerst wieder trennen mussten, hatte sie ausnahmsweise bei sich zu Hause übernachtet. Auf diese Weise hatte Azurill direkt ihre Mutter und Mampfaxo kennenlernen können, denn sie waren nun eine Familie und dieser Ort war somit auch die Heimat von der Kleinen geworden. Außerdem könnte Delion sie dann einfach von dort abholen, zu ihrer nächsten Verabredung, die an diesem Tag stattfinden sollte. Ihre erste, richtige Verabredung! Vorgestern hatte Delion Raelene noch ganz vorbildlich mit Glurak zu Hause abgesetzt, wo daraufhin die vorläufige Verabschiedung gefolgt war. Dadurch war die Vorfreude auf ihr nächstes Wiedersehen immens gestiegen. Ob es Delion auch so ging? Falls Ja, dürfte er genauso froh sein wie sie, dass sie sich in wenigen Minuten endlich erneut in die Arme fallen könnten. Im Grunde war Raelene bereits von Natur aus ein Frühaufsteher, doch zu diesem Anlass war sie an diesem Tag sogar noch zeitiger auf den Beinen gewesen, damit sie sich ausreichend zurechtmachen konnte. Eine Sache, in die sie normalerweise nicht allzu viel Energie investierte. Letztendlich hatte sie aber nicht wirklich etwas anders gemacht als sonst, trotzdem hielt sich Raelene ungewöhnlich lange im Bad auf. Zwischendurch hatte ihre Mutter deswegen schon mehrmals nachgefragt, ob bei ihr alles in Ordnung sei, worauf Raelene jedes Mal mit einem fröhlichen „Jahaaa~“ antwortete. Wahrscheinlich war es gar nicht mal so schlecht, dass sie sich am Ende doch nicht so herausgeputzt hatte, da sie immerhin campen gehen und ihre Pokémon einander vertraut machen wollten. Bei so einem Vorhaben würde es nur stören, wenn Raelene auf ihre Kleidung oder andere Dingen achten müsste. Zumindest wäre sie dennoch vorzeigbar. Mittlerweile hatte sie ihr Haar so intensiv gekämmt, dass es sich wie Seide anfühlte. Wahrscheinlich hätte Raelene ewig verträumt so weitergemacht, wenn es nicht plötzlich laut und vernehmlich an der Tür geklopft hätte. Sofort hielt sie inne. Das musste er sein! Delion war da! Mehr als pünktlich! Aufgeregt ließ Raelene alles stehen und liegen, stürmte aus dem Bad heraus und rief laut „Ich gehe schon!“. Als sie auf dem Weg zur Haustür an ihrer Mutter vorbeikam, die ein vielsagendes Lächeln auf den Lippen trug, flüsterte Raelene ihr noch rasch zu „Bitte keine peinlichen Geschichten, Mama, ja?“, bevor sie zielstrebig weiterging. Am Ziel angekommen, atmete sie tief durch, strich mit den Händen erneut ihre Haare zurecht, nickte sich selbst zu und öffnete die Tür. Delion stand tatsächlich vor ihrer Tür, um sie abzuholen. Zu einer Verabredung! Und sein Lächeln steckte voller Glück, als schmelze ihm ebenso das Herz wie Raelene, schon während sie sich nur ansahen. Als ihr diese Gedanken innerhalb einer Sekunde durch den Kopf schossen, fing ihr Gesicht an zu strahlen. Alles war gut, sie hatte das nicht nur geträumt. „Hey, Rae~!“ „Hey~! Ich freu mich so, dich zu sehen!“ Zur Begrüßung umarmte Raelene ihn innig. „Du bist super pünktlich, also hast du den Weg hierher gefunden~.“ Er erwiderte die Umarmung sogleich. „Also, eigentlich hat Glurak den Weg gefunden. Du weißt ja, mein Orientierungssinn ist irgendwie nicht vorhanden.“ Sein Partner stand hinter ihm, nur wenige Meter entfernt, und nickte zufrieden, als er hörte, dass ihm das Lob galt. Wie oft Glurak Delion wohl dabei helfen musste, den richtigen Weg zu finden? Sie konnten sich beide glücklich schätzen, dass Delion dank Glurak immer an seinem Ziel ankam, besonders an diesem Tag, an dem es wirklich wichtig gewesen war. Jedenfalls für Raelene. Darum bedankte sie sich auch gleich herzlich bei Glurak dafür, dass er Delion geholfen hatte. Ohne seinen Partner hätte es sonst wohl doch später werden können. „Ich muss eben noch Wolly und Azurill wecken“, erklärte sie entschuldigend. „Die machen ein kleines Verdauungsschläfchen zusammen, im Wohnzimmer, mit Mampfaxo. Wollt ihr mit rein?“ Vielleicht wäre es ihnen lieber, eben draußen zu warten, deshalb überließ sie die Entscheidung besser Delion. Der warf einen kurzen Blick zu Glurak, von dem nur ein Brummen als Antwort kam. Dann sah er wieder Raelene an. „Ich komme gern rein. Glurak möchte draußen warten.“ Welchen Grund Glurak dafür auch haben mochte, Raelene respektierte das und trat nickend zur Seite, womit sie Delion signalisierte, dass er reinkommen durfte ... aber sie zuckte erschrocken zusammen, als plötzlich ihre Mutter bei ihnen an der Tür stand, mit einem dieser unschuldig neugierigen Gesichtsausdrücke, den nur manche Eltern besaßen. „Heiliges Deponitox!“, stieß Raelene aus. „Mama, wann hast du dich denn angeschlichen?“ Das dunkelgrüne Haar ihrer Mutter war zu einem Dutt hochgebunden und ihre hellbraunen Augen musterten sie beide eingehend. Ähnlich wie bei Delions Familie, war ihre Haut recht gebräunt, anders als bei Raelene. Anscheinend kam sie mehr nach ihrem Vater, den sie aber nie kennengelernt hatte. Bei all den lieben Freunden, mit denen sie in Galar aufgewachsen war, hatte sie ihn jedoch nie ernsthaft vermisst. „Ich wollte unseren Gast nur begrüßen~“, flötete ihre Mutter munter, wobei sie Delion ansah und in die Hände klatschte. „Hallo, Delion! Schön, dich zu sehen. Und herzlichen Glückwunsch, dass ihr endlich zusammengefunden habt!“ Natürlich meinte ihre Mutter es nur gut, brachte Raelene damit aber etwas in Verlegenheit. Schützend legte sie eine Hand auf ihr Gesicht, schielte zwischen den Fingern hindurch aber zu Delion. Er lachte, selbst ein wenig verlegen, und legte sich eine Hand in den Nacken – eine Geste, die man in solchen Situationen scheinbar oft an ihm beobachten konnte, bemerkte Raelene. „Nun, es hat ja auch lange genug gedauert, nicht wahr?“, entgegnete Delion Eigentlich hatte Raelene ihrer Mutter kein Wort davon erzählt, wie der Stand zwischen Delion und ihr war – dafür wusste ihr engster Freundeskreis im Großen und Ganzen schon Bescheid. Deshalb war sie verwundert, wie ihre Mutter überhaupt von selbst darauf kam. Darüber sollte sie unbedingt mal mit ihr sprechen, sobald sie wieder die Gelegenheit dazu bekäme. Vorerst winkte Raelene aber nur hastig ab und bat Delion, ihr ins Wohnzimmer zu folgen. Zum Glück hatten sie schon im Vorfeld geklärt, dass sie kein Geheimnis aus ihrer Beziehung machen würden, also dürfte Delion mit so etwas vielleicht schon gerechnet haben. Im Wohnzimmer lag Raelenes Wolly mitten ihm Raum herum, Mampfaxo hatte sich an sie angelehnt und nutzte sie so als eine Art flauschiges Kissen, während Azurill oben auf ihrem Rücken lag und ein bisschen in der dichten Wolle versank. Alle schliefen friedlich. Es gab wohl kaum einen schöneren Anblick als Pokémon, die sich gut miteinander verstanden und so friedlich zusammen sein konnten. An Delions Blick erkannte Raelene, dass auch er dieses Bild von Wolly, Mampfaxo und Azurill wirklich goldig fand. „Azurill wurde von meinen Pokémon schnell ins Herz geschlossen~“, berichtete sie Delion. „Wie lief es bei dir mit Pichu?“ Auf diese Frage musste er schmunzeln. „Pichu hat sich bei allen ins Herz geschlichen und Maxax hat ihn regelrecht vom Fleck weg adoptiert. Wenn ihn ein feindliches Pokémon nur ansieht, fängt Maxax an zu schnauben.“ Raelene gab einen entzückten Laut von sich. „Ich freu mich schon darauf, das zu sehen~.“ „Ich wecke die Kleinen auf“, schlug ihre Mutter vor, die ihnen – mehr oder weniger heimlich – ins Wohnzimmer gefolgt war. „Hol du doch mit Delion solange deinen Rucksack aus deinem Zimmer und sieh nach, ob du alles dabei hast.“ Moment, Raelene hatte ihr Zimmer noch gar nicht darauf vorbereiten können! All die Fan-Poster von Delion, ihre uralten Zeichnungen und das Merchandise ... obwohl ... es wäre vermutlich irgendwie nicht richtig, alles vorher passend zu präparieren. Zumal Delion nun wusste, wie sehr sie ihn bewunderte ... liebte ... und ihr Zimmer war an sich sowieso ordentlich – auch dank ihrer Mutter. Als Raelene ihm einen fragenden Blick zuwarf, nickte Delion. „Ich würde mich freuen.“ „O-okay.“ Raelene bat ihn, ihr zu folgen, während ihre Mutter mit sanfter Stimme und vorsichtigen Berührungen die Pokémon weckte. Zusammen mit Delion ging sie die Treppe hinauf und mit jedem Schritt erhitzte sich ihr Gesicht mehr und mehr. Wie würde er reagieren? Fände er es cool, dass sie ihn so verehrte? Oder eher unheimlich? Mist, da sind sie wieder, meine verdammten Gedankenkreise, die mich eines Tages noch ins Unglück stürzen werden. Vor ihrer Tür hielt Raelene an und räusperte sich, konnte dadurch aber nicht ihre Unsicherheit überspielen. „Ähm ... können wir uns darauf einigen, dass du am besten nichts sagst zu gewissen ... Sachen?“ Überrascht neigte Delion leicht den Kopf und sah sie blinzelnd an. Offenbar fragte er sich, ob ihr etwas in diesem Zimmer peinlich war und sie daher nicht darüber reden wollte, selbst wenn er es sah. Statt nachzuhaken, nahm er Rücksicht auf sie und versicherte, dass er schweigen würde – auch wenn er nicht wusste, weswegen genau. Dankbar öffnete Raelene anschließend die Tür, um ihn von der Spannung zu erlösen ... falls er überhaupt so aufgeregt war, wie sie glaubte. Wirklich mädchenhaft war ihr Zimmer nicht, wenn man von einigen wenigen Schönheitspflege-Produkten absah, die sie im Laufe der Jahre von ihrer Mutter oder einigen Fans geschenkt bekommen hatte. Das Hauptthema ihres Zimmers war vielmehr Delion gewidmet ... und natürlich Pokémon. Dementsprechend waren auch die Wände gestrichen worden: Die obere Hälfte war rot, die untere weiß und ein schwarzer Streifen zog sich durch die Mitte. Es hingen sehr viele Poster und sogar Plakate von Delion herum, an einer Pinnwand über ihrem Schreibtisch waren schlechte Zeichnungen von ihm. Dort lagen auch Zeitschriften mit Interviews oder Leitfäden für Pokémon-Trainer. Raelene las schon immer lieber so etwas, statt richtige Bücher. Merchandise wie eine Geldbörse mit Delion-Motiv besaß sie auch ... ein wenig peinlich war es schon. Wenigstens war ihr Bettbezug gerade nicht ebenfalls von ihm – aber auch so etwas war in ihrem Besitz. Neben einigen Plüschtieren und anderem alltäglichen Kram, war das Zimmer aber ansonsten ziemlich normal. Am liebsten mochte Raelene ihren flauschigen, schneeweißen Teppich, auf dem auch ihre Pokémon gerne herumlagen und oft einschliefen, sogar Wolly. Und die war selbst eigentlich schon eine wandelnde Flauschkugel. Raelene verschränkte die Arme hinter dem Rücken und lächelte Delion nervös an. „Und? Wie findest du es?“ Er wirkte ein bisschen überwältigt von all den Hochglanzpostern und Motiven von sich selbst, die er überall entdeckte, jedoch nicht unbedingt auf die positive Art. Beinahe schien er sogar eher betrübt zu sein, was man nur daran erkannte, dass seine Augen etwas an Glanz verloren. Dann vereinten sich auch noch verschiedene andere Emotionen in seiner Mimik zu einem Ausdruck, den Raelene nicht so recht deuten konnte. Zum einen schien er doch positiv überrascht zu sein, aber ein gewisser negativer Beigeschmack blieb bestehen. Zu gerne hätte sie gerade einen Blick in seinen Kopf geworfen, um herauszufinden, was ihn so sehr beschäftigte. Vermutlich kam es ihr nur so vor, aber die Zeit, in der er schwieg und sich umsah, erschien ihr unerträglich lang. Er kommentierte sicher nur nichts von den Fan-Artikeln, die Raelene besaß, weil er ihr vorhin sein Wort gegeben hatte, nichts zu sagen. „Ich finde es schön“, antwortete Delion, nach einer Weile. „Es sieht gemütlich aus – und sehr nach Pokémon gerichtet.“ Ehe sie darauf etwas erwidern konnte, trat er näher an die Pinnwand heran und betrachtete einige ihrer alten Kinderzeichnungen von ihm. Amüsiert deutete er auf eine davon und wandte sich ihr lächelnd zu: „Also, sehe ich wirklich so aus?“ „Nein“, antwortete sie schmunzelnd. „Das Original ist tausendmal besser.“ Unsicher trat Raelene neben ihn und sah auf den Boden. „Ich hoffe, du denkst jetzt nicht, dass ich einfach nur mit dir zusammen sein wollte, weil ich schon so lange ein Fan von dir bin und du mein großes Idol bist. Wenn ich ehrlich bin, hab ich das Zimmer auch erst etwas anpassen wollen, bevor ich es dir zeige. Damit du nichts Falsches denkst.“ Wie würde sie an seiner Stelle reagieren? Sie wusste es nicht. Solche Dinge waren schwierig einzuschätzen, wenn man nicht selbst in dieser Situation war. Vorhin hatte sie aber den Eindruck gehabt, dass ihr Zimmer ihn etwas schmerzte. Gefundenes Fressen für ihre Unsicherheit. Im Augenwinkel bemerkte sie, wie er die Arme vor der Brust verschränkte. „Hm. Selbst wenn du nur mit deinem Idol zusammen sein wolltest, für mich könnte das in diesem Moment egal sein, denn ich bekomme ja, was ich will. Nämlich eine Beziehung mit dir.“ So einfach wäre das für ihn? Als sie den Blick wieder hob, sah sie einen ernsten Delion vor sich. Das erinnerte sie fast an ihre rebellische Phase, in der sie ihn viel zu oft zu so einem Gesichtsausdruck getrieben hatte, wenn auch größtenteils nicht aus böser Absicht. Deshalb empfand sie das als ziemlich unangenehm. „Aber ich glaube nicht, dass es dir nur darum ging“, fuhr er fort. „Also mach dir keine Sorgen.“ Lächelnd stieß er ihr sanft gegen die Schulter. „Mich wundert eher, dass du noch nicht entzaubert von mir bist, nachdem du mich so oft geschlagen hast.“ Erleichtert erwiderte Raelene sein Lächeln. Wenn sie immer so offen und ehrlich bei Delion sein könnte, sah die Zukunft traumhaft schön aus. „Ich denke ja, bisher hatte ich immer nur Glück. Außerdem“, sie griff nach seinen Händen und drückte sie sanft, „habe ich mich in den Menschen verliebt, der du bist. In Delion, nicht in irgendeinen Champ. Deine Begeisterung für Pokémon-Kämpfe, dein gutes Herz, wie du lachst und strahlst, wenn du dich freust ... das sind nur ein paar von vielen Dingen, wegen denen ich hin und weg von dir bin. Ich kann es kaum erwarten, noch mehr Seiten von dir kennenzulernen.“ „Siehst du?“ Plötzlich leuchteten seine Augen regelrecht vor Freude. „Ich wusste doch, dass es dir nicht darum geht~. Schließlich habe ich mich auch nicht ohne Grund in dich verliebt.“ Mit diesen Worten zog Delion Raelene näher zu sich und küsste sie, schon deutlich inniger, als beim letzten Mal. Falls er sich bisher zusammengerissen hatte, war es kein Wunder, dass er es nun endlich nachholen wollte. Raelene erwiderte den Kuss auch sofort, aus Verlegenheit ein bisschen zurückhaltender, und strich mit einer Hand dabei durch seine Haare. Wenn er sich so freute wie in diesem Moment, erfüllte das ihr Herz mit Glück. Raelene wollte alles tun, um ihn, wenn möglich, immer so strahlen zu lassen. Er hatte es verdient. Irgendwann löste er sich wieder von ihr und wirkte überaus beschwingt. „Okay~! Sollen wir uns dann mal um deinen Rucksack kümmern?“ Delion konnte es wohl kaum noch erwarten, endlich mit ihr und den Pokémon alleine in den Kronen-Schneelanden zu sein. Ein Wunsch, den Raelene voll und ganz teilte, darum brach sofort die Motivation aus ihr heraus. „Ja, schnappen wir ihn uns~.“ Der Rucksack stand schon vor dem Bett bereit und war prall gefüllt, immerhin wären sie nicht nur zu zweit, sondern obendrein mit zwölf Pokémon beim Camping. Das dürfte ziemlich lebhaft werden. Darauf freute sie sich schon riesig. Sie kontrollierte kurz nochmal alle Taschen und überlegte, ob sie an alles gedacht hatte, bis sie schließlich nickte und ihn sich überzog. „Okay, wir können los.“ Von unten war schon Azurill zu hören, das langsam richtig munter wurde. „Azurill ist ein richtiges Energiebündel, was?“, fragte Delion, während er bereits in Richtung Tür strebte. „Es ist ein Wunder, dass unser Haus noch steht“, sagte Raelene amüsiert, als Antwort auf seine Frage. Eilig folgte sie ihm, blieb im Türrahmen aber kurz stehen und warf einen Blick über die Schulter. Von nun an könnte sie dieses Zimmer nach und nach mit Fotos füllen, von Delion und sich, mit ihren Pokémon. Somit könnte sie dieses reine Fan-Image abstreifen und auch für sich selbst vorwärts kommen. Darum beschloss sie, nicht ohne einige Schnappschüsse hierher zurückzukehren. Anschließend stiegen sie zusammen die Treppen wieder nach unten, wo sie bereits von Wolly und Azurill erwartet wurden. Mampfaxo schlief aber natürlich immer noch. Ihn aus seinem Verdauungsschläfchen zu wecken war nahezu unmöglich. Deshalb hatte ihre Mutter ihn in sein Körbchen gelegt, damit es für ihn weiterhin weich und kuschelig blieb. Wolly und Azurill hüpften auf Raelene zu und stießen fröhliche Laute aus. „Na, gut geschlafen?“ Lächelnd beugte sie sich runter und tätschelte die beiden. „Bereit für unseren Ausflug? Wir werden eine Menge Spaß haben~.“ Aufgeregt stimmten ihre Pokémon zu, also rief Raelene sie zurück in ihre Bälle. Ihre Mutter wirkte zufrieden und bat Delion und sie darum vorsichtig zu sein, auch wenn sie erfahrene Champs waren. Delion versicherte ihr deshalb sogleich, dass sie auf sich Acht geben würden und bedankte sich für ihre Fürsorge. Nachdem Raelene dann noch eine herzliche Umarmung mit ihrer Mutter ausgetauscht hatte, verließen sie das Haus zu zweit. Draußen wartete Glurak immer noch auf sie, allerdings war er inzwischen nicht mehr allein. Zahlreiche Wollys von den Furlongham umgebenden Feldern hatten sich um Glurak herum versammelt und gaben anerkennende „Woll“-Ausrufe von sich. Ratlos blickte Glurak auf sie alle hinab. „Awww, er hat so flauschige Fans~“, kommentierte Raelene. „Heh, wenigstens war Glurak anscheinend beschäftigt.“ Wie sein riesiges Glurak so dastand, umringt von Wollys, war wirklich zu niedlich. Es erinnerte Raelene ein wenig an Liberlo, wenn er anderen Pokémon voller stolz seine Ballkünste demonstrierte. Sie waren eben beide richtige Stars, auf ihre Weise. Auch unter den Pokémon. Anscheinend könnte Glurak trotzdem etwas Hilfe gebrauchen. „Okay, ihr Lieben!“ Raelene klatschte laut in die Hände, um die Aufmerksamkeit der Wollys auf sich zu ziehen. „Wer will mal Gluraks atemberaubenden Flugkünste sehen? Dann müsst ihr bitte ein kleines bisschen Platz machen.“ Die Wollys zögerten erst, tauschten Blicke miteinander – und bildeten dann tatsächlich einen geordneten Kreis, der Glurak genug Platz ermöglichte, um seine Schwingen ausbreiten zu können. „Nicht schlecht“, bekundete Delion. Wollys waren eben super-neugierig und verstanden Menschen obendrein auch noch sehr gut. Nur ihr eigenes Wolly überhörte manchmal absichtlich Dinge, wenn es lieber noch mehr spielen wollte. Da mangelte es Raelene oft an Strenge, weil Wolly einfach noch so klein und ganz besonders liebenswürdig war. Ihren anderen Pokémon, allem voran Liberlo, gefiel das wahrscheinlich gar nicht. Der Ditto-Champ war nun mal nicht perfekt, aber das versuchte Raelene schon lange nicht mehr zu sein. Delion und Raelene näherten sich Glurak, der auch ein paar Sachen für das Camping bei sich trug, wie ihr auffiel. Schon bevor sie vor ihm standen, wies Delion sie an, Glurak ihren Rucksack zu geben, so dass er ihn vorne mit den anderen Sachen für sie tragen könnte. Dem ging Raelene nach, ohne es zu hinterfragen. Immerhin hatte sie schon gegen Glurak gekämpft und wusste, wie stark er war. Dieses zusätzliche Gewicht bemerkte er sicher kaum. Nachdem ihr Rucksack sicher in seinen Klauen lag, neigte Glurak bereits wieder den Körper nach unten, damit Delion aufsteigen konnte. Wie schon beim letzten Mal reichte er Raelene dann von oben seine Hand, um ihr ebenfalls hochzuhelfen. Ohne zu zögern nahm sie das dankend an und ließ sich von ihm auf Glurak ziehen. Schon zum zweiten Mal, aber es war wieder ein unbeschreibliches Gefühl. Raelene tätschelte zur Begrüßung Gluraks Hals, woraufhin er ein tiefes, freundliches Brummen von sich gab. „Alles klar, ich bin bereit~“, verkündete Raelene. „Und die Wollys auch.“ „Okay, du hast es gehört, Glurak, los!“ Das ließ sein Partner sich nicht zweimal sagen. Kräftig schlug er mit den Schwingen – diesmal sogar besonders eindrucksvoll – dann erhob er sich mit verstärkter Eleganz in die Luft. Von den Wollys erntete er dafür begeisterte Jubelschreie, die aber schon bald verklangen, als sie erst einmal weit genug oben waren. Dennoch ließ Glurak es sich nicht nehmen, eine extra Runde zu drehen, ehe er schließlich in Richtung der Kronen-Schneelande abdrehte. „Starker Auftritt~“, lobte sie Glurak. „Da nehmt ihr beiden euch nichts, was?“ Auch Delions Pokémon standen viele Jahre im Rampenlicht, also wussten sie natürlich, wie sie sich in Szene zu setzen hatten. Besonders Glurak. Wahrscheinlich würde Liberlo, sobald er sich an Delions Pokémon gewöhnt hatte, öfter mal versuchen, sie ähnlich mit seinen Tricks zu beeindrucken. Glurak dürfte eine Art Vorbild für ihn sein. „Kannst du mich wieder festhalten?“, bat Raelene Delion, wobei sie lächelnd über ihre Schulter blickte. „Sicher~“, antwortete er erfreut. Er schlang seinen Arm um ihre Taille, um sicherzugehen, dass sie nicht herunterfiel – und um sie einfach nur festzuhalten, wie sie es sich gewünscht hatte. Kaum zu glauben, dass Raelene ihn so offen darum bitten konnte, obwohl sie vorgestern noch beinahe verglüht wäre wegen dieser Nähe zu Delion. Nun fühlte es sich ganz natürlich an, bei ihm zu sein. Zwar wurde Raelene auch diesmal wieder rot, aber nur aus Freude. Außerdem konnte sie sich nun beruhigt zur Seite lehnen und sich so von oben auch nochmal die Umgebung anschauen. Ein unruhiges Gefühl blieb zwar stets bestehen, aber sie wusste, mit den beiden war sie sicher. Schon bald waren dann mehrere Minuten Flugzeit verstrichen und die Kronen-Schneelande kamen in ihr Sichtfeld. Eisige Windzüge kamen ihnen bereits entgegen. „Ich dachte mir, wir campen heute bei dem großen Baum!“, erklärte Raelene, die mit der Stimme gegen den Wind ankämpfte. „Da ist es auch für Pichu und Azurill nicht zu kalt! Und es gibt eine Menge Beeren dort!“ Hinzu kam, dass sie unbedingt ein Foto mit Delion an diesem Ort haben wollte, doch das behielt sie erst mal für sich. Der Baum war groß genug, dass man ihn schon aus weiter Entfernung sehen konnte. So eine rosafarbene Baumkrone mit weißer Spitze fiel auf. Glurak dürfte also keine Probleme haben, ihn anzusteuern. „Gute Idee!“, rief Delion zurück. „Das sieht nach einem schönen Platz aus!“ „Ist es auch~! Da gibt es jede Menge Platz für uns alle!“ Raelene war froh, dass Delion der Vorschlag gefiel. Sie war ein regelrechter Fan der Kronen-Schneelande und flüchtete immer wieder mal dorthin, wenn ihr alles zu viel wurde. Einen besseren Ort, um etwas Ruhe zu genießen, gab es nicht. Außerdem tummelten sich dort auch viele wilde Pokémon, es wurde also nie langweilig. Und es gab unglaublich viel zu entdecken. Als ihr die Höhe dann doch wieder ein bisschen zu viel wurde, lehnte sie sich zurück und rückte näher an Delion heran. „Bald kommt der Moment der Wahrheit!“ Besorgt sah Raelene nach hinten, zu Delion. „Was machen wir, wenn sich unsere Pokémon nicht vertragen?!“ Es wäre jedenfalls ein Albtraum, wenn das passieren sollte – denn dann könnten sie ihre Pokémon nie zusammen campen lassen und müssten sie immer in ihren Bällen lassen, sobald sie sich trafen. „Ich hoffe mal, dass das nicht passiert! Aber wenn doch, müssen wir uns irgendetwas überlegen!“ „Ja, du hast recht! Wir werden sicher eine Lösung finden!“ Da musste Raelene zuversichtlich sein. Eigentlich glaubte sie nicht, dass ihre Pokémon sich nicht ausstehen könnten, aber man konnte es trotzdem nie genau wissen. Kurz vor Freezedale lehnte sie sich wieder zur Seite, diesmal sogar ein kleines Stückchen weiter, um nach zwei bestimmten Personen Ausschau zu halten, aber sie konnte sie nicht entdecken. Inzwischen hingen sie mit Sicherheit auch nicht mehr so oft in dieser Gegend herum wie damals. Wann hatte sie die beiden zuletzt mal gesehen? Das war auch schon viel zu lange her. „Ich habe hier so viele lustige und interessante Dinge erlebt!“, berichtete Raelene, wobei sie ganz nostalgisch wurde. „Davon muss ich dir nach und nach unbedingt erzählen!“ „Auf jeden Fall~! Ich will alles erfahren, was du erlebt hast!“ In nächster Zeit mangelte es ihnen also schon mal nicht an Gesprächsstoff. Wobei Raelene aber auch nichts dagegen hätte, einfach schweigend seine Nähe zu genießen. Auf jeden Fall wollte sie ein paar Abenteuer zusammen mit Delion erleben. Leider waren sie dazu bisher ja nie gekommen, weil sie sich voneinander distanziert hatten. Also musste das unbedingt nachgeholt werden. Der Baum war inzwischen schon zum Greifen nahe. Jedes Mal, wenn sie ihn sah, wirkte er noch farbenfroher und schöner als vorher. Auch der dezent süßliche Duft, der in der Luft lag, verzauberte einen regelrecht. „Da wären wir~! Das ging schnell!“ „Klar, mit Glurak immer!“ Am gewünschten Ort angekommen, senkte Glurak seine Flugbahn, indem er mehrere Schleifen drehte, bis er schließlich neben dem gewaltigen Baumstamm auf dem Boden aufsetzte. „Gut gemacht, Partner“, sagte Delion zufrieden. Er kletterte als erstes hinunter, so dass er Raelene auch wieder helfen könnte abzusteigen. Dabei schien er etwas abgelenkt von dem gigantischen Dyna-Baum zu sein, den er wohl zum ersten Mal sah. Seine Faszination konnte Raelene nur zu gut verstehen, denn so war es ihr damals auch gegangen. Das satte Grün um einen herum und die klaren Gewässer taten ihr übriges dazu. Kaum stand sie mit beiden Füßen wieder auf festem Grund, bedankte sie sich bei Delion und Glurak. „Aaah~. Ist schon eine Weile her, seit ich zuletzt hier war.“ Meistens trieb sie sich eher im Schneegebiet herum, zumal das auch besser für das Training ihrer Pokémon geeignet war. Unter schwierigen Umständen trotzdem noch eine gute Leistung zu erzielen stärkte Körper und Geist ... oder so ähnlich. An diesem Ort spürte man aber rein gar nichts mehr von der Kälte, sondern es war angenehm warm. Erstaunlich, denn das Schneegebiet war gar nicht allzu weit entfernt. „Ja, hier ist es perfekt.“ Motiviert breitete Raelene die Arme aus. „Ich würde sagen, wir verlieren keine Zeit und lassen direkt alle raus~.“ Delion tätschelte gerade noch Gluraks Hals und nickte. „Gut, dann machen wir das.“ Es brauchte nur zwei Handbewegungen von ihm, um all seine Pokébälle zu ziehen und sie in die Luft zu werfen, worauf seine restlichen Pokémon freikamen. Kapitel 7: Wie wäre es mit etwas Ablenkung? ------------------------------------------- Sorgsam stellte Glurak das ganze Gepäck auf dem Boden ab, während neben ihm nach und nach der Rest von Delions Pokémon-Team erschien. Aus den rötlichen Lichtstrahlen der Pokébälle wurden Durengard, Maxax, Katapultdra, Intelleon und vor allem das kleine Pichu, das sofort ein triumphales „Chu!“ von sich gab, sichtbar. Pantifrost war nicht dabei, demnach musste Delion ihn vorerst zur Ranch gebracht haben, weil er den Platz für das Baby benötigte. Raelene holte ebenfalls ihre Pokébälle hervor, flüsterte ihnen leise etwas zu, und warf sie anschließend allesamt mit Schwung nach vorne. Zamazenta war der erste, der mit einem melodischen Heulen auf der Bildfläche erschien. Danach folgten Liberlo, Wolly, Dedenne, Feelinara und natürlich Azurill. Genau wie Delion hatte auch Raelene schweren Herzens ein Pokémon bei der Ranch abgegeben, nämlich Gorgasonn – und sie fehlte ihr bereits furchtbar. Im Vergleich zu den anderen waren Pichu und Azurill winzig. Letztere war kaum frei, da hüpfte sie auch schon vergnügt auf der Stelle herum. Neugierig drehte Azurill sich dabei im Kreis und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, weil so viele verschiedene, noch dazu voll entwickelte und starke, Pokémon zu sehen waren. Als sie dann Pichu erblickte, stieß sie ein „Rill!“ zum Gruß aus und hüpfte auf ihn zu, vermutlich um zu reden und direkt zu spielen. Pichu erwiderte ihren Gruß mit einem „Pi!“, als er Azurill erkannte und sprintete auch auf sie zu. Aber nur, um sie dann im nächsten Moment mit sich zu winken und zu Maxax zu rennen, der die beiden nur interessiert musterte. „Pi pi! Chu!“ Zur Demonstration seiner Erklärung kletterte Pichu sofort an Maxax hinauf und bedeutete Azurill anscheinend, es ihm gleichzutun. Von Maxax kam ein zustimmendes Brummen. Staunend hatte Azurill Pichu mit glänzenden Äuglein beobachtet und nach der Einladung von Maxax folgte sie seinem Beispiel furchtlos. Zwar hatte Azurill keine Arme, konnte durch ihre gezielten Sprünge und mit Hilfe ihres Schweifs trotzdem problemlos an diesem Riesen hochklettern. Oben angekommen, rief sie ihre Begeisterung in die Welt hinaus. Raelene lächelte sanft, während sie das beobachtete, riss ihren Blick jedoch von den Babys los und wandte sich dann den anderen zu. „Wir campen heute zusammen mit Delion und seinen Pokémon. Und zwar freundschaftlich, also vertragt euch gut.“ Bislang hatte sie mit ihrem Team stets Kämpfe gegen Delion ausgefochten, weshalb sie vorsichtshalber betonte, dass es diesmal nicht um so etwas ging. Feelinara nickte, mit einem treuherzigen Lächeln, bei ihr musste Raelene sich auf jeden Fall keine Sorgen machen. Die Grolldras von Katapultdra schienen auf Anhieb von Feelinaras bandförmigen Fühlern begeistert zu sein und schwirrten deshalb bereits fröhlich um sie herum, was bei Katapultdra zu einem glücklichen Lächeln führte. Feelinara wirkte auch absolut entzückt von den kleinen Grolldras und ließ sie mit ihren Bändern spielen. Liberlo dagegen hatte Glurak ins Visier genommen. In den Augen von Raelenes Partner war sofort der Funke der Rivalität entflammt und Liberlo war so energiegeladen wie immer. Unruhig hüpfte er von einem Fuß auf den anderen. Aufmerksam behielt Glurak Liberlo im Auge, ohne dabei zu auffällig zu sein. Da er wesentlich reifer und geduldiger war als Liberlo, wenn Raelene das bisher richtig eingeschätzt hatte, müssten sie sicher keinen ernsthaften Stress zwischen den beiden befürchten. Wolly und Dedenne waren beide vollkommen von dem Dyna-Baum abgelenkt und bewunderten ihn mit riesigen Augen, obwohl sie ihn nicht zum ersten Mal sahen. Intelleon stand bei ihnen und betrachtete dieses Wunder der Natur ähnlich interessiert. Es wirkte vollkommen natürlich, sie so beisammen zu sehen. Schließlich bemerkte Wolly aber, dass auch Delions Pokémon da waren und hüpfte aufgeregt auf Glurak zu, damit sie blökend um ihn herumlaufen konnte. Wolly wurde von Glurak um einiges milder betrachtet, vermutlich empfand er sie weniger als Konkurrenz. Und außerdem kannte er dieses Verhalten von Wollys bereits aus Furlongham. Durengard war der einzige, der sich nicht für die anderen Pokémon interessierte. Sein Blick galt nur Raelene, während er in Schildform schützend vor Delion schwebte. Ein wenig fühlte sie sich von diesem Blick durchbohrt. Sie erinnerte sich, wie sehr sie sich an Durengard beim Champ-Cup gegen Delion damals die Zähne ausgebissen hatte, bis sie ihn endlich besiegen konnte. Darum war ihr etwas unwohl dabei, von ihm nun so prüfend angestarrt zu werden. Delion, der von Durengard derart abgeschirmt wurde, lehnte sich weit genug zur Seite, so dass er ihr zulächeln und mit einem Zwinkern zu seinem Beschützer deuten konnte. Anscheinend wollte er ihr Mut machen und sie dazu bringen, einfach mal mit Durengard zu sprechen. Unsicher kratzte Raelene sich am Hinterkopf und beschloss, vorsichtig auf das Pokémon zuzugehen, aber einen respektvollen Abstand zu halten. „Hallo, Durengard. Es kann sein, dass wir uns jetzt öfter sehen. Nicht als Gegner.“ Damit sie kleiner als das Pokémon war, ging sie in die Hocke und lächelte freundlich. „Ich bin beruhigt, dass Delion so einen guten Beschützer hat. Danke, dass du auf ihn aufpasst~.“ Durengard stieß ein kaum hörbares Geräusch aus. Offenbar war er aber zufrieden, denn er schwebte plötzlich zu Glurak hinüber und betrachtete sich Raelenes Wolly genauer. Das Schaf-Pokémon grüßte ihn herzlich und lief nun stattdessen um Durengard herum, der sich ratlos mit ihr mit drehte. „Scheint, als hättest du ihn mit deinem Lob erst einmal überzeugt“, sagte Delion zufrieden, wobei er ihr nochmal zuzwinkerte. „Wundere dich aber nicht, wenn er dich weiter im Auge behält.“ Raelene stellte sich wieder aufrecht hin und schob dabei ihre langen Haare zurück nach hinten. Sie war sichtlich erleichtert. Bislang lief das Kennenlernen angenehm friedlich ab, so wie sie es sich erhofft hatte. Solange das so blieb, könnten alle ziemlich gute Freunde werden. „Das kann ich mir gut vorstellen. Es beruhigt mich gleichzeitig aber wirklich sehr, dass du ihn hast.“ Sie beugte ihren Oberkörper in Delions Richtung. „Also wohl besser keine Küsse vor Durengard, was?“ Sich vor allen Pokémon zu küssen wäre ohnehin irgendwie ... peinlich, aber Raelene meinte es auch eher neckend. Delion lachte amüsiert. „Ich denke, vor deinem Beschützer wären Küsse auch nicht sonderlich angesagt.“ „Meinem Beschützer?“ Nickend deutete Delion zu Zamazenta, der zwischendurch an Raelenes Seite gekommen war und sich neben sie gesetzt hatte. Das legendäre Pokémon betrachtete Delion eingehend und neigte leicht den Kopf zur Seite. In diesem Moment schien Delion ähnlichen Respekt gegenüber Zamazenta zu empfinden, wie Raelene für Durengard vorhin. Dabei wirkte Zamazenta kein bisschen feindselig oder vorsichtig. Dennoch konnte Raelene das verstehen. In Delions Herzen war Zamazenta sicher fest mit der Erinnerung an damals verknüpft, als er alleine gegen Endynalos gekämpft hatte. Zamazenta schüttelte den Kopf und brummte leise. Hoffentlich sollte das keine zustimmende Geste auf Delions Aussage sein, denn für derart groß hatte Raelene seinen Beschützerinstinkt nicht eingeschätzt. Dann stieß er auch noch ein kurzes Heulen in Richtung Delion aus, und sah anschließend Raelene bedeutsam an. Erst musste sie überlegen, was er zu sagen versuchte, aber an seinem Blick konnte sie es letztendlich doch erahnen. Genau wie damals, im Kampf gegen Endynalos. Dort hatte Zamazenta auch diese Entschlossenheit in den Augen gehabt. „Ich glaube, Zamazenta will dir dafür danken, dass du Endynalos damals so lange in Schach gehalten hast“, übersetzte Raelene für ihn. „Ohne dich wäre es auch mit seiner Hilfe wahrscheinlich zu spät gewesen.“ Dieser Dank kam merklich unerwartet für Delion, der überrascht blinzelte. Vermutlich hatte er bislang sehr gemischte Gefühle gehabt, was Zamazenta und auch Zacian betraf. Nun nachträglich so ein großes Lob zu bekommen und zu erfahren, dass er im Grunde genauso an der Rettung von Galar mitgewirkt hatte wie Hop und Raelene, zauberte Delion ein strahlendes Lächeln ins Gesicht. „Hey, kein Problem, das habe ich gern gemacht“, versicherte er. „Es ging immerhin auch um meine Heimat.“ Darauf schnaubte Zamazenta freundlich, bevor er sich spontan an Ort und Stelle hinlegte, um ein wenig zu schlafen. Das kannte Raelene schon von ihn, so verhielt er sich immer. In Wahrheit war Zamazenta aber wahrscheinlich dennoch stets aufmerksam und würde drohende Gefahr als erster von allen wahrnehmen. „Er ist eigentlich immer sehr entspannt“, meinte Raelene. „Mach dir um ihn keine Sorgen.“ Sie sah wieder zu den anderen Pokémon. Wollys Bewunderung schien nun gänzlich auf Durengard konzentriert zu sein. Feelinara hatte sich mit den Grolldras und Katapuldra zu Maxax sowie den Babys gesellt. Dedenne fraß inzwischen eine Beere, die in der Nähe auf dem Boden herumgelegen haben musste. Und weil Glurak von Wolly abgelenkt worden war, hatte Liberlo sich zum Plaudern zu Intelleon gestellt und zeigte diesem mit Eifer seine neuesten Tricks. „Sieht richtig gut aus~. Unsere Pokémon sind eben genauso charmant wie wir.“ Raelene lachte über ihre eigenen Worte. Normalerweise lobte sie sich mit solchen Aussagen nur ungern selbst, aber in Gegenwart von Delion kam es ihr so leicht über ihre Lippen. Wenn ihre PR-Agenten sie so sehen könnten, würden sie wohl ihren eigenen Augen nicht trauen. Delion verschränkte die Arme vor der Brust und nickte zufrieden. „Ja, sie spüren eben den Champ-Geist in den jeweils anderen Pokémon! Und möglicherweise hat es was damit zu tun, dass wir zwei schon so friedlich miteinander sind.“ Anhand seiner Betonung meinte er sicher eher verliebt. An seinen Worten war etwas Wahres dran. Ihre Pokémon waren schon so lange bei ihnen – abgesehen von den Babys – dass sie genau spüren mussten, was sie für den jeweils anderen empfanden und das vermutlich in ihr Verhalten einfließen ließen. „Ich bin froh, dass es so gut gelaufen ist“, fügte Delion hinzu. Gerade, als Raelene ihm zustimmen wollte, schrie Dedenne aus heiterem Himmel auf und rannte, bitterlich weinend, zu Feelinara. Anscheinend hatten zwei wilde Raffel dem Kleinen seine Beere weggenommen und deswegen war er nun traurig. Zamazenta öffnete die Augen und hob kurz den Kopf, senkte ihn aber wieder, als er keinerlei Gefahr ausmachen konnte. Auch Raelene wusste, dass sie noch nicht eingreifen musste, beobachtete das Ganze jedoch weiter. Während Dedenne sich schutzsuchend an Maxax klammerte, ohne diesen überhaupt zu kennen, ging Feelinara zu den Raffel hinüber und redete freundlich mit ihnen. Die Eichhörnchen-Pokémon wurden etwas verlegen, entschuldigten sich und gaben ihr die Beere zurück, bevor sie sich eine andere in der Nähe des Baumes suchten. Mit dieser Beere ging Feelinara zurück, um sie Dedenne wiederzugeben ... aber plötzlich stürzte sich Azurill von oben herunter und schnappte sich das Essen lachend. Erneut fing Dedenne an zu weinen, noch heftiger als vorher. „Oh-oh.“ Jetzt musste Raelene doch eingreifen – Azurill war eben noch neu im Team und musste lernen, wie die Harmonie unter diesen neuen Pokémon funktionierte. „Ich muss eben schnell den Streit schlichten.“ „Ja, das wäre wohl besser“, entgegnete Delion verstehend. Maxax gab sich schon besonders viel Mühe, Dedenne zu trösten, was von Pichu mit einem fragenden Blick quittiert wurde. Offensichtlich verstand das Baby nicht so recht, was eigentlich das Problem war. Sogar eines der Grolldras ließ von Feelinaras Fühlern ab, um nachzusehen, was mit Dedenne los war. Das andere Grolldra blieb zurück und gab sich nun selbst als eines der Bänder aus. Hastig eilte Raelene zu den Pokémon, um ihnen zu helfen – und Azurill somit die erste wichtige Lektion beizubringen, sobald sich alle beruhigt hatten. Sie kniete sich neben Dedenne ins Gras, redete ihm gut zu und tätschelte ihn behutsam. Das erforderte mehr Einfühlungsvermögen, als gedacht, weshalb sie sich voll und ganz auf ihr Pokémon konzentrierte. Selbst nachdem Azurill sich aufrichtig bei Dedenne entschuldigte, wollte er sich nicht so richtig beruhigen. Nach einer Weile kam ihnen dann Pichu zu Hilfe und klammerte sich an Dedenne fest, bevor er dessen Wangen an seine rieb und ihm einen kleinen elektrischen Schock verpasste. Ein überraschtes Quieken folgte, gefolgt von einer Erkenntnis, die Dedennes Augen zum Leuchten brachten. Auf einmal schien er seine Trauer von eben gänzlich vergessen zu haben und plauderte munter drauflos, den Blick fest auf Pichu fixiert. Schmunzelnd schüttelte Raelene den Kopf. „Ach so, jetzt ist dir die Beere auf einmal nicht mehr so wichtig, hm?“ Vorsichtshalber ging sie trotzdem zu ihrem Rucksack und holte einige weitere Beeren hervor, die sie gerecht unter den Pokémon verteilte, so dass es zu keinem weiteren Streit mehr käme. Danach redete Raelene streng, auch wenn es ihr schwerfiel, mit Azurill und erklärte ihr, dass sie anderen nicht einfach etwas wegnehmen durfte. Nachdem danach jeder wieder entspannt und zufrieden wirkte, vor allem Dedenne, der in Pichu so eine Art Elektro-Kumpel zu sehen schien, konnte Raelene sie in Ruhe weitermachen lassen und wandte sich Delion zu. Dadurch bekam sie gerade noch mit, dass Zamazenta neben ihm Platz genommen hatte und soeben aufstand, um wachsam in der Gegend zu patrouillieren. Als wollte Zamazenta sofort bereit sein, falls sich eine Bedrohung näherte. Sein ungewöhnliches Verhalten bereitete Raelene sogleich Sorgen, weshalb sie Delion fragend ansah, kaum dass sie wieder vor ihm stand. „Ist etwas passiert?“ Zamazenta jaulte ihr nur kurz zu und konzentrierte sich weiter auf die Umgebung. Wie seltsam … und Delion schwieg anfangs, die Stirn in Falten gelegt. Worüber dachte er gerade nach? Was ihn auch beschäftigen mochte, er schien sich für etwas Bestimmtes entschieden zu haben und seufzte. „Ich glaube, Zamazenta spürt irgendeine Bedrohung“, erklärte Delion. „Vielleicht irgendwas mit Endynalos.“ Das beunruhigte Raelene sehr. Galar war an sich friedlich, daher konnte Zamazenta wenn, dann nur aus diesem Grund Gefahr wittern. Auch wenn sie Endynalos schon mal bezwungen hatten, sollte ein weiterer Ausbruch unbedingt vermieden werden. Vielleicht hätten sie nämlich nicht nochmal so viel Glück wie letztes Mal. Vielleicht … „Ich ruf mal Hop an“, beschloss sie kurzerhand, und zog ihr Handy aus der Hosentasche hervor. „Vielleicht weiß er, was der Besuch von Professor Magnolica inzwischen ergeben hat.“ Sollte es ernsthafte Probleme geben, hätte ihnen bestimmt längst jemand Bescheid gesagt. Es konnte aber nicht schaden, trotzdem mal nachzuhaken ... vor allem danach, ob Zacian auch so unruhig war wie Zacian. Manchmal schien Delion zu vergessen, dass Hop fast immer bei Sania war, denn von ihm kam ein Laut, der verdeutlichte, sich soeben daran zu entsinnen. „Das wäre wohl besser, nur um sicherzugehen.“ Raelene nickte und wählte Hops Nummer aus ihren Kontakten. Sie betete dafür, dass es keine Probleme gab. Nicht mal klitzekleine ... ihre innere Unruhe sorgte dafür, dass sie angespannt war, während sie darauf wartete, dass Hop den Anruf entgegen nahm. Ausgerechnet an diesem Tag, so kurz nachdem sie endlich ein Paar geworden waren, hatte doch alles perfekt werden sollen. Sogar das Wetter spielte mit und beglückte sie mit Sonnenschein und einem hellblauen Himmel, ähnlich wie bei ihrem Besuch im Hort. „Wenigstens gibt es einen positiven Bericht“, erzählte Raelene, weiterhin wartend. „Azurill hat sich entschuldigt und Dedenne hat bemerkt, dass Pichu auch eine Elektromaus ist. Jetzt versucht er, sein bester Freund zu werden.“ Tatsächlich redete Dedenne im Hintergrund nach wie vor begeistert mit Pichu und war auch auf Maxax hochgeklettert. Delion lenkte seinen Blick zu ihnen und lächelte, während er die Pokémon betrachtete. Besonders Maxax wirkte überaus glücklich darüber, dass jetzt schon mehrere kleine Pokémon ihn mochten und dass es keinen Streit mehr gab. Schließlich nahm Hop endlich ab und seine vertraute Stimme drang in ihr Ohr: „Hey, was gibt es, Raelene? Ich dachte, du wärst beschäftigt.“ Irritiert hielt sie kurz inne, bis ihr bewusst wurde, dass Delion seinem Bruder von ihrer Verabredung erzählt haben musste. Das war wirklich süß von ihm. „Bin ich eigentlich auch“, bestätigte Raelene verlegen, räusperte sich aber sofort. In knappen Worten berichtete sie Hop davon, wie unruhig Zamazenta war und dass Delion und sie nun befürchteten, es könnte Probleme mit Endynalos geben. „Wisst ihr denn schon, was Professor Magnolicas Besuch in der Einrichtung ergeben hat?“ „Nicht wirklich“, sagte Hop, hörbar verwundert über diese Frage. „Professor Magnolica bleibt länger als geplant dort, aber was auch immer das Problem ist, es soll wohl regelbar sein, nichts Schlimmes. Details will sie uns aber erst geben, wenn sie zurück ist.“ Nachdenklich griff Raelene sich mit der freien Hand ans Kinn und warf wieder einen Blick zu Zamazenta. Er lief wachsam umher, aber schlug keinen Alarm. Wenn es nur etwas Kleines war, arbeitete man wahrscheinlich gerade daran und das war es, was Zamazenta bemerkte. In dem Fall müssten sie sich wohl keine Sorgen machen. „Okay, dann bin ich beruhigt. Behalte aber mal Zacian im Blick, damit du auch schnell reagieren kannst, falls doch etwas passiert.“ Sie müsste ihn nicht darum bitten, dass er sich bei ihr meldete, wenn es doch größere Probleme gäbe. Das würden Hop und Sania von selbst tun, also musste sie sich auch diesbezüglich keine Gedanken machen. Hop reagierte nicht sofort, sondern schwieg kurz, vermutlich weil er gerade aus Neugier selbst prüfend einen Blick auf Zacian warf, der sich bei ihm im Labor von Brassbury befand. Allerdings sagte er nichts davon, dass er sich ebenfalls seltsam benahm, also war das bei Zamazenta womöglich doch etwas anderes und hatte nicht zwingend etwas mit Endynalos zu tun. Vielleicht lag es daran, mit so vielen verschiedenen Pokémon auf einmal am selben Ort zu sein. „Klar, mache ich. Amüsiert euch so lange.“ Verlegen trat Raelene einen Schritt zur Seite, weg von Delion, und redete leise weiter: „Wie viel hat Delion dir erzählt?“ Warum sie das fragte, wusste sie selbst nicht wirklich. Eventuell wollte sie es einfach nur hören, dass Delion direkt seinem kleinen Bruder von ihrer Beziehung erzählt hatte, weil sie das unbeschreiblich freute. Zwar hatte Delion schon angemerkt, kein Geheimnis daraus zu machen, aber es war doch etwas anderes, es auch auf die Art mitzubekommen. „Na, er hat mir erzählt, das Picknick wäre schön gewesen“, erwiderte Hop, auffallend zögerlich – verständlich, es war eine seltsame Frage und für ihn wahrscheinlich unangenehm zu beantworten. „Ihr habt euch dort ausgesprochen und danach wärt ihr zusammengekommen. Und dann hat er mir ganz aufgeregt erzählt, dass ihr heute zum Camping gehen wollt, mit euren Pokémon zusammen.“ Diese Antwort ließ Raelene verliebt lächeln. Dass Delion sich gefreut hatte, war ihr vorher schon klar gewesen, doch es machte sie erneut ziemlich glücklich. Bestimmt kam sie wie ein kleines Mädchen rüber, das auf Wolke Sieben schwebte und sich deshalb etwas peinlich benahm, aber das war ihr sogar egal. „Entschuldige, falls die Frage komisch war“, sagte sie schmunzelnd. „Ich wollte es nur mal hören~. Wir sprechen uns dann bald wieder, hab du auch einen schönen Tag.“ Hoffentlich konnten sie den alle ohne irgendwelche Katastrophen erleben, aber sie sollte nicht wieder anfangen so negativ zu sein. Zamazenta und Zacian waren feinfühlig, im Ernstfall würden sie schnell Alarm schlagen. Also war alles gut. Nach einem weiteren Wort des Abschieds beendete Hop das Telefonat und Raelene konnte sich wieder ihren Liebsten zuwenden. Während sie beschäftigt gewesen war, hatte Delion es übernommen, die Pokémon im Auge zu behalten. Alle waren äußerst friedlich, vor allem Maxax, der sich weiterhin über die kleinen Babys freute. Sogar Katapultdra schwebte inzwischen um Maxax herum, um sich die die Kleinen und Dedenne näher anzusehen. Hauptsächlich hing Delions Blick aber an Zamazenta, als wolle er es direkt mitbekommen, sollte er doch noch irgendetwas Außergewöhnliches bemerken. Unter Umständen müsste Raelene als Champ dann immerhin los und das beschäftigte ihn sicher. Solche Sorgen hätten diesen Tag nie trüben dürfen. Darum schlang Raelene von hinten tröstend ihre Arme um ihn, als sie dicht genug bei ihm stand. Dabei berichtete sie ihm, was Hop erzählt hatte, über Endynalos und Professor Magnolica. Delion legte seine Hände auf Raelenes Arme und strich vorsichtig darüber, während er ihr aufmerksam zuhörte. „Es ist also gut, das regelt sich bestimmt schnell von allein“, beruhigte sie ihn. „Wie wäre es mit etwas Ablenkung? Wir könnten mit unseren Pokémon spielen. Ich habe Bälle dabei~.“ Bei dem Wort Bälle wurde Liberlo sofort mehr als hellhörig. Aufgedreht winkte er Intelleon mit sich und stürmte zu Delion und Raelene, wo er einsatzbereit von einem Fuß auf den anderen hüpfte. Intelleon folgte Liberlo ein wenig langsamer und eleganter, wirkte aber auch aufgeregt. Alle Pokémon schienen von Bällen fasziniert zu sein. Delion schien der Vorschlag auch zu gefallen. „Sie stehen schon bereit, also sollten wir sie lieber nicht warten lassen.“ „Gut, dann sollten wir sie auch nicht enttäuschen~. Ich hab an Völkerball gedacht.“ Ein Spiel, das ihr mal von einem Pokémon-Trainer aus einer anderen Region beigebracht worden war. Online, wohlgemerkt, als sie sich aus Interesse über unterschiedliche Ballspiele erkundigt hatte, die man mit seinen Pokémon spielen könnte. Dafür wären sie jedenfalls genug, selbst wenn nicht jeder mitmachen wollen würde. Zamazenta war beispielsweise in der Regel nicht sehr interessiert an solchen Spielen, noch dazu war er gerade abgelenkt. Zusammen mit Delions Pokémon und ihnen beiden selbst als Mitspieler, könnte das aber sehr lustig werden. Vor allem fördernd. Es wäre gleichzeitig eine Art kleines Training. „Wie sieht es aus? Habt ihr Lust Teams zu bilden?“, fragte Raelene die Pokémon. Dedenne klammerte sich direkt an Pichu fest und teilte seine feste Entscheidung mit einem „Denne, denne!“ mit. Liberlo nickte Intelleon entschlossen zu, als Einladung, ein Team mit ihm zu bilden. Feelinara hatte wohl keinen Liebling, sondern mochte alle gleich gern, weshalb sie geduldig lächelnd wartete, bis sich die anderen eingeteilt hatten. Azurill konnte sich nicht so recht entscheiden und hüpfte zwischen mehreren Pokémon hin und her. Maxax entschied sich sofort dafür, mit Pichu und Dedenne in einem Team zu sein. Intelleon erwiderte derweil Liberlos Nicken, also wären die beiden auf jeden Fall verbündet. Glurak brummte Wolly an, als wolle er sie fragen, in welches Team sie ginge. Es wirkte, als wollte Glurak zwar mit ihr eine Gruppe bilden, aber nicht mit Liberlo. Vielleicht mochte er diese Rivalität mit diesem ja doch ganz gerne. Katapultdra schloss sich derweil Feelinara an, darauf wartend, dass die anderen sich aufgeteilt hatten. Es dauerte eine kleine Weile, aber schließlich hatten sie zwei Teams. Das erste bestand aus Glurak, Wolly, Durengard, Maxax, Pichu und Dedenne, das andere aus Liberlo, Intelleon, Katapuldra, Feelinara und Azurill. Sie hatten keine gerade Zahl, aber das war nicht so schlimm. Immerhin ging es hierbei in erster Linie um den Spaß ... und bei Liberlo um die Rivalität mit Glurak. Während die Pokémon sich zu Teams zusammengeschlossen hatten, war sie damit beschäftigt gewesen, das Spielfeld mit Hilfe von Steinen anzudeuten und die Bälle herauszuholen. Einen kleineren, der wie eine Glocke aussah und auch so klang, und einen größeren, auf dem ein Schallquapp abgebildet war. „Dann bin ich in Team-Liberlo~“, beschloss Raelene. „Ich schließe mich mal Team-Glurak an.“ Motiviert boxte Delion seinem Glurak freundschaftlich gegen die Schulter und grinste siegessicher. „Auch wenn das Team vermutlich nicht viele Probleme haben wird.“ „Noch~. Wart's nur ab, das wird actionreich!“ „Ich kann es kaum erwarten~.“ Ob Delion als Liga-Präsident dazu kam, mit seinen Pokémon zwischendurch auch noch zu spielen? Falls nicht, dürfte ihm das eine Menge Spaß machen. Genau wie es sein sollte. Raelene nahm sich noch einen Moment Zeit, um den Pokémon, besonders den Babys, die Regeln zu erklären. Sie bräuchten sicher einige Anläufe, bis alles glatt lief, aber da war sie zuversichtlich. Dann könnten sie auch mal verschiedene Varianten ausprobieren, zum Beispiel Königsvölkerball. Delion wäre der geheime König. Rasch schüttelte sie den Gedanken ab und konzentrierte sich. „Okay, ich werfe in die Mitte. Der Ball ist heiß, sobald er zum ersten Mal berührt wird. Bereit? Dann los!“ Wie angekündigt warf sie den Ball in die Mitte, so hoch wie möglich. Azurill sprang von ihrem Team zuerst auf ihn zu, sie flog regelrecht durch die Luft, und versuchte ihn mit dem Bauch zu den Gegnern zu schleudern. Das Spiel hatte somit begonnen! Kapitel 8: Bitteschön, mein Schatz ---------------------------------- Geschwind kletterte Pichu an Maxax' Hörnern hinauf und sprang von dort nach oben. Er streckte seine Ärmchen aus, doch statt mit seinen Pfoten traf er den Ball mit seinen Ohren. Das genügte allerdings, um ihn geradewegs in Richtung von Raelenes Team zu schleudern. Liberlo fing den Ball aber spielend dank seiner ausgefeilten Beinarbeit auf und steckte ihn, glücklicherweise, nicht in Brand, als er ihn anschließend gezielt Glurak entgegen schmetterte. Glurak drehte den Körper ein wenig zur Seite. Mit seinem Schweif wehrte er den Ball ab, woraufhin Intelleon ihn diesmal mit seinen Händen auffing. Ohne zu zögern zielte er auf Maxax sowie Dedenne und warf. Da Dedenne noch immer damit beschäftigt war Pichu zu bewundern, sah er den Ball nicht kommen und wurde frontal getroffen. Rückwärts kullerte er von Maxax' Rücken. Wolly stürmte nun vor und beförderte den Ball mit einer Kopfnuss wieder auf die andere Seite des Spielfeldes. Azurill, die noch freudig herumhüpfte, weil ihr der Erstschlag gelungen war, wurde somit ebenfalls getroffen. „Nicht schlimm, hilf uns vom Rand aus~“, ermutigte Raelene sie. Erschrocken schüttelte Azurill sich, stimmte aber sofort gut gelaunt zu und stellte sich an den Rand. Raelene nahm den Ball auf und grinste Delion kämpferisch zu. „Achtung! Ballwurf-Attacke!“ Mit Schwung warf sie den Ball auf Delion, doch Durengard stellte sich blitzschnell schützend vor ihn. Dadurch wurde dieser zwar getroffen und musste nun ebenfalls vom Rand aus weitermachen, aber dafür konnte Delion das Angriffsprojektil problemlos auffangen. Statt in Raelenes Richtung zurückzuwerfen, wählte er Intelleon als Ziel und warf erstaunlich kraftvoll – den Pokémon machte er ernsthafte Konkurrenz, was das Thema Stärke betraf. Zwar versuchte Intelleon sich erneut im Fangen, aber diesmal war offenbar zu viel Schwung und Kraft dahinter, weswegen er ausschied, als ihm der Ball aus den Händen glitt. So ging dieser Schlagabtausch immer weiter, lange Zeit ohne dass ein Ende in Sicht war. Den ersten Sieg erlangte letztendlich Delions Team, weil Liberlo manchmal etwas zu sehr damit beschäftigt war eine Show aus diesem Spiel zu machen. Alle schienen aber Spaß zu haben, was Raelene sehr glücklich stimmte. Außerdem tat die Bewegung auch ihr richtig gut. Also spielten sie noch zwei weitere Runden, dann entschieden sie, dass eine Pause nötig war, vor allem für die Babys. Obwohl die Kleinen gut durchgehalten hatten, waren sie in der dritten Runde vor Müdigkeit sehr abwesend gewesen. Dedenne, Azurill und Wolly beschlossen, sich für ein Nickerchen an Maxax zu schmiegen, Feelinara blieb bei Katapuldra. Liberlo dagegen steckte nach wie vor voller Energie und rannte daher einige Runden um den Baum herum. Erfüllt stieß Raelene ein Seufzen aus und wischte sich mit dem Handrücken den leichten Schweißfilm von der Stirn. „Das hat Spaß gemacht~. Du bist genauso fit wie deine Pokémon.“ Anscheinend hatte es für Delion nicht mal gereicht, um ansatzweise ins Schwitzen zu geraten. Beinahe etwas schade, doch sie schüttelte diesen Gedanken schnell wieder ab. Stolz präsentierte Delion seine Armmuskeln. „Na klar, ich trainiere genauso hart wie meine Pokémon. Das ist für mich selbstverständlich.“ Er lächelte sie an. „Du hast dich aber auch gut geschlagen. Ich wusste gar nicht, dass du so flink sein kannst.“ Wenn Delion das sagte, musste es wohl stimmen. Wahrscheinlich lag es daran, dass sie von Liberlo regelmäßig zu Wettrennen herausgefordert wurde. Manchmal saß sie dabei auch auf ihrem Rotom-Rad, jedoch blieb es jedes Mal ein gutes Training für die Kondition. Dafür war Delion ziemlich stark, fast so wie Glurak. Sicher hatte er sich beim Werfen hin und wieder sogar noch zurückgehalten. „Ich muss meinen Pokémon doch zeigen, wie man anständig ausweicht~“, meinte Raelene amüsiert. Sie trat näher an Delion heran und tippte kurz gegen seine Armmuskeln, was ihr einen respektvollen Laut entlockte. Sicher, Delion sah schon sehr sportlich aus, aber es war doch etwas anderes, wenn man es auch richtig erlebte. „Und was muss man tun, um dich mal ins Schwitzen zu bringen?“ Plötzlich schoss ihm die Hitze ins Gesicht und er rieb sich verlegen den Hinterkopf. „Also ...“, zögerte er. „Das weiß ich auch nicht so genau.“ Schließlich schmunzelte er, was seine Verlegenheit in den Hintergrund rücken ließ. „Vielleicht finden wir es ja irgendwann raus.“ Raelene blinzelte ratlos und fragte sich, ob sie zusammen wirklich irgendwann darauf eine Antwort finden könnten. Vielleicht müsste sie sich noch mehr Spiele einfallen lassen oder mal beobachten, wie er trainierte. Sie nickte entschlossen, mehr für sich selbst. „In Ordnung. Wir haben ja ab jetzt viel Zeit dafür.“ Summend hob sie den kleinen Glockenball auf und wiegte ihn zwischen ihren Händen hin und her. „Hast du eigentlich spezielle Vorlieben für ein Curry? Oder deine Pokémon?“ Delion neigte den Kopf. „Oh, mir ist das ziemlich egal. Meistens ist Essen für mich ohnehin Zeitverschwendung. Und meine Pokémon freuen sich wahrscheinlich schon, wenn sie mal vernünftiges Curry bekommen.“ Es passte zu ihm, dass für ihn Essen keine so große Sache war. Demnach mussten die Grillfeste für ihn so reizvoll sein, weil sich an diesen Tagen seine Familie und Freunde zusammenfanden. Zum Glück hatte sie nie versucht mit Kochkünsten sein Herz zu erobern, denn damit hätte sie wohl nichts bei ihm erreicht. „Dann kümmere ich mich heute um das Curry“, schlug Raelene vor. „Ich bin zwar auch kein Meister, aber geübt genug, dass es schmeckt.“ Eventuell sollte sie aber eher ein mildes Curry wählen, ein zu scharfes war sicher nicht gut für Pichu und Azurill. „Okay, dann kümmere ich mich um das Feuer. Darin bin ich gut.“ „Dann steht die Arbeitsverteilung schon mal~.“ Liberlo neigte ohnehin dazu, es mit dem Feuer manchmal ein bisschen zu übertreiben. Vor allem wenn Raelene ihm nicht genügend Möglichkeiten geben konnte, sich auszutoben. Im Moment lief er zwar seine Runden, aber das wäre immer noch nicht genug. Hätte sie ihr Rotom-Rad dabei, würde sie mit ihm noch eine Fahrt durch die Gegend machen. „Geht klar~“, sagte Delion, sichtlich erfreut. Sein Glurak hatte sich inzwischen hingelegt, also lag es nun wirklich allein an Delion, ein Feuer zustande zu bringen. Überaus motiviert machte er sich auch sofort an die Arbeit, sammelte Holz und stapelte es für ein Lagerfeuer, über das später der Kessel für das Curry käme. Mittels eines Fächers machte er sich konzentriert daran, die kleine Glut anzufachen. Raelene musste sich davon abhalten, Delion nicht einfach nur tatenlos zu beobachten. In Momenten wie diesen kam ihr die Nähe zu ihm immer noch unwirklich vor, eben wie ein langer, schöner Traum. Sie wollte aber keinesfalls nur herumstehen. Die Pokémon hatten schließlich Hunger. Also bereitete sie den Kessel vor und holte alles nötige für das Essen aus ihrem Rucksack. Feelinara setzte sich, wie gewohnt, zu ihr, und bat Katapuldra und die Grolldras darum, ihr Gesellschaft zu leisten. Damit Dedenne nicht einfach heimlich etwas von den Beeren klauen konnte, bevor das Essen fertig war, wachte Feelinara stets geduldig an Raelenes Seite, während sie kochte. Summend fing Raelene mit der Zubereitung des Currys an, der Kessel hing bereits über dem Feuer, um das Delion sich kümmerte. Bei seiner Technik dauerte es nicht lange, bis das Feuer endlich in genau der richtigen Intensität brannte. Er betrachtete es noch eine Weile, als wolle er sichergehen, dass es nicht nur ein Aufflackern gewesen war. Als er zufrieden war, stand er nickend wieder auf. „Ich bin fertig“, sagte er in Raelenes Richtung. „Wie sieht es bei dir aus?“ „Läuft super!“, antwortete sie enthusiastisch. „Nur noch ein paar Minütchen, dann können wir schon essen. Dafür liebe ich Curry ja, es ist so schnell fertig.“ Sich stundenlang nur mit kochen zu beschäftigen wäre auch für sie Zeitverschwendung. Das würde sie nur auf sich nehmen, um ihren Pokémon etwas besonders Gutes zuzubereiten ... oder für Delion, aber da er es nicht so mit essen hatte, fiel das weg. „Sehr gut~.“ Einen kurzen Augenblick war Delion nun derjenige, der Raelene schweigend beobachtete, äußerst zufrieden. Ob ihm der Tag mit ihr und den Pokémon gefiel? Bislang hatte es glücklicherweise keine Probleme gegeben, abgesehen von einer einzigen Kleinigkeit. Beinahe als hätten sie denselben Gedanken, sah Delion auf einmal unruhig zu Zamazenta hinüber. Der hatte sich mittlerweile zumindest hingesetzt und wirkte um einiges entspannter als vorher. Trotzdem behielt Zamazenta noch wachsam die Umgebung im Auge. Als er Delions Blick auf sich spürte, drehte er den Kopf in seine und Raelenes Richtung. Mit einem Schnauben versuchte er mitzuteilen, dass alles in Ordnung war. Gut, sie konnten beruhigt sein. Kein Grund zur Sorge. So ähnlich schien auch Delion zu denken, denn nachdem er selbst Zamazenta zugenickt hatte, schenkte er seine Aufmerksamkeit wieder voll und ganz Raelene, weshalb sie die Gelegenheit sogleich nutzte. „Willst du mal vorkosten?“, bot sie ihm an. „Oh, klar~.“ Das stimmte Raelene glücklich. Sie nahm einen großen Löffel zur Hand, füllte ihn ein wenig mit Curry und pustete, damit es nicht mehr so heiß war. Dann hielt sie ihn in Delions Richtung ... und erst da bemerkte sie, dass sie so tat, als würde sie eines ihrer Pokémon füttern. Aber Delion war ein erwachsener Mann. „Äh, ich wollte nicht, ich meine ...“, stammelte sie, und wurde ein wenig rot. „Das war die Gewohnheit. Du kannst den Löffel natürlich selbst nehmen.“ Fragend neigte Delion den Kopf ein wenig, als wäre ihm nicht mal aufgefallen, dass sie gerade etwas tat, was bei manchen als unangenehm eingestuft werden könnte. „Das ist schon okay“, versicherte er lächelnd. Anschließend kostete er das Curry wirklich. „Mhm, das ist lecker~.“ Ihr Herz machte einen Hüpfer vor Freude. Nicht nur, weil Delion tatsächlich probiert hatte, während sie den Löffel noch festhielt, sondern weil es ihm sogar schmeckte. Raelene ballte die freie Hand zur Faust und vollführte eine kurze Pumpbewegung, als hätte sie einen Kampf gewonnen. „Dann ist es perfekt!“ Erleichtert strahlte sie ihn an. „Normalerweise esse ich gerne scharf, aber ich hab es heute so gekocht, dass alle davon essen können.“ „Ah, prima. Die Baby-Pokémon sind scharfes Essen sicher auch nicht gewohnt.“ Er lehnte sich mit dem Oberkörper ein wenig näher zu ihr und betrachtete sie eingehend. „Ehrlich gesagt habe ich ja gedacht, du bist eher für Süßes zu haben. Dass du gern scharf isst, überrascht mich.“ Während sie sprachen, rührte Raelene weiter das Curry um, schön gleichmäßig und nicht zu schnell. „Es kann nicht scharf genug für mich sein. Einmal liefen mir sogar Tränen über das Gesicht, was meine Pokémon sehr erschrocken hat. Sie dachten, ich wäre plötzlich furchtbar traurig, dabei hat es mir echt geschmeckt.“ Inzwischen konnte sie darüber lachen, aber damals hatte ihr das sehr leid getan. Es gefiel ihr nicht, wenn sich andere um sie sorgen mussten. Besonders ihren Pokémon wollte sie das ersparen, erst recht nach einigen schweren Phasen zur Anfangszeit ihrer Karriere als Champ … „Aber wieso dachtest du eigentlich, ich wäre eher der süße Typ?“ „Na ja ...“ Ein wenig hilflos gestikulierte er mit den Händen. „Weil du einfach so süß bist.“ Kaum hatte Delion das gesagt, wirkte er derart verlegen, dass er wohl am liebsten mit Hilfe der Attacke Schaufler das Weite gesucht hätte. Raelene hielt beim Rühren inne und sah ihn mit großen Augen an. Sie war also ... süß? Das hatte sie nicht erwartet, aber seltsamerweise freute sie sich darüber. Weil es Delion war, der sie süß fand. Nun lächelte sie selbst verlegen und rührte schnell weiter, bevor das Curry doch noch anbrannte. Obgleich es sich auf eine Art bereits natürlich und richtig anfühlte, mit ihm und seinen Pokémon Zeit zu verbringen, waren sie dennoch frisch zusammen. Nicht mal seit einer Woche. Manchmal kam es ihr sogar doch noch wie ein Traum vor. Solche Unterhaltungen dürfte sie beide also noch eine Weile jedes Mal in Verlegenheit bringen. „Ich würde dich jetzt am liebsten küssen~“, murmelte sie verträumt. Auch Delion konnte die Verlegenheit noch nicht abschütteln. „Das können wir ja später nachholen.“ Nun, mit etwas Glück wären die Pokémon nach dem Essen wieder abgelenkt, dann würden sie sich auch nicht unter all den neugierigen Blicken küssen müssen. Alleine die Vorstellung trieb ihr einen Rotschimmer ins Gesicht. „Wir können dann jetzt auch anfangen das Essen zu verteilen“, kündigte Raelene an. Feelinara rief bereits nach Maxax, dieser brummte etwas in Richtung der Babys, Dedenne und Wolly, damit sie aufwachten. Zumindest Pichu musste auch schon etwas gerochen haben, denn er blinzelte und gähnte bereits. Intelleon, der bislang in dem Wassergraben um den Baum herum geschwommen war, kletterte auch wieder nach oben. In einiger Entfernung der Versammelten schüttelte er sich, um den Großteil des Wasser loszuwerden, erst dann kam er mit eleganten Schritten herüber. Glurak streckte sich ausgiebig, ehe er ebenfalls zum Kessel hinüber wanderte. Liberlo hielt gerade rechtzeitig an und streckte sich ausgiebig nach seinem Sprint, ehe er sich an den anderen ein Beispiel nahm. Meistens kamen die Pokémon immer so von alleine zusammen, wenn sie merkten, dass es was zu essen gab. Daher war es oft gar nicht nötig, sie erst zusammenzutrommeln. Raelene füllte eine erste Portion in einen großen Napf ab und reichte ihn Delion. „Kannst du das bitte schon mal Zamazenta bringen? Er will wahrscheinlich lieber dort hinten bleiben, weil er von dort den besten Blick auf alles hat.“ „Klar doch“, sagte Delion, während er ihr den Napf abnahm. „Bin gleich wieder da.“ Während er das Essen zu Zamazenta brachte, verteilte Raelene derweil weitere Portionen vom Curry an die anderen Pokémon. Die gute Stimmung war regelrecht greifbar und beruhigend. Jeder schien ordentlich Hunger zu haben, weshalb sie froh darüber war, stets mehr als nötig zu kochen. Da diesmal ganze zwölf Pokémon satt werden mussten, hoffte sie, dass die Menge wirklich für alle reichte. Notfalls würde sie einfach noch einmal mit dem Kochen anfangen. Schließlich kehrte Delion zu Raelene und den anderen zurück, um sich seine eigene Portion abzuholen. So bekam er mit, dass Pichu gerade interessiert an seinem Curry schnupperte. Bestimmt war es das erste Mal, dass er so etwas kostete. Maxax zeigte ihm, dass es sicher war, indem er direkt zu fressen begann – er ging so liebevoll und fürsorglich mit den Babys um, Raelene war richtig gerührt, immer noch. Genau wie Delion gesagt hatte, schien er Pichu adoptiert zu haben. Also überließ sie es weiter ihm, den Kleinen zu zeigen, dass man es essen konnte. Zumindest Azurill ahmte Maxax direkt nach und fing an zu essen. Sie wackelte aufgeregt mit den Füßchen, als sie bemerkte, wie gut es schmeckte. Als alle Pokémon versorgt waren, füllte sie eine Portion für Delion auf einen Teller und reichte ihm diesen lächelnd. „Bitteschön, mein Schatz~.“ Sie hatte es gesagt! Das wollte sie immer schon mal tun, nun hatte sie sich endlich getraut. Delion, der gerade nach seiner Schüssel hatte greifen wollen, stockte mitten in der Bewegung und sah sie überrumpelt an. Hätte sie ihn vorwarnen sollen? Fand er es nicht so gut, mit solchen Kosenamen angesprochen zu werden? Nachdem er Raelene als süß bezeichnet hatte, dachte sie, solche Dinge wären für ihn in Ordnung. Als sie sein erhitztes Gesicht sah, wurde ihr jedoch schnell klar, dass bei ihm nur die Verlegenheit zugeschlagen hatte. Schon wieder. Schließlich nahm er seine Portion entgegen. „D-danke.“ Delions Verlegenheit ging auch auf Raelene über, aber es war ein positives Gefühl. Sie hätte niemals gedacht, dass sie ihn mal derart aus dem Konzept bringen könnte. Irgendwann müsste sie ihn mal fragen, was genau er an ihr liebte. Im Moment war sie aber einfach zu glücklich. Zu guter Letzt versorgte Raelene sich ebenfalls mit einer Portion Curry und nahm zwischen den Pokémon, neben Delion, Platz. Schöner ging es gar nicht mehr. „Guten Appetit~.“ Die Pokémon von Delion stießen ein Brummen als Antwort aus. Lediglich Pichu gab ein fröhlich „Chu!“ von sich, das Gesicht bereits mit Curry verschmiert. Offensichtlich schmeckt es ihnen allen gut. „Danke für die Mahlzeit~“, erwiderte Delion. Er nahm den ersten Löffel vom Curry zu sich und nickte begeistert. „Es schmeckt wirklich gut.“ Wenn er das nochmal unbedingt festhalten wollte, musste es tatsächlich gut sein. Vielleicht könnte Raelene es sogar schaffen, das gemeinsame Essen für ihn derart lohnenswert zu machen, dass er es doch nicht mehr als reine Zeitverschwendung betrachtete. „Das freut mich“, sagte Raelene zufrieden. „Wenn ihr satt werdet, lohnt sich das Kochen für mich immer.“ „Woll, wooo~“, stimmte Wolly schmatzend zu. Azurill versuchte die Reste des Currys von Pichus zu Gesicht zu schlecken, so gut schmeckte es ihr offenbar. Dabei hatte sie ihre eigene Portion noch gar nicht vollständig aufgegessen. Pichu gefiel das aber überhaupt nicht, weil ihn das vom Essen abhielt. Deswegen protestierte er bereits lautstark. Seine roten Wangen sprühten schon Funken, bereit, Azurill einen Schock zu verpassen, damit sie ihn in Ruhe ließ. Doch bevor Pichu seine Elektrizität einsetzen konnte, beugte Maxax sich mit einem Brummen zu ihnen herunter, um Azurill zu ihrem eigenen Essen zurückzuschieben und diese Auseinandersetzung zu beenden, bevor sie richtig begonnen hatte. Verwirrt blinzelte Azurill Maxax an und blickte dann nochmal in ihre eigene Schüssel. Erfreut stellte sie fest, dass da noch etwas drin war, und aß direkt ihre eigene Portion weiter. Raelene machte sich gedanklich eine Notiz darüber, dass sie ihr unbedingt beibringen musste, was Intimsphäre bedeutete. Sie meinte es sicher nicht böse, schien aber absolut kein Gefühl dafür zu haben. Wenigstens war Delion von dieser Szene amüsiert, denn er schmunzelte ein wenig. „Dein Maxax würde sich super im Hort machen“, meinte Raelene, die das Ganze auch fasziniert beobachtete. „Wenn wir das nächste Mal dort sind, solltest du ihn unbedingt rauslassen.“ „Ja, es tut mir jetzt schon richtig leid, dass ich ihn letztes Mal nicht rausgelassen habe.“ Delion hielt nachdenklich lächelnd inne. „Aber vielleicht wäre er dann einfach geblieben und nicht mehr mitgegangen.“ Er sah Raelene an. „Zum Glück gibt es immer ein nächstes Mal.“ Es wäre sicher furchtbar für Delion, sich von einem seiner Pokémon trennen zu müssen. Bestimmt könnte Maxax ihn aber sowieso niemals verlassen. Sicher liebte er Delion dafür zu sehr, genau wie Raelene es tat. „Ja~“, bestätigte sie begeistert. „Ich freu mich schon, wenn wir nochmal im Hort sind.“ Bis dahin waren wahrscheinlich ganz andere Baby-Pokémon dort. Lustig dürfte es aber auf jeden Fall wieder werden. Vorsichtig hakte sie dann wegen etwas nach, worüber sie sich wieder mal so ihre Gedanken machte: „Also, wie gefällt dir der Tag bislang?“ Raelene sagte lieber nicht laut, dass sie Sorge hatte, Delion könnte sich langweilen, weil sie doch nicht so spannend war, wie er vielleicht glaubte. Er lächelte sie an. „Es ist großartig! Ich habe schon ewig nicht mehr einfach nur mit meinen Pokémon gespielt. Allein das war schon mal eine Abwechslung. Danke, dass du mir das noch einmal näher gebracht hast.“ „Ach, dafür musst du mir doch nicht danken“, erwiderte sie, zutiefst erleichtert. Raelene konnte ganz normal ... nun, manchmal noch etwas nervös vor Liebe, aber ansonsten normal mit ihm reden. Noch vor dem Besuch beim Hort hatte sie sich manchmal kaum getraut ihn überhaupt anzusprechen. Zum Glück genoss Delion diese Zeit also auch. Es war ihr wichtig, dass er Spaß hatte. „Es gibt noch viele Spiele, die wir mit unseren Pokémon spielen können~. Ich erforsche mit meinen auch gerne die Kronen-Schneelande. Du wirst nicht glauben, wie viele Geheimnisse hier versteckt sind.“ Seine Augen leuchten sofort. „Geheimnisse? Wirklich?“ Als Liga-Präsident kam er sicher selten dazu, irgendwelche Ausflüge zu unternehmen, weshalb er kaum etwas über die Kronen-Schneelande wissen dürfte. Raelene selbst hatte Glück, dass sie als Champ nicht mehr so viel zu tun hatte wie noch zu seiner eigenen Zeit damals. Darum konnte sie immer wieder einige Tage in dieser Gegend verbringen und neue Dinge erleben. Kein Wunder also, dass er auf Anhieb neugierig war. „Und ob! Wahnsinnig viele sogar~. Nicht weit von diesem Baum gibt es einen alten Grabstein. Dort soll ein super gefährlicher, böser Geist versiegelt worden sein. Angeblich kann man den irgendwie befreien, aber ich habe bisher nicht herausgefunden wie.“ Raelene sprach ein wenig leiser weiter und blickte beschämt zur Seite. „Außerdem ist es nachts echt gruselig dort.“ Ihr war so, als könnte man dort dann Flüsterstimmen hören, die einen in den Bann zu ziehen versuchten. Solche Dinge waren zwar unheimlich, aber gleichzeitig interessant. „Und an jeder Ecke sind Pokémon, die man nicht mal in der Naturzone findet“, berichtete sie weiter. „Wir können ja mal zusammen eine Expedition starten~.“ Delion strahlte regelrecht. „Oh ja, das sollten wir unbedingt mal tun. Besonders diesen Grabstein sollten wir nachts mal besuchen.“ Erst wirkte Raelene ein wenig nervös, aber nickte dann angetan. Wenn Delion an ihrer Seite war, hätte sie bestimmt keine Angst. Zusammen könnten sie das Rätsel dann vielleicht lösen. „Okay, abgemacht! Sag mir einfach Bescheid, in welcher Nacht du loslegen willst~.“ Am Baum war es friedlich genug, dass sie die Babys mit ein paar älteren ihrer Pokémon als Aufpasser in Ruhe weiterschlafen lassen könnten. Besonders Maxax würde garantiert nicht zulassen, dass sie auch nur einen Kratzer bekämen. „Dann lass uns heute Nacht mal zumindest vorbeischauen. Wir müssen ja nicht direkt irgendwas machen.“ „Alles klar, machen wir.“ Es gefiel ihr, dass Delion kein Typ war, der die Dinge lange aufschob. Sie wollte ihn nicht bedrängen, deshalb hatte sie es lieber ihn entscheiden lassen wollen. Offenbar waren sie sich in dem Punkt aber sehr ähnlich. „Woll, woll, woll!“, sprach ihr Wolly sie streng von der Seite an. Irritiert lenkte Raelene den Blick zu ihr. Mit einem Kopfnicken deutete Wolly an, dass sie weiter essen sollte, weil es sonst nur kalt wurde – oder weil sie es Raelene sonst einfach wegessen würde. „Oh, okay, hast ja recht. Ich esse schon~.“ Zum Beweis nahm sie direkt einen großen Löffel vom Curry und aß genüsslich. Wolly wirkte zufrieden und legte sich hin, wobei ihr Fell plötzlich doppelt so voluminös zu werden schien. Auch Delion aß sicherheitshalber weiter, wohl mit der Befürchtung, dass sich irgendjemand auch bei ihm deswegen sonst beschweren könnte. Dabei betrachtete er Raelene und Wolly von der Seite. „Mhm, Wolly kümmert sich ziemlich gut um dich, was?“ „Sie wechseln sich ab“, sagte Raelene, wobei sie zwar seufzte, aber zufrieden aussah. „Einmal haben sie sich geweigert weiterzugehen, weil ich nichts gegessen hatte. Pokémon werden einem wohl wirklich sehr ähnlich.“ „Das zeigt im Endeffekt ja nur, wie gut du dich um sie gekümmert hast. Und sogar dein Curry ist lecker. Beste Voraussetzungen, um ein Champ zu sein~.“ „Ich beharre immer noch darauf, dass ich damals auch eine Portion Glück hatte~.“ Rasch nahm sie einen weiteren Löffel und warf dabei einen kurzen Blick zu den anderen Pokémon. Dedenne würde wieder mit Sicherheit einen Nachschlag wollen, vielleicht auch jemand aus Delions Team. Zum Glück war noch genug da. Glurak war, als eines der größten Pokémon, natürlich als erstes fertig. Brummend schob er seinen Napf in Richtung von Raelene, als wollte er wirklich um Nachschlag bitten. „Bei mir wollte er nie mehr als eine Portion“, merkte Delion überrascht an. „Mein Curry muss wohl ziemlich mies sein.“ Darauf gab Glurak als Zustimmung ein tiefes Knurren von sich und er tauschte mit Delion einige spielerisch ernste Blicke aus, was Raelene zum Lachen brachte. Dann kümmerte sie sich aber lieber darum, Glurak noch eine Portion in die Schüssel zu füllen, und gab sie anschließend an ihn zurück. „Freut mich, dass es schmeckt“, sagte sie lächelnd. „Hau nur ordentlich rein~.“ Glurak bedankte sich mit einem Schnauben. Prüfend warf Raelene danach einen Blick zu Zamazenta und war beruhigt, zu sehen, dass er inzwischen ebenfalls angefangen hatte zu essen. Erleichtert nahm sie wieder neben Delion Platz und aß ihre eigene Portion weiter. „Und nach dir kam halt niemand mehr, der dir das Wasser reichen konnte“, fuhr sie mit dem Gespräch fort. „Außer Roy vielleicht. Aber nur vielleicht.“ „Roy ist ein guter Trainer, die Kämpfe gegen ihn haben immer richtig Spaß gemacht“, erinnerte Delion sich sehnsüchtig. „Aber ich fürchte, ihm fehlt ein wenig die Vielseitigkeit. Wahrscheinlich wegen dem Umstand, dass er als Arenaleiter eben auch auf bestimmte Pokémon-Typen festgelegt ist.“ Raelene nickte, während sie kaute, und blickte nachdenklich in den Himmel. Für die Arena-Challenge war diese Regelung notwendig und wichtig, damit neue, unerfahrene Trainer sich auf die jeweilige Herausforderung einstellen konnten. Aber … „Wäre es dann nicht viel sinnvoller, wenn die Arenaleiter im Champ-Cup auch zu anderen Typen greifen dürfen, sofern sie das wollen? So wäre das nochmal eine spannende Herausforderung für alle.“ Roy wäre dann bestimmt tatsächlich eine ziemlich harte Nuss, erst recht wenn er all seine Wettereffekte noch auf das Team abstimmte. „Eigentlich schon. Ich werde mal mit den Arenaleitern darüber reden.“ Er zwinkerte ihr zu. „Aber beschwer dich dann nicht bei mir, wenn Roy doch zu stark oder übermütig wird.“ „Keine Sorge. Wenn das ein spannender Kampf wird, dann bedanke ich mich eher. Und falls Roy mich dann besiegen sollte, nehme ich am folgenden Jahr wieder an der Arena-Challenge teil und hole mir meinen Titel zurück~.“ Auch wenn die ganzen Gewinner-Selfies, die Roy in die Welt hinausschicken würde, nur schwer zu verdauen sein dürften. Aber in dem Fall hätte er sich das wirklich verdient. Immerhin versuchte Roy schon ewig, an den Titel des Champs zu kommen ... wenn auch nur, um sich bei Raelene dafür zu rächen, dass sie Delion vor ihm besiegt hatte. „Gut~. Genau das erwarte ich auch von dir~. Ein Jahr Champ-Selfies von Roy wären dann auch mehr als genug, oder?“ „Und das mehrmals täglich“, stöhnte Raelene überfordert. „Er würde das so richtig auskosten.“ Sie lachte, weil sie sich das zu gut vorstellen konnte. Wenn es jemals dazu kommen sollte, wollte sie sich darum bemühen, ihm als erste aufrichtig gratulieren zu können. Raelene öffnete den Mund, um Delion etwas zu fragen, traute sich aber dann doch nicht und aß stattdessen weiter. Das Thema, ob er je nochmal versuchen würde Champ zu werden, behagte ihm sicher nicht. Und sie wollte die Stimmung nicht ruinieren. Außerdem meldeten sich dann noch andere Pokémon – darunter, natürlich, Dedenne – mit der Bitte um einen Nachschlag, also versorgte sie alle sofort. „Scharfes Curry ist scheinbar nicht so sehr das Ding von meinen Pokémon, wie ich immer dachte. Ich sollte wohl in Zukunft mehr Abwechslung reinbringen.“ „Anscheinend ist es Pokémon sehr wichtig, Abwechslung und schmackhaftes Essen zu bekommen. Wir könnten ja demnächst ein bisschen experimentieren.“ Unsicher starrte er auf seine Schüssel. „Also ... natürlich nur, wenn du das noch einmal wiederholen willst.“ Raelene lächelte Delion über ihre Schulter hinweg an. „Hey, du hast schon zugestimmt, mit mir ein paar Abenteuer in den Kronen-Schneelanden zu erleben. Außerdem will ich auf jeden Fall.“ Selbst wenn sie am Ende doch nur mehr im Camp herumsaßen, hätte sie damit kein Problem. Aber nach all der Zeit als Liga-Präsident freute Delion sich bestimmt darüber, mal wieder mehr zu erleben. Sie hatte großen Respekt davor, dass er sich freiwillig all die Bürokratie und trockenen Verhandlungen antat, um die Liga aufrechtzuerhalten. „Klar, aber es hätte ja sein können, dass du es dir nach heute anders überlegst. Es wäre gut möglich gewesen, dass der echte Delion dich nur enttäuscht~.“ Da das Essen inzwischen wieder verteilt war, setzte Raelene sich zurück zu Delion und schüttelte entschieden mit dem Kopf. „Niemals!“, betonte sie. „Je echter du bist, desto glücklicher bin ich. Also sei einfach du selbst. Das ist bisher am effektivsten bei mir~.“ Sie nahm die letzten Bissen von ihrer eigenen Portion und starrte Delion dabei eindringlich an. Bis ihr bewusst wurde, dass das etwas zu viel sein könnte und sie lieber nach vorne sah. Es war unglaublich, dass Delion sich ähnliche Sorgen machte wie sie und sich fragte, ob der jeweils andere wirklich mehr Zeit in diese Beziehung stecken wollte. Wie viele Ähnlichkeiten sie wohl noch beieinander entdecken würden? Delion rutschte ein Stück näher zu ihr. „Dann bin ich zufrieden. Ich mag es, wenn meine Attacken effektiv sind~.“ Als auch er mit dem Essen fertig war, stellte er die Schüssel beiseite. „Ich hab schon lange nicht mehr so gut gegessen.“ „Also stimmt es doch, dass Liebe durch den Magen geht~.“ Raelene runzelte die Stirn. „Oder in deinem Fall füllt die Liebe eher deinen Magen. Oder gibt dir den Geschmack dafür zurück, sofern das möglich ist.“ Sie war auch zum ersten Mal in ihrem Leben richtig verliebt, also hatte sie keinerlei Vorerfahrungen. Das alles konnte sie nun mit Delion erleben, hoffentlich für immer. Dachte sie da schon zu weit? „Wollen wir nachher, wenn unsere Pokémon das Essen verdaut haben, noch ein paar Runden spielen?“ Auf ihren Vorschlag hin nickte er sofort. „Klar. Dann schlafen die Babys sicher auch besonders gut.“ „Gut, ich kenne noch ein paar Varianten des Spiels, die das Ganze noch anspruchsvoller machen~.“ Als schließlich alle Pokémon satt und zufrieden wirkten, füllte Raelene den letzten Rest in eine Schüssel um, falls später nochmal jemand Hunger bekäme. Gerade als sie sich kurz entschuldigen wollte, weil der Kessel saubergemacht werden musste, mischte Feelinara sich ein und schob sie zurück in Delions Richtung. „Feelinara, nara~.“ „Huh? Aber jemand muss doch-“ „Feelinara!“ Mit einer Vorderpfote tippte sie sich gegen die Brust und lächelte. „Nara, nara~.“ Mit einem Nicken zu Delion deutete Feelinara an, dass Raelene lieber die Zeit mit ihm weiter genießen sollte und ihr Pokémon sich um das Saubermachen kümmern würde. „Awww!“ Raelene war gerührt – und wurde wieder ein wenig rot. „Ist dir der Kessel nicht zu schwer?“ Glurak brummte bereits, um zu zeigen, dass er ebenfalls helfen würde, den Kessel zu säubern. Selbst ihre Pokémon schienen interessiert daran zu sein, sie beide zu verkuppeln. Wären sie nicht schon zusammen, wäre diese Situation sicher peinlich geworden. Delions Lächeln war noch eine Note strahlender geworden. „Scheint, als wollten sie uns etwas Zeit gönnen. Schön, oder?“ „Oh ja~.“ Nach wie vor gerührt sah Raelene die zwei freiwilligen Helfer an. „Danke, ihr beiden.“ Mit einem fröhlichen Ausruf versicherte Feelinara, dass sie das gerne tat, und machte sich dann zusammen mit Glurak an die Arbeit. Also konnte Raelene sich wieder zu Delion setzen, was ... ungewohnt war. Zum einen, weil ihr nun die Bewegung fehlte und zum anderen, weil seine Nähe dafür sorgte, dass ihr Herz die ganze Zeit schneller schlug als gewöhnlich. „Hey, wollen wir eine Runde spazieren gehen? Den Grabstein heben wir uns für heute Nacht auf, aber wenn ich meine Verdauungsbewegung nicht bekomme, macht mich das wahnsinnig.“ „Ja klar, gehen wir~.“ Er stand auf und reichte ihr seine Hand, um ihr aufzuhelfen. Raelene nahm jede Chance dankend an, die mit einer Berührung verbunden war. Zumal es auch unglaublich süß von ihm war. Sie mochte diese Art der Aufmerksamkeit, erst recht wenn sie von Delion kam. Bevor sie mit ihm losging, informierte sie die Pokémon darüber, dass sie ein bisschen spazieren gehen würden und sie nach ihnen rufen sollten, falls etwas sein sollte. Dann gab sie die Richtung vor, wofür auch Delion sicher dankbar war, da er sich nicht mal ein kleines bisschen in dieser Gegend auskannte. So nahmen sie zu zweit ihren ersten, gemeinsamen Spaziergang in Angriff. Kapitel 9: Ich hatte gehofft, dass du das sagst ----------------------------------------------- In der Gegend um den Dyna-Baum herum zogen sich mehrere Wassergräben, aus denen in unregelmäßigen Abständen immer wieder einige Karpador mehrere Meter in die Höhe plantschen, was stets lustig anzusehen war. Verschiedene Grüppchen aus Waumboll schwebten langsam durch die Luft, ließen sich entspannt vom Wind tragen. Manchmal rannte ein aufgeregtes Geradaks auf den Weg, verschwand jedoch schnell wieder mit flinken Bewegungen im hohen Gras, in dem sich bestimmt noch viele andere Pokémon versteckten. „Ich liebe es hier~“, betonte Raelene, während sie tief Luft holte und die Stimmung in sich aufnahm. „Eine lebhafte Atmosphäre voller Pokémon ist mir viel lieber als die Hektik in der Stadt.“ Delion lief gemütlich neben ihr her und atmete ebenfalls durch. „Das geht mir auch so.“ Sie waren beide in Furlongham aufgewachsen, ohnehin ein kleines Dorf, in dem es hauptsächlich Wollys gab. Natürlich liebte Raelene diesen friedlichen Ort, ihre Wurzeln, doch im Vergleich dazu war jede Großstadt wie ein eigenes, aufregendes Abenteuer gewesen. Erst recht die Wildnis, in der man unzähligen Pokémon in ihrem natürlichen Revier beobachten konnte. Deswegen ging es Delion in der Hinsicht wohl genauso wie ihr. „Pokémon sind auch unkomplizierter als Menschen“, fügte Raelene hinzu. „Du sagst es.“ Seit dem Fall mit Rose damals hatte Raelene gelernt, dass man nie sicher sein konnte, wer vertrauenswürdig war. Oder man bekam es plötzlich mit Typen wie Schwerthold und Schilderich zu tun, die aus rein egoistischen Gründen Ärger machten. Es waren natürlich auch nicht alle Pokémon gänzlich unkompliziert, aber man hatte schlicht das Gefühl sie insgesamt viel besser einschätzen und vor allem verstehen zu können. Plötzlich stürmte ein wildes Bellektro hinter einem Baum hervor und stieß geradewegs gegen Delion, den das kaum ins Schwanken brachte – anscheinend konnte ihn so leicht nichts zu Fall bringen. Er war nur ein wenig zurückgeschreckt, weil er damit nicht gerechnet hatte, ebenso wenig wie Bellektro selbst. Das Pokémon schüttelte sich kräftig und schien verwirrt zu sein, also war es wohl keine Absicht gewesen. „Alles in Ordnung?“, fragte Raelene, womit sie direkt beide ansprach. „Bei mir schon.“ Besorgt fixierte sich sein Blick auf Bellektro. „Hey, alles klar?“ In der Naturzone waren die Pokémon schon teilweise übermütig, aber in den Kronen-Schneelanden musste man noch wachsamer sein, wie Raelene wieder mal bemerkte. Die Pokémon kamen hier nicht sonderlich viel mit Menschen in Kontakt, deshalb konnte so etwas leicht passieren. Bellektro sah sie mit seinen großen, verspielten Augen an und bellte aufgeregt. Es rannte um sie beide herum und begab sich in Spielstellung, schien aber ständig von der Umgebung abgelenkt zu werden. Schließlich stürmte es dann auch schon wieder davon, als etwas anderes doch interessanter zu sein schien. „Offenbar geht es ihm gut.“ Raelene schmunzelte amüsiert. „Bellektro gibt es hier viele. Die eignen sich gut für Wettrennen. Das haben Liberlo und ich schon mit ihnen gemacht~.“ Delion sah dem Bellektro hinterher. „Es sah aus, als ob es wirklich spielen wollte.“ Immerhin war Bellektro die Weiterentwicklung von Voldi – und die waren auch allesamt sehr verspielt. Irgendwie fand Raelene es schön, dass manche Pokémon ihre Natur beibehielten, auch nach ihrer Entwicklung. Viele veränderten sich dagegen so sehr, dass man sie hinterher kaum wiedererkannte. „Liberlo hat bestimmt viel Spaß, wenn er mit ihnen um die Wette läuft.“ „Und ob. Ich komme da mit dem Rotom-Rad nur schwer hinterher.“ Manchmal wurden sie bei solchen Wettrennen aber auch von wilden Pokémon unterbrochen, die weniger freundliche Absichten hegten, zum Beispiel von dieser riesigen Fledermaus ... deren Namen sich Raelene einfach nicht merken konnte. Hin und wieder stürzte die sich aus dem Nichts von oben auf Liberlo und die Bellektro, hatte letztendlich gegen die Mehrheit jedoch nie eine große Chance. „Wenn wir uns öfter treffen, wird Liberlo dich und Glurak bald auch zu einem Wettrennen herausfordern. Mach dich darauf gefasst~.“ Schmunzelnd konzentrierte Delion sich wieder gänzlich auf Raelene. „Wir sind auf jeden Fall bereit.“ Sogar Delion hätte gegen Liberlo wahrscheinlich keine Chance, sein Glurak könnte da schon deutlich bessere Karten haben. Bislang hatten sie Liberlo aber noch nie richtig sprinten sehen, sondern nur einen Einblick in seine Beinkraft während einigen Kämpfen gewinnen können. Daher dürfte das für Delion und Glurak trotzdem eine Überraschung werden, sobald es mal wirklich zu einem Rennen käme. „Das wird mal eine andere Herausforderung für Glurak“, merkte Delion an. „Ich bin wirklich gespannt, wer ein Wettrennen gewinnen würde.“ Natürlich tippte Raelene auf Liberlo, weil sie wusste, wie schnell er war. Delion hatte aber Erfahrung darin, seine Pokémon für jegliche Lage genau richtig zu trainieren, um alles aus ihnen herauszuholen. Glurak war unglaublich stark und auch flink. Schade, dass sie ihn ewig nicht mehr live kämpfen gesehen hatte. „Du und ich, wir werden aber garantiert verlieren, so viel steht fest“, hielt Raelene fest. Gespielt betrübt nickte Delion, lächelte dabei aber. „Das werden wir. Sowas von. Aber ist ja auch nicht weiter schlimm.“ Liebevoll klopfte Raelene ihm auf den Rücken und lächelte. Irgendwann würde sie ihn fragen, ob er nochmal gegen sie kämpfen wollte. Allerdings erst, wenn sie absolut sicher sein könnte, dass es ihm tatsächlich nichts mehr ausmachte, zu verlieren. Und das war noch nicht der Fall – zumal sie selbst vorher sicherstellen müsste, dass eine Niederlage ihr nichts ausmachte. „Hey, willst du mal eines von vielen Geheimnissen in den Kronen-Schneelanden sehen?“, sagte Raelene, mit tiefer Stimme, um es spannend zu machen. Ohne eine Antwort abzuwarten, griff sie nach seiner Hand und zog ihn ein Stück mit sich, am Ufer des Sees entlang, in dessen Mitte der Dyna-Baum thronte. Nach einer Weile blieb sie stehen und deutete zu einem kleinen Landfleck mitten in einem anderen Wassergraben. „Was fällt dir an dieser Mini-Insel auf?“ Nachdenklich betrachtete Delion die Stelle, von der sie sprach. „Na ja ... sie ist echt winzig …“ Auf der Insel war niemand zu sehen, nicht mal irgendein kleines Pokémon. Dafür gab es einen großen Baum – und daneben stand etwas, das für jeden seltsam unpassend wirken musste. Auch Delion bemerkte diese Kleinigkeit schließlich, nachdem Raelene ihm ein bisschen Zeit gelassen hatte. „Hat da jemand seinen Topf vergessen?“ „Vielleicht“, flüsterte sie geheimnisvoll. „Er steht dort schon ewig! Es gibt Fußspuren eines Pokémon auf der Insel, vor allem in der Nähe des Topfes. Oder ist es gar kein Pokémon? Vielleicht ein Geist? Warum holt niemand den Topf ab? Worauf wartet dieses Wesen, das da immer wieder herumzulaufen scheint?“ Sie breitete die Arme aus und sprach in einer normalen Lautstärke weiter: „Klar, es könnte auch nur ein stinknormaler Topf sein, den wirklich nur jemand vergessen hat, aber es macht mich verrückt, dass es auch etwas ganz anderes sein könnte – und ich nicht weiß, was.“ Wenn es nur ein normaler Topf war, stellte sich natürlich auch die Frage, warum irgendjemand ausgerechnet auf dieser kleinen Insel Halt machen würde. Und wie vergaß man diesen Topf dann einfach, wenn das Eiland so übersichtlich war, dass sicher nicht mal Delion sich dort verlaufen könnte? „Mysteriös“, stimmte er ihr zu. „Egal, ob es ein normaler Topf ist oder nicht, das muss einen echt neugierig machen.“ Raelene starrte weiter zu der kleinen Insel. „Ich war zwar schon einige Male bei Tag da, aber mir ist nie etwas anderes aufgefallen, außer die Fußspuren. Andere Pokémon trauen sich scheinbar gar nicht erst an Land.“ Unruhig sah sie nun Delion an. „Bei Nacht war ich noch nie dort, weil ... der Grabstein nicht ganz so weit weg ist.“ Das machte sie zu nervös. Was, wenn am Ende wegen Raelene ihre Pokémon und sie selbst von einem rachsüchtigen Geist verschlungen wurden, nur weil sie zu neugierig gewesen was? „Hey, kein Problem“, versicherte Delion, voller Zuversicht und mit einem besonders hinreißendem Lächeln. „Jetzt bin ich ja bei dir, da musst du dir keine Sorgen wegen irgendeinem Grabstein oder so machen.“ Ob Delion sich in dem Punkt so sicher war, weil er Katapuldra an seiner Seite wusste? Als Geist-Pokémon käme er natürlich mit vielerlei Spuk schon zurecht, doch trotz der Anwesenheit von Gorgasonn war Raelene oft noch unsicher bei solchen Dingen. Womöglich färbten ihre Gefühle auf ihr Pokémon ab und bei Delion und Katapuldra wäre es ganz anders. „Oh gut~. Es gibt da nämlich auch noch ein Gerücht über eine langhaarige Frau, die nachts beim Friedhof herumspuken und etwas suchen soll. Und ich kann das nicht sein ... hoffe ich.“ Wäre Raelene Schlafwandlerin, hätten ihre Pokémon ihr das sicher irgendwie versucht mitzuteilen. Außerdem wäre ihr Pyjama morgens dann nicht immer noch so sauber ... „Denk jetzt aber nicht, ich hätte zu viel Angst“, fügte sie rasch hinzu. Daraufhin nahm sie eine möglichst selbstbewusste Pose ein und schob die Brust nach vorne. „Ich bin schließlich der Champ! Wenn es sein muss, lege ich mich mit allem an.“ „Oooh~.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah sie prüfend an. „Dann hast du dich nur noch nicht damit beschäftigt, weil es nicht sein muss?“ Für eine Sekunde entglitten Raelene die Gesichtszüge, doch kaum hatte Delion das gesagt, schmunzelte er auch schon wieder, damit sie wusste, dass er es nicht zu ernst meinte. Deshalb grinste sie kurz darauf und nickte entschlossen. „Genau~. Ich meine, welcher gute Champ verschwendet denn seine Zeit damit, alle Geheimnisse der Kronen-Schneelande aufdecken zu wollen, wenn das nicht sein muss?“ Als sie das gesagt hatte, hielt sie wieder inne. Sie schielte kurz nachdenklich zur Seite, bis sie ein kleinlautes „Oh ...“ von sich gab. Genau das war es, was sie im Grunde schon eine ziemlich lange Zeit lang tat. Und aktuell war sie der Champ. „Du würdest es mir sagen, wenn ich nicht genug für die Allgemeinheit tue, weil ich mich zu viel mit anderen Dingen beschäftige, oder?“ Delion stemmte eine Hand in die Hüfte. „Keine Sorge. Wenn es Gründe gäbe, an deinen Qualitäten als Champ zu zweifeln, hätte ich dir das schon längst mitgeteilt.“ Eigentlich war das eine blöde Frage gewesen. Während ihrer Rebellen-Phase hatte Delion sie ziemlich oft überaus deutlich und schonungslos kritisiert, sobald sie es zu weit trieb. Da nahm er also kein Blatt vor den Mund, wie sie wusste. Mittlerweile erschien ihr das wie eine Ewigkeit her, zumal sie auch nicht gerne daran zurückdachte. „Aktuell ist es in Galar sehr ruhig, also gibt es auch nicht so viel für die Allgemeinheit zu tun. Und zu deinen Terminen erscheinst du ja immer pünktlich.“ Nach ihren pubertären Fehltritten war das Raelene auch ziemlich wichtig gewesen. Obwohl sie als eine der wenigen einen genervten Delion kennenlernen konnte, wollte sie das zukünftig lieber weiterhin vermeiden. Natürlich auch im Sinne aller Angestellten, die ihretwegen sonst nur mehr unnötige Arbeit und Stress hätten. „Stimmt, ich mach mir da wohl zu viele Sorgen.“ Ihre Körperhaltung entspannte sich wieder und sie lächelte. „Das war jedenfalls eines der kleineren, eher harmlosen Geheimnisse.“ Statt etwas zu sagen, sah Delion Raelene eine Weile abwesend an. Irgendetwas schien ihm durch den Kopf zu gehen, doch sie wollte nicht zu aufdringlich sein und wartete einen Augenblick ab, ohne ihn nach seinen Gedanken zu fragen. Schließlich ballte Delion entschlossen eine Hand zur Faust. „Lass uns allem zusammen auf den Grund gehen! Wir bekommen das hin!“ Raelenes Gesicht strahlte vor Freude. „Ganz genau! Mit doppelter Champ-Power~.“ Energiegeladen fuhr sie herum und rannte ein Stück weiter, bevor sie sich wieder umdrehte. Auffordernd winkte sie Delion mit beiden Händen zu. „Komm schon, Training für das Wettrennen mit Liberlo! Einmal um den See herum, zum Camp zurück. Der Verlierer muss dem Gewinner ein kleines Geschenk machen~.“ „Dann überleg dir schon mal was!“, riet er ihr. „Du dir besser auch!“, gab sie zurück. Bestimmt hatte Raelene nicht vor, es ihm leicht zu machen, obwohl er derart überzeugt von seinem Sieg wirkte. Sie konnte sich aber schon denken, dass Delion mit großer Wahrscheinlichkeit sportlicher war als sie. Schon an seinem tollen Körperbau war das zu erkennen. Okay, nicht zu sehr mit den Gedanken abdriften. Da Delion bereits dabei war ihr zu folgen, indem er angefangen hatte zu joggen, sollte sie ihren kleinen Vorsprung lieber ausnutzen. Also gab Raelene alles, damit er zumindest etwas überrascht über ihre Schnelligkeit wäre. Ihr Haar flatterte wild hin und her, kaum dass sie motiviert Richtung Camp sprintete. Das Ziel kam schnell näher und Raelene blieb größtenteils vorne, weshalb sie umso überraschter war, als Delion auf einmal in ihrem Augenwinkel auftauchte. Er schien nicht mal ansatzweise an sein Limit zu gehen, so locker wie er an ihr vorbeizog und die Führung übernahmen. Über die Schulter hinweg zwinkerte Delion ihr verschmitzt zu. „Ich warte dann auf dich~.“ „Angeber~!“, rief Raelene ihm hinterher. Ein verdammt süßer Angeber. Einholen würde sie ihn aber wohl nicht mehr, so schnell wie er nun war. Sie hätte nicht sofort so viel Gas geben sollen, denn dadurch fehlte ihr die Reserve, mit der sie sonst nochmal einen Satz drauflegen könnte. Hoffentlich nahmen sich ihre Pokémon daran kein Beispiel. Da sie nun aber bereits alles gab, zog sie das auch bis zum Ende durch. Schon damit sie Delion trotzdem weiterhin im Blick hatte und sie ihn warnen könnte, falls er doch falsch abbog. Was vermutlich durchaus ziemlich wichtig war, auch wenn der Baum kaum übersehen werden konnte. An einer Stelle schien es nämlich so, als wolle er tatsächlich nach rechts abdriften, wo der Weg abschüssig werden und ganz woanders hinführen würde – müsste ihm nicht auffallen, dass dort viel mehr Gras war als vorher? Den richtigen Pfad zum Baum übersah Delion am Ende nur deswegen nicht, weil eines seiner kleinen Grolldras plötzlich um ihn herum schwebte und sehr deutlich die Richtung vorgab. Dank seiner Geschwindigkeit schaffte er es dadurch selbst mit kurzen Verwirrungen schließlich als erster am Ziel anzukommen. Und er war immer noch kaum aus der Puste, während er auf Raelene wartete. Sie kam zwar nur kurze Zeit später an, war aber eindeutig die Verliererin des Rennens. Zuerst holte sie einige Male Luft und stupste vorsichtig das kleinen Grolldra an, das Delion so lieb den richtigen Weg gezeigt hatte. Grolldra schien darüber leise zu kichern. „Du hast gewonnen. Glückwunsch“, lobte Raelene ihn. „Das war zwar zu erwarten, aber ich wollte es trotzdem mal versuchen. Hätte ja sein können, dass die ganze Bürokratie dich etwas verlangsamt hat.“ Wie schnell mochte Delion wohl erst sein, wenn er sich in seiner Hochform befand? Egal, viel geändert hatte sich nicht. Schon damals war er immer mit Leichtigkeit an ihr vorbeigezogen, sobald Hop ein Rennen ins Leben gerufen hatte. Manches änderte sich eben nie. Ein schönes Déjà-vu. Delion hob unschuldig die Arme. „Das lustige ist, dass die Bürokratie mich wirklich etwas verlangsamt hat. Aber noch nicht genug. Ich gehe immer noch mehrmals die Woche joggen, wenn es sich einrichten lässt.“ Das sah ihm ähnlich. Auch als Liga-Präsident wollte er sich nicht einfach dem Verfall hingeben und wahrscheinlich auch mit gutem Beispiel für alle Trainer vorangehen. „Ich hätte also noch schlechter dastehen können als jetzt.“ Raelene atmete nochmal durch. „Puh, dann hab ich doch ganz gut abgeschnitten.“ Zamazenta warf ihnen einen besorgten Blick zu. Offenbar dachte er, sie wären in Gefahr, weil sie so schnell zurück zum Camp geeilt waren. Schnell erkannte er aber, dass es sich nur um ein Rennen zum Spaß gehandelt hatte. Also richtete er seinen Blick wieder in die Ferne. Nächstes Mal sollten sie Zamazenta vielleicht vorwarnen, erst recht wenn er ohnehin schon unruhig war. „Jetzt schulde ich dir ein kleines Geschenk, wie es aussieht.“ „Ja, so sieht es aus~“, bestätigte Delion vergnügt. „Hast du dir schon etwas überlegt?“ Erwartungsvoll lächelte er sie an. Lange warten müsste er tatsächlich nicht, denn Raelene hatte sich schon etwas überlegt, bevor sie überhaupt losgerannt war – eventuell nicht ganz ohne einen gewissen Eigennutz. „Wie wäre es mit einem Foto?“, schlug sie vor. „Exklusiv für dich. Ob nur von mir, wir beide zu zweit oder mit unseren Pokémon, das darfst du dir aussuchen~.“ Etwas unbeholfen nahm Raelene eine von vielen Model-Posen ein, die ihr eingehämmert worden waren. „Kate hat mir ein paar Tipps für Fotoshootings gegeben, also kriege ich fast alles hin.“ Natürlich war sie immer noch eine blutige Anfängerin. Ihre Leidenschaft waren eben doch Pokémon-Kämpfe, darin war sie gut. Ihr blieb es schleierhaft, wie Kate es gelang, sowohl den Posten als Arena-Leiterin als auch das Modeln unter einen Hut zu bekommen. Beides führte Kate immerzu mit unglaublich viel Leidenschaft und endloser Energie aus. Dafür bewunderte Raelene sie. „Dann lass uns ein Foto von uns beiden machen“, beschloss Delion sofort. „Ich hatte gehofft, dass du das sagst“, gab sie leise zu. Sicher, es gab einige wenige Fotos, auf denen sie zusammen zu sehen waren, doch dabei handelte es sich immer nur um ältere, unangenehme Presseaufnahmen. Sicher war es daher auch Delion wichtig, endlich ein richtiges Bild zu bekommen. Raelene lächelte und griff nach seinem Arm, um ihn sanft Richtung Baum zu führen. Sie fand, dass das der perfekte Hintergrund für ein gemeinsames Foto war. Zwei Champs vor dem Dyna-Baum. „Bereit, wenn du es bist.“ Da es ein Foto für Delion wäre, sollte es auch mit seinem Handy gemacht werden – außerdem kannte er diesbezüglich sicher mehr Tipps von Roy als sie. Hinterher würde sie ihn dann darum bitten, es ihr auch zu schicken. Delion griff in seine Tasche und zog auch sogleich sein Handy hervor. Sorgfältig achtete er darauf, sie beide gut in den Fokus zu bekommen. Dafür legte er sogar einen Arm um Raelenes Hüfte, was ihren Herzschlag spontan wieder beschleunigte. Nun berührte er sie schon das dritte Mal auf diese Weise und es jagte ihr immer noch die Hitze ins Gesicht. Er streckte den Arm so weit wie möglich aus, um einen besseren Winkel zu erreichen. „Okay, dann bitte lächeln, ja~?“ Raelene versuchte, sich zu konzentrieren. Das musste ein schönes Foto werden! Ein kurzer Blick zu Delion genügte, damit sich ein warmes Lächeln auf ihre Lippen schlich. Daraufhin schlang sie selbst einen Arm um Delion und sah gut gelaunt in die Kamera. „Champ-Time~!“ Das genügte offenbar, um auch Delion zum Lächeln zu bringen. Rasch knipste er das Bild, dann senkte er die Kamera wieder, ohne Raelene dabei loszulassen. Interessiert betrachtete er das Foto in seiner Galerie und wirkte zufrieden. Anschließend hielt er Raelene das Display gut sichtbar hin. „Na, was sagst du?“ Hoffnungsvoll sah sie sich das Foto an. Beklagen konnte sie sich nicht, sie waren gut zu erkennen und sahen wirklich glücklich zusammen aus. „Ich sage, es ist perfekt~.“ Sie lächelte immer noch, während sie das Foto weiter anstarrte. „Kannst du es mir auch schicken? Bitte?“ Raelene brauchte doch einen Beweis dafür, dass das die Realität war. Jeden Morgen, den sie ohne ihn erlebte, könnte sie sonst wieder denken, nur geträumt zu haben. „Denne, denne~!“ Dedenne war derweil heimlich auf ihre Schulter geklettert und schien ebenfalls begeistert von dem Foto zu sein. „Dedenne, denne, denne.“ Delion machte sich bereits daran, ihr das Bild zu schicken. Dabei lächelte er Dedenne zu. „Na? Wolltest du uns fotobomben?“ Das Wort kannte auch Raelene nur, weil Roy sich schon manches Mal darüber aufgeregt hatte, wenn jemand ihm gute Fotos überraschend zerstört hatte. Das war aber sicher nicht Dedennes Plan gewesen und Delion klang dabei auch eher scherzhaft. Raelene lachte amüsiert. „Aha, Dedenne. Ich wusste ja gar nicht, dass du so einer bist~.“ Dedenne verstand nicht wirklich, was sie meinten, schien aber sichtlich belustigt und plapperte munter vor sich hin, während er sich in ihre Haare kuschelte. Sie holte in der Zwischenzeit ihr eigenes Handy hervor und wartete darauf, dass das Foto ankam. „Angekommen!“ Glücklich drückte sie das Handy an ihre Brust. „Selfies sind ja doch gar nicht so übel.“ „Ja, wenn man es mit den Selfies nicht übertreibt, sind sie wirklich gut.“ Ohne Vorwarnung knipste Delion dann plötzlich schnell noch ein weiteres Foto, während Dedenne noch in Raelenes Haaren lag. Seine Zufriedenheit hatte dadurch offensichtlich ein neues Level erreicht, als er sich das Ergebnis in seiner Galerie ansah, denn er nickte sich selbst zu. „Tja, da hab ich mir direkt noch ein kleines Geschenk gestohlen~.“ Diese Aktion war so schnell verlaufen und noch dazu unerwartet gekommen, da hatte Raelene gar nicht reagieren können. Sie blinzelte nur überrascht, während Dedenne ebenfalls äußerst zufrieden darüber zu sein schien, es doch noch auf ein Foto geschafft zu haben. Raelene kraulte seine Stirn und lachte leise. „Okay, ist eigentlich nur fair“, meinte sie schließlich. „Immerhin wollte ich ja selbst gerne ein Foto von uns beiden, also ist das jetzt dein richtiges, kleines Geschenk.“ Er zwinkerte ihr zu. „Danke~. Damit sind wir jetzt quitt~.“ Falls Raelene das richtig mitbekam, stellte Delion das Foto, das er sich zusätzlich ergattert hatte, sogar sofort als Hintergrundbild auf seinem Handy ein. Ein Teil von ihr war gerührt, sowohl im glücklichen als auch peinlichen Sinne. Wenigstens könnte sie das nun selbst auch ungeniert tun, nur mit einem Foto von Delion. „Du hast übrigens recht, dieser Ort ist wirklich ideal für Fotos.“ Als er das sagte, wandte er den Blick in Richtung des Baumes. „Aber was ist das hier eigentlich für ein Baum?“ „Die Leute in Freezedale nennen ihn Dyna-Baum“, erklärte Raelene, während sie ihr eigenes Handy wieder in die Tasche steckte. „Er steht bestimmt auf einer Energiequelle.“ Sie hätte nie erwartet, dass auch die Natur derart beeinflussbar sein könnte und ein Baum dynamaximierte. Es gab aber mit Sicherheit noch eine andere, gute Erklärung dafür. Womöglich hätte Sania darauf eine wissenschaftliche Erläuterung parat, würde man sie diesbezüglich fragen. Oder Hop hatte etwas darüber gelesen und wusste genauer Bescheid. „Angeblich halten sich hier am Baum manchmal legendäre Vogel-Pokémon auf, aber ich habe noch nie einen gesehen, wenn ich hier war.“ Ein wenig befürchtete Raelene, dass sie ihr Glück, auf legendäre Pokémon zu treffen, mit Zamazenta vollkommen verbraucht hatte. Aber das war in Ordnung. Sie war dankbar dafür. Viele Menschen bekamen in ihrem ganzen Leben nicht mal die Chance überhaupt einen flüchtigen Blick auf etwas Legendäres zu erhaschen. Trotzdem wollte sie gerne mit Delion all diesen Gerüchten auf den Grund gehen. Als hätte er ihre Gedanken gelesen, sprach er das auch direkt von sich aus nochmal an: „Irgendwann starten wir eine Expedition, um herauszufinden, ob sie wirklich hierher kommen.“ „Wir haben jedenfalls eine Menge vor uns.“ Fragend sah sie ihn an. „Und? Sollen wir dann nochmal ein paar Runden mit unseren Pokémon spielen? Ich werde auch mal Zamazenta gut zureden, damit er mitmacht. Er kann etwas Ablenkung heute gut gebrauchen.“ Er nickte grinsend. „Ja, eine sehr gute Idee!“ Dafür müssten sie nur kurz sicherstellen, dass ihre Pokémon auch wieder fit genug dafür waren. Aber es sah gut aus, denn die Babys kletterten schon wieder vergnügt auf Maxax herum, also dürften die anderen auch bereit sein. „Gut, dann sammeln wir mal unsere Pokémon ein~.“ Raelene begab sich direkt zu Zamazenta und kniete sich neben ihn. Sie wusste, dass er nicht der Typ für Spiele war, aber vielleicht konnte sie ihn doch überreden. Es war nicht gut, wenn er die ganze Zeit so angespannt war. Falls doch etwas passieren sollte, würden sie sofort gemeinsam aufbrechen und für Ordnung sorgen – das versprach sie ihm. Anscheinend erkannte Zamazenta ihren guten Willen und gab nach, um sich für einige Runden einem Team anzuschließen. Zufrieden ging sie mit ihm zum Spielfeld, wo sie auch ihre anderen Pokémon zusammenrief. Alle schienen fit und voller Energie zu sein, weshalb einer weiteren Spielzeit nichts im Wege stand. Kapitel 10: Champ-Time mit einer großen Portion Dyna-Mut! --------------------------------------------------------- Gestärkt durch das Essen hatten auch die Babys länger als vorher durchgehalten, so dass sie diesmal vier Runden am Stück spielen konnten. Allerdings schaffte Pichu es tatsächlich mitten im letzten Gefecht einzuschlafen, weshalb er von einem Ball getroffen und schmerzhaft geweckt worden war, nur um direkt zu weinen anzufangen. Erst Maxax hatte ihn wieder beruhigen können – und dann war Pichu auf dessen Kopf eingeschlafen, während die anderen das Spiel unbeirrt fortführten. Deswegen machten sie nach der vierten Runde endlich Schluss. „Ihr habt gut gespielt“, sagte Delion, als er mit seinen Pokémon – außer dem schlafenden Pichu – High Fives austauschte. „Gute Arbeit von allen~.“ Auch Raelene lobte die Pokémon aus ihrem Team fleißig. Alle hatten sich ganz schön ins Zeug gelegt, wodurch es einem Training schon recht nahe gekommen war. Entsprechend erschöpft fühlte sie sich auch. „Ruht euch jetzt gut aus.“ Vor allem für die Babys war eindeutig Schlafenszeit, denn es war inzwischen schon spät am Abend und dunkel geworden. Der Himmel war düster, trotz zahlreicher Sterne. Da es in Score City zu viel Licht gab, konnte man diese Gestirne in den Kronen-Schneelanden viel besser bewundern. Für Raelene war es kein seltener Anblick, doch sie empfand es jedes Mal als romantisch. Diesmal war sie sogar mit Delion hier, was es doppelt so schön machte. Nur der Mond spendete etwas Licht. Genau wie die Energieströme, die aus dem Inneren des Dyna-Baumes nach außen flossen und die nahe Umgebung auf magische Weise erhellten. Es war ein angenehm mattes Leuchten. Man konnte daher trotzdem noch genug sehen, was recht praktisch war. Azurill hatte, im Gegensatz zu Pichu, zwar auch die vierte Runde Völkerball noch überstanden, versuchte dafür seit einer Weile schon krampfhaft wachzubleiben, nickte aber immer wieder weg. Vielleicht hätten sie daran denken sollen, zuerst das Zelt aufzubauen, statt nur zu spielen. Apropos Zelt … Würden Delion und Raelene jeweils in ihrem eigenen schlafen oder zusammen in einem? Darüber hatte sie noch überhaupt nicht nachgedacht. Länger warten sollte sie jedenfalls nicht, also machte sie sich endlich an die Arbeit und fing an alles, was sie zum Aufbau des Zeltes benötigte, auszupacken. „Soll ich dir dabei helfen?“, bot Delion sofort an. „Du kennst dich sicher gut damit aus, aber zu zweit geht es schneller.“ Bevor Raelene seine Hilfe überhaupt dankbar annehmen konnte, schob er noch eine Frage hinterher: „Wäre es dir lieber, wenn wir getrennt schlafen?“ Also war auch ihm das schon durch den Kopf gegangen. Vor Nervosität fielen Raelene ein paar Sachen aus der Hand und landeten auf dem Boden, ein Teil davon auf Wollys Fell, die neben ihr lag und döste. „Ähm, nun ...“, gab sie verlegen zurück. Sie strich sich einige Haarsträhnen hinter das Ohr und schielte zur Seite. „Also d-das kommt darauf an. Wäre es aufdringlich oder gierig, wenn ich jetzt Nein sage?“ Raelene wollte nämlich schon wahnsinnig gerne mit ihm in einem Zelt schlafen, konnte aber nicht richtig einschätzen, ob das vielleicht schon zu früh war. Delion kniete sich neben sie, um schon mal ein paar der Sachen wieder einzusammeln. Dabei ließ er sie kaum aus den Augen, was sie noch nervöser machte, im positivem Sinne. „Aufdringlich finde ich das nicht. Außerdem habe ich dich ja gefragt. Und gierig fände ich es auch nicht. Ich wäre nämlich auch dafür, nur ein Zelt zu benutzen.“ Zunächst war Raelene überrascht, wie souverän Delion das sagte, doch dann wandte er hastig den Blick ab. Entweder war er doch noch rot geworden oder zu verlegen, um sie weiter direkt anzusehen – oder beides. So konnte er wenigstens nicht sehen, wie breit Raelene grinsen musste vor Glück. Sie würde vor Hitze und Verlegenheit mit Sicherheit diese Nacht verglühen, aber sie freute sich so sehr, dass es das wert wäre. „Okay, dann schlafen wir zusammen“, erwiderte sie, während sie auch das letzte nötige Teil aus dem Rucksack zog. „Und da ich schon angefangen habe, schätze ich, dass wir mein Zelt nehmen~. Lass es uns gemeinsam aufbauen.“ Es war groß genug, dass auch immer der Großteil ihrer Pokémon darin Platz fand, also dürfte auch Delion noch locker hineinpassen. Der wirkte erleichtert darüber, dass sie dieses Thema so schnell und unkompliziert abschließen konnten. „Ja, machen wir das.“ Mit Delions Hilfe dauerte es nicht lange und das Zelt stand bald darauf, bereit bezogen zu werden. Raelene legte gerade noch die Schlafsäcke für sie beide und weiche Decken für die Pokémon aus. Nebenbei holte sie den schnarchenden Dedenne aus ihrem Haar hervor, in das er sich nach dem Spielen wieder zurückgezogen hatte, um ihn vorsichtig drinnen hinzulegen. Als sie zufrieden war, nickte sie sich selbst zu. „Gut, Zeit für's Bett, ihr Lieben“, sagte Raelene zu den anderen. „Macht es euch ruhig schon mal gemütlich. Delion und ich gehen noch etwas spazieren, aber wir bleiben in der Nähe. Ruft uns einfach, falls etwas sein sollte.“ Diese Ankündigung sprach sie möglichst leise aus, weil die Babys schon schliefen. Feelinara nutzte sogleich ihre Bänder, um den Eingang ins Zelt aufzuhalten und für die anderen Pokémon noch besser zugänglich zu machen. Katapultdra schwebte an ihr vorbei und gab dabei ein Geräusch von sich, das fast schon ein bisschen an „Danke“ erinnerte, Intelleon und Durengard folgten ihm hinein. Maxax zog es aufgrund seiner Größe dagegen vor, draußen zu schlafen – mit Pichu auf seinem Kopf. Glurak rollte sich ebenfalls neben dem Zelt zusammen, statt darin. Liberlo wollte ihn an diesem Tag wohl nachahmen und legte sich ebenfalls draußen hin. Azurill war während des Aufbaus auf Wolly geklettert und endgültig eingeschlafen, versunken in der Wolle. Gähnend folgte Wolly den anderen ins Zelt. Also wären alle Pokémon sicher, wie es aussah. Neugierig warf Delion rasch einen kurzen Blick ins Zelt. „Ich bin ja gespannt, ob sie sich auch in der Nacht vertragen.“ „Da mache ich mir eigentlich keine Sorgen mehr“, meinte Raelene schmunzelnd. „Sie wirken schon fast wie eine Familie.“ Das war etwas, wofür sie Pokémon sehr bewunderte. Sie konnten überraschend schnell eng zusammenwachsen. Sicher hatten sie in dem Fall auch Glück, dass ihre Trainer jeweils gute Arbeit leisteten. Feelinara huschte ebenfalls ins Zelt hinein, nachdem sie denen, die draußen schliefen, offenbar noch eine gute Nacht gewünscht hatte. Zamazenta war der einzige, der sich neben Raelene und Delion stellte. Er sah sie beide abwartend an. „Ich weiß, nachts ist es dann doch etwas zu gefährlich, ganz ohne Pokémon.“ Raelene sah zu Delion. „Stört es dich, wenn Zamazenta uns begleitet?“ „Natürlich nicht. Er kann ruhig mitkommen.“ Auch Delion wusste sicher, dass es nicht schaden konnte, wenn er bei ihnen war. So könnte Zamazenta sie direkt vorwarnen, wenn etwas geschehen sollte. Außerdem war es wirklich besser, wenn sie nicht ganz ohne Pokémon unterwegs waren – und wer wäre zum Schutz besser geeignet als ein legendäres Pokémon? Zamazenta schnaubte dankend. Sie war immer wieder überrascht, wie gut Pokémon Menschen verstehen konnten. Woher das wohl kam? „Dann bleibt schön dicht bei mir. Ich gebe den Weg vor~.“ Raelene überzeugte sich mit einem letzten Blick, dass bei den Pokémon von Delion und ihr alles gut war, bevor sie gemütlich losging. Nach den vielen sportlichen Runden an diesem Tag, war es doch angenehm, es langsam angehen zu lassen. Ein netter Ausgleich. „Mit Gloria könnte ich das hier nicht machen.“ Unruhig faltete Raelene die Hände. „Sie hat furchtbare Angst vor Gruselgeschichten.“ Gut, ihr selbst ging es nicht anders. Oft hatten Gloria und sie versucht, einen Horror-Filmabend zusammen zu meistern, waren jedoch stets kläglich gescheitert. Geister-Pokémon dagegen waren seltsamerweise kein Problem. Delion sagte gar nichts auf ihre Worte bezüglich Gloria und Gruselgeschichten, was dafür sorgte, dass Raelene den Blick vom Himmel losriss und zu ihm sah. Anscheinend hatte Delion sie intensiv angestarrt, so plötzlich wie er sich auf den Weg vor ihnen fixierte und sich künstlich räusperte. „Huh, so wirkt sie auch ein wenig“, kommentierte Delion schließlich. „Sie mag Romantik bestimmt mehr, hm?“ Raelene sah Delion einen Moment lächelnd an, bevor sie verträumt wieder in den Nachthimmel starrte. „Nun, manchmal, wenn wir mal Zeit dafür hatten, haben wir uns getroffen und uns gaaanz kitschige Filme zusammen angesehen. Voll mit Romantik und so. Dann haben wir uns immer vorgestellt, dass in den männlichen Rollen jeweils unser Schwarm steckt ... anschließend aßen wir vor Frust viel zu viel Eis, weil wir dachten, unsere Träume würden eh niemals wahr werden.“ Lachend schüttelte sie den Kopf. Zamazenta lief neben ihr her, ohne eine Reaktion zu zeigen. „Also, Ja, sie mag Romantik.“ Sie zwinkerte Delion zu. „Und das eben war ein geheimer Ausschnitt aus dem mädchenhaften Alltag des Ditto-Champs. Unveröffentlichtes Material~.“ „Wirklich interessant~. Und wie fühlt es sich nun an, dass der Traum wahr geworden ist?“ „Wie ein Traum halt.“ Sorge spiegelte sich in ihrem Gesicht wider. „Ich befürchte immer noch, dass ich plötzlich aufwachen könnte.“ Instinktiv griff Raelene nach seiner Hand und sah verlegen nach vorne. So lange wie möglich würde sie diesen Traum auskosten, erst recht wenn es doch Realität war. Es fühlte sich noch unwirklich an, deshalb freute sie sich darauf, nach und nach eine immer engere Beziehung mit Delion aufzubauen. „Frag mich mal so in einem Monat nochmal. Dann glaub ich vielleicht endlich, dass das hier real ist.“ Er drückte ihre Hand lächelnd. „Ich werde versuchen, mir das zu merken. Ich bin aber erstaunt, dass du immer noch an einen Traum glauben kannst. Vielleicht hab ich einfach zu wenige Romantik-Filme gesehen, aber ich könnte mir das alles nicht so realistisch vorstellen.“ „Du bist auch eher der Verwirklicher. Vielleicht liegt es daran~.“ Wahrscheinlich hatte Raelene aber einfach nur doch zu viele Zweifel an sich selbst. Obwohl sie eigentlich schon recht selbstbewusst geworden war, nagten ziemlich oft negative Gedanken an ihr. Sie fragte sich ohnehin schon die ganze Zeit, was genau Delion an ihr liebte. Raelene würde sich aber nie trauen zu fragen, aus Sorge, dass dann doch noch alles zusammenbrach. „Da vorne müssen wir gleich um die Felsen herum. In einer versteckten Nische steht dann der Grabstein“, erklärte sie. „Ganz schön gut versteckt. Wie hast du den denn gefunden?“, fragte er irritiert. „Ich habe ihn nicht gefunden, das war mein Gorgasonn, als ich sie mal dabei hatte. Liberlo hatte sie zu einem Wettrennen herausgefordert. Da ich auf dem Rotom-Rad dabei war, bekam ich mit, wie Gorgasonn plötzlich komplett vom Weg abkam und hinter diesen Felsen verschwand. Erst dachte ich, sie hätte sich nur verlaufen, aber anscheinend war sie von etwas regelrecht angezogen worden.“ Was die Existenz dieses Grabsteins nur noch gruseliger machte. An der Geschichte amüsierte Raelene aber dennoch die Tatsache, dass Liberlo wirklich erpicht darauf war, mit jedem zu rennen. Immerhin waren Gorgasonns geradezu berüchtigt für ihre langsame Fortbewegungsart. Das Rennen hatte damals deswegen ewig nicht enden wollen, weil ihr Gorgasonn erst spät an der Ziellinie angekommen war. „Dann muss es sich wirklich um etwas Gruseliges handeln. Ich bin schon so gespannt~.“ Zamazenta hob kurz den Kopf und schüttelte sich anschließend. Was auch immer er damit sagen wollte, es war beruhigend, ihn dabei zu haben. Sie führte Delion um die Felsen herum und achtete darauf, keine schlafenden wilden Pokémon zu wecken, indem sie darauf achtete, wo sie hintrat. Je näher sie aber dem Grabstein kamen, desto verlassener wurde die Gegend, bis es schon nahezu verdächtig still wurde. Als könnte jeder Laut ein Kartenhaus zusammenstürzen lassen, weswegen die Welt selbst sich das Schweigen auferlegt hatte. „Da vorne ist die Nische“, flüsterte Raelene, eingenommen von der Atmosphäre. „Wir sind gleich da.“ Die Stelle war an sich absolut nicht ungewöhnlich. Eben eine natürliche Nische, in einer von Felsen zerklüfteten Gegend. Aber dieser einzelne Grabsteine war wirklich ... ominös. Er sah zwar auch normal aus, aber gerade dadurch wirkte er absolut unpassend an dieser Stelle. Als sie näher herangingen, überkam einen das Gefühl, dass sich sämtliche Haare auf dem Körper aufstellten. Es war unglaublich. „Unheimlich~“, murmelte Delion vergnügt. Ohne darüber nachzudenken, griff Raelene nach seinem Arm und rückte dichter an ihn heran. „Mhm ... sagte ich doch.“ Sie klang bei weitem nicht so vergnügt wie er, aber immer noch neugierig. Die Atmosphäre jagte ihr dennoch einen Schauer über den Rücken. Sogar Zamazenta knurrte leise. Es war das erste Mal, dass Raelene ihn dabei hatte und seine Reaktion beobachten konnte. „Kannst du was mit dem Text auf dem Grabstein anfangen?“ Konzentriert las Delion die Inschrift auf dem Gestein. Trage meine Stimme in die Welt hinaus, lautete sie. Was sollte das nur bedeuten? Egal, wie oft Raelene den Text sah, sie wurde nicht schlau daraus. Falls das ein Rätsel sein sollte, lag ihr so etwas wohl nicht. Jedenfalls nicht solche. Nachdenklich runzelte Delion die Stirn. „Meint das, wir sollen irgendwem erzählen, dass hier ein Geist lebt?“ „Wie hoch ist die Chance, dass wir damit andere verfluchen?“, warf Raelene nervös ein, eher an sich selbst gerichtet. Ob sie Delions Schicksal bereits besiegelt hatte, weil sie nun mit ihm hier war? So weit hatte sie gar nicht gedacht. Nein. Keine Panik! Als Champ von Galar durfte sie sich von so etwas nicht einschüchtern lassen. Aber ... in dem Fall wäre Delion der Leidtragende. „Irgendetwas muss hier aber sein. Ich fühle mich immer total beobachtet, wenn ich an diesem Grabstein bin.“ „Jetzt gerade auch?“, hakte Delion nach. Anscheinend ging es ihm nicht so, sonst würde er sicher nicht fragen. Hoffentlich bildete Raelene sich am Ende nicht nur etwas ein, weil sie sich leicht gruselte. Angespannt starrte sie schweigend den Grabstein an. Plötzlich schüttelte sie sich dann, ähnlich wie Zamazenta vorhin, und schlang nun auch den anderen Arm schutzsuchend um den von Delion. „Sowas von Ja! Das ist echt gruselig. Aber ich will auch wissen, was sich hier wohl für ein Pokémon versteckt ... falls es denn eines ist.“ Sie beugte sich ein wenig Richtung Grabstein und sprach ihn respektvoll an: „Hey. Wir wollen wirklich nicht stören, sondern nur mal Hallo sagen. Du musst nicht schüchtern sein, wir sind echt nett.“ Delion hob seine freie Hand. „Hallo~.“ Nichts geschah. Doch dann schien auch ihn ein seltsames Gefühl heimgesucht zu haben, denn er sprach noch leiser als vorher: „Irgendetwas ist hier auf jeden Fall.“ In Raelenes Augen glühte ein Funken der Begeisterung auf, aber aus Nervosität flüsterte sie ebenfalls weiter: „Also spinne ich doch nicht~.“ Am besten sollte sie unbedingt nochmal die Leute in Freezedale zu diesem Grabstein befragen. Oder sie meldete sich bei Peony und hoffte darauf, dass er zufällig mal irgendeine Notiz zu diesem Mythos aufgeschrieben hatte. Zamazenta stieß ein warnendes Heulen aus, aber es galt nicht Raelene oder Delion, sondern eindeutig dem Grabstein. Oder irgendetwas, das dort sein musste. Es war schön, dass Zamazenta so sehr auf sie achtete, dass er selbst dieses merkwürdige Etwas warnte. „Hm ... ich glaube, wir sollten vielleicht lieber in einer anderen Nacht zurückkommen ...“, schlug Raelene vor, sichtlich unruhig. „Mit unseren Pokémon.“ Im Moment konnten sie nicht wirklich etwas tun, deswegen nickte Delion. „Ja, lass uns irgendwann anders wiederkommen. Am besten mit ein paar Geister-Pokémon.“ „Auf jeden Fall.“ Wenn sie beide vorbereitet waren, könnten sie vielleicht wirklich mit diesem Etwas kommunizieren. An Delions Seite fühlte sie sich außerdem wesentlich stärker. Dann könnte auch niemand so einfach ihren eigenen Geist übernehmen – so etwas passierte hoffentlich niemals einem von ihnen, auch wenn viele wilde Pokémon in der Hinsicht eine große Bedrohung darstellten. „Also gut, Zamazenta, wir gehen wieder“, beruhigte sie ihn. „Danke, dass du so wachsam bist.“ Das legendäre Pokémon sah sie mit einem entschlossenen Blick an, der deutlich machte, dass Zamazenta das für selbstverständlich hielt. Delion bewegte sich bereits ein wenig rückwärts, um von diesem Ort wieder wegzukommen, was Raelene ihm gleichtat. Nur um sicherzugehen, bevor vielleicht doch noch ein Geist auftauchte, der sie zu übernehmen versuchte. „Dass du dich bislang allein hergetraut hast“, bemerkte Delion dabei anerkennend, „ist nicht schlecht.“ Nur ungern ließ Raelene den Grabstein aus den Augen, solange sie noch so nah waren, aber sie musste diesem einen Drang folgen und Delion anschauen. „Findest du?“, entgegnete sie stolz. Ein Lob von Delion versetzte ihr Herz direkt wieder in Aufregung. Jetzt kam es ihr albern vor, dass sie besorgt gewesen war, er könne sie für einen Feigling halten. Ein wenig Vorsicht bei gruseligen Dingen war doch aber eigentlich nur normal, oder? „Vielleicht bin ich einfach nur etwas lebensmüde~.“ Er lächelte sie an. „Das werde ich dir noch austreiben. Lebensmüde zu sein ist keine Champ-Qualität. Machen wir daraus lieber Dyna-Mut!“ Nun, Raelene konnte seine Sorge durchaus verstehen, aber war das im Grunde nicht dasselbe? Nein, irgendwie klang das beeindruckend. Mächtig. Positiver. „Dyna-Mut“, wiederholte Raelene fasziniert. „Oh ja, das klingt echt viel besser~. Champ-Time mit einer großen Portion Dyna-Mut!“ Wo nahm Delion nur immer diese eingängigen, lässig klingenden Catchphrases her? Von ihm kam es immer so natürlich, ganz von allein ... sie liebte ihn auch für diese einfallsreiche Seite. „Gut, nächstes Mal lösen wir dieses Rätsel~.“ Raelene war so von ihrer Begeisterung abgelenkt, dass sie das leise, unheilvolle Flüstern aus dem Grabstein nicht bemerkte. Es versuchte, nach ihnen zu greifen, doch Zamazenta lief schützend hinter ihnen und warf immer wieder einen drohenden Blick nach hinten, bis sie weit genug entfernt waren. Die nächtlichen Geräusche kehrten allmählich zurück, das Leben war wieder spürbar. „Unbedingt. Wir können das nicht so lassen“, sagte Delion bestimmt. Hörte sich so an, als würde er sich bereits Sorgen darüber machen, dass am Ende sonst doch irgendjemand von einem Geist besetzt wurde. Das dürften sie natürlich nicht zulassen. Vor allem Raelene als Champ nicht. Darum stimmte sie ihm sofort zu, gleichzeitig froh darüber, dass Delion an alldem auch Interesse zeigte und das nicht als alberne Beschäftigung abgetan hatte. Wer weiß, wie sehr Bürokratie einem auf Dauer auf die Nerven schlug? Als sie bemerkte, dass sie sich immer noch an seinem Arm festhielt, wollte sie erst verlegen loslassen und sich entschuldigen. Aber ... wenn es ihn stören würde, hätte er sicher schon etwas gesagt, oder? Vielleicht genoss sie die Nähe dann einfach, bis sie wieder beim Zelt waren. Außerdem hatte Raelene ihn bezüglich ihrer Anhänglichkeit vorgewarnt. Während sie zurück in Richtung Zelt liefen, atmete Delion tief durch. „Ich war schon eine Weile nicht mehr so richtig entspannt unterwegs. An mehreren Tagen der Woche auch noch.“ Also hing Delion wohl tatsächlich fest wie in einem Käfig. Es betrübte sie, wenn sie daran dachte, wie er nur in seinem Büro saß oder mit wichtigen Leuten Gespräche führen musste. Sicher, jemand musste Liga-Präsident sein, aber sie wünschte, Delion könnte einfach wieder das tun, was er so sehr liebte … „Dann werde ich doch wohl ab jetzt öfter nach draußen zerren müssen“, beschloss sie. „Wir haben schließlich viel zu tun hier. Eine Menge Rätsel wollen gelöst werden.“ „Ich bitte auf jeden Fall darum. Mit dir unterwegs zu sein, ist schöner, als im Büro festzusitzen. Ich bin stolz auf dich, dass du auf all diese Geheimnisse gestoßen bist. Das zeigt mir, dass du ein guter und verlässlicher Champ bist.“ Verwirrt blinzelte Raelene ihn an. „Weil ich gerne Abenteuer erlebe in meiner Freizeit?“ Das erschien ihr nicht wie etwas, womit sie irgendwem eine Hilfe wäre. Gut, falls hinter dem Grabstein ein gefährliches Pokémon stecken sollte, würden sie in dem Fall für mehr Sicherheit sorgen, wenn sie sich darum kümmerten. Ansonsten ging es ihr bei den Expeditionen eigentlich nur um den Spaß und etwas mit ihrem Team gemeinsam zu erleben. Und darum, neue Pokémon zu entdecken. „Klar~. Stell dir vor, wir hätten einen Champ, der sich gar nicht dafür interessiert, irgendetwas zu erleben oder zu tun. Wie soll das dem Ruf der Liga helfen? Aber wenn du gern Abenteuer erlebst und dabei solche Rätsel findest und löst, ist das echt zuträglich.“ So hatte sie das noch nie betrachtet, aber es stimmte. Wenn sie außerdem bedachte, wie sehr sie Galar liebte, klang es sogar absolut wundervoll. Sie war kein schlechter Champ. Raelene schmiegte ihren Kopf an Delions Schulter und schloss kurz die Augen. „Danke, Delion.“ Solange sie aus seiner Sicht so positiv dastand, müsste sie sich absolut keine Sorgen machen. „Nichts zu danken“, sagte er sanft. Das Camp kam langsam schon wieder in Sichtweite, man konnte Gluraks Flamme in der Dunkelheit deutlich leuchten sehen. „Scheint alles in Ordnung zu sein“, stellte Raelene zufrieden fest. Jedenfalls wirbelte Gluraks Flamme nicht wild herum und es war auch sonst ziemlich friedlich. Das bestätigte sich auch, als sie schließlich wieder am Camp ankamen. Liberlo lag auf dem Rücken, Arme und Beine weit von sich gestreckt – bestimmt hatte er sich im Schlaf wieder sehr lebhaft bewegt. Widerwillig löste sie sich von Delion, um sich zu strecken. Zamazenta legte sich neben das Zelt und entspannte auch sofort. Zielstrebig zog Raelene direkt ihre Jacke aus, die sie sich angezogen hatte, bevor sie losgegangen waren. „Dann mal ab ins Bett.“ Das wurde wohl langsam wirklich Zeit, auch wenn es schade war, dass die Zeit so schnell verflog. Delion folgte ihrem Beispiel, aber da er keine Jacke trug, zog er einfach nur die Schuhe aus, was Raelene wiederum nachahmte. Der Gedanke, gleich zusammen mit Delion und seinen Pokémon gemeinsam in einem Zelt zu schlafen, war unbeschreiblich beruhigend. Sie wären alle in ihrer Nähe, würden Wärme verbreiten und durch ihre Anwesenheit versichern, dass sie alle füreinander da waren. Bestimmt ging es Zamazenta ähnlich, deshalb konnte sogar er nun so entspannt daliegen. Eigentlich dachte sie, ihr Herz würde vor Aufregung und Verlegenheit explodieren, aber sie war überraschend gelöst. Lächelnd sah sie zu Delion und vollführte eine einladende Geste Richtung Zelt. „Gehen wir mit der Zeit und machen mal ein Men's First~. Ich quetsche mich dann dorthin, wo noch Platz ist. Oh, und pass auf, Wolly ist sehr kuschelbedürftig.“ „Da bin ich mal gespannt“, schmunzelte er. Er ging in die Knie, um ins Zelt hineinzukriechen. Kurz darauf folgte Raelene ihm und schloss den Eingang hinter sich anständig. Wolly hatte sich bereits in ihren Schlafsack gekuschelt, vermutlich weil es dort nach ihr roch. Deswegen musste sie den Flauschball behutsam hochheben, um sich selbst anständig hinlegen zu können. Azurill lag inzwischen bei Feelinara und Katapuldra. Plötzlich gab Wolly einen erfreuten Laut von sich, als sie dann bemerkte, dass Delion und Raelene zurückgekommen waren. Schläfrig drehte sie sich zwischen ihnen hin und her. Vermutlich kämpfte Wolly gerade mit der Entscheidung, mit wem sie zuerst kuscheln sollte. Schließlich entschied sie sich aber für Delion, bestimmt um direkt auszutesten, wie es war, in seinen Armen zu schlafen – Raelene war fast ein wenig eifersüchtig. „Siehst du?“, flüsterte Raelene ihm zu. „Jetzt hast du ein flauschiges Kopfkissen.“ Probehalber kuschelte er sich ein wenig an Wolly, woraufhin sich Begeisterung bei ihm breit machte. „Ooooh~.“ Seine Augen leuchteten. „Das ist wirklich flauschig. So werde ich großartig schlafen~.“ Hatte er etwa nie wirklich mit Hops Wolly gekuschelt? Irgendwie konnte Raelene sich das kaum vorstellen. Womöglich war das Wolly von Hop aber einfach zu sehr auf ihn fixiert gewesen, weshalb Delion nie eine richtige Chance bekommen hatte. Raelenes Wollys schien jedenfalls zufrieden zu sein, denn es schlief bereits wieder, während es an Delion gekuschelt blieb. Ihn so zu sehen war doch einfach zu schön, als dass sie ernsthaft eifersüchtig sein könnte. „Das hoffe ich doch~. Du wirst auf der ganzen Welt kein besseres Kopfkissen finden.“ Gähnend vergrub Raelene sich in ihrem Schlafsack. Eigentlich wollte sie nicht schlafen, weil sie immer noch glaubte, morgen könnte Delion nicht mehr da sein, aber die Müdigkeit riss sie plötzlich wie eine Welle mit sich. „Danke, für den schönen Tag heute“, nuschelte sie glücklich. „Schlaf gut, Delion~.“ „Ich muss dir danken. Schlaf gut, Rae~.“ Nach diesen Worten kuschelte er sich noch ein wenig enger an das schlafende Wolly und schloss seine Augen. Eingehüllt in all dieser Wärme und das Glück, das dieses Zelt erfüllte, würde das Schlafen bestimmt besonders leicht fallen. Darum konzentrierte Raelene sich auf die ruhigen Atemzüge aller Anwesenden, um selbst ins Land der Träume zu wandern. Kapitel 11: Euer Champ unterstützt den Liga-Präsidenten heute ------------------------------------------------------------- Als Raelene am nächsten Morgen aufwachte, war Wolly dicht an sie gekuschelt, so wie immer. Sie blinzelte verschlafen und gähnte leise. Von draußen drangen verschiedene Stimmen von Pokémon bis zu ihr ins Zelt vor und die Sonne schien schon wieder aufgegangen zu sein. Ein neuer Tag hatte begonnen. Es dauerte einen Moment, bis Raelene wach genug war, um sich daran zu erinnern, dass sie gestern mit Delion an ihrer Seite eingeschlafen war. Jetzt war der Platz aber leer. Für einen Augenblick befürchtete sie, ihr schlimmster Alptraum wäre nun doch wahr geworden: Das Date gestern war nicht real gewesen. Raelene richtete sich auf und murmelte dabei ein bedrückten „Nein ...“, aber dann bemerkte sie einen zweiten Schlafsack, der noch neben ihr lag. Und außer Wolly war keines ihrer anderen Pokémon noch im Zelt. Normalerweise standen sie sonst immer mit ihr zusammen auf. Also … „Delion muss schon aufgestanden sein.“ Erleichtert atmete sie auf und strich sich durch die zerwühlten Haare. „Ich habe anscheinend doch weniger Selbstvertrauen, als ich dachte.“ Warum sonst sollte sie so lange daran glauben, nur einen schönen Traum zu haben? Dass Delion keinen Grund haben könnte, sie zu lieben? Kräftig klatschte sie sich mit beiden Händen gegen die Wangen. „Schluss damit! Du bist toll und liebenswürdig! Und du wirst geliebt, von Delion!“ Bedacht darauf, Wolly – sie war schon immer eine Langschläferin gewesen – nicht aufzuwecken, schälte sie sich aus ihrem Schlafsack und wickelte ihr Pokémon darin ein, damit es auch ohne sie weiterhin gemütlich blieb. Anschließend schlüpfte sie aus dem Zelt, um nachzusehen, wo Delion und die Pokémon waren. Und was sie so früh schon auf den Beinen machten. Ein Teil ihrer Pokémon befand sich in der Nähe des Zeltes, den Rest sowie Delion konnte Raelene jedoch auf Anhieb nicht entdecken. Erst nach einigen genaueren Blicken in die Umgebung sah sie Delion mit seinen Pokémon ein Stück abseits des Campingplatzes stehen, wo sie den Morgen scheinbar für ein kleines spielerisches Training nutzten, ohne dabei jemanden stören zu wollen. Sofort packte Raelene die Neugier und sie schlich sich ein bisschen näher heran, so dass sie hören konnte, was Delion mit seinen Pokémon besprach. Diese waren vollkommen auf ihn konzentriert, weshalb niemand bemerkte, wie unprofessionell sie die kleine Gruppe ausspionierte, denn wirklich unauffällig war sie dabei nicht. „Okay, Leute“, sagte Delion, mit fester und motivierender Stimme, „wir haben jetzt eine Weile mit dem Ball gespielt, versuchen wir mal was anderes.“ Aus einer seiner Seitentaschen holte er eine Beere hervor und hielt sie so, dass die Pokémon sie gut sehen konnten. Pichu beugte sich auf Maxax' Kopf interessiert vor. „Das wird vermutlich eher was für Katapultdra und Glurak sein“, entschuldigte Delion sich bei dem Baby, dann holte er aus und schleuderte die Beere über das Wasser. Glurak raste auf der Stelle los, direkt gefolgt von Katapultdra. Pichu nutzte die Gelegenheit und sprang flink auf Katapultdra auf, um mitzufliegen. Die Grolldras beobachteten das Ganze aus Delions Haar heraus, wo sie es sich sichtlich gemütlich gemacht hatten. Mitten in der Luft hüpfte Pichu schließlich zielsicher auf Glurak hinüber und kletterte auf dessen Kopf, in einem Versuch, die Beere doch noch vorher zu erreichen – aber im Endeffekt gelang es Katapultdra, sich den begehrten Snack zu schnappen. Zufrieden lächelnd und kauend kehrte der Sieger zu den Wartenden zurück. Glurak und Pichu waren da wesentlich verstimmter. „Gute Arbeit“, lobte Delion sie aufrichtig. „Von euch allen.“ Mit diesen Worten reichte er den beiden leer Ausgegangenen auch noch je eine Beere, worauf sie ebenfalls endlich zufrieden kauen konnten. Schweigend hatte Raelene das Ganze fasziniert verfolgt. Es war spannend, ihn mal bei dem Umgang mit seinen Pokémon heimlich beobachten zu können. Wie erwartet war er dabei einfach Delion: liebevoll und motiviert. Ihr Herz tanzte vor Freude. Lächelnd wandte sie sich von der Szene ab und setzte sich am Zelt ins Gras, neben Zamazenta, um das noch eine Weile von der Ferne aus zu genießen. Dabei flüsterte sie ihm ein leises „Guten Morgen“ zu, wofür sie ein wohlgesinntes Schnauben zurückbekam. Freundschaftlich streichelte sie Zamazenta über den Rücken, bevor sie sich bei ihm anlehnte. Er duldete das sogar und schien sich auch nicht daran zu stören. Kaum war Delions Training mit seinen Pokémon beendet, versammelten sich auch die von Raelene um ihn. Feelinara hielt sich mit ihren Bändern an Katapuldras Schweif fest. Dedenne und Azurill waren wieder auf Maxax raufgeklettert und Liberlo huschte aufgeregt zwischen allen hin und her. Es war ein schönes Bild. Sie wirkten tatsächlich wie eine richtige Familie. Die Grolldras fiepten plötzlich leise und verließen Delions Haar, was ihn letztendlich darauf aufmerksam machte, dass sich irgendetwas geändert haben musste. Fragend sah er den Kleinen hinterher, als sie davon schwebten, wodurch er Raelene entdeckte. Ein Lächeln huschte sogleich über seine Lippen, so als wisse er bereits, was als nächstes passieren würde. Begeistert stürzten die Grolldras sich in Raelenes Haar, kaum dass sie bei ihr angekommen waren, was sie überrascht zusammenzucken ließ. Kurz darauf lachte sie aber schon herzlich darüber, wie süß die zwei waren. Begeistert wickelten die Grolldras sich nun in ihrem Haar ein. Vermutlich gingen sie davon aus, dass das in Ordnung wäre, weil sie das bei Delion auch tun durften. „Na, ihr Kleinen? Jetzt habt ihr mich glatt verraten.“ Zu schade, aber vielleicht bekäme sie bald nochmal die Gelegenheit, Delion und die Pokémon zu beobachten. Sie wünschte den Grolldras ebenfalls einen guten Morgen, bevor sie Delions Lächeln erwiderte. Energiegeladen winkte Delion ihr von seiner Position aus zu. „Guten Morgen, Rae!“ „Na, schöner Mann?!“, grüßte sie ihn strahlend zurück. „Hast du gut geschlafen?!“ Statt sofort zu antworten verringerte er zunächst die Distanz zwischen ihnen, während die Pokémon hinter ihm sich tatkräftig über die morgendlichen Aktivitäten austauschten. Bei ihr angekommen, ließ er sich schwungvoll neben Raelene auf den Boden fallen. „Ich habe großartig geschlafen“, bekundete er lächelnd. Das war sicher zum Großteil Wolly zu verdanken. Vielleicht auch ein kleines bisschen der Tatsache, dass sie sich schon so schnell nähergekommen waren. Damit hatte Raelene jedenfalls nicht gerechnet. Nach all den Jahren hatte wohl keiner von ihnen noch mehr Zeit vergeuden wollen, indem sie es langsam angingen. „Und du?“, gab Delion die Frage erwartungsvoll zurück. „Ich hoffe, ich habe dich nicht geweckt.“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein, keine Sorge. Ich wache meistens früh auf. Scheinbar aber nicht so früh wie du.“ Anscheinend hatten er und die Pokémon bereits viel Spaß gehabt, was sie nur noch glücklicher machte. Dass sogar ihre eigenen Pokémon mitgekommen waren, als er das Zelt verlassen hatte, war ein sehr gutes Zeichen. „Und ich habe auch super geschlafen“, fügte sie noch hinzu. „Die Atmosphäre war aber auch einfach zu toll, da konnte man nur gut schlafen. Es ist richtig beruhigend, zusammen mit Pokémon einzuschlafen ... und mit dem Mann, den man liebt.“ Bei ihrem letzten Halbsatz nahm sein Lächeln eine leicht verlegene Note an. „Ja, so ging es mir bei dir auch. Ich hatte das Gefühl, vor allem wesentlich besser einzuschlafen als sonst. Du bist übrigens richtig süß, wenn du schläfst~.“ Raelene sah ihn mit großen Augen an. „W-was?“ Hatte Delion sie etwa ... bestimmt hatte er das. Er musste sie beobachtet haben. Bei der Vorstellung lief sie direkt rot an. Rasch klatschte sie sich wieder gegen die Wangen und lachte verlegen. Natürlich wäre sie ihm nicht böse oder so, falls er das wirklich getan hatte. Vielmehr fand Raelene es schade, dass sie nicht selbst einen Blick auf einen friedlich schlafenden Delion erhaschen konnte. Irgendwann … „Wirklich? Ich hoffe, ich habe nicht gesabbert oder so ...“ Manchmal war Raelene sich morgens nämlich nicht sicher, ob Wolly diejenige war, die das tat, oder doch sie selber. „Hast du nicht“, versicherte Delion, fast ein wenig enttäuscht – fände er das etwa auch süß? „Schau mal, es scheint ein wundervoller Tag zu werden.“ Bedeutungsvoll hob er die Arme in die Luft, als wolle er den klaren, blauen Himmel in seiner Gesamtheit umarmen, und sah sie anschließend strahlend an. „Was wollen wir heute unternehmen?“ Bildete Raelene sich das ein oder hatte Delion äußerst gute Laune? Das war richtig ansteckend. Während sie über eine Antwort nachdachte, warf sie selbst nochmal einen Blick in den Himmel. Tatsächlich, strahlender könnte das Blau an diesem Tag nicht sein. Richtig belebend. „Da gäbe es einiges, was wir tun könnten.“ Raelene hob ihre Hände, um ihre Vorschläge mitzuzählen. „Du könntest mir zeigen, wie schnell du normalerweise mit Glurak fliegst. Wir könnten uns einige andere Geheimnisse der Kronen-Schneelande anschauen oder einfach nur auf den Eisschollen im Schollenmeer herumspringen. In der Schneeschlucht Schlitten zu fahren macht sicher auch viel Spaß. Oder wir erforschen ein paar von den Höhlen. Ob man im Ballsee schwimmen kann? Wäre auch eine Option. Im Gasthaus in Freezedale gibt es sogar eine Sauna~. Die Möglichkeiten sind also breit gefächert.“ Plötzlich wurde ihr dann etwas bewusst. Sie löste den Blick vom Himmel und sah Delion schwärmend an. „Warte! Du willst also auch den Tag heute gerne mit mir verbringen?“ „Ja, natürlich, ich-“ Das Klingeln eines Telefons, wahrscheinlich sein Handy, unterbrach ihn traurigerweise bei seiner Bestätigung. Mit gerunzelter Stirn holte er es hervor und erkannte offenbar schon mit einem ersten Blick auf das Display, dass ihm dieser Anruf nicht gefiel. „Da muss ich rangehen“, sagte er zerknirscht. „Warte einen Moment, ja?“ Damit stand er wieder auf, nahm den Anruf an und entfernte sich einige Schritte, um in Ruhe reden zu können. Besorgt folge Raelene ihm mit ihrem Blick. Hoffentlich war nichts Schlimmes passiert. Aber selbst, wenn es sich nur um Papierkram handelte, der dringend erledigt werden sollte, wäre es schade, wenn Delion deswegen nun doch weg müsste. „Ich würde ihn so gerne aus diesem Job rausholen ...“, gestand sie Zamazenta. „Aber dafür bräuchte man erst mal einen guten Ersatz.“ Außerdem bliebe dann noch die Frage, was Delion stattdessen tun sollte. Es kam ihr so vor, als ließe es sich einfach nicht ändern. Allzu lange dauerte das Gespräch nicht, denn kurze Zeit später kehrte Delion bereits zu ihr zurück, so dass sie gerade noch mitbekam, wie er der Person am Handy versicherte, er würde sich um die Angelegenheit kümmern. Im Anschluss legte er seufzend auf. Klang nach Arbeit. Nun wirkte Delion wirklich ziemlich zerknirscht. „Sieht so aus, als könnten wir doch nicht den Tag miteinander verbringen. Im Energiewerk in Claw City gibt es wohl irgendeinen Problem, um das ich mich kümmern muss.“ „Kann ich dir dabei helfen?“, bot sie direkt an. „Vielleicht geht es dann schneller.“ Damals war immerhin auch Delion derjenige gewesen, der als Champ stets losgezogen war, um sich solchen Problemen anzunehmen. Zumindest in dem Jahr, als Raelene wegen der Arena-Challenge unterwegs gewesen war und das dadurch einige Male mitbekommen hatte. Sie wusste nicht, wie das die Jahre zuvor gemacht worden war. Möglicherweise hing dieses Problem sogar mit Zamazentas Verhalten am Vortag zusammen, aber das konnten sie ohne weiteres Wissen nicht näher ergründen. „Würdest du das wirklich machen?“ Innerlich schien er abzuwägen, ob das sinnvoll wäre, wobei er den Kopf neigte. „Ich denke, ich könnte auf jeden Fall Hilfe gebrauchen.“ Sofort sprang sie einsatzbereit auf. „Okay, also bin ich dabei! Du kannst auf mich zählen~.“ Raelene wollte ihm zeigen, dass er sich jederzeit auf sie verlassen konnte. Außerdem freute es sie zu sehr, nicht sofort abgewiesen worden zu sein. In vielen Filmen waren Männer komischerweise nämlich oft davon besessen, alles alleine machen zu wollen. Vielleicht hoffte Delion, ähnlich wie sie, dass sie doch noch etwas gemeinsam unternehmen könnten, falls sie zu zweit das Problem wirklich schneller lokalisieren und neutralisieren könnten. Schon ein gemeinsames Frühstück würde ihr genügen. „Sollen wir dann besser das Zelt abbauen, falls wir es nicht zurück schaffen?“ „Wäre vielleicht besser“, stimmte er zu, und lächelte zuversichtlich. „Aber hey, auch wenn wir es heute nicht zurück schaffen, wir holen das alles noch irgendwann nach.“ „Ich bestehe darauf~.“ Ab jetzt würden sie sich zumindest schon mal wesentlich öfter sehen als vor ihren Liebesgeständnissen. Schon das war eine Menge wert, wie Raelene fand. Und zusammen Probleme zu lösen war auch nicht so übel – was nicht bedeutete, dass sie unbedingt welche heraufbeschwören wollte. „Dann legen wir mal los. Das sollte schnell alles eingepackt sein.“ Delion nickte und begab sich sofort an die Arbeit. Da der Aufbau erst einen Tag her war, war es auch gar nicht schwer, alles wieder abzubauen und einzupacken. Raelene versprach ihren Pokémon, dass sie noch ein ausgiebiges Frühstück bekommen würden, bevor sie alle in ihre Pokébälle zurückschickte. Sie verstaute sie sicher in ihren Taschen, genauso tat es auch Delion, der nur Glurak draußen ließ. Immerhin benötigten sie diesen noch für ihren Flug zum Zielort. Innerhalb kürzester Zeit war dann alles erledigt, so dass sie abflugbereit waren. „Okay, wir sind fertig~.“ Fragend sah Delion Raelene an. „Brauchst du noch irgendetwas?“ „Nein, ich habe alles. Ich bin bereit~.“ Was für ein Problem es wohl im Energiewerk gab? Es war das erste Mal, dass sie Delion bei so etwas begleitete. Um solche Dinge hatte sie sich nie kümmern müssen, aber sie würde alles tun, damit sie eine hilfreiche Assistentin sein konnte. Wie inzwischen üblich stieg Delion zuerst auf Glurak und zog Raelene anschließend zu sich nach oben. Auch dieses Mal empfand sie es wieder als etwas Besonderes. Sie hoffte, dieses Gefühl würde sich niemals ändern. Statt direkt den Befehl zum Abflug zu geben, zögerte er jedoch kurz. „Hey, willst du dir jetzt ansehen, wie schnell Glurak fliegen kann? Ich halte dich auch fest.“ „Oh ja, gute Idee. Wir sollten uns wohl sowieso beeilen.“ Raelene war wirklich neugierig, wie schnell Glurak eigentlich war. Und da sie sich mit den beiden auch sicher fühlte, traute sie sich das zu. Bei anderen hätte sie diesen Vorschlag eher nervös abgelehnt, aus Angst, den Boden sonst von einer ganz anderen Seite kennenzulernen. „Gut, du hast es gehört, Glurak.“ Wie versprochen legte Delion einen Arm um Raelenes Taille und bedeutete ihr, sich ein wenig vorzubeugen. „Dann bilden wir weniger Luftwiderstand. Keine Sorge, ich hab dich wirklich.“ Verstehend kam Raelene dem nach und beugte sich so weit wie möglich vor. Nur einen Atemzug später erhob Glurak sich mit Schwung in die Luft, drehte eine Runde um den Dyna-Baum und flog dann in Richtung von Claw City – in einer unfassbar hohen Geschwindigkeit. Etwas erschrocken klammerte Raelene sich sofort etwas mehr an Glurak fest, als dieser sein Tempo deutlich erhöhte. In den ersten Sekunden befürchtete sie doch, zusammen mit Delion weggerissen zu werden, weil es so schnell war. Von allen Seiten zerrte der Luftstrom an ihr. Wie ein riesiger Hammer schlug ihr Herz gegen ihre Brust und sie atmete viel zu schnell, weil sie nicht damit gerechnet hatte, dass dieses Gefühl sie derart einschüchtern würde. Es dauerte eine Weile, bis Raelene realisierte, dass sie beide immer noch auf Glurak saßen und nicht runtergefallen waren. Das half ihr dabei, ein wenig die Augen zu öffnen, was bei der Geschwindigkeit nicht ganz so einfach war. Dann wandelte sich die anfängliche Angst allmählich zu ... Faszination. Einige Wolken rasten seitlich an ihnen vorbei wie feiner Silberstaub und sie fühlte sich seltsam leicht. Vorsichtig blickte sie noch etwas mehr zur Seite, aber lieber nicht nach unten. Es war wie auf einer Achterbahn, nur noch viel intensiver. Der Wind peitschte ihr ins Gesicht, aber das verstärkte nur den Eindruck, als würde man selbst fliegen. Sie hatte nicht mal geahnt, dass ein Glurak so schnell sein konnte. „Woah!“, platzte es aus ihr heraus – auch um die restliche Anspannung zu lösen. „Es ist großartig, oder?!“, rief Delion gegen den Wind. „Ich liebe das!“ „Wahnsinn!“, erwiderte sie, so gut sie konnte. „Das ist toll!“ Besonders um wach zu werden, dagegen war jeder Kaffee der reinste Witz. Raelene vermied trotzdem weiterhin den Blick nach unten und genoss einfach nur das Gefühl. Bei dem Tempo sah man von der Landschaft ohnehin nicht viel, aber darum ging es auch gar nicht. Inzwischen raste ihr Herz eher vor Aufregung und die anfängliche Angst hatte sich zu einem Lachen gewandelt, weil es ihr nun dumm vorkam, erst so empfunden zu haben. Gerade, als sie richtig Gefallen an diesem Tempo fand, erreichten sie bereits Claw City und Glurak bremste allmählich ab, was nun seltsam traurig war. Waren sie nicht eben erst losgeflogen? Hatte Glurak diese lange Strecke wirklich innerhalb weniger Minuten zurückgelegt? Was für eine Leistung! Kein Wunder, dass er auch schon bei einer normalen Geschwindigkeit recht schnell überall ankam. Leider bedeutete das aber auch, dass sie schon wieder absteigen müssten. Glurak setzte zum Sinkflug an. Kurz danach landeten sie in der Naturzone, genau vor dem imposanten Eingang zu Claw City, wo Delion direkt absprang und Raelene die Hand reichte. „Da sind wir schon~.“ Diesmal war diese hilfsbereite Geste wahrhaftig nötig, denn Raelenes Beine fühlten sich viel zu weich an, als dass sie es alleine problemlos von Gluraks Rücken schaffen könnte. Ihr Körper war immer noch eingenommen von dem Gefühl der Euphorie, die der Flug mit sich gebracht hatte. Kaum stand sie mit beiden Füßen fest auf dem Boden, atmete sie tief durch und klopfte sich selbst gegen die Brust, in einem Versuch, ihr Herz ein wenig bremsen. „D-das ging so schnell!“ Aufgeregt wandte sie sich Glurak zu. „Du bist so schnell! Das war unglaublich!“ Glurak schnaubte stolz und Delion klopfte ihm zufrieden auf den Hals. „Ja, er ist großartig, nicht wahr? Wir haben das super-lange trainiert.“ Verständlich, immerhin war Glurak sein Signatur-Pokémon. Deshalb musste sein Partner in bester Verfassung und natürlich auch am schnellsten sein. Diesen Erfolg konnten sie in jeder Hinsicht für sich verbuchen. Liberlo könnte nicht so schnell von den Kronen-Schneelanden aus bis nach Claw City rennen. Zur Belohnung reichte Delion Glurak noch eine Beere. Nachdem er diese gegessen hatte, ließ er ihn in den Pokéball zurückkehren. „Dann gehen wir mal los“, sagte er zu Raelene und nickte in Richtung von Claw City. Raelene sammelte sich, schließlich waren sie nicht zum Spaß hier. Sie fuhr sich kurz mit den Händen durch die Haare, um sie einigermaßen zu richten, und nickte schließlich selbst. „Ja. Sehen wir mal nach, was es für Probleme gibt.“ Hoffentlich war Roy gerade nicht da. Außerhalb der Arena-Challenge gab es für ihn aber eigentlich keinen Grund, sich dort aufzuhalten ... außer vielleicht für Selfies. Er würde aber bestimmt den einen oder anderen Kommentar bringen, wenn er sah, dass Delion und Raelene zusammen gekommen waren. Darauf wollte sie lieber erst mal noch verzichten. Gemeinsam stiegen sie die Stufen hinauf und betraten die Stadt. Auch ohne Roys Anwesenheit gab es noch jede Menge Passanten, die kurzerhand anstelle ihres Arenaleiters Fotos davon machten, wie der Champ mit dem Liga-Präsidenten eintraf. Also dürften Roys Kommentare trotzdem recht bald folgen. In der Hinsicht unterschätzte Raelene die Leute immer wieder in ihrem Drang, alles visuell festhalten zu wollen. Raelene lächelte den Passanten freundlich zu, konzentrierte sich aber nicht weiter auf sie. Zumindest wurde ihr gesagt, das wäre die beste Art und Weise, mit solchen Situationen umzugehen. Erst recht, wenn man eigentlich andere Dinge zu tun hatte.Weit kamen sie aber nicht, denn nachdem sie den Eingang passiert hatten und ein paar Schritte gegangen waren, blieb Delion plötzlich schon wieder stehen. Sein Blick wanderte die drei Straßen entlang, die sich an der Stelle gabelten. Ratlos kratzte er sich an der Wange. „Also ...“ Er wandte sich Raelene zu. „Wo geht es noch mal zum Elektro-Werk?“ Obwohl Delion inzwischen schon so oft hier gewesen sein musste, konnte er sich einfach nicht merken wohin er gehen musste. Das war zu süß. Schmunzelnd griff Raelene nach seiner Hand und zog ihn mit sich. „Hier lang~. Wir sind gleich schon da.“ Ein paar Passanten machten weiterhin ungeniert Fotos von ihnen, erst recht während Raelene Delions Hand hielt, aber auch er schien sich nicht daran zu stören. Er selbst war derjenige gewesen, der angekündigt hatte, dass er ihre Beziehung nicht geheim halten wollte. Daher folgte er ihr lächelnd, bis sie schließlich in der Arena am Aufzug des Werkes ankamen. Einige Liga-Mitarbeiter erwarteten ihn bereits, jedoch nicht sein Mitbringsel. Abrupt hielten sie in ihren Gesprächen inne und sahen neugierig zwischen Delion und Raelene hin und her. Amüsiert löste er seine Hand von ihrer, nur um auf die Art vielsagend zu Raelene deuten zu können. „Ich glaube, ich muss euch den Champ nicht vorstellen, oder?“ Es erfüllte sie mit Glück, dass sie so offen in Delions Nähe sein konnte, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen. Mit der Zeit würde jeder über ihre Beziehung Bescheid wissen, bis sich irgendwann alle daran gewöhnt hatten und es akzeptierten. Selbst wenn jemand dagegen wäre, wollte sie Delion nicht mehr hergeben. Raelene hob ihre Hand zum Gruß an die Stirn. „Euer Champ unterstützt den Liga-Präsidenten heute. Also, was gibt es denn für ein Problem?“ Offenbar war das Thema damit für die Mitarbeiter schon gegessen, denn einer von ihnen deutete in Richtung des Aufzuges und kam direkt zum Punkt: „In den tieferen Ebenen gab es einen Kurzschluss, vermutlich wegen einer kurzfristigen Überlastung des Netzes. Das scheint einige starke Elektro-Pokémon angelockt zu haben.“ Das war wirklich problematisch. Darum müssten sie sich kümmern, bevor noch stärkere Schäden angerichtet wurden. „Was hat die Überlastung ausgelöst?“, hakte Delion nach. „Da sind wir uns noch nicht sicher. Aber es ist auf jeden Fall gestern Nachmittag geschehen.“ Gestern Nachmittag ... als Zamazenta so nervös gewesen war? Besorgt runzelte Raelene die Stirn. Vielleicht sollte sie mal selbst zu dieser Einrichtung gehen, in der Endynalos verwahrt wurde. Hoffentlich würde Magnolica das nicht persönlich nehmen. Ein paar Augen mehr konnten aber eigentlich nie schaden, oder? Zuerst mussten sie sich allerdings um das Problem vor Ort kümmern. „Wir erledigen das.“ Sie sah Delion an. „Fangen wir sie ein und wildern sie dann wieder aus?“ „Das wäre wohl am besten.“ Die Liga-Mitarbeiter zuckten mit den Schultern. „Wir überlassen die Entscheidung über das Vorgehen allein euch. Kümmert euch bitte einfach nur darum.“ Wie auf Stichwort öffneten sich die Türen des Aufzuges vor ihnen. Beinahe wie eine Einladung. „Okay, dann gehen wir mal.“ Diesmal war Delion es, der von sich aus ihre Hand nahm und mit ihr die Kabine betrat. Als die Fahrstuhltüren sich schlossen und sich der Aufzug in Bewegung setzte, überlegte Raelene bereits, welches Pokémon sie am besten einsetzen sollte. Dedenne käme mit Elektro-Attacken zwar zurecht, war aber eigentlich kein Kämpfer, eher ihr familiärer Begleiter. So wie Wolly. Liberlo dürfte wohl eher die geeignetere Wahl sein. „Passieren solche Zwischenfälle eigentlich häufig?“ Falls nicht, bestärkte sie das nur in ihrem Vorhaben, selbst in diese Einrichtung zur Verwahrung von Endynalos zu fliegen. „Eigentlich nicht“, antwortete Delion, womit er unbewusst ihre Befürchtung bestätigte. „Das ist sogar das erste Mal, seit Endynalos wieder eingesperrt wurde.“ Ernst runzelte er die Stirn. „Kurzschlüsse an sich gibt es immer wieder mal. Aber meist sind sie so klein, dass ich deswegen nicht angerufen werde. Diesmal ist es aber eine große Sache.“ „Das gefällt mir nicht“, sagte Raelene offen. „Wäre Zamazenta gestern nicht so unruhig gewesen, dann würde ich mir nichts dabei denken. Aber so ...“ Raelene spürte bereits die elektrische Ladung in der Luft, es kribbelte regelrecht auf ihrer Haut. „Wenn das hier erledigt ist, werde ich mal in der Einrichtung nachsehen, was da los ist.“ Sonst hätte sie keine Ruhe, bis sie sich ein eigenes Bild davon gemacht hatte. Diese Verantwortung hatte sie ohnehin viel zu lange an andere abgetreten. „Gehen wir zusammen hin“, warf Delion ein. „Ich möchte mir auch mal ansehen, wie es da aussieht.“ Delion dürfte ähnlich unwohl dabei sein wie ihr, sich dieser unliebsamen Vergangenheit nach all der Zeit zu stellen, also könnten sie sich gegenseitig stärken. Ohne die Hilfe von Hop, Zacian und Zamazenta wäre auch Raelene damals nie gegen Endynalos angekommen. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie viel Furcht sie vor der Macht verspürt hatte, als sie Endynalos damals in einem Pokéball in den Händen hielt. Darum war sie auch froh gewesen, dass Magnolica ihr diese Last einst abgenommen hatte. „Dann würde ich mich auch viel sicherer fühlen.“ Dankbar lächelte sie ihm zu. „Und jetzt: Konzentration!“ Raelene klatschte sich mit den Händen gegen die Wangen und machte sich kampfbereit, als der Fahrstuhl stehenblieb. Delion ballte kurz die Hände zu Fäusten, atmete tief durch, dann trat er aus dem Aufzug, als die Türen sich öffneten. Sie befanden sich in einer der tieferen Ebenen, in denen normalerweise nur Angestellte sich aufhielten. Deswegen war hier auch nichts verschönert oder modernisiert worden, stattdessen befanden sie sich in einem einfach betonierten Gang, durch den unzählige Kabel verliefen. Sie könnten nach links oder rechts gehen, aber die Frage war, wo sie anfangen sollten. „Weißt du, in welcher Richtung sie sein könnten? Vielleicht ist dein Empfinden besser als meines.“ Leider musste Raelene den Kopf schütteln, zog aber einen Pokéball hervor und kurz darauf stand Feelinara vor ihnen, die sie beide lächelnd ansah. „Wir suchen nach Elektro-Pokémon, die hier Ärger machen“, erklärte Raelene ihr. „Kannst du uns helfen? In welche Richtung müssen wir?“ Feelinara nickte verstehend, schloss sofort die Augen und stellte ihre Bänder auf. Ihre Fühler waren äußerst empfänglich für jegliche Arten von Spannungen oder gar Emotionen, weshalb sie mit ihrer Hilfe am ehesten die Problemquelle finden könnten. Noch bewegten sie sich ruhig und gleichmäßig, aber bald schon fingen die Bänder an zu zittern. Mit einem Ausruf hüpfte Feelinara anschließend ein Stück in den linken Gang hinein. „Wow“, bekundete Delion. „Das ist wirklich fantastisch, Feelinara!“ Feelinara schien stolz zu sein, als Delion sie lobte. Das konnte Raelene gut verstehen. Ein positives Wort von ihm und man fühlte sich direkt wie im siebten Himmel. „Ja, weiter so! Wir folgen dir.“ Raelene lief Feelinara nach, als sie den Weg vorgab. Sie sollte sich merken, wie sie später zurück zum Aufzug kämen. Es wäre unangenehm, einen Angestellten anrufen und um Hilfe bitten zu müssen – obwohl sie das wahrscheinlich schon von Delion kannten. Je länger sie Feelinara folgten, desto deutlicher konnte man spüren, wie die Quelle der Statik immer näher zu kommen schien. Eine Gänsehaut bildete sich auf Raelenes Körper – und es wurde nicht besser, als sie zahlreiche Magnetilos sah, die sich gerade gierig an einem Stromkasten labten. „Sieht aus, als wären wir da“, flüsterte Delion ihr zu, da die Pokémon sie noch nicht bemerkt hatten. „Normalerweise sendet das Werk Radiowellen aus, die Magnetilos fernhalten, aber durch den Kurzschluss müssen sie ausgefallen sein.“ Ein einzelnes Magnetilo wäre kein Problem, aber so viele auf einem Haufen könnten tatsächlich gefährlich werden. Verständlich, dass die Angestellten lieber Hilfe gerufen hatten. Wenn Liberlo und Glurak gemeinsam mit Feuer angriffen, wäre das dennoch schnell erledigt ... aber sie mussten aufpassen, dass die Technik hier unten nichts abbekam. Also nur kleinere Angriffe. Unter solchen Voraussetzungen hatte Raelene noch nicht kämpfen müssen. Mit Feelinaras Anziehung käme sie bei diesen Pokémon auch nicht weit. Leise sprach sie zu Delion, ohne die Magnetilos aus den Augen zu lassen: „Wir müssen sie zusammen schnell und gezielt außer Gefecht setzen.“ Nickend nahm er einen seiner Pokébälle zur Hand. „Am besten werfen wir zusammen.“ Solange die Magnetilos von ihnen überrascht wurden, könnten sie diese wirklich gut erledigen, ohne etwas zu beschädigen. Aber wenn man sie vorher bemerkte, bekämen sie es am Ende noch mit Magnetons zu tun, die um einiges schwerer zu vertreiben wären. Auch Raelene holte einen Pokéball heraus, den von Liberlo, und konzentrierte ihren Blick auf die Magnetilos. Feelinara hielt neben ihr die Stellung und verhielt sich ruhig. Weil Raelene nicht riskieren wollte, doch noch im Vorfeld bemerkt zu werden, verzichtete sie auf weitere Worte und nickte Delion nur auffordernd zu, damit sie gemeinsam warfen. Kaum hatte Liberlo sich aus dem roten Licht zusammengesetzt, rief Raelene ihm den Befehl zu „Glut, rechte Seite!“ Liberlo war aufmerksam genug, um sofort zu begreifen, was sie meinte. Statt einem kleinen Feuerball, schoss er auch direkt mehrere ab, gezielt auf einige Magnetilos auf der rechten Seite der Gruppe. Delion hatte zeitgleich mit ihr seinen Pokéball geworfen und somit Glurak befreit, dem er befahl, die linke Seite anzugreifen. Die Magnetilos erschraken und stoben auseinander, wobei einige zusammenstießen und aufgrund des Magnetismus aneinander kleben blieben. Dafür wurde der Großteil von ihnen durch das Feuer der beiden Angreifer besiegt. „Ein paar sind noch aktiv!“, warnte Delion. „Glurak, lass sie sich nicht entwickeln!“ Sein Partner schleuderte sofort noch mehr Glut, doch die Magnetilos wichen weiterhin aus, in einem Versuch, sich voneinander zu lösen. „Feelinara, Rechte Hand auf Glurak“, befahl Raelene. „Liberlo, Doppelkick auf die Magnetilo, die aneinander kleben!“ Feelinara feuerte Glurak an, indem sie mit ihren Bändern klatschte, als wären es Hände. Ein kleiner Stärkeboost hüllte Delions Pokémon ein. Liberlo preschte derweil vor, so schnell, dass man ihm kaum mit den Augen folgen konnte. Er traf mit dem Doppelkick gerade noch rechtzeitig drei Magnetilos, die schon angefangen hatten hell zu leuchten. Sie wurden getrennt und durch die Luft geschleudert, bis sie auf dem Boden liegenblieben. „Glurak, Luftschnitt!“ Delion nutzte Feelinaras Unterstützung, um noch die letzten Magnetilos mit Windklingen zu treffen. Glücklicherweise erwischte Glurak die letzten Pokémon treffsicher, statt die Ausrüstung, die aber immer noch Funken sprühte. Somit war die Gefahr gebannt, für den Moment. Erschöpft und von Schwindel gelähmt, blieben die Magnetilos am Boden liegen. Unter diesen Umständen wäre es dennoch nur eine Frage der Zeit, bis noch mehr von ihnen auftauchten. Vermutlich waren sie sogar schon in der Nähe. Vorerst sah Delion das Problem allerdings als gelöst. „Okay, ich gebe nach oben durch, dass wir hier einen Elektriker brauchen und warten so lange, bis einer kommt. Nur für den Fall der Fälle.“ „Ja, sicher ist sicher.“ Raelene fragte sich ohnehin, wie all die Magnetilos überhaupt hier reingekommen waren. Vielleicht durch Lüftungsschächte? Sie sollten die Elektro-Pokémon irgendwo bei einem verlassenen Kraftwerk freilassen. Erst mal wandte Raelene sich aber lieber Feelinara, Liberlo und Glurak zu. „Das habt ihr sehr gut gemacht!“, sprach sie ihnen ihr Lob aus. „Schön zielsicher und kraftvoll. So mag ich das~.“ Liberlo stemmte die Hände in die Hüfte und strahlte regelrecht. Ihm schien die Zusammenarbeit mit Glurak ganz gut gefallen zu haben. Dieser nickte, ebenfalls zufrieden. Das Lob war vielleicht nicht von Delion gekommen, aber offenbar fand Glurak Gefallen daran, wenn auch Raelene seine Fähigkeiten anerkannte. In der Zwischenzeit hatte Delion einen kurzen Anruf getätigt und den Mitarbeitern von oben Bescheid gegeben. Erleichtert steckte er sein Handy wieder ein. „Es wird nicht lange dauern“, berichtete er Raelene. „Ich bin nur froh, dass hier unten kein Pokémon dynamaximieren konnte.“ „Beschrei es lieber nicht.“ Das wäre nämlich wirklich ein großes Problem. Nicht nur für das Pokémon selbst und die Menschen in der Nähe, der dadurch verursachte Schaden wäre enorm hoch. Roy wäre sicher nicht glücklich darüber, wenn seine Arena renoviert werden müsste, weil ein Pokémon von unten durchbrach. Raelene holte einige leere Pokébälle hervor, um die Magnetilos allesamt einzufangen, bevor sie wieder zu sich kämen und der Spaß von vorne losgehen würde. Dabei beobachtete Delion sie aufmerksam. „Danke für deine Hilfe“, sagte er schließlich. „Das war echt gut.“ Alleine wären einem bestimmt leicht ein paar Magnetilos entkommen, zumal man hier unten wirklich aufpassen musste, die Technik nicht zu demolieren. Großflächige Angriffe wären fatal gewesen. „Zusammen lief das wirklich super~. Wir sollten mal zu zweit an einem Doppelkampf teilnehmen.“ Sicher würde das wahnsinnig viel Spaß machen – zumal keiner von ihnen dann hinterher frustriert darüber sein müsste, gegen den jeweils anderen verloren zu haben. Dafür bräuchten sie aber auch erst mal ebenbürtige Gegner. „Das war's. Alle Magnetilos eingesammelt.“ „Dann bringen wir sie nachher irgendwo unter. Es gibt einige gute Orte für sie.“ Tatsächlich kam bereits ein Elektriker um die Ecke, der sich innerhalb kürzester Zeit um das entstandene Problem kümmerte. Nachdem sie sichergestellt hatten, dass wirklich alles wieder in Ordnung war, bedeutete Delion ihr, dass sie gehen könnten. Sofern sie den Ausgang fanden, doch Raelene glaubte, sich den Weg gut genug gemerkt zu haben. Sie holten ihre Pokémon zurück in die Bälle, anschließend übernahm Raelene die Führung. Hier unten könnte sogar sie leicht verlorengehen. Deshalb wollte sie Delion auf gar keinen Fall alleine lassen. „Bevor wir zur Einrichtung von Endynalos fliegen, sollten wir uns vorher irgendwo zurechtmachen“, schlug Raelene vor. „Und vielleicht was essen.“ Lächelnd streckte sie eine Hand aus, um durch seine Haare zu streichen. „Wobei deine Frisur auch ohne Bürste unverschämt gut aussieht. Das ist nicht fair.“ Darüber musste Delion lachen. „Das sind eben typische Champ-Haare. Und ich glaube, die Grolldras haben da ein wenig Einfluss. Außerdem siehst du auch mit Haar, das durcheinander ist, wunderschön aus~.“ Raelene spürte wieder, wie ihr wärmer wurde. Es war aber nicht wirklich Verlegenheit, sondern eher Glücksgefühle, die ihr Herz erfüllten. „Aber wir finden schon einen Ort, an dem wir uns zurechtmachen können.“ „Mir würde auch schon ein Fluss reichen“, meinte Raelene – da war sie sehr genügsam. „Der Ditto-Champ mit zerwühltem Haar soll schon etwas sein, das nur du genießen darfst.“ Außerdem machte ihr die PR-Beraterin sonst nur wieder die Hölle heiß, wenn zu viele solcher Fotos an die Öffentlichkeit gerieten ... von wegen „Besonders Frauen müssen auf sich achten!“ oder so ähnlich. Womöglich waren die, die bereits bei ihrem Eintreffen in Claw City geschossen worden waren, schon zu viel des Guten. „Dann gehen wir los~. Langsam kriege ich doch auch richtig Kohldampf.“ Kapitel 12: Ich finde es furchtbar ---------------------------------- Delion und Raelene hatten sich ein üppiges Frühstück im Kampf-Café von Claw City gegönnt. Die Passanten waren weiterhin überrascht gewesen, den Liga-Präsidenten und den Champ zusammen zu sehen. Neugierig hatten sie weiterhin zahlreiche Fotos gemacht, ansonsten wurden die beiden aber in Ruhe gelassen. Daher war es Raelene nicht schwergefallen, ganz natürlich zu bleiben und sich nur auf Delion zu konzentrieren. Nachdem auch ihre Pokémon satt und zufrieden gewesen waren, hatten sie sich anschließend wieder auf Glurak geschwungen und waren Richtung Circhester geflogen. Erst hatte Raelene erneut die Furcht gepackt, sie könnte herunterfallen, gewöhnte sich jedoch bald abermals an das Tempo. Erst als sie die schneebedeckte, eisige Landschaft erreicht hatten, wurde der Flug doch ziemlich unangenehm. Eisige Kälte kroch durch ihren Körper. Ihre Hände brannten schmerzhaft. Allerdings war Raelene in Gedanken zu sehr bei Endynalos, weshalb sie das ausblenden konnte. In der Ferne, mitten im Gebirge nördlich von Circhester, ragte bereits das Dach der Einrichtung hervor. Ein wenig ähnelte es einem mittelalterlichem Turm, mit modernen Elementen. Zwischen den Bergen ging es aufgrund der hellen Farbe des Schnees beinahe unter, fast als würde sich die Einrichtung selbst tarnen wollen. Raelene atmete schwer aus und lehnte sich mit der Stirn an Glurak an. Sie war furchtbar nervös. Je näher sie der Einrichtung kamen, desto mehr wuchs dieses flaue Gefühl im Magen zu einem spürbaren Knoten heran. Damals war die Stärke von Endynalos unfassbar erstaunlich gewesen, so etwas hatte sie noch nie zuvor erlebt. Nun glaubte sie, diese Kräfte wieder spüren zu können, wenn auch vielleicht nur ein wenig. Oder bildete sie sich das nur ein? Konnte das wirklich sein? Glurak setzte vor der Einrichtung zum Landen an. Seine Flügel wirbelten jede Menge Schneeflocken auf, der in Delions und Raelenes Augen geriet und sie dadurch mehrmals blinzeln ließ. Als Glurak schließlich auf dem Boden stand, sprang Delion direkt herunter und bot Raelene erneut seine Hand an. „Die Stunde der Wahrheit.“ Für die Wärme, die durch die Berührung seiner Hand durch Raelene hindurch strömte, war sie gerade äußerst dankbar. Diesmal war sie etwas ungeschickter, als sie von Glurak stieg, was aber daran lag, dass sich ihr Körper so steif anfühlte, aufgrund der Kälte. Nächstes Mal sollte sie daran denken Winterkleidung anzuziehen. „Sieht so aus“, sagte sie auf Delions Worte. „Irgendwie beängstigend.“ Etwas unbeholfen schüttelte Raelene einen Teil des Schnees ab und schlang die Arme um sich. Ihr Blick wanderte zu der Einrichtung. So groß wie in ihrer Vorstellung war sie gar nicht, fiel ihr schnell auf. Delion ließ derweil Glurak in seinen Pokéball zurückkehren, dann erst näherten sie sich dem Gebäude gemeinsam. Das Eingangstor bestand aus Stahl, was sie beide einerseits überraschte, andererseits aber auch zeigte, dass man wirklich darum bemüht war, Endynalos da drinnen zu schützen. Zu spät fiel ihnen ein, dass sie vielleicht vorher hätten anrufen sollen. Aber im Moment war es wichtiger, dass sie bereits vor dem Tor standen und hinein wollten – schon allein weil Raelene kalt war. Deshalb testete Delion sofort, ob sich der Eingang irgendwie per Hand öffnen ließ, doch natürlich tat er das nicht. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als mit geballter Faust gegen das Tor zu hämmern, um zu sehen, ob jemand sie hören konnte. „Hallooo?!“, rief Raelene heiser, zur Unterstützung. „Hört uns jemand?!“ Wahrscheinlich nicht, aber einen Versuch war es wert gewesen. Sie überlegte, ob sie Magnolica direkt kontaktieren sollte, damit sie anordnen könnte, dass man die beiden hinein ließ. Schließlich fiel ihr dann aber ein Bedienfeld neben dem Stahltor auf, welches im Vergleich dazu viel zu klein und unscheinbar wirkte. Es gab einen Schlitz für eine Karte und Lautsprecher hatte es auch. Auf gut Glück drückte Raelene einen der Knöpfe. Irgendjemanden würde sie damit sicher auf sich aufmerksam machen. Und in der Tat: Plötzlich erklang eine verdutzt-genervte Stimme aus dem Lautsprecher. „Wer ist da?!“ Delion nickte Raelene anerkennend zu und trat selbst ein Stück näher an das heran, was er für das Mikrofon hielt. „Hier sind Delion und der Champ Raelene. Wir möchten uns gern selbst von der Anlage überzeugen.“ Im Hintergrund war eingeschüchtertes Geflüster zu hören. Kurz darauf folgte ein Räuspern. „Okay, kommt herein.“ Damit öffneten sich die Türen der Anlage tatsächlich. Träge, jedoch geschmeidig glitt das Tor zur Seite weg. Anscheinend wurde der Außenbereich von Kameras überwacht, denn sonst hätte man ihnen bestimmt nicht einfach so geglaubt. Jedenfalls hoffte Raelene das. Wäre fatal, könnte jeder Fremde mit der Behauptung, der Liga-Präsident oder der Champ zu sein, in solch eine wichtige Einrichtung hinein spazieren. Delion bedeutete ihr, vorzugehen. „Diesmal lasse ich dir den Vortritt.“ Das nahm Raelene nur zu gerne an und ging voraus. Normalerweise machte ihr Kälte nicht so viel aus, deshalb hielt sich oft in den Kronen-Schneelanden auf. Es kam ihr so vor, als würde die Anwesenheit von Endynalos sogar das Wetter beeinflussen und intensivieren. Womöglich war das alles aber nur wieder ihrer Einbildung zuzuschreiben. Raelene hatte sicher nicht erwartet, dass die Einrichtung ein schöner Kurort wäre, doch als sie das Gebäude betrat, strahlte es fast noch mehr Kälte aus als draußen vorherrschte. Ein riesiger Stahlklotz. Hellgraue Wände, sterile Atmosphäre und keinerlei Dekoration. Vielleicht sah es aber nur im Eingangsbereich so aus. „Ich weiß nicht, wie es dir geht“, flüsterte Raelene Delion zu, „aber ich hasse diesen Ort schon jetzt.“ „Mir geht es auch so“, erwiderte er leise. Wie hielten die Wissenschaftler es hier nur aus? Den Gedanken müsste sie vorerst nach hinten verschieden, da aus der Ferne hastige Schritte zu hören waren. Die Geräusche hallten unheilvoll nach und legten sich wie eine schwere Last auf einen. Wenige Sekunden später erschienen zwei Angestellte, die auf Delion und Raelene zugerannt kamen. Vor ihnen blieben die Männer etwas atemlos wieder stehen. Der eine, der sich zuerst erholte, atmete tief durch und sprach sie dann an: „Präsident, Champ, wir haben nicht mit eurem Besuch gerechnet. Hattet ihr euch angemeldet?“ „Nein“, antwortete Delion souverän, eben wie ein erfahrener Liga-Präsident. „Das ist ein spontaner Besuch.“ „Hoffentlich ist das kein Problem“, fügte Raelene hinzu. Darüber, dass sie zusammen zu sehen waren, schien der andere Angestellte ähnlich überrascht wie schon die Passanten in der Stadt. Vorerst blieb es aber nur bei einem neugierigen Blick, ehe der Mann sich räusperte, um sich wieder zu fangen. „Natürlich ist das kein Problem“, versicherte er rasch. „Wir hätten euch sonst nur angemessener empfangen. Wie können wir euch helfen? Braucht ihr zuerst eine Pause? Sollen wir Professor Magnolica holen?“ Einen angemessenen Empfang benötigten sie nicht. Sicher legte auch Delion ohnehin nicht so viel Wert auf dieses ganze Tamtam, nicht in so einer Situation. Damals, zu seiner Zeit als Champ, mochte das vielleicht noch anders gewesen sein. Raelene behagte das oft nicht mal zu irgendwelchen Feierlichkeiten. „Wenn Professor Magnolica noch hier ist, würden wir sie gerne sehen“, bestätigte Delion. „Wir haben ein paar Fragen an sie.“ Zu gerne hätte Raelene schon gefragt, ob alles in Ordnung war, aber auch sie beschloss, dass nicht einfach irgendeinen Angestellten zu fragen. Mit diesen fremden Leuten über das Problem zu reden, kam ihr wie eine schlechte Idee vor. Zumal sie möglicherweise nicht mal über das nötige Wissen verfügten, um all ihre Fragen beantworten zu können. Ein privates Gespräch mit Magnolica war eindeutig der beste Weg. „In Ordnung, ich gebe ihr Bescheid. Bring du sie doch schon mal ins Büro.“ Der letzte Teil war an seinen Kollegen gerichtet, bevor der erste Mitarbeiter sich umdrehte und schon wieder davon eilte. Wie erleichtert Raelene nun doch war, dass sie ihren Besuch nicht vorher angekündigt hatten. Besonders an diesem Ort wäre ihr so ein festliches Begrüßungskomitee furchtbar falsch vorgekommen. Während der Angestellte sie zum Büro führte, gab es eigentlich keinen Grund mehr, ein weiteres Gespräch zu führen. Dadurch entstand aber eine derart erdrückende Still, die vor allem Raelene belastete, weshalb sie das Schweigen schnell brach. „Wie viele Leute arbeiten denn hier?“, erkundigte sie sich. Unbeirrt lief der Angestellte weiter und wandte ihr nicht mal den Blick zu, als er ihr antwortete: „Wir sind ein sehr kleines Team, also etwa 20 Leute. Meist brauchen wir nur 15, aber es ist immer gut, Ersatz zu haben.“ Irgendwie erschien Raelene das zu wenig Personal zu sein. Was, wenn Endynalos doch mal ausbrechen könnte? Wären diese wenigen Leute in dem Fall dazu fähig, ihn aufzuhalten? Ohne Zacian und Zamazenta? Daran zweifelte sie stark, wollte jedoch auch nichts dazu sagen. Noch hatte sie keine Ahnung, wie genau diese Einrichtung funktionierte und konnte sich dementsprechend keine Verbesserungsvorschläge erlauben. Unruhig ließ Raelene den Blick schweifen, während sie mit Delion weiter dem Angestellten folgte – der wieder stur ins Schweigen verfallen war, darum verzichtete sie lieber auf weitere Fragen. Alles an diesem Ort war sehr trostlos. Und kalt, immer noch. Obwohl sie sich im Inneren eines Gebäudes befand, wurde ihr nicht wirklich wärmer. Als sie endlich am Büro ankamen, war sie froh, dass es zumindest in diesem Raum ein bisschen normal aussah. Was ein paar wenige Möbel schon für einen riesigen Unterschied machen konnten. Sie bedankte sich bei dem Angestellten, wie es sich gehörte. Delion dagegen setzte sich auf einen der Stühle und bedeutete Raelene, dass sie sich besser ebenfalls setzen sollte. „Kann ich euch irgendetwas bringen?“, fragte der Angestellte. „Kaffee? Wasser? Saft?“ „Ich brauche nichts“, wehrte Delion ab. „Danke.“ Eigentlich war Raelene noch pappsatt wie ein Morpeko und hatte auch keinen Durst, aber … „Falls es Tee gibt, dann bitte etwas davon“, antwortete sie. „Welcher ist egal.“ Ihr ging es nur darum, etwas Heißes zu haben, um sich aufzuwärmen. Der Angestellte versprach, sofort mit dem Tee zurückzukommen und verließ das Büro wieder. Bis dahin nahm sie erst mal neben Delion Platz und lächelte ihm kurz zu, was von ihm erwidert wurde. Dass er auch hier war, beruhigte sie wirklich sehr. Kaum war der Mitarbeiter draußen, atmete Delion durch. „Ich weiß ja, dass man diese Einrichtung schnell hochziehen musste, aber ein bisschen mehr Einrichtung sollte doch möglich sein, oder?“ „Sie ist doch auch schon seit ein paar Jahren fertig, oder? Da wäre doch dann Zeit gewesen, es von innen auch etwas anders zu gestalten.“ Vielleicht legten Wissenschaftler und die anderen Angestellten der Einrichtung aber keinen großen Wert auf solche Dinge. Für Raelene wäre diese Atmosphäre viel zu ... deprimierend. An Geld hätte es sicher auch nicht gemangelt. Nicht, wenn es um so eine wichtige Einrichtung ging, wo rund um die Uhr jemand anwesend sein musste. „Jetzt frage ich mich erst recht, wie sie Endynalos genau versiegelt halten ...“ Ein trauriger Gedanke schien Delion zu erfassen, wenn auch nur für einen Moment. Ob ihm selbst bewusst war, wie bedrückt er gerade dasaß? Sicher dachte er an Endynalos und wie sehr ihn dieser Ort ebenfalls frustrieren musste. Sein Mitgefühl ließ auch Raelenes Herz schwer werden. Schließlich zuckte Delion kaum merklich mit den Schultern. „Ich bin ja mal gespannt, wie uns erklärt werden wird, was gestern passiert ist.“ Irgendetwas musste es jedenfalls sein, sonst wären die Reaktionen von Zamazenta und die im Energie-Werk nicht derart ausgefallen. „Und ob wir das überhaupt verstehen“, murmelte Raelene vor sich hin. Sie verstand zwar einiges über Pokémon, aber doch mehr über die Kämpfe mit ihnen ... und das war es auch schon. Hop wusste inzwischen aber bestimmt Dinge, die ihr nicht mal der Pokédex an Informationen geben könnte. Delion ging es da sicher nicht anders, auch wenn sie ihm wesentlich mehr Ahnung von alldem zutraute, als es bei ihr der Fall war. Bald schon öffnete sich die Tür zum Büro erneut und Magnolica kam herein. Seit damals hatte sie sich kaum verändert. Da sie nun keinen weißen Kittel mehr trug, zeigte sie inzwischen deutlicher, dass auch sie ein gutes Gespür für Mode besaß, genau wie Sania. Anders als Papella bevorzugte Magnolica aber eher einen gewöhnlicheren Stil mit weniger kräftigen Farben. Raelene bemerkte sofort, wie müde die Professorin aussah. „Ich dachte mir schon, dass ich einen von euch bald hier sitzen haben würde“, sagte sie, mit einem milden Lächeln. „Euch beide auf einmal begrüßen zu können, kam dagegen unerwartet. Schön, euch zu sehen.“ Delion nickte ihr zu. „Es ist auch schön, Sie zu sehen. Ist ja schon wieder eine Weile her. Es tut mir leid, dass wir Sie heute so überfallen.“ Da er und Sania so gut miteinander befreundet waren, hatte er Magnolica natürlich viel früher kennengelernt als Raelene. Außerdem hatte die Professorin lange am Dynamax-Phänomen geforscht, was als Champ auch immer sehr wichtig für ihn gewesen war. Magnolica nahm auf einem der Stühle Platz, und schüttelte sacht den Kopf. „Ihr müsst euch nicht entschuldigen. Ich frage mich nur, warum ihr gerade jetzt darauf kommt, euch mal die Einrichtung anzuschauen. Ist etwas geschehen?“ Raelene übernahm es, der Professorin von Zamazentas Unruhe zu berichten. Aufmerksam hörte Magnolica zu und nahm ihre Worte von Anfang an sehr ernst. „Verstehe. An eurer Stelle hätte mich das genauso beschäftigt“, gestand Magnolica nachdenklich. Delion fügte anschließend noch den Vorfall im Elektro-Werk hinzu. „Das könnte natürlich ein Zufall sein, aber dass sogar die Radiowellen ausfielen, ist vorher noch nie passiert. Deswegen wollten wir nur sichergehen, dass hier alles in Ordnung ist.“ Plötzlich wirkte Magnolica ziemlich besorgt. Anscheinend hatte sie nicht erwartet, dass es außerhalb der Einrichtung solche Probleme geben könnte. „Es gab ein paar Komplikationen mit der Technik“, begann sie zu erklären. „Dadurch entstand ein Riss in dem Schild, hinter dem der Pokéball verwahrt wird, in dem Endynalos ruht. Unsere Messgeräte konnten aber keinerlei Energiewellen auffangen, die dadurch nach draußen dringen, also sind wir davon ausgegangen, es würde keine Probleme geben, bis wir die Technik wieder vollständig zum Laufen gebracht haben. Entweder hatte der Vorfall im Elektro-Werk also eine andere Ursache oder, was hoffentlich nicht der Fall ist, unsere Messgeräte arbeiten fehlerhaft und es konnten doch Spuren von Endynalos' Energie entweichen.“ Natürlich wäre es wünschenswert, dass keinerlei Zusammenhang zwischen diesen Problemen bestand. Alles andere würde nur zu noch größeren Schwierigkeiten führen. Während sie Magnolica zugehört hatten, war der Angestellte wieder reingekommen, um Raelene eine Tasse Tee zu reichen, die sie dankbar entgegen nahm. Nun konnte sie ihre Hände daran aufwärmen, was bitter nötig war. Endlich ließ die Kälte etwas nach. So schnell, wie der Angestellte kurz zu ihnen ins Büro gehuscht war, verließ er den Raum auch wieder. „Könnten wir uns den Schild einmal ansehen?“, bat Delion. „Wir vertrauen Ihnen, aber wir würden uns einfach gern selbst ein Bild davon machen, wie Endynalos aufbewahrt wird.“ Raelene stimmte Delions Worten zu und betonte ebenfalls, dass sie sich das gerne anschauen würde. Ein wenig befürchtete sie, Magnolica könnte ihnen vorwerfen, ihr Interesse an Endynalos' Verwahrung käme einige Jahre zu spät. Zum Glück irrte Raelene sich in dem Punkt aber. „Natürlich, sehr gerne.“ Magnolica schien sogar erleichtert zu sein. „Es fördert sicherlich die Motivation der Angestellten, wenn sie merken, dass sie die persönliche Unterstützung von euch beiden haben. Und Raelene ist inzwischen auch alt genug, so dass ich ihr das ruhigen Gewissens zumuten kann.“ Ein Glück, das ersparte ihnen einige unnötige Diskussionen. Bei dem Thema Alter stimmte auch Delion nickend zu. „Sollten wir vorher noch etwas wissen?“ Magnolica dachte einen Moment lang nach. „In der Nähe von Endynalos herrscht ein erhöhter Druck, weshalb ich euch nicht bis zu seinem Gefäß begleiten kann. Dafür bin ich inzwischen leider etwas zu alt. Es können Kopfschmerzen, Herzbeschwerden oder gar Atemprobleme auftreten, was aber von Mensch zu Mensch unterschiedlich ist.“ Das klang wirklich ganz schön riskant. Lag es daran, dass Rose Endynalos mit so vielen Wunschsternen versorgt hatte und diese ganze Energie nun zusammengepresst wurde? Sie kannte sich wirklich nicht mit solchen Dingen aus … „Solange ihr beiden fit und gesund seid, sollte es für euch keine Probleme geben. Sagt trotzdem sofort Bescheid, sobald ihr euch unwohl fühlt. Hier ist zwar stets ein Arzt anwesend, aber wir sollten es nicht so weit kommen lassen, seine Dienste in Anspruch nehmen zu müssen.“ Fit und gesund dürfte auf sie beide zutreffen. Entschlossen warf Raelene Delion einen Blick zu, wodurch ihr auffiel, wie besorgt er sie musterte. Hielt er sie etwa doch für zu schwach? Nein, das war es sicher nicht. Im Gegensatz zu ihm wirkte sie um einiges zerbrechlicher, schon weil sie kleiner und zierlicher gebaut war als er. Deswegen war es verständlich, dass er sich Sorgen um sie machte. Wenigstens riet er ihr aber nicht davon ab, sondern teilte ihre Entschlossenheit. „Okay, verstanden.“ Magnolica betrachtete sie mit einem schwachen Lächeln. „In Ordnung, ich gebe allen Bescheid und lasse euch von einem Angestellten zum Schild führen. Wenn es euch nicht stört, würde ich auch den Arzt bitten, einen flüchtigen Blick auf euch zu werfen, bevor ihr euch dem Druck aussetzt.“ „Kein Problem, das ist in Ordnung“, entschied Raelene, in dem Glauben, dass dies auch für Delion galt. Die Professorin nutzte ihren Gehstock – es war immer noch derselbe wie damals – als Hilfe, um wieder aufzustehen. Vorsichtig ging Magnolica dann zu dem Schreibtisch hinüber, der ebenfalls im Raum stand, und griff dort nach dem Telefon. „Alle weitere Fragen besprechen wir am besten hinterher. Sobald ihr euch ein Bild gemacht habt, ändert sich da möglicherweise noch einiges.“ „Klingt logisch“, kommentierte Delion Magnolicas Vorschlag.   ***   Nach diesem kurzen Erstgespräch verlief im Anschluss alles erschreckend schnell. Ein Arzt war zu ihnen ins Büro gekommen und hatte sich davon überzeugt, dass sie beide nicht kränklich waren. Danach waren bereits alle nötigen Leute eingeweiht und einer der Angestellten von vorhin kehrte zu ihnen zurück, um ihnen den Weg zu zeigen. Magnolica schien großes Vertrauen in Delion und Raelene zu haben, dass sie diesen Besuch so einfach zuließ. Irgendwie hatte Raelene damit gerechnet, mehr Überzeugungsarbeit leisten zu müssen. Vielleicht merkte Magnolica inzwischen, dass sie so langsam einen Nachfolger benötigte, der in Zukunft an ihrer Stelle immer kontrollierte, ob in der Einrichtung alles nach Vorschrift und Plan verlief. Raelene blieb aber nicht viel Zeit, sich deswegen Gedanken zu machen. Der Angestellte hatte sie zu einem großen Aufzug geführt, wieder mit schweren Stahltüren. „Wir fahren nun eine Etage nach unten“, erklärte er professionell, während er eine Karte am Bedienfeld benutzte und einen langen Code eintippte. „Ich warne euch vor, sobald der Druck einsetzt.“ Also mussten sie in den Untergrund. Wäre es Endynalos so überhaupt möglich, auszubrechen und Chaos in Galar anzurichten? Aber die Frage konnte Raelene sofort bejahen. Sie erinnerte sich noch immer daran, wie stark Endynalos' Energie gewesen war, wie sich die Realität um einen herum verzerrt und gefaltet hatte. Da wäre es ihm natürlich möglich, einfach aus so einem Ort auszubrechen. Delion übernahm es, sich für die Umsicht des Angestellten zu bedanken. Die Tür öffnete sich langsam und schwerfällig. Dahinter befand sich ein Fahrstuhl, der dem im Kampfturm ziemlich ähnlich war, nur einige Nummern kleiner. Sie folgten dem Angestellten hinein. Kurz darauf fuhren sie auch schon nach unten. Raelene war angespannt. Obwohl sie gleich live zu Gesicht bekäme, wie man Endynalos verwahrte, schossen ihr noch gefühlt tausend Bilder durch den Kopf, wie es sein könnte. Ob er bemerken würde, dass sie da waren? Unten angekommen führte der Angestellte sie durch einen weiteren grauen Gang, der vermutlich nur dazu gebaut worden war, möglichst stabil und massiv zu sein. Die grelle Beleuchtung an den Wänden und der Decke blendeten unangenehm und das künstliche Licht verstärkte die rein praktische Bauweise zusätzlich. Vor einer Art großen Schleuse erhielten sie die die angekündigte Warnung, dass sich dahinter der Druck erhöhen würde. Nickend bereitete sich Raelene innerlich darauf vor. Wieder nutzte der Angestellte eine Karte und gab einen Code ein, den sie sich niemals im Leben merken könnte. Als die Türen anschließend jeweils zur Seite in die Wand hinein glitten, war es so, als würden sie von einer heftigen Welle erschlagen werden. Plötzlich schien die Atmosphäre selbst Raelene erdrücken zu wollen. Ihr Körper fühlte sich schwerer an, wie mit einem riesigen Reiserucksack beladen. Die Luft war seltsam ... stickig? Schon nach den ersten Luftzügen erfasste sie die Angst, dass es nicht ausreichen könnte, um ihren Körper mit ausreichend Sauerstoff zu versorgen. Es war ein beklemmendes Gefühl. Ein flüchtiger Blick verriet ihr, dass Delion dem Druck scheinbar problemlos standhielt. Seine Atemzüge waren nur länger und tiefer als vorher, was Raelene intuitiv nachahmte. Dadurch entstand zumindest das Gefühl, doch noch genug Sauerstoff zu bekommen. Delion schien zu bemerken, dass sie ein wenig erschlagen von dem Druck war und nahm deshalb nickend ihre Hand, womit er ihr wohl zeigen wollte, dass sie nicht allein war. Und dass sie hier gemeinsam auch wieder heraus kämen. Raelene lächelte beruhigt und drückte zum Dank seine Hand. Ein Teil von Delions Stärke schien auf magische Weise auf sie überzugehen. Der Druck kam ihr plötzlich nicht mehr so schlimm vor. Unterdessen hatte der Angestellte sein Schweigen abgelegt und erklärte ihnen die ganze Zeit begeistert alle möglichen Dinge über die Bauweise und die Technik, aber Raelene verstand nicht mal die Hälfte davon. Schließlich durchquerten sie noch eine weitere Schleuse und kamen endlich an ihrem Ziel an: Endynalos. Sie betraten eine große, kreisförmige und abgedunkelte Halle, wo sich in der Mitte eine überdimensionale Kapsel – Panzerglas, laut dem Angestellten – befand, regelrecht das Herzstück dieses Ortes. Davor war rundherum eine Menge Technik aufgebaut worden. Einige Leute saßen vor diesen Computern und Schaltflächen, kontrollierten die Werte auf all den Bildschirmen und tippten regelmäßig etwas ein. Niemand sagte etwas oder gab irgendeinen Ton von sich, jeder war vollkommen auf seine Arbeit konzentriert. An den Wänden dieser Halle führten Leitern auf eine erhöhte Plattform, welche um die Kapsel herum einen vollständigen Kreis bildete. Dort oben standen Pokémon, unter anderem Pantimos, Psiana und Kadabra, aber auch noch einige, von denen Raelene auf die Schnelle keinen Blick erhaschen konnte. Anscheinend waren sie dabei kontinuierlich einen Schild zu erschaffen, der sich von außen an das Panzerglas anschmiegte. „Normalerweise nutzen wir die gleiche Technik zur Erschaffung eines Schutzschildes wie in den Stadien von Galar“, erläuterte ihnen der Angestellte nebenbei. „Da wir aber aktuell noch damit beschäftigt sind den Fehler zu finden, wegen dem ein Riss entstand, setzen wir zur Vorsicht solange Pokémon ein. Sie werden jede Stunde abgelöst und haben dann Pause.“ Raelene schmerzte der Anblick irgendwie. Dabei war es normal, Pokémon bei der Arbeit helfen zu lassen. Immerhin waren sie auch beim Bergbau nicht mehr wegzudenken. Etwas daran kam ihr dennoch ... falsch vor. Sie sagte aber nichts dazu. Dieses Recht durfte sie sich nicht herausnehmen, nachdem sie jahrelang anderen die Verantwortung überlassen hatte, Endynalos sicher zu verwahren. Endynalos … Er befand sich hinter dem Panzerglas, im Zentrum dieser gigantischen Kapsel. Einsam und abgeschottet lag ein Pokéball auf einem Sockel. Von der Decke hingen unzählige dickere und dünne Drähte, die sich auf dem Weg nach unten ineinander verschlungen und mit ihren Spitzen die handgroße Kugel an ihrem Platz fixierten. Feine Funken sprühten immer wieder hervor, die den Pokéball umschlossen und in diesen einzudringen schienen. Außerdem wurde er von grellen Scheinwerfern beleuchtet, während es in der restlichen Halle beinahe stockdunkel war. Das ganze kam ihr so surreal vor. Wie in einem Film. Während der Angestellte weiter motiviert allerhand Details über die Einrichtung erläuterte, konnte Raelene nur mit Anspannung den Pokéball in der Kapsel anstarren. Sie fühlte sich schrecklich. „Ich finde es furchtbar“, flüsterte sie Delion zu. Selbst in diesem Augenblick hatte sie kein Recht, so eine Meinung zu äußern, aber genau das war es, was sie empfand. Alles an diesem Ort erschien ihr falsch. Aber Endynalos hätte damals Galar zerstört, also gab es keinen anderen Weg. Oder? Auf Delions Stirn hatten sich tiefe Krater gebildet, seine Mimik war verhärtet. „Ich finde es auch furchtbar.“ Der Angestellte drehte sich zu ihnen und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. Er wirkte ziemlich stolz darauf, was die Einrichtung in den letzten Jahren geleistet hatte ... und im Grunde zu recht, auch wenn Raelene das nicht behagte. „Also, das wären die elementaren Details“, sagte er, mit fester Stimme – die Verwirrung über diesen spontanen Besuch der beiden war offenbar gänzlich verflogen. „Ich stehe Ihnen für Fragen gerne zur Verfügung. Wollen Sie sich etwas aus einer anderen Perspektive anschauen?“ Raelene glaubte nicht, dass sie dadurch einen anderen Eindruck gewinnen könnte. Sie betrachtete den Pokéball, in dem Endynalos gefangen war. Es war ein Hyperball. Damals hatte sie auf Nummer sicher gehen wollen, als sie diesen wählte, um Endynalos einzufangen. Delion sah ebenfalls zu dem Pokéball. „Endynalos ist wirklich immer da drin? Er darf nie raus?“ Angeblich gab es Trainer, die ihre Pokémon auch nur zum Kampf befreiten und sie ansonsten immer eingesperrt ließen. Was für ein trauriges Schicksal für ein Pokémon. Das galt ebenso für Endynalos. „Um Himmels Willen, natürlich nicht!“, versicherte der Angestellte sofort, wobei er heftig mit den Händen gestikulierte. Es klang danach, als würde er glauben, Delion stellte ihn und die Einrichtung gerade auf die Probe. „Das wäre eine Katastrophe. Wir sorgen immerzu dafür, dass er nicht aus dem Pokéball ausbrechen kann.“ In ihren Augen war Endynalos also nichts weiter als ein Gefahrenfaktor, den es zu unterdrücken galt. Mit allen Mitteln. Raelene fragte sich, ob diese Funken aus dem Drahtgeflecht dafür gedacht waren, Endynalos in seinem Gefängnis stets zu schwächen, damit er keine Kraft fand auszubrechen. Wäre das dann nicht sogar Folter? ... Schuld ... deine Schuld … Verwirrt sah Raelene den Angestellten an, aber der hatte nichts weiter gesagt und war auch vielmehr auf Delion konzentriert. Die Stimme hatte auch nicht wirklich menschlich geklungen. Eher verzerrt. Sie lenkte ihren Blick zurück zu dem Pokéball hinter dem Panzerglas, die Nervosität spiegelte sich in ihrem Gesicht wider. Hatte sie das eben wirklich gehört? Oder verlor sie die Kontrolle über ihre eigenen Gedanken? Derweil sprach Delion genau das an, was Raelene auch wissen wollte: „Welche Funktionen erfüllen diese Funken von dem Drahtgeflecht?“ Nahezu begeistert geriet der Angestellte direkt in einen Redeschwall und benutzte so viele komplizierte Wörter dabei, dass Raelene schnell den Anschluss verlor. Zum Glück bemerkte der Mann das zeitig genug und setzte nochmal von vorne an, diesmal mit deutlich einfacheren Worten. „Bei einem Experiment in der Vergangenheit haben wir herausgefunden, dass die Vitalwerte von Endynalos sinken, wenn man seine eigene Energie gegen ihn verwendet. Da sonst keine bis dahin bekannte Technik dabei geholfen hatte, seine Aktivitäten einzudämmen, machen wir uns das inzwischen zu Nutze. Wir entziehen ihm einen Teil seiner Energie, leiten sie durch diese Apparatur in einen Verteiler an der Decke und lenken sie in konzentrierter Form zurück zur Quelle, um ihn so stets in einem geschwächten Zustand zu halten.“ Bestürzt vergrub Raelene das Gesicht in ihrer freien Hand. Diese Geste schien der Angestellte traurigerweise völlig falsch zu deuten, denn sie hörte deutlich, wie dieser einen zufriedenen Laut von sich gab. Wie konnte man derart blind sein? „Das kommt wir so vor als würdet ihr ihn ununterbrochen foltern“, sprach Delion es letztendlich laut aus. „Ist das denn wirklich notwendig?“ Mit so einer Reaktion hatte der Angestellte nicht gerechnet. Er öffnete den Mund, war aber sprachlos. Unsicher warf er einen hilfesuchenden Blick zu seinen Kollegen, doch die waren vollkommen mit ihrer Arbeit beschäftigt. Also versuchte er selbst darauf zu antworten. „Foltern?“, wiederholte er verwirrt. „Wenn Ihr das so sagt, klingt es wie ein Verbrechen. Endynalos würde uns ohne zu zögern auslöschen, oder nicht? Wenn wir das nicht tun, könnte er sich erholen und aus dem Pokéball ausbrechen ...“ „Wir wissen, dass Sie das zum Schutz von Galar tun“, wandte Raelene ein. „Aber bei solchen Methoden ist es doch kein Wunder, wenn Endynalos nur ... noch wütender wird.“ Als würde Endynalos sie tatsächlich hören, bohrte sich wieder eine Stimme in ihren Kopf hinein, diesmal wesentlich intensiver und mit einem schmerzvollen Stechen. ... Rache ... Rache ... dich vernichten ... ich vernichte dich … Erschrocken wich Raelene zurück, kam aber nicht weit, weil Delion noch ihre Hand hielt. Sie musste sich das einbilden. Endynalos konnte nicht sprechen. Sicher nicht. Es mussten ihre Schuldgefühle sein, die gerade ein Eigenleben entwickelten. Delion warf ihr einen fragenden Blick zu, erwartete jedoch keine Antwort, denn er wandte sich direkt wieder an den Angestellten. „Im Endeffekt ist Endynalos doch auch nur ein Pokémon. Und ein Lebewesen. Wie der Champ schon sagte, ist es da nicht verständlich, dass er unter solchen Umständen wütend wird?“ „Ich ... ich denke schon“, stimmte der Angestellte zu, immer noch unsicher. „Also, ich bin nicht von Anfang an hier gewesen, aber es gab bei der Gründung der Einrichtung viele Diskussionen darüber, wie mit Endynalos umgegangen werden soll. Es endete aber immer damit, dass es zu gefährlich sei, ihn irgendwem anzuvertrauen. Er ist zu mächtig.“ Das waren Zacian und Zamazenta auch, aber sie durften trotzdem als normale Pokémon glücklich leben, weil sie auf der Seite der Menschen waren. Wenn man Endynalos nur davon überzeugen könnte, mit der Menschheit zusammenzuarbeiten, statt gegen sie ... ob es dafür zu spät war? Raelene bekam Kopfschmerzen. Aus der Kapsel schien weiter negative Energie auf sie einzuwirken und sie brechen zu wollen. Ob Einbildung oder nicht, Endynalos hasste sie. Ihr wurde etwas übel. „Sie können darüber aber gerne nochmal mit Professor Magnolica reden“, wies der Angestellte die Verantwortung von sich. Delion nickte ernst. „Das ist eine gute Idee.“ Sein Blick wanderte zwischen Endynalos' Pokéball und Raelene hin und her, ehe er eine Entscheidung zu treffen schien: „Ich denke, wir haben hier genug gesehen. Wir sollten wieder nach oben gehen. Vielen Dank für Ihre Zeit.“ „Kein Problem“, meinte der Angestellte. „Für Sie beide nehmen wir uns gerne Zeit.“ Damit gab er ihnen zu verstehen, dass sie ihm wieder folgen sollten. Raelene konnte es kaum erwarten diesen Ort zu verlassen. Aber weglaufen alleine löste das Problem nicht. Auf diese Weise konnten sie die Einrichtung nicht länger laufen lassen. Am besten redeten sie wirklich mit Magnolica darüber. Einen Moment hielt Delion nochmal inne und warf einen letzten, intensiven Blick zu dem Pokéball, zu Endynalos, bevor er zusammen mit Raelene weiterging und diesen grauenvollen Ort vorerst wieder hinter sich ließ. Kapitel 13: Ich glaube, Endynalos hasst mich -------------------------------------------- Im Aufzug herrschte erneut diese erdrückende Stille, weil jeder schwieg, während sie auf dem Weg nach oben waren. Nun wussten sie zwar, dass die Sicherheitsmaßnahmen in dieser Einrichtung ziemlich hoch waren, aber auch gnadenlos. Endynalos musste leiden, jede einzelne Sekunde. Dieses Wissen schnürte Raelene die Kehle zu. Erst als sie im Erdgeschoss angekommen waren und auf den Gang traten, fiel ihr das Atmen endlich wieder leichter. Angespannt verzog Raelene das Gesicht, als sie sich über die Stirn rieb. Ihr Kopf schmerzte immer noch. Wie hielten die Leute es dort unten länger als einige Minuten aus? Nahmen sie irgendwelche Medikamente? Oder waren sie durch ihre Arbeit schon derart abgestumpft, dass es sie schlichtweg nicht mehr kümmerte? Während Raelene all diese Fragen durch den Kopf gingen, zog Delion sie an der Hand sanft mit sich. Bald schon fanden sie sich im Büro wieder, doch Magnolica war nicht mehr da. Seltsam fahrig bat der Angestellte sie darum kurz zu warten, ehe er sie mit Delion alleine ließ. Offenbar hatte die Kritik unten bei Endynalos diesem Mann ganz schön auf den Magen geschlagen. Delion wartete, bis der Angestellte ganz sicher außer Reichweite war, dann beugte er sich auf seinem Stuhl vor und ergriff beide Hände von Raelene. „Alles in Ordnung? Du sahst da unten echt mitgenommen aus.“ Raelene hatte gehofft, es wäre nicht aufgefallen, aber Delion könnte sie ohnehin nichts vormachen. Sie wollte ihn nicht anlügen, nicht mal wenn es wegen harmlosen Kleinigkeiten wäre. Deshalb schüttelte sie den Kopf. Wenigstens schien Delion das Ganze wesentlich besser weggesteckt zu haben, zumindest gesundheitlich. Dafür war seine Mimik härter als sonst. Natürlich musste diese Besichtigung auch ihn innerlich beschäftigen. Es hätte sie beunruhigt, würde ihn das Ganze kalt lassen. „Ich glaube, Endynalos hasst mich“, sagte Raelene, ihre Stimme zitterte. „Und von seiner Sicht aus kann ich das sogar verstehen.“ Rose hatte ihn immerhin befreit. Sie dagegen war diejenige, die ihn damals wieder einfing und dann wegsperren ließ. Wegen der Endynalos nun dieser täglichen Folter ausgesetzt war. Sein Hass war nachvollziehbar und gerechtfertigt. „Hast du … auch“, begann Delion zögerlich, „seine Stimme gehört?“ Raelene sah ihn überrascht an. „Ja!“ Also war er ebenso von dieser Stimme heimgesucht worden. Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass sie beide nur zufällig zur selben Zeit unter Halluzinationen gelitten hatten? Einer der Wissenschaftler könnte ihnen das sicher mit einem reichhaltigen Vokabular beantworten. Solcherlei Erklärungen benötigte Raelene allerdings nicht, denn für sie stand nun fest: Endynalos hatte versucht mit ihnen zu sprechen. „Was hat er zu dir gesagt?“, hakte sie nervös nach. „Er wollte, dass ich ihn freilasse. Und ich hatte das Gefühl, er wäre ziemlich verzweifelt. Unter diesen Umständen muss man doch aber auch verzweifeln.“ Ein wütendes Schnauben entglitt Delion, das ein wenig an Glurak erinnerte. „Wir können ihn nicht hierlassen. Aber wenn er dich hasst, können wir ihn auch nicht einfach freilassen.“ Nachdenklich neigte er den Kopf. Dieses Problem erforderte auf jeden Fall eine Lösung. Leider könnten sie ihn nicht einfach ohne Weiteres freilassen, dafür wäre Endynalos zu destruktiv. Zumindest schien er aber keinen Groll gegen Delion zu hegen, sondern seinen Hass speziell auf Raelene zu konzentrieren ... vielleicht auch auf Hop, wie ihr einfiel. Das erstickte ihre Erleichterung, bevor sie sich richtig entfalten konnte. Sollte sie Delion auch erzählen, dass Endynalos sie sogar vernichten wollte? Wäre er sonst dagegen, etwas zu unternehmen? Bevor sie diesbezüglich eine Entscheidung treffen konnte, waren auf dem Gang draußen bereits Schritte zu hören. Vermutlich war es Magnolica. „Ich habe keine Ahnung, wie wir dafür eine Lösung finden sollen“, gestand Raelene überfordert. „Ich auch noch nicht. Aber wir kriegen das schon hin.“ Er unterstrich seine Aussage mit einem Zwinkern. „So als Champ und Ex-Champ.“ Seine Art brachte Raelene zum Lächeln. Gerade sie beide durften den Mut nicht so schnell verlieren, da hatte Delion recht. Vielleicht könnte Magnolica ihnen irgendeinen Rat geben oder etwas in der Art, jedenfalls blieb das zu hoffen. Kurz darauf öffnete sich tatsächlich die Tür und die Professorin kehrte zu ihnen zurück, die sich für die Wartezeit entschuldigte. Delion ließ Raelenes Hände wieder los und wandte sich Magnolica zu. Wie zuvor nahm auch sie auf einem der Stühle Platz und sah sie prüfend an. „Mir scheint, ihr denkt genau das, was ich schon erwartet habe“ Ein erschöpftes Seufzen folgte. „Der jetzige Zustand gefällt mir auch nicht.“ „Ihnen also auch nicht?“ Irritiert deutete Delion ein Kopfschütteln an. „Wessen Idee war das dann?“ Interessiert sah Raelene Magnolica an, die sich im Stuhl zurücklehnte und abermals leise seufzte. „Hauptsächlich die Leute, von denen diese Einrichtung finanziert wird“, erklärte sie geduldig. „Ihre Bedingung ist, dass Endynalos nie wieder das Tageslicht zu sehen bekommt. Andernfalls würden wir keinerlei Unterstützung mehr erhalten.“ „Nicht im Ernst?!“ Raelene reagierte gereizt. „Wie ich so etwas hasse. Selbst hierbei denken solche Leute noch ans Geld? Ich meine, was haben die denn von so einer Drohung? Es geht doch auch um deren Sicherheit.“ Magnolica schloss kurz die Augen. „Ich verstehe, dass dich das wütend macht. Einige Menschen genießen aber nun mal zu gerne die Macht, die ihnen das Geld verleiht.“ Wie bescheuert. Das ganze Geld würde ihnen nicht helfen können, wenn Endynalos irgendwann wütend genug wäre, um von allein auszubrechen und anzugreifen. Wäre es nicht sogar weniger belastend für den Geldbeutel dieser reichen Idioten, wenn man andere Wege fände, mit Endynalos zu arbeiten? Solche Machtspiele verstand Raelene einfach nicht. „Aber wissen sie nicht, dass Endynalos dadurch nur verzweifelt und wütend wird?“, wandte Delion ein. „Das kann doch nicht der Sinn der Sache sein.“ Ernst lehnte Magnolica sich wieder nach vorne, ihr Gesicht sah ungewohnt finster aus. So hatte Raelene sie nicht mal damals erlebt, als Endynalos wirklich ausgebrochen war. Die ganze Sache schien sie ebenfalls sehr zu beschäftigen, wahrscheinlich schon viel länger, als sie ahnten. „Die andere Möglichkeit, die mir auch angeboten wurde, war, Endynalos zu erforschen“, fuhr Magnolica fort. „Das habe ich aber von Anfang an abgelehnt. Ich wusste, es würden Forscher zur Unterstützung geschickt werden, deren Ziel es wäre, aus dieser Macht irgendwie doch noch mehr Geld herauszuschlagen, statt sich auf das Wohl von Endynalos zu konzentrieren.“ Bedrückt senkte Raelene den Kopf. „Tut mir leid, dass Sie das alles ganz alleine entscheiden und durchmachen mussten.“ „Ich habe mich damals selbst so entschieden“, beruhigte Magnolica sie. „Du warst noch ein Kind und Delion hatte auch andere Dinge zu tun. Also würde ich auch heute genau diesen Weg gehen. Ich wusste, eines Tages würdet ihr hierher kommen, wenn ihr bereit seid. Nun können wir uns gemeinsam etwas überlegen.“ „Zu dritt sollte uns etwas einfallen“, motivierte Delion sie. „Diesen Zustand können wir jedenfalls für kein Pokémon zulassen, auch nicht für Endynalos.“ Dem konnte Raelene nur zustimmen. Sie hatte Angst vor Endynalos, aber sie wollte trotzdem nicht, dass er weiter so leiden musste. Ein Pokémon konnte nicht nur voller Bosheit und Zerstörungswut stecken. „Schön, dass wir uns da einig sind.“ Magnolica wirkte bereits, als würde ihr ein Stein vom Herzen fallen. „Ich hatte einige Jahre Zeit, mir ausgiebig Gedanken über Endynalos zu machen. Wenn wir ihn davon überzeugen, den Menschen eine Chance zu geben, könnten wir ihm zeigen wie harmonisch das Zusammenleben zwischen uns und den Pokémon eigentlich ist. Es bräuchte nur den richtigen Trainer, der keine Zweifel hat und die richtigen Ambitionen mitbringt. Und bei dem wir sicher sein können, dass er Endynalos nicht für falsche Zwecke missbrauchen wird.“ „Endynalos nach den letzten Jahren zu überzeugen dürfte schwer werden“, murmelte Raelene. „Das könnte wirklich schwer werden.“ Delion runzelte die Stirn, sein Kopf arbeitete sichtlich auf Hochtouren. „Er ist voller Wut. Aber auch voller Verzweiflung. Wir sollten es schaffen können, wenn wir den richtigen Trainer finden, der Endynalos erreichen kann.“ Raelene lehnte sich mit dem Oberkörper weit nach vorne, damit sie Delions Gesicht besser sehen konnte. Sie lächelte. Leidenschaftlich, lebhaft und ein gutes Herz. Außerdem liebte er Pokémon. Delion hatte Endynalos vielleicht nicht alleine besiegen können, was wahrscheinlich sowieso niemandem gelingen würde, aber sie war davon überzeugt, als Trainer für ihn wäre er perfekt. Magnolica schmunzelte leicht, sprach aber ernst weiter: „Für heute sollten wir nichts überstürzen. Denken wir alle in Ruhe darüber nach. Falls es aber nicht zu viel verlangt ist, Delion, könntest du mit der Liga besprechen, ob sie uns etwas mehr Geld zur Verfügung stellen? Dann könnten wir uns zumindest schon mal von einigen anderen Unterstützern trennen, die mir seit einer Weile ein Dorn im Auge sind.“ Da Delion Raelenes intensiven Blick bemerkte, sah er sie kurz ratlos an, bevor er sich lieber wieder auf Magnolica konzentrierte und ihr zunickte. „Keine Sorge, ich werde mich darum kümmern.“ „Danke, das wird schon einiges leichter machen und mir etwas mehr Entscheidungskraft geben.“ Die Professorin sah die beiden ruhig an. „Habt ihr noch Fragen oder sonst etwas, das ihr besprechen wollt?“ Raelene lehnte sich zurück und dachte nach. Sie würde keine fachlich professionellen Details verstehen, also hatte es keinen Sinn etwas in der Richtung zu fragen. Ihr einziges Interesse war momentan Endynalos zu helfen ... und ihn mindestens von dieser Folter zu befreien. Wenn sie sich etwas mehr anstrengte und ihre PR-Agenten darum bat, mehr Werbedeals anzunehmen, könnte sie dadurch die Liga und somit auch Magnolica geldlich etwas unterstützen. Für diesen Tag würde Raelene die ganzen Eindrücke aber lieber erst mal einfach sacken lassen. „Ehrlich gesagt, hat mich das da unten etwas erschlagen“, sagte sie entschuldigend. „Deshalb habe ich erst mal keine Fragen mehr.“ „Ich auch nicht“, reihte Delion sich ein. „Vielen Dank, dass wir so kurzfristig Einblick erhalten konnten.“ Selbstverständlich war das sicherlich nicht, auch nicht für den Liga-Präsidenten oder den Champ. Vorerst wollte wohl aber auch Delion nur zurück an die frische Luft. Bestimmt würde er dann bald alles nötige in die Wege leiten, damit die Finanzierung der Einrichtung zum Teil übernommen werden könnte. Da käme ein Haufen Arbeit auf ihn zu. Somit verschwand ihr ruhiger Tag beim Camping in unerreichbare Ferne – andere Dinge waren nun wichtiger. „Gut, ich halte euch auf dem Laufenden, sollte sich hier etwas ändern“, versprach Magnolica. „Ruft bei eurem nächsten Besuch nur bitte vorher an, damit unter den Angestellten keine Unruhe oder gar Panik entsteht.“ Raelene nickte verstehend, hob jedoch fordernd den Zeigefinger. „Aber nur, wenn dann nicht wegen uns gleich der rote Teppich ausgerollt wird.“ Magnolica lachte leise. „Ich werde es ihnen sagen.“ „In Ordnung, nächstes Mal kündigen wir uns also an“, versicherte Delion abschließend. „Falls es Probleme geben sollte, können Sie sich auch bei uns melden. Wir helfen dann gern.“ „Das weiß ich sehr zu schätzen.“ Er stand auf und half Raelene beim Aufstehen, indem er ihr wieder die Hand reichte. Auch Magnolica erhob sich und ging zum Schreibtisch hinüber. „Ich lasse euch zur Tür begleiten und gebe Bescheid, dass sie euch das Tor öffnen sollen.“ „Danke. Passen Sie auf sich auf“, verabschiedete Raelene sich. Die Professorin lächelte. „Ihr auch auf euch.“ „Das machen wir.“ Delion lenkte den Blick zu Raelene und lächelte müde. „Gehen wir~.“   ***   Es hatte noch einige Minuten gedauert, bis der Angestellte sie auf dem Gang abholte und anschließend zum Tor brachte. Dabei war er ein wenig in Small-Talk verfallen, verabschiedete sich zum Abschluss höflich von ihnen und entließ sie nach draußen in die Kälte. Nach dieser Besichtigung kam es Raelene draußen nun gar nicht mehr so eisig vor wie bei ihrer Ankunft – und es war viel heller. Hinter ihnen schloss sich gerade noch automatisch das Tor, während sie sich einige Schritte vom Eingang entfernten. Erschöpft atmete Raelene durch und rückte dichter an Delion heran. „Wie kann ein Gebäude von innen kälter sein als die schneebedeckten Berge von Circhester? Das sagt schon echt alles ...“ Schützend legte Delion einen Arm um sie und griff mit der anderen nach einem Pokéball, vermutlich dem von Glurak. „Ich hab ja auch gewusst, dass ich es nicht lieben würde, aber dass es so schlimm wird, hätte ich nicht gedacht.“ „Ich auch nicht ...“ Sie hielt kurz inne. „Ich bin froh, dass wir bei Endynalos einer Meinung sind.“ „Da bin ich auch froh~.“ Es wäre furchtbar gewesen, hätten sie deswegen an diesem Ort schon ihren ersten Streit gehabt. Wenn Delion das Schicksal eines Pokémon, auch wenn es sich dabei um Endynalos handelte, egal wäre, hätte Raelene sich aber bestimmt nicht in ihn verliebt. Ihre Beziehung startete dafür direkt mit einem komplizierten Fall, den es zu lösen galt. Kein Pokémon sollte unter solchen Bedingungen in Gefangenschaft leben, nicht mal Endynalos. Während sie das dachte, warf Delion den Pokéball, worauf Glurak vor ihnen auftauchte. „Ich habe dann noch ziemlich viele Gespräche vor mir, um das mit der Finanzierung zu klären“, seufzte Delion schwer. „Soll ich dich lieber nach Hause bringen?“ Raelene würde am liebsten einfach bei ihm bleiben, aber es machte sicher einen seltsamen Eindruck, wenn sie bei all den Gesprächen nur schweigend daneben saß. Vielleicht sorgte das am Ende sogar nur dafür, dass Delion es schwerer hatte. Ganz alleine wollte sie momentan aber auch nicht sein, obwohl sie ihre Pokémon bei sich hätte. Also kam ihr sein Vorschlag wie eine gute Idee vor. So könnte sie notfalls auch ins Labor zu Hop und Sania gehen, um mit ihnen über Endynalos zu sprechen. „Ja, erst mal schon. Meine Mutter ist manchmal sehr hilfreich dabei mir neue Denkanstöße zu geben.“ Selbst wenn sie nicht wusste, worum es überhaupt ging. Das war wohl eines von vielen geheimnisvollen Talenten einer Mutter. „Okay, dann bringe ich dich nach Furlongham. Und ich halte dich auf dem Laufenden, was die Gespräche angeht – oder ob mir ein geeigneter Trainer einfällt. Ich könnte die Challenger der letzten Jahre noch einmal durchgehen oder mir die Arenaleiter als mögliche Kandidaten nochmal genauer anschauen.“ Was das Thema anging, schien er bereits überaus motiviert zu sein. Dabei stand für sie nach wie vor der beste Trainer für Endynalos längst fest. Ob sie ihn mal darauf stoßen sollte? Womöglich würde er sich selbst sonst niemals ernsthaft zur Wahl stellen ... Raelene zögerte einen Moment, dann wandte sie sich an Glurak. „Sag, du bist doch sicher auch der Meinung, dass Delion der leidenschaftlichste, gutherzigste und beste Trainer aller Zeiten ist, nicht wahr?“ Gerade Glurak, der jahrelange Partner von Delion, konnte dessen Qualitäten mit Sicherheit am besten beurteilen. Außerdem glaubte Raelene, dass er nicht nur aus Zuneigung zu Delion diese Frage bejahen würde – ihr Wolly dagegen schon. „Was meinst du, könnte Delion jedes Pokémon zähmen und sich zum Freund machen?“ Delion runzelte seine Stirn, sagte aber noch nichts. Glurak schien für einen kurzen Augenblick zu überlegen – möglicherweise wusste er schon von dem Gespräch zuvor und hatte selbst Endynalos' Misere miterlebt – dann nickte er, so ernsthaft wie es wohl einem Pokémon möglich war. „Willst du damit etwa sagen, dass ich das übernehmen soll?“, sagte Delion zweifelnd. „Ich weiß nicht, ob das funktionieren kann. Damals ... habe ich doch auch versagt. Und was, wenn es schief geht und er dir dann etwas antut, weil er dich hasst?“ „Ich wollte dir nur mitteilen, dass die allererste Person, die mir als passende Wahl eingefallen ist, du warst.“ Raelene legte eine Hand an seine Wange. „Aber das heißt nicht, dass ich dich dazu dränge. So würde das eh nicht gut ausgehen. Der Trainer von Endynalos sollte diese Aufgabe freiwillig, von sich aus, übernehmen wollen. Behalte es also einfach im Hinterkopf. Und falls ein Moment kommen sollte, in dem dir bewusst wird, dass du gerne der Trainer sein willst, der Endynalos hilft, stehen Glurak und ich vollkommen hinter dieser Entscheidung. Ich passe dann schon auf mich auf.“ Wirklich überzeugt wirkte Delion weiterhin nicht, doch ein Rotschimmer hatte sich dafür über sein Gesicht gelegt. „Ich werde darüber nachdenken.“ Ein entschlossenes Nicken folgte. „Denn ich will ihn auf keinen Fall hier lassen. Danke, Rae.“ Mit diesen Worten legte er eine Hand auf ihre und lächelte. Seine Berührung fühlte sich heiß an, auf eine angenehme Weise. Eine Weile erwiderte Raelene sein Lächeln, bis sie sich davon losriss und sich an ihn drückte. Wäre der Ort nicht so deprimierend, hätte sie ihn geküsst. Das kam ihr Endynalos gegenüber aber unfair und dreist vor, während er dort drinnen im Untergrund festsaß. Sie löste sich wieder etwas von ihm und sah zu ihm hoch. „Sollen wir dann los?“ Wahrscheinlich würden sie sich an diesem Tag nicht mehr sehen, sobald er sie zu Hause abgesetzt hatte, was sie traurig stimmte. Aber solche wichtigen Dinge durften auf keinen Fall vernachlässigt werden. „Ja.“ Er wirkte betrübt. „Ich bringe dich zurück.“ Delion ließ sie los, damit er auf Glurak aufsteigen und ihr dann nach oben helfen konnte. Diese Geste half ihr dabei, etwas Wärme gegen die Kälte anzusammeln. Da sie nun schon ein paar Mal auf Glurak geflogen war, konnte sie sich sofort richtig festhalten und lehnte sich nach vorne. Raelene entschuldigte sich in Gedanken bei Endynalos dafür, dass sie ihn noch eine Weile an diesem Ort lassen mussten. Aber sie würden das schon regeln, da war sie sich sicher. Kapitel 14: Das ist doch bestimmt deine Lieblings-Kappe! -------------------------------------------------------- Seit Raelene zusammen mit Delion die Einrichtung besichtigt hatte, war Galar von einem anhaltenden Nieselregen heimgesucht worden. Graue Wolken klebten nahezu am Himmel, schienen sich kaum zu rühren. Als wäre ein kleiner Teil von Endynalos' Verzweiflung entwichen und auf das Wetter übergegangen. Eigentlich war sie noch nie der Typ gewesen, der sich die gute Laune von so etwas ruinieren ließ, doch diesmal schlug es deutlich auf ihre Stimmung. Einen Lichtblick gab es aber bereits wieder am zweiten Tag. Trotz des leichten Regens stürmte Raelene regelrecht aus ihrem Haus in Furlongham, rief ihrer Mutter noch einen fröhlichen Abschiedsgruß zu und rannte dann die Straße entlang. Der Grund für ihre Eile war eine Nachricht von Delion, die sie erst vor ein paar Sekunden erhalten hatte. Er schrieb, dass er zu Hause wäre und auf sie wartete. Weiter hatte sie die Nachricht gar nicht gelesen, sondern war sofort aufgebrochen. Vorgestern hatten sie sich zuletzt gesehen. Eigentlich kein langer Zeitraum, Raelene kam das dennoch wie eine Ewigkeit vor. Deshalb konnte sie es kaum erwarten Delion zu umarmen. Sie hatte sich so viele Gedanken über Endynalos gemacht, dass nicht nur ihre Mutter, sondern auch ihre Pokémon alle besorgt gewesen waren. Diese willkommene Abwechslung konnte sie wirklich gebrauchen. „Ziel!“, rief Raelene aufgeregt, als sie vor der Haustür abbremste und ihren Sprint beendete. „Das ist locker ein neuer Rekord~.“ Sogleich betätigte sie die Klingel und wartete freudestrahlend darauf, dass ihr jemand die Tür öffnete. Am besten sogar Delion selbst. Zu ihrer Freude war es tatsächlich er, der sie schließlich kurz darauf, mit einem Lächeln und leuchtenden Augen, begrüßte. „Das war ja echt schnell~.“ Sein Anblick war genau das, was Raelene gebraucht hatte. Allein seine Stimme zu hören reinigte ihren Kopf geradezu von den dunklen Schatten, welche durch die Grübelei entstanden waren. Sie fühlte sich auf Anhieb lebendiger. „Ich hab dich ja auch total vermisst!“ Raelene sprang in seine Arme – da er gut trainiert war, brachte ihn das kein bisschen aus dem Gleichgewicht – und drückte sich ganz fest an ihn. „Soooo~“, betonte sie sehnsuchtsvoll, „sehr habe ich dich vermisst!“ Lachend schlang Delion die Arme um sie, ohne sich daran zu stören, dass sie ein bisschen nass war, und hielt sie fest. „Awww, ich habe dich auch vermisst~.“ Nachdem sie sich eine Weile innig umarmt hatten, löste er sich schließlich irgendwann von Raelene und griff nach ihrer Hand. „Okay, dann komm mal rein. Du wolltest ja noch mein Zimmer sehen.“ „Oh ja, unbedingt~“, stimmte sie begeistert zu. „Oder willst du dich vorher lieber etwas abtrocknen?“ „Nein, nein. Geht schon~. Nieselt ja nur.“ Raelene lehnte sich vorher noch rasch ins Wohnzimmer, um seiner Familie zumindest kurz winkend einen knappen Gruß zuzurufen – dabei bemerkte sie die wohlwollenden Blicke von Delions Mutter und seinen Großeltern, was sie plötzlich recht verlegen machte. Da sie mit Hop eng befreundet und daher ein durchaus bekannter Gast in diesem Haus war, musste sie sich, zum Glück, nicht schämen, weil sie eventuell nicht höflich genug und kein bisschen zurückhaltend war. Ihre Mutter sähe das wahrscheinlich anders. „Dann los! Ich brenne darauf, endlich dein Zimmer ganz legal erkunden zu dürfen.“ „Sehr gut.“ Er strebte bereits die Treppe nach oben, als ihm im Nachhinein noch eine entscheidende Kleinigkeit an dem Satz auffiel. „Hey, hast du mein Zimmer etwa mal erkundet, als ich nicht da war?“ Offenbar fragte Delion vielmehr aus Neugier, statt deswegen wirklich empört oder gar böse auf Raelene zu sein. Aufmerksam sah er sie an, was sie doch ziemlich aus dem Konzept brachte. Ertappt fuhr Raelene sich mit der freien Hand durch die Haare und rang ein wenig nach Worten „Ähm … also … nicht direkt. Ich hab nur vielleicht mal irgendwann einen flüchtigen Blick ins Zimmer geworfen, weil mich das Interesse gepackt hatte.“ Es heimlich zu durchwühlen wäre ihr ein Schritt zu viel, dafür war sie dann doch zu gut erzogen. Aber es war wirklich hart gewesen, dieser Versuchung, sein Zimmer zu betreten und sich alles ganz genau anzuschauen, jedes Mal zu widerstehen. Immerhin war es die ganze Zeit offen zugänglich. Für Leute wie sie, die von Natur aus neugierig waren, eine Folter. Nein, Endynalos ist derjenige, der es wirklich schwer hat. Ihre Stimmung drohte schlagartig zu kippen, doch Delion lachte abermals herzlich, womit er sie gerade noch rechtzeitig vor einem Absturz bewahrte. „Ach, wenn es nur das ist.“ Zwinkernd versicherte er ihr, dass es nicht so wild für ihn war. „Mir wurde gesagt, manche Fans seien da wesentlich verrückter drauf.“ Unbeirrt setzte Delion seinen Weg fort und zog sie vorsichtig mit sich. Bei seinem Zimmer angekommen, öffnete er einfach die Tür, ohne zu zögern. Wahrscheinlich sorgte auch seine Mutter dafür, dass der Raum immerzu sauber und aufgeräumt blieb, weshalb er sich keine Sorgen machen musste und es Gästen problemlos präsentieren konnte. Allerdings sprangen Raelene als erstes einige Kartons ins Auge, die nicht weggeräumt worden waren, und daher gegen ihre Vermutung sprachen. Was da wohl drin war? Möglicherweise einige seiner Kappen. Wie schon damals hingen davon immer noch welche an der Wand und seine Trainingsgeräte kannte sie auch schon, von einigen heimlichen Blicken her. Das einzige, was Raelene sichtlich überraschte, war das einzelne Poster an der Wand, das sie in ihrer Champ-Pose zeigte. Sah sie das richtig? In Delions Zimmer ... hing wirklich ein Bild von ihr? „Du hast auch ein Poster von mir?“, hakte sie verdutzt nach, obwohl sie es mit eigenen Augen sah. Bevor Delion darauf etwas erwidern konnte, wandelte sich ihre leichte Verwirrung darüber aber schon zu Freude. Wie sehr es sie beruhigte, dass sie sich auch in dem Punkt ähnlich waren – Raelene war nur etwas fanatischer als er und hatte es reichlich übertrieben mit den Postern und Fanartikeln. „Hm, jetzt fühl ich mich geschmeichelt~.“ Locker klopfte sie ihm gegen die Schulter. „Hätte ich das vor unserem Liebesgeständnis entdeckt, wäre ich davon überzeugt gewesen, du benutzt es, um Dartpfeile auf mich zu werfen.“ Delion betrachtete das Poster und neigte den Kopf. „Aber es ist doch viel zu schön, um darauf Dartpfeile zu werfen.“ Diesmal sprach Delion weiter, ehe sie reagieren konnte, und legte eine Hand in den Nacken. „Ich kann aber verstehen, dass du das dachtest.“ Raelene verzichtete an dieser Stelle lieber darauf, all die Gründe aufzuzählen, wegen denen es nachvollziehbar gewesen wäre, wenn er es das mit den Dartpfeilen wirklich getan hätte. Zumal sie ihm selbst eingefallen zu sein schienen, daher wollte Raelene das Thema nicht wieder unnötig hervorholen. Diese Zeiten waren vorbei. Als Delion plötzlich grinste und sich mit verschränkten Armen näher zu ihr lehnte, befürchtete Raelene erst, er wolle ihr gestehen, dass er statt Dartpfeilen mit Kettensägen geworfen hätte und deshalb die alten Poster nur alle entsorgt werden mussten. Natürlich lag sie wieder komplett daneben. „Was hättest du aber gedacht, wenn du auch noch einen Fotoband von dir in meinem Bücherregal entdeckt hättest?“ Mit diesen Worten nickte er in Richtung des Regals. Irgendwo zwischen den Büchern und Zeitschriften über Pokémon, sollte also ein Fotoband von ihr stehen? „Jetzt wirklich?“ Raelene ging zu dem Bücherregal und entdeckte tatsächlich dieses besagte Buch. Sofort erhitzte sich ihr Gesicht wieder. Sie hatten sich also beide die ganze Zeit aus der Ferne verzweifelt angeschmachtet. Wie albern sie sich nun vorkam, dass sie Angst gehabt hatte, Delion könnte sie für einen wahnsinnigen Fan halten, der nur seinem Idol möglichst nahe sein wollte. Lächelnd sah Raelene ihn an. „Also das hätte ich mir nicht erklären können. Aber völlig ausgeschlossen, dass das bedeuten könnte, du wärst auch in mich verliebt.“ „Das mit der Verdrängung hast du echt gut drauf, das muss ich dir lassen“, meinte Delion schmunzelnd. „Zum Glück wissen wir beide schon Bescheid.“ Und das nur dank eines einzigen Besuches im Pokémon-Hort. Dafür mussten sie sich beide unbedingt noch gebührend bei Gloria bedanken. Inzwischen war Raelene sich ziemlich sicher, dass sie die beiden absichtlich allein gelassen hatte, damit sie miteinander sprachen. Die Strategie war jedenfalls aufgegangen, deswegen verdiente sie ein Dankeschön. Eines, das nicht nur schriftlich als Textnachricht erfolgte. „Ja, ich bin echt froh, dass es nun raus ist~“, sagte Raelene glücklich. Sie ging ein wenig durch das Zimmer und sah sich alles ganz genau an. Es war überwältigend, endlich in diesem Raum sein zu dürfen, noch dazu als seine feste Freundin. Wie erwartet war es blitzblank und roch noch dazu richtig angenehm. An einem Regal, wo Delion einen Teil seiner gewaltigen Sammlung aus Kappen ausstellte, hielt sie schließlich an und betrachtete sie fasziniert. „Weißt du eigentlich, wie viele Kappen genau du inzwischen besitzt?“ „Ich habe sie schon lange nicht mehr gezählt“, erwiderte Delion. „Außerdem hab ich auch noch welche in meiner Wohnung in Score City und ein paar im Kampfturm ... es ist also nicht einfach.“ Also eine ganze Menge. Offensichtlich liebte er Kappen sehr und konnte vermutlich kaum an einem neuen Modell vorbeilaufen, ohne es direkt zu kaufen. Andere hätten ihn wahrscheinlich dafür kritisiert, dass er in dem Punkt nie erwachsen wurde, doch Raelene mochte diese Eigenart von ihm. Hoffentlich hörte er nie damit auf, besonders leidenschaftlich bei den Dingen zu sein, die er mochte. „Und ... hast du eine Kappe, die dir nicht ganz sooo wichtig ist?“, erkundigte Raelene sich, gespielt unschuldig. „Eine, die du, ich weiß auch nicht, vielleicht nicht unbedingt behalten willst? Von der du dir vorstellen könntest Abschied zu nehmen oder so?“ Während sie das alles fragte, trat sie näher an eine der Trainingshanteln heran und kniete sich davor hin. Delion sagte nichts dazu, sondern schien einen Moment zu überlegen, was sie damit sagen wollte. Eventuell sollte Raelene ihn direkt fragen, statt derart zurückhaltend zu sein. Aber diese Kappen könnten ihm so heilig sein, dass er es vielleicht zu unverschämt von ihr fand, wenn sie gerne eine davon haben wollte … „Hier~.“ Plötzlich legte Delion ihr etwas auf ihren Kopf. „Ich nehme an, du wolltest sie adoptieren, nicht wahr?“ Moment, hatte er … War das etwa … Raelene hob die Hände und tastete über ihren Kopf, um zu überprüfen, ob sie sich das gerade nicht nur einbildete. Als sie ihm dann den Blick zuwandte und feststellte, dass er seine Champ-Kappe nun nicht mehr trug, war sie überwältigt. Ein Gefühl von Leichtigkeit umhüllte sie. „B-bist du sicher?“, fragte sie aufgeregt. „Das ist doch bestimmt deine Lieblings-Kappe!“ Er hatte sie immer getragen, sie war ein Teil von ihm. Durfte Raelene dieses Geschenk einfach annehmen? Schmunzelnd nickte er ihr zu. „Und jetzt wird sie von meinem Lieblings-Menschen getragen. Das passt doch. Außerdem ist es eine wahre Champ-Kappe. Und ich wollte dir nicht nur irgendeine Kappe schenken.“ Vorsichtig stellte Raelene sich wieder aufrecht hin und strich behutsam über den Schirm der Kappe. Sie fühlte sich so gut an. Delion hatte ihr einfach so die Erinnerungen an seine Zeit als Champ geschenkt. Ihre Augen funkelten vor Glück und Dankbarkeit. Instinktiv trat sie noch dichter an ihn heran, legte eine Hand in seinen Nacken und zog ihn sanft für einen Kuss zu sich. Nur so könnte sie ausdrücken, wie sehr sie dieses Geschenk liebte. Und er wehrte sich nicht dagegen, im Gegenteil. Ein Kuss schien genau das zu sein, was er sich gerade von ihr gewünscht hatte. Euphorie strömte durch Raelenes Körper. Schließlich löste er sich wieder von ihr und strich ihr durch das lange Haar. „Jetzt bist du noch ein besserer Ditto-Champ~. Deine Fans werden es auch lieben – und jeder weiß ab jetzt sofort, dass wir ein Paar sind.“ „Aha! Du wolltest mich also eigentlich nur markieren~.“ Raelene lachte und trat einige Schritte zurück, um mehr Platz zu haben. Dann strich sie ihre Haare nach hinten und nahm schwungvoll die Siegespose ein, die sie sich von Delion abgeschaut hatte. „It's champ time!“, rief sie, voller Inbrunst. Delion applaudierte amüsiert, als sie diese Pose einnahm, die sie meisterhaft beherrschte. In diesem Moment wäre Raelene spontan bereit für einen Kampf! Stattdessen drehte sie sich aber nur gut gelaunt im Kreis und griff dabei nach ihrer Kappe. „Ich liebe sie~. Ich werde sie immer tragen, versprochen!“ Diese Worten stimmten Delion zufrieden. „Gut, das will ich auch hoffen. Ich werde jeden Auftritt verfolgen.“ „Dann werde ich mir umso mehr Mühe geben.“ Raelene könnte ihre Freude bestimmt den ganzen Tag über nicht mehr bremsen. Sie hätte sich mit irgendeiner Kappe durchaus zufrieden gegeben, solange sie von Delion gekommen wäre. Seine Champ-Kappe war wie ein Goldschatz. Summend nickte sie Richtung Hanteln. „Hast du die wirklich benutzt?“ Er sah auf die Sportgeräte hinunter. „Ja, natürlich~. Früher. In Score City hab ich inzwischen schwerere. Dieser Körper kommt nicht nur durch das Werfen von Pokébällen zustande.“ Verstehend betrachtete Raelene Delion genauer. Wirklich ziemlich gut durchtrainiert war er auf jeden Fall. Das war sicher praktisch, wenn man mit seinen Pokémon zusammen Übungen machte. Als ihr bewusst wurde, dass sie etwas zu intensiv zu starren anfing, wandte sie sich räuspernd ab und versuchte ihre Verlegenheit zu überspielen. „Vielleicht sollte ich auch mal damit anfangen Gewichte zu stemmen“, sagte sie motiviert. „Ein paar Muskeln können sicher nicht schaden.“ Damals hatte Hop öfter darüber geklagt, dass Delion ihm damit ständig in den Ohren lag und ihn ebenfalls hartnäckig zum Training zu motivieren versuchte, doch sein jüngerer Bruder war daran schon immer eher uninteressiert gewesen. Vor einiger Zeit hatte Delion Hop wohl mal erneut all die Vorteile eines sportlichen Körpers aufgezählt, weil er der Meinung war, auch als Sanias Assistent benötige er Kraft. Allerdings erfolglos, wie Raelene wusste. „Das kann echt nie schaden!“, betonte Delion sofort begeistert. „Wenn du willst, können wir auch mal zusammen trainieren. Natürlich in deinem Tempo, du solltest es am Anfang nicht übertreiben. Dafür wären die Hanteln hier sogar ganz gut geeignet.“ „Wirklich? Mal sehen~.“ Sie kniete sich nochmal hin und griff nach einer kleineren Hantel. Die waren nicht so schwer, wie sie aussahen. Raelene konnte sie ein paar Mal heben und senken. „Ich wollte sowieso mal mit dir zusammen trainieren, also, mit unseren Pokémon. Aber uns selbst auch zu trainieren ist gar keine schlechte Idee. Du bist bestimmt ein toller Coach~.“ Sonst wären auch seine Pokémon bestimmt nicht so stark. „Nun, ich gebe mir jedenfalls Mühe~.“ Zufrieden klatschte er in die Hände. „Prima, dann werden wir auf jeden Fall noch klären müssen, wo wir das in unseren Zeitplänen unterkriegen. Aber du weißt ja, außerhalb der Liga-Saison hab ich meist mehr Zeit.“ Während der Arena-Challenge war Raelene ohnehin selbst mit anderen Dingen beschäftigt, so kurz vor dem Champ-Cup. Vor allem mit dem Training ihrer Pokémon. Anscheinend schien Delion sich nach einem menschlichen Partner für seine sportlichen Aktivitäten gesehnt zu haben, wenn er bereits so entschlossen wirkte. Da käme sie so leicht wohl nicht mehr raus, aber das war in Ordnung für sie. Um dieser Champ-Kappe würdig zu sein, musste sie unbedingt mehr an Kraft zulegen. „Das kriegen wir schon hin. Notfalls quartiere ich mich bei dir ein~.“ Beinahe hätte Raelene die Hantel fallen lassen, als ihr bewusst wurde, was sie gesagt hatte. Darum legte sie die lieber wieder vorsichtig ab. Sich direkt in Delions Wohnung breitzumachen käme sicher nicht gut an ... auch wenn sie sich darüber freuen würde, jeden Morgen mit ihm aufzuwachen. War das zu schnell? „Auf jeden Fall passt das Zimmer zu dir“, warf sie rasch ein. „Was klar ist, da es ja dein Zimmer ist.“ „Ja, ich finde auch, dass das Zimmer gut zeigt, wer ich eigentlich bin. Ein kappen-vernarrter Pokémon-Fan, der manchmal gern trainiert.“ „Mir gefällt es~. Wenn ich Sehnsucht habe, dich aber gerade mal nicht persönlich sehen kann, komme ich ab jetzt einfach hierher.“ Es wäre zwar trotzdem noch seltsam, ohne Delion hier zu sein, aber wenigstens musste sie nun kein schlechtes Gewissen dabei haben. Auch seine Mutter hätte bestimmt nichts dagegen, nachdem sie nun auch wusste, dass sie ein Paar waren. Hoffte Raelene jedenfalls. Sie sah Delion strahlend an. „Okay! Du hattest die ganze Arbeit von uns, seit vorgestern, also darfst du dir jetzt aussuchen, was wir machen. Wir können natürlich auch einfach mit deiner Familie quatschen, wenn du willst.“ „Ach, ich komme noch dazu, mit der Familie zu reden. Und wahrscheinlich hätten sie gerade nur ein paar peinliche Fragen an dich. Lass uns lieber noch mal in den Schlummerwald gehen, dann können wir etwas Zeit allein verbringen.“ Peinliche Fragen ... so weit hatte Raelene gar nicht gedacht. In dem Punkt war sich wohl jede Familie ähnlich. Zum Glück dachte Delion mit. „Das klingt gut“, beteuerte Raelene daher. „Zeit allein mit dir ist genau das, was ich auch will.“ Diesmal nahm sie wieder seine Hand und genoss die Wärme, die von ihm ausging. Davon könnte sie niemals genug bekommen. „Nun musst du mir nur noch irgendwann auch deine Wohnung in Score City zeigen~.“ „Oh ja, das mache ich gern. Da hängen aber mehr Poster von dir“, warnte er sie lachend. „Also wundere dich da nicht.“ Er zwinkerte ihr zu, während er sie bereits mit sich zog, damit sie das Haus verlassen könnten. „Ich dachte mir, in meiner eigenen Wohnung kann ich auch ein paar Poster mehr von dir aufhängen, besonders seit wir zusammen sind.“ In Raelenes Brust flatterten wieder unzählige Smettbos herum. Also hatte er genauso viel Sehnsucht nach ihr wie sie nach ihm. Mit der freien Hand griff sie nach ihrer Kappe und lächelte. Vielleicht wäre es doch nicht zu schnell, sich bei ihm einzuquartieren? Zumindest für ein paar Nächte, für den Anfang. „Sag Bescheid, wenn du das Original bei dir haben willst. Ich wäre jedenfalls gerne in deiner Nähe.“ Wenn sie sich gegenseitig sonst nur die ganze Zeit vermissten, wäre es doch albern, sich jedes Mal wieder zu trennen. „Pass auf, wenn du weiter so redest, entführe ich dich heute noch, dann bleibst du wirklich für eine Weile bei mir. Erst recht nach dem nächsten Champ-Cup~.“ Der Gedanke, am Ende eines Cups mit zu ihm nach Hause zu gehen, hatte schon etwas. Oder bereits währenddessen schon bei ihm zu wohnen, statt im Hotel zu übernachten – die Liga wählte sowieso jedes Mal viel zu prunkvolle, teure Zimmer für Raelenes Geschmack aus. Da war die Vorstellung davon, nach den öffentlichen Feierlichkeiten im Anschluss ganz alleine mit Delion in seiner Wohnung zu sein um Welten besser. „Von dir lasse ich mich gerne entführen~“, versicherte Raelene munter. „Ich habe sonst eh nur die ganze Zeit schlimme Sehnsucht nach dir.“ Seit sie ein Paar waren, genügten ihr da die Poster nicht mehr wirklich. Außerdem könnten sie so auch problemlos dieses Training ausprobieren. Blieb nur die Frage, ob auch für die Pokémon genug Platz wäre. Immerhin wusste sie nicht wie groß seine Wohnung war. Delion gefiel ihre Einstellung scheinbar, denn er hörte nicht mehr auf glücklich zu lächeln, während er seiner Familie sagte, dass er mit Raelene eine Weile unterwegs wäre. Er wartete die Antwort nicht einmal ab, sondern zog Raelene direkt durch die Tür mit sich nach draußen – vielleicht um nicht dem vielsagenden Gekicher und den Kommentaren seiner Familie ausgesetzt zu sein. Erst dort hielt er noch einmal inne. „Wollen wir durch den Wald laufen oder willst du auf Glurak zur Lichtung fliegen?“ „Beides, wenn ich ehrlich bin.“ Nachdenklich runzelte sie die Stirn und warf einen Blick in den Himmel – es regnete nicht mehr. „Falls ich heute nicht mehr dazu komme, mit dir auf Glurak zu fliegen, dann machen wir das jetzt. Ansonsten würde ich gemütlich mit dir laufen wollen.“ Der Schlummerwald war der perfekte Ort für einen längeren Spaziergang. Auch die Pokémon dort waren ungewöhnlich friedlich, was an der Atmosphäre liegen musste. Daran hatte sich nämlich nicht viel geändert, obwohl Zacian und Zamazenta inzwischen nicht mehr dort schliefen. Er drückte ihre Hand. „Da ich ja schon beschlossen habe, dich zu entführen, laufen wir dann wohl~.“ Damit ging er dann auch schon los in Richtung des Waldes. Raelene hätte nie gedacht, dass sie sich mal darüber freuen würde, von einem Mann entführt zu werden. Die Smettbos legten einen Freudentanz hin. „Also laufe ich jetzt mit meinem Entführer alleine in einen Wald?“ Sie lachte leise. „Ich suche wohl geradezu das Risiko~.“ Ihre Mutter wäre wahrscheinlich noch mehr aus dem Häuschen als Raelene selbst. Hoffentlich könnte sie dann überhaupt später in Ruhe ein paar Sachen einpacken, ohne direkt dazu überredet zu werden, gleich für immer bei dem Mann ihrer Träume zu bleiben – da war ihre Mutter frei von jeglichem Schamgefühl. Delion schmunzelte. „Tja, man bringt Leuten immer nur bei, nicht mit Fremden mitzugehen. Aber niemand warnt einen davor, dass man auch vom Liga-Präsidenten entführt werden kann~.“ „Zum Glück ist der aktuelle Liga-Präsident so liebenswert, dass man glatt gerne entführt wird~.“ Nicht mal Raelene als Champ hätte das bis vor kurzem gedacht. Während sie geradewegs in die verträumte Atmosphäre des Waldes eintauchten, kam es ihr wieder einmal wie ein seltsamer Tagtraum, eine reine Wunschfantasie vor. Umso mehr beruhigte es sie, dass Delion noch einmal sanft ihre Hand drückte, als müsste er auch sichergehen, dass sie wirklich mit ihm unterwegs und nicht nur eine Einbildung war. Dabei strich Raelene auch erneut über den Schirm der Kappe, um sich zu vergewissern, dass sie noch da war. „Lief eigentlich alles gut? Wegen den Finanzen, meine ich.“ Natürlich ruinierte Raelene die schöne Stimmung nur ungern, doch sie wollte wissen, was Delion bislang erreichen konnte. Bestimmt mehr als Raelene selbst, die sich zwar den Kopf zerbrochen hatte, aber sonst keinerlei Erfolg vorweisen konnte. „Oh ja, es lief überraschend gut“, berichtete Delion, wobei er lebhaft gestikulierte. „Ich musste nur zwischen ein paar Abteilungen vermitteln. Wir kriegen jetzt also auch neues Merchandise, freu dich~. Aber auf jeden Fall ist die Finanzierung der Einrichtung gesichert. Ich habe Professor Magnolica auch schon Bescheid gesagt, damit sie alles Weitere in die Wege leiten kann.“ „Das klingt sehr gut“, sagte Raelene beruhigt. „Gute Arbeit, Präsident~.“ Etwas anderes hätte sie von Delion aber auch nicht erwartet. Er hing sich immer voll rein, sobald es um Pokémon ging. Schade, dass Raelene nicht wirklich etwas Hilfreiches beitragen konnte ... egal, Endynalos dürfte es etwas besser gehen, sobald Magnolica einige unliebsame Unterstützer verabschieden konnte. Nur darauf kam es an. „Hey, ich könnte ja ein paar Schaukämpfe mehr machen! Das bringt sicher auch noch etwas Geld ein.“ „Das ist eine gute Idee~. Sag mir dann nur Bescheid, welcher Gegner dir vorschwebt – sonst wird es wieder Roy werden.“ Nun, Roy war beliebt, aber die Zuschauer sahen es sicher auch mal gern, wenn der Champ gegen jemand anderen antrat. Außerdem konnte es nicht schaden, wenn auch ein paar andere Arenaleiter oder sonstige Trainer ein wenig Aufmerksamkeit fanden. Roy war allein schon durch seine Selfies eine riesige Berühmtheit und hatte das daher eher weniger nötig. „Nio und Mary“, entschied Raelene spontan. „Die beiden sind so schüchtern. Sie brauchen dringend mehr Bühnenzeit~.“ Besonders weil sie großartige Trainer waren. Sie kämpfte zwar gerne gegen Roy, aber auf Dauer war das doch ganz schön eintönig. Obendrauf wusste Raelene, dass gerade Spikeford die Aufmerksamkeit immer gut gebrauchen konnte. Wie es dort wohl inzwischen aussah? Mary hatte sicher schon viel verändern können. „Geht klar, ich frage die beiden, ob sie Lust haben.“ Normalerweise dürfte nichts dagegen einzuwenden sein. Selbst Nio wusste, dass mit dem Dasein als Arenaleiter Aufmerksamkeit einherging. „Super! Ich freu mich schon darauf~.“ Mary bekam Raelene noch weniger zu Gesicht als Iva, Gloria, Victor und Hop. Das war der einzige Nachteil daran, wenn jeder seinem Weg folgte. Wenigstens hatten sie alle ihre persönliche Bestimmung gefunden ... wobei sie da bei Mary nicht absolut sicher war. Vielleicht sollte sie mal in Ruhe mit ihr reden, nach dem Schaukampf. „Kaum zu glauben, dass ich mich nie getraut habe, solche Wünsche an dich zu richten“, erinnerte sie sich. „Ich hatte immer Angst, dich nur zu nerven.“ „Dabei hast du mich seit deiner Rebellenphase nicht mehr genervt. Aber jetzt kannst du mich immer ansprechen, wenn du irgendwelche Wünsche hast. Ich erwarte also ein wenig kreativen Input von dir~.“ „Okay, das kriege ich hin. Aber beschwer dich hinterher ja nicht, wenn es dir doch zu viel wird~“, drohte sie amüsiert, wobei sie ihn mit dem Ellbogen sanft in die Seite stieß. „Da fällt mir ein, eigentlich hab ich dir schon ziemlich früh meine Liebe gestanden. Wäre damals aber sicher nicht so gut ausgegangen wie heute.“ Nicht in einer Phase, in der Delion genervt von ihr gewesen war. Und das auch noch zu recht. Zum Glück hatten Iva und Gloria sie damals davon abgehalten, noch mehr Unsinn anzustellen. Neugierig sah er sie an. „Wirklich? Wann ist das denn passiert?“ „Ich weiß, das war nicht gerade eine Glanzleistung von mir ... aber weißt du noch, als ich dir, kurz bevor ich 14 wurde, betrunken dieses Kauderwelsch geschrieben habe?“ Raelene räusperte sich beschämt. „Da stand eigentlich drin, dass ich erkannt habe, wie verschossen ich in dich bin. Aber, zum Glück, konntest du es nicht entziffern.“ Nicht nur, dass er zu dieser Zeit furchtbar genervt von ihr gewesen war, Raelene wäre auch noch viel zu jung gewesen. Also wäre das eine Katastrophe geworden. Delion schien sich daran besser zu erinnern als erwartet, denn er griff sich mit der freien Hand seufzend an die Stirn. „Oh ja, das weiß ich noch. Und ich war voll sauer auf dich, weil du mir das mitten in der Nacht geschrieben hattest. Ich dachte echt, das wäre gewesen, weil du mich noch mehr nerven wolltest.“ „Tut mir echt leid“, murmelte Raelene reumütig. „Deshalb habe ich mich auch dafür entschuldigt und mich anschließend gebessert.“ Iva und Gloria hatten ihr auch gut zugeredet. Ohne die beiden wäre ihre Rebellenphase vielleicht sogar noch länger ausgefallen. Auch Mary hatte über sie gewacht und ihr jedes Mal aus der Patsche geholfen, wenn sie in Spikeford, als sie dort mit Team Yell abhing, mal über die Stränge geschlagen hatte. Raelene war froh, dass sie so gute Freunde hatte. „Aber darum kommt mir das wohl immer noch wie ein Traum vor, dass wir jetzt wirklich zusammen sind. Danke, dass du damals nicht das Handtuch geworfen hast.“ „Keine Ursache~. Danke, dass du damals dann noch die Kurve gekriegt hast.“ Rückblickend betrachtet war es erstaunlich, dass sich an der Liebe ihrer Fans damals trotz dieses einjährigen, massiven Imagewechsels nichts verändert hatte. Alle schienen verstanden zu haben, wie kompliziert das Leben eines Teenagers sein konnte, erst recht wenn man noch dazu der Champ einer ganzen Region war. Sogar die Liga war bis zum Schluss ziemlich geduldig mit ihr geblieben. Raelene lehnte sich an seiner Schulter an. „Alles nochmal gut ausgegangen, was?“ Die Lichtung dürfte nicht mehr weit entfernt sein. Sie waren unterwegs von einigen Raffels und Meikros beobachtet worden, aber ansonsten gingen die Pokémon lieber ihrem Alltag nach. Hier kamen so selten Trainer vorbei, daher fühlten sie sich sicher. Auch Raelene genoss einfach die Ruhe und Delions Nähe, die sich so richtig anfühlte. Schließlich erreichten sie die Lichtung, die, wie auch schon beim letzten Mal, vollkommen ruhig dalag. Außer ihnen gab es sonst niemanden hier. Perfekt. „Das ist wirklich ein ganz besonderer Ort“, sagte Delion, während er die Atmosphäre auf sich wirken ließ. Raelene nickte lächelnd. „Hier kommt man so schön zur Ruhe.“ Dadurch bekam man das Gefühl, es wäre alles absolut in Ordnung. Kein Wunder, dass Hop sich damals hierher zurückgezogen hatte, um darüber nachzudenken, was er mit seinem Leben anstellen wollte. Außerdem war es nun auch der Ort, an dem sie sich ihre Liebe gestanden hatten. „Ich bin wirklich wahnsinnig in dich verliebt~.“ Delion zog Raelene noch näher zu sich, damit er seinen Arm um ihre Schultern legen konnte. „Ich bin auch wahnsinnig in dich verliebt~.“ Wie gut es tat, das einfach aussprechen zu können, ohne Angst oder Sorge. Schmunzelnd tippte Delion mit der anderen Hand den Schirm ihrer Kappe nach vorne, um ihre Augen zu bedecken. Raelene gab einen überraschten Laut von sich, als sie plötzlich nichts mehr sehen konnte. „Hey~.“ Sie schob die Kappe wieder nach oben und hob den Blick, um ihn anzuschauen. „Bist du etwa immer noch schüchtern?“ Eigentlich durfte sie so etwas gar nicht sagen. Ihr eigenes Herz schlug auch weiterhin wie wild, wenn sie bei Delion war. „Na ja, es ist das erste Mal, dass ich verliebt bin, also ... Ja~. Du bist eben wirklich die erste, die solche Gefühle in mir wecken konnte.“ Als Raelene spürte, wie ihr Gesicht rot wurde, zog sie die Kappe wieder schnell nach unten, um das zu verstecken – ganz schön praktisch. Seine Worte berührten ihr Herz. Schon oft hatte sie sich gefragt, ob Delion wohl schon mal verliebt gewesen war. Er war älter als Raelene und hatte daher sicher mehr erlebt. Aber zu hören, dass sie die erste Person war, für die er solche Gefühle spürte, war ... umwerfend. „Für mich bist du auch der erste“, flüsterte sie schüchtern. „Und der einzige, den ich je so lieben werde.“ Sanft strich Delion ihr durch das lange Haar und ließ es auf seiner Hand liegen, bis es von allein herabfiel. „Das freut mich zu hören. Denn mir wird es mit dir auch so gehen.“ Raelene drehte sich noch etwas mehr zu ihm, damit sie die Arme um ihn schlingen und ihr Gesicht in seiner Brust vergraben konnte – so weit es die Kappe zuließ. „Ich glaube, ich bin auch noch etwas schüchtern“, nuschelte sie. „Aber ich bin echt glücklich dabei.“ Wenn Delion sie später nicht schon entführen wollen würde, hätte sie spätestens jetzt darum gebeten. Der Gedanke, sich wieder von ihm zu trennen, war kaum auszuhalten. „Ich bin auch glücklich~. Noch glücklicher als damals, als ich noch Champ war.“ Es fiel Raelene schwer, das zu glauben, aber wenn er es sagte, musste es die Wahrheit sein. Zwar wusste sie nicht, mit welchen Begründungen Delion zu diesem Schluss gekommen war, doch das war auch nicht weiter wichtig. Solange ihre Beziehung ihn ebenso glücklich machte wie sie, hatten beide das, was sie wollten. Und es gab noch vieles, das sie gemeinsam erleben konnten. Deshalb war alles gut. Kapitel 15: Du bekommst bestimmt immer noch viel Fanpost -------------------------------------------------------- Nachdem sie zu zweit einige Zeit im Schlummerwald verbracht hatten, waren sie im Anschluss noch eine Weile bei Delion zu Hause gewesen – tatsächlich musste Raelene dort ein paar recht peinliche Fragen über sich ergehen lassen. Dank der Kappe konnte sie sich mit ihrer Verlegenheit aber glücklicherweise stets verstecken, wenn ihr die vielsagenden Blicke zu viel wurden. Zu guter Letzt waren sie danach noch in Raelenes Zimmer gewesen, wo sie einige Dinge zusammengepackt hatte, um für ein paar Tage mit Delion zu seiner Wohnung zu gehen. Natürlich war ihre eigene Mutter total aus dem Häuschen deswegen und hatte ebenfalls einige unangenehme Fragen gestellt. Wenigstens war diese Phase somit schon für Delion und Raelene überstanden und sie müssten ihre Familien nicht erst panisch davon abhalten. Am Abend saßen sie schließlich auf Glurak und steuerten geradewegs Score City an. Aus Angst, ihre Kappe könnte verlorengehen, hielt Raelene sie die ganze Zeit mit einer Hand fest. Sie hatte nach wie vor so viel Vertrauen in Delion und Glurak, dass sie sich vor einem Sturz nicht fürchtete. In der Ferne waren schon die unzähligen Lichter von den Häusern der Großstadt zu sehen, was ein gewaltiger Unterschied zu dem verschlafenen Örtchen Furlongham war. Wie bei all den anderen Flügen hielt Delion sie auch diesmal fest, was ihr Herz wieder höherschlagen ließ. Ob er wohl nervös war, ihr den Ort zu zeigen, wo er die meiste Zeit über lebte? In Furlongham war er eher seltener anzutreffen, das wusste jeder. Also dürfte die Wohnung in Score City für Delion wesentlich privater sein als sein altes Kinderzimmer. „Wir müssen jetzt noch kurz durch ein kleines Schneegebiet“, sagte Delion, nahe an ihrem Ohr, damit seine Worte gut verstehen konnte. „Das wird etwas kalt werden, okay?“ Ein wohliger Schauer fuhr über Raelenes Körper. Seine Stimme! So nah! Nun wurde sie schon wieder knallrot wie eine Tamotbeere. Wie machte dieser Mann das nur ständig?! „O-okay!“, rief sie zurück. Auf dem Weg zur Einrichtung waren sie auch schon durch ein Schneegebiet geflogen ... und es war furchtbar kalt gewesen. Im Gegensatz dazu könnte sie sich aber diesmal direkt in Delions Wohnung aufwärmen, also war das in Ordnung. Außerdem hatte seine Stimme sie schon bereits mit reichlich innerer Hitze versorgt. Kurz darauf überflogen sie schon das Kältegebiet von Route 10. Seit ihrer Arena-Challenge war Raelene nicht mehr zu Fuß dort gewesen, was irgendwie schade war. Die Kälte brachten sie so schnell hinter sich, dass sie gar nicht erst ein Gefühl dafür entwickeln konnte. Score City lag dann schon als nächstes vor ihnen und nur Sekunden später kamen sie in dem Stadtteil an, in dem Delion wohnte, was er nebenbei erwähnte. In dieser Gegend war Raelene noch nie gewesen, denn bislang hatte es dafür keinen Grund gegeben. Umso spannender für sie, weil sie so viele neue Dinge entdecken könnte. Glurak landete schließlich problemlos auf der Dachterrasse eines Hochhauses, direkt neben einem Pool – ein Traum für jedes Wasser-Pokémon. Anscheinend waren sie am Ziel, denn Delion stieg mit Schwung von Glurak und reichte Raelene wie gewohnt seine Hand. „Da wären wir~. Willkommen in meinem bescheidenen Heim.“ Wieder ließ sie sich liebend gerne von ihm nach unten helfen und bedankte sich bei Glurak für den Flug. Unbewusst rieb Raelene sich mit den Händen über die Arme und sah Delion skeptisch an, grinste jedoch dabei. „Bescheiden ... mit Pool?“ Vielleicht gehörte dieser standardmäßig zum Gebäude, aber sie meinte es auch nicht so ernst. Selbst wenn Delions Wohnung etwas prunkvoller sein sollte, was sie sich nicht vorstellen konnte, hätte er sich das absolut verdient. „Ich glaube, ich weiß schon jetzt, wo Azurill sich am liebsten aufhalten wird~.“ „Es ist ein eher kleiner Pool“, verteidigte Delion sich schmunzelnd. „Aber ja, Azurill wird den Pool lieben. Meine Wasser-Pokémon benutzen ihn auch regelmäßig.“ Er nickte in Richtung der Terrassentür, legte einen Arm um Raelenes Schultern und ging mit ihr los. „Jetzt musst du dir erst mal das Innere ansehen und dich ein wenig aufwärmen. Ich will ja nicht, dass du dich noch erkältest.“ Seine Sorge rührte Raelene. Sicher wollte Delion aber auch jeden Ärger mit ihrem Manager vermeiden, der es wohl nicht gerne sehen würde, wenn der Champ krank wurde. Manchmal war der Typ etwas übervorsichtig. „Eigentlich macht mir Kälte sonst nichts aus“, meinte Raelene. „Aber es ist doch etwas anderes, wenn man auf einem Glurak mit Vollgas durch ein Schneegebiet rauscht.“ Auf ihrem Rotom-Rad erzeugte sie durch die Bewegung genug Wärme, weshalb ihr nicht mal dabei kalt wurde. Bestimmt war auch das Fliegen mit Glurak nur eine Frage der Gewohnheit ... bis dahin genoss sie Delions Fürsorge liebend gerne. „Mach dir aber keine Sorgen“, fügte sie hinzu. „So leicht werde ich nicht krank~.“ „Falls doch, kümmere ich mich um dich~. Wie versprochen.“ Richtig, bei ihrem ersten Besuch am See hatten sie darüber gesprochen, dass sie beide geglaubt hatten, vor Verlegenheit Fieber zu bekommen – und versprachen einander, den jeweils anderen zu pflegen, sollte einer von ihnen wirklich krank werden. Schön, dass Delion das ernst nahm. Locker öffnete er die Terrassentür, um sie in einen Raum mit einer hohen Decke zu führen, der gleichzeitig als Wohnzimmer fungierte. Neben dem ein oder anderen Bett für ein Pokémon, die offenbar vor allem für die kleineren Exemplare gedacht waren, lag hier auch eine Menge Spielzeug bereit. Im Moment war es aber fein säuberlich in eine Ecke verräumt worden, damit es vermutlich nicht mitten im Weg lag. So viele Sachen nur für Pokémon, das brachte Raelene zum Lächeln. Vor einem großen Fernseher stand ein gemütliches Sofa, zu dem Delion deutete. „Hier sitzen wir zusammen, wenn wir Zeit haben und schauen uns Pokémon-Kämpfe an – oder manchmal auch einfach Filme oder Serien. Worauf wir eben Lust haben.“ Sogar vor dem Fernseher saß er also zusammen mit seinem Team, wirklich typisch für ihn. Ohne Pokémon in seiner Nähe konnte sie sich Delion gar nicht vorstellen. Es beruhigte sie, dass er also niemals wirklich alleine war. An den Wänden hingen einige Bilder von ihm und seiner Familie, dazwischen aber auch gerahmte Poster von Raelene, die im letzten Jahr aufgenommen und verkauft worden waren. Eines davon – das auf dem sie mit Liberlo posiert hatte – hing recht zentral und besaß einen etwas hochwertigeren Bilderrahmen als die anderen, was darauf hindeutete, dass es sich um Delions Lieblingsmotiv handelte. Als Raelene dieses Poster entdeckte, griff sie verlegen nach der Kappe. „So langsam fühle ich mich mit meinem Zimmer nicht mehr ganz so fanatisch~. Jedenfalls nicht einseitig.“ Sie lächelte Delion zu und ließ dann weiter den Blick durch das Wohnzimmer schweifen. „Es sieht schon mal richtig gemütlich aus hier. Gefällt mir!“ „Es wird dir noch besser gefallen, wenn wir nachher die Pokémon freilassen. Jetzt wirkt der Raum noch ein wenig leer, aber wenn sie alle hier herumspringen, ist es sehr lebhaft.“ Vorher wollte er ihr aber noch den Rest der Wohnung zeigen. Deswegen führte Delion sie zuerst in sein Büro, in dem er, laut ihm, die meiste Arbeit verrichtete, die von zu Hause aus möglich war. Die rechte Wand wartete mit einem gut gefüllten Bücherregal auf, in dem nicht nur allerlei Fachbücher, sondern auch die Liga-Richtlinien und auch eine Sammlung verschiedener Pokémon-Magazine zu finden waren. An der linken Wand gab es ein schmales Regal mit einigen Ordnern, in denen sich aktuelle Unterlagen befanden – veraltete wurden im Archiv des Kampfturms aufbewahrt, erklärte er Raelene. Daneben stand ein Schaukasten, in dem einige Dinge lagen, die Fans für ihn gebastelt hatten. Hauptsächlich Figuren, die ihn und Glurak darstellen sollten. Den restlichen Platz nahmen gerahmte Bilder von ihm während seiner Karriere als Champ, sowie einige Zeichnungen von Fans ein. Eines der Fotos zeigte sogar, wie er der jungen Raelene zu ihrem Sieg über ihn gratulierte. Auf dem Schreibtisch stapelten sich einige Dokumente neben dem Monitor und der Tastatur, außerdem stand dort ein Bilderrahmen, der ihn mit allen Arenaleitern der Arena-Challenge zeigte. „Die Fanarbeiten hier sind hauptsächlich meine Lieblingswerke“, erläuterte Delion weiter, mit einem Blick auf die linke Wand. „Viele andere gibt es aber auch im Kampfturm zu sehen.“ Raelene stellte sich näher an den Schaukasten und nahm sich die Zeit, in Ruhe alle Werke anzuschauen. Basteleien von Fans waren immer etwas ganz Besonderes. Jemand hatte wertvolle Lebenszeit investiert, um seinem Idol ein Geschenk zu machen. Das waren im Prinzip Liebesgeständnisse. Und Delion wurde von ganz Galar geliebt, auch jetzt noch. „Die sind echt super! Toll, dass du sie so würdigst.“ Allerdings stimmte sie dieses Büro auch etwas traurig. Der lebhafte, aktive Delion, dazu verdammt langweiligen Papierkram am Schreibtisch zu erledigen, während er von Erinnerungsstücken aus einer besseren Zeit umgeben war. Weil Raelene ihn damals geschlagen hatte. Sie warf ihm einen entschuldigenden Blick zu, sagte aber etwas anderes: „Du bekommst bestimmt immer noch viel Fanpost, oder?“ Er nickte. „Sehr viel sogar. Die am meisten gestellte Frage ist, wann ich mir den Titel zurückholen werde. Direkt gefolgt von der Frage, ob ich die Absenderin heiraten möchte.“ Plötzlich machte er eine kurze Pause und schien an etwas Bestimmtes zu denken, bevor er weitersprach: „Aber es hält sich in Grenzen, deswegen kann ich die Fanpost inzwischen selbst managen. Anders als deine.“ Besonders in ihren ersten Jahren als Champ war es der ganzen Liga aus irgendeinem Grund ein Anliegen gewesen, Raelene zu schützen. Auch gegenwärtig wurde ihre Fanpost immer noch von Liga-Mitarbeitern durchgesehen, weil manche Briefe wohl sehr ... unschön sein sollten. Deshalb hatte Raelene es vor Jahren aufgegeben, darauf zu bestehen, sich selber um Zuschriften von Fans kümmern zu dürfen. Ihr war oft von mehreren Seiten erklärt worden, dass dies nur zu ihrem eigenem Wohl sei, also musste sie immer warten, bis die Liga ihr Bescheid gab. Nun, nachdem Raelene damals eine Zeit lang negative, teilweise böse Postings von Hatern online in Foren gelesen hatte, konnte sie sich seitdem vorstellen, dass diese Vorsichtsmaßnahme durchaus sinnvoll war. Warum manche Menschen gerne so gemein waren, konnte sie dagegen nicht nachvollziehen. Was hatte man denn davon? Die Heiratsanträge an Delion überraschten sie jedenfalls nicht. Zum Glück war er aber nie auf einen davon eingegangen ... sie war seine erste Liebe, wie er im Schlummerwald gesagt hatte. Ihr Gesicht fing wieder an zu glühen, aber diesmal versteckte sie das nicht. Stattdessen betrachtete sie weiter die Basteleien. „Du bist eben auf ewig der Champ der Herzen~“, bemerkte Raelene stolz. „Was das angeht, wird dich niemand jemals schlagen können.“ „Tja, ich hab den Posten auch mit sehr viel Leidenschaft ausgeübt. Aber in manchen Aspekten war ich auch ein wenig naiv. Das hätte nicht sein dürfen. Aber wenigstens konnte ich für dich ein besserer Liga-Präsident sein.“ Damit hatte er bestimmt mehr Last von ihr nehmen können, als Raelene ahnte. „Im Grunde reicht es mir jetzt auch, wenn ich dein Herzens-Champ sein kann~“, betonte Delion. Raelene wandte sich vom Schaukasten ab und drehte sich ihm zu. Sie hatte nie wirklich darüber nachgedacht, aber dank seinen Erfahrungen hatte er als Liga-Präsident wirklich hervorragende Arbeit leisten können. Ihre Arbeitszeiten waren so ausgeglichen, dass sie sich nur selten überbelastet fühlte. Im Grunde hatte sie sogar recht viel Freizeit, weil auch keine ernsthafte Gefahr mehr in Galar existierte. In dem Punkt hatte sie wahrlich Glück gehabt, nicht an Rose, sondern an Delion geraten zu sein. Rose wäre garantiert nicht derart geduldig mit ihr gewesen, als sie sich in einer rebellischen Phase befunden hatte. Egal, ob als Champ, Präsident oder einfach nur als Delion ... er war großartig. Das teilte sie ihm auch direkt so mit und griff nach seinen Händen. „Würdest du trotzdem irgendwann mal wieder richtig gegen mich kämpfen?“ All das Lob ihrerseits hatte dafür gesorgt, dass sein Gesicht rot geworden war, was ihn im Moment aber nicht weiter zu stören schien. Auf ihre Frage nickte er und zwinkerte ihr zu. „Natürlich. Jetzt muss ich mir ja keine Sorgen mehr machen, dass du mich nur fertigmachen willst.“ Ihre Augen fingen sofort an zu leuchten. „Wirklich? Ich vermisse die Kämpfe mit dir so sehr! Also abgemacht, ja? Da kommst du jetzt nicht mehr raus~.“ Wieder konnte eine Frage, die sie so lange beschäftigt hatte, ganz schnell und unkompliziert geklärt werden. Es war unglaublich, wie leicht das nun war. Innerhalb weniger Tage hatte sich schon so viel verändert. „Und zwar in einer Arena! Damit unser erster Kampf seit langer Zeit so richtig würdig gefeiert wird.“ „Gut, machen wir doch einfach einen Schaukampf draus“, schlug er vor. „Glurak und Liberlo freut es bestimmt, wenn sie sich im Scheinwerferlicht vor Publikum messen dürfen~. Dafür kann ich das Stadion in Score City klarmachen. Wir bräuchten etwa einen Monat Vorlaufzeit, für die Werbung und die Ticketverkäufe – aber ein Kampf zwischen uns dürfte so interessant sein, dass wir die Ränge in Nullkommanichts vollkriegen.“ Raelene konnte sich schon in dieser Sekunde vor Aufregung kaum noch halten. Ein Schaukampf mit Delion! Er war bereit für so etwas! In all den Jahren hatte sie gegen viele leidenschaftliche Trainer gekämpft, aber keiner war an Delion herangekommen. Sie konnte dieses Gefühl der Spannung kaum erwarten. Obwohl Delion es nicht laut sagte, hatten ihm die öffentlichen Kämpfe mit Zuschauern und dem ganzen Drumherum sicher gefehlt, weshalb er sich nun so motiviert zeigte. „Das wird der Kampf des Jahres~! Dann muss ich mein Training unbedingt verschärfen, damit ich gegen dich nicht alt aussehe. Liberlo wird das auf jeden Fall auch freuen. Immerhin ist Glurak sein persönlicher Rivale.“ „Oh-ho~. Das wird Glurak begeistern, bislang hatte er noch keinen richtigen Rivalen.“ Nicht mal Roy? Dabei war der so hartnäckig gewesen. Wenn sie so darüber nachdachte, waren Roys Pokémon aber immer spätestens an Glurak nicht mehr vorbeigekommen. Von Raelenes Team war das bislang nur Liberlo gelungen. „Da werden wir uns beide ausführlich vorbereiten müssen.“ Er deutete mit einem Kopfnicken zur Tür. „Willst du jetzt noch mein Schlafzimmer sehen?“ „Klar~“, stimmte Raelene munter zu. Sie wusste nicht, ob sie bei ihm schlafen durfte oder im Wohnzimmer, aber das könnte sie ihn gleich direkt fragen. Nun wollte sie erst mal alles sehen, um sich ein Bild davon zu machen, wie Delion lebte. Bislang strahlte die Wohnung eine angenehme Wärme aus, wie sie es sich vorgestellt hatte. Auf dem Weg zum Schlafzimmer zeigte er ihr noch schnell das Badezimmer, das sich, abgesehen von der Größe, nicht von anderen Räumen dieser Art unterschied. Der Flur an sich war relativ schlicht, was einfach nur daran lag, dass er den Pokémon Bewegungsfreiheit geben wollte, wie er erklärte. Ein Posterdruck seiner Ligakarte, nachdem er den Kampfturm eröffnet hatte, hing eingerahmt an der Wand, sonst war der Gang im Großen und Ganzen leer, wenn man von einem kleinen Klingelball absah, den eines der Pokémon mal aus dem Wohnzimmer getragen haben musste. Schließlich öffnete er die Tür zu seinem Schlafzimmer. Auf den ersten Blick fiel auf, dass es ein größeres Bett war als jenes in seinem Zimmer in Furlongham. Dieses hier stand außerdem nur mit dem Kopfteil an der Wand, so dass es von beiden Seiten zugänglich war. Das machte es verschiedenen Pokémon leichter, sich nachts in sein Bett zu schleichen, ohne übereinander drüberklettern zu müssen, erläuterte Delion ihr auch diesen Punkt. Im Raum verteilt standen wieder mehrere kleine Pokémon-Betten und sogar eine nicht-brennbare Unterlage für Glurak. Ein Spiegeltisch diente Delion als Hilfe, seine Haare zu bändigen, sofern die Grolldras ihm nicht dabei halfen. Direkt neben der Tür, gegenüber vom Bett, so dass man es nicht direkt beim Hereinkommen sah, hing ein gerahmter Posterdruck von Raelenes aktueller Ligakarte. „Das ist aber wirklich das letzte Bild von dir hier in der Wohnung“, versprach er. „Vorerst.“ Eine einfache Tür führte in einen Wandschrank, fast schon ein begehbares Ankleidezimmer, in dem sich hauptsächlich Sachen befanden, die seinem etwas exzentrischen Stil entsprachen, sogar sein altes Champ-Outfit inklusive Cape war hier gelagert. Dadurch war der Schrank aber bei weitem nicht voll. Nachdem er ihr das kurz gezeigt hatte, kehrten sie in das Schlafzimmer zurück. „So, was sagst du dazu?“, fragte er sie schließlich. Raelene legte die Handflächen aneinander. „Es ist toll! Wirklich, es gefällt mir sehr gut~.“ Vor allem begeisterte sie, dass er bei der Einrichtung immer an die Pokémon gedacht hatte. So könnte sie auch ihr eigenes Team unbesorgt frei herumlaufen lassen – natürlich würde Raelene sie trotzdem vorher darum bitten, sich zu benehmen und nichts für sich zu beanspruchen, was ihnen nicht gehörte. An der Wohnung merkte man deutlich, was Delion wichtig war. Und es machte sie glücklich, neben den Pokémon auch so präsent zu sein. Ihn hierher zu begleiten war wirklich die richtige Entscheidung gewesen. Nun müssten sie sich nicht gegenseitig vermissen und nur Poster anstarren. „Meine Pokémon werden sich garantiert wohlfühlen und auch Spaß haben. So viel Platz haben wir bei uns zu Hause nämlich nicht für alle, wir müssen immer nach draußen gehen, um gemeinsam zu spielen.“ „Das ist der Vorteil, wenn man der Liga-Präsident ist, man kriegt genug Platz für alle. Obwohl das Leben auf dem Land durchaus seine Vorteile hatte.“ Da stimmte Raelene ihm zu. Auf dem Land waren die Häuser meistens kleiner, dafür konnte man jederzeit draußen mit all seinen Pokémon herumlaufen. In einer Großstadt war das etwas schwieriger, schon weil viel mehr los war. Rund um die Uhr. „Okay, dann bleibt nur die Frage, wo du schlafen willst.“ Delion hob beide Hände, um die folgenden beiden Optionen zu unterstreichen. „Ich kann dir das Sofa fertigmachen. Oder du schläfst hier und ich auf dem Sofa.“ Er machte eine kurze Pause und holte Luft. „Oooder wir schlafen beide hier. Das überlasse ich dir.“ Nun hatte er das Thema angesprochen, bevor Raelene ihn diesbezüglich fragen konnte. Wenigstens wusste sie dadurch schon mal, dass er für alles offen war. Da sie sich bereits ein Zelt geteilt hatten, sollte es kein Problem sein, wenn sie auch hier etwas zusammenrückten. Außerdem … „Das Bett ist sooo groß.“ Raelene breitete die Arme aus, um nun ihrerseits diese Tatsache zu untermalen. „Also ich hätte kein Problem damit, mit dir zusammen zu schlafen. Ich bin ja mitgekommen, weil ich in deiner Nähe sein will~.“ Sie zog die Kappe ein Stück tiefer ins Gesicht. „Und ... ein bisschen kuscheln will ich vielleicht auch.“ Dazu waren sie im Zelt nicht gekommen, weil Wolly auch gerne beim Schlafen in der Nähe von Menschen war. Daran würde sich auch in dieser Wohnung nichts ändern, aber die Chance war da, dass sich Wolly auch mal an ein anderes Pokémon schmiegte. Nachdem sie an diesem Tag Delions Zimmer und diese Wohnung gesehen hatte, wollte sie ihn am liebsten die ganze Zeit umarmen. „Prima, dann haben wir das geklärt~“, sagte Delion erleichtert. „Ich möchte dich nämlich auch gern in meiner Nähe haben. Und kuscheln klingt doch ideal~.“ Auf einmal klang er dabei so locker, als würde ihn das nicht verlegen machen. Raelene musste aber nur die Kappe wieder nach oben schieben, um zu sehen, dass auch sein Gesicht erneut rot geworden war. Also ging es ihm doch genauso wie ihr, doch seine Freude schien schlicht zu überwiegen. Delion ließ alles so leicht und einfach klingen, dass es ihr albern vorkam, wenn sie sich wegen etwas zu viele Gedanken machte. Raelene musste sich unbedingt einprägen, ihm gegenüber nicht nervös sein zu müssen und auch keine Sorge zu haben, sie könne zu aufdringlich sein. Er deutete in eine Richtung, zog sie aber schon mit sich. „Okay, dann gehen wir mal ins Wohnzimmer zurück, da können wir unsere Pokémon auch direkt ein wenig Freizeit gönnen.“ „Gute Idee, machen wir das. Ich bin schon auf die Reaktion von allen gespannt.“ Nun befanden sie sich nicht mehr im Freien, auf neutralem Boden. Aber bislang hatten sich die Pokémon so gut verstanden, dass es keine Probleme geben dürfte. Darum folgte Raelene ihm auch zuversichtlich, zurück ins Wohnzimmer, wo sie erst mal ihren Rucksack ablegte und auch ihre Schuhe auszog, um es gemütlicher zu haben. Delion folgte ihrem Beispiel, nachdem sie die wichtigsten Dinge nun geklärt hatten. Danach zog er seine aktuellen Pokébälle hervor, außer den von Glurak, denn dieser hatte es sich auf der Terrasse gemütlich gemacht, um die letzten Sonnenstrahlen zu genießen. Blieben aber immer noch Maxax, Durengard, Katapultdra, Intelleon und Pichu, die er auch sofort aus ihren Bällen entließ. Bevor sie alle davon sprinten konnten, um ihr eigenes Ding zu machen, hob er rasch und bestimmend die Hand. Pichu wollte das dennoch ignorieren, aber ein Brummen von Maxax genügte, dass er sich doch Delion zuwandte. „Wie ihr seht, ist Raelene auch hier.“ „Hallo, ihr Lieben~“, begrüßte Raelene seine Pokémon herzlich. „Bitte seid nett zu ihren Pokémon, wir können hier alles teilen. Okay?“ Die Pokémon stimmten zu, sogar Pichu, obwohl sich Delion nicht sicher war, ob der es wirklich verstanden hatte, wie er Raelene amüsiert zuflüsterte. Aber das würde sich ja noch zeigen. Nun war ihr Team an der Reihe. Raelene griff nach ihren eigenen Pokébällen und ließ alle nach draußen. Die Verwirrung war im ersten Moment groß, weil sie diesen Ort nicht kannten, wurde aber schnell von Freude und Aufregung abgelöst, kaum dass sie Delions Pokémon erspäht hatten. Liberlo schien nach Glurak Ausschau zu halten, Feelinara winkte Katapuldra und den Grolldras mit ihren Bändern zu, Wolly betrachtete die fremde Umgebung mit großen Augen und Dedenne und Azurill wollten sofort zu Pichu stürmen. Nur Zamazenta schien vollkommen ruhig zu sein. „Bitte hört mir einen Augenblick zu“, bat sie, möglichst streng. Sobald sie in diesem Tonfall mit ihren Pokémon sprach, wurden sie immer sehr aufmerksam ... bis auf Azurill, aber Feelinara hielt sie mit ihren Bändern fest, so dass auch das Baby zuhören musste. Raelene sprach lächelnd weiter: „Wir schlafen heute bei Delion, in seiner Wohnung. Geht also vorsichtig mit den Sachen um und macht nichts kaputt. Und achtet vor allem darauf, keine Grenzen zu überschreiten.“ Der letzte Satz war besonders an Azurill gerichtet, da sie das noch lernen musste. Alle nickten ihr zu – bis auf Zamazenta, doch bei ihm war sie sich auch so sicher, dass er keinen Ärger machen würde. „Gut, dann habt Spaß~.“ Wie auf Stichwort eilte der Großteil ihres Teams daraufhin zu Delions Pokémon. Pichu begrüßte Azurill direkt mit einem fröhlichen „Chu~“, dann rieb er seine Wange an Dedenne. Azurill lachte, weil sie die sprühenden Funken so hübsch fand. Katapultdra schwebte mit seinen Grolldras zu Feelinara hinüber, damit die Kleinen keinen so langen Weg zu ihr zurücklegen mussten. Durengard schwebte um Wolly herum, um es genau zu betrachten, und sie hüpfte begeistert auf der Stelle. Seine Aufmerksamkeit schien ihr zu gefallen. Intelleon bedeutete Liberlo inzwischen, ihm zu folgen, um zu Glurak zu kommen – und Intelleon wollte sicher sowieso in den Pool auf der Terrasse. Tatsächlich folgte Liberlo seinem alten Freund sofort und plapperte aufgeregt drauflos. Maxax legte sich derweil auf einen bestimmten Platz im Wohnzimmer, um ein wenig zu schlafen. „Bislang ist alles noch friedlich~“, freute Delion sich. Zamazenta legte sich irgendwo mitten im Raum auf dem Boden und schloss die Augen, um zu schlafen. Für Raelene bedeutete das, er war entspannt, also gab es auch bei Endynalos keine Probleme. „Kleine Streitereien wird es bestimmt mal geben, aber das bekommen sie sicher dann auch hin“, sagte Raelene überzeugt. „Willst du mir dann mal spontan eine erste Trainingseinheit geben?“ „Oh ja, gute Idee~. Ich hab dir meinen Trainingsraum noch nicht gezeigt. Folge mir einfach~.“ Es gab also noch mehr Räume? Nun, eine Wohnung ohne Küche wäre schon etwas unpraktisch, selbst wenn man nicht viel kochte. „Ich bin immer hinter dir~.“ Sie warf einen letzten Blick zu den Pokémon und lächelte beruhigt. Dann heftete sie sich an Delions Fersen. „Nun bekomme ich also das große Geheimnis deiner Stärke zu Gesicht“, hauchte Raelene theatralisch. „Hast du keine Angst, dass ich alles der Presse verraten werde?“ „Oooh~.“ Delion schmunzelte sie an. „Erstens vertraue ich dir, also bezweifle ich, dass du der Presse etwas erzählen würdest. Und zweitens wäre es der Presse wahrscheinlich zu langweilig, wenn sie nur erfuhren, dass ich Hanteln und Gewichte besitze.“ Er tippte ihre Kappe nach unten. „Aber wie gesagt, das wird ja ohnehin nicht passieren~.“ Raelene schob sie lachend wieder nach oben. „Oh je, wie soll ich mit so viel Vertrauen nur umgehen? Ich glaube, da wird sich mein Gewissen echt dagegen aussprechen, irgendetwas über dich auszuplaudern.“ Zumal sie es viel zu schön fand, wenn gewisse Dinge nur sie wusste. Deshalb war sie gespannt, was sie in den nächsten Tagen noch an neuen Details über Delion erfuhr. Selbst wenn es nur Kleinigkeiten wären, wollte sie alles wissen. „Also gut, ich werde schweigen~.“ „Sehr gut~.“ Delion öffnete die Tür in den Trainingsraum. Dieser war mit einigen Hanteln verschiedensten Gewichts bestückt, dazu ein Rudergerät, eine Kraftstation, ein Indoor Cycle, ein Boxsack und sogar eine Tischtennisplatte. „Wow~!“ „Glurak ist richtig gut im Tischtennis“, erzählte er dazu. „Seit er den Ball nicht mehr anzündet, habe ich aber zumindest auch eine gute Chance zu gewinnen. Davor war es immer ziemlich gefährlich, aber es hat Spaß gemacht.“ „Ich muss euch unbedingt mal spielen sehen“, kommentierte sie Delions Worte. „Das ist bestimmt fast so spannend wie ein Kampf. Tischtennis habe ich noch nie gespielt.“ „Klar~. Heute muss Glurak sich ausruhen, aber wenn du eine Weile bleibst, kriegen wir dafür noch jede Menge Gelegenheiten. Wir können dann auch mal spielen.“ Begeistert lief Raelene durch den Traingsraum und schwang sich direkt auf das Indoor Cycle. Also könnte sie trotzdem ihre gewohnten Runden fahren, ohne dafür erst in die Wildnis fliegen zu müssen. In den letzten Tagen war sie nicht wirklich dazu gekommen ihr Rotom-Rad zu benutzen. Raelene fuhr für den Anfang recht entspannt, um sich erst mal warmzumachen. Sie merkte aber bereits, was für ein gutes Gerät das war, schon weil die Bedienung nicht unnötig kompliziert daher kam. Damit würde sie noch eine Menge Spaß haben. Zufrieden beobachtete Delion sie. Für ihn schien es vollkommen in Ordnung zu sein, dass sie ungefragt direkt eines der Geräte benutzte. „Ich muss mich wohl echt ein paar Nächte mehr hier einquartieren~“, beschloss sie. „Sag aber Bescheid, sobald du doch mal wieder deine Ruhe brauchst.“ Da Delion hier täglich mit seinen Pokémon lebte, war er Unruhe sicher gewohnt und mochte es wahrscheinlich auch gar nicht, wenn es zu still war. Der Anstand verlangte es aber von Raelene, ihm das wenigstens einmal gesagt zu haben. „Kein Problem. Ich sage dir rechtzeitig Bescheid, aber dazu kommt es eh nie.“ Ehe Raelene widersprechen konnte, zwinkerte er ihr zu und deutete über seine Schulter. „Okay, wollen wir wieder ins Wohnzimmer zurück und uns setzen? Sollen wir was zu essen bestellen?“ „Oh, kriege ich keine Trainingseinheit?“ Gut, dafür hätten sie noch genug Zeit, also mussten sie nichts überstürzen. Außerdem wäre es ihr am ersten Tag irgendwie lieber, bei den Pokémon zu bleiben, falls es doch zu Komplikationen käme. Also stieg sie wieder vom Rad und nickte Delion zu, der ein wenig peinlich berührt zu sein schien. Sie wusste nur nicht weswegen. „Bestellen wäre gut. Ich will etwas mit ordentlich Schärfe~. Meine Mutter mag nämlich auch keine scharfen Sachen, also gab es die letzten Tage nur milde Sachen für mich.“ „Okay, dann ... wie wäre es mit Pizza? Wir könne eine bestellen, die zur Hälfte scharf ist.“ „Pizza geht immer~“, stimmte Raelene zu. Zielstrebig ging sie voraus, zurück ins Wohnzimmer, wo sich ein Teil ihrer Pokémon aufhielten. Inzwischen lief nun Wolly aufgeregt um Durengard, der sich über die Aufmerksamkeit freute, herum und Azurill hüpfte fröhlich durch den gesamten Raum, während Dedenne Pichu neugierig über die Wohnung auszufragen schien. Immer wieder stieß Pichu ein begeistertes „Chu!“ aus, als würde er damit tatsächlich irgendetwas beantworten. Feelinara war offenbar fasziniert von den vielen Betten und versuchte wohl das Flauschigste von allen zu finden, darauf bedacht, den friedlich schlafenden Maxax nicht zu wecken. Intelleon und Glurak waren anscheinend immer noch auf der Terrasse. Raelene würde sie am liebsten die ganze Zeit beobachten. „Und die Pokémon bekommen eine riesengroße Party-Pizza.“ „Gute Idee~.“ Delion griff nach seinem Handy. „Dann bestellen wir besser, bevor sie spontan merken, dass sie Hunger haben.“ Klang so, als hätte er da bereits so seine Erfahrungen gemacht. Es war leicht, sich vorzustellen, wie die Baby-Pokémon eines der Betten annagten, weil sie etwas essen wollten. „Besser ist das. Hungrige Pokémon sind kaum zu bändigen.“ Sie bedankte sich, dass er die Bestellung übernahm, und setzte sich derweil schon mal auf das Sofa. Kurz darauf sprang Azurill plötzlich in ihre Arme und erzählte aufgeregt etwas. Raelene verstand kein Wort, nickte aber aufmerksam, was die Kleine zu freuen schien. Schließlich rollte sie sich in ihrem Schoß zusammen und schloss die Augen. „Na, brauchst du jetzt fünf Minuten ein Nickerchen?“, sagte Raelene leise, wobei sie Azurill den Kopf tätschelte. „Du verausgabst dich auch immer viel zu sehr, du Energiebündel~. Mach Liberlo besser keine Konkurrenz.“ Daran könnte Raelene sich gewöhnen. Umgeben von Pokémon, in Delions Wohnung, der immerzu in ihrer Nähe wäre. Selbst wenn er sich mal in einem anderen Raum aufhalten sollte. Wie sehr sie sich schon auf den Tag freute, an dem sie einfach für immer hierbleiben durfte – denn es fühlte sich schon in diesen ersten Minuten wie das Zuhause an, von dem sie geträumt hatte. Kapitel 16: Ich hatte nur einen bösen Traum ------------------------------------------- Nachdem Delion die Bestellung erfolgreich abgeschlossen hatte, und sie daher nur noch geduldig warten müssten, lenkte er den Blick zu Raelene. Statt sofort zu ihr zu kommen, stand er eine Weile einfach nur da und lächelte verträumt, bis sie ihn schließlich zu sich winkte. Erst dann kam er ebenfalls zum Sofa, setzte sich neben sie und legte einen Arm um ihre Schulter – gefolgt von einem erleichterten Laut, als hätte der Körperkontakt ihm etwas bestätigt. „Sieht aus, als hätten wir jetzt schon mal ein glückliches Baby.“ Raelene schmiegte sich an ihn, achtete aber darauf, Azurill nicht zu wecken. „Glückliche Babys sind das Beste~. Genau wie dieser Moment.“ Es kam ihr, schon wieder, viel zu perfekt vor, um wahr sein zu können. Inzwischen würde es ihre Welt zusammenbrechen lassen, wenn das nur ein Traum wäre. Darum beschloss sie, dass es auf jeden Fall die Realität war. Einfach so. „Also, welche Kämpfe genau schaut ihr euch hier immer so an?“, fragte sie, wobei sie Richtung Fernseher nickte. „Manchmal ein paar alte Kämpfe von mir“, antwortete Delion. „Die Pokémon lieben es, sich selbst kämpfen zu sehen. Während der Arena-Challenges sehe ich mir Aufnahmen der Arena-Kämpfe an. Ich hatte in den letzten Jahren schon drei Teilnehmer, die ich disqualifizieren musste, nachdem ich auf den Aufnahmen gesehen habe, dass sie betrogen oder sonst wie gegen Regelungen verstoßen haben.“ Bisher hatte Raelene immer angenommen, alle Kämpfe wurden speziell für das Fernsehen aufgezeichnet. Anscheinend waren die Aufnahmen aber ziemlich wichtig, sonst könnte man Betrüger nicht so leicht erwischen. Mit dem Wissen erschien es ihr dumm, dass es einige trotzdem versucht hatten. „Und dann natürlich alle Champ-Cup-Kämpfe und all deine Schaukämpfe. Natürlich auch nur in Aufnahmen, live bin ich ja immer dabei.“ Hitze strömte wieder in Raelenes Gesicht. Waren ihre Kämpfe wirklich so interessant? Sie hatte sich nie ernsthaft selber Aufnahmen von sich angesehen, weil ihr das meistens peinlich war. Für Delion musste es aber genauso erfüllend sein wie für Raelene, wenn sie sich alte Videos von seinen Kämpfen ansah. Offenbar waren sie sich in vielen Punkten ähnlicher, als sie immer gedacht hatte. „Es regt mich auf, dass es echt Leute gibt, die betrügen“, griff sie das Thema nochmal auf. „Das ist so unfair allen gegenüber, die sich anstrengen. Außerdem macht es doch auf die Weise auch gar keinen richtigen Spaß.“ Immerhin gab es nichts, worauf man nach einem Sieg stolz sein könnte, wenn man diesen nur durch Betrug errungen hatte. Einigen ging es wohl nur um Aufmerksamkeit und Geld. „Ich verstehe den Sinn dahinter auch nicht. Selbst wenn man es durch Betrug durch die ersten Arenen schafft und wir das nicht bemerken, spätestens bei Roy dürfte man damit nicht mehr durchkommen.“ Wahrscheinlich deutete Delion all die Selfies an, die Roy während der Kämpfe schoss – oder er meinte eher die Sandstürme, die einem die Sicht erschwerten. Das dürften nämlich auch Betrügen das Leben ziemlich schwer machen. „Und alles, was man bis dahin bekommen hat ... verliert man dann auch, und man wird von der Liga ausgeschlossen. Das lohnt sich doch überhaupt nicht.“ „Ich wünschte, alle würden einfach fair spielen“, seufzte sie. Raelene hatte aber schon viel zu früh lernen müssen, dass die Welt leider so nicht funktionierte. Vermutlich wirkten Menschen wie Delion deshalb umso attraktiver auf eine Vielzahl von Leuten, was sie absolut verstehen konnte. Zum Glück hatte er sich aber für Raelene entschieden. „Umso besser, dass unser Schaukampf fairer als fair ablaufen und deshalb phänomenal werden wird~. Ich kann es jetzt kaum mehr erwarten. Es ist ewig her, dass wir gegeneinander gekämpft haben.“ „Oh ja~. Ich weiß ja, dass du in der Zwischenzeit wahnsinnig viel dazugelernt hast.“ Wenn er jeden einzelnen Kampf von ihr ansehen musste, selbst zu Zeiten als er noch genervt von ihr gewesen war, führte das garantiert über kurz oder lang dazu, dass er ihre Taktiken und Pokémon genau kennenlernte. Natürlich garantierte ihm das noch keinen Sieg, denn es gab noch mehr Variablen als nur die benutzte Strategie, die zu einem Gewinn führten. „Aber ich war auch nicht untätig“, fuhr Delion fort. „Ich hab viele verschiedene Team-Zusammensetzungen und Strategien getestet. Ich kann es kaum erwarten, sie an dir auszuprobieren~.“ „Gut so, du musst mich nicht schonen~“, sagte Raelene entschlossen. „Für mich wird das also eine große Überraschung. So etwas hatte ich schon lange nicht mehr.“ Oft kannte sie den Kampfstil ihrer Herausforderer, weshalb sie sich darauf einstellen konnte. Wenn Delion aber in den letzten Jahren auch noch völlig neue Strategien ausgearbeitet hatte, dürfte das eine ziemlich harte Nuss werden. Sie sollte besser auch einige andere Team-Zusammensetzungen ausprobieren und mit ihnen trainieren. „Schade, dass der Monat nicht schon vorbei ist.“ „Denne, denne~!“ Hinter ihnen sprang Dedenne auf die Rückenlehne des Sofas, rannte auf ihr entlang und hüpfte auf das nächste Möbelstück hinüber. Sofort folgte Pichu ihm vergnügt lachend, wobei er einige elektrische Funken ausstieß. Sah so aus, als würden die beiden Fangen spielen. Plötzlich sprang Pichu in die Luft, um sich an einer Schaukel – die vermutlich eigentlich für Vogel-Pokémon gedacht war – zu überschlagen und Dedenne weiter hinterher zu springen. Delion blickte ihnen hinterher und lachte begeistert. „Es ist eine Weile her, dass hier so viel gespielt wurde.“ Abgesehen von Pichu und den Grolldras dürften seine anderen Pokémon schon lange nicht mehr so einen hohen Drang zum Spielen haben. Irgendwie schade. „Dabei ist deine Wohnung so ein schöner Spielplatz~.“ Raelene würde sich an ihm ein Beispiel nehmen und ihr Zimmer auch etwas für Pokémon umgestalten. Es war dort zwar etwas eng, aber ein paar Kleinigkeiten fielen ihr bestimmt ein. Azurill nieste leise, wachte dadurch aber nicht auf, sondern rollte sich auf ihrem Schoß nur noch mehr zusammen. Beruhigend strich Raelene ihr über den Kopf. „Ja, das finde ich auch~“, sagte Delion zufrieden. „Aber als Liga-Präsident komme ich nicht oft dazu, mir junge Pokémon einzufangen, die noch mehr Spaß am Spielen haben.“ Schon an Maxax erkannte man, dass seine Hauptgruppe langsam ein Alter erreichte, in dem man lieber seine Ruhe haben wollte – oder in dem man sich um die nachfolgende Generation kümmerte. Über solche Dinge hatte Raelene bislang nie nachgedacht, weil ihr Team immer noch recht jung und aktiv war, aber irgendwann würde sich das bei ihr auch ändern. „Dann schauen wir einfach mal immer wieder im Hort vorbei“, schlug Raelene vor. „Aber wir müssen aufpassen, dass wir irgendwann nicht alle Babys adoptieren, weil sie so niedlich sind.“ Das könnte ihr ziemlich schnell passieren. Aber je mehr Pokémon man adoptierte, desto weniger Aufmerksamkeit bekamen die, die sich zur Pflege auf der Ranch befanden, was sie bedauerlich fand. Am liebsten hätte sie immer alle ihre Lieblinge gleichzeitig um sich. „Aber mit mir und meinen Pokémon wird es hier erst mal ziemlich lebhaft bleiben. Versprochen~.“ Sacht lehnte er seine Stirn gegen ihre. „Ich nehme dich beim Wort~.“ Nach diesen Worten blickte Delion auf Azurill hinunter und verfiel in Schweigen. Irgendetwas schien ihm durch den Kopf zu gehen, doch Raelene konnte nicht genau bestimmen was es war. Dafür waren sie dann doch noch nicht lange genug zusammen, also musste sie raten. „Eifersüchtig?“, scherzte sie. „Wenn du ihr erst mal die Party-Pizza serviert hast, wird sie dich lieben. Dann schläft sie auch mal auf deinem Schoß.“ Wenn Pokémon noch so klein waren, konnte man sie wirklich leicht für sich gewinnen. Waren sie älter, gestaltete sich das manchmal dagegen ganz schön schwierig, aber darin lag dann auch die Herausforderung. Delion räusperte sich und hob den Blick wieder. „Oh, keine Sorge. Sobald es Essen gibt, werde ich wahrscheinlich auch wieder von Pichu bedrängt werden. Da braucht es keine Eifersucht~. Als wir hier am ersten Abend gegessen haben, hätte Pichu mir das Essen am liebsten wieder aus dem Mund geklaut.“ „Klingt so, als wird auch essen mit euch allen zusammen aufregend werden.“ Raelene gab Delion einen Kuss auf die Wange. Wenn sie ihm die ganze Zeit so nahe war, konnte sie einfach nicht anders. Ihr Herz würde weiterhin immer etwas schneller schlagen, aber das war vollkommen in Ordnung für sie. Das Sofa erzitterte, als Wolly plötzlich mit dem Kopf voran dagegen lief. Sie stieß ein munteres „Woll~“ als Entschuldigung aus und tat dann weiter so, als würde sie zusammen mit Durengard Feinde überrollen. Durengard selbst warf einen kurzen Blick über das Sofa, um sicherzugehen, dass Delion nicht böse war, erst dann schloss er sich Wolly sofort wieder an. Manchmal leuchtete er dabei sogar ein bisschen, als würde er gerade eine seiner Fähigkeiten einsetzen. „So verspielt hab ich Durengard noch nie erlebt“, meinte Delion überrascht. „Bislang wirkte er eher super-ernst.“ „Wolly verzaubert eben jeden~. Das ist ihre größte Stärke.“ Damit machte sie sogar Feelinara Konkurrenz. Es freute Raelene, dass Durengard so positiv auf Wolly reagierte. Immerhin war es tatsächlich das Pokémon, vor dem sie den meisten Respekt gehabt hatte, eben weil er sonst stets so ernst wirkte. Sogar Zamazenta beobachtete die spielenden Pokémon aufmerksam, statt in Ruhe weiterzuschlafen. Auch in seinen Augen musste das niedlich wirken. „Das verstehe ich~.“ Delion zwinkerte ihr zu. „Aber es wundert mich auch nicht, immerhin hat sie auch eine Trainerin, die jeden verzaubert.“ Mit diesen Worten war Delion nun derjenige, der ihr einen Kuss gab, jedoch auf die Stirn. „Wenn du solche Dinge sagst, werde ich noch eingebildet“, murmelte Raelene verlegen. „Daran musst du dich jetzt gewöhnen~“, flüsterte er und küsste noch einmal ihre Stirn. So schnell wollte Delion also scheinbar wirklich nicht mehr damit aufhören. Eigentlich hörte sie das aber gerne von ihm. Gerade weil sie sich jahrelang nicht richtig unterhalten konnten, mochte sie es, wenn er nun so viele gute Dinge zu sagen hatte. Sie wollte diesen ersten Abend mit ihm zusammen, in seiner Wohnung, ausgiebig genießen.   ***   Nach einem wundervollen Abend, hatte Raelene schon direkt am nächsten Morgen ein ernsthaftes Problem: Sie konnte nicht damit aufhören Delions Gesicht anzustarren, während er noch schlief. Er war einfach zu ... zu ... niedlich! Wie konnte dieser Mann sie selbst dann verrückt vor Liebe machen, wenn er nur schlief? Nicht die Hand auszustrecken und ihm über die Wange zu streicheln war hart. Deswegen lag sie schon seit einer Weile mit einem glühendem Kopf da und starrte vor sich hin. Wolly hatte sich wieder an Delion gekuschelt und schlief ebenfalls friedlich. Wäre es falsch, davon ein Foto zu machen? Reiß dich zusammen! Ihr seid jetzt zwar zusammen, aber werde deswegen nicht zum Creep! Eigentlich war sie nämlich nur schon viel zu früh wach geworden, weil ein Alptraum sie unsanft aus dem Schlaf gerissen hatte. Endynalos war darin nicht sehr erbaut darüber gewesen, dass Delion und Raelene beide glücklich turtelten, während er noch eingesperrt blieb und weiter gefoltert wurde. Ein magentafarbener Blitz war aus der Einrichtung geschossen und hatte sie gezielt durchbohrt, obwohl sie in einer ganz anderen Ecke von Galar gewesen war. Der Schmerz hatte sich viel zu real angefühlt. Seufzend wandte sie sich von Delion ab und rutschte langsam zum Rand des Bettes, um aufzustehen. Hoffentlich gelang es ihr, aus dem Schlafzimmer zu schleichen, ohne jemanden aufzuwecken. So leise wie möglich ging sie ins Wohnzimmer. Zu ihrem Glück war überall gedimmt das Licht an, vermutlich damit die Pokémon auch nachts noch etwas sehen konnten. Draußen war es aber noch dunkel. Liberlo hatte es sich auf dem Sofa gemütlich gemacht und nahm den ganzen Platz für sich in Anspruch. Sie lächelte, als sie sah, dass die Babys und Dedenne zusammen in einem der Bettchen schliefen. Pichu gab immer wieder ein leises, zufriedenes „Chuchuchu~“ von sich. In einem anderem Bett schlummerte Feelinara, Katapultdra hatte seinen Körper schützend um sie herum geschlungen. Maxax, Glurak und Intelleon hatten die Nacht scheinbar zusammen auf der Terrasse verbracht, denn sie waren nirgendwo zu sehen – während der milden Jahreszeiten konnten sie dort vermutlich friedlicher schlafen. Auf einmal wurde dann Durengard aktiv, als er bemerkte, dass jemand durch die Wohnung lief. Er fuhr von seinem Bett im Wohnzimmer hoch und wechselte sofort in die Schwertform, um dem Eindringling zu verstehen zu geben, dass er nicht einfach hier hereinplatzen konnte. Als er aber Raelene erkannte, wechselte er direkt in die Schildform zurück und umschwirrte sie fragend. „Wow, du bist echt besser als jedes Alarmsystem“, flüsterte Raelene beeindruckt, aber auch ein wenig erschrocken. Sie konnte sich wirklich glücklich schätzen, dass Durengard sie offensichtlich als Delions Freundin anerkannt hatte und nicht misstrauisch war, weil sie heimlich alleine in der Wohnung herumschlich. Dieses Pokémon hätte sie nicht gegen sich haben wollen. „Sorry, dass ich dich geweckt hab. Ich hatte nur einen bösen Traum.“ Behutsam tippte sie zum Gruß gegen sein Schild – Durengard schien das sogar zu gefallen, da er in der Luft kurz auf und ab schwebte als würde er hüpfen. „Meinst du, Delion hätte was dagegen, wenn ich seinen Pool benutze?“ Ein paar Runden zu schwimmen wäre eine schöne Abwechslung. Und solange es noch dunkel war, müsste sie sich auch nicht vor Rotom-Drohnen fürchten, von denen sie heimlich gefilmt wurde – eine Zeit lang war das leider oft vorgekommen. Da Durengard auf ihre Frage keine Antwort geben konnte, schwebte er einfach zur Terrassentür, um ihr zu verstehen zu geben, dass sie den Pool benutzen dürfte. Raelene folgte ihm und ging nach draußen. Dort bemerkte sie sofort, dass Maxax, Glurak und Intelleon wirklich hier waren. Letzterer lag gerade auf dem Rücken im Wasser und ließ sich davon tragen. Eigentlich wollte sie die drei nicht auch noch aufwecken. Raelene nahm einen tiefen Atemzug und streckte sich. „Ah, die Luft ist richtig angenehm ...“ Kein Wunder, dass einige Pokémon lieber draußen schliefen. Wenn man in der Großstadt auch noch die Sterne richtig gut sehen könnte, würde sie sofort ebenfalls jede Nacht auf der Terrasse verbringen. Als Glurak und Maxax kurz die Köpfe hoben, hielt Raelene unbewusst den Atem an, doch die beiden schienen nur prüfen zu wollen, ob alles in Ordnung war. Kurz darauf schliefen sie nämlich sofort friedlich weiter. Intelleon hatte Raelene ebenfalls bemerkt und erkannte, dass sie gerne ins Wasser wollte, nachdem Durengard ihm das erklärt hatte. Elegant stieg Intelleon aus dem Pool, schüttelte sich einmal – worauf Glurak im Halbschlaf leise brummte – und ging anschließend in die Wohnung, wo er sich eines der größeren Betten aussuchte, um darin zu schlafen. Das konnte Raelene durch die Fensterfront hindurch beobachten. Durengard gab ihr schließlich zu verstehen, dass sie den Pool nun benutzen könnte, ehe er Intelleon hinein folgte, wo er seinen Schlaf ebenso wieder aufnahm. Und bestimmt gleichzeitig dennoch wachsam blieb, wie auch immer er das anstellte. Raelene bedankte sich noch lächelnd bei Durengard, auch wenn er das inzwischen nicht mehr hören konnte. Sogar Delions Pokémon waren alle rücksichtsvoll und liebenswert. Hoffentlich durfte sie ganz lange bleiben, um das jeden Tag erleben zu können. Dank der Flamme am Ende von Gluraks Schweifs war es auf der Terrasse nicht stockdunkel, noch dazu drang auch etwas von den gedimmten Lichtern aus der Wohnung nach außen. Also konnte sie einfach loslegen. Da Raelene fast immer die Uniform von Kates Arena unter ihrer Kleidung trug, konnte sie sich an Ort und Stelle ausziehen. Ihre Sachen legte sie sorgsam an einem Platz ab, wo sie nicht nass werden könnten. Der große Vorteil an dieser Uniform war, dass er gleichzeitig als Badeanzug diente. Sie verzichtete darauf, nochmal reinzugehen, um sich die Haare hochzubinden, und stieg ins Wasser. Frisch, aber nicht kalt. Im Grunde die perfekte Temperatur, wie sie fand. Motiviert schwamm Raelene ein paar Bahnen. Weil sie sich eigentlich nur etwas ablenken wollte, ließ sie es dabei aber ruhiger angehen. Nachdem sie einige Runden geschwommen war, hatte sie sich danach etwas treiben lassen und die ruhige Atmosphäre genossen. In den sternenlosen Himmel zu starren sorgte dafür, dass sie wieder an Endynalos in seinem Pokéball denken musste, weshalb sie lieber die Augen schloss. Obwohl Delion dafür gesorgt hatte, dass die Einrichtung mehr finanzielle Hilfe von der Liga bekäme, dürfte es noch etwas dauern, bis Magnolica dort wirklich Veränderungen anbringen könnte, ohne den Zorn irgendwelcher Unterstützer auf sich zu ziehen. Wäre sie noch ein Kind, hätte sie Endynalos einfach sofort mitgenommen, egal wie gefährlich und dumm das auch gewesen wäre. Erwachsen zu sein war aber wesentlich komplizierter … Mach dir nichts vor. Du hast Angst vor Endynalos, darum bleibst du so passiv. Diese Gedanken sollte Raelene lieber nicht vertiefen, also beschloss sie, noch mehr Runden zu schwimmen. Bewegung half besser gegen so etwas, als sich nur treiben zu lassen. Erst mehrere Minuten später stieg sie wieder aus dem Pool, wobei ihr bewusst geworden war, dass sie gar nicht wusste, wo die Handtücher waren. Darum hatte sie erst gründlich ihre Haare ausgewrungen, um nicht alles komplett nass zu machen. In ihrem Rucksack, den sie gestern im Wohnzimmer abgestellt hatte, müsste noch ein Handtuch sein. Also müsste sie nur schnell dorthin kommen. Kaum war Raelene zurück in die Wohnung gegangen, lief sie plötzlich Delion in die Arme, der inzwischen aufgestanden war. „Oh! Hey~. Guten Morgen.“ „Ah!“ Erleichterung überkam ihn, als er sie sah, und ließ sein Gesicht strahlen. „Guten Morgen~.“ Erst schien Delion noch etwas sagen zu wollen, stockte aber. Etwas machte ihn scheinbar nervös, denn er sprach schließlich merklich unsicher weiter und seine Stimme war seltsam flatterhaft. „Es ist schön, dass du schon am ersten Morgen schwimmen gehen konntest. Hoffentlich hat niemand hier dir das Leben dafür schwergemacht.“ „Absolut nicht“, versicherte Raelene sofort. „Ich wurde von Durengard ritterlich nach draußen begleitet und Intelleon hat für mich den Pool freigemacht. Wenn, dann habe ich eher ihnen das Leben schwergemacht. Aber ich muss sagen, nach dem Aufstehen zu schwimmen ist echt belebend~.“ Sie streckte sich ein wenig und lächelte Delion an. „Ach, kannst du mir dann kurz zeigen, wo ich hier Handtücher finde?“ Für einen Moment verlor er seine Sprache, aber er fing sich rasch wieder. Sein Verhalten irritierte Raelene. Hatte sie etwas falsch gemacht? Wollte er eigentlich nicht, dass jemand ungefragt seinen Pool benutzt? Das wäre kein Problem, solange er ihr das einfach sagen würde. „O-oh, ja, natürlich“, stammelte Delion nervös. „Tut mir leid, das hätte ich dir gestern schon sagen sollen. Direkt neben dem Badezimmer ist ein Wandschrank, da sind Handtücher drin. Man sieht ihn echt kaum. Ich hab schon überlegt, Sticker draufzukleben, denn ich bin auch schon ein paarmal daran vorbeigelaufen, als ich Handtücher gebraucht habe.“ Raelene hing gebannt an seinen Lippen. Sie mochte es, wenn Delion so lebhaft vor sich hin redete. Das verdrängte ihren Traum umso mehr. Das mit den Stickern klang nach einer kreativen Idee. Plötzlich machte er dann aber eine Sprachpause. Einige Sekunden lang starrten sie sich gegenseitig schweigend, aber intensiv an, bis Delion sich mit den Handflächen gegen die Wangen klatschte – so, wie er es früher immer gemacht hatte. „Äh, ich glaube, ich zeige ihn dir lieber.“ Zustimmend wollte sie bereits zu ihm laufen, hielt aber dann inne und sah auf den Boden. „Oh, bringst du mir vielleicht bitte erst ein Handtuch? Dann mache ich nicht den ganzen Boden nass.“ Entschuldigend hob sie die Hände. „Nächstes Mal denke ich daran, mir sofort eins mitzunehmen. War heute alles ziemlich spontan~.“ „Natürlich, kein Problem!“ Einen Moment wirkte es so, als wolle er sie noch auf etwas hinweisen, doch er lächelte nur fahrig und eilte davon. Beunruhigt folgte Raelene ihm mit ihrem Blick, bis er aus ihrem Sichtfeld verschwand. Was war nur mit ihm los? Nachdenklich neigte sie den Kopf. Lag es daran, weil er sich erschrocken hatte, als sie nicht mehr neben ihm lag? So war es ihr am Morgen beim Camping auch ergangen. Nur so könnte sie sich das alles erklären. Vielleicht sollte sie nächstes Mal einen Zettel hinterlegen und mehr darauf achten, ihm keinen Grund zur Sorge zu geben. Gerade, als Raelene sich fragte, wo Delion so lange blieb, kehrte er mit einem Handtuch zu ihr zurück. „Hier, bitte.“ „Danke dir~.“ Rasch trocknete Raelene sich grob ab, damit sie nichts nass machte. Auch durch ihre Haare rubbelte sie nochmal kräftig mit dem Handtuch, bevor sie es über ihre Schultern hängen ließ. Als sie fertig war, lief sie auf Delion zu und umarmte ihn herzlich – womit sie sich auch für diesen Schrecken entschuldigen wollte, den sie ihm beschert hatte. „Jetzt nochmal richtig: Guten Morgen~. Hast du gut geschlafen?“, fragte sie interessiert. „Oh, ich kann nicht klagen“, antwortete er auf ihre Frage. „Wie ist es bei dir? Bist du immer so früh wach oder hast du schlecht geschlafen?“ Erst, als Delion die Umarmung erwiderte, bemerkte sie, wie ... anders die Situation irgendwie war. Als seine Hände ihre nackte Haut berührten, war es so, als würde ein gesamtes Stromkraftwerk hochgefahren werden. Ihr Kopf wurde wieder richtig heiß, wie schon vorher, als Raelene sein schlafendes Gesicht betrachtet hatte. Wie war es ihr gelungen, sich selbst in so eine Lage zu bringen? Nicht, dass es ihr unangenehm wäre … „Äh, j-ja“, murmelte sie als Antwort. „Ich meine, nein, ich habe ...“ Vorsichtig löste Raelene sich etwas von ihm und lächelte bedrückt. „Ich hab schlecht geträumt, deshalb bin ich so früh wach geworden.“ Auch Delions Gesicht war erhitzt, so wie ihres. Somit hatte Raelene ihm nicht nur einen Schrecken eingejagt, sondern ihn auch noch in Verlegenheit gebracht. Vorerst konzentrierte er sich aber auf das, was sie ihm gesagt hatte. „Das ist schade. Ich hoffe, das wird nicht jede Nacht so sein.“ Er sah sie besorgt an. „Willst du darüber reden?“ Raelene wollte nicht, dass er sich ihretwegen Sorgen machte, aber es gab auch keinen wirklichen Grund, es zu verheimlichen. Es war nur ein Traum gewesen, wahrscheinlich ausgelöst durch ihre Schuldgefühle. „Ich hab von Endynalos geträumt“, erzählte sie, wobei sie den Blick senkte. „Er fand es nicht so toll, dass wir beide so viel Spaß haben, während er noch gefangen ist.“ Sie konnte es nach wie vor verstehen, aber leider nichts daran ändern. Jedenfalls nicht sofort. Das würde Endynalos aber wohl auch nur wütend machen. „Denk daran, er muss nicht mehr lang warten. Sobald Professor Magnolica diese restriktive Firma los ist, werden wir uns darum kümmern, dass er nicht mehr eingesperrt sein muss.“ Wenn Delion das sagte, klang es so, als wäre das in naher Zukunft tatsächlich Wirklichkeit. Deshalb nickte sie lächelnd. Es würde Endynalos nicht helfen, sich bis dahin aus dem Weg zu gehen. Zumal sie das nicht aushalten würde, schon wieder auf Delion verzichten zu müssen. „Ich weiß, wir kriegen das schon hin.“ Plötzlich war ein Klingeln zu hören, was sie etwas zusammenzucken ließ. War jemand an der Tür? Im Augenwinkel bemerkte sie, wie das unbekannte Geräusch Azurill aus dem Schlaf riss und sie sich panisch umsah. Liberlo fiel beinahe von dem Sofa, fing sich aber gerade noch rechtzeitig. Pichu folgte Azurills Schrecken und riss nervös die Augen auf, nur um sofort festzustellen, dass anscheinend alles in Ordnung war. Durengard zuckte sofort hoch und wechselte automatisch in Schwertform. „Keine Sorge“, sagte Delion in Richtung seiner Pokémon. „Das war nur die Türklingel.“ Anschließend wandte er sich nochmal an Raelene und lächelte, sichtlich bedrückt, dass jemand ihre Zweisamkeit störte. „Ich gehe besser mal nachsehen, wer es ist.“ Kapitel 17: Was machst du denn hier? ------------------------------------ Während Delion kontrollierte, wer gerade geklingelt hatte, blieb Raelene im Wohnzimmer stehen und wartete. Falls es ein Postbote oder gar irgendwelche Vertreter waren, wollte sie lieber nicht nur in Badebekleidung an die Tür gehen – zumal sie selbst bloß ein Gast in dieser Wohnung war. Eigentlich war es aber für solcherlei Besucher noch viel zu früh am Morgen, also konnte sie das doch ausschließen. Vielleicht war etwas in der Einrichtung passiert, mit Endynalos, und nun war Magnolica zu ihnen gekommen. Nein, in dem Fall hätte die Professorin sie wohl eher einfach angerufen. Von der Wohnungstür her waren schließlich Stimmen zu hören. Mühevoll unterdrückte Raelene den Drang, zu lauschen, und warf lieber einen Blick zu den Pokémon. Die meisten schliefen noch tief und fest. Dedenne grinste breit und sabberte ein wenig, was vermuten ließ, dass er von Beeren oder Essen allgemein träumte. Azurill strampelte neben ihm ein wenig mit ihren Füßchen und Pichu, der im selben Bett lag … war wach, wie sie nun bemerkte. Aufmerksam zuckten Pichus Ohren und richteten sich nach den Geräuschen aus, die von der Wohnungstür kamen. Auch der Blick des Kleinen war wie gebannt in diese Richtung gelenkt. Alles an Pichus Körperhaltung deutete darauf hin, dass es jede Sekunde aufspringen und seiner Neugier nachgehen würde. Falls irgendjemand Wichtiges an der Tür war, sollte Raelene das besser verhindern, auch wenn es eigentlich nichts Schlimmes daran gab, von einem Baby-Pokémon überrascht zu werden. „Hey, Pichu~“, flüsterte Raelene verspielt. „Gut geschlafen? Hast du Lust, mit auf die Terrasse zu kommen?“ Auf ihren Ablenkungsversuch reagierte Pichu überhaupt nicht, sondern konzentrierte sich weiter auf das, was seine Ohren aufnahmen. Zwischen den Worten, die Delion mit dem unerwarteten Besucher wechselte, stach schließlich ein bestimmter Satz plötzlich deutlich hervor, den sogar Raelene verstehen konnte. Ausgesprochen von einer Männerstimme, die ihr noch dazu irgendwie verdächtig bekannt vorkam: „Lust auf Frühstück?“ Wie auf Stichwort hüpfte Pichu aus dem Bettchen, wodurch Dedenne und Azurill ein Stück zur Seite rutschten, weil der entsprechende Halt fehlte. Davon ließen sie sich aber nicht stören und schlummerten weiter. Pichu dagegen stürmte geradewegs zur Wohnungstür und stieß ein fröhliches „Chu!“ aus, als er aus ihrem Sichtfeld verschwand. „Mist“, murmelte Raelene, und verpasste sich selbst mit der Faust einen leichten Schlag gegen den Kopf. „Ganz toll gemeistert, Champ.“ „Oh, tut mir leid ...“, entschuldigte Delion sich. „Pichu ist noch nicht mit Besuch vertraut.“ Instinktiv ging Raelene selbst einige Schritte Richtung Wohnungstür, falls es nötig wäre, Pichu wieder zurückzuholen. Dadurch konnte sie die Stimme der anderen Person viel besser verstehen, als diese erneut zu sprechen anfing: „Na, fotogen bist du schon mal. Dein Gesicht hätte ich mir also gemerkt. Du musst neu in Delions Team sein. Deine Energie gefällt mir. Dein Trainer sollte mit derselben Energie mal seine Social Media im Auge behalten.“ Social Media. Spätestens dieser Hinweis hätte Raelene auf jeden Fall verraten, um wen es sich bei dem Besucher handelte, doch sie hatte es schon vorher an der Stimme erkannt. Der Störenfried war Roy. Natürlich, nur ihm wäre es zuzutrauen, unangemeldet so früh irgendwo aufzuschlagen. „Pichu~!“, rief das Baby vergnügt – bestimmt hatte Roy bereits ein Foto geschossen und Pichu erfreute sich somit an dem ersten eigenen Bild von sich. „Okay, los, komm rein, wir müssen ja nicht nur zwischen Tür und Angel reden“, sagte Delion, was bei Raelene für Anspannung sorgte. Roy war kein schlechter Kerl. Absolut nicht. Irgendwie fühlte sie sich in seiner Nähe aber stets … unbehaglich. Vielleicht lag das an diesem einen Gespräch, das sie damals miteinander hatten, wenn auch unfreiwillig. Seitdem war sie davon überzeugt, dass Roy sie nicht ausstehen konnte, obwohl er sich ihr gegenüber freundlich verhielt. Allerdings wusste Raelene, wie anders Roy sein konnte, wenn man ihn auf dem falschen Fuß erwischte. Trotzdem … er war ein guter Mensch. Sonst wäre er sicher nicht mit Delion befreundet. Außerdem gaben seine Pokémon bei jedem Kampf alles für Roy, was sie gewiss nicht einfach so taten. Sie liebten ihn, er war ein guter Trainer. Es war vermutlich schlicht Pech, dass Roy und Raelene keine gute Bindung zueinander besaßen. Wieder ertönte Roys Stimme, gefolgt von Schritten: „Geht doch, warum nicht gleich so?“ Kurz darauf betrat er auch schon das Wohnzimmer und entdeckte sofort Raelene, die in diesem Moment ein wenig verloren aussehen musste. Obwohl sie es besser wusste, blinzelte sie mehrmals, als könne sie es noch nicht so recht glauben, wirklich und leibhaftig Roy vor sich stehen zu haben. Äußerlich sah er genauso aus wie immer, eingepackt in seiner übergroßen Jacke und das Gesicht zum Teil von seinem Bandana verdeckt. In seiner linken Hand hielt er eine Einkaufstüte, die aus einer beliebten Bäckerei von Score City stammte – überall hing Werbung für diesen Laden herum, weshalb sogar Raelene das Logo erkannte. Auf seiner Schulter hockte Pichu, der mit seinen Pfoten auf dem Smart-Rotom herumdrückte, das genau vor ihm schwebte. „Oh~“, tat Roy unwissend. „Sieh an, was machst du denn hier, Champ?“ „Hallo ...“, erwiderte Raelene zögerlich. „Was machst du denn hier?“ Belehrend hob er einen Zeigefinger. „Ich hab zuerst gefragt.“ „Und klangst dabei so, als wüsstest du es sowieso schon.“ Delion kam weniger Sekunden später ebenfalls ins Wohnzimmer, weil er noch die Tür geschlossen haben musste. Pichu sprang sofort auf Delions Kopf, als dieser neben Roy stehenblieb. So konnte Delion Roy problemlos eine Hand auf die zuvor besetzte Schulter legen. „Und als ob jemand wie du doch nicht ohnehin schon wüsste, was los ist.“ Bestimmt hatte Roy schon jede Neuigkeit bezüglich der Beziehung zwischen Delion und Raelene förmlich aufgesogen und wusste genau, von wem welche Info stammte und wen man fragen musste, wenn man noch mehr wissen wollte. Roy schnaubte beleidigt. „Ich frage mich nur, warum ich es nicht direkt von meinen Freunden erfahren habe, sondern über Umwege.“ Verwirrt neigte Raelene den Kopf. „Ähm, Freunde in der Mehrzahl?“ „Natürlich, du bist genauso schuldig wie Delion“, betonte Roy. „Also schäm dich gefälligst.“ Einen Moment lang schwieg sie nachdenklich. „Wir zwei ... sind Freunde?“ Delion seufzte schwer, während Raelene noch weiter verarbeiten musste, dass Roy sie als Freund betrachtete. „Tut mir leid. Es kam ziemlich plötzlich, und es war viel zu tun in den letzten Tagen. Da hab ich wohl vergessen, Bescheid zu sagen.“ Spontan fragte Raelene sich, ob ihre Freunde ähnlich beleidigt wie Roy wären, weil sie nicht alle sofort über ihren Beziehungsstatus informiert hatte. Inzwischen dürften es zwar alle wissen, aber nicht direkt vom ersten Tag an. So lange war sie mit Delion allerdings noch nicht zusammen. Bislang kamen sie nicht mal auf eine Woche. Roy sah Delion prüfend an, bevor er, ohne Vorwarnung, nach seinem Smart-Rotom griff und ein Foto von ihm schoss. „Dein Gesicht sieht reumütig genug aus“, beschloss Roy. „Dir sei verziehen.“ Dann wandte er sich wieder an Raelene: „Du dagegen musst dich erst mal doppelt entschuldigen. Es ist doch ziemlich eindeutig, dass wir Freunde sind!“ Daran zweifelte sie doch noch, aber widersprechen wollte sie ihm auch nicht. Jemanden wie Roy hatte sie lieber als Freund, statt zum Feind. „Also, wenn dich das so gekränkt hat, dann tut es mir natürlich auch leid", seufzte Raelene überfordert. „Großes Doppel-Sorry.“ Bei ihr verzichtete Roy auf ein Foto, zu ihrer Erleichterung. Wahrscheinlich befürchtete er, Delion wäre nicht so glücklich darüber, wenn er Bilder von seiner nun festen Freundin kurz nach dem Schwimmen schoss. Noch dazu vor seinen Augen. Diese Sucht nach Fotos verstand Raelene ohnehin nicht, doch umgekehrt dürfte es genauso sein. Nickend schloss Roy die Augen. „Na gut, ich will mal nicht so sein. Nächstes Mal klappt das aber besser, meine lieben Turteldusselgurrchen!“ „Ich hab dich gedanklich schon auf die Liste neben Hop gesetzt“, versicherte Delion ihm. „Okay, jetzt musst du mir aber wirklich verraten, woher du wusstest, dass sie heute, jetzt, bei mir ist.“ Das fragte Raelene sich auch. Sie waren auf Glurak auf die Terrasse geflogen. Ob sie dabei von irgendeiner Drohne beobachtet worden waren? Zumindest war ihr nichts aufgefallen, vielleicht achtete sie aber nur nicht gut genug auf solche Dinge. Außerdem war sie abgelenkt gewesen, von Delions Nähe und dem Flug allgemein. Roy tippte geschwind auf seinem Smart-Rotom herum und warf es schließlich in die Luft, damit es von selbst vor Delion und Raelene schwebte. So konnten sie einen Artikel sehen, der erst vor wenigen Minuten online gegangen war und Fotos von Raelene beim Schwimmen zeigte. Champ genießt bereits den Pool des Liga-Präsidenten, wie intim sind sie wirklich schon miteinander?! Wir decken auf! So lautete der Titel. Dieser Artikel war unfassbar schnell herausgekommen. Gab es wirklich Leute, die so sehr auf der Lauer lagen? Schlagartig lief Raelenes Gesicht vor Scham rot an. Es war kein Problem, heimlich während eines Kampfes oder beim Einkaufen fotografiert zu werden, daran hatte sie sich irgendwie gewöhnt, doch so etwas ging selbst ihr einen Schritt zu weit. „W-was? Aber wie ... ich habe gar nichts bemerkt“, meinte sie nervös. „Und es war noch dunkel!“ „Drohnen sind inzwischen so unauffällig wie ein Kecleon. Und der Begriff Nachtsicht dürfte dir doch wohl auch nicht fremd sein, oder?“, erklärte Roy ernst. „Echt, ihr müsst ein bisschen besser aufpassen. Seit man euch zusammen in Claw City gesehen hat, ist die Presse hinter jedem heißen Foto und jeder noch so banalen Info über euch her. Die lauern auf euch wie wilde Fleischfresser-Pokémon auf Karpardor.“ „Wie gehen andere Leute mit so etwas um?“, erkundigte Delion sich. „Also, Leute, die nicht so sehr im Rampenlicht stehen wollen?“ Roy klopfte ihm kräftig auf den Rücken. „Da gibt es nicht viel mit umzugehen. Die sind jetzt nur so stalky, weil ihr eure Beziehung noch nicht öffentlich gemacht habt. Vermeintliche Geheimnisse ziehen leider immer die Fliegen der Presse an. Gebt einfach ein Statement hier und da ab, postet ein paar nette Fotos und die Leute beruhigen sich schnell wieder.“ Offenbar war Roy bereits davon überzeugt, dass Delion und Raelene aus ihrer Partnerschaft kein Geheimnis machen wollen. Sonst wären sie auch wesentlich vorsichtiger gewesen, statt ungeniert zusammen händchenhaltend durch die Öffentlichkeit zu laufen. Delion warf Roy einen unsicheren Blick zu. „So einfach ist das?“ Im Prinzip war das Verhalten dieser Leute durchaus nachvollziehbar. Da es aussah, als machten sie ein Mysterium aus ihrer Beziehung, wollte natürlich jeder wissen, wie es wirklich war. Wäre Delion in einer Beziehung mit jemand anderem, wäre sie selbst auf der Suche nach dem kleinsten Schnipsel, der ihr verraten könnte, was für eine Art von Bindung sie in Wahrheit pflegten. Wenn man selbst der Grund für diese immense Neugierde war, fühlte es sich allerdings unangenehm an. Das schien auch Delion so zu sehen, denn er nickte entschlossen. „Dann sollten wir das vielleicht wirklich mal tun.“ „Wenn ihr nicht dauernd heimlich gefilmt und fotografiert werden wollt, dann unbedingt“, riet Roy nachdrücklich. „Gebt das besser an Leute in der Liga ab, die sich damit auskennen.“ Gute Idee, so müssten sie nicht mal wirklich etwas tun. Immerhin waren weder Delion noch Raelene interessiert an Social Media – das blieb alleine Roys Spielplatz. Jedenfalls wäre Raelene zu ungeschickt für so etwas wie Postings und all diese eigentümlichen Möglichkeiten. „Jetzt mal zu der schöneren Seite dieses Themas“, begann Roy und grinste. „Glückwunsch, dass ihr es endlich geschafft habt. Tat ja schon echt weh, sich das mitanzusehen, wie ihr euch gegenseitig anschmachtet.“ Verlegen schob Raelene ihr noch feuchtes Haar nach hinten. „Es ist ja nicht so, als ob wir uns absichtlich so viel Zeit gelassen hätten.“ Delion nickte auf ihre Worte, runzelte aber die Stirn. „Sag mir nicht, du hast es auch gewusst?“ Anscheinend hatte Delion gehofft, es doch ganz gut versteckt zu haben. Hop, seine Familie oder Glurak und den anderen Pokémon konnte man kaum etwas vormachen, dafür kannten sie ihn zu gut. Ähnlich war es bei Raelene und ihrem näheren Umfeld. Gerade als Liga-Präsident hatte besonders Delion sich aber bestimmt noch mehr zusammenreißen müssen als sie, um professionell zu bleiben. „Es war ziemlich schwer, es nicht zu sehen, wenn ihr beide zusammen in einem Raum wart“, sagte Roy schmunzelnd. „War schon fast niedlich, aber auch etwas nervig.“ In Ermangelung einer Kappe, hinter der er sich verstecken konnte, vergrub Delion sein Gesicht in seiner Hand – was Pichu gut gelaunt direkt nachzuahmen versuchte. Dieses Problem konnte Raelene nachvollziehen, denn sie hatte selbst auch nichts parat, außer ein Handtuch. Das brachte sie aber auf eine Idee. „Ich zieh mich kurz wieder richtig an", verkündete Raelene, womit sie eigentlich nur aus diesem peinlichen Gespräch flüchten wollte. „War nicht irgendwas mit Frühstück oder hab ich mich da verhört?“ „Hast du nicht. Ich hab eine Menge Zeug mitgebracht.“ „Okay, ich beeile mich“, versicherte Raelene, bevor sie Richtung Schlafzimmer stürmte. Innerlich entschuldigte sie sich bei Delion dafür, dass sie ihn mit Roy alleine ließ. In diesem Aufzug zu frühstücken fände aber mit Sicherheit auch Delion unpassend. Deshalb wollte Raelene sich lieber gemütliche Kleidung anziehen und vor allem ihre Kappe aufsetzen, falls Roy noch mehr peinliche Sätze zum Besten gab. Kaum betrat sie das Schlafzimmer, sprang etwas Weißes auf sie zu, begleitet von einem lauten „Woll, woll~!“. Zwar gelang es Raelene gerade noch rechtzeitig zu reagieren und Wolly aufzufangen, doch sie stieß dafür gegen eine Kommode, auf der anschließend ein paar Sachen umfielen. Klang aber nicht so, als wäre etwas davon kaputt gegangen. „Hey, mein Schatz~“, grüßte Raelene Wolly, mit einer herzlichen Umarmung. „Jetzt bist du ganz alleine aufgewacht, was? Keine Sorge, wir sind alle noch da.“ „Woll!“ „Sogar einer mehr ...“ „Woll?“ „Ach, schon gut. Wir haben nur Besuch bekommen.“ Vorsichtig setzte Raelene Wolly auf dem Boden ab und schickte sie schon mal ins Wohnzimmer, damit sie sich in Ruhe umziehen konnte. Wenige Minuten später ging sie zurück zu den anderen. Inzwischen waren auch die Pokémon alle aufgewacht und putzmunter. Katapultdra schwirrte um Roy herum und schien ihn über etwas ausfragen zu wollen. Vielleicht über seine Drachen-Pokémon. Die kleinen Grolldras gaben dazu zirpende Laute von sich. Roy lachte und wirkte äußerst entspannt, während er sich mit den Pokémon beschäftigte. Ein flüchtiger Blick zum Esstisch verriet ihr, dass die Männer ihn bereits gedeckt hatten, was Raelene lächeln ließ. Eventuell wurde das Frühstück nicht so unangenehm, wie sie befürchtete.   ***   Mit Roy zu frühstücken war ein besonders lebhaftes Ereignis gewesen. Erst recht weil er auch noch ein paar seiner eigenen Drachen-Pokémon aus ihren Bällen befreit hatte: Viscogon, Libelldra und Duraludon. Zu Raelenes Überraschung war sein Team ziemlich umgänglich und auch vorsichtig, wenn sie mit den Babys interagierten. Sie erlebte zum ersten Mal richtig die private Seite von Roy und seinen Pokémon, was ihre Sicht auf ihn gebessert hatte. Bislang waren sie immer nur zu Schaukämpfen oder im Champ-Cup zusammengekommen, wo eine gänzlich andere Stimmung vorherrschte. Da Raelene nun auch die Kappe von Delion wieder trug, konnte sie ihre Verlegenheit dahinter verstecken, wenn Roy diesbezüglich noch ziemlich eindeutige Kommentare von sich gab. Nach dem Frühstück zog er sich aber auch schon wieder zurück, mit der Begründung, dass er ihnen noch etwas Zeit zu zweit gönnen wollte. Als er dann zur Tür raus war, atmete sie ein wenig auf. „Meinst du, die anderen haben auch alle schon lange vor uns bemerkt, dass wir ineinander verliebt sind?“, fragte Raelene leise. Delion hatte gerade Roy verabschiedet, weshalb er sich erst mal zurück auf seinen Stuhl am Esstisch setzte, bevor er darauf mit einem Räuspern antwortete. „Na ja, ich hab vorhin noch mit ihm darüber gesprochen – und anscheinend war es ... sehr offensichtlich.“ Also doch. Wie sollte sie jemals wieder den anderen Arenaleitern gegenübertreten? Raelene zog die Kappe noch tiefer ins Gesicht. „Okay, vergiss die Schaukämpfe. Ich kann den anderen nicht mehr ins Gesicht schauen, ohne in Verlegenheit zu versinken.“ Obwohl ... Roy hatte sie auch überstanden, aber er war irgendwie unerwartet zurückhaltend gewesen. Vielleicht wurde das bei den anderen dann auch nicht so schlimm? „Nein, ich will diese Schaukämpfe natürlich“, korrigierte sie sich rasch. Sie hob die Kappe wieder und sah Delion entschlossen an. „Schließlich bin ich stolz und glücklich, dass wir jetzt zusammen sind!“ Für einen kurzen Moment schien Delion befürchtet zu haben, dass sie ernsthaft alle Schaukämpfe absagen wollte, aber als ihr Kampfgeist zurückkehrte war er sichtlich erleichtert. „Sehr gut!“, lobte er sie energisch. „Das bin ich auch! Also bekommen wir das hin. Am besten sprechen wir einfach mit deinem Manager, wie das am besten zu regeln wäre und was für ein Statement wir abgeben sollen, damit das Thema in der Öffentlichkeit größtenteils erledigt ist. Die Schaukämpfe werden außerdem grandios, warte es nur ab~. Ganz Galar wird sie lieben.“ „Natürlich, ich werde ihnen auch eine großartige Show liefern!“, versprach Raelene aufgeregt. Liberlo stimmte dem lautstark aus einer anderen Ecke der Wohnung zu, was Azurill dazu brachte, begeistert mitzumachen, dabei konnte sie noch gar nicht wissen worum es überhaupt ging. Darüber musste Raelene schmunzeln. Erwartungsvoll griff sie nach Delions Hand. „Also, kriege ich jetzt eine private Trainingsstunde von dir? Ich muss mich schließlich gut auf diese Schaukämpfe vorbereiten~.“ Nachdem sie sich gestärkt hatten, wäre das der beste Zeitpunkt dafür. Hoffentlich erinnerte Delion sich daran, dass er ihr diese Trainingsstunden geben wollte, doch sein motiviertes Lächeln war bereits die Zustimmung, die Raelene haben wollte. „Ja! Lass uns loslegen~. Vielleicht präsentierst du uns bei den Schaukämpfen dann sogar neue Wurfmethoden für deine Pokébälle.“ Mit etwas mehr Kraft in den Armen wäre das eventuell tatsächlich möglich. Seine positive Reaktion steckte Raelene sofort an und gab ihr noch mehr Motivation. Liberlo sprang ebenfalls schon mal Richtung Trainingsraum, wie sie flüchtig bemerkte. „Da fällt mir eine Frage ein, die ich mal während meiner Arena-Challenge damals aufgeschnappt habe.“ Raelene lehnte sich näher zu Delion, als würden sie nun ein großes Geheimnis besprechen. „Wird deinen Pokémon bei deiner Wurftechnik eigentlich schwindelig?“ Wahrscheinlich sollte sie das eher sein Team direkt fragen, aber vielleicht konnte Delion dazu auch etwas sagen. „Oh~. Das wurde ich ja wirklich noch nie gefragt.“ Er dachte kurz nach. „Also bislang hat sich noch keiner von ihnen beschwert. Ich habe sie auch nie schwanken gesehen. Ich werde sie demnächst mal fragen.“ „Vielleicht macht es ihnen ja Spaß~“, vermutete Raelene. Wie es sich wohl anfühlte, in einem Pokéball zu sein? Sie hatte gehört, dass es dort drin ziemlich gemütlich sein sollte, aber sie konnte sich das nur schwer vorstellen. Solange die Pokémon sich nicht beschwerten, war es aber sicher gut so. „Na dann, los!“ Energiegeladen zog sie Delion mit sich, um in den Trainingsraum zu gehen. „Du darfst mich jetzt mal so richtig hart rannehmen.“ Zu spät bemerkte sie, wie furchtbar falsch das klang. So war das gar nicht gemeint gewesen. Warum dachte sie nicht vorher nach, bevor sie den Mund aufmachte? Nervös lächelte sie Delion zu und winkte rasch ab, dann zog sie ihn noch etwas schneller mit sich. Auf sein Gesicht hatte sie nicht geachtet, aus Angst, dass er ebenso schockiert aussah wie sie sich fühlte. „Gut, ich bin aber strikt und streng als Lehrer, also stell dich schon mal darauf ein~“, warnte Delion, statt näher auf ihre Aussage einzugehen. Gemeinsam zogen sie sich in den Trainingsraum zurück. Bevor wieder etwas dazwischen käme, wollte Raelene die Zeit mit Delion ausführlich genießen. Kapitel 18: Ich muss zur Einrichtung fliegen -------------------------------------------- Eigentlich war Raelene gerne draußen unterwegs, in der Natur, und trainierte mit ihren Pokémon oder ging auf Erkundungstour. Die Wohnung von Delion war aber so gut ausgestattet, dass sie die letzten zwei Tage tatsächlich kaum rausgegangen war – außer die Male, wo sie zu einem wichtigen Treffen musste oder in der Nähe Hilfe mit Pokémon benötigt worden war. Im Moment war sie mit den Pokémon alleine in der Wohnung, weil Delion seiner Arbeit als Liga-Präsident nachgehen musste. Abgesehen von Glurak hatte er auch sein Team bei ihr gelassen, wodurch es weiterhin reichlich lebhaft blieb und Langeweile gar nicht erst aufkommen konnte. Genau deswegen hatte Delion seine Pokémon schließlich zu Hause gelassen. So konnte er es ihnen endlich ersparen, die Zeit mit ihm im Büro oder bei Meetings verbringen zu müssen, wo nichts Spannendes geschah. Jedenfalls war das seine Erklärung dazu gewesen – außerdem wollte er überambitionierte Leute von der Presse fernhalten. Anfangs hatte Raelene besorgt angemerkt, dass Delion nun nicht mal für einen Kampf entsprechend gerüstet wäre, doch ihre Sicherheit schien ihm wichtiger zu sein. Würden die Medien wirklich versuchen Grenzen zu überschreiten, wenn man sich nicht ausreichend dagegen wappnete? Vielleicht war ihr Leben als Champ deshalb relativ ruhig verlaufen, weil Delion und die Liga genau wussten, wie man jegliche Übergriffe verhindern konnte. Dafür sollte Raelene sich bei so einigen Menschen mal ordentlich bedanken. Nach einigen Spielen gönnten sich die Pokémon und Raelene gerade eine Ruhephase, in der sie nur gemütlich zusammensaßen. Dabei plapperte sie unbedarft über allerlei Dinge, die ihr spontan in den Sinn kamen. Ein bestimmter Fakt beschäftigte sie ganz besonders. „Eine Woche.“ Raelene seufzte verträumt. „Nun bin ich schon eine ganze Woche mit Delion zusammen.“ Eigentlich eine recht kurze Zeitspanne, doch für sie war es nach wie vor unglaublich. Inzwischen wusste Raelene, dass Delion in vielen Punkten ähnlich dachte und fühlte wie sie, also dürfte es auch für ihn eine kleine Sensation sein. „Ich hoffe, euch hat diese Woche auch gefallen~. Es sieht nämlich so aus, als würden wir noch viel länger alle so zusammenbleiben.“ Einige Pokémon gaben fröhliche Laute von sich, was sie als Zustimmung wertete. Solange sie dieser Beziehung ihren Segen gaben, stand ihrem Glück wirklich absolut nichts im Weg. „Chu!“, rief Pichu plötzlich aufgeregt. Tatsächlich hörte auch Raelene, dass jemand an der Wohnungstür war und sie kurz darauf schwungvoll öffnete, gefolgt von Delions gut gelaunter Stimme: „Ich bin wieder da~!“ „Delion~!“, erwiderte Raelene die Begrüßung begeistert. Sie sprang regelrecht vom Sofa, hüpfte danach dann noch geschickt über Azurill und Dedenne hinweg, um nicht auf sie zu treten, und eilte zu Delion, der bereits schnellen Schrittes ins Wohnzimmer trat. Sofort schlang Raelene fest die Arme um ihn. „Willkommen zu Hause!“ Im Hintergrund reihten sich die Pokémon mit ihren Rufen bei dieser Begrüßung mit ein. „Wir haben dich alle wieder sooo vermisst~.“ „Woll, woll, woll~!", blökte Wolly hinter ihr, wie ein Hunde-Pokémon das sein Herrchen begrüßen wollte. Glücklich lächelnd schloss Delion Raelene ebenfalls in seine Arme. „Dann ist es wirklich gut, dass ich wieder da bin~. Und vorerst stehen keine Termine mehr an. Wir können ab morgen dann sogar wieder campen gehen~.“ „Wirklich?! Super, ich hab heute noch gedacht, dass mir die Natur schon ein bisschen fehlt~.“ Immerhin gab es noch so vieles, was sie zusammen in den Kronen-Schneelanden erleben wollten. Hier mit ihm zusammen zu sein war schön, aber dort draußen war es einfach noch besser. Um die Sache mit der Öffentlichkeit ihrer Beziehung hatten sie sich ja zumindest schon teilweise gekümmert. Die PR-Abteilung hatte zugestimmt, einen kurzen Artikel darüber zu veröffentlichen, damit die Allgemeinheit Bescheid wusste, ohne zu viel zu erfahren. Das blieb dann für zukünftige Interviews übrig. Nur widerwillig löste Raelene sich von Delion und klatschte behutsam mit ihren Händen gegen seine Wangen. „Hast du Hunger? Ich war eine super fleißige Hausfrau und habe uns Essen bestellt.“ Besonders Delion hatte sich ein ordentliches Mahl verdient, wenn er von der Arbeit kam. Raelenes Pokémon riefen wild durcheinander, als wollten sie ihr mitteilen, dass sie auch Hunger hatten ... schon wieder. Sie waren wirklich geschickt darin, wenn es ums Betteln ging. Nur Zamazenta blieb ruhig und senkte den Kopf, nachdem er die Szene kurz beobachtet hatte. „Oh, du bist wirklich umsichtig~.“ Delion fühlte sich sichtlich umsorgt. „Ich habe nämlich echt Hunger~.“ Und Pichu auch, so eifrig wie er bereits mit den anderen im Chor rief. Vielleicht machte er aber auch nur mit, weil er dachte, sie spielten ein besonders großartiges neues Spiel. Morgen könnte Raelene ihnen allen wieder ein leckeres Curry kochen. Für diesen Tag war Essen vom Lieferdienst aber sicher auch schon eine schöne Aussicht. Fast Food schmeckte fast jedem. „Perfekt~. Dann decke ich für uns den Tisch und du kommst erst noch richtig an.“ Bestimmt wollte Delion nämlich auch seine eigenen Pokémon noch anständig begrüßen. Sie lächelte ihm zu, was von ihm erwidert wurde, und huschte dann los, um ihre Worte direkt in die Tat umzusetzen. Azurill nutzte die Gelegenheit und verwickelte sich mit ihrem Schweif in Raelenes Haaren, damit sie sich einfach tragen lassen konnte. Die Kleine lachte dabei vergnügt. Ein ihr vertrautes Geräusch hinter ihr verriet Raelene, dass Delion soeben auch Glurak aus seinem Ball befreit hatte. Anschließend schenkte er tatsächlich jedem seiner Pokémon etwas Aufmerksamkeit. Zwischendurch gab er einen irritierten Laut von sich. „Wo ist denn Pichu?“, fragte er. Da der Essbereich in das große Wohnzimmer integriert war, konnte Raelene ihm problemlos antworten, während sie weiter alles vorbereitete: „Schaukel~.“ Es war geraten, doch Delions „Aaah!“ sagte ihr, dass sie richtig lag. Pichu schien inzwischen eine Vorliebe für diese Vogelschaukel entwickelt zu haben, denn er saß ziemlich oft auf dieser und beobachtete von dort stets die Lage. Diesmal lachte er vergnügt, als er von Delion begrüßt wurde. Nachdem er und Glurak sichergestellt hatten, dass es allen gut ging, kam Delion ebenfalls zu Raelene an den Esstisch. „Anscheinend sind alle sehr glücklich mit dir“, kommentierte Delion zufrieden. „Jedenfalls hat sich keiner gelangweilt.“ „Sehr gut, also bin ich nicht langweilig~. Wir haben ein paar Spiele ausprobiert, die man nur in großen Gruppen machen kann.“ Raelene blickte dabei vielsagend, aber lächelnd, zu Pichu und Dedenne. Da Azurill noch in ihren Haaren hing, blieb sie davon verschont. „Manche waren lustig, andere etwas chaotisch.“ „Chu~“, summte Pichu auf Raelenes Blick munter, da er es wohl nicht als Tadel verstand. Delion lachte leise. „Ich glaube, wir sollten demnächst mal anfangen, die Babys richtig zu erziehen, bevor wir gar nichts mehr an sie rankriegen.“ „Aber sie sind einfach zu süß!“, wandte Raelene ein. Natürlich hatte Delion trotzdem recht. Sie würden nicht für immer Babys bleiben, außer Dedenne. Wenn sie nicht bald etwas strenger mit ihnen wurden, könnten sie wirklich Probleme bekommen. Zum Glück nahmen Maxax und Feelinara ihnen schon einen riesigen Teil der Erziehung ab. Dafür sollten sie den beiden mal ein Dankeschön besorgen, denn sie machten das großartig. Bezüglich der Babys würde Gloria ihnen wahrscheinlich eine Predigt halten. Eventuell sollten sie von ihr einige Ratschläge zur Erziehung einholen – ohne ihr davon zu erzählen, was die beiden mit ihren Pokémon für Lebensmittel zu sich nahmen. Gloria würde nämlich garantiert erschrocken reagieren, wenn sie sehen könnte, wie viel Fast Food Raelene bestellt hatte. Wenigstens waren diesmal auch einige Salate dabei, weil manche Pokémon doch leichte Kost bevorzugten. Und sie selbst hatte auch Lust darauf. „Wie lief die Arbeit heute eigentlich?“, hakte Raelene nach. „Alles gut? Irgendwelche Probleme?“ „Alles war gut, keine Probleme. Es ging hauptsächlich um neue Finanzierungen und neue Energien. Das Übliche also. Im Moment stehen ja keine größeren Änderungen an, außer den geplanten Schaukämpfen. Aber dafür hab ich schon alle Anträge unterschrieben, also liegt das inzwischen in der Hand der Leute, die alles organisieren müssen.“ Raelene wollte gerade etwas bezüglich der Schaukämpfe sagen, als Zamazenta plötzlich aufsprang und ein unruhiges Knurren von sich gab. Bevor sie darauf irgendwie reagieren konnte, stürmte er auch schon durch die Terrassentür nach draußen. Sofort machte sich ein ungutes Gefühl in ihr breit. Sie warf einen kurzen, besorgten Blick zu Delion. Dessen Laune war sichtlich getrübt. Hastig folgte Raelene Zamazenta nach draußen, um nachzusehen, was mit ihm los war. Aber sie befürchtete bereits, dass es nur mit Endynalos zu tun haben könnte. Angespannt blickte Zamazenta in die Ferne, in die Richtung, in der auch Circhester lag. Es konnte also wirklich nur eines bedeuten … Delion war ihnen nachgelaufen, jedoch an der Terrassentür stehengeblieben und sah den beiden entgegen, seine Stimme klang hohl. „Was ist los?“ Laut jaulte Zamazenta auf und sah Raelene fordernd an. Sein Gesicht wirkte eher besorgt, aber auch alarmiert. Ihr gefiel es nicht, aber sie musste sich darum kümmern. Sie nickte ihm zu, bevor sie sich ernst an Delion wandte. „Ich muss zur Einrichtung fliegen. Etwas stimmt da immer noch nicht.“ Am liebsten hätte sie Delion gesagt, dass alles in Ordnung war. Deshalb musste sie sich erst recht darum kümmern. „Wir fliegen auf Glurak“, beschloss Delion, ohne erst darüber nachzudenken. An seiner Stelle würde sie auch darauf bestehen mitzukommen, also widersprach sie ihm nicht, sondern nickte dankbar. Dann versicherte sie Zamazenta, dass sie sofort zur Einrichtung fliegen würden, bevor sie ihn schon mal zurück in seinen Ball schickte. Anschließend ging sie zurück zur Terrassentür, wo Delion stand. Dieser winkte seinen Partner zu sich. Glurak gehorchte sofort und kam zu ihnen. „Wir sollten aber unsere Pokémon nicht vergessen“, riet Delion. „Falls wir kämpfen müssen.“ Gegen Endynalos hätten die meisten zwar keine Chance, doch er hatte recht. „Die Babys würde ich lieber hier lassen. Feelinara kann sich um sie kümmern.“ Blieben auf ihrer Seite also Liberlo und Wolly. Hoffentlich mussten sie nicht wirklich kämpfen, sonst wären sie kräftemäßig wahrscheinlich unterlegen, sollte Endynalos ihr Gegner sein. Zwar hätte sie Zamazenta dabei, doch ohne Zacian dürfte auch er Probleme bekommen. „In Ordnung.“ Delion ging ins Wohnzimmer zurück, um seine Pokémon allesamt – bis auf Pichu – in ihre Bälle zu befördern, was Raelene ihm gleichtat. Nur bat sie Feelinara noch darum, die Babys zu beaufsichtigen, bis sie wieder da wären – und sich am Essen zu bedienen, aber es nicht zu übertreiben. Glurak hatte sich unterdessen flugbereit in Position begeben und Delion saß bereits auf ihm, als Raelene zu ihnen eilte. „Wir müssen zur Einrichtung, zu Endynalos. So schnell wie möglich!“, bat sie, kaum dass auch sie ihren Platz auf Gluraks Rücken eingenommen hatte. „Du hast sie gehört, Partner. Los geht’s!“ Glurak erhob sich direkt in die Luft und stürmte los. Raelene klammerte sich an ihm fest und presste eine Hand auf die Kappe, weil sie immer noch befürchtete, dass sie mitten im Flug sonst verlorengehen könnte. Diesmal erreichte Glurak eine Geschwindigkeit, die es selbst für Delion notwendig machte, sich besser festzuhalten. Sicher spürte auch Glurak, dass etwas vorgefallen war, weswegen ihm viel daran lag, noch schneller als sonst zu fliegen. Die meiste Zeit über musste Raelene die Augen zusammenkneifen, so hoch war das Tempo. Im Moment mussten sie aber zügig vorankommen, deshalb war sie dankbar für diese Geschwindigkeit. Als es schließlich deutlich kälter wurde, spürte sie zumindest, dass sie nahe am Ziel waren. Durch den überstürzten Aufbruch hatte sie schon wieder keine Jacke dabei, aber dass sie fror war gerade absolut nebensächlich. Je näher man der Einrichtung kam, desto deutlicher waren schon von Weitem aufgeregte Stimmen zu hören. Im Schneegebiet gelang es Raelene nur mit Mühe, die Augen wieder zu öffnen, doch sie wollte schon mal einen ersten Blick auf die Lage werfen. Das Tor stand offen und eine Hand voll Leute floh panisch aus dem Gebäude. Kein gutes Zeichen. Glurak setzte zur Landung an und berührte noch nicht einmal richtig den Boden, da sprang Delion bereits ab. Diesmal bot er Raelene nicht die Hand an, weil er zu sehr damit beschäftigt war, einen der Fliehenden aufzuhalten. Das gelang ihm allerdings erst, als er den Arm einer Person ergriff. Raelene wartete, bis Glurak auf dem Boden stand, bevor sie ebenfalls absprang und zu Delion rannte. Zum Glück hatte er jemanden abfangen können. Hoffentlich erfuhren sie durch ihn, was hier los war. Offenbar war die Lage ziemlich ernst, wenn die Leute sogar aus der Einrichtung flohen. „Was ist hier passiert?!“, fragte Delion ernst. „Prä-Präsident!“, stotterte der Angestellte schreckhaft. „Was machen Sie-, ich meine, es tut uns so leid! Er ist einfach total durchgedreht! Also, nicht Endynalos, sondern Mula! Mula hat es zu weit getrieben!“ Delion runzelte die Stirn. „Mula?“ Dieser Name schien ihm nichts sagen, genau wie Raelene. Wer war dieser Mula? „Was hat er getan?“, erkundigte Delion sich weiter. „Und wo ist er jetzt?“ Der Angestellte stotterte wieder vor sich hin, aber diesmal verstand man kaum ein Wort. „Konzentriere dich“, forderte Raelene, aber mit ruhiger Stimme. „Wir sind da, um zu helfen. Aber dafür musst du uns erklären, was passiert ist.“ Nervös atmete der Mann ein und aus. Seine Hände zitterten heftig, als er sie etwas hob und mit ihnen über seinen weißen Kittel fuhr. Vermutlich eine Art Geste, mit der er sich selbst zu beruhigen versuchte. „O-Okay ... okay. Mula hat Gerüchte aufgeschnappt, dass die Methode, mit der wir Endynalos momentan unter Verschluss halten, bald abgeschafft werden soll. Es ist sogar von seiner Freilassung die Rede. Das hat Mula in Panik versetzt. Also bekam er die wahnwitzige Idee, die Energie, die wir mit Hilfe unserer Technik aus Endynalos selbst gewinnen, nicht direkt zu ihm zurückzuschicken, sondern anzusammeln, um ihn dann mit einem Schlag ... um ihn … also ...“ Es war Raelene, die den Satz schockiert beendete: „Etwa um ihn zu töten?!" „J-ja. Aber so viel Energie auf einmal zu lagern hält die Maschine nicht aus!“ Nun wurde der Angestellte wieder unruhig. „Uns könnte jede Minute alles um die Ohren fliegen! W-wir müssen hier schnell weg!“ Wie konnte dieser Mann, Mula, das nur tun? Selbst wenn Endynalos eine Gefahr war, gab es keinerlei Grund, ihn direkt zu töten. Das konnten sie nicht zulassen. Delions Blick verhärtete sich. „Okay, wir kümmern uns darum. Versucht einfach, diese Evakuierung ein wenig zu ordnen. Es bringt nichts, wenn ihr hier flieht, nur um euch dann in der Kälte zu verlaufen. Sag allen, dass wir an der Sache dran sind.“ Selbst wenn das gefährlich werden könnte, mussten sie etwas unternehmen. Hier ging es darum, Galar und Endynalos zu beschützen. Also würden sie keine andere Wahl haben als sich darum zu kümmern. Raelene unterstrich Delions Worte mit einem Nicken. „Sag uns nur noch, wo Mula jetzt gerade ist.“ „E-er müsste unten sein, bei Endynalos. Von da aus lässt sich alles steuern“, antwortete der Mann, immer noch zitternd. „G-geht da besser nicht rein!“ Die letzten Worte ignorierte Raelene bewusst. Sie mussten da rein! Vielleicht konnten sie das Schlimmste noch verhindern. Irgendwie. Mit einem knappen Nicken zu Delion rannte sie los, Richtung Tor, um das Gebäude zu betreten. Er schloss sich ihr direkt an, nachdem er Glurak zurück in den Ball geschickt hatten, und überließ es einigen der anderen Flüchtlinge, sich um den Angestellten zu kümmern. Aus dem Eingangsbereich der Einrichtung kam ihnen eine junge Frau entgegen, die mit den Armen wedelte und nach einigen Personen rief, die an Delion und Raelene vorbeirannten. „Verdammt, ihr Feiglinge! Kommt zurück! Wir brauchen Hilfe da unten! Professor Magnolica ist noch-, Oh! Präsident! Champ!“ Erleichtert eilte die Frau zu ihnen. „Dem Himmel sei Dank! Bitte helft uns!“ Hatte Raelene das vorhin richtig verstanden? Professor Magnolica war auch noch unten? Noch ein Grund mehr, warum sie etwas unternehmen mussten. Sie konnten die Professorin nicht einfach ihrem Schicksal überlassen. Beruhigend legte Delion eine Hand auf die Schulter der Frau und warf einen raschen Blick auf ihr Namensschild, das sie um den Hals trug. „Helen, gibt es einen schnelleren Weg nach unten als den Aufzug?“ Daran hatte Raelene noch gar nicht gedacht, aber selbst eine Treppe käme ihnen jetzt gelegen. Wenn die Technik im Rest des Gebäudes möglicherweise angefangen hatte zu spinnen, wäre es besser, nicht den Aufzug zu benutzen. Zu Raelenes Erleichterung nickte Helen sofort und schob ihren Kittel etwas zur Seite, um besser an ihre Hosentasche heranzukommen. Rasch holte sie einen Schlüssel hervor und reichte ihn Delion, vermutlich weil er derjenige war, der nach einem anderen Weg gefragt hatte. „Der Notfall-Schlüssel“, erklärte Helen. „Damit könnt ihr die Tür zur Brandschutztreppe nach unten öffnen! Weiter den Gang geradeaus und dann bei erster Gelegenheit rechts, sie ist ausgeschildert. Professor Magnolica und Mula haben angefangen mit ihren Pokémon gegeneinander zu kämpfen, als ich Hilfe holen ging, also beeilt euch bitte!“ „Okay, danke.“ Mutmachend klopfte Delion Helen auf die Schulter. „Konzentrieren Sie sich jetzt bitte auf die Evakuierung.“ Ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren, lief er anschließend weiter. Raelene blieb dicht hinter ihm. Professor Magnolica hatte gesagt, aufgrund ihres Alters wäre der Druck dort unten, wo sie Endynalos verschlossen hielten, zu groß für sie. Wenn sie nun sogar an diesem Ort kämpfte, musste das bedeuten, dass wirklich Not am Mann war, und dass diesem Mula zuzutrauen war, dass er Endynalos ernsthaft töten wollte. Sie mussten sich beeilen! Plötzlich blieb Delion aber dann stehen, bei der ersten Abzweigung, weshalb Raelene beinahe in ihn hinein gerannt wäre. Ratlos schnellte sein Blick hin und her. Ein leiser Fluch kam über seine Lippen – wie sehr er seinen schlechten Orientierungssinn in dieser Sekunde hassen musste. Raelene griff nach seiner Hand. „Hier lang!“ Zielsicher zog sie ihn nach rechts, wie Helen gesagt hatte. Er bedanke sich knapp bei ihr, hörbar erleichtert. Bestimmt käme auch Delion noch dazu, eine andere ihrer Schwächen durch seine Anwesenheit auszugleichen, weshalb Raelene wirklich froh war, doch nicht alleine hergekommen zu sein. Mit ihm zusammen fühlte sie sich viel stärker. Vor einer Tür mit einem leuchtenden Schild, das dazu diente, die Treppe als Fluchtweg zu markieren, blieb Raelene mit ihm stehen. Geschwind schloss Delion sie auf und sie liefen weiter. Immerhin hatten sie keine Zeit, um lange innezuhalten. Delion war vor ihr, übersprang sogar jeweils die letzten drei Stufen und nutzte den Schwung beim Zuwenden zur nächsten Treppe, so dass er ohne zu stocken weiterlaufen konnte. So schnell wie er gelang es Raelene nicht nach unten zu sprinten. Es war, als wäre er vollkommen auf die Stufen und sein Ziel konzentriert. Daher verlor sie ihn schnell aus den Augen. „Sei vorsichtig!“, rief Raelene ihm hinterher. Auch wenn sie beide gewohnt waren Risiken einzugehen, durften ihnen nichts passieren. Sonst könnten sie am Ende niemandem mehr helfen. Kapitel 19: Wie kommt man da rein?! ----------------------------------- Die Brandschutztreppe endete genau dort, wo bald ein gigantisches, geschichtliches Ereignis stattfinden sollte: In dem riesigen Raum mit der übergroßen Kapsel in der Mitte. Anders als in den vergangenen Monaten zuckten nun deutlich mehr violette und magentafarbene Blitze um das Drahtgeflecht, der Druck war ebenso höher als gewöhnlich. Ein lautes, mechanisches Brummen war zu hören und der Boden vibrierte ein wenig. Nahe der Pulte und Steuerungseinheiten befanden sich zwei Personen. Eine davon war Magnolica, die auf dem Boden kniete und nach Luft rang. Vor ihr lag ein bewusstloses Chillabell, das von einem Maritellit besiegt worden war. Das Marienkäfer-Pokémon schwebte gleichmäßig in der Luft, den Blick fest auf die Professorin fixiert. Die andere Person, Mula, war ein Mann mittleren Alters in einem weißen Kittel, der sich wieder der Technik zuwandte. Zwei lange, dicke Strähnen von seinem dunkelroten Haar rahmten sein schmales Gesicht ein, während es hinten sehr kurz geschnitten war. Durch eine schwarze Sonnenbrille mit kleinen, runden Gläsern starrte er wie besessen auf den unscheinbar wirkenden Pokéball, in dem Endynalos eingesperrt war. Dadurch bemerkte man nicht, wie seine hellgrünen Augen förmlich Gift versprühten, doch der Wahnsinn schwang auch in seiner Stimme mit, als er zu sprechen anfing. „Bleiben Sie einfach ganz ruhig, Professor!“, forderte Mula angespannt, seine schmalen Lippen zu einem süffisanten Lächeln verzogen. „Glauben Sie mir, ich will Sie nicht erst verletzen müssen, aber das hier ... jemand muss die Sache endlich beenden! Ein für alle Mal!“ Verzweifelt versuchte die Professorin ihm gut zuzureden, bekam jedoch kaum ein anständiges Wort heraus, weil der Druck ihr zusetzte. Über ihr Leid konnte Mula nur trocken kichern. Siegessicher strich er mit Daumen und Zeigefinger über den feinen Bartansatz an seinem Kinn, ohne den Blick von Endynalos abzuwenden. Nur noch ein bisschen, dann könnte er diesem grässlichen Monstrum, das einst aus dem All gekommen war, den Rest geben. Mula war absolut überzeugt davon, dass ihn nun niemand mehr aufhalten könnte. Wer sollte sich ihm noch in den Weg stellen? Hinter ihm kroch die Professorin auf dem Zahnfleisch und all seine Kollegen waren klug genug gewesen das Weite zu suchen. Selbst wenn er am Ende zusammen mit der Einrichtung in die Luft fliegen sollte, wäre es die Sache wert. Ganz Galar wird es ihm danken und ihm auf ewig huldigen, statt diesem lächerlichen Champ und dem tatenlosen Liga-Präsidenten. Amüsiert brach Mula in schallendes Gelächter aus. Plötzlich störte dann etwas sein persönliches Hochgefühl, nämlich das Geräusch eines Pokéballs, der schwungvoll geworfen wurde. Irritiert blickte Mula über seine Schulter. Wie aus dem Nichts flog der Pokéball geradewegs auf sein Maritellit zu und ein Katapultdra materialisierte sich auf der Hälfte der Strecke. Ohne jegliche Anweisung stürzten sich sofort zwei engagierte Grolldras auf Mulas Pokémon, das von diesem Überfall zu überrascht war, als dass es rechtzeitig reagieren konnte. Schlagartig wurde Mula blass, als er sah, wer sich gerade einmischte und seine Heldentat zu verhindern versuchte. Nervosität kroch schleichend in ihm hoch, wie eine gefräßige Made. „Scheiße, Delion?! Aber WIE?! Warum bist du-, egal, komm ja nicht näher!“ Tatsächlich blieb Delion in einiger Entfernung stehen, während die Grolldras kampfbereit Maritellit umkreisten und Katapultdra sich an die Seite von Professor Magnolica begab. Inzwischen war die Professorin zu geschwächt, um überhaupt richtig zu bemerken, was um sie herum geschah. Ausgerechnet an diesem einen Tag hatte der Präsident also beschlossen aktiv zu werden. Lästig. Wenigstens raubte der Druck Delion sichtlich den Atem, weshalb er sich darauf konzentrieren musste tief Luft zu holen. Mit etwas Glück kippte er um, bevor er wirklich zur Gefahr werden könnte. Für Mula war die Atmosphäre leichter zu ertragen, denn er war daran gewohnt. „Ich weiß, was du vorhast!“, stieß Delion ihm entgegen. „Und ich fordere dich nachdrücklich dazu auf, das zu lassen! Du hast kein Recht, Endynalos zu töten! Er ist ein Pokémon, das unseren Schutz verdient, nachdem er von Rose missbraucht worden ist.“ Mula zuckte zusammen, weil der Präsident ihm gegenüber so deutlich wurde, doch die Verzweiflung war größer. Würde er nun nachgeben, könnte Endynalos eines Tages wirklich befreit werden und Galar vernichten. Solche naiven Dummköpfe wie Delion oder Magnolica würden alle in den Untergang führen, gäbe Mula an dieser Stelle auf. Nein, er musste sich zur Wehr setzen! Das war seine Pflicht. Energisch reckte Mula das Kinn und machte sich bereit zu kämpfen.   ***   Raelene konnte Stimmen hören, also war auch sie nicht mehr weit vom Ende der Treppe entfernt. Der Druck setzte ihr ganz schön zu, aber sie riss sich zusammen und hielt schon mal Liberlos Pokéball bereit. Keuchend kam sie unten an, blieb jedoch außer Sichtweite und drückte sich neben der offenen Tür dicht an die Wand. „Du bist genauso wahnsinnig wie die Professorin!“, schrie jemand aufgebracht. „Begreift ihr überhaupt, was ihr da sagt?! Endynalos ist viel zu gefährlich! Entweder wird er uns selbst vernichten oder in die falschen Hände geraten! Wenn wir ihn nicht weiter schwächen, wird er ausbrechen! Vorher töte ich ihn!“ Diese Stimme kam ihr nicht bekannt vor, also musste es dieser Mula sein. Der Typ klang ziemlich aggressiv, weshalb es sicher nicht schaden konnte, wenn Raelene sich als Überraschungseffekt bereithielt. Man wusste nie, zu was solche Leute fähig sein konnten. Vorerst blieb sie daher versteckt und lauschte dem Gespräch der beiden. „Ich habe damals gegen Endynalos gekämpft!“, erwiderte Delion wütend. „Ich weiß wahrscheinlich besser als du, zu was Endynalos in der Lage ist.“ Delions Entschlossenheit, mit der er sich Mula entgegen stellte, obwohl er schlechte Erfahrungen mit Endynalos gemacht hatte, war überwältigend. Allerdings beunruhigte es Raelene, als es dann verdächtig still wurde. Vorsichtig lehnte sie sich zur Seite, so dass sie in den Raum hinein spähen konnte. Dort warf Delion gerade einen kurzen Blick zu Endynalos' Pokéball, ehe er wieder Mula ansah – der war ihr auf Anhieb äußerst unsympathisch. „Aber trotzdem ist es keine Lösung, ihn zu töten! Außerdem weißt du nicht einmal, ob du ihn töten kannst!“ Da sprach Delion einen wichtigen Punkt an. Wenn dieser Versuch schief ging, wäre Endynalos' Zorn sicher noch größer und das zurecht – er wäre nicht mehr aufzuhalten. „Tritt einfach vom Schaltpult zurück, dann wird niemandem etwas passieren!“ In Gedanken stimmte Raelene jedem einzelnen Wort zu, das Delion sagte. Sie hatte immer noch Angst vor Endynalos, aber sie wusste trotzdem, was richtig war. „Es hat keinen Sinn, mit einem von euch zu reden!“, blaffte Mula stur. „Selbst wenn ich uns alle zusammen mit Endynalos in die Luft jage, rette ich damit ganz Galar! Maritellit, Konfusstrahl!“ Während Maritellit den Befehl umgehend ausführte und versuchte die Grolldras sowie Katapuldra zu verwirren, zog Mula aus seinem Kittel weitere Pokébälle hervor. Vor ihm erschienen daraufhin wie ein Schutzschild Pantimos, Klikdiklak, Bronzong, Deponitox und ein Elezard. Ob die wirklich alle ihm gehörten? Inzwischen würde es Raelene nicht mal wundern, wenn es Leih-Pokémon wären, deren Aufgabe es eigentlich war bestimmte Arbeiten in der Einrichtung zu erledigen. Fair Play sah anders aus. Katapultdra und eines der Grolldras wurden tatsächlich verwirrt, das andere hatte es geschafft, sich in einen blinden Winkel zu begeben. Das kleine Grolldra schwebte zum Steuerpult hinüber und verschwand darin. Raelene hoffte, dass es wusste, was es tat. Davon schien Mula glücklicherweise nichts mitbekommen zu haben, darum lenkte Delion ihn damit ab, dass er nun selbst weitere Pokémon auf das Schlachtfeld rief: Maxax, Intelleon, Durengard und auch Glurak. Durengards Aufgabe sollte hauptsächlich darin bestehen, Professor Magnolica mit seinem Schild zu schützen, wie Delion ihn direkt anwies. Die anderen sollten sich auf die feindlichen Pokémon konzentrieren. So wie Katapultdra, der sich direkt von seiner Verwirrung erholte und Phantomkraft einsetzte. Er verschwand in einem violetten Nebel, nur um direkt wieder hinter Maritellit aufzutauchen und ihm einen heftigen Schlag zu versetzen. Dann kehrte er sofort an seinen Ausgangspunkt zurück. „Das ging schnell ...“, bemerkte Raelene. „Hatte Katapultdra etwa ein Energiekraut?“ Natürlich, warum sollte Delion nicht Gebrauch von nützlichen Items machen? Hierbei hatte ihm das jedenfalls eindeutig geholfen. Maritellit traf der Schlag von Phantomkraft derart effektiv, dass es direkt besiegt zu Boden stürzte. Im Augenwinkel bemerkte Raelene, dass Magnolica sich schwach bei Durengard bedankte. Die Ärmste war wirklich am Limit. Eine hastige Bewegung von Mula lenkte ihre Aufmerksamkeit zurück zu ihm. Er hatte eine Art Handy hervorgezogen und tippte kurz fluchend darauf herum. „Verdammt nochmal!“, brüllte Mula, wie ein Wahnsinniger. „MISCH! DICH! NICHT! EIN!“ Eine leises Geräusch über ihr, ganz in der Nähe, sorgte dafür, dass Raelene den Kopf hob. Als sie sich noch ein Stück mehr in den Raum hinein lehnte, entdeckte sie, wie nahezu versteckt aus einer unscheinbaren Öffnung an der Decke langsam etwas hervorkam, das wie eine moderne Schusswaffe aussah. Und offenbar zielte ihr Lauf auf Delion, von ihm unbemerkt, weil es in seinem toten Winkel lag. Nicht im Ernst?! Sofort sprang Raelene gänzlich in den Raum hinein und warf Liberlos Pokéball nach oben, der mit einem gezielten Tritt im Flug die Waffe zerstörte. Nur flüchtig bemerkte sie dabei, dass es noch mehr davon gab. „Schusswaffen, an der Decke!“, warnte sie. „Passt auf!“ Delion sah sofort nach oben und entdeckte die Waffen ebenfalls. „Glurak!“ Sein Partner erhob sich in die Luft, um mit seinem Feueratem die Schusswaffen zu zerstören, die er spontan sehen konnte. Allerdings war Delion anscheinend unsicher, ob wirklich alle erwischt wurden. Deswegen bewegte er sich bereits vorwärts, um einer möglichen Schussbahn zu entkommen. Gleichzeitig stürzten sich seine Pokémon auf Pantimos, Klikdiklak, Bronzong, Deponitox und Elezard. Ohne Durengard, Glurak und ein sechstes Pokémon waren sie zwar im Nachteil, aber es ging sicher nur darum, Mula abzulenken. Was auch immer der Typ tat, er durfte nicht den Mechanismus aktivieren, der Endynalos töten könnte. Darauf galt es sich zu konzentrieren. Raelene sah zur Kapsel. Endynalos' Pokéball vibrierte stark, das Chaos, das in dessen Inneren tobte, da er nicht mehr ruhiggestellt wurde, musste geradezu unkontrollierbar geworden sein. Aber dafür hatten sie keine Zeit. Ihr Ziel war und blieb vorerst Mula. Nur wenn sie ihn aufhielten, könnte sie noch etwas retten. Ein Schuss knallte und traf direkt neben Delion auf dem Boden auf. Davon ließ er sich aber nicht ablenken. Der nächste Schuss war da schon effektiver und traf sein Ziel. Zähneknirschend sah Delion hinab und musste feststellen, dass sein rechter Arm blutete. Erschrocken stockte Raelene der Atem. „Delion!“ Das Adrenalin schien ihm zu helfen, die Wunde erst einmal zu ignorieren, denn er lief einfach weiter, obwohl auch der Druck inzwischen noch größer geworden war. Lange könnten sie das nicht ertragen, das wusste sicher auch Delion. Raelene schluckte ihre Sorge schweren Herzens runter und beschloss, sich an ihm ein Beispiel zu nehmen. Konzentriert bleiben! Sie überließ es weiterhin Glurak, sich um die restlichen Schusswaffen zu kümmern, da er dank seinen Flügeln besser an sie herankam. Stattdessen befahl sie Liberlo Delions Pokémon im Kampf zu unterstützen. Anschließend stürmte Raelene selbst auf Mula zu, der fassungslos den Kopf schüttelte. „D-der Champ auch noch?! Woher wusstet ihr-“ Mitten im Satz schnitt sie ihm das Wort ab und hielt im Sprint einen Pokéball nach oben. „Zamazenta! Schon mal ein legendäres Pokémon aus nächster Nähe kennengelernt?!“ „Warte! Wag es ja nicht!“ Mulas Stimme klang heiser. „Bleibt stehen! ALLE BEIDE!“ Zwar bremste Raelene wirklich ab, warf den Ball jedoch mit so viel Kraft wie möglich in Mulas Richtung. Rötliches Licht strömte hervor und kurz darauf stand vor ihm ... Wolly, die ihn fröhlich anblökte. „Woll~!“ Den kurzen Moment der Verwirrung, in dem Mula tatenlos zurückstarrte, nutzte Raelene zu ihrem Vorteil: „Tackle ihn!“ Wolly hüpfte kräftig gegen ihn, was dazu führte, dass er sein Handy verlor und es geradewegs zu Boden fiel, wo es anschließend noch ein Stück weiter von ihm weg rutschte. Wenigstens könnte Mula nun keine weiteren Waffen mehr kontrollieren. Hoffentlich. „Gut gemacht!“, lobte Delion Wolly und Raelene. Glurak spie derweil weiterhin Feuer. Wie viele Schusswaffen gab es hier eigentlich? Bei den kämpfenden Pokémon angekommen, musste Delion abbremsen und darauf achten, nicht zwischen die Fronten zu geraten. Er dürfte in diesem Moment noch nie so glücklich über sein persönliches Training gewesen sein, als er sich einmal unerwartet ducken musste, um einem querschlagenden Angriff zu entgehen, nur um ihm nächsten Augenblick schon auszuweichen und so eine weitere Attacke an sich vorüberziehen zu lassen. Inzwischen war Mula endlich in seiner Reichweite. Wenn er ihn nur erwischte und festhielt, ihn von diesem Steuerpult wegbrachte, konnte das alles noch enden, bevor es zu schlimm wurde. Er streckte den linken Arm nach Mula aus, dieser fuhr panisch herum und stieß mehrere Flüche aus. Für den Fall, dass der Typ nochmal irgendein Ass aus dem Ärmel ziehen könnte, gab Raelene ihrem Pokémon rasch einen weiteren Befehl: „Wolly, Heuler!“ Sie selbst war bereits auch wieder in Bewegung, um sich das Handy zu schnappen und es Magnolica zu geben. Auch wenn die Professorin in einer schlechten Verfassung war, wüsste sie vielleicht, wie man die Verteidigungsanlagen wieder komplett deaktivierte. Wolly befolgte unterdessen artig ihren Befehl und stieß ein lautes Heulen Richtung Mula aus. Es übertönte den Lärm der Maschine über Endynalos' Pokéball kaum, sorgte aber trotzdem dafür, dass Mula zumindest kurz schwindelig wurde. Und die paar Sekunden genügten vielleicht, damit Delion ihn zu fassen bekam. Und tatsächlich: Delion erreichte Mula und ergriff ihn am Arm. „Ich sagte doch, du kommst damit nicht durch“, sagte Delion, während er Mula so fest wie möglich hielt, damit er sich nicht einfach losreißen könnte. Nun war Raelene diejenige, die ihr Lob aussprach, zutiefst erleichtert: „Sehr gut!“ Unterdessen war es ihr gelungen, das Handy einzusammeln und es Magnolica zu bringen. Die Professorin verstand ohne ein einziges Wort, was sie tun sollte. Sie zitterte vor Erschöpfung und durch den Druck so sehr, dass Raelene sie festhalten musste, doch es gelang ihnen die verdammten Schusswaffen endlich abzuschalten. Danach sackte Magnolica aber in Raelenes Armen zusammen und verlor das Bewusstsein. Am Rande bekam sie mit, wie sehr Mula tobte und versuchte, sich aus Delions Griff zu befreien. „Nein, nein, nein! Lass mich los! Verdammt, ihr macht einen Fehler!“ Verzweifelt versuchte er, seinen Pokémon Befehle zu erteilen, doch sie waren so beschäftigt mit den Kämpfen gegen Delions Team und Liberlo, dass keines von ihnen reagierte. „Ha, na schön!“ Offenbar gab Mula sich geschlagen, lachte aber siegessicher. „Es wird trotzdem immer noch Energie von Endynalos abgezapft! Nicht mehr lange und uns fliegt hier alles um die Ohren! Und ihr Idioten habt keine Ahnung, wie man das abschaltet! Ich werde als Held sterben!!!“ Kaum hatte er das allerdings gesagt – und Raelene sich bereits gefragt, was sie nun tun sollten – fing das Schaltpult neben ihnen an zu rauchen und ein paar Funken zu sprühen. Im selben Moment glaubte sie, dass das Vibrieren der Maschine und auch des Pokéballs nachließ. Die Funken rund um das Drahtgeflecht erloschen. Grolldra tauchte mit einem unschuldigen Blick aus dem Inneren des Geräts auf. Beruhigt atmete Raelene auf. Was auch immer es darin getan hatte, möglicherweise hatte es geholfen. Doch anscheinend hatte sie sich zu früh gefreut, denn plötzlich erwachten neue, noch hellere Funken um das Drahtgeflecht, was Raelene zusammenzucken ließ. Erschrockenen stieß Grolldra einen Ruf aus und versteckte sich hinter Delion, der die Kapsel nur irritiert anstarren konnte. Wenn die Maschine, mit der Endynalos im Pokéball gehalten wurde, nun wahrscheinlich zerstört war … Magnolica muss hier raus. Schnell! Raelene rief Wolly zu sich und befahl ihr Watteschild einzusetzen. Dadurch verdoppelte sich die Menge an Wolle, aus der sie bestand, und war somit groß genug, dass Raelene die Professorin vorsichtig auf sie legen konnte. Da Magnolica kaum etwas wog, gelang ihr das ohne Probleme. „Bitte, bringt sie sicher nach draußen“, bat sie Wolly und Durengard. Zusammen waren sie ein gutes Team und bekämen das schon hin. Hoffentlich war draußen noch jemand von den Angestellten, der Magnolica direkt ärztlich versorgen könnte. Durengard stimmte zu, die Professorin weiter zu beschützen und flog bereits voraus, um Wolly den Weg zu weisen und sicherzugehen, dass ihnen nichts schaden könnte. Bevor Wolly ihm aber folgen konnte, legte Raelene auch noch das Chillabell behutsam in die Wolle, damit es ebenfalls sicher wäre. Danach lief ihr Pokémon zuversichtlich davon. Aber was nun? Eilig lief Raelene zu Delion, der immer noch Mula festhielt, und starrte zu der Kapsel hinauf. Mit Technik kannte sie sich nicht aus. Ausgeschlossen, dass sie das Panzerglas zerstören könnten. Irgendwie war sie mit der Situation gerade ziemlich ... überfordert. Sie schluckte schwer. Was sollten sie nur tun? Bisher hatte sie Zamazenta bewusst im Pokéball gelassen, um Endynalos nicht unnötig zu reizen. Im Notfall müsste sie aber auf ihn zurückgreifen, auch wenn es ohne Zacian wahrscheinlich schwer werden würde. Aber sie sollte nicht zu weit denken. Delion hob den Kopf und winkte Glurak zu sich. Sein Partner folgte dieser Aufforderung sofort und als Glurak dann neben ihm stand, reichte er Mula an ihn weiter. „Halt ihn bitte fest und pass auf, dass er nichts anstellt.“ Glurak nickte, dann legte er seine Vorderkrallen auf Mulas Schultern. Nach einem Wort des Dankes wandte Delion sich anschließend ab und einer der Leitern zu, die auf die Plattformen hinaufführten, die die Kapsel umgaben. Es kostete ihn ein wenig Anstrengung, hinaufzuklettern, da sein Arm bei dieser Belastung noch mehr zu schmerzen schien. Aber er biss die Zähne zusammen. Auf der Plattform war die Luft und der Druck offensichtlich wesentlich größer als unten da es Delion nicht einmal schaffte sich vollständig aufzurichten. Darum ging er vornübergebeugt näher an das Panzerglas heran. Das Drahtgeflecht im Inneren sprühte immer noch Funken, sogar der Pokéball schien inzwischen zu glühen. Wenigstens war Mula still, seit Glurak ihn festhielt. Gut so. Anscheinend wusste er, ab wann man besser die Klappe zu halten hatte. Wie es aussah hatten auch Liberlo und Delions Team fast gewonnen. „Er wird rauskommen“, hauchte Mula schließlich nervös – also hielt er leider doch nicht die Klappe. „Wir sind so gut wie tot.“ „Wie kommt man da rein?!“, fragte Raelene ihn, wobei sie auf die Kapsel deutete. „Was?! Wozu willst du das wissen?!“ Delion näherte sich in der Zwischenzeit weiter der Kapsel und legte eine Hand auf das Panzerglas. Schmerz spiegelte sich in seinem Gesicht wider, doch etwas sagte Raelene, dass es nicht an seiner Schusswunde lag. Ihm musste ein furchtbarer Gedanke durch den Kopf gehen, den sie lieber nicht hören wollte. „Wir müssen ihn da rausholen!“, rief Delion dann in Richtung von Raelene und Mula, um dessen Frage zu beantworten. Mula lachte falsch. „Ihr seid total verrückt! Aber bitte, unsere einzige Chance, ihn zu töten, ist dahin ... und ich fürchte unser lieber Selbstmord-Präsident-“ Ein lautes Klatschen erfüllte den Raum und hallte von den Wänden wider. Der Schreck und die Fassungslosigkeit stand Mula ins Gesicht geschrieben, der soeben von Raelene eine kräftige Ohrfeige verpasst bekommen hatte. Sie hatte gehandelt, bevor sie darüber nachdenken konnte. Nicht nur, dass wegen Mula Delion angeschossen worden war, er hatte Magnolicas Gesundheit und die all seiner Kollegen gefährdet. Und er hatte Endynalos töten wollen. Wütend starrte sie ihn an. „Kurz, knapp und ohne Beleidigungen: Wie kommen wir da rein?“, wiederholte Raelene. Missbilligend verzog Mula das Gesicht. „Es gibt eine Sicherheitstür, hier unten auf der anderen Seite der Kapsel. Dafür braucht man aber den Master-Key, den man nur benutzen kann, wenn die Tür mit Strom versorgt wird. Die Vorrichtung dafür befindet sich oben.“ Während Delion direkt anfing auf seiner Ebene zu suchen, kontrollierte auch Raelene ohne zu zögern die Taschen von Mulas Kittel und wurde schnell fündig, was dieser mit einem genervten Schnauben hinnahm. Diesen Schlüssel hatte er garantiert selbst geklaut, aber egal. Ein mechanisches Geräusch ertöne und die Luft schien sich kurzzeitig elektrisch aufzuladen. Von der Plattform aus winkte Delion ihr zu, der erklärte, dass er einige Hebel gefunden und umgelegt hatte. Falls er damit den Strom zu dieser Sicherheitstür geleitet hatte, müsste man sie nun öffnen können. Inzwischen hatte der Druck Delion regelrecht auf den Boden gedrückt. Raelene nickte ihm zu. „Ich geh rein und hol den Pokéball da raus! Komm du lieber wieder runter!“ „Okay! Aber sei vorsichtig! Besorgt sah Raelene Delion an. Je schneller sie sich um Endynalos kümmerte, desto eher könnte sie auch ihn verarzten. Zumindest notdürftig. Also los! Allerdings war der Druck auch an ihr nicht spurlos vorbeigegangen, weswegen sie keine Kraft mehr hatte, um zu rennen. Deshalb kam wohl Liberlo plötzlich zur ihr geeilt, der sie ungefragt Huckepack nahm und zum Ziel tragen wollte – also mussten sie den Kampf gegen die anderen gewonnen haben. Anscheinend kamen Pokémon besser mit dem Druck zurecht als Menschen. Als sie an der Sicherheitstür angekommen waren, bedankte Raelene sich bei Liberlo und betrachtete das Hindernis. Es sah aus wie eine kleinere Version einer Schleuse mit weitaus mehr filigraner Technik, aus der das Ganze bestand. Trotzdem machte die Tür einen schweren und massiven Eindruck. Mit dem Master Key entriegelte Raelene eine Art Sicherungskasten neben der Tür, hinter dem sich ein weiterer Hebel verbarg. Mühevoll drückte sie diesen nach unten, woraufhin sich die Technik in Bewegung setzte. Als die Schleuse sich öffnete, kam Raelene eine unerwartet heftige Druckwelle entgegen, die sie regelrecht von den Füßen riss. Liberlo schlang geistesgegenwärtig die Arme um sie und hielt sie schützend fest. Aus Reflex entglitt Raelene ein Schrei. Ihre Haut kribbelte unangenehm, als hätte Dedenne sie aus Versehen mit einem Donnerschock, nein, vielmehr einem Donnerblitz getroffen. Durch die Druckwelle wurden sie quer durch den Raum geschleudert und knallten schließlich heftig gegen eine Wand. Sogar Raelene blieb aufgrund der Wucht kurz die Luft weg, obwohl Liberlos Körper den Zusammenstoß für sie abfederte. Elektrische Energie verteilte sich überall im Raum, der Druck schien etwas nachzulassen. Raelene schnappte nach Luft und rappelte sich auf. „Liberlo!“ Panik lag in ihrer Stimme. Ihr Partner war bewusstlos und atmete nur noch schwach. Schnell half sie ihm in eine aufrechte Position und rief immer wieder verzweifelt seinem Namen. Deshalb bekam sie nicht mit, wie Mula schadenfroh schmunzelte, als der ihre Schreie vernahm. „Selbst schuld, geschieht dir recht.“ Glurak brummte und bohrte seine Krallen warnend in Mulas Schultern. Nicht zu tief, aber doch schon genug, dass es ein wenig Druck erzeugte. Auch davon bekam Raelene aber nichts mit. Irgendwann war Delion auf einmal bei ihr und kniete sich neben sie. Er betrachtete Liberlo ebenfalls besorgt. Raelene standen die Tränen in den Augen. Zum einen vor Schock und zum anderen aus Sorge. Bei der Härte, mit der Liberlo gegen die Wand gekracht war, hatte er sich bestimmt etwas gebrochen. Ihre Gedanken drohten in noch weitaus schlimmere Szenarien abzudriften, doch Delions Stimme half ihr dabei in der Realität zu bleiben. „Du musst ihn in den Pokéball zurückschicken“, sagte er ruhig. „Dort ist er erst einmal sicher.“ „J-ja ... du hast recht.“ Sie musste sich zusammenreißen. Liberlo hatte sie beschützt, das durfte nicht umsonst gewesen sein. Rasch zog sie seinen Pokéball hervor und rief ihn zurück. „Danke, Liberlo“, flüsterte sie dem Ball zu, ehe sie ihn wieder sicher in ihren Taschen verstaute. Hatte so etwas wie ein Druckausgleich stattgefunden, beim Öffnen der Sicherheitstür? Wieder mal kannte sie sich nicht damit aus, aber das Atmen erschien tatsächlich leichter als vorher. Endynalos' Energie kribbelte immer noch auf ihrer Haut. „D-du musst etwas dagegen drücken“, stammelte Raelene, als sie Delions Schussverletzung aus der Nähe sah. „Die Blutung ...“ Das Blut tropfte bereits von seinem Arm herab, aber er kümmerte sich nicht wirklich darum und winkte sogar ab. „Das ist nicht so wild. Ich schau mir das sofort an, wenn das hier vorbei ist. Aber erst einmal müssen wir Endynalos helfen.“ In einer solchen Situation wollte er scheinbar keine Rücksicht auf sich selbst nehmen, weil ganz Galar auf der Kippe stand. Ihr vor Sorge verzerrtes, trauriges Gesicht sorgte dennoch dafür, dass er kurzentschlossen ein Stück Stoff von dem Jackett abriss, das er noch von der Arbeit trug, und es sich notdürftig um die Verletzung band. Das dürfte vorläufig zumindest halten und beruhigte sie ein wenig. Delion lächelte ihr schwach zu. „Wenn du willst, kannst du hier warten.“ Sacht schüttelte Raelene den Kopf und atmete tief durch, um sich zu sammeln. „Gehen wir zusammen.“ Bevor er überhaupt antworten konnte, stand sie bereits auf und bemerkte dabei, wie weich sich ihre Beine anfühlten. Aber sie wollte genauso stark sein wie Delion. „Wenn er erst mal aus der Kapsel raus ist, beruhigt er sich vielleicht etwas.“ Und falls nicht, müssten sie ihn tatsächlich an Ort und Stelle befreien. Hoffentlich hörte er ihnen dann zu. „Okay. Versuchen wir es“, sagte Delion, der auch wieder aufstand. „Gehen wir.“ Behutsam nahm er ihre Hand. Die Berührung gab Raelene genug Kraft, um mit ihm zusammen zu der Tür zurückzugehen, die nun offen stand – und wo Endynalos bereits auf sie wartete. Kapitel 20: Bitte, helfen Sie ihm! ---------------------------------- Gemeinsam betraten sie die Kapsel, die von innen viel kleiner wirkte. Sofort bekam Raelene dadurch ein beklemmendes Gefühl. Ihr war so, als hätte die Einsamkeit und Verzweiflung von Endynalos die Atmosphäre aufgeladen, was erklären würde, warum noch immer seine Energie in Form von feinen Blitzen durch den Raum zuckte. Davon ließen sie sich aber nicht abschrecken. Der Pokéball von Endynalos lag nach wie vor auf einem Sockel, auf den Delion und Raelene zusteuerten. Er glühte, wie ein kleiner, frisch gefallener Komet. Unheilvoll flackerten die Scheinwerfer über ihnen unregelmäßig, von denen diese Szenerie erhellt wurde. Das Licht blendete unangenehm und fühlte sich insgesamt ganz anders an als in einem Stadion. Verwundern sollte Raelene das nicht, schließlich dienten diese Scheinwerfer nicht dazu, atemberaubende Kämpfe auszuleuchten. Auch wenn ihr gerade wieder durch den Kopf schoss, dass Endynalos zu ihr gesagt hatte, er würde sie vernichten, versuchte sie langsam nach dem Ball zu greifen. Einer der Blitze bohrte sich aber plötzlich gezielt in ihre Hand und verursachte einen stechenden Schmerz, der sie zurückweichen ließ. Besorgt sah Delion sie an, doch Raelene versicherte ihm, dass es nicht allzu schlimm sei. Dennoch war er erst beruhigt, nachdem er ihre Hand überprüft hatte und keine sichtbaren Verletzungen finden konnte. Dummerweise kam ihr durch diese Reaktion von Endynalos aber dieser Alptraum wieder in den Sinn, wodurch sie jeglichen Mut verlor. Wäre er nicht so geschwächt, hätte er Raelene dann vorhin richtig verletzt? Die Vorstellung jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Es geht nicht ... er spürt bestimmt, dass ich Angst habe. Hilfesuchend konnte sie nur Delion anschauen, mit der Bitte, dass er es versuchen sollte. Bestimmt hätte er mehr Erfolg als sie. Jedenfalls blieb ihnen nur, das zu hoffen. Zumindest Raelene konnte den Pokéball nicht mal anfassen. Allerdings kam aufgeben nicht in Frage! Sicher dachte auch Delion so, immerhin nickte er ihr entschlossen zu. Kaum fixierte er seinen Blick anschließend auf den Pokéball, wirkte er aber doch etwas nervös. Verständlich. Wahrscheinlich erinnerte er sich an seine erste Begegnung mit Endynalos, an dessen unbändige Macht. Wie Delion sich nach seiner Niederlage damals gefühlt haben musste, wollte Raelene sich nicht mal vorstellen. An seiner Stelle hätte sie das schwer getroffen. Und doch war da auch dieser Funke der Entschlossenheit in Delion, seine Prinzipien, die es nicht zulassen konnten, dass ein Pokémon leiden musste, wenn es sich vermeiden ließ – und nun war die beste Möglichkeit dafür, Endynalos endlich von seiner Qual zu befreien. Weggelaufen waren sie lange genug. Delion hob die Hand Richtung Pokéball, zögerte noch einmal und atmete tief durch. Raelene dagegen hielt den Atem an und schickte einige Stoßgebete an Arceus. Wenn Endynalos sich keinem von ihnen anvertraute, könnten sie ihm nicht helfen. Schließlich nahm Delion all sein Selbstbewusstsein zusammen und berührte den Pokéball, gleichzeitig ergriff Raelene wieder seine freie Hand. Kein Blitz durchzuckte die von Delion. Es war sicher noch zu früh, doch sie atmete erleichtert auf. Angespannt blickte Raelene nach oben, zu dem Verteiler. Der Maschine, aus der dieses Drahtgeflecht hervorkam. Anscheinend war es nicht mehr richtig mit dem Pokéball verbunden, seit Grolldra die Maschine zerstört hatte. Behutsam half sie Delion dabei, den Ball von den restlichen Endstücken der Drähte zu befreien, damit nicht noch mehr Schäden entstanden. Dafür war ein wenig Geschick und Geduld nötig, aber es gelang ihnen. Kurz darauf konnte Delion Endynalos an sich nehmen. Vorsichtshalber trat Delion von dem Sockel zurück, bevor er den Pokéball genauer betrachtete. Feine Löcher in der Oberfläche verrieten, dass sich die Drähte zuvor wirklich hineingebohrt haben mussten. Das ist echt eine grausame Methode … Im Inneren des Balls rumorte eine eigenartige Energie, die sogar Raelene wahrnehmen konnte. Aber noch versuchte sie nicht einfach auszubrechen. Nun mussten sie unbedingt hier weg, gemeinsam mit Endynalos. „Ich glaube, in dem Ding da oben ist jetzt noch ein Teil von Endynalos' Energie gespeichert“, vermutete Raelene. Die Blitze ließen nämlich auch jetzt nicht nach. „Wir sollten zusehen, dass wir alle hier rauskommen.“ Um dieses Problem würden sich wohl oder übel Wissenschaftler kümmern müssen, aber nach so einem Vorfall ... nun, eines nach dem anderen. „Dann lass uns die Pokémon holen.“ Delion schnaubte verächtlich. „Und Mula, aber nur, weil wir keine Unmenschen sind.“ Entschuldigend ließ er Raelenes Hand los und befestigte sorgsam den Pokéball an seinem Gürtel, um ihn nicht die ganze Zeit festhalten zu müssen. Dafür hatte sie Verständnis und wartete, bis er fertig war, ehe sie das Tempo vorgab und die Kapsel wieder verließ. Der Kampf mit den anderen Pokémon war inzwischen tatsächlich vorbei, alle lagen besiegt auf dem Boden, bis auf die von Delion und Raelene. Natürlich waren sie erschöpft, doch sie hatten sich gut geschlagen. Es tat ihr leid, dass diese Pokémon für jemanden wie Mula arbeiten mussten. Am besten riefen sie, neben ihren eigenen Teams, auch die anderen schnell alle in ihre Pokébälle zurück und brachten sie zurück nach oben. Dort müssten zunächst dringend ein paar Anrufe erledigt werden, falls das nicht schon die flüchtenden Angestellten erledigt hatten. „Glück muss man wohl haben“, murrte Mula, als sie wieder in seiner Nähe waren. „Anscheinend ist Endynalos gerade noch zu schwach, weil ich ihm eine Menge Energie abgesaugt habe. Spätestens wenn er sich erholt hat, werdet ihr die ersten sein, die er tötet. Ihr könntet immer noch zu Verstand kommen und seinen Pokéball zertrümmern!“ „Sei endlich still!“, herrschte Delion ihn an. Sogar Raelene zuckte kurz zusammen, als er derart die Stimme erhob – dabei hätte sie Mula selbst zu gerne nochmal eine reingehauen, aber das war er am Ende einfach nicht wert. Im Moment konnte Delion seine Freundlichkeit wohl nicht mehr aufrechterhalten, was nachvollziehbar war. Garantiert würde er persönlich dafür sorgen, dass Mula wegen seiner eigenmächtigen Handlungen und der Gefährdung Galars erst einmal für eine Weile ins Gefängnis käme. Davor mussten sie hier raus. Delion rief seine Pokémon zurück, außer Katapuldra. Da er auch Glurak aufgrund seiner Größe in den Ball schickte, benötigte er jemand anderen, der Mula stattdessen festhielt. Dem ging Katapuldra direkt nach, indem es seinen geisterhaften Körper um ihn schlang und ihn somit fesselte. So konnte Raelene sich Mula unbesorgt nähern, weil sie die Bälle der Leih-Pokémon benötigte, die er gerufen hatte. Mula sagte keinen Ton mehr. Kein Wunder, ein wütender Delion konnte ziemlich beängstigend sein. Als Raelene ebenfalls alle Pokémon eingesammelt und sich vergewissert hatte, dass sonst niemand mehr an diesem Ort war, nickte sie Delion und Katapuldra zu. Zeit, wieder an die frische Luft zu kommen. Außerdem musste sie wirklich dringend mit Liberlo zu einem Pokémon-Center. Bei dem Gedanken an ihn biss sie die Zähne zusammen, weil sie besorgt war. Nur noch ein bisschen durchhalten und stark bleiben. „Geh mit ihm voraus“, bat Delion Katapuldra, „ich behalte ihn lieber im Auge.“ Eigentlich dürften Mula sämtliche Optionen ausgegangen sein, doch man konnte nie vorsichtig genug sein. Katapuldra gab ein zustimmendes Schnurren von sich und zog den Gefangenen mit sich in Richtung der Treppe – verdammt, sie mussten die ganzen Stufen auch wieder nach oben laufen. Raelenes Magen drehte sich um, als ihr das bewusst wurde. Augen zu und durch, auch wenn ihre Beine kaum noch Kraft hatten. Einfach nur daran denken, oben anzukommen. Etwa auf der Hälfte des Weges knickte Raelene plötzlich zusammen, hielt sich jedoch gerade noch rechtzeitig an den Wänden fest, um nicht nach hinten zu kippen. Nein, nein, nein. Komm schon, reiß dich zusammen! Von allen hatte sie den wenigsten Schaden davongetragen, abgesehen von dem Druck vielleicht. Wie konnte sie also diejenige sein, die nun zusammenzubrechen drohte? Delion hatte innegehalten, als er bemerkte, dass Raelene nicht mehr weiterlaufen konnte. „Rae!“ Hastig sprang er einige Stufen zurück nach unten, bis er neben ihr stand. „Du kannst nicht mehr laufen“, sagte er, wobei er ihr sanft über den Rücken strich. „Lass mich dich tragen.“ Aber du bist verletzt! Geh vor, ich brauche nur eine kurze Pause. Es tut mir leid, dass ich so schwach bin. All das wollte Raelene ihm erwidern, brachte aber nichts davon über die Lippen. Je länger sie an dieser Stelle diskutieren würden, desto schlimmer könnte es für Liberlo werden. Und für Delion. Außerdem würde er ihr vermutlich sowieso nur widersprechen, weil er ein gutes Herz hatte. „Okay“, stimmte Raelene zu, etwas heiser. „Zum Glück ... hab ich noch nicht gegessen.“ Mit Fast Food im Magen wäre sie wahrscheinlich nicht wirklich schwerer, doch ihr fiel das alles etwas leichter, wenn sie einen blöden Witz machte. Das kam auch für Delion so unerwartet, dass er kurz lachen musste. Anschließend sah er auf seinen Arm hinunter. „Gut, wie eine Prinzessin kann ich dich leider nicht tragen, aber das holen wir irgendwann nach.“ Vor ihr ging Delion in die Knie. „So musst du dich nur ein wenig festhalten. Den Rest erledige ich.“ Dankend kletterte Raelene auf seinen Rücken, so vorsichtig wie möglich. Sich festzuhalten bekäme sie hin, dann müsste er wenigstens seinen Arm nicht belasten. Sie dankte außerdem den höheren Mächten dafür, dass Mula gerade weiterhin die Klappe hielt. Seine blöden Kommentare könnten sie nicht auch noch gebrauchen. „Alles klar, es kann weitergehen.“ Katapuldra hatte auf sie gewartet und setzte den Weg mit Mula zuerst wieder fort. Delion richtete sich auf und hielt für eine Sekunde inne, weshalb Raelene beinahe befürchtete, sie wäre doch zu schwer für ihn. Oder schlimmer, die Schusswunde setzte ihm zu. Wie sehr Raelene sich dafür verfluchte, so schwach zu sein. Noch dazu als Champ. Schließlich folgte Delion Katapuldra und seufzte lächelnd. „Wer hätte gedacht, dass wir heute so viel erleben?“ „Ich, aber nicht solche Sachen“, antwortete sie leise. Raelene hatte sich einen schönen Tag mit ihm machen wollen, aber vielleicht musste es alles so kommen. Endynalos hätte es nicht länger ausgehalten. Wer hätte denn ahnen können, dass unter den Angestellten so ein Verrückter war? Ob er Endynalos schon vor diesem Tag mit einer stärkeren Ansammlung von Energie gequält hatte, in der Hoffnung, es würde ihn umbringen? An so etwas sollte sie gar nicht denken ... „Dafür haben wir Endynalos befreit. Das ist zumindest eine gute Nachricht“, meinte Delion. Als nächstes müssten sie ihn nur davon überzeugen, friedlich zu werden. Vielleicht besaßen sie nun einige Pluspunkte bei Endynalos, weil er beobachten konnte, wie sie sogar ihre Leben und das ihrer Pokémon für ihn riskiert hatten. „Und alles wird wieder in Ordnung kommen“, fuhr er fort. „Davon bin ich überzeugt.“ Raelene lächelte. Wenn Delion das sagte, dann musste sie es ihm glauben. Und es stimmte, sie hatten an diesem Tag etwas Gutes vollbracht. „Danke“, flüsterte sie ihm liebevoll zu. „Du warst übrigens echt toll da unten.“ Seine Worte hatten sie tief beeindruckt, obwohl sie im Grunde die gleiche Meinung und Ansicht vertrat wie er. Doch die Energie, mit der Delion Mula gegenüber getreten war, konnte einen nur bewegen. „Du hast recht. Es wird ganz sicher alles wieder gut.“ Anscheinend freute Delion sich über ihr Lob, auch wenn er es nicht direkt zugab. Den restlichen Weg über schwiegen sie wieder, schon um Kräfte zu sparen. Als sie endlich oben ankamen, benötigte Delion nur erneut wen, der ihm zeigte wo der Ausgang lag. Zum Glück übernahm das diesmal Katapuldra, der wahrscheinlich dem Geruch von Wolly und Durengard folgte. So gesehen ein eindeutiger Vorteil für sie, dass Raelene die beiden zuerst hochgeschickt hatte. Auf die Art erreichten sie schließlich schon bald den Ausgang, durch den immer noch kalte Luft hereinströmte, die wirklich ein Segen war. Raelene hätte nie gedacht, dass sie sich einmal so sehr darüber freuen würde, in der Kälte zu frieren. Es war tausendmal angenehmer als der extreme Druck ganz unten oder das elektrisierende Gefühl durch den Druckausgleich. Kälte, Eis und Schnee kannte sie immerhin schon seit ihrer Kindheit. In der Nähe war bereits das vertraute „Woll~“ zu hören, was Raelene zusätzlich beruhigte. Natürlich hatte sie Vertrauen in Durengard, aber nach der Sache mit Liberlo war sie doch besorgt gewesen. „Präsident! Champ!“, rief eine Frau erleichtert. Es war Helen, jene Angestellte, die ihnen den Schlüssel für die Brandschutztreppe gegeben hatte. Sie kam ihnen das letzte Stück entgegen, um sie über den aktuellen Stand zu informieren: Alle hatten es sicher nach draußen geschafft und sich hier versammelt, nur eine kleine Gruppe aus vier Leuten konnten nicht davon abgehalten werden durch den Schnee zu stapfen und irrten nun wahrscheinlich irgendwo im Gebirge herum. Der Krarmor-Flugtaxi Service war informiert worden und auf dem Weg hierher, mit mehreren Kabinen. Raelene glaubte, die Flügelschläge der Pokémon schon hören zu können. „B-brauchen Sie sonst noch etwas?“, hakte Helen angespannt nach, zugleich jedoch auch überraschend gefasst – anscheinend hatte sie alles alleine organisiert und erledigt. Delion ließ Raelene vorsichtig wieder runter, damit sie zumindest wieder auf dem Boden stehen konnte, stützte sie aber weiterhin. Nun konnte sie sich Helen erstmals richtig anschauen. Ihre Haut war braun gebrannt und das dunkelblonde Haar zu einem großen Dutt hochgebunden, mehrere Strähnen hingen trotzdem noch bis zu ihren Schultern hinunter. Eine recht große, junge Frau mit warmen, rosafarbenen Augen. Erschöpft lächelte er Helen entgegen. „Danke für Ihre Arbeit. Das haben Sie gut gemacht.“ Katapuldra hielt Mula immer noch gefesselt und gab leise, zischende Laute von sich. Anscheinend mochte er diesen Typen auch nicht. Das wunderte Raelene überhaupt nicht. „Wie geht es Professor Magnolica?“, erkundigte Delion sich. Helen deutete zu Wolly. Diese trug Magnolica immer noch auf ihrer Wolle, umgeben von drei Angestellten, einer davon schien ein Arzt zu sein. „Anscheinend kritisch“, berichtete Helen betroffen. „Aber der Doktor sagt, wenn sie es mit ihr schnell ins Krankenhaus schaffen, können sie Professor Magnolica stabilisieren. Deshalb hab ich den Piloten am Telefon gedrängt sich zu beeilen.“ Also musste Magnolica unbedingt die erste Kabine nehmen, die hier landen würde. Inzwischen waren die Flügelschläge schon deutlicher zu hören und Raelene erkannte tatsächlich grob die Umrisse der ersten Krarmor am verschneiten Himmel. Delion nickte verstehend. „Okay, gut. Irgendjemand muss Mula vielleicht noch Fesseln anlegen oder ihn zumindest beaufsichtigen. Wir müssen nämlich dringend in ein Pokémon-Center.“ „Du musst ins Krankenhaus“, wandte Raelene ein. „Okay, okay“, beruhigte Delion sie. „Wir kriegen das hin.“ Seine Schusswunde musste verarztet werden, bevor es noch schlimmer wurde. Sie wollte sich ausgerechnet in dieser Lage nicht von ihm trennen und ihn am liebsten begleiten, ihm beistehen, aber er könnte hinterher nachkommen, falls die Ärzte es erlaubten. Oder sie käme so schnell wie möglich zu ihm, sobald Liberlo medizinisch versorgt war. Es war wirklich nicht einfach, wenn man bei zwei Verletzten gleichzeitig sein wollte ... „Machen Sie sich um Mula“, Helen warf ihm einen angewiderten Blick zu, „keine Sorgen. Einer von uns hat ein Bisasam. Wir werden ihn mit Rankenhieb fesseln und direkt bei der Polizei in Score City abliefern. Dort kommt er zumindest erst mal nicht mehr so leicht weg.“ Soweit Raelene wusste, befand sich die Hauptfiliale der Polizei in Score City, also war das wohl in der Tat passend. Plötzlich wurde Schnee aufgewirbelt, weil die ersten Krarmor mit ihren Kabinen zur Landung ansetzten. Der Arzt wies sofort einige Leute an, Magnolica vorsichtig umzulagern und als erste von hier wegzubringen. Nachdem sie Mula an ein paar andere Angestellte übergeben hatten, rief Delion Katapuldra und Durengard zurück. „Wenn Professor Magnolica umgelagert wurde, holst du Wolly, dann fliegen wir auf Glurak, da sind wir schneller unterwegs. Ist das okay für dich?“ Offenbar dachte er, sie wollte vielleicht in diesem Zustand nicht auf Glurak fliegen. Da aber immer noch Delion derjenige war, der dringend verarztet werden musste, stimmte sie zu. Außerdem wären sie auf Glurak schnell bei einem Pokémon-Center, wo man sich um Liberlo kümmern könnte. Und so nahmen sie auch keinen Platz in einer der Kabinen weg. Als Magnolica zusammen mit dem Arzt sicher in einem Taxi saß, bedankte Raelene sich bei Wolly und rief sie zurück in den Ball. Mula wurde tatsächlich von einem Bisasam gefesselt und in eine andere Kabine verfrachtet. Es war seltsam bizarr. Sie hätte nie gedacht, dass sie mal sehen müsste, wie Pokémon auch für solche Dinge genutzt wurden. Helen dachte derweil wirklich an alles – vielleicht sollte Delion sie als Assistentin einstellen – und gab ihm sogar ihre Kontaktdaten, damit er sie im Notfall für Rückfragen erreichen könnte. Dann waren sie endlich bereit loszufliegen ... aber plötzlich konnte Mula sich doch nicht mehr länger zurückhalten. „Delion hat Endynalos!“, schrie er so laut, dass man es deutlich überall draußen hörte. „Wir müssen sie aufhalten! Vielleicht können wir noch alles retten! Ihr wisst genauso gut wie ich, dass Endynalos gefährlich ist!“ Unterdessen hatte Delion bereits Glurak befreit, als Mula wieder durchdrehte. Automatisch legte er eine schützende Hand auf Endynalos' Pokéball. „Wir haben einen schrecklichen Fehler verhindert“, kommentierte Delion, während er Raelene mit dem Kopf anwies, schon mal aufzusteigen. Auf seine Worte hin nickte Raelene überzeugt. Dass Liberlo am Ende so schwer verletzt wurde, war nicht die Schuld von Endynalos. Deshalb war sie auch Delions Meinung. Einige von Mulas Kollegen forderten ihn im Hintergrund genervt dazu auf still zu sein. Darauf achtete Raelene aber nicht weiter und stieg lieber auf Glurak. Etwas langsam, aber es gelang ihr. So wie es aussah bräuchte Delion diesmal ihre Hilfe, um selbst auf Gluraks Rücken zu kommen. Daher reichte Raelene ihm lächelnd die Hand. „Darf ich bitten, mein Prinz?“ Ebenfalls lächelnd ergriff er ihre Hand. „Danke, Prinzessin.“ Mit ihrer Hilfe kletterte er auch auf Glurak, der gar nicht erst auf irgendwelche Anweisungen wartete. Sofort stieg er in die Luft und zielte automatisch Score City an. Dabei flog Glurak schneller als bei einer gemütlichen Runde, aber mit weniger Tempo als vorhin, als sie hergekommen waren. Raelene war dankbar, dass Glurak sich beeilte, aber gleichzeitig Rücksicht nahm. Je näher sie Score City kamen und damit dem Pokémon-Center, desto größer wurde auch wieder ihre Sorge. Das Bild, wie Liberlo leblos am Boden gelegen hatte, tauchte immer wieder vor ihren Augen auf. Halte durch, Liberlo. Als sie schließlich schon fast da waren, musste Raelene sich davon abhalten nicht einfach abzuspringen, so wie Delion es vor der Einrichtung getan hatte. Das wäre aber in ihrem jetzigen Zustand keine gute Idee. Deshalb kletterte sie ganz normal runter und wollte sofort ins Pokémon-Center stürmen, schwankte jedoch gefährlich, da sich ihre Beine immer noch schwach anfühlten. „Scheiße!“, zischte sie frustriert. Delion war auf Glurak sitzengeblieben, blickte aber besorgt auf sie hinunter. „Bist du sicher, dass ich dich nicht zumindest noch reinbringen soll?“ „D-doch“, gab Raelene direkt nach. „Nur bis zum Empfang.“ Sie bräuchte nur eine Stütze. Drinnen würde ihr dann sicher jemand helfen, wenn es nötig wäre. Im Moment war nur wichtig, Liberlo zur Schwester zu bringen, damit er behandelt werden konnte. Delion kam von Glurak runter und stützte Raelene wieder. Vorsichtig ging er mit ihr zum Eingang, öffnete diesen und bugsierte sie in das Pokémon-Center hinein, während Glurak draußen wartete. Die Anwesenden starrten sie für einen Augenblick nur fassungslos an, offenbar sprachlos über die plötzliche Anwesenheit des Präsidenten und des Champs und gleichzeitig entsetzt über ihren Zustand. Die Schwester am Empfang fasste sich als erstes wieder: „Champ, Präsident, was ist geschehen?“ „Lange Geschichte“, erwiderte Delion knapp, während er Raelene zu ihr brachte. Der Mitarbeiter am Attacken-Schalter hob einen Stuhl über die Theke, einer der Besucher ergriff ihn und stellte ihn an den Empfang, damit Raelene sich setzen könnte. Sie bedankte sich rasch bei allen und holte sofort Liberlos Pokéball hervor, kaum dass sie saß. „Mein Liberlo ist schwer verletzt“, erklärte Raelene, mit leicht zittriger Stimme. „Bitte helfen Sie ihm!“ Nickend nahm die Schwester ihr den Ball ab und zögerte keine Sekunde. Wie üblich legte sie ihn auf die Maschine hinter sich und nach einem kurzen Scan erschienen Liberlos Daten auf dem Bildschirm im Hintergrund. Auch einige Vitalwerte waren darauf abgebildet und im roten Bereich. Das ernste Gesicht der Schwester gefiel Raelene überhaupt nicht. „Er braucht dringend Hilfe. Ich muss für eine gründlichere Behandlung mit ihm nach hinten“, erläuterte sie, wobei sie den Ball wieder an sich nahm. „Ich gebe sofort Bescheid, sobald er wieder stabil ist. Mach dir keine Sorgen, wenn er stark ist, dann wird er wieder gesund.“ Raelene schluckte. „O-okay.“ Mutmachend legte Delion ihr eine Hand auf die Schulter. „Er wird es bestimmt schaffen, Liberlo ist stark. Mit ihm hast du den Champ-Cup gewonnen und seitdem nicht mehr verloren. Du musst nur an ihn glauben.“ Während die Schwester mit Liberlo nach hinten ging, wo es wahrscheinlich richtige Behandlungsräume gab, hob Raelene den Kopf, um Delion anzuschauen. Liberlo war ein echter Kämpfer, ganz wie er sagte, und noch dazu ein Publikumsliebling. Bestimmt konnte wirklich alles gut werden. „Ich werde so stark an ihn glauben, wie ich nur kann“, versicherte sie, auch sich selbst. Sie legte ihre Hand auf seine. „Danke. Ich halte dich über das Handy auf dem Laufenden. Jetzt musst du dich auch um dich kümmern.“ „Ja, du hast recht.“ Ungeachtet der Umstehenden küsste er kurz ihr Haar. „Melde dich auf jeden Fall, falls irgendetwas ist. Ich melde mich auch bei dir. Und ich komme zurück, sobald ich fertig bin.“ Damit löste er die Hand von ihrer Schulter, auch wenn er sicher nur zu gern geblieben wäre – so wie Raelene ihn eigentlich gerne begleiten würde. Seine Wunde hatte inzwischen durch den notdürftigen Verband geblutet, wie sie bemerkt hatte. Ihm lief selbst die Zeit weg. Darum wollte sie ihn nicht noch länger aufhalten. Nach einem letzten Blick auf Raelene verließ Delion das Pokémon-Center, um mit Glurak weiterzufliegen. Nun konnte sie nur noch abwarten und hoffen, dass beide, Liberlo und Delion, gut durchkamen. Kapitel 21: Endynalos scheint total ruhig zu sein ------------------------------------------------- Alle Anwesenden im Pokémon-Center waren sehr fürsorglich gewesen. Das weibliche Servol, das dort arbeitete, hatte Raelene sogar mit Getränken und Essen versorgt. Eigentlich besaß sie keinerlei Appetit, aber da sie von diesem Pokémon und einigen Leuten dazu ermutigt worden war, aß sie letztendlich doch. Danach fühlte Raelene sich tatsächlich wieder etwas besser, was besonders Servol sichtlich zufrieden stimmte. Dank der Ablenkung durch die Leute um sie herum wurde die Wartezeit wesentlich erträglicher. Erst recht, weil niemand irgendwelche unangenehmen Fragen stellte. Als irgendwann schließlich die Schwester zurückkehrte und Raelene endlich die erlösende Nachricht brachte, dass Liberlo das Schlimmste überstanden hatte, fing sie vor Erleichterung an zu weinen – Servol versuchte, sie zu trösten. Ihr Partner war stabil. Was für ein Glück! Natürlich hatte sie direkt Delion darüber informiert, damit er und auch Glurak sich keine Sorgen mehr machen mussten. Da Raelene von ihm bislang nichts Negatives aus dem Krankenhaus gehört hatte, schien es von der Seite aus auch keine bösen Überraschungen zu geben. Irgendwie ... ging offenbar in der Tat alles gut aus. Genau wie Delion es gesagt hatte. Inzwischen saß Raelene auf einem gepolsterten Stuhl im Ruheraum, der sich im hinteren Teil des Pokémon-Centers befand. Dort schlief Liberlo auf einem Krankenbett. Er war an einigen Geräten angeschlossen, die seine Vitalwerte anzeigten, und er hing an einem Tropf. Ein besorgniserregender Anblick, aber die Schwester hatte ihr versichert, dass es übler aussähe als es war. Pokémon erholten sich erheblich schneller als Menschen. Deswegen war Liberlo wohl etwas fiebrig, was in dem Fall aber ein gutes Zeichen war, weil sein Körper dabei war zu heilen. „Du bist echt ein Kämpfer“, sagte Raelene, stolz und erschöpft. Auf ihrem Schoß lag Delions Kappe, an der sie sich regelrecht festklammerte, um Kraft zu schöpfen. Wie es bei ihm wohl im Krankenhaus lief? Durch seinen Status würde er sicherlich bevorzugt behandelt werden, doch Raelene konnte sich vorstellen, dass er sich trotzdem geduldig hinten anstellte – egal, wie sehr seine Schusswunde blutete. In dem Fall gab es hoffentlich auch bei ihm Leute, die ihm halfen und notfalls den Vortritt ließen. Auf einmal öffnete sich die Tür und die Schwester kam nochmal herein, weshalb Raelene erst nervös wurde. Gab es etwa Komplikationen? War Liberlo doch noch in Gefahr? Diese Sorgen wurden sogleich fortgespült, als nach ihr Delion hereinkam. Sofort verschwand auch der letzte Funken Unsicherheit. Wenn die Ärzte im Krankenhaus ihn sofort wieder entlassen hatten, schien es nicht so schlimm zu sein, wie sie befürchtet hatte. Nachdem Delion sich für die Führung bedankt hatte, ließ die Schwester sie wieder alleine und schloss leise die Tür. Prüfend begutachtete Raelene den sauberen Verband, der ihm angelegt worden war, und die Armschlinge, mit der das Ganze fixiert wurde. Das Jackett trug er nur noch locker über der Schulter bei sich. Derweil warf Delion einen Blick auf Liberlo und runzelte die Stirn. Auch ihm schien das nahezugehen. Verständlich, niemand wollte Pokémon in so einem Zustand sehen. Anschließend ging Delion zu Raelene hinüber, küsste ihr Haar und setzte sich neben sie. „Er schläft noch, hm? Dann erholt er sich bestimmt schnell.“ „Er hat sogar schon wieder ganz leicht mit einem Fuß gekickt“, berichtete sie. Dabei bemerkte sie selbst, wie müde und erledigt sie klang. „Ich glaube, er träumt von seinem nächsten großen Kampf.“ Hoffentlich war es ein schöner Traum, mit viel Scheinwerferlicht und unzähligen jubelnden Fans. Das hätte er sich verdient. Lächelnd sah Delion erneut zu Liberlo. Vielleicht hoffte er gerade genau dasselbe wie sie. „Wie geht es dir?“ Sorge kroch erneut in Raelene hoch – schließlich schmerzte sie der Anblick eines verletzten Delion genauso wie bei Liberlo. „Ist dein Arm soweit in Ordnung?“ Auf ihre Frage hin sah auch Delion auf die Schlinge hinunter. „Ja, ist alles halb so schlimm. Glatter Durchschuss, nur ein paar Muskeln verletzt. Die Wunden wurden genäht, ich soll den Arm eine Weile stillhalten und spätestens nächste Woche noch einmal vorbeikommen.“ Stillhalten. Armer Delion … Trotzdem war das zumindest noch einmal Glück im Unglück gewesen. Es hätte schlimmer kommen können, für sie alle. Dennoch dürfte es Delion schwerfallen auf die Trainingseinheiten zu verzichten, die er für sich persönlich und mit seinen Pokémon ausführte. Wahrscheinlich könnte er bleibende Schäden davontragen, wenn er den Arm gegen den ärztlichen Rat zu sehr strapazierte. Sicher war Delion aber vernünftig genug, es nicht so weit kommen zu lassen. „Dann werde ich dich wohl richtig verwöhnen müssen.“ Das hatte Raelene soeben kurzerhand beschlossen. „Damit dir nicht langweilig wird, wenn du schon nicht trainieren kannst.“ „Mhm, dann gibt es ja vielleicht sogar noch was Gutes an der ganzen Sache“, meinte er zuversichtlich – und schien sich ernsthaft auf das Verwöhnprogramm zu freuen. Vorsichtig rückte Raelene mit ihrem Stuhl so nah wie möglich an seinen heran, bis sie sich an ihn schmiegen konnte. Seufzend schloss sie die Augen. „Aber im Ernst, ich bin so froh, dass du nicht schlimmer verletzt wurdest.“ Eine solche Schusswunde war immerhin kein Zuckerschlecken. Wenn sie daran dachte, dass es ihn auch hätte tödlich erwischen können, wurde ihr sofort übel. „Ich bin auch froh, dass wir alle da wieder heil rausgekommen sind.“ An dem ernsten Tonfall in seiner Stimme erkannte Raelene, dass ihn die Realisierung darüber, wie gefährlich das alles gewesen war, erst vor kurzem getroffen hatte. Bei der Einrichtung war Delion einfach seinem Gefühl gefolgt und hatte sofort gehandelt, ohne darüber nachzudenken. So wie Raelene. Für diesen Leichtsinn würden sie sicher von so einigen Personen zurechtgewiesen werden, doch vor Ort hatten sie schlicht keine Zeit gehabt zuerst Pläne zu schmieden. Es musste gehandelt werden. Wo sie gerade darüber nachdachte, da war ja noch … „Wie wollen wir nun mit Endynalos umgehen?“, sprach Delion das an, was ihr soeben selbst in den Sinn gekommen war. „Wir müssen ihn noch von uns überzeugen.“ Raelene öffnete wieder die Augen und blickte nachdenklich zu Liberlo. Falls Mula nicht nur Panik machen wollte und es stimmte, dass Endynalos im Moment noch zu schwach war, um von sich aus den Pokéball zu verlassen, mussten sie sich schnell etwas einfallen lassen. „Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung.“ Sie löste den Blick von Liberlo und sah zu Delion hoch. „Vielleicht sollten wir einfach wir selbst sein, auch wenn das nach hinten losgehen könnte.“ Eine neue Finstre Nacht hatten sie erst mal nicht zu erwarten. Gemeinsam könnten sie Endynalos also möglicherweise in Schach halten, sollte das nötig sein. „Auf jeden Fall sollten wir ihn rauslassen“, fügte sie noch hinzu. „Und dann fragen wir ihn, was er will ... oder ist das zu naiv?“ „Selbst wenn das naiv sein sollte, etwas anderes bleibt uns wohl nicht übrig. Vielleicht gefällt es ihm ja, wenn man einfach mal normal mit ihm redet.“ Bislang kannte Endynalos bestimmt nur die Furcht, die ihm stets entgegen gebracht worden war. Wenn sie das änderten, war das womöglich wirklich ein guter Anfang für eine Partnerschaft. Erst recht nachdem sie ihn vor dem möglichen Tod bewahrt hatten. Daher blieb Raelene bei dieser Option. „Wir sollten es wenigstens mal versuchen. Falls es schiefgeht, handeln wir einfach spontan.“ Das hatten sie an diesem Tag eigentlich auch schon getan und es war, mit Ausnahme von zwei Verletzten, überraschend gut gelaufen. Da fiel ihr ein … „Hast du deine Pokémon schon heilen lassen?“ Die Frage war sicher überflüssig, aber sie stellte sie trotzdem. Immerhin hatte Delions Team ihnen ziemlich erfolgreich die anderen Pokémon vom Leib gehalten, damit sie sich in Ruhe um Mula kümmern konnten. Dafür hatten sie sich etwas ganz besonderes zum Essen verdient. „Ja, während ich im Krankenhaus gewartet habe. Dort gibt es kein ganzes Center, aber zumindest eine Schwester, die sich um die Pokémon von Patienten kümmern kann. Bei meinem Team waren die Verletzungen nicht sehr schlimm. Und viele davon kamen auch nur daher, weil ich sie habe eigenständig kämpfen lassen. Sie hatten zwar genug Erfahrung dafür, aber es ist eben doch etwas anderes, wenn der Trainer Anweisungen erteilt.“ Raelene lächelte beruhigt. „Gut~. Sie waren wirklich super. Du hast sie großartig trainiert.“ Nicht jeder könnte seine Pokémon einfach selbstständig kämpfen lassen. Die meisten wären sicher überfordert gewesen mit der Situation. „Die Schwester hier meinte, Liberlo müsste über Nacht bleiben, zur Beobachtung. Spätestens morgen sollte er aber wieder wach sein, dann können wir ihn mitnehmen.“ Bestimmt müsste Liberlo sich dann auch schonen und sogar etwas Bettruhe halten. Das dürfte ihm nicht gefallen. „Willst du dann bis morgen hier bleiben?“, hakte Delion nach. Raelene nickte sofort. Sie wollte, dass Liberlo nicht alleine war, wenn er aufwachte. Er sollte direkt sehen, wie erfolgreich seine Rettung verlaufen war. Bestimmt konnte Delion es verstehen, dass sie lieber bei Liberlo bleiben wollte. Wäre Glurak derjenige, der hier lag, würde er gewiss ebenfalls keinen Zentimeter von dessen Bett weichen wollen. Wenigstens könnte Delion den anderen Pokémon aber schon mal mitteilen, dass Liberlo morgen ebenfalls nach Hause käme … zu seiner Wohnung, wo immer noch Feelinara auf die Babys aufpasste. Wie erklärte man denen das, was passiert war, am besten? Nun, auch dafür fand Delion sicher einen Weg. Bis dahin vertraute Raelene ihm blind ihre Pokémon an. „Ich halte dich auch weiter auf dem Laufenden“, versprach sie. Selbst wenn nicht Pichu, Dedenne, Azurill und Feelinara bei ihm zu Hause warten würden, könnte sie ihn nicht darum bitten auch hierzubleiben. Zumal er selbst dringend Ruhe bräuchte. „Aber wehe, du gehst es bis morgen nicht schön langsam an“, warnte sie ihn. „Wenn ich dann da bin, starte ich ein Verwöhnprogramm.“ „Keine Sorge, ich bin vorsichtig, Ehrenwort.“ Lächelnd küsste er ihre Stirn. „Glurak wird schon darauf achten, dass ich keinen Unsinn anstelle. Schreib mir auf jeden Fall, wenn sich was ändert oder wenn du Sehnsucht kriegst." Nun, sie könnten eventuell zumindest ein wenig telefonieren. Auf die Weise wäre sichergestellt, dass Delion sich zu Hause die nötige Ruhe gönnte und doch blieben sie in Kontakt. Schließlich behagte es Raelene nicht unbedingt, über Nacht alleine in diesem Raum zu bleiben, wo es totenstill war. Ein Grund mehr, Liberlo beizustehen und als vertrautes Gesicht direkt zur Stelle zu sein. „Kannst du nur ...“, murmelte sie, „noch ein bisschen bleiben?“ Sie konnte sich vorstellen, dass Feelinara sich Sorgen machte und wissen wollte, wie es allen ging. Auch wenn Raelene da ein wenig egoistisch war, brauchte sie noch ein paar Minuten Delions Nähe. Darum schlang sie die Arme um ihn, ganz vorsichtig, und drückte sich an ihn. Ohne ihn hätte sie das nicht durchgestanden. Raelene wollte wirklich alles dafür tun, dass er die Zeit, in der sein rechter Arm heilen musste, locker durchstand. „Natürlich“, sagte er sanft und lehnte seinen Kopf gegen ihren. Nach allem, was sie heute durchgemacht hatten, lag ihm offenbar auch daran, noch etwas neben ihr zu sitzen und einfach nur ihre Anwesenheit zu genießen, sich klarzumachen, dass sie noch am Leben waren – und das, nachdem sie einen derart harten Kampf durchlebt hatten.   ***   Während der Nacht war auch noch bezüglich Magnolica die Nachricht gekommen, dass sie es überstanden hatte. Die Professorin müsste zwar noch einige Tage länger im Krankenhaus bleiben, aber war schon wieder wach und überaus dankbar dafür, dass Delion und Raelene Endynalos retten konnten. Deshalb vertraute sie den beiden es auch ohne Bedenken an, sich um ihn zu kümmern. Sania hatte Raelene tausende Dankesnachrichten für ihre Rettung geschrieben, sicher auch Delion. Der Moment, in dem Liberlo dann endlich wieder aufgewacht war, hatte ihr erneut die Tränen in die Augen getrieben, weswegen er zuerst etwas besorgt gewesen war. Nachdem Raelene ihm aber versichern konnte, dass alles in Ordnung war, platzte er fast vor Stolz – sie gönnte es ihm vollkommen. Statt Delion Bescheid zu sagen, beschloss sie stattdessen, ihn zu überraschen. Also bedankte sie sich, ähnlich wie Sania, tausende Male bei der Schwester für Liberlos Behandlung und verließ anschließend das Pokémon-Center. Eine Rundfahrt mit einem Krarmor-Taxi später war sie auch schon bei Delions Wohnung angekommen und konnte es kaum erwarten, ihn und auch alle Pokémon in die Arme zu schließen. Liberlos Pokéball hielt sie fest in der Hand, als sie an der Tür klingelte und durchatmete. Sie wollte Delion mit einem strahlenden Lächeln begrüßen, um all die Tränen zu vergessen, die sie in den letzten Stunden vergossen hatte. Es dauerte einen Moment, bis sich die Tür endlich öffnete und Delion wieder vor ihr stand. Im Gegensatz zum Vortag wirkte er schon etwas erholt. Auch die blutverschmierte Kleidung hatte er inzwischen gewechselt – mit nur einem gesunden Arm musste das ein kleines Abenteuer gewesen sein. An seiner Seite schwebte Durengard, der ihn schützend zur Tür begleitet haben musste. Als Delion Raelene sah, breitete sich sofort ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. „Rae! Was für eine Überraschung.“ „Das hoffe ich doch, so war es ja geplant~.“ Weil Delion verletzt war, umarmte sie ihn vorsichtig, statt ihm an den Hals zu springen. Sie fühlte sich sofort wieder richtig vollständig, als sie seine Wärme spürte. Delion erwiderte die Umarmung, indem er seinen gesunden Arm um sie legte. „Hallo, Durengard“, grüßte sie ihn lächelnd. Behutsam tippte sie ihn leicht an, da er nah genug dafür war, aber ohne Delion gänzlich loszulassen. Gut, dass er so treue Pokémon hatte, die stets auf ihn Acht gaben. „Ich hab auch unseren Liberlo dabei. Er kann es sicher kaum abwarten, alle zu sehen.“ Als Durengard Liberlos Namen hörte, schwebte er um Raelene herum als wolle er nach ihm suchen – oder als ob er einfach ausdrücken wollte, dass er glücklich über diese Nachricht war. Delion lächelte erleichtert. „Ich bin echt froh. Dann komm rein, deine Pokémon können es auch kaum abwarten, dich und Liberlo zu sehen. Und Glurak ist wahrscheinlich auch erst wieder zufrieden, wenn er Liberlo selbst gesehen hat.“ „Oh ja! Dedenne! Azurill! Feelinara!“ Aufgeregt lief sie in die Wohnung. „Ich bin wieder da~.“ Wie aus dem Nichts sprang Dedenne ihr förmlich ins Gesicht und klammerte sich schluchzend fest. Azurill kam fröhlich angehüpft und plapperte begeistert drauflos, als hätte sie in den letzten Stunden unglaublich viel erlebt – aus der Sicht eines Babys stimmte das wahrscheinlich sogar. Feelinara war ebenfalls glücklich, Raelene zu sehen, und schlang ihre Bänder um ihre Handgelenke. „Tut mir leid, falls ihr euch Sorgen gemacht habt“, entschuldigte sie sich gerührt. Delion hatte ihnen die Situation sicher erklärt, also übersprang sie diesen Teil. Er war ihr ins Wohnzimmer gefolgt, um das Wiedersehen mitzuerleben. Sogar Pichu sprang auf die Sofalehne und stieß fröhliche Laute als, da Azurill auch so gut drauf war. Seine anderen Pokémon hatten sich Raelene ebenfalls interessiert zugewandt, aber warteten erst mal geduldig ab. Nebenbei erzählte Delion ihr, dass die drei sehr verwirrt gewesen waren. Zumindest Dedenne hatte er wohl mit Essen ablenken können und Azurill war dank Pichus Anwesenheit ebenfalls ziemlich ruhig geblieben. Wie erwartet war Feelinara diejenige, die die Lage verstanden und entsprechend erwachsen reagiert hatte. Nachdem Raelene die drei ausgiebig begrüßt und ihnen versichert hatte, dass mit ihr alles in Ordnung war, hielt sie Liberlos Pokéball nach oben. „Die Schwester hat ihm Bettruhe verordnet, also helft fleißig mit, damit er sich auch wirklich ausruht~.“ Mit diesen Worten entließ sie ihren Partner aus seinen Ball, ohne diesen zu werfen. Liberlo stieß sofort einen motivierten Laut aus, kaum dass er im Raum stand und hüpfte, nur um im nächsten Moment ein wenig zu verkrampfen, weil so viel Bewegung sicherlich noch schmerzte. In den nächsten Tagen musste Raelene ihn sicher oft darauf hinweisen, dass er sich nicht zu viel bewegen durfte. Kaum war Liberlo aus dem Pokéball draußen, stellte sich auch bei Maxax, Katapuldra und Intelleon sichtbare Freude ein. Die kleinen Grolldras umschwirrten Liberlo sofort mit besorgtem und fröhlichem Zirpen. Liberlo schien tatsächlich verlegen zu sein, weil alle sich so sehr freuten, was auch für Raelene etwas Neues war. Er lachte und legte dabei eine Hand auf seinen Hinterkopf. Nur Glurak sah Liberlo finster an und gab dann ein eindrucksvolles Brummen von sich. Sofort danach hellte sich sein Gesicht aber auf und er nickte Liberlo zu. Delion lehnte sich zu Raelene und übersetzte für sie: „Ich glaube ... das soll so viel wie Gut gemacht heißen.“ Im nächsten Moment brummte Glurak Liberlo plötzlich wieder finster an. „Und das soll wohl eine Erinnerung sein, dass er sich hinlegen soll.“ Anscheinend hatte Gluraks Lob zuvor Liberlo wirklich mit noch mehr Stolz erfüllt, weshalb er auf seine deutliche Aufforderung, sich hinzulegen, auch zustimmend nickte. Raelene hätte mit mehr Gegenwehr gerechnet, aber das konnte noch kommen. Während Liberlo also zu einem der größeren Betten ging, um sich hinzulegen, begrüßte Raelene auch Delions Pokémon anständig und ließ vor allem Wolly und Zamazenta frei. Fröhlich und munter wie immer hüpfte Wolly herum und erinnerte Durengard direkt daran, wie toll sie gestern zusammengearbeitet hatten. Durengard schwebte im Rhythmus mit Wollys Hüpfern, was wohl heißen sollte, dass er stolz auf ihre gemeinsame Leistung von gestern war. Glurak nickte zufrieden, als Liberlo sich hinlegte, behielt ihn aber weiterhin im Auge. Als wollte er nur sichergehen, dass er auch artig liegen blieb. Zamazenta wandte sich dagegen direkt Delion zu. In der ersten Sekunde war Raelene besorgt, aber dann setzte er sich nur vor ihm hin und jaulte ihn leise an, als wolle er fragen, wo Endynalos war. Raelene stellte sich zu den beiden, da sie nun wusste, dass Glurak ein Auge auf Liberlo haben würde. Delion griff in seine Tasche und zog den durchlöcherten Pokéball hervor. „Ich hab ihn immer bei mir. Nur sicherheitshalber.“ Gut, immerhin wusste man nie, ob nicht irgendein Verrückter wie Mula hier einfach einbrach, um ihn zu stehlen. Auch wenn das eigentlich ziemlich abwegig war, aber nach dem, was sie gestern erlebt hatten, vertraute sicher auch Delion gerade auf nichts. Raelene atmete auf. „Endynalos scheint total ruhig zu sein.“ „Ja, seit er aus dieser Kapsel raus ist, ist er ruhig. Vielleicht hat Mula recht und er ist einfach noch furchtbar schwach. Oder er ist gerade froh, dass er nicht mehr gefoltert wird.“ Vorsichtig tippte Zamazenta den Ball mit der Schnauze an und nickte ihnen beiden zu. Anscheinend fand auch er, dass sie alles richtig gemacht hatten. Sie war beruhigt. Ein bisschen hatte sie befürchtet, er könnte böse auf sie sein. Und wenn es nur deswegen war, dass sie ihn in der Einrichtung nicht eingesetzt hatte. Wer wollte sich schon gern mit einem legendären Pokémon anlegen? „Wir sollten wohl nicht zu lange damit warten, ihn rauszulassen“, riet Raelene. Sonst könnte Endynalos vielleicht denken, sie wollten ihn auch nur im Pokéball behalten. Zamazenta blickte zwischen ihnen hin und her, als wäre er gespannt, was sie als nächstes planten. „Und ich dachte, das sollten wir am besten an einem schönen Ort tun“, schlug sie vor. Bislang hatte Endynalos nämlich nichts von Galar gesehen und war immer in Gebäuden weggesperrt gewesen. Vielleicht half es ihm, wenn er etwas von der Natur erlebte. „Das ist eine gute Idee“, stimmte Delion zu. „Sicherheitshalber sollte es aber auch ein Ort sein, an dem nicht viele Menschen unterwegs sind.“ Vielleicht waren die Kronen-Schneelande dafür geeignet. Da gab es schöne Ecken. Und wenn alles gut ging, könnten sie das direkt mit Camping verbinden. „Ich möchte ihm außerdem einen anderen Pokéball anbieten“, führte er aus. „Falls er bleiben will, natürlich. Dieser hier ist zu ... beschädigt.“ „Stimmt. An dem Pokéball hängen für ihn auch sicher nur schlechte Erinnerungen.“ Zamazenta nickte zufrieden. Dann stand er auf und ging hinüber zu dem Bett, in dem Liberlo sich befand, um sich daneben zu legen. Offenbar wollte auch er darauf achten, dass er nicht aufstand. Es war so schön, wie sehr die Pokémon aufeinander achteten. „Wir müssen uns nur noch entscheiden, wann wir das machen“, sagte sie nachdenklich. „Vielleicht ... morgen? Damit wir uns heute alle noch etwas erholen können?“ „Machen wir das. Wenn wir jetzt einen Termin haben, merkt er vielleicht auch, dass wir es wirklich ernst meinen.“ „Alles klar, also abgemacht.“ Sanft berührte sie seinen rechten Arm. „Also, ich mache für dich jetzt alles, solange du dich schonen musst. Hast du schon gegessen? Muss etwas aufgeräumt werden? Brauchst du Hilfe beim Waschen?“ Die letzte Frage trieb ihr wieder die Hitze ins Gesicht, weil sie etwas zu weit dachte. Eigentlich meinte sie aber eher so etwas wie Katzenwäsche. „Sag auf jeden Fall Bescheid, egal was du brauchst~.“ Schmunzelnd fuhr er ihr mit der linken Hand über das Haar. „Tatsächlich habe ich noch nichts gegessen – und du bestimmt auch nicht. Frühstück wäre also nicht schlecht. Und ich werde dir auf jeden Fall Bescheid sagen~.“ „Okay! Dann mach ich uns allen erst mal Frühstück~.“ Sie zwinkerte ihm zu. „Und du bekommst meine Rae-Spezial-Sandwiches serviert, mit einer Tasse heißen Kakao. Entspann dich solange. Oder schau mir zu~.“ Was immer Delion tun wollte, solange es ihn glücklich machte. Vielleicht spendierte sie ihm nach dem Essen auch eine kleine Schulter-Massage. Schließlich wollte sie nicht, dass ihm langweilig wurde, er sich aber entspannen konnte. Deshalb ballte sie motiviert die Hände zu Fäusten und nickte sich selbst zu, um loszulegen. „Dann schau ich dir zu“, beschloss er. „Ich hab dich seit gestern nicht gesehen, da muss ich einiges nachholen. Die Pokémon sind jetzt ohnehin alle erst mal auf Liberlo konzentriert, also muss man nicht auf sie aufpassen.“ Tatsächlich hatten sie sich alle um Liberlos Bett versammelt, um sich von ihm anzuhören, was geschehen war und wie es ihm nun ging. Raelene warf einen Blick zu den Pokémon und lächelte. Liberlo war lebhaft dabei den anderen von gestern zu erzählen, wie er sie heldenhaft beschützt hatte. Sie war ziemlich sicher, dass er hier und da maßlos übertrieb, aber sie störte sich nicht daran. Liberlo hatte sie nämlich wirklich vor schlimmen Schaden bewahrt. Als Mensch wäre sie nicht so gut davongekommen. Selbst die Pokémon, die dabei gewesen waren, nickten verständnisvoll, statt manch übertriebener Passage zu widersprechen. Niemand wollte ihm gerade seinen Auftritt im Mittelpunkt madig machen, dafür waren alle zu glücklich, dass er gesund wieder da war. „Sieht ganz so aus~. Okay, dann mal los. Wenn du aufpasst, kannst du mich auch rechtzeitig davon abhalten das Essen aus Gewohnheit zu schärfen.“ Delion lachte über ihre Worte. „Falls ich es hinbekomme, nicht zu sehr von dir verzaubert und abgelenkt zu sein~.“ Raelene blinzelte überrumpelt, lächelte aber dann. Sie ging dicht an ihn heran, legte eine Hand in seinen Nacken und zog ihn vorsichtig zu sich runter, um ihn zu küssen. So lang und ausgiebig wie möglich. Eine Flut aus Wärme rauschte durch ihren Körper. Zufrieden seufzte Delion leise, während er den Kuss erwiderte und eine Hand auf ihre Taille legte. Es war immer noch unglaublich, ihm einfach so nahe sein zu können. Als sie den Kuss wieder löste, lächelte Raelene noch herzlicher als vorher. „Hoffen wir mal, ich kann mich auch richtig konzentrieren, während mein großer Schwarm mich so anschmachtet~.“ „Oh, das bekommst du schon hin~.“ Er tippte seine Stirn gegen ihre. „Ich glaube an dich~.“ „Na, dann wird also absolut nichts schiefgehen~.“ Verspielt zwinkerte Raelene ihm erneut zu und ging dann voraus, um zur Küche zu kommen. Es gab eine Menge Pokémon und Delion zu versorgen. Diese Alltäglichkeit war genau das, was sie brauchte, um sich weiter zu versichern, dass alles gut war. Delion und Liberlo kämen wieder in Ordnung. Und das mit Endynalos bekämen sie auch schon hin. Zusammen könnten sie sicher alles überstehen. Kapitel 22: Wir wollen nur mit dir reden ---------------------------------------- Am nächsten Tag setzten Delion und Raelene ihren Plan in die Tat um. Dafür waren sie besonders früh aufgestanden, um in Ruhe alles nötige einzupacken. Nachdem sie auch die – teilweise noch recht verschlafenen – Pokémon wieder zurück in die Bälle gerufen hatten, schwangen sie sich anschließend auf Glurak und flogen zu den Kronen-Schneelanden. Diesmal natürlich langsamer, da Delions Arm weiterhin ruhig gehalten werden musste, was bedeutete, dass er sich nicht richtig festhalten könnte, wenn sie zu schnell unterwegs wären. Glücklicherweise hatte auch ein gemütlicher Flug seinen Reiz. Es war Mittag, als sie ihr Ziel, den Dyna-Baum, erreichten. Unterwegs hatten sie beschlossen, dort erneut ihr Lager aufzuschlagen. Immerhin gab es an diesem Ort auch eine Energiequelle, mit deren Hilfe sich Endynalos vielleicht besser erholen könnte. Sofern er es zuließ. Bislang zeigte der Pokéball von ihm aber weiterhin keinerlei verdächtige Aktivität und war vollkommen ruhig, demnach standen die Chancen ganz gut. Am Boden angekommen, stiegen sie von Glurak und atmeten tief durch. Während Raelene anschließend dabei half, das Gepäck abzustellen, nahm Delion sich noch einen Moment länger Zeit. Er sog die friedliche Atmosphäre regelrecht auf und strahlte. „Es ist immer noch super-schön hier“, schwärmte Delion. Raelene stellte vorsichtig den letzten Rucksack ab und klatschte zufrieden in die Hände. „Ja~. Ich bin sicher, dieser Ort wird euch allen dabei helfen, dass ihr euch schneller erholt. Danke, dass du uns wieder geflogen hast, Glurak.“ Obwohl er es bestimmt gewohnt war, Delion regelmäßig von einem Ort zum anderen zu bringen, fand es Raelene trotzdem wichtig, ihre Dankbarkeit auszudrücken. Zwar könnten sie auch jederzeit mit einem Krarmor-Taxi fliegen, doch das wäre nicht so angenehm … privat. Auf die Art konnten sie sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen, ohne befürchten zu müssen, dass jemand ihren Standort ausplauderte – leider waren nicht alle Piloten professionell, was die Privatsphäre ihrer Kunden betraf. Grinsend tätschelte Delion Gluraks Hals. „Oh ja, wir können echt froh sein, dich zu haben~.“ Schnaubend nahm sein Partner diese Anerkennung nur zu gerne an. Danach standen sie zu dritt eine Weile schweigend da und sahen einander an. Vermutlich konnte Glurak sich denken, was sie als nächsten tun wollten, weshalb er sich nicht einfach ein sonniges Plätzchen suchte, wo er sich hinlegen könnte. Natürlich wollte er ihnen in dieser Sache beistehen. „Also ...“, begann Raelene zögerlich, „sollen wir es dann mal wagen? Endynalos kann es vermutlich kaum erwarten rauszukommen.“ „Bestimmt.“ Je länger sie es aufschoben, desto mehr Misstrauen könnte das in Endynalos wecken. Darum sollten sie es sofort tun. Delion holte den durchlöcherten Pokéball hervor und drehte ihn ein wenig in seiner Hand. Nach wie vor herrschte darin Ruhe. Allmählich war es fast bedenklich. Hoffentlich war Endynalos einfach nur erschöpft und nicht … Das durfte nicht sein. Sicher war Endynalos in Ordnung. Soweit Raelene wusste, hatte Delion sich gestern noch per Eilpost einen nigelnagelneuen Pokéball zukommen lassen. Ein Prototyp aus einer Reihe, deren Fokus auf dem Komfort für die Pokémon lag. Scheinbar unterstützte die Liga diese Firma schon seit einiger Zeit finanziell und daher waren sie mit Freude bereit gewesen, dem Präsidenten kostenlos ein Exemplar zu schicken. Geliefert worden war das Paket von einem Pelipper, direkt auf die Terrasse. Hoffentlich würde Endynalos diesen Pokéball mögen, falls sie ihn nochmal transportieren müssten. Zumindest wirkte das dunkelviolette Gehäuse mit den bläulichen Verzierungen und dem goldenen Logo der Firma – welches an ein Herz erinnerte – äußerst edel. Sobald diese Bälle in Produktion gingen, hätten sie sicher einen stolzen Preis, den sich kaum einer leisten konnte. Zuversichtlich nickte Delion ihr und Glurak zu. „Okay, dann schauen wir mal.“ Ohne den Ball zu werfen, entließ er Endynalos mit einem hellen Lichtspiel in die Freiheit. Unwillkürlich hielt Raelene den Atem an. Hätten sie vielleicht vor dieser Aktion ein paar Leute über ihr Vorhaben informieren sollen? Nein, das hätte einen falschen Eindruck auf Endynalos gemacht. Raelene konnte trotzdem nicht bestreiten, dass sie nervös war. Sie hatte Endynalos zuletzt vor einigen Jahren gesehen, ihn erlebt. Wie würde das Wiedersehen nun unter diesen Umständen aussehen? Was auch immer passieren mochte, sie stand zu dieser Entscheidung und wusste, dass sie richtig handelten. Deshalb wich sie nicht zurück, als sich aus dem rötlichen Licht Endynalos zusammensetzte. Sein Körperbau hatte Raelene schon damals an ein Skelett erinnert, doch er wirkte insgesamt eher wie ein Drache. Der Kern in seinem Brustkorb leuchtete nur schwach, schien sogar ungesund zu flimmern. Ein kurzer Seitenblick verriet Raelene, dass Delion wieder sehr entschlossen aussah. Keine Spur von Angst, auch nicht bei Glurak, trotz ihrer Niederlage gegen Endynalos in der Vergangenheit. Er war wirklich stark. Vielleicht lag es daran, weil Endynalos gerade so geschwächt wirkte, anders als damals. Ein gewisser Respekt ihm gegenüber flackerte dennoch in Delions Augen, was Raelene nachfühlen konnte. Sie konzentrierte sich wieder auf Endynalos und wartete ab. Zuerst wollte sie ihm die Zeit lassen, sich umzuschauen. Alles auf sich wirken zu lassen. Der blühende Dyna-Baum, grüne Wiesen, blauer Himmel, wilde Pokémon und frische Luft. Das musste nach all den Jahren der Gefangenschaft überwältigend für ihn sein, jedenfalls wünschte sie ihm das. Denn es wäre, zur Abwechslung, mal etwas Schönes. Schnell fokussierte sich Endynalos' Aufmerksamkeit aber doch auf Delion und Raelene, auch seine Haltung veränderte sich. Sein Körper war angespannt. Es war schwer einzuschätzen, ob er kurz davor war anzugreifen oder nur unsicher war. Jeder kleinste Fehler könnte fatal enden, doch Raelene durfte diesem Gedanken nicht zu viel Macht geben. „Hallo, Endynalos“, sagte Raelene ruhig. „Du wirst jetzt nicht mehr eingesperrt werden, versprochen.“ „Schon gar nicht kommst du in diesen Pokéball zurück“, betonte Delion, mit einem kurzen Blick auf den beschädigten Hyperball – Endynalos' jahrelanges Gefängnis. Raelene glaubte, ein tiefes Knurren zu hören, das wie ein Vibrieren durch Endynalos hindurchlief. Möglicherweise war das auch nur ein Zeichen eines drohenden Angriffs. Trotzdem blieb Delion gelassen und steckte den Pokéball wieder ein, so dass er nun die Hand frei hatte. Diese hob er auch direkt, um Endynalos zu zeigen, dass er nichts vorhatte. „Was damals passiert ist, tut mir wirklich leid“, entschuldigte Delion sich aufrichtig, seine Stimme klang klar und gefestigt. „Präsident Rose hat dich aus deinem Schlaf geweckt und derart in Panik versetzt. Sicher wolltest du Galar nicht zerstören, oder?“ Plötzlich stieß Endynalos ein aufgebrachtes Brüllen aus, der Kern in seiner Brust leuchtete dabei kurz stärker auf. Zwar lief Raelene ein kalter Schauer über den Rücken, aber ansonsten geschah nichts. Sie wurden nicht von einer Attacke erfasst und Endynalos rührte sich auch nicht vom Fleck. Einzig die Luft schien ein wenig geladen zu sein. Wahrscheinlich entlud Endynalos durch seine angespannte Stimmung etwas Energie. „Wir wollen nur mit dir reden“, versicherte Raelene, weiterhin ruhig. „Mir tut es auch leid, was passiert ist. Ich hätte mich eigentlich um dich kümmern sollen, statt dich zur Verwahrung wegzugeben. Dass ich noch ein Kind war, entschuldigt das nicht.“ Reumütig senkte sie kurz den Blick. Damals hatte sie sich der Verantwortung einfach nicht gewachsen gefühlt und sie war auch in dieser Sekunde unsicher, dass sie mit so einem mächtigen Pokémon richtig umgehen könnte. Diesmal wollte sie aber wenigstens dafür sorgen, dass Endynalos von nun an ein gutes Leben bekam, egal wie dieses Gespräch am Ende ausging. Was das anging, konnte Raelene Endynalos entschlossen anschauen. „Jetzt sind wir aber hier, um dir zu helfen. Du hast natürlich trotzdem jedes Recht dazu wütend auf uns, oder eher auf mich, zu sein. Falls dir das hilft, kotz dich ruhig mal ordentlich aus. Also, bitte nicht wörtlich nehmen. Ich meine, schrei mich an, wenn dir das hilft ... oder so.“ Wie auf Stichwort brüllte Endynalos tatsächlich sofort erneut los, so laut, dass sie die Augen zusammenkniff. Ihr war so, als würde sogar eine kleine Windböe über sie hinwegfegen und ihr Haar herumwirbeln. Es sollte Raelene wohl nicht wundern, dass Endynalos derart laut schreien konnte, aber das tat es dennoch. Nun war sie erst recht froh, so weit abgelegen von allem zu sein, denn so mussten sie sich keine Sorgen um neugierige Besucher machen. Lediglich die Pokémon in der Umgebung, die so etwas wie Endynalos das erste Mal sahen und hörten, sahen ihn verwundert an, während er all seinen Frust ausschüttete. Erst als nach etwa einer Minute wieder Stille einkehrte, öffnete Raelene zaghaft ein Auge. Endynalos schwebte ganz ruhig da und starrte sie eindringlich an. Ihre Ohren klingelten. Die von Delion scheinbar auch, so wie er den Kopf schüttelte, als könnte er dieses störende Geräusch dadurch einfach loswerden. Nur Glurak wirkte überraschend unbeeindruckt und zeigte keinerlei Reaktion, sondern sah Endynalos nur aufmerksam an. Daran nahm Raelene sich ein Beispiel und hob fragend den Blick. „... Besser?“ Endynalos atmete schwer aus, als wäre da eigentlich noch viel mehr, das ihm auf der Seele lag. Offenbar nahm Delion das als Anlass, ebenfalls seine Schuld zu bekennen, so wie Raelene es vor ihm getan hatte. „Du hast auch jedes Recht, auf mich wütend zu sein“, sagte er ernst. „Ich war damals immerhin der Champ, mir hätte es gelingen sollen, dich zu fangen oder zumindest zu beruhigen.“ Tatsächlich funkelte Endynalos ihn dafür wütend an, doch Delion fuhr unbeirrt fort. „Und dann hätte ich sichergehen müssen, dass es dir in der Verwahrung wenigstens gut geht. Aber nicht einmal das habe ich getan. Für das will ich dich auch um Verzeihung bitten.“ Delion neigte den Oberkörper ein wenig nach vorne, während er weiterhin den stechenden Blick von Endynalos ertragen musste. Automatisch senkte auch Raelene nochmal schuldbewusst den Kopf. Irgendwie hatten sie wohl beide versagt, obwohl sie Champs waren. Sie bereitete sich innerlich schon darauf vor, nochmal angeschrien zu werden, aber Endynalos blieb ruhig. Deshalb sah sie ihn wieder unsicher an. Inzwischen schien Endynalos' Körperhaltung ein wenig entspannter zu sein, er schwebte auch etwas dichter am Boden und starrte sie nur weiter an. Möglicherweise war es für ihn etwas Neues, dass Menschen so normal mit ihm redeten. Raelene würde sich nicht wundern, wenn er selbst nicht so recht wusste, wie er damit umgehen sollte. Gewiss dürfte er noch ziemlich misstrauisch sein, doch vielleicht hatten sie es geschafft sein Interesse zu wecken. „Wir können deine alten Wunden nicht heilen, aber nicht alle Menschen sind schlecht. Dass es dir erst mal wieder besser geht, ist gerade aber unser Hauptziel“, erklärte Raelene, schon etwas motivierter. „Und wenn du dann wieder fit bist, kannst du ganz allein entscheiden, was du machen willst. Aber erst musst du mein Curry probieren. Ich kann nicht viel kochen, aber das kriege ich echt gut hin~.“ Von diesem lockeren Themenwechsel angesteckt, stimmte Delion nickend zu. „Das stimmt, ihr Curry ist super! Du wirst es mögen~. Sogar ich mag es, und dabei ist mir Essen früher ziemlich egal gewesen.“ Endynalos brummte leise. Wieder war der Ton so tief, dass er wie ein Vibrieren bei Raelene ankam und vermittelte ihr, wie groß sein Misstrauen bei dieser Sache war. Verständlich, eine Person hatte neulich erst versucht, ihn umzubringen. „Keine Sorge“, beruhigte Delion ihn. „Wir werden alle davon essen, damit du weißt, dass es sicher ist.“ „Und wenn du dann doch nicht willst, musst du nichts essen“, fügte Raelene noch hinzu. „Verbring doch einfach mal den Tag mit uns und schau dir an, wie Menschen und Pokémon eigentlich miteinander umgehen.“ Das dürfte bestimmt helfen, Endynalos' Meinung über Menschen zu ändern – aktuell musste diese nämlich denkbar schlecht sein. Ihre eigenen Pokémon könnten daher viel besser für sie sprechen. Solange Endynalos weiter so zurückhaltend blieb, sollte es dabei keine Probleme geben. Nicht mal Glurak hatte bisher in irgendeiner Art negativ reagiert oder zu verstehen gegeben, dass sie in Gefahr wären. Und Raelene konnte seinem Urteil garantiert trauen. „Wir würden also als nächstes erst mal unsere Pokémon freilassen. Nicht für einen Kampf, sondern um Zeit mit ihnen zu verbringen.“ Erwartungsvoll sah Raelene Endynalos an. „Okay?“ Etwas an Endynalos sagte ihr, dass er ihnen weiterhin misstraute. Sein Blick wanderte aber kurz zu Delions rechtem Arm, der noch verbunden war und in einer Schlinge lag. Dabei schien Endynalos über etwas nachzudenken. Kurz darauf nickte er ganz leicht, was wohl eine zögerliche Zustimmung sein sollte. Erleichtert nickte Raelene Delion zu. Dieser erwiderte nicht nur ihren, sondern auch Endynalos' Blick mit einem Lächeln. „Danke~.“ Danach griff er in seine Tasche und zog seine Pokébälle in Miniaturform hervor. Als er sie in die Luft warf, wuchsen sie auf ihre richtige Größe an und entließen dann die Pokémon in die Freiheit. Die Reaktionen auf Endynalos waren anschließend ziemlich unterschiedlich. Durengard schnellte direkt vor Delion, als wollte er seinen Trainer beschützen. Maxax, Intelleon und Katapuldra blieben ein wenig abseits, unschlüssig, was sie tun sollten. Nur Pichu war wieder einmal vollkommen unbedarft und lief direkt zu Endynalos hinüber. Vor ihm hielt er inne und strahlte ihn an. „Pichu! Pi! Chu!“ Endynalos betrachtete das Baby überaus ratlos, aber zumindest wirkte er dabei nicht aggressiv. Das bestärkte die kleinen Grolldras darin, sich Pichu anzuschließen und Endynalos näher zu betrachten. Dabei stießen sie zirpende Laute aus, die Endynalos wohl nicht als Bedrohung ansah. Schmunzelnd schüttelte Raelene den Kopf, als sie Pichu beobachtete. Garantiert würde mindestens Wolly sich ihm anschließen und Endynalos ebenso begeistert begrüßen. Sie zog auch ihre Pokébälle heraus und hielt kurz inne. Erst dachte sie darüber nach, Zamazenta etwas später rauszulassen, aber das könnte so wirken, als plane sie einen Hinterhalt mit ihm auf Endynalos. Also hoffte sie, es würde nicht sofort alles kaputt machen, wenn die zwei sich sahen. Wie Delion warf sie die Pokébälle in die Luft und ihr Team wurde ebenfalls in die Freiheit entlassen. Liberlo baute sich direkt schützend vor ihr auf, da er sich aber immer noch ausruhen musste, versicherte Raelene ihm, dass alles in Ordnung sei. Feelinara ging nur einige Schritte auf Endynalos zu und setzte sich dann freundlich lächelnd ins Gras. Dedenne und Azurill waren, zu Raelenes Überraschung, etwas ängstlich und versteckten sich vorerst hinter ihr. Wolly hüpfte, wie erwartet, zu Pichu und den Grolldras, deren Laute sie zu imitieren versuchte. Zamazenta betrachtete Endynalos prüfend und blieb in einem gewissen Abstand stehen. Im Moment war Endynalos scheinbar ohnehin noch so abgelenkt von der Aufmerksamkeit von Pichu, den Grolldras und Wolly, dass er Zamazenta noch gar nicht registriert hatte. „Bedrängt ihn doch nicht so“, bat Delion seine Kleinen. „Endynalos ist es nicht gewohnt, mit anderen Pokémon zusammen zu sein.“ Die Grolldras verstanden das offenbar und begaben sich direkt zu Feelinara, um wieder ihre Bänder nachzuahmen. Außerdem war sie immer noch nah genug, um Endynalos aus angemessener Entfernung zu betrachten. Pichu hörte allerdings nicht darauf, jedenfalls nicht wirklich. Zumindest sagte er nichts mehr, strahlte Endynalos aber weiterhin an. „Er ist ein Baby-Pokémon“, erklärte Delion dem überforderten Endynalos. „Er ist deswegen noch ziemlich neugierig.“ „Und Wolly will einfach nur mit der ganzen Welt befreundet sein“, sagte Raelene entschuldigend. Darauf neigte Endynalos kurz den Kopf, als wollte er sagen, dass er verstanden hätte. Raelene kniete sich ins Gras und rief Wolly zu sich. Sofort drehte sie sich zu ihr und kam artig angehüpft. Anschließend erklärte Raelene auch ihr, dass Endynalos Zeit bräuchte und sie warten solle, bis er auf sie zukäme. Wolly verstand schnell und eilte daraufhin zu Durengard, um mit ihm zusammen schützend vor Delion zu stehen – sicher dachte sie, das wäre ein Spiel. Als Endynalos sich plötzlich wieder bedrohlich aufbaute, wusste Raelene sofort, dass er Zamazenta bemerkt haben musste. Nervös blickte sie zwischen den beiden hin und her. Eine gefühlte Ewigkeit lieferten sie sich ein legendäres Blickduell, das die Atmosphäre abermals mit Spannung erfüllte. Zamazenta war letztendlich derjenige, der das Ganze beendete und sich schüttelte, bevor er sich etwas weiter abseits gemütlich hinlegte. Endynalos starrte ihn weiter hartnäckig an, in der Erwartung, er könnte sich jeden Moment doch noch gegen ihn wenden. Irgendwie ... tat es Raelene furchtbar leid, wenn sie das beobachtete. Bislang hatte Endynalos wohl überhaupt keine positiven Erfahrungen sammeln können. Wenigstens konnten sie sicher sein, dass er gerade keine Gefahr darstellte, sonst wäre Zamazenta nicht genauso entspannt wie Glurak. „Okay, benehmt euch einfach wie immer und genießt das Wetter.“ Ermutigend lächelte Raelene ihren Pokémon zu. „Spielt und habt Spaß~. Ich rufe euch alle zusammen, wenn das Curry fertig ist.“ Delion wandte sich an seine Pokémon. „Das gilt auch für euch.“ Glurak, Intelleon und Maxax verstanden das sofort und verteilten sich direkt. Intelleon sprang ins Wasser, um zu schwimmen, wie üblich. Maxax ging zu Azurill und Dedenne hinüber, um sie davon zu überzeugen, dass er sie beschützen würde, Pichu beschloss, ebenfalls zu den beiden zu gehen, um sie zu grüßen. Glurak legte sich in einiger Entfernung in die Sonne. Katapuldra schloss sich seinen Grolldras an und schwebte um Feelinara herum. Einzig Durengard war noch nicht überzeugt und schwebte weiter vor Delion. Zumindest war er aber in Schildform und damit keine Gefahr für Endynalos. Damit gab Delion sich offensichtlich zufrieden, da er Durengard lächelnd zunickte. Liberlo nahm sich in der Zwischenzeit ein Beispiel an Glurak und legte sich zu ihm in die Sonne – das mochten wohl alle Feuer-Pokémon sehr gerne. Wolly blieb weiterhin bei Durengard und schnüffelte immer wieder mal neugierig im Gras herum. So wie es aussah, wären damit alle beschäftigt. Raelene wandte sich nur noch einmal an Endynalos. „Wenn du was brauchst, gib einfach Bescheid. Wir verständigen uns dann schon irgendwie~.“ Anscheinend konnte Endynalos nämlich keine Telepathie mehr einsetzen. Entweder war er dafür zu schwach oder es hatte etwas in der Einrichtung gegeben, wodurch ihm das möglich gewesen war. Delion warf auch noch einem letzten Blick zu Endynalos, ehe er zu Raelene hinüber ging. Durengard folgte ihm natürlich, den Blick sogar schon von Endynalos abgewandt, also betrachtete er ihn wohl auch nicht als akute Gefahr. „Kann ich dir bei irgendwas helfen?“ Erst wollte Raelene anmerken, dass sein Arm verletzt war und er sich lieber auch schonen sollte, doch sie überlegte. Delion würde sich sicherlich darüber freuen, wenn er nur irgendetwas tun könnte. Anders als bei Liberlo musste er nur seinen rechten Arm stillhalten, also könnte sie ihm ruhig eine kleine Aufgabe geben, damit er sich besser fühlte. „Wenn du willst, kannst du dich mit Glurak wieder um das Feuer kümmern“, schlug Raelene vor. Mit nur einer Hand würde das wesentlich länger dauern, aber notfalls könnte er mit den Baby-Pokémon auch eine Art Spiel daraus machen, wie sie ihm erklärte. „Du machst das schon~.“ An Energie mangelte es Delion immerhin nicht. Sie hoffte nur, dass er es nicht übertrieb. In dem Punkt vertraute sie aber auf Glurak, der ihn rechtzeitig tadeln würde. Vorsichtshalber warf Raelene nochmal prüfend einen Blick zu Liberlo, doch er lag wirklich nur gemütlich im Gras und genoss die Mittagssonne. Entschlossen ballte Delion die gesunde Hand zur Faust. „Geht klar! Glurak, komm mal bitte her~!“ Kaum hörte Glurak die Stimme seines Partners, hob er erst den Kopf, dann stand er wieder auf und kam er tatsächlich zu ihm herüber. Delion erklärte ihm, was sie zu tun hatten, dann machten sie sich sofort gemeinsam an die Arbeit. Anfangs schien es wirklich nicht einfach für ihn zu sein, weil er nur einen Arm benutzen konnte, aber nachdem auch Pichu dazukam, um herauszufinden, was sie dort machten und sich dann ebenfalls engagierte, gelang es ihnen tatsächlich, ein Feuer in Gang zu bringen, das groß genug war. Raelene hatte sich währenddessen um das Essen gekümmert und auch alle Beeren ausgesucht, die sie benötigte. Da es für Endynalos, falls er denn etwas wollte, das erste Mal Curry gab, hatte sie sich wieder für die milde Variante entschieden. Auch für die Babys war das immer noch besser. „Perfekt~“, lobte sie Delion und alle Helfer, als sie den Kessel über das Feuer stellte. Dedenne hatte sich irgendwann zu Liberlo gelegt, nachdem er ihn eine Weile umrundet hatte. Offenbar war es für den kleinen Nager seltsam, nicht mehr ständig mit einem Ball verwechselt zu werden. Feelinara schien anmutig mit den Grolldras und Katapuldra zu tanzen. Azurill blieb dicht bei Maxax, weil sie immer noch unsicher war, und saß auf seinem Kopf. Wolly ... rollte, aus irgendeinem Grund, immer wieder gegen Zamazenta. Irritiert neigte Raelene den Kopf, während sie anfing zu rühren. „Manchmal verstehe ich nicht, was sie will.“ „Entweder will sie kuscheln oder spielen“, vermutete Delion. „Aber das ist wohl beides nicht Zamazentas Ding.“ Immerhin war er ein legendäres Pokémon, da war es nur verständlich, dass er kein allzu großes Interesse an so etwas zeigte. Nur selten nahm Zamazenta mal an einem Spiel teil, wenn ihm danach war. Eigentlich müsste Wolly das wissen, doch sie wollte offenbar trotzdem ihr Glück versuchen. Durengard hatte Wolly eine Weile beobachtet und verließ Delions Seite, um zu ihr hinüber zu schweben, als wolle er ebenfalls fragen, was sie wollte. „Woll, woll, woll~!“ Wolly sah Durengard mit leuchtenden Augen an, bevor sie dann als nächstes gegen ihn rollte und anschließend ein Stück weglief. Danach kam sie zurück und wiederholte das Ganze. „Aaah!“, gab Raelene verstehend von sich, während sie unbeirrt weiter rührte. „Ich glaub, sie will Fangen spielen. Was das angeht, hattest du also recht~.“ Das machte mit mehr Mitspielern natürlich erst so richtig Spaß, deshalb hatte sie Zamazenta wohl dazu ermutigen wollen. Vielleicht dachte sie, weil er letztens beim Völkerball mitgemacht hatte, dass er nun auch das Spielen für sich entdeckt hätte. Als sie erneut gegen Zamazenta rollte, stand dieser plötzlich auf und gab ihr einen Klaps mit der Pfote, woraufhin sie freudig nochmal gegen Durengard rollte. Danach huschten sowohl Zamazenta als auch Wolly davon. Nun war wohl Durengard dran mit jagen. „Ach, Wolly~.“ Raelene lachte herzlich. „Jetzt hat sie ihn doch rumgekriegt.“ „Sie weiß, was sie will, hm?“ Durengard akzeptierte die Herausforderung und folgte den beiden, wobei er sich nicht wirklich entscheiden konnte, welchen von ihnen er lieber fangen wollte. Aber ungeachtet dessen schien er sich durchaus zu amüsieren. Endynalos beobachtete die drei aufmerksam. Es sah aus, als wäre ihm nicht ganz klar, weswegen sie taten, was sie taten. Wahrscheinlich hatte er in seinem Leben noch nie gespielt. Raelene merkte sofort, dass Zamazenta absichtlich langsamer lief als er könnte. Vermutlich weil er den anderen eine faire Chance geben wollte. Gerade deshalb war es umso schöner, dass er das Spiel trotzdem mitmachte. Wolly lief an Feelinara, Katapuldra und den Grolldras vorbei und forderte sie mit Rufen dazu auf auch wegzulaufen. Im Gegensatz zu Zamazenta ließ Feelinara sich nicht lange bitten und machte, genau wie Durengard, direkt mit. Katapuldra und die Grolldras schlossen sich dem Spiel auch sofort an, so dass Durengard nun eine wesentlich größere Auswahl an Spielgefährten hatte. Einer von denen müsste sich doch fangen lassen, oder? „Das wird wohl turbulent~“, meinte Raelene zufrieden, dann sah sie zu Glurak. „Bist du so lieb und könntest aufpassen, dass sie mir nicht in den Kessel rennen?“ Glurak nickte ihr entschlossen zu und stellte sich dann so vor den Kessel, dass keiner der Spielenden daran gelangen könnte. Endynalos beobachtete das Treiben weiterhin argwöhnisch, sein Interesse schien inzwischen ohnehin eher dem Kessel zu gelten, zu dem er immer wieder hinsah. Raelene bekam mit, wie Azurill aufgeregt von Maxax' Kopf sprang, weil sie das Spiel erkannte und mitmachen wollte. Sie stolperte dabei in Durengard hinein, weshalb sie direkt mit Fangen dran war. Zamazenta machte es ihr ziemlich leicht. So lief das Ganze immer weiter. Eine derart lebhafte Atmosphäre war einfach großartig. Dann konzentrierte sie sich aber lieber voll und ganz auf das Curry. „Kannst du mir bitte die Schüsseln holen?“, fragte sie Delion. „Dann kann ich gleich direkt das Essen verteilen~.“ Er nickte ihr zu, ging zum Gepäck der beiden hinüber und wühlte darin kurz nach den Schüsseln. Es dauerte nicht lange, bis er sie gefunden und aus der Tasche befördert hatte. Wobei er etwas vorsichtiger als sonst sein musste, weil er nur eine Hand benutzen konnte. Als er das geschafft hatte, brachte er die Schüsseln zu Raelene. „Hier, bitte~.“ „Danke dir~.“ Normalerweise würde Raelene Endynalos zuerst eine Portion geben, aber da er noch misstrauisch war, fing sie besser mit ihren Pokémon an – wozu sie inzwischen auch schon automatisch die von Delion zählte. Raelene verkündete laut, dass das Essen fertig war und alle herkommen sollten. Sofort wurde das Fangspiel abgebrochen und die ersten Pokémon versammelten sich begeistert um sie. Dedenne rannte erst alleine los, hielt aber dann inne und war doch noch so umsichtig Liberlo zu wecken, damit auch er zu ihr an den Kessel kommen konnte. Glurak bekam die erste Portion, weil er den Kessel vor den Spielenden verteidigt hatte. Danach gab sie nach und nach auch den anderen ihr Essen. Manchmal reichte sie Delion eine Schüssel, damit er sie weitergeben konnte. Zu ihrer Freude beobachtete Endynalos das Ganze äußerst interessiert, also würde er vielleicht tatsächlich auch etwas essen wollen. Inzwischen hatten sich die Pokémon alle aneinander gewöhnt, so dass niemand mehr versuchte, einem anderen etwas wegzuessen. Besonders Pichu hatte am Anfang versucht, sich durch die Schüsseln der größeren Pokémon zu fressen. Da die Ermahnungen von Maxax und Glurak nicht gefruchtet hatten, war es an Delion gewesen, Pichu zurechtzuweisen. Und inzwischen funktionierte es gut, selbst wenn sie direkt nebeneinander aßen. Als alle der gewohnten Pokémon versorgt waren, sah Delion zu Endynalos, der seinen Blick mit einem leisen Brummen erwiderte. Darauf wandte Delion sich an Raelene: „Ich denke, Endynalos möchte auch eine Portion.“ „Sehr gerne~.“ Für Endynalos nahm Raelene eine der größeren Schüsseln. Er war ein riesiges Pokémon und hatte wahrscheinlich noch nie etwas gegessen, daher dürfte er einen gigantischen Hunger entwickelt haben, von dem er selbst nur noch nichts wusste. Sie brachte ihm das Essen und wünschte ihm lächelnd einen guten Appetit. Endynalos beobachtete sie kurz wachsam, während sie zum Kessel zurückging und die nächste Portion für Delion in eine Schüssel füllte. Dann widmete er sich aber wirklich seinem Essen. „Ich bin so gespannt, ob es ihm schmecken wird“, flüsterte sie aufgeregt zu Delion. „Ich bin auch gespannt“, antwortete Delion leise. Sie beide versuchten, Endynalos nicht zu auffällig anzustarren, aber ihre Neugier war gleichzeitig zu stark. Endynalos kostete erst einmal vorsichtig, als ließe er es auf sich wirken – und dann aß er ein wenig schneller weiter. Offenbar schmeckte es ihm gut. Plötzlich hielt er wieder inne und hob den Blick. Delion zuckte zusammen und sah weg, was Raelene ihm gleichtat. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, wie Endynalos zufrieden den Kopf senkte und weiteraß. „Er isst es!“, murmelte sie, konnte ihre Freude jedoch kaum unterdrücken. „Er isst es wirklich!“ Auch Delion gefiel dieser Fortschritt, seine Augen leuchteten. „Das lief besser als erwartet. Aber umso schöner~.“ „Ich sollte mich die Curry-Queen nennen~.“ Raelene nahm einen Löffel von ihrer eigenen Portion, die sie inzwischen hatte, und hüpfte dabei mit zusammengekniffen Augen ein wenig auf und ab vor Begeisterung. Ihr Curry wurde nicht nur von Delion und dessen Team geliebt, sondern sogar Endynalos aß es! Sie war so glücklich. Azurill ahmte Raelene nach und fing an fröhlich auf der Stelle zu hüpfen. „Azurill, rill~!“ Wenn Endynalos das Essen schon mochte, würde er vielleicht auch bei ihnen bleiben. Dann könnten sie Freunde werden und ihm vieles zeigen, was diese Welt zu bieten hatte. Vielleicht könnten sie sogar zusammen in andere Regionen reisen. Ja, das wäre alles einfach wundervoll. Zunächst sollten sie Endynalos aber vielleicht aufessen lassen. Gemeinsam setzten sie sich zu den Pokémon ins Gras und genossen das Essen. Zum Glück war alles wieder so schnell gut geworden. Nun mussten nur noch Delion und Liberlo wieder vollkommen gesund werden, dann wäre die Welt perfekt. Deshalb bekam Liberlo auch sofort einen Nachschlag, als er um einen bat, genau wie einige andere Pokémon. Neugierig warf Raelene einen Blick zu Endynalos und bemerkte, dass er nur noch reglos auf die nun leere Schüssel vor sich starrte. „Möchtest du auch einen Nachschlag?“, fragte sie. Sogleich hob Endynalos den Kopf, zögerte jedoch kurz, bevor er leicht nickte. Also bekam auch er eine weitere Portion, die er eifrig aß. Wenn er bei ihnen bleiben würde, hätte Raelene große Lust darauf herauszufinden, welche Art Curry ihm wohl am besten schmeckte. Als sich Raelene wieder zu Delion setzte, fiel ihr auf, wie gelöst er wirkte, während er Endynalos beobachtete. Natürlich bemerkte er ihren Blick und schenkte ihr ein Lächeln, das ihre Brust mit Wärme füllte. Ein wenig hatte sie das Gefühl, gerade den acht Jahre jüngeren Delion vor sich zu haben, der noch Champ war und nie etwas Traumatisches hatte durchmachen müssen. „Es ist, wie ich es mir immer dachte~“, setzte Delion an und strahlte noch mehr. „Pokémon sind nicht von Grund auf böse, nicht einmal Endynalos. Er brauchte nur jemanden, der ihn versteht.“ Verstehend erwiderte Raelene sein Lächeln. „Und genau das tun wir jetzt.“ Damit hatten sie die Welt wieder ein Stück besser gemacht, sie waren eben ein großartiges Team. Statt noch mehr zu sagen, genoss Raelene weiterhin das restliche Essen und lauschte den Gesprächen der Pokémon. Schließlich waren irgendwann alle satt und zufrieden, also füllte sie den Rest vom Curry in eine Schüssel, damit sich noch die wilden Pokémon daran bedienen könnten. Feelinara bestand wieder darauf, ihr den Abwasch abzunehmen, wogegen sie sich nicht wehrte. Raelene nutzte die Zeit und setzte sich zu Liberlo, um sich bei ihm zu erkundigen wie es ihm ging. Natürlich klagte er darüber, wie langweilig es war, die ganze Zeit nur herumzuliegen. Sie versicherte ihm, dass er nur noch ein paar Tage durchhalten musste und sich dann wieder nach Lust und Laune bewegen könnte. Wolly hatte sich ins Gras fallen lassen und machte ein Verdauungsschläfchen. Durengard hatte sich gegen Wolly gelehnt, war aber wachsam. Auch Dedenne und Azurill nahmen sich an ihr ein Beispiel, hatten sich aber dafür an Maxax gekuschelt. Pichu lag auf ihm, wie so oft, wenn es um Nickerchen ging, die Maxax sich auch wieder angewöhnt hatte, seit er die Babys und Dedenne kannte. Glurak lag ein wenig abseits in der Sonne, einen Flügel ausgebreitet, unter dem sich Intelleon hingelegt hatte. Katapuldra hatte sich Feelinara angeschlossen, um ihr mit dem Abwasch zu helfen, die Grolldras wiederum hatten es sich zum Schlafen in Delions Haaren gemütlich gemacht, wie üblich. Zamazenta starrte nachdenklich in die Ferne. Endynalos dagegen war immer noch wachsam und beobachtete sie. Es würde wohl eine Weile dauern, bis er in ihrer Nähe einfach in Ruhe schlafen könnte. Dennoch lächelte Delion immer noch zufrieden. „Manchmal ist es gar nicht so verkehrt, wenn alles friedlich ist~.“ Raelene nickte ihm zu. Sie saß mit Liberlo in seiner Nähe. „Stimmt~. Es ist eben immer besser, wenn niemand verletzt wird oder anderweitig leiden muss.“ Jedenfalls hoffte sie, dass es in Galar keine Orte gab, wo es Pokémon oder Menschen schlecht ging. Es wäre ihre Aufgabe als Champ, sich sonst darum zu kümmern. Nach dem Vorfall in der Einrichtung wusste sie aber, dass sie viel zu schwach war. Für einen Moment machte sie unbewusst ein ziemlich ernstes Gesicht. Endynalos schwebte derweil ein wenig näher, behielt aber einen gewissen Abstand bei. Er deutete mit einem Nicken auf die schlafenden Pokémon, bevor er sie beide wieder fragend ansah. Delion sah zu ihm hinüber und überlegte für einen kurzen Moment, was er wohl wissen wollte. „Hmmm ... fragst du, was sie jetzt gerade machen?“ Endynalos deutete ein Nicken an. Dass sie ihm so etwas Elementares erklären müssten, hätte Raelene nicht gedacht. Sogar Zamazenta schlief regelmäßig und viel. Hatte Endynalos das wirklich noch nie zuvor getan? „Sie schlafen“, erläuterte Delion. „Nach dem Essen sind sie meist erschöpft, besonders wenn sie davor gespielt haben. Deswegen schlafen sie jetzt eine Runde.“ „Danach sind sie wieder fit und können noch mehr spielen~“, sprach Raelene weiter. „Versuch es doch auch mal. Das hilft dir bestimmt dabei wieder zu Kräften zu kommen.“ Endynalos dachte einen Moment tatsächlich darüber nach, obwohl er gleichzeitig nicht sehr überzeugt zu sein schien. Er warf nochmal einen Blick zu den anderen Pokémon. Dann schwebte er gänzlich zu Boden, bis er diesen berührte. Anschließend wartete er kurz, bis er wieder fragend Delion und Raelene ansah. Am liebsten hätte Delion scheinbar gelacht, weil es einfach so bezaubernd war, dass Endynalos nicht verstand, wie ein normales Leben funktionierte – Raelene konnte das nur zu gut nachfühlen, auch sie fand das Ganze niedlich. Aber er hielt sich am Riemen und räusperte sich, damit Endynalos nicht das Gefühl bekam, dass er sich über ihn lustig machte. „Du musst deine Augen schließen und dich entspannen, dann funktioniert das mit dem Schlaf von ganz allein. Mit der Zeit jedenfalls. Manche brauchen länger zum Einschlafen als andere.“ Raelene nickte auf Delions Erklärung. „Stell dir was Schönes vor, das kann helfen.“ Endynalos brummte verstehend und schloss die Augen. Kaum zu glauben, dass dieses Pokémon vor einigen Jahren noch eine Gefahr für ganz Galar gewesen war, wenn man ihn jetzt so sah. Das nahm Raelene einen großen Teil von ihrer Angst, die sie ihm gegenüber hatte. Endynalos wirkte gerade fast wie ein verlorenes Kind, aber das sagte sie besser niemals laut, um ihn nicht zu verärgern. Stattdessen legte Raelene sich nun selbst ins Gras und klopfte neben sich auf den Boden, um Delion zu sagen, dass er sich zu ihr legen sollte. Darum ließ er sich nicht zweimal bitten. Zufrieden legte er sich neben sie. Wer hätte gedacht, dass sie heute schon wieder einen so angenehm ruhigen Tag verleben können, nachdem sie vorgestern noch so erbittert gekämpft hatten? Sogar das Gras war angenehm bequem. „Das ist schön~“, seufzte Delion. Lächelnd rückte Raelene dicht an ihn heran, um sich an ihn zu schmiegen. „Jetzt ist es sogar noch schöner~.“ Normalerweise machte sie nach dem Essen kein Schläfchen, aber an diesem Tag kam es ihr wie eine gute Idee vor. Delion und Liberlo mussten sich sowieso noch ausruhen. Außerdem tat es gut, so von Frieden erfüllt zu sein, nach dem was vorgestern passiert war. Hoffentlich würde Endynalos sich dafür entscheiden bei ihnen zu bleiben, aber selbst wenn er lieber in Freiheit leben wollte, dürfte er keine Gefahr mehr darstellen. Delion legte den gesunden Arm vorsichtig um sie. „Oh ja, jetzt ist es perfekt~.“ Warum konnte das Leben nicht immer so einfach und unkompliziert sein? Sobald Delion und Liberlo wieder gesund waren, könnten sie dann auch endlich richtig auf Erkundungstouren gehen oder ganz viele Schaukämpfe austragen. Das wäre dann eine schöne Abwechslung zur derzeitigen Ruhe, die sie erlebten. Noch war es aber nicht soweit. Nun konnten sie sich einfach die Zeit nehmen, die sie wollten und brauchten. Kapitel 23: Willst du darüber reden, wie es weitergehen soll? ------------------------------------------------------------- Als Raelene am Abend dabei war das Zelt aufzubauen, mit der Hilfe von Feelinara, schlief Endynalos immer noch tief und fest. Inzwischen hatten Wolly und die anderen wieder angefangen Fangen zu spielen und konnten manchmal vor Aufregung recht laut werden, doch sogar das weckte ihn nicht auf. Das bewies nur ziemlich deutlich, wie viel Energie Endynalos verloren hatte und wie schlecht es ihm eigentlich ging. Nachdenklich betrachtete Delion Endynalos mit geneigtem Kopf. Er hatte Pichu davon abhalten müssen, auf Endynalos zu klettern und ihm erklärt, dass ihr neuer Begleiter gerade Ruhe benötigte. Offenbar konnte Pichu das verstehen, denn danach hatte er sich lieber wieder dem Spiel von Wolly und den anderen angeschlossen. „Ich würde ihn am liebsten in ein Pokémon-Center bringen“, meinte Raelene besorgt, während sie die letzten Handgriffe ausführte. „Aber das wäre wohl viel zu früh für ihn.“ Zumal sie noch gar nicht wussten, ob er ihnen überhaupt freiwillig folgen würde. Vielleicht wollte Endynalos viel lieber irgendwo seine Freiheit genießen, sobald er wach wurde. Obwohl das durchaus Probleme geben könnte. Bei ihnen wäre er einfach sicherer, doch sie sollten ihn nicht zwingen und es Endynalos selbst überlassen. Eventuell müssten sie aber einen vertrauenswürdigen Arzt finden, den sie für eine Untersuchung zu Endynalos bringen konnten. „Ein Pokémon-Center wäre eine gute Idee“, stimmte Delion zu. „Aber damit sollten wir wirklich noch warten. Erst müssen wir ihm zeigen, dass es für die anderen harmlos ist. Sofern er bei uns bleiben will.“ „Also heißt es abwarten.“ Wenigstens schien der Kern in Endynalos' Brustkorb wieder heller zu leuchten, also gewann er an Energie. „Würde mich nicht wundern, wenn er bis zum Morgen durchschläft.“ Da das Zelt nun stand, kümmerte sich Raelene gerade um die Inneneinrichtung, weshalb sie etwas lauter weitersprach. „Ein paar Pokémon sollten wohl nachts besser auf ihn aufpassen.“ Zwar befanden sie sich mitten in der Wildnis, aber es konnte immer etwas Unvorhersehbares passieren. Zamazenta schnaubte leise, gut hörbar für Raelene, deshalb warf sie einen kurzen Blick über die Schulter. Das legendäre Pokémon hatte sich vor das Zelt gesetzt und nickte ihr zu. „Du passt auf?“ Sie lächelte erleichtert. „Super, danke~.“ Delion war ebenfalls zum Zelt gekommen und lehnte sich so weit nach unten, bis sie Blickkontakt hatten und er ihr zuzwinkern konnte. „Damit wäre das Problem ja bereits gelöst~.“ Die nächsten Worte richtete er an Zamazenta: „Außerdem schläft Glurak meistens draußen, wenn es nicht gerade regnet. Falls also etwas passieren sollte, kannst du ihn auch aufwecken.“ Wahrscheinlich hätte Zamazenta keine Probleme gegen Bedrohungen jeglicher Art, aber dennoch wollte Delion ihn offenbar wissen lassen, dass er nicht allein auf sich gestellt wäre. Und Glurak war nun einmal ein sehr starkes Pokémon. Zamazenta jaulte kurz auf und schüttelte sich, was Raelene als freundliches Dankeschön verstand. Manchmal konnte sogar er irgendwie niedlich sein, aber das sagte sie besser nie laut. Jedenfalls nicht in seiner Nähe. Einen gewissen Respekt wollte sie ihm gegenüber stets wahren. „Gut, dann bin ich vollkommen beruhigt“, bedankte Raelene sich, bevor sie sich weiter auf ihre Arbeit konzentrierte. „Es gibt bestimmt noch genug ähnliche Idioten wie diesen Mula.“ Dabei war es schon schlimm genug, dass es überhaupt einen solchen Idioten gab. Hoffentlich hockte der schon hinter Gittern und käme so bald nicht wieder raus. Der Name von Mula erinnerte Delion wohl plötzlich an etwas. „Ach ja, das hatte ich ganz vergessen!“ Wieder sah Raelene über ihre Schulter und bekam mit, wie Delion sich an die Stirn tippte, um zu zeigen, dass sein Gedächtnis fallweise nicht das Beste war. „Ich wurde von Helen wegen Mula angerufen, als du noch mit Liberlo im Pokémon-Center warst. Der Kerl wurde vorsorglich erst mal eingesperrt, aber Professor Magnolica, ein paar andere Mitarbeiter und wir werden wohl noch Aussagen machen müssen. Dafür wird man uns noch nach Score City in die Polizeistation rufen.“ „Ich mache gerne zig Aussagen, wenn es hilft, dass der Typ auch weiter eingesperrt bleibt“, betonte Raelene, wobei sie wütend schnaubte. Es war schon unverzeihlich, dass Mula Endynalos töten wollte, aber er hätte auch noch eiskalt alle Menschen und Pokémon in der Einrichtung geopfert. Wie konnte man nur so grausam sein? Energisch legte Raelene die Schlafsäcke aus. „Ich wünschte, ich hätte ihm noch eine reingehauen.“ „Ich wünschte auch, du hättest ihm noch eine reingehauen~.“ Delion lachte leise, vermutlich weil er an den Moment dachte, in dem sie Mula die Ohrfeige verpasst hatte. „Das war mal eine ganz andere Seite von dir, die ich sehr interessant fand. Aber nur, solange du nie so wütend auf mich bist.“ „Ach, das wird nie passieren“, sagte sie überzeugt. „Kann Mula mich für die Ohrfeige eigentlich anzeigen?“ „Selbst wenn, seine Straftaten sind weitaus schlimmer. Außer mir gibt’s eh keine Zeugen und ich werde ganz sicher nicht zu seinen Gunsten aussagen.“ „Auch wieder wahr~.“ „Jedenfalls wird er wohl einige Zeit weggesperrt bleiben“, berichtete Delion weiter, „wenn man bedenkt, was er vorhatte und was dabei alles passiert ist.“ Das war wirklich gut zu wissen. Diesen Menschen wollte Raelene, wenn möglich, nicht nochmal zu Gesicht bekommen. Delion hätte sterben können, wenn eine Kugel ihn ... Nein, darüber durfte sie nicht nachdenken. Er war am Leben und auch sein Arm käme wieder in Ordnung. Wenig später kroch Raelene aus dem Zelt und schloss Delion in ihre Arme, nur um sich zu vergewissern, dass er wirklich gerade bei ihr war. Wenigstens konnte sie sicher sein, dass sich hier in der Natur nirgendwo Schusswaffen befanden, die ihn oder ihre Pokémon noch schlimmer verletzen könnten. „Ich bin fertig. Wir können jetzt schlafen gehen.“ Delion legte den gesunden Arm um sie und lächelte sanft. „Dann lass uns schlafen~. Morgen werden wir einen aufregenden Tag erleben~.“ Richtig, denn morgen könnten sie herausfinden, was Endynalos über sie dachte und ob er bei ihnen bleiben würde. Darauf war Raelene schon gespannt. Falls er die Natur bevorzugen würde, müssten sie sich einfach etwas einfallen lassen, um ihn dort zu beschützen. Erst hatten aber auch sie sich etwas Schlaf verdient. Raelene löste sich von Delion, um den Eingang vom Zelt aufzuhalten und zu warten, bis alle, die drinnen schlafen wollten, reingegangen waren. Dabei warf sie nochmal einen Blick zu Endynalos, der ruhig schlief und gleichmäßig atmete. Zamazenta saß bereits zwischen dem Zelt und ihm, damit er alles im Blick behalten konnte. Sie hoffte, dass es eine ruhige Nacht wurde und sie alle morgen wieder ganz viel Spaß haben könnten.   ***   Die Nacht war ereignislos vorbeigegangen. Delion hatte tief und traumlos geschlafen, er war nur einmal kurz aufgewacht, weil sein Arm etwas geschmerzt hatte – was kein Wunder war, wenn man bedachte, dass er sich beim Schlafen auf die rechte Seite gedreht hatte. Insgesamt fühlte er sich aber ausgeruht, als er am nächsten Tag erwachte, und verließ das Zelt möglichst leise. Auf keinen Fall wollte er Raelene und die anderen aufwecken, nur weil er wieder mal viel zu früh auf den Beinen war. Draußen bestand sein erstes Tagesziel vor allem darin herauszufinden wie die Nacht für Endynalos gewesen war. Es ist ziemlich still, wenn die Babys noch schlafen. Allerdings fand er das Pokémon nicht dort, wo es am Abend des Vortages zuvor noch geschlafen hatte. Zamazenta dagegen war noch auf seinem Posten und saß entspannt im Gras, den Blick scheinbar auf den Himmel gerichtet. Erst als Delion selbst den Kopf hob, entdeckte er Endynalos, der einige Runden um den Dyna-Baum drehte. Sofort blühte Freude in ihm auf. Statt die Gelegenheit zu nutzen und zu fliehen, während der Großteil noch am Schlafen war, blieb Endynalos von sich aus in der Nähe. Ein gutes Zeichen. Schnell bemerkte Endynalos, dass Delion aus dem Zelt getreten war und ihn beobachtete. Deshalb flog er zurück nach unten und landete an der Stelle, wo er zuletzt gelegen hatte. Nicht weit von Zamazenta entfernt. „Guten Morgen, Endynalos~“, grüßte Delion ihn munter, darum bemüht seine volle Begeisterung nicht gänzlich die Überhand gewinnen zu lassen. „Scheint so, als hättest du dich ganz gut erholt. Das freut mich!“ Endynalos neigte den Kopf ein wenig und lenkte den Blick zu Zamazenta, als wolle er ihn fragen, ob Menschen immer so viel redeten. Zamazenta schnaubte leise, womit er die Frage wohl bejahte, und schien sogar ein wenig zu lächeln. Zwischen den beiden fand nun schon eine richtige Kommunikation statt, was Delion noch mehr freute. Womöglich hatten sie sich irgendwann in der Nacht sogar mal richtig miteinander unterhalten. In der Nähe befand sich eine kleine Gruppe von Raffel, die sich lautstark um Beeren stritten und deswegen kurz Delions Aufmerksamkeit auf sich lenkten. Die wilden Pokémon zogen aber bald schon weiter, weshalb er beschloss, auch mal nach den anderen zu sehen. Dabei musste er feststellen, dass es noch mehr Frühaufsteher gab. Liberlo war bereits draußen und lag gelangweilt im Gras, den Blick wirklich in den Himmel gerichtet. Nur ein paar Schritte von ihm entfernt wachte Glurak über ihn. Mit einem tiefen Seufzen teilte Liberlo mit, dass er sich endlich richtig austoben wollte. So wie er es eigentlich sonst gerne tat. Garantiert hatte Glurak ihn schon einige Male zurückhalten müssen, sich nicht einfach trotzdem zu bewegen. „Ich versteh dich, Liberlo“, sagte Delion mitfühlend. „Ich würde auch gern schon richtig loslegen, glaub mir.“ Vor allem müsste er den Arm nach der Genesung erst nochmal richtig in Form bringen, um seine Pokébälle wie gewohnt werfen zu können. „Aber du wirst sehen, wir werden im Nu wieder fit sein.“ Glurak stimmte dieser Aussage mit einem strengen Brummen zu und Liberlo nickte seufzend, hob aber verzweifelt die Arme dabei. Natürlich würde er lieber jetzt sofort loslegen, doch er musste geduldig sein. Das war sicher ein hartes Training für ihn. Delion versicherte Liberlo erneut, dass er früh genug wieder loslegen dürfte. Endynalos hatte dem Gespräch der beiden aufmerksam gelauscht und hob anschließend kurz nachdenklich den Kopf. Anschließend gab er einen seltsamen Laut von sich, der irgendwie bedrückt klang. Hatte er etwa Schuldgefühle, weil Delion und Liberlo seinetwegen verletzt worden waren? Bevor Delion als Betroffener dazu etwas sagen konnte, schüttelte Zamazenta bereits den Kopf und schien Endynalos knurrend zu erklären, dass in dem Fall Mula der Verantwortliche war. „Na, ihr vertragt euch anscheinend ja schon ganz gut.“ Delion konnte sich das freudige Grinsen nicht verkneifen. „Das ist echt großartig~.“ Er hatte befürchtet, dass es zwischen den beiden zu Spannungen kommen könnte, da Zacian und Zamazenta inzwischen zweimal dafür verantwortlich gewesen waren, Endynalos einzusperren. Es musste in der Nacht tatsächlich zu einem Gespräch oder so etwas gekommen sein. Jedenfalls wirkte keiner der beiden aggressiv. Zamazenta und Endynalos warfen sich gegenseitig einen Blick zu, ehe letzterer sich unsicher wegdrehte, während der andere Delion selbstbewusst zunickte – eine Szene, die ihn lauthals zum Lachen brachte. Kurz darauf war ein Rascheln aus dem Zelt zu hören und Raelene kam nach draußen, mit Wolly auf dem Arm, die sich noch schläfrig an ihre geliebte Trainerin schmiegte. „Hey“, murmelte Raelene verschlafen. „Ohne dich ist es irgendwie kalt im Zelt. Und den ganzen Spaß verpasse ich offenbar auch noch.“ Gähnend stellte sie sich dicht zu Delion, der sie gerade unbeschreiblich niedlich fand. Erst recht weil ihr Haar total zerzaust war. „Oh, guten Morgen, ihr alle~“, grüßte sie die Anwesenden. „Guten Morgen, Rae~.“ Delion legte den Arm um sie und fuhr ihr dabei vorsichtig durch das Haar, um es etwas zu richten, obwohl das ein zauberhafter Anblick war. Vermutlich würde sie sich aber daran stören, deswegen half er ihr ein wenig dabei, das zu berichtigen. Zu seiner Freude genoss Raelene das auch sichtlich, wodurch ihr Niedlichkeitsfaktor direkt noch weiter in die Höhe schoss. Wie konnte man nur so süß sein? War sie sich dessen überhaupt bewusst? Neugierig blickte Raelene in die Runde. „Ich hoffe, ihr habt gut geschlafen.“ „Und wie~“, bestätigte Delion, worauf Glurak ein zustimmendes Brummen von sich gab. „Sieht aus, als wäre die Nacht für alle gut gelaufen. Besonders für unseren Endynalos.“ Sofort betrachtete Raelene ihn genauer. Endynalos sah deutlich besser aus als gestern, sicher konnte auch sie das auf Anhieb erkennen. Da könnten sie das Pokémon-Center eventuell ein wenig verschieben, statt ihn gleich damit zu verunsichern. „Das freut mich~.“ Raelenes Augen leuchteten. „Ich hab mir echt Sorgen gemacht, aber etwas Curry und Schlaf bewirkt eben Wunder.“ Zwei Dinge, die Endynalos erst kennengelernt hatte. Vielleicht fand er ja nun Gefallen an beidem und würde sich ihnen schon allein aus dem Grund anschließen. „Die Gegend hier ist sicher auch nicht schlecht für seine Gesundheit“, merkte Delion an. „Das war eine gute Wahl.“ Allein schon wegen des Dyna-Baums, der über ihnen aufragte, und der Energiequelle darunter. Und dann diese Abgeschiedenheit ... das half Endynalos bestimmt auch. „Es ist eben einfach perfekt hier~“, betonte Raelene – sobald es um die Kronen-Schneelande ging, fing sie stets an zu schwärmen, wie ihm schon aufgefallen war. Behutsam setzte sie ihr Wolly ab. Während das kleine Schaf-Pokémon lang und ausgiebig gähnte, streckte Raelene sich. „Also ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich brauche erst mal Frühstück, um richtig munter zu werden.“ Endynalos hob aufmerksam den Kopf und sah sie interessiert an. Eindeutig, er hatte Gefallen daran gefunden zu essen, was Delion mittlerweile gut verstehen konnte – bei Raelenes Curry war er auch schwach geworden. Schmunzelnd wandte er sich an Raelene. „Okay, dann lass uns mal Frühstück machen. Bis es fertig ist, sind die Kleinen bestimmt auch wach.“ Die Babys ließen sich immerhin nie eine Mahlzeit entgehen, aber sie wuchsen ja auch noch, da war es nur verständlich, dass sie oft hungrig waren. Also half Delion Raelene, so gut er konnte, das Frühstück für alle anzurichten. Dafür hatten sie gestern reichlich Brot, Aufstrich und ein paar andere Kleinigkeiten eingepackt, mit denen man leckere Sandwiches machen konnte – laut Raelene. Für die gemütliche Stimmung breitete sie außerdem eine riesige Picknickdecke aus, auf der alles und jeder Platz finden könnte. In der Zwischenzeit wurden auch Dedenne, Azurill und Feelinara wach, die sogleich begeistert über die ersten Sandwiches herfielen. Feelinara war dabei aber etwas eleganter und genoss jeden einzelnen Bissen. Für Endynalos machte Raelene nichts, was zu ausgefallen war. Etwas Käse mit Gemüse und Marmelade aus Beeren. Das stellte sie ihm lächelnd auf einem Teller hin und wünschte ihm guten Appetit. Er musterte das Frühstück eingehend, das immerhin anders aussah als das Curry von gestern, ehe er vorsichtig probierte. An diesem Morgen war Endynalos schon wesentlich näher bei ihnen als gestern. Auch die anderen Pokémon schienen sich nicht an ihm zu stören und verhielten sich wie immer. Delion war nur froh, dass Pichu nicht mehr versuchte, auf Endynalos herumzuklettern. Vielleicht würde dieser das dem Kleinen irgendwann von sich aus erlauben, aber vorerst wollte Delion auf Nummer sicher gehen. Solange es etwas zu essen gab, dürfte Pichu zumindest abgelenkt sein. „Und, mein Champ?“, fragte Raelene, in Delions Richtung. „Was darf es für ein Sandwich sein?“ „Oh, ich wäre für eines mit Beerenmarmelade, Champ~. Falls es dir nichts ausmacht~.“ „Kein Problem, sollst du haben~.“ Raelene kümmerte sich sofort darum, Delion ein großartiges Sandwich zu machen. In seinen Augen war auf jeden Fall alles toll, was sie tat. Azurill hatte sich bereits das Gesicht mit Marmelade verschmiert, wie ihm auffiel, also würde Raelene sich nach dem Frühstück wohl darum kümmern sie zu waschen. Eigentlich sollten sie Azurill eher Manieren beibringen, aber ... sie war noch so klein. Genau wie Pichu. Dennoch mussten sie Maxax, Feelinara und auch Glurak bald einen Teil der Erziehung abnehmen. Auf Dauer durften sie nicht zu nachsichtig sein. Diesmal war es aber erneut Glurak, der die Erziehung übernahm, als Pichu sich an dem Essen von Azurill bedienen wollte. Ein drohendes Knurren von Glurak genügte, so dass Pichu direkt zurückwich und sich lieber schuldbewusst wieder auf sein eigenes Frühstück konzentrierte. Sein Partner leistete wirklich gute Arbeit. Innerlich gestand Delion sich ein, dass es ihm gefiel, wenn er nicht dauernd der Spielverderber sein musste. „So, fertig!“ Raelene reichte ihm das Sandwich auf einem Teller. „Hier, guten Appetit~.“ Delion nahm es sofort entgegen. „Danke sehr~.“ „Sag Bescheid, wenn du noch eins willst.“ Da nun alle versorgt waren, machte Raelene sich als nächstes selbst ein Sandwich. Ihre Fürsorge war wahrlich liebenswert. Sobald Delions Arm verheilt war, wollte er unbedingt mal sie bewirten, damit sie nicht immer erst als letzte zum Essen kam. Bis dahin nahm er ihre Hilfe dankbar an und nahm einen großen Bissen von dem Sandwich. Frühstück unter einem blauen Himmel mitten in der Natur, so könnte es ruhig immer sein. Die frische Luft machte einen besser wach als jeder Kaffee es könnte – und seit er Liga-Präsident war, hatte er sich schon viel zu oft welchen reinzwingen müssen, obwohl das bei ihm nur mäßig half. Plötzlich quiekte Azurill vergnügt, als sie ihr Sandwich gegessen hatte. Babys waren wesentlich schneller satt. Raelene unterbrach das Essen kurz, um Azurill mit einem Tuch das Gesicht sauberzumachen. „Und, wie schmecken die Sandwiches?“, erkundigte sie sich bei Endynalos. Der Befragte hielt inne und hob den Kopf, gefolgt von einem leichten Nicken. Offenbar sagte ihm auch diese Art Essen zu. Gut zu wissen. „Anscheinend haben wir Endynalos tatsächlich zum Essen verführt“, kommentierte Delion zufrieden. „Schön, oder?“ „Essen ist halt toll~“, stimmte Raelene zu. Endynalos grummelte leise, als wäre er ... schüchtern? Genervt? Er aß aber einfach weiter, was Delion als gutes Zeichen betrachtete. Bald war auch Pichu schon mit Essen fertig und kletterte auf Delions Kopf, wo er sich in seine Haare legte. „Chu~.“ Delion lachte. „Dir gefällt das Essen auch, was?“ Aber bei Pichu wunderte er sich auch nicht darüber. Babys aßen eben gern. Deswegen musste man ein wenig aufpassen, dass sie nicht zu viel aßen – oder das Falsche. Wahrscheinlich wäre Gloria schon verzweifelt, wenn sie sehen könnte, was es hier zu essen gab. Laut Hop war ihr eine gute Ernährung ziemlich wichtig. In der Hinsicht war sein kleiner Bruder also gut versorgt. Er fand es nach wie vor amüsant, dass Hop genau einen Tag schneller eine Beziehung gehabt hatte als er selbst. Nach und nach beendete ein Pokémon nach dem anderen das Essen. Manche blieben auf der Decke liegen, andere rannten direkt los, um zu spielen oder weiter die Gegend zu erkunden. Auch Endynalos war fertig und beobachtete die Pokémon eine Weile, bis sein Blick schließlich auf Delion und Raelene fixiert blieb. Letztere fragte Endynalos erst, ob er doch noch etwas essen wollte, aber darauf schüttelte er mit dem Kopf. Also … „Willst du darüber reden, wie es weitergehen soll?“, hakte sie nach. Endynalos nickte tatsächlich. Delion neigte den Kopf ein wenig. „Nun, wir hatten ja schon gesagt, dass du bei uns bleiben kannst, wenn du willst. Du wärst dann ein fester Teil unserer Familie.“ So wie sie ihr Leben mit den Pokémon verbrachten, war es nicht verkehrt, zu behaupten, dass sie ihre Familie waren. Anders konnte er es sich gar nicht vorstellen. Bei dem Wort Familie warf Endynalos einen kurzen Blick zu Zamazenta, der ihm wohlwollend zunickte. Hatten sie also darüber in der Nacht gesprochen? „Oder du entscheidest dich, dass du lieber wild bleiben willst.“ Zuversichtlich sah Delion Endynalos an. „In diesem Fall würden wir versuchen, dafür zu sorgen, dass du ein Gebiet findest, wo du deine Ruhe vor Leuten wie Mula hättest. Oder wir würden dir so ein Gebiet schaffen. Eine Art ... Naturschutzgebiet, wenn du so willst.“ „Egal, wie du dich entscheidest, es ist jedenfalls nichts endgültig“, warf Raelene ein. „Wenn du bei uns bleiben würdest, können wir dich auch jederzeit wieder freilassen und umgekehrt. Wie du möchtest. Und falls du dir Sorgen wegen dem Pokéball machst: Du würdest diesmal einen bekommen, der richtig gemütlich ist. Außerdem wirst du trotzdem jeden Tag draußen sein.“ „Richtig. Entsprechend gibt es auch jeden Tag Essen, mal was Gesundes, mal was Ungesundes, je nachdem.“ Besonders wenn sie wieder in Schaukämpfen auftraten, würde es vor diesen zur Stärkung eine Menge gesundes Essen geben. Endynalos wäre da vielleicht nicht dabei, aber sie könnten ihm etwas davon mitbringen. Hin und wieder war es ganz gut, auch gesund zu essen. „Und du wärst zu nichts gezwungen. Wenn du Lust hast, trainierst du oder ruhst dich aus oder machst irgendetwas anderes. Abgesehen von meinem Kampfteam bin ich da sehr frei.“ „Das allerwichtigste ist auf jeden Fall: Spaß haben~“, fügte Raelene motiviert hinzu. „Gut, und stärker werden, aber das bist du ja schon.“ Endynalos hatte ihnen überraschend interessiert und geduldig zugehört. Noch konnte Delion nicht wirklich deuten, was er wohl gerade dachte. Auch nicht, als den Kopf leicht neigte und sie weiter neugierig ansah. Machte er sich vielleicht über sie lustig? Abwegig wäre es nicht, wenn Endynalos, nach allem, ihre Worte für einen lächerlichen Scherz halten würde. Zamazenta stand auf, schüttelte sich und brummte leise in Endynalos' Richtung. Dieser schien nun entschuldigend seinen Kopf zu senken. Offenbar hatte Endynalos wirklich nur etwas Ruhe und die richtigen Pokémon um sich herum benötigt, damit er richtig umgänglich wurde. Gut, dass ihre Strategien und Überlegungen gefruchtet hatten. Statt weiter zu zögern, kam Endynalos noch ein wenig näher zu ihnen und nickte. Delion tauschte einen hoffnungsvollen Blick mit Raelene. „Heißt das ... du bleibst bei uns?“ Sie hielt kurz den Atem an. „Ja? Bedeutet es das?“ Endynalos gab einen Laut von sich, den man als Seufzen bezeichnen könnte, bevor er abermals nickte. Auf der Stelle sprang Raelene begeistert in die Luft. Azurill war eigentlich in ein Spiel mit Dedenne vertieft, ahmte ihr Verhalten aber sofort nach und hüpfte selbst lachend auf der Stelle. „Das wirst du bestimmt nicht bereuen~“, versprach sie Endynalos. „Ich kann dir noch viele verschiedene Curry-Sorten machen! Und wir werden zusammen Galar erkunden und dir zeigen, wie schön diese Region ist. Es gibt so viel zu sehen und zu erleben! Das wird richtig aufregend~.“ Im Gegensatz zu Raelene erhob Delion sich etwas ruhiger, weil er noch immer verletzt war und Pichu auf dem Kopf trug. Der Kleine freute sich dafür für ihn doppelt. „Chuuu~!“ „Heh.“ Delion schmunzelte in Endynalos' Richtung. „Irgendwann wird Pichu dann auch auf dir herumklettern.“ Unschlüssig musterte Endynalos das Baby, das begeistert winkte, um auf sich aufmerksam zu machen. Anscheinend wusste er noch nicht so recht, was er davon halten sollte. „Ach, daran gewöhnst du dich dann sicher schnell“, meinte Raelene. „Und selbst wenn nicht, musst du es einfach nur sagen. Niemand muss etwas gegen seinen Willen hinnehmen.“ Recht hatte sie. Sonst würde das Zusammenleben nicht so schön harmonisch ablaufen. Es war immer wichtig, auf die persönlichen Grenzen jedes Lebewesens Rücksicht zu nehmen. Raelene klatschte in die Hände und sah Delion erwartungsvoll an. „Kannst du denn mit links auch gut genug werfen?“ „Na, was denkst du denn?“ Er kramte den dunkelvioletten Pokéball mit blauen Akzenten aus seiner Tasche. „Ich hab natürlich beide Arme trainiert.“ Man musste einen Pokéball zwar nicht zwingend werfen, aber so erleichtert, wie Raelene aussah, empfand sie das wohl einfach als epischer. Nachvollziehen konnte Delion es, sonst hätte er bestimmt nicht so lange an seiner Wurftechnik gefeilt. Delion präsentierte Endynalos den Ball, damit dieser das absegnen konnte. Erst nachdem er schließlich genickt hatte, holte er aus, was Pichu auf seinem Kopf nachahmte. Dann warf er den Ball schwungvoll in Endynalos' Richtung. Mit dem rechten Arm wäre es ihm noch besser gelungen, aber so war es auch annehmbar. Der Pokéball sog Endynalos in sein Inneres, ehe er zu Boden fiel, wo er allerdings noch verdächtig wackelte – Delion fühlte sich augenblicklich in dieselbe Situation vor einigen Jahren zurückversetzt, als es ihm dieser Fang nicht gelungen war. Erneut zog sein Inneres sich zusammen, obwohl diesmal nichts auf dem Spiel stand. Wie wurde man so etwas nur wieder los? Raelene legte ihm eine Hand auf die Schulter und starrte ebenfalls gespannt auf den Pokéball, in dem sich Endynalos nun befand. Jedes einzelne Wackeln machte auch sie merklich nervös. Es könnte immer noch sein, dass Endynalos es sich doch anders überlegte und ausbrach, um lieber zu verschwinden. Aber angreifen würde er sie sicher nicht mehr, oder? Erst als das rötliche Licht um den Knopf herum erlosch und der Ball sich nicht mehr bewegte, atmete sie beide gleichzeitig auf. Endynalos hatte sich diesmal wirklich von Delion fangen lassen. „Gut gemacht“, lobte sie ihn. „Jetzt kann ihm keiner mehr nochmal weh tun.“ Sämtliche Anspannung fiel von Delion ab. „Ja, zum Glück.“ Er hob den Pokéball auf und entließ Endynalos direkt wieder daraus. Dieser sah sich scheinbar irritiert um, ehe sein Blick wieder auf Delion landete, der ihm entgegen lächelte. „Wir haben dir doch gesagt, dass du zur Familie gehörst. Deswegen wirst du wie die anderen behandelt – und die sind gerade auch alle frei.“ „Chu~!“, jubelte Pichu gut gelaunt. „Woll~!“, rief Wolly darauf fröhlich, irgendwo von hinten. Plötzlich tauchte sie dann vor Endynalos auf und mähte ihn pausenlos an, als würde sie ihm viele Fragen auf einmal stellen. Weil er nun zur Familie gehörte, schien sie auch alles über ihn wissen zu wollen. Lachend hob Raelene Wolly hoch und hielt sie auf dem Arm. „Ich weiß, du bist super-neugierig, aber gib ihm etwas Zeit. Für ihn ist das alles noch genauso ungewohnt wie gestern.“ Azurill hängte sich in ihre Haare und lugte hinter Raelene hervor, um Endynalos anzuschauen. Das Baby wirkte immer noch ängstlich. Auch für Azurill war das wohl noch ungewohnt, solche Art Pokémon zu treffen. Besonders wenn sie derart imposant waren wie Endynalos. Delions Pokémon waren da ein wenig entspannter. Seit sie gemerkt hatten, dass er keine Bedrohung war, betrachteten sie ihn alle nur milde interessiert. Wenn Delion sich nicht täuschte, hatte Glurak die anderen dazu angehalten, keinen Unsinn zu machen. Da jeder von ihnen unter Gluraks strenger Anweisung gelernt und trainiert hatte, hielten sie sich natürlicherweise an seine Worte. „Keine Sorge, Wolly“, beruhigte Delion sie. „Du wirst ihn noch fragen können, was du willst. Aber lass es langsam angehen. Er wird zu dir kommen, wenn er reden will.“ Wolly sah ihn an und strahlte regelrecht. „Woll!“ Es war nicht eindeutig, ob sie seine Worte wirklich verstanden hatte oder sie sich nur darüber freute, dass Delion mit ihr sprach. Aber das klappte schon. Der erste Tag war gut verlaufen, also dürfte das auch in Zukunft funktionieren. „Unsere Familie ist ja sogar noch viel größer“, merkte Raelene an, wobei sie Endynalos ansah. „Wir müssen dir mal die Pokémon-Ranch zeigen. Dort kann man Pokémon pflegen lassen, die gerade nicht mit im Team sind.“ „Oh ja~.“ Delion lächelte. „Die anderen freuen sich bestimmt auch über unseren Zuwachs.“ Und darüber, besucht zu werden. Manchmal kam er leider zu selten dazu. Daher wäre es auf jeden Fall großartig, wenn sie zusammen hingehen könnten, um Endynalos vorzustellen. Etwas schien Endynalos ein wenig in Unruhe zu versetzen, weshalb Delion seine Hand hob. „Aber gewöhn dich erst mal an uns, bevor du die anderen triffst. Wir wollen dich ja nicht überfordern~.“ Besonders bei all diesen neuen Eindrücken, die Endynalos erst einmal verarbeiten müsste. „Ah, du hast recht.“ Sofort entschuldigte Raelene sich für ihren Übereifer. „Offenbar hat Wolly ihre Art doch irgendwie von mir.“ Sie setzte Wolly wieder ab, woraufhin sie freudig zu Durengard hüpfte. Es war so süß, wie gerne die beiden zusammen waren. Durengard wandte sich Wolly auch sogleich zu, um die neue Aufmerksamkeit mit seiner eigenen zu belohnen. Delion war immer noch erstaunt, dass selbst Durengard so viel Freude an anderen Pokémon haben konnte. Besonders wenn er den Pokédex-Eintrag zu ihm bedachte, der eigentlich eher sehr verheißungsvoll war. Deshalb war er über Durengards Entwicklung am meisten überrascht. Blieb nur zu wünschen, dass Endynalos auf Dauer auch so einen guten Freund in einem ihrer Pokémon fand. Bedeutungsvoll streckte Raelene die Arme in die Luft. „Dann würde ich sagen, wir lassen es weiter ruhig angehen und genießen die frische Luft~.“ „Genau, frische Luft können wir alle gebrauchen.“ Vor allem Endynalos, der so lange eingesperrt gewesen war. Dieser nutzte seine neue Freiheit auch direkt, um sich noch einmal in die Luft zu erheben und eine weitere Runde um den Dyna-Baum zu drehen. Raelene und Delion sahen ihm lächelnd hinterher. Zamazenta schnaubte zufrieden, ehe er sich hinlegte und vor sich hin döste. Das legendäre Pokémon war wohl genauso froh über den positiven Ausgang dieser Geschichte wie die beiden. Liberlo lag auch noch im Gras und hielt sich weiterhin daran, sich nicht zu bewegen. Glurak achtete scheinbar so gut darauf, dass er sich lieber wirklich schonte, so dass Raelene oder gar Delion selbst bislang keine strengen Worte sprechen mussten. „Also, was willst du machen?“, fragte Raelene ihn, als sie sich ihm zuwandte. „Sollen wir etwas spazieren gehen? Ich überlasse dir die Wahl, solange dein Arm dabei geschont wird.“ „Lass uns spazieren gehen. Es gibt bestimmt noch ein paar interessante Dinge zu beobachten.“ Pichu empfand das wohl aber als zu langweilig, denn er sprang kurzentschlossen auf Katapuldra auf, als dieser an ihm vorbeiflog. Die Grolldras gaben einen empörten Laut von sich, als Katapuldra wegen des zusätzlichen Gewichts kurz schwanken musste. „Wollt ihr hierbleiben?“ Verstehend nickte Delion ihnen zu. „Dann stellt keinen Unsinn an. Und ruft uns, wenn etwas passiert.“ „Und du, hm?“, erkundigte Raelene sich bei Azurill, die immer noch in ihren Haaren hing. „Willst du mit?“ Azurill nickte hastig, als wollte sie auf keinen Fall ohne Raelene oder Delion beim Baum bleiben. Auch Dedenne kam angerannt, um auf ihre Schulter zu klettern und sich in ihr Haar zu kuscheln. „Denne!“ Raelene schmunzelte. „Owww, dabei müsst ihr doch wirklich keine Angst haben. Am Ende müsst ihr eher mich vor etwas beschützen.“ Natürlich spielte sie damit auf Liberlo an. Da sie von Azurill und Dedenne aber nur ratlose Blicke kassierte, räusperte Raelene sich und winkte schnell ab. „Aber natürlich könnt ihr mitkommen, wenn ihr auch ein bisschen selber lauft.“ Bestimmt störte sie sich gar nicht daran, wenn ihre Pokémon auf ihr saßen, aber sie wollte sie wohl auch dazu antreiben sich zu bewegen – ein anständiger Gedanke, der Delion nur einmal mehr bewies, dass Raelene eine gute Trainerin war. Die beiden stimmten ihr mit einem Ruf zu. „Okay, dann mal los~.“ Irgendwie war es süß, dass die beiden Kleinen so viel Angst vor Endynalos hatten. Dabei war er eigentlich harmlos, wenn man sich nur ein bisschen mit ihm beschäftigte. Aber für die Babys musste es schon eigenartig sein, ein solches Pokémon zu treffen und als friedlich zu akzeptieren. Nun, irgendwann würde sich das mit Sicherheit schon legen. Delion lief los, um den Spaziergang zu beginnen. Er musste sich nur selbst ermahnen, nicht zu schnell zu laufen. Das sollte eine entspannte Zeit werden, kein Training. Er atmete tief durch. „Hoffentlich bleibt es jetzt wirklich ruhig.“ „Das hoffe ich auch. Aber ich denke, es wird immer wieder mal irgendwann Probleme geben.“ Die Aussage war erwachsener, als es Delion lieb war. Leider hatte sie aber recht. Vielleicht gäbe es sogar nochmal Probleme, die erneut für ganz Galar eine Bedrohung sein könnten. Damit musste stets zu rechnen sein. „Dann wird aber jemand da sein, der die Welt rettet~“, sagte Raelene überzeugt. „Also keine Sorge, es wird alles immer wieder gut werden.“ „Das glaube ich auch. Vor allem solange wir leben, können wir alle beschützen.“ Oder sollten sie zumindest. Sobald sein Arm verheilt war, müssten sie wieder mehr trainieren – und er müsste ein Auge auf mögliche Unruheherde werfen. Vielleicht sollte er sich einen Assistenten zulegen, der ihm bei so etwas half. „Und zusammen sorgen wir dafür, dass es immer mehr starke Pokémon-Trainer geben wird, die auf Galar acht geben können.“ Diesen Traum würde er weiterverfolgen und niemals aufgeben. Alle sollten stärker werden, denn es galt stets das zu beschützen, was einem am Herzen lag. Die Heimat, Freunde, Familie und Pokémon. Einfach alles. Angesteckt von seinen motivierenden Worten ballte Raelene die Hände zu Fäusten. „Genau~. Galar wird dann immer voller Helden sein!“ „Wie schön, dass wir da einer Meinung sind~.“ Umso besser, dass das auch Trainingsstunden zu zweit mit sich bringen würde. Irgendwie konnte er sich keine Beziehung mit jemanden vorstellen, bei der jeder einem gänzlich anderen Alltag nachging. Manche würden ihn dafür garantiert kritisch beäugen, doch Delion wollte einfach gerne gemeinsam mit der Person, die er liebte, den Tag erleben. Getrennt wären sie durch die Arbeit ab und zu trotzdem noch oft genug, leider. Aus dem Augenwinkel bemerkte Delion eine Bewegung in der Luft, weswegen er den Blick hob. Ein Cottomi schwebte gerade, vom Wind getragen, am Himmel entlang. „Hm?“ Überrascht blinzelte er einige Male. „Ich wusste nicht, dass es hier auch Cottomis gibt. Ich hätte gedacht, dafür wäre ihnen das Umland zu kalt.“ „Oh, wie süß!“ Ein begeistertes Glitzern lag in Raelenes Augen. „Das Cottomi muss Spaß am Reisen haben~.“ Schwerelos durch den Himmel schweben zu können musste in der Tat eine Menge Spaß machen. Dennoch bevorzugte Delion es, mit hohem Tempo auf Glurak durch die Luft zu sausen. Ohne Spannung kam sonst einfach keine richtige Fahrt auf. Raelene streckte die Arme aus und drehte sich ein wenig im Kreis. „Ich würde manchmal auch gerne einfach nur herumreisen und neue Orte entdecken~.“ „Das verstehe ich. Immerhin ist das super aufregend.“ Leider war es ziemlich lange her, seit er zuletzt auf Reisen gegangen war. Schon als Champ war die Zeit dafür nie vorhanden gewesen und als Liga-Präsident war es nicht besser geworden. Möglicherweise sollte es aber so kommen, damit er das nun nachholen konnte. Gemeinsam mit Raelene. „Wir sollten auch mal verreisen“, schlug er vor. „Vielleicht in eine andere Region. Da können wir sogar andere Pokémon entdecken. Und andere Regionalformen!“ Das waren schon drei aufregende Gründe, die für eine Reise sprachen. Mehr brauchte es doch eigentlich gar nicht mehr. „Das würde dann auch Sania helfen, wenn wir solche Pokémon mitbringen!“ Wie Raelene direkt vor Aufregung wieder mal richtig aufblühte, war absolut entzückend. „Und für unsere Pokémon wäre das auch super-spannend. Lass uns auf jeden Fall mal verreisen~.“ Delion nickte enthusiastisch. „Auf jeden Fall~.“ Vorher gab es einiges zu tun. Zuerst sollten sie Endynalos aber die Chance geben, sich an sein neues Leben und an Galar zu gewöhnen, bevor sie ihn direkt in eine andere Region verschleppten. Dann musste Delion sowieso erst wieder gesund werden, genau wie Liberlo, außerdem müsste er noch das Chaos überblicken, das Mulas eigenmächtiges Handeln nach sich gezogen hatte. Bis zur nächsten Arena-Challenge musste zwar noch etwas mehr Zeit vergehen, doch auch die rückte täglich wieder näher. Schon jetzt war er gespannt, wer dieses Jahr alles antreten würde. Eine Reise könnten sie sich notfalls auch als Belohnung aufsparen, sobald jeder Punkt abgehakt werden konnte. „Bis dahin haben wir aber noch etwas Zeit“, sagte Delion daher schließlich. „Da kannst du mir noch mehr von den Kronen-Schneelanden zeigen~.“ Raelene griff nach seiner gesunden Hand und drückte sie zuversichtlich. „Und du kannst mir dabei helfen, ein paar Rätsel zu lösen~.“ Daran könnten sie auch schon wachsen. Es gab also vorerst mehr als genug zu tun. Obendrein war ihre Beziehung ganz frisch. Sicher gab es noch viele Dinge über den jeweils anderen zu lernen, worauf Delion sich schon freute. Denn er wollte alles über Raelene wissen, um der Lebenspartner für sie sein zu können, den sie verdient hatte. Kapitel 24: Ich bin viel zu schwach ----------------------------------- Inzwischen war es einige Tage her, seit sich Endynalos ihnen am Dyna-Baum angeschlossen hatte. Die Wohnung von Delion hatte ihn anfangs verunsichert, doch irgendwann konnte er sich mit der Situation arrangieren, auch wenn er es vorzuziehen schien, dass sie zumindest die Terrassentür immer offen ließen. Ein Problem war das nicht, da es in Score City, laut Delion, nie wirklich kalt wurde, und außerdem wollten auch Glurak und Intelleon ohnehin stets Zugang zur Terrasse haben. Somit hatten sie also jeden in der Familie zufriedenstellen können. Eines Nachts störte aber plötzlich ein lauter Knall die friedliche Atmosphäre. Der Lärm war aus dem Trainingsraum gekommen, in dem das Licht brannte. Dort lag Raelene gerade keuchend am Boden, mit einer schweren Hantel auf ihrer Brust, die sie nicht aus eigener Kraft wieder von sich runter bekam. Ihre Ohren klingelten leise, weil der Knall eben so laut gewesen war. „Mist!“, zischte Raelene, ihr Gesicht vor Schmerz verzerrt. Dummerweise wurde sie von der metallenen Hantelstange derart auf den Boden gepresst, dass sie nicht mal einfach unten drunter wegrutschten könnte. Sie war eingeklemmt. Verdammt! Ich bin so ein Idiot! Raelene war vor einer Weile aufgestanden, weil sie nicht mehr schlafen konnte, und ein wenig ziellos durch die Wohnung gewandert wie ein ruheloses Geister-Pokémon. Schließlich hatte ihr Weg sie automatisch hierher geführt, wo sie dem Drang gefolgt war, sich etwas mit den Hanteln zu beschäftigen und zu testen, wie viel Gewicht sie wohl heben könnte. Mit den kleineren Versionen hatte sie keine großen Schwierigkeiten gehabt, also war sie verrückt genug gewesen, sich an einem der größeren Versionen zu versuchen … Tatsächlich war es ihr mit viel Mühe und Kraftaufwand irgendwie gelungen die schwere Hantel etwas anzuheben, aber sie war nicht stark genug gewesen sie lange zu halten. Nun hatte sie ein ernsthaftes Problem. Allmählich bekam sie nämlich auch kaum noch Luft. Ein vertrautes Geräusch verriet ihr, dass Durengard vor der Tür zum Trainingsraum herumschweben musste. Deshalb wollte sie nach ihm rufen und darum bitten Hilfe zu holen, doch da hörte sie bereits Delions Stimme. „Rae!“ Erschrocken eilte er zu ihr und nahm ihr mit seinem gesunden Arm problemlos die Hantel von der Brust, die er vorsichtig, jedoch hastig zur Seite legte. Sofort holte Raelene tief Luft und rollte sich auf die Seite. Es zog sich ein ziehender Schmerz durch ihren gesamten Brustkorb, aber sie glaubte nicht, dass sie sich etwas gebrochen oder verstaucht hatte. „D-danke“, murmelte Raelene erleichtert. „Ich glaub, jetzt weiß ich, wie sich die Attacke Body Press anfühlt ... tut ganz schön weh.“ Zum Glück war Delion ihr rechtzeitig zu Hilfe gekommen, vermutlich weil der Knall ihn aufgeweckt haben musste. Bestimmt hatte sie mit dieser Aktion auch die Pokémon aus dem Schlaf gerissen. Dabei war sie zuvor die ganze Zeit so leise wie möglich gewesen, um niemanden zu stören. Besorgt kniete Delion sich neben sie. „Hast du dich verletzt?“ „Ich glaube nicht ...“, schnaufte sie. „Gut ...“ Er atmete auf. „Du solltest die Attacken auch nicht an dir selbst ausprobieren. Dafür sind sie zu gefährlich. Sich von Hanteln erschlagen zu lassen übrigens auch.“ „Ja, das hab ich gemerkt.“ „Auf die harte Tour.“ Behutsam legte er seine Hand auf ihren Kopf. „Warum bist du eigentlich noch wach?“ Sie sah Delion mit glasigen Augen an. „Ach, weil ich mir die ganze Zeit so dumme Gedanken mache.“ Raelene setzte sich aufrecht hin, wobei sie kurz das Gesicht verzog, als ihre Brust dabei schmerzte. Auf einmal hüpften Azurill und Dedenne in den Raum. Als sie sahen, dass es ihr nicht so gut ging, kamen sie direkt zu ihr und sahen sie besorgt an. Dedenne kletterte sogar auf ihre Schulter und tätschelte ihre Wange. „Oh, ich hab euch alle aufgeweckt, was?“ Weil Raelene ihnen nicht noch mehr Sorgen bereiten wollte, rang sie sich ein Lächeln ab. „Tut mir echt leid. Mir ist nur die Hantel runtergefallen, alles in Ordnung.“ Auch Durengard kam in den Trainingsraum, als er bemerkte, dass er nicht länger wachsam im Türrahmen bleiben musste, und schwebte um sie herum. Ihm könnte Raelene wohl nichts vormachen, genauso wenig wie Delion, der sie ziemlich besorgt ansah. „Was für dumme Gedanken denn?“, hakte er nach. „Vielleicht solltest du mit mir darüber reden, statt dich fast dabei zu verletzen. Du musst mir gegenüber nicht der standhafte Champ sein, auch wenn ich verstehe, dass du denkst, du müsstest dich zusammenreißen.“ Beschämt senkte Raelene den Kopf. „Das weiß ich ja eigentlich. Ich hatte bisher einfach nur noch keine passende Gelegenheit dazu, mit dir darüber zu reden. Liberlo und du, ihr wart verletzt und seid immer noch nicht wieder ganz gesund. Dann mussten wir uns zuerst um Endynalos kümmern. Meine Probleme waren da erst mal echt unwichtig.“ Es wäre ihr lächerlich vorgekommen, zwischen all dem zu sagen, dass es ihr schlecht ging, während Endynalos jahrelang in Gefangenschaft leben musste, Delion angeschossen worden war und Liberlo auch angeschlagen war. Delion legte seine Hand unter ihr Kinn und brachte sie vorsichtig dazu, ihn wieder anzusehen. „Hör zu, Rae. Deine Probleme werden für mich nie unwichtig sein, okay? Also erzähl sie mir ruhig. Ich will immer wissen, wie du dich fühlst.“ Ein warmes Gefühl legte sich wie ein Verband heilsam über den Schmerz in Raelenes Brust. Ihr Gesicht erhitzte sich ebenfalls. Diese Geste von Delion und seine Worte waren so rührend, sie könnte einfach anfangen zu weinen, aber noch konnte sie die Tränen zurückhalten. „Okay“, sagte sie aufgewühlt. „Dann ... setzen wir uns mal gemütlich hin und ich schütte mein Herz aus.“ Azurill quietschte zustimmend, gefolgt von einem herzhaften Gähnen, dem Dedenne sich sofort anschloss. Müde rieb er sich mit seinen kleinen Pfötchen die Augen. „Alles klar, also gehen wir besser zurück ins Schlafzimmer.“ Mit einem Nicken deutete er zu den Kleinen. „Damit die Pokémon weiterschlafen können.“ Wahrscheinlich war Wolly eine der wenigen, die durch den Knall nicht aufgewacht war. Noch nicht. Also könnten sie sich einfach auf das Bett setzen und Wolly würde friedlich weiterschlafen, solange sie sich dabei wieder an einen von ihnen kuscheln könnte. Daher klang das Schlafzimmer nach dem perfekten Ort für dieses Gespräch. Delion erhob sich und half Raelene dabei ebenfalls aufzustehen, indem er ihr die Hand reichte. Das konnte sie nur dankend annehmen. Ihr wurde kurz etwas schwindelig, als sie aufrecht stand. Hoffentlich hatte sie sich beim Sturz nicht den Kopf angeschlagen. „Legt euch ruhig wieder hin und schlaft weiter“, bat sie Azurill und Dedenne. „Wir gehen auch zurück ins Schlafzimmer.“ Die beiden nickten und liefen zuerst aus dem Trainingsraum, um zurück in ihre Bettchen zu gehen. Durengard war inzwischen auch zufrieden und kehrte mit den Baby-Pokémon ins Wohnzimmer zurück. Ohne Delions Hand loszulassen, folgte Raelene ihrem Beispiel und ging Richtung Schlafzimmer. Dort angekommen schaltete Delion erst einmal das Licht ein, achtete jedoch darauf, es ein wenig zu dämpfen, damit Wolly nicht doch noch aufwachte. Er bugsierte Raelene auf das Bett und setzte sich direkt neben sie. „Also, erzähl mal. Was geht dir durch den Kopf?“ Statt sofort zu antworten, tätschelte Raelene Wolly ein wenig den Kopf, während sie darüber nachdachte, wie sie anfangen sollte. Irgendwann seufzte sie schwer und sah Delion bedrückt an. „Ich bin viel zu schwach.“ Es laut auszusprechen tat beinahe mehr weh als der Schmerz in ihrem Brustkorb. „Was mit Liberlo passiert ist, hätte nicht passieren dürfen. Ich will nicht, dass meine Pokémon meinetwegen so schwer verletzt werden, weil sie mich beschützen müssen.“ Natürlich verletzten sie sich auch beim Training und vor allem in Kämpfen, aber dort achtete Raelene stets darauf, dass es niemals zu weit ging und keiner ernsthaften Schaden nahm. „Ich habe total versagt“, sagte sie traurig. Ein wenig befürchtete Raelene, dass Delion sie beruhigen wollte, indem er anbrachte, dass sie das mit Liberlo nicht wirklich hätte verhindern können – auch wenn sie stärker gewesen wäre. Oder dass sie, in seinen Augen, gar nicht schwach war. So etwas wollte sie aber nicht hören. Es käme ihr sonst so vor, als wären ihre Sorgen absolut unsinnig, obwohl Raelene sich seit Tagen deswegen quälte. „Du willst also stärker werden“, schloss Delion aus ihren Worten, statt sie direkt abzuwehren. Raelene nickte entschlossen, seufzte aber sofort wieder betrübt. „Ich weiß natürlich, dass das nicht von heute auf morgen geht. Bis ich wirklich stärker werde, muss ich erst mal lange trainieren, so wie du und die Pokémon. Es macht mich trotzdem verrückt. Ich will jetzt stark werden, bevor so etwas wie mit Liberlo wieder passiert.“ Diesmal würde Liberlo wieder gesund werden, aber nächstes Mal könnte es schlecht ausgehen, sollte nochmal etwas Schlimmes passieren. Das wollte sie sich gar nicht vorstellen. Schweigend neigte Delion den Kopf ein wenig und schien genau zu überlegen, was er am besten sagen sollte. Offenbar nahm er ihr Problem ernst und wollte deshalb nicht unbedachte Äußerungen tätigen. Diese Rücksichtnahme beruhigte Raelene und half ihr, sich wieder zu entspannen. „Meister Mastrich sagte mir einmal, Ungeduld sei der Feind der Stärke“, erinnerte Delion sich. Zerknirscht tastete Raelene über ihren Brustkorb. „Ja, das mit der Ungeduld habe ich vorhin gespürt.“ „Glaub mir, ich kann verstehen, dass du es schnell haben willst“, fuhr Delion fort. „Dennoch, nicht einmal der Champ kann die Phase des Trainings und der Geduld einfach überspringen.“ „Ich weiß ..:“ Wolly schmiegte sich im Schlaf an sie. Lächelnd legte Raelene einen Arm um sie und sah wieder Delion an. „Wegen dieser Sache ist aber auch eine alte, blöde Angst wieder hochgekommen“, erklärte sie. „Nämlich der Gedanke, dass ich eigentlich kein wahrer Champ bin.“ Niemals hätte sie gedacht, mit dem Thema mal so offen gegenüber Delion zu sein – nicht ohne es nur als schlechten Scherz zu tarnen. „Ein Teil von mir denkt immer noch, wenn du damals durch die Sache mit Endynalos nicht so angeschlagen gewesen wärst, dann hätte ich haushoch gegen dich verloren. Und weil ich so unsicher bin, komme ich mir erst recht wie ein lausiger Champ vor.“ „Na ja, ich muss an der Stelle zugeben, dass ich dich damals nur so schnell herausgefordert habe, weil ich daran gezweifelt habe, dass ich ein echter Champ bin“, gestand Delion, mit ruhiger Stimme. Überrascht sah Raelene ihn an. Sogar ihm war dieser Gedanke mal durch den Kopf geschossen, als er noch Champ gewesen war? Seine Niederlage gegen Endynalos damals musste ihn wohl tiefer getroffen haben, als sie ahnte – und dann hatte Delion mit diesen Sorgen auch ganz alleine klarkommen müssen. Also waren Champs nicht alle immer zwingend absolut von sich überzeugt. „Aber ich denke trotzdem nicht, dass du haushoch verloren hättest, selbst wenn das nicht gewesen wäre. Du bist an Durengard vorbeigekommen – das schaffen beileibe nicht viele. Ich meine, du kennst Durengard ja, er versteht sich auch ohne meine Kommandos gut aufs Kämpfen und vor allem Beschützen.“ Delion sah auf Wolly hinab und lächelte. „Außerdem hast du eine großartige Bindung zu deinen Pokémon. Du bist wirklich ein guter Champ. Und dass du den Titel immer noch hast, unterstreicht das nur noch.“ Als Raelene an ihren ersten Kampf gegen Durengard zurückdachte, musste sie schmunzeln. An ihm hatte sie sich damals fast die Zähne ausgebissen. Dafür war der Antrieb nur umso größer gewesen, als ihr Team und sie ihn endlich überwunden hatten. Sie dachte gerne an diesen spannenden Kampf zurück. „So schwach bist du also nicht.“ Liebevoll strich Delion ihr über den Rücken. „Und zusammen kriegen wir dich auch noch körperlich stark. Versprochen.“ „Ich bestehe sogar darauf, dass du mein persönlicher Trainer wirst“, forderte sie motiviert. „Du kennst dich immerhin super damit aus. Ich will irgendwann auch so eine riesige Hantel mit nur einer Hand hochheben können.“ Raelene schloss die Augen und lächelte. „Meine Hater würden ja sagen, dass ich bisher nur Glück mit den Herausforderern hatte. Aber du hast recht, ich habe mich schon gegen einige starke Trainer beweisen können. Und gegen Roy~.“ „Und Roy ist wirklich kein leichter Gegner. Er ist der einzige, den ich zu meiner Champ-Zeit als Rivale akzeptiert habe. Wenn deine Hater also glauben, du hättest nur Glück gehabt, dann sind sie Idioten, die keine Ahnung haben.“ Das waren Hater meistens, hatte Raelene sich sagen lassen. Die wenigsten von ihnen besaßen wirklich Ahnung von irgendetwas. „Ich werde diese Gedanken trotzdem nie so richtig los. Dabei habe ich wirklich großartige Pokémon, die für mich ihr Bestes geben. Ich muss mich in Zukunft auch noch viel mehr anstrengen.“ Raelene lächelte Delion dankbar zu. „In meiner Vorstellung haben mich alle immer ausgelacht, wenn ich ihnen das erzählt habe. Jetzt bin ich froh, dass du mir nicht einfach nur gesagt hast, ich soll nicht so negativ denken.“ Delion erwiderte ihr Lächeln. „Ich war ja auch mal Champ, ich weiß, welche Gedanken und Gefühle einen mit der Zeit so durch den Kopf gehen. Und was dann hilft ... oder eben nicht. Die Ansage, einfach nicht so negativ zu denken, ist jedenfalls nie hilfreich. Das weiß ich nur zu gut. Den Rat habe ich nämlich selbst mal bekommen, also habe ich danach einfach immerzu gelächelt.“ Davon hatte Raelene nichts gewusst. Woher auch? Das erklärte, warum ihr einige Fotos von ihm manchmal so seltsam vorgekommen waren. Es hatte daran gelegen, dass sein Lächeln ab und zu aufgesetzt gewesen war. So etwas von ihm anvertraut zu bekommen, bedeutete ihr sehr viel. Sicher kannten dieses Geheimnis nicht viele, falls Delion es überhaupt jemals wem erzählt hatte. Prüfend sah Delion sie an. „Geht es dir jetzt besser?“ „Ja~“, versicherte Raelene. „Es tat gut, das alles einfach mal laut zu sagen. Und Verständnis dafür zu bekommen.“ Vielleicht sollte sie die Vorstellung endlich ein für alle Mal ablegen, dass Champions perfekt seien und sie deswegen nicht in die Reihe dieser Legenden passte. Und sie sollte vorerst die Hände von den Hanteln lassen, bis Delion sie dabei unterstützte. Das hätte vorhin deutlich schlimmer enden können. „Ich bin auch beruhigt, dass du nicht enttäuscht bist.“ Raelene vergrub ein wenig das Gesicht in die weiche Wolle von Wolly. „Da wir endlich zusammen sind, will ich für dich halt am liebsten nur die beste Figur machen.“ „Für mich machst du immer die beste Figur, auch wenn es dir nicht so gut geht.“ Er küsste sie auf die Stirn, als sie ihn wieder ansah. „Ich kann gar nicht enttäuscht von dir sein, also mach dir keine Gedanken. Wahrscheinlich wirst du eher irgendwann von mir enttäuscht sein.“ Delion lachte, um das sofort abzuschwächen. „Aber ich gebe mir Mühe, keinen Unsinn anzustellen, also keine Sorge. Hin und wieder werde ich vielleicht aber auch mal schwache Momente haben.“ Sie legte eine Hand an seine Wange. „Ich werde niemals enttäuscht von dir sein. Immerhin liebe ich dich so, wie du bist. Für mich bist du perfekt.“ Kaum hatte sie das gesagt, hielt sie kurz inne und blinzelte. „Oh! Genau so siehst du das also auch, nur halt bei mir.“ „Ganz genau. Also musst du dir nie Sorgen deswegen machen.“ Nach dieser – doch recht späten – Erkenntnis, obwohl sie einander schon versichert hatten, wie großartig der jeweils andere für sie war, konnte Raelene nicht anders, als leise zu lachen. Gerade erkannte sie noch mehr, warum Liebe so etwas Wunderbares und Schönes war. Egal, wie schlecht es dem Partner ging oder wie schwach er sich fühlte, sie würden zusammenhalten. Das erleichterte sie in diesem Moment wirklich sehr. Zufrieden strich Delion ihr durch das Haar. „Zusammen bekommen wir das schon hin.“ „Ja, wir kriegen alles hin", stimmte sie Delion verträumt zu, während sie mit geschlossenen Augen seine Berührungen genoss. „Danke. Ich werde artig warten, bis du wieder ganz gesund bist, und mich bis dahin den Hanteln nicht mehr nähern.“ Wenn Liberlo und Delion so tapfer durchhielten, konnte sie das auch. Auf einmal schien alles ganz leicht zu sein. Das Gespräch hatte wirklich geholfen. Da Wolly gerade in Raelenes Armen schlief, wollte sie die Gelegenheit nutzen: „Kannst du mich heute festhalten, während wir schlafen?“ „Klar doch~“, sagte er freudig. „Dann bist du jetzt bereit, wieder zu schlafen?“ „Absolut bereit~. Ich hab mir ja den besten Trainer der Welt klargemacht, der mich noch dazu liebt, auch in meinen schwachen Momenten. Da muss ich mir keine Gedanken mehr machen.“ Raelene lächelte ihn glücklich an, bevor sie sich, mit Wolly im Arm, gemütlich hinlegte. Die Kleine mähte dabei nur verschlafen, wachte aber nicht auf. Wenn sie mal schlief, dann wie ein Stein. Wolly fühlte sich einfach sicher, worüber auch Raelene sich freute. Delion schaltete das Licht wieder aus und legte sich dann zu ihr. Vorsichtig, um Wolly nicht doch noch zu wecken, legte er den Arm um Raelene und schmiegte sich an ihren Rücken. „Geht das so?“, fragte er leise. „Mhm“, antwortete Raelene knapp. In diesem Moment hätte sie kein Wort anständig aussprechen können, ohne zu stammeln. Nach all den Tagen dachte Raelene, sich an Delions Nähe gewöhnt zu haben, aber das sorgte nun doch wieder dafür, dass ihr Herz einen Marathon lief. Aber es war ein schönes Gefühl. Seine Körperwärme war angenehm. Wahrscheinlich würde sie in dieser Stellung zwar kaum schlafen können, aber sie war vollkommen zufrieden. Daher schloss Raelene die Augen und murmelte leise „Gute Nacht“. „Schlaf gut“, flüsterte Delion.   ***   Wie erwartet hatte es einige Zeit gedauert, bis Raelene wirklich einschlafen konnte. Delions Nähe hatte sie, im positiven Sinne, um den Verstand gebracht. Aber seinem Atem zu lauschen und seine Wärme in sich aufzunehmen, das alles war sehr beruhigend gewesen. So war es schließlich doch noch dazu gekommen, dass sie die letzten Stunden bis zum Morgen gut schlief. Raelene wachte erst wieder auf, als Wolly sich in ihrem Arm so ungünstig drehte, dass sie mit dem Huf gegen ihre Brust kam, was ziemlich weh tat. „Au“, nuschelte sie müde. Wolly blökte leise, was eher einem Gähnen gleichkam, und döste weiter vor sich hin. Langsam öffnete Raelene die Augen und blinzelte mehrmals. Das Ziehen in der Brust erinnerte sie sofort daran, was in der Nacht geschehen war. Vorsichtig legte sie eine Hand auf die von Delion. Ob es an dieser Berührung oder nicht doch an ihrem leisen Schmerzenslaut eben lag, wusste sie nicht, doch offenbar hatte sie Delion auch aufgeweckt. „Alles okay?“, erkundigte er sich, noch im Halbschlaf. „Ist was passiert?“ „Nein, alles gut“, versicherte Raelene gähnend. „Meine Brust tut nur etwas weh.“ Sanft strich sie weiter über Delions Hand und schloss wieder die Augen. Mit ihm zusammen war sie bislang noch nicht aufgewacht, fiel ihr gerade auf. Einer von ihnen war immer schon vor dem anderen aufgestanden. Es war wirklich schön, so in einen Tag zu starten, auch wenn sie nun erst recht nicht aus dem Bett steigen wollte. „Soll ich mir das mal ansehen?“ Erst wollte Raelene ablehnen, weil ihr, abgesehen von blauen Flecken, sicher nichts fehlte. Dann dachte sie aber, dass ein Blick zur Vorsicht eigentlich nicht schaden könnte, auch wenn nichts gebrochen war. Falls es Blutergüsse gab, sollte man die zumindest im Auge behalten. „Ja, wäre wohl besser“, erwiderte sie, nach wie vor schläfrig. „Ist aber bestimmt nicht so wild.“ „Woooll~“, gähnte Wolly lang. Plötzlich befreite Wolly sich aus Raelenes Umarmung und schüttelte sich, kaum dass sie auf allen Vieren stand. Mit einem fröhlichen Ausruf verkündete Wolly den beiden ihren Morgengruß, bevor sie anschließend vom Bett sprang und schon aus dem Schlafzimmer lief. Erstaunt blickte Raelene ihr hinterher. „Dafür, dass sie von allen den festesten Schlaf hat, wird sie ganz schön schnell munter ...“ „Vielleicht ist sie gerade wegen des festen Schlafs schon so munter.“ Guter Punkt, das könnte in der Tat der Grund sein. Jedenfalls wäre das für Raelene nachvollziehbar. „Okay, dann zeig mir die Verletzung mal“, sagte Delion, während er sich von ihr löste und eine aufrechte Position einnahm. Raelene trauerte sofort seiner Wärme hinterher. Das war die erste Nacht gewesen, in der sie in einer Umarmung geschlafen hatten. Sie fühlte sich so glücklich wie ein Sonnflora. So eins hatte sie mal in einer Pokémon-Zeitschrift gesehen, denn die gab es leider nicht in Galar. Verträumt zog Raelene vorsichtig ihr Oberteil aus. Da sie auch diesmal wieder Kates Uniform darunter trug, machte sie sich darüber gar keine Gedanken. Außerdem konnte Delion kaum etwas sehen, wenn sie sich nicht vorher auszog. Durch die Uniform hindurch war aber noch nicht viel zu sehen, es lugte nur ein kleines Stück von einem blauen Fleck unter dem bauchfreien Top hervor. Erst als Raelene es für einen Blick ihrerseits mit den Fingern etwas hochhob, sah sie das ganze Ausmaß des kleinen Unfalls von letzter Nacht. „Woah!“, stieß sie erschrocken aus. Knapp unter ihrem Schlüsselbein zog sich ein großer, dunkelblauer Fleck horizontal entlang. Fast sah es so aus, als wäre sie von einem Pokémon vergiftet worden. „Ich hatte ja schon oft blaue Flecken, aber das ist ein neuer Rekord ...“ Delion reagierte nicht sofort, sondern atmete zuerst tief ein und aus. „Ja, das hatte ich mir fast gedacht. So eine Hantel ist eben doch ziemlich schwer.“ „Zu schwer für mich ... jedenfalls noch.“ Mit Delions Hilfe käme sie auch mit der Zeit an ganz viel Stärke und könnte solche Unfälle zukünftig verhindern. Zum Glück war das Ganze gut ausgegangen. Immerhin wollte sie Delion weiter anständig versorgen können, solange sein Arm noch geschont werden musste. „Ist aber sonst nichts weiter“, beruhigte sie ihn und sich selbst. „Das verheilt in den nächsten Tagen von allein. Ich muss nur aufpassen, die Stelle nicht zu berühren.“ Raelene löste den Blick von dem blauen Fleck und sah Delion erleichtert an. „Also kein Grund zur Sorge~.“ Anscheinend erforderte es für ihn gerade ein gewisses Maß an Mühe, ehe er sich auch von dem Anblick loseisen konnte, um sie anzuschauen. „Na, zum Glück ist das kein Grund zur Sorge. Aber behalten wir das besser doch mal im Auge, falls sich doch noch etwas daran ändern sollte. Nur vorsichtshalber.“ Irgendetwas stimmte nicht mit Delion. Deshalb ließ Raelene das Top wieder los und beugte sich näher zu ihm, damit sie eine Hand auf seine Wange legen konnte. Er fühlte sich heiß an, auch sein Gesicht war auf einmal ganz rot geworden. Hätten sie sich gerade geküsst, könnte sie das auf seine Verlegenheit schieben, doch das war nicht der Fall. „Alles in Ordnung? Hast du Fieber?“ Sie betrachtete ihn besorgt. „Oh je, die Schusswunde hat sich hoffentlich nicht entzündet. Hast du Schmerzen?“ Wenn dem so wäre, müsste Raelene ihn schnell zu einem Arzt bringen. Mit so etwas war nämlich nicht zu spaßen. Noch während ihre Hand auf seiner Wange lag, schien die Hitze sogar rapide zuzunehmen. „Nein, keine Sorge, meinem Arm geht es gut“, erwiderte Delion rasch, beinahe nervös. Beruhigt ließ Raelene die Hand wieder sinken, neigte aber nachdenklich den Kopf. „Dann war das Kuscheln diese Nacht vielleicht einfach nur zu warm. Ich mach dir gleich mal ein kaltes Getränk~.“ Inzwischen kannte sie sich in der Küche schon ziemlich gut aus und wusste, wo was stand. Also konnte sie für Delion zum Frühstück auch eine kleine Erfrischung machen. „Ich halte mich auf jeden Fall erst mal von den Hanteln fern. Hoffentlich hab ich dir keine Macke in den Boden gehauen damit ...“ „Ach, eine Macke macht dem Boden schon nichts aus“, entgegnete Delion. „Die kriegt man leicht wieder raus. Das ist das letzte, worum du dir dabei Sorgen machen musst.“ Dass Delion Ahnung von Bodenbelägen oder der Reparatur derselben besaß, hätte Raelene nicht erwartet. In ihrer Vorstellung rief er für solche Anliegen entsprechende Spezialisten. Wie es aussah, gab es noch viel, das sie über ihn lernen konnte. Auch ihr Gespräch in der Nacht hatte das bewiesen. Da sie sich nun beide ein Bild von dem Ausmaß ihres Unfalls machen konnten, zog Raelene ihr Oberteil wieder über. Anschließend rückte sie dichter an Delion heran und umarmte ihn zufrieden – sie glaubte, sein Herz wie verrückt schlagen hören zu können. „Nochmal Danke, für das Gespräch“, sagte sie sanft. „Das hat wirklich sehr geholfen. Ich werde es dir in Zukunft sofort sagen, wenn mich wieder etwas beschäftigt.“ Schon um seinen Boden zu schonen. Wer weiß, was als nächstes fallen könnte, statt einer Hantel? Delion erwiderte die Umarmung. „Keine Ursache. Und erzähl es mir wirklich sofort, ich versuche dir dann zu helfen. Oder ich höre dir einfach nur zu, was auch immer dir lieber ist.“ „Okay~.“ Widerwillig beendete Raelene die Umarmung und lächelte ihm zu, bevor sie zum Bettrand rutschte, um selber aufzustehen. Sie glaubte nicht, dass etwas passiert war, aber sie wollte mal nach den Pokémon sehen. „War das Kuscheln denn trotzdem okay für dich?“, fragte sie zögerlich, etwas schüchtern sogar. „Auch wenn es dir etwas zu warm war?“ Seltsam erstaunt blinzelte Delion sie an, als könne er nicht glauben, was sie soeben gesagt hatte. Schmunzelnd legte er die Hand an sein Kinn und sah sie plötzlich so an, als wäre sie ein besonders kostbarer Schatz, den man vor bösen Mächten beschützen müsste. Spontan stieg auch ihr die Hitze ins Gesicht und sie wollte nach dem Schirm ihrer Kappe greifen, doch die lag noch auf dem Nachttisch. „Oh, ja, es war großartig. Und ein bisschen Wärme schreckt mich nicht ab. Du weißt ja, ich bin Gluraks Partner, da ist man wesentlich mehr Hitze gewohnt. Besonders bei der Gigadynamaximierung.“ „Ah, stimmt! Dann können wir ja beruhigt weiter kuscheln~. Mir hat das richtig gut gefallen.“ Raelene strahlte glücklich, während sie das sagte. „Ich nehm Wolly einfach immer in den Arm. Oder wir tauschen mal, kein Problem.“ Es war immer noch wie ein Traum, dass sie Delion so nahe sein konnte. Inzwischen wusste sie, dass es die Realität war – schon weil der Schmerz in der Brust sich zu echt anfühlte. „Mir hat das auch gut gefallen~.“ „Ja?“ „Natürlich~. Und darum müssen wir das auf jeden Fall wiederholen“, fügte er hinzu, während er sich ebenfalls zum Aufstehen aufraffte. „Am besten direkt heute Nacht~.“ Erst recht weil Raelene nicht wusste, wie lange sie noch bei Delion übernachten durfte, also wollte sie das unbedingt ausnutzen. Ihr gefiel der Gedanke nicht, dass sie irgendwann auch mal wieder nach Hause gehen musste. Wäre es zu früh, zu fragen, ob sie einfach für immer bleiben durfte? Nun, darüber musste sie noch nicht nachdenken. Eilig griff Raelene nach der Kappe und setzte sie sich auf. „Also, schauen wir mal nach den Pokémon und überlegen dann, was es zum Frühstück geben soll.“ „Sehr gute Idee. Also alle beide. Bin gespannt, wie alle die Nacht erlebt haben.“ „Wegen meinem Unfall?“ „Nun, es gab einen ziemlich lauten Knall.“ Er zwinkerte ihr zu. „Aber keine Sorge, abgesehen von einem kleinen Schrecken dürfte die Pokémon das sonst nicht weiter beeinflusst haben.“ „Hoffentlich. Ich werde so etwas ja nicht nochmal machen.“ „Gut~.“ Locker tippte Delion wieder den Schirm ihrer Kappe nach unten und nahm ihre Hand, so dass sie gemeinsam ins Wohnzimmer gehen konnten, während Raelene leise lachte. Kapitel 25: Daran habe ich auch schon gedacht! ---------------------------------------------- Einige Tage später war endlich der große Moment gekommen – und somit ein Grund zur Freude! Delion und Raelene kamen gerade von einer morgendlichen Tour zurück, die sie zum Arzt ins Krankenhaus und anschließend ins Pokémon-Center geführt hatte. Nicht nur die Schusswunde war verheilt, auch Liberlo durfte sich nach Herzenslust austoben, so wie es sein sollte. Beide waren vollständig genesen. Raelene freute wahnsinnig sich für sie, fast als wäre sie selbst auch die ganze Zeit krank gewesen. „Jetzt können wir alle richtig trainieren und spielen~“, sagte sie glücklich. Gleichzeitig befreite sie ihre Pokémon, die sich sofort in Delions Wohnung verteilten, als gehörten sie schon fest zur Inneneinrichtung – Delion hatte sein Team, samt Endynalos, schon vor ihr rausgelassen, kaum dass sie angekommen waren. Vor allem Liberlo rannte begeistert herum und pfiff laut. „Liberlo! Vorsichtig, mach nichts kapu-“ Bevor sie den Satz beenden konnte, hatte Liberlo ein Regal umgerissen, weil er nicht rechtzeitig abbremsen konnte. Der Inhalt fiel laut polternd auf den Boden und Raelene erstarrte. Zum Glück schien Liberlo unverletzt zu sein, was sie auf den ersten Blick erkennen konnte. Von einigen Gegenständen konnte man das eher nicht behaupten. Es war so lange gut ausgegangen und nun war eine ihrer größten Sorgen doch noch wahr geworden. Natürlich sah Delion das Ganze aber gelassen, sein Gesicht nahm lediglich einen leicht besorgten Ausdruck an. „Alles okay bei dir? Du hast dich hoffentlich nicht noch einmal verletzt.“ Das wäre wirklich alles andere als schön. Für das Regal an sich und den Inhalt interessierte Delion sich momentan überhaupt nicht, was Raelene beruhigte. Die Gesundheit der Pokémon war ihm wichtiger als irgendwelche Gegenstände. Eigentlich hätte sie sich das denken können. Liberlo legte eine Hand auf den Hinterkopf und lachte entschuldigend. Er schien sich nicht mal wirklich erschrocken zu haben, deshalb schüttelte er, auf Delions Frage hin, auch den Kopf und hüpfte energiegeladen herum. Raelene atmete auf. „Wir bringen das wieder in Ordnung“, versprach sie, bevor sie sich lächelnd an Liberlo wandte. „Ich glaube, du brauchst gerade jetzt besonders viel Platz. Vielleicht sollten wir den Tag lieber draußen verbringen.“ Bevor noch mehr in der Wohnung zu Bruch ging oder Liberlo sogar über eines der Babys stolperte und sich am Ende irgendjemand doch nochmal verletzte. So weit wollte sie es nicht kommen lassen. „Wäre vielleicht gar nicht schlecht. Liberlo will sich bestimmt ein wenig die Beine vertreten“, meinte Delion, eine Hand in die Hüfte stemmend. „Ich ehrlich gesagt auch. Sollen wir heute dann nochmal campen gehen? Ab morgen warten jeeeeeede Menge Dokumente darauf, von mir unterschrieben zu werden.“ Was bedeutete, dass er nach dem heutigen Tag erst mal keine Zeit mehr für solche Aktivitäten hätte. Darauf freute er sich garantiert überhaupt nicht. „Würg, Dokumente“, kommentierte Raelene mitfühlend. „Auf mich warten morgen auch einige Termine. Dann heißt es wieder schminken, in ein Kleid zwängen und lächeln. Aber hey, ich komme bei dir vorbei, wenn ich durch bin, dann machen wir zusammen Pause~.“ Es schien so, als hätte die Liga gewusst, dass Raelene sich um Delion gekümmert hatte, während sein Arm noch heilen musste. Sonst hätte sie zwischendurch sicher schon einige Termine gehabt, doch nun kamen auf einmal viele mit einem Schlag. Wenigstens schien die Ankündigung, dass sie morgen die Pause mit Delion verbringen wollte, seine Laune bezüglich der Arbeit deutlich zu steigern. „Oh ja, das wird klasse. Da freue ich mich schon. Das sollten wir immer machen, wenn ich arbeite. Wird dann sicher weniger langweilig.“ Ein Bürojob musste wirklich reichlich öde sein und Herausforderungen von Trainern, die sich am Kampfturm versuchten, boten wahrscheinlich auch nur selten Abwechslung. Daran musste Raelene also unbedingt etwas ändern. „Ich warne dich, ich nehme das ernst.“ Sie rückte dicht an ihn heran und grinste. „Du wirst dich hinterher beschweren, dass du total genervt davon bist, weil ich ständig vorbei komme~.“ Selbstverständlich war der letzte Satz nur scherzhaft gemeint. Inzwischen wurde ihr mehr und mehr bewusst, wie gerne Delion Zeit mit ihr verbrachte, was auf Gegenseitigkeit beruhte. Ihr war bewusst, wie albern es gewesen war, dass sie sich immer Sorgen gemacht hatte. Wenn sie könnte, würde sie auch während der Arbeit gerne ständig bei ihm sein, aber sie selbst hatte auch noch ihre Pflichten zu erfüllen. Delion erwiderte ihr Grinsen schmunzelnd. „Oh, sollte ich mich jemals deswegen beschweren, dann wurde ich von einem Hypno beeinflusst. In dem Fall musst du mich retten kommen, Champ~.“ Einen Moment hielt Delion inne, obwohl er eigentlich noch etwas sagen zu wollen schien. Schnell kam er aber offensichtlich zu dem Entschluss, es einfach zu wagen und sprach spontan ein ganz bestimmten Thema an: „Sag mal, was hältst du eigentlich davon, einfach bei mir zu bleiben? Also, bei mir einzuziehen?“ Mit großen Augen sah Raelene ihn an. Erst dachte sie, sich nur verhört zu haben, aber er hatte ganz eindeutig einziehen gesagt! Sie war absolut sicher. Und er meinte damit bestimmt nicht, dass sie sich auch in sein Büro einquartieren sollte. „Daran habe ich auch schon gedacht!“, gab sie aufgeregt zu. „Deshalb wäre ich total dafür! Ich kann sicher eh nicht mal mehr schlafen, wenn du nicht neben mir liegst. Und unsere Pokémon können wir inzwischen auch nicht mehr trennen. Vor allem will ich mich aber nicht von dir trennen~.“ Glücklich strahlte sie über das ganze Gesicht. Ein Zustand, der in Delions Gegenwart öfter vorkam. Dieses Angebot machte sie aber noch glücklicher als sonst. Sie dürfte für immer bei ihm bleiben! Ihr Herz schlug so schnell, nicht mal Liberlo könnte mit diesem Tempo mithalten. Ein wenig hatte Delion wohl mit Ablehnung gerechnet, denn er atmete erleichtert auf, strahlte dann jedoch genauso sehr vor Freude wie Raelene. „Ich hatte schon befürchtet, ich frage dich zu früh.“ Diese Sorge war verständlich, auch ihr war das schon durch den Kopf gegangen. Schließlich waren sie beide das erste Mal in einer Beziehung, da kannte keiner von ihnen die Gepflogenheiten. Und manche ihrer Freunde um Rat zu bitten käme auch nicht in Frage, da beispielsweise Sania oder Roy sie nur damit aufziehen würden. „Aber ich bin wirklich froh, dass du es genauso siehst. Ich finde auch, dass man unsere Pokémon nicht mehr voneinander trennen sollte – und uns natürlich nicht.“ „Also ist es beschlossen~.“ Da Delions Arm endlich wieder gesund und einsatzbereit war, sprang sie ihm an den Hals. „Ich nerve dich ab jetzt rund um die Uhr, sofern es unsere Arbeit zulässt. Du entkommst mir nicht mehr!“ Glücklich lächelnd schloss Delion sie in die Arme. „Hey, wenn du mich nicht nervst, dann würde ich dich nerven, also passt das doch~.“ Wolly hüpfte begeistert vor ihnen auf und ab. Irgendwo im Hintergrund rannte Liberlo immer noch herum. Auch Azurill und Dedenne freuten sich, genau wie Feelinara, die mit ihren Bändern applaudierte. Nur Zamazenta teilte die Aufregung nicht, da er sich hingelegt hatte und vor sich hin döste. Delions Pokémon reagierten dagegen wesentlich zurückhaltender, was aber vermutlich an dem unterschiedlichen Alter lag. Lediglich Pichu sprang neben Dedenne und Azurill in die Luft, weil sie sich so freuten. Und Endynalos neigte nur ein wenig den Kopf, sichtlich verwirrt, woher die Freude rührte. „Meine Mutter wird sich bestimmt freuen, dass ich dann mal einen richtigen, eigenen Wohnsitz habe, und nicht dauernd nur draußen campe“, lachte Raelene. Oder dass sie nur ab und zu zum Schlafen nach Hause kam. Da sie aber oft unterwegs war, hatte es, in ihren Augen, bislang keinen Sinn gemacht, eine eigene Wohnung zu beziehen. Aber mit Delion war sie dazu mehr als bereit. „Dann hole ich die Tage mal schon ein paar meiner Sachen hierher. Oder willst du dabei sein und meine Mutter bei der Gelegenheit gleich noch fragen, ob du um meine Hand anhalten darfst?“ Eigentlich hatte Raelene auch das wieder nur im Scherz gesagt, aber ihr Gesicht wurde rot, als sie ihre Worte richtig realisierte. Zu allem Überfluss ließ die Frage Delion wieder innehalten. „Macht man das heutzutage denn noch?“ „Ich weiß nicht“, murmelte Raelene verlegen. In früheren Zeiten war das bei vielen Familien Tradition gewesen. Leider erinnerte sie sich nicht mehr, wie das bei ihren eigenen Eltern abgelaufen war. Falls das jedenfalls noch irgendwie zum guten Ton gehörte, müsste Delion das wohl in Erfahrung bringen. Sofern er wollte, dass Raelene schon seine Frau wurde. Wäre das noch zu früh? Raelene würde Delion sofort vom Fleck weg heiraten, aber sie sollten nichts überstürzen. Erst mal freute sie sich einfach darüber, dass sie bei ihm einziehen durfte. „Heute gehen wir ja eh erst mal raus“, lenkte sie rasch vom Thema ab. „Wieder Kronen-Schneelande?“ Liberlo bremste neben ihr ab und nickte zustimmend, während er weiter von einem Fuß auf den anderen sprang. Er war kaum zu bremsen. „Wenn es nach mir ginge, klar~.“ Freundschaftlich klopfte Delion Liberlo auf die Schulter. „Und dein Partner scheint die Schneelande auch zu bevorzugen, also sollten wir wirklich dorthin.“ Nach allem, was er durchgemacht hatte, hätte er auf jeden Fall verdient, dass man ihm diesen Gefallen tat. Schon allein deswegen sprach nichts dagegen, zumal auch Delion schon seine Zustimmung gegeben hatte – und Raelene liebte die Kronen-Schneelande sowieso. „So soll es sein, dann kannst du dich endlich mal wieder richtig austoben, Partner~.“ Liberlo fiel auf die Knie und jubelte. Sie musste herzlich lachen, weil er so begeistert war. Raelene verkündete, dass sie sofort alles zusammenpacken würde und sie bald schon losfliegen könnten. Das bisschen Geduld müsste Liberlo leider doch noch aufbringen. „Kommen wir zum Schlafen hierher zurück oder campen wir?“, fragte sie in Delions Richtung. Ihre Termine waren nicht direkt früh am Morgen, also käme sie zeitlich noch zurecht. Aber bei ihm war es sicher anders. Im Kopf schien Delion seine Termine durchzugehen, bevor er antwortete. „Wir sollten hierher zurückkommen. Ich habe ziemlich früh einen Termin, vor dem ich mich auch noch frisch machen muss. Aber wir können in aller Ruhe zu Abend essen, bevor wir zurückkommen. Pack dir dann nur eine Jacke für den Rückflug ein, der könnte kühl werden.“ Delion war so umsichtig. Sie liebte ihn so, so sehr. „Mach ich~. Sammle du schon mal alle ein und nimm auch mit, was du brauchst.“ Es könnte sein, dass er etwas mitnehmen wollte, um zu trainieren. Da sein Arm wieder verheilt war, wollte er sich bestimmt auch ein wenig austoben. Dieser Tag war bisher wirklich richtig gut. In den Kronen-Schneelanden würde sie mit Liberlo erst mal ein Wettrennen veranstalten, auch wenn sie den immer verlor. „Geht klar. Dann treffen wir uns in einer Viertelstunde auf der Terrasse~.“ Motiviert setzte Delion sich in Bewegung. „Okay, legen wir los!“   ***   Eine Viertelstunde später, sogar noch ein bisschen früher, sprang Raelene abflugbereit nach draußen auf die Terrasse und stemmte zufrieden die Hände in die Hüfte. „Alles klar, der Champ und ihre Pokémon sind bereit~!“ Jeder war in seinem Ball und sie hatte, wie üblich, ihre Reisetasche dabei. Diesmal war sie leichter, weil sie das Zelt und die Schlafsachen nicht mitnehmen mussten. Glurak hatte bislang zwar niemals ein Problem mit dem Gewicht gehabt, aber wenn sie ihn entlasten konnte, wollte sie das auch tun. Der Pokéball von Liberlo vibrierte ein wenig. Sie tätschelte ihn lächelnd und versicherte ihm, dass es nicht mehr lange dauern würde. Delion stand bereits neben Glurak, seine Pokémon ebenfalls sicher verwahrt in ihren Bällen, in denen sie aufgeregt ihren Ausflug erwarteten. Als Raelene dazukam, verfiel er kurz in seine alte Glurak-Pose. „It's Double Champ-Time!“ Begeistert ahmte Raelene ihn direkt nach. „Jawohl! Zeit für etwas Action!“ „Genau, also legen wir los~. Bevor noch etwas dazwischenkommt.“ Gut gelaunt eilte Raelene näher zu Glurak und blieb neben ihm stehen. Erwartungsvoll sah sie Delion lächelnd an. Inzwischen käme sie auch alleine problemlos auf Gluraks Rücken, aber sie mochte es, wenn er ihr von oben die Hand reichte. Und da sein Arm wieder heil war, wollte sie diese Geste unbedingt wieder einführen. Glücklicherweise verstand er ohne jegliche Worte, was sie wollte. Also tat er ihr den Gefallen und kletterte zuerst auf Glurak, so dass er Raelene lächelnd die Hand reichen konnte. „Darf ich bitten, meine Liebe?“ Weiterhin lächelnd nahm Raelene seine Hand und ließ sich nach oben helfen. Als sie dann vor ihm saß, drehte sie sich kurz zu ihm und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Danke, mein Champ~“, flüsterte sie zärtlich. Kaum drehte sie sich wieder nach vorne, erhitzte sich ihr Gesicht. Es war nicht aus Scham, sondern weil sie sich so freute, solche Dinge nun einfach tun zu dürfen, weil sie seine feste Freundin war. Das ließ ihr eigenes Herz immer noch höher schlagen. Ohne Absprache legte Delion auch wieder den Arm um sie, worüber sie sich umso mehr freute. Auch das war ein Detail, das sie gerne beibehalten würde. Schon weil sie sich dabei so nahe sein konnten. Glurak schlug derweil mit den Flügeln und schwang sich in die Luft, ehe er Kurs auf die Kronen-Schneelande nahm. Der Flug an sich verlief erfreulicherweise ohne irgendwelche Zwischenfälle. Je öfter Raelene mit Delion auf Glurak flog, desto weniger Angst machte ihr die Höhe. Das lag aber sicher nur daran, dass sie sowohl Delion als auch Gluraks Fähigkeiten vertraute. Statt zum Dyna-Baum zu fliegen, bat sie die beiden darum, auf einer der weiten Wiesen zu landen, damit Liberlo dort ungestört herumrennen konnte. Zum Glück boten die Kronen-Schneelande für jede Gelegenheit das passende Gebiet. Außerdem wollte sie Delion ohnehin auch mal andere Ecken zeigen. Als sie gelandet waren, atmete Raelene zufrieden durch und lachte. „Wusstest du eigentlich, dass ich leichte Höhenangst habe?“ „Ich hab es ein wenig geahnt“, erwiderte Delion. „Vor allem bei unseren ersten Flügen kam es mir so vor, als müsstest du deine Nervosität in Zaum halten. Anfangs dachte ich, du wärst wegen Glurak so unsicher. Aber es hätte auch alle möglichen anderen Gründe haben können.“ „Ich mag einfach den Gedanken nicht, dass ich platt wie ein Flunschlik wäre, würde ich ab einer bestimmten Höhe runterfallen. Aber wenn ich dem Pokémon und dessen Trainer vertraue, komme ich zurecht.“ Als Champ musste sie manchmal sehr schnell an bestimmten Orten sein, da konnte sie nicht erst in aller Ruhe mit dem Zug fahren. Außerdem mochte sie die frische Luft. „Ah, siehst du, das ist dein Problem: Über so etwas darf man nicht einmal nachdenken.“ Noch während er sprach, war Delion als erstes schwungvoll von Gluraks Rücken gestiegen und bedeutete Raelene anschließend, zu ihm runterzukommen. Sie folgte dieser Anweisung sofort und wagte einen Sprung, genau in Delions Arme, der sie spielend leicht auffing. Ehe er sie absetzte, gab er ihr rasch einen Kuss auf die Stirn. Lächelnd bedankte Raelene sich bei ihm und Glurak. „Ich hab mir jedenfalls noch nie Sorgen darüber gemacht, dass ich mal runterfallen könnte“, fuhr Delion fort. „Vielleicht meinen die Leute das, wenn sie sagen, dass ich gedankenlos bin. Aber auch darum mache ich mir eigentlich keine Gedanken.“ Amüsiert musste er über sich selbst lachen. „Na ja, bei Glurak brauchst du da auch keine Angst haben, er würde dich rechtzeitig auffangen.“ „Das glaube ich dir sofort.“ Behutsam tätschelte Raelene Gluraks Hals, was sie sich bei Delion abgeschaut hatte. „Deswegen genieße ich das Fliegen nun richtig~.“ Raelene war sonst in vielen Dingen sehr abenteuerlustig, aber vor Höhen hatte sie Respekt. Lag vielleicht daran, dass sie mal beinahe in eine Schlucht gefallen wäre, während der Arena-Challenge. Davon hatte sie Delion schon mal erzählt. Oder hatte sie früher schon Höhenangst gehabt? Egal, es hatte sie bislang nie wirklich im Leben behindert. „Okay, dann befreie ich Liberlo mal von seinem Leid.“ Geschwind holte sie ihre Pokébälle hervor und warf sie mit Schwung allesamt in die Luft. Liberlo stieß einen lauten Pfiff aus und stürmte direkt davon. Azurill starrte ihm erstaunt hinterher, als hätte sie komplett vergessen, dass er so schnell rennen konnte. Dedenne lief begeistert im Kreis und warf sich ins Gras, um sich darin zu wälzen. Feelinara schloss die Augen und genoss den Wind. Zamazenta setzte sich hin und beobachtete interessiert Liberlo bei seinem Sprint. Wolly dagegen hüpfte direkt zu Delion und mähte ihn freundlich an, mit funkelnden Augen, die ihn erwartungsvoll ansahen. Enthusiastisch lächelte Delion Wolly an und zwinkerte ihr zu. „Ja, ich weiß genau, auf wen du wartest~.“ Damit warf auch er seine eigenen Pokébälle in die Luft. Durengard begab sich direkt zu Wolly und sie kuschelte sich zur Begrüßung an ihn, als hätte sie ihn ewig nicht gesehen. Anschließend drehte sie sich um und gab ihm zu verstehen, dass er auf ihren Rücken steigen sollte, damit sie zusammen ebenfalls herumrennen könnten. Raelene ging das Herz auf. Die Pokémon verstanden sich so gut. Pichu schloss sich wieder Azurill und Dedenne an. Maxax sah sich um, damit er sicherstellen konnte, dass die Gegend sicher war. Die Grolldras von Katapuldra schwirrten sofort wieder um Feelinara herum. Und Endynalos ließ ebenfalls den Blick schweifen, allerdings nur, weil er nicht wusste, wo sie waren und er deswegen neugierig war – die Unsicherheit hatte er bereits zum Großteil abgelegt. Nur Intelleon hatte Delion zu Hause gelassen, weil er aktuell den Pool dort bevorzugte. Plötzlich bremste Liberlo vor Raelene ab und hüpfte begeistert herum, um seine Freude auszudrücken. „Awww, ich freue mich auch für dich! Jetzt können wir wieder mit dem Training anfangen. Aber lass es langsam angehen, dann kriegen wir dich ganz schnell auf deinen alten Stand und darüber hinaus~.“ Liberlo nickte entschlossen und grinste ein wenig. Bevor sie fragen konnte, worüber er nachdachte, hatte er sich Raelene schon geschnappt, sie über die Schulter geworfen und rannte mit ihr zusammen eine weitere Runde. Damit hatte sie nicht gerechnet, aber Raelene lachte. Ihre Haare flatterten wild herum. Einmal rannte Liberlo mit ihr nah genug bei Delion vorbei, dass sie ihm zuwinken konnte. Dieser beobachtete die beiden mit einem zufriedenen Lächeln, als wäre dieses friedliche Bild alles, was er sich je gewünscht hatte. Auch Endynalos beobachtete das Ganze und neigte fragend den Kopf. Sein leises Brummen ließ Delion ihm seine Aufmerksamkeit zukommen. „Liberlo freut sich, weil seine Ruhephase vorbei ist. Und anscheinend ist er stark genug, um Raelene zu tragen. Das ist nicht so ungewöhnlich.“ „Absolut nicht~“, rief Raelene heiter dazwischen. Nachdenklich drehte Endynalos den Kopf, um seinen eigenen Rücken anzusehen. Während Liberlo weiter mit Raelene über die Wiese rannte, kam Feelinara zu Delion und Endynalos. Letzterem schien sie, charmant wie immer, zu erklären, dass es Spaß machte, andere Pokémon zu tragen, weil diese sich dann freuten. Da die Grolldras direkt zu ihr gekommen waren, wickelte sie diese vorsichtig in ihre Bänder ein und drehte sich fröhlich mit ihnen. Wieder neigte Endynalos den Kopf von der einen auf die andere Seite. Pichu schien etwas von diesem Gespräch mitbekommen zu haben, denn plötzlich kletterte er auf Delions Kopf, um Endynalos energisch zuzuwinken. Dieser reagierte direkt, indem er seinen Kopf dem von Delion näherte und es so Pichu ermöglichte, einfach auf ihn draufzuspringen. All das bekam Raelene nur am Rande mit, doch trotz Liberlos Tempo konnte sogar sie Pichus glücklichen Ausruf nicht überhören. Überaus froh darüber, sein Ziel endlich erreicht zu haben, winkte Pichu triumphierend von Endynalos herab. Dedenne saß inzwischen auf Maxax' Kopf und sah Pichu mit einem Blick an, der verdeutlichte, dass er ihn gerade für das mutigste Pokémon auf dieser Welt hielt. Feelinara beglückwünschte Endynalos und Pichu begeistert. Da Raelene gerade nicht in der Nähe war, hüpfte Azurill zu Delion und verhakte sich mit ihrem Schweif in seinen Haaren, um hinter einem sicheren Schild Pichu zu beobachten. Während Delion lediglich über Azurill lächelte, flog Endynalos – überraschend vorsichtig – einige Runden mit Pichu. Das Gefühl musste noch ungewohnt für Endynalos sein, vermutlich machte er sich auch Sorgen, dass Pichu abstürzen könnte, wenn er zu ungestüm wurde. Pichu wiederum war geradewegs in Ekstase und freute sich einfach nur darüber, endlich auf Endynalos sitzen zu dürfen. Durengard saß inzwischen tatsächlich auf Wollys Rücken und wechselte nun in seine Klingenform, woraufhin er den Befehl zum Angriff zu geben schien. Wolly mähte kampflustig und stürmte voran, geradewegs auf Liberlo und Raelene zu. Letztere bemerkte den Angriff und nutzte die Gelegenheit direkt für ein kleines Spiel – und ein wenig zur Übung. „Liberlo, du musst mehr Haken schlagen! Lass dich nicht erwischen!“ Pfeifend änderte er sofort die Richtung und fing an unvorhersehbare Kurven zu machen, die Wolly verwirrten. Sie blieb aber hartnäckig und versuchte sie weiterhin mit Durengard einzuholen. Tapfer versuchte Durengard, Wolly nicht nur Anweisungen, sondern auch Anfeuerungen mitzuteilen, damit sie Liberlo doch noch erwischen könnten. Als während dieses Spiels über ihnen Endynalos hinweg flog, mit Pichu, der nicht zu überhören war, lächelte Raelene und winkte dem Kleinen zu. Pichu wedelte daraufhin begeistert mit seinen Ärmchen. Delion beobachtete das weiterhin zufrieden und verschränkte die Arme vor der Brust. Er schien etwas zu sagen, doch gerade war Raelene zu weit weg, als dass sie ihn verstehen könnte. Trotzdem konnte sie es sich auch so denken. Alle sind gerade so glücklich, es ist perfekt. Liberlo wurde schließlich tatsächlich von Wolly und Durengard erwischt, weil er sich von einem Stein hatte ablenken lassen, den er gut durch die Luft kicken konnte. Wolly war unendlich stolz, während Liberlo etwas beschämt wirkte. Deshalb setzte er Raelene erst mal wieder ab, die ihm aufmunternd auf die Schulter klopfte. Im Anschluss folgte ein kurzer Wortwechsel mit Delion, ehe sie beschloss, zu ihrem Rucksack zu gehen und die richtigen Bälle auszupacken, mit denen die Pokémon spielen könnten. Die Stimmung war so gelöst und gut, dieser Tag wurde immer besser und besser. Und er war noch lange nicht vorbei. Kapitel 26: Pokémon-Kämpfe sind irgendwie viel einfacher -------------------------------------------------------- Nach einem ereignisreichen Tag, an dem sie alle ausgiebig gemeinsam getobt und gespielt hatten, waren sie schließlich erschöpft, aber glücklich, nach Hause zurückgekehrt. Viele gute Dinge waren passiert. So einen Alltag könnte Raelene, sofern es die Arbeit zuließ, von nun an regelmäßig zusammen mit Delion führen, denn sie würde bei ihm einziehen. Das erfüllte sie schon den gesamten Abend über mit Glücksgefühlen. Es würde sie nicht wundern, wenn sie die ganze Zeit mit einem breiten Lächeln im Gesicht herumlief, ohne es selbst zu merken. In der Wohnung angekommen, hatten sie nur schnell ihre Pokémon aus den Bällen entlassen, weil sie danach planten direkt ins Bett zu gehen. Pichu war nicht einmal aufgewacht, als Delion ihn freiließ, deswegen hatte er ihn nur vorsichtig in sein Bettchen gelegt. Genau das Gleiche tat Raelene auch mit Azurill und Dedenne. Sogar Glurak und Endynalos waren so müde gewesen, dass sie sich direkt auf der Terrasse hingelegt hatten. Es war ein guter Tag gewesen, mit Fortschritten für Endynalos und einem neuen unbeschwerten Training für Liberlo. Delions rechter Arm konnte auch nur über wenig klagen, wie er Raelene berichtet hatte, und das war hauptsächlich eine noch leichte Schwäche, die er wieder auszugleichen gedachte. Da aber sogar er erledigt war, konnte er es selbst kaum erwarten, endlich ins Bett zu kommen und zu schlafen. Zu schade, dass sie nicht einfach hatten campen können. Geschwind hatten Delion und Raelene sich jeweils getrennt fertig gemacht. Ausnahmsweise trug sie diesmal ein Nachthemd, weil sie es besonders gemütlich haben wollte und es in Delions Armen auch sowieso warm genug war. Allerdings gab es noch eine weitere Sache, die diesmal – ungeplant – anders war. Als Raelene ins Bett gehen wollte, war Wolly nicht da. Normalerweise lag sie sonst jedes Mal bereits im Schlafzimmer, wenn sie merkte, dass Raelene und Delion kurz davor waren schlafen zu gehen. Irritiert sah Raelene Delion an. „Mein Flauschball ist nicht da.“ Noch während sie das sagte, verließ sie das Schlafzimmer wieder, um nach Wolly zu suchen. „Vielleicht schläft sie schon im Wohnzimmer“, rief er ihr nach. Hinter ihr war ein leises Klatschen zu hören, kaum dass er seinen Satz beendet hatte, was Raelene kurz innehalten ließ. Hatte es sogar Delion aus dem Konzept gebracht, dass Wolly nicht schon im Bett auf sie beide wartete? Statt darüber nachzudenken, setzte sie ihre Suche fort und wurde schnell fündig. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie sah, wo Wolly sich gerade aufhielt. Raelenes Pokémon war an Durengards Seite, beide lagen mittig im Wohnzimmer – sein persönlicher Wachposten, von dem aus er alles im Blick behalten konnte. Durengard warf Raelene einen Blick zu, als würde sich gerade ein Kind für eine bestimmte Aktion vorher die Erlaubnis seiner Eltern einholen. Beschwichtigend hob sie die Hände und verdeutlichte ihm damit, sich nicht daran zu stören, wenn Wolly diesmal lieber bei ihm schlafen wollte. Zumal die Kleine so einen friedlichen und verträumten Gesichtsausdruck hatte, während sie sich an Durengard schmiegte, dass es Raelene nur leid tun würde, diese Zweisamkeit zu stören. Daher wünschte sie ihnen nur leise eine gute Nacht, ehe sie zu Delion ins Schlafzimmer zurückkehrte. Fragend sah er zu ihr und blieb weiter neben dem Bett stehen, seltsam verloren. Da Raelene noch so vereinnahmt von der Szene eben war, machte sie sich noch keine Gedanken darüber, warum sein Gesicht wieder rot geworden war. Schmunzelnd deutete sie über ihre Schulter. „Du hattest recht. Sie hat sich an Durengard gekuschelt und schläft.“ Raelene stieß einen gespielt bedrückten Seufzer aus. „Ich glaube, ich habe meinen Flauschball an ihn verloren. Jedenfalls diese Nacht.“ Wirklich betrübt war sie deswegen nicht, sondern freute sich vielmehr für die beiden. Anscheinend verstanden sie sich richtig gut. Außerdem war Wolly bei Durengard auch in den besten Händen, er würde über sie wachen und sie beschützen. Davon, dass ausgerechnet Durengard und Wolly sich derart gut verstanden, war Delion wohl noch ziemlich überrascht. Wie Raelene freute er sich aber ebenso für ihre Pokémon, wie er ihr mitteilte. Wolly war nun mal einfach zu süß für diese Welt, da konnte nicht mal sein Durengard widerstehen. Außerdem gab es etwas anderes, das Wollys Wechsel des Schlafplatzes mit sich brachte und zumindest Raelene viel mehr in Aufregung versetzte. „Also schlafen wir heute wohl das erste Mal nur zu zweit!“ Irgendwie hatte Raelene erwartet, er würde sich auch darüber freuen, doch für einen Moment sah er beinahe … etwas panisch aus. Auf jeden Fall nervös. Fahrig strich er sich mit einer Hand über den Kopf und suchte nach den richtigen Worten. Worüber machte er sich solche Sorgen? Erst, als er schließlich lächelte, atmete Raelene innerlich auf. „Jep, das wird eine echte Premiere.“ „Dann mal ab ins Bett~“, jubelte sie, viel zu enthusiastisch. Ihre Erschöpfung von den ganzen Spielen mit den Pokémon war auf einmal wie weggeblasen. Eilig huschte Raelene an ihm vorbei und stieg ins Bett. Seltsam wäre es durchaus, nach so langer Zeit plötzlich ohne Wolly zu schlafen, aber sie war ja nicht weit weg. Und ganz alleine musste sie trotzdem nicht schlafen. Delion und Raelene könnten diese Nacht jeweils in den Armen des anderen liegen. Der Gedanke war schon total romantisch. Lächelnd klopfte sie neben sich auf die noch freie Bettseite. Verdutzt starrte Delion sie einige Sekunden nur tatenlos an, bis er sich tatsächlich neben sie legte. Auf einmal war er wieder so seltsam, wie an diesem einen Tag, als er sich ihren blauen Fleck angesehen hatte. Irgendetwas entging Raelene, sie wusste nur nicht was. „Okay.“ Auffallend locker tätschelte er ihren Kopf und lachte leise. “Dann sollten wir wohl schlafen.“ Jetzt verstand sie, was los war. Delion war einfach nur schüchtern. Dabei hätte sie erwartet, dass er inzwischen ganz gut damit umgehen könnte. Im Grunde war Raelene aber selbst nervös, im positiven Sinne. Bestimmt würden sie sich schnell daran gewöhnen, sobald sie eine Weile lagen. Also schlang sie die Arme um ihn und schmiegte sich an seine Brust. Eine Woge von Sicherheit und Wärme erfasste sie. Allein mit Delion. In einem Bett. Wenn sie so darüber nachdachte, fing ihr Herz aus Nervosität an zu rasen, schneller als Glurak fliegen könnte. Ohne Wolly war das doch um einiges intimer, wie sie gerade merkte. Kein Wunder, dass Delion sich so seltsam benahm. Ihm musste das schon vorher bewusst gewesen sein. „G-geht das so?“, stammelte sie unsicher. „Oder wird es sonst zu warm?“ Jedenfalls hatte Raelene schon jetzt das Gefühl, dass sich die wohlige Wärme zu einer knisternden Hitze entwickelte. Es war wie an diesem Morgen, als sie Delion nur in Kates Uniform umarmt hatte. Da hatte sie auch nicht darüber nachgedacht, wie intensiv sich das anfühlen würde. „Nein“, versicherte Delion ihr rasch. „Es geht schon.“ „Okay.“ Unruhig schloss Raelene die Augen und versuchte seinem Herzschlag zu lauschen – der unfassbar schnell war. Niemals hätte sie gedacht, Delion jemals so nahe zu kommen. Ihr Atem wurde etwas schwerer. Diese Lage versetzte ihre Gefühle doch ziemlich in Aufruhr. „Der Tag heute war richtig schön“, murmelte sie leise. „Wie jeder Tag mit dir und den Pokémon.“ Raelene kuschelte sich noch mehr an Delion. „Danke, dass ich hierbleiben darf.“ „Danke, dass du bleibst.“ Er drückte sie noch ein wenig enger an sich. „Ich hatte die Befürchtung, es wäre dir zu früh.“ „Lustigerweise habe ich das auch gedacht.“ Sie schmunzelte. „Wir haben beide echt keine Erfahrung in Sachen Beziehungen.“ Irgendwie beruhigte Raelene das sehr. So musste sie sich nicht alleine wie ein unerfahrenes Kind vorkommen. Am besten erzählte sie nie den anderen, wie unsicher sie war. Roy würde sich wohl sonst über sie lustig machen – oder ihr viele peinliche Ratschläge geben und dabei ihre Reaktionen in einer Fotoreihe festhalten. Eines war auf jeden Fall sicher, weder Delion noch Raelene wollten aufeinander verzichten, nachdem es schon so lange gedauert hatte, bis sie ein Paar geworden waren. Solange sie so fühlten, konnten ihre Entscheidungen nicht falsch sein. Besonders nachts fühlte es sich richtig und gut an, bei ihm zu sein. Darum versuchte Raelene sich und Delion mit ihren folgenden Worten zu beruhigen: „Also machen wir einfach alles weiter nach Gefühl, würde ich sagen.“ Für sie klang das eigentlich wie ein guter Vorschlag, doch Delion sagte nichts dazu, was sie verunsicherte. Schweigend lauschte sie weiter seinem Herzschlag, der immer noch verriet, dass auch seine Gefühle gerade Achterbahn fuhren. Deshalb ließ sie ihm die Zeit, die er benötigte. „Aber was, wenn selbst dein Gefühl sich nicht einig ist?“, fragte er schließlich. Raelene hob den Kopf, um Delion fragend anzusehen. „Inwiefern?“ Inzwischen war ihr Gesicht bestimmt knallrot, aber es machte ihr ihm gegenüber nichts mehr aus. Immerhin musste sie ihre Gefühle nicht mehr verstecken und Delion war bisher stets sehr einfühlsam gewesen. Zumal er ihre Nervosität merklich teilte. Dummerweise sorgte der Blickkontakt offenbar dafür, dass es auch bei ihm noch schlimmer wurde. Zumindest schien sein Gesicht regelrecht zu verglühen. „Na ja ...“ Er sah ein wenig zur Seite, obwohl er so nur noch die Decke anstarren konnte. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich schon weitergehen soll oder nicht.“ Wenn ihr eigenes Gesicht nicht schon so erhitzt wäre, hätte es spätestens jetzt in Flammen gestanden. Delion dachte über den nächsten Schritt nach? Dann begehrte er sie so sehr? Nun fühlte sich ihr Kopf so heiß an, dass sie sich doch etwas schämte. Deshalb vergrub sie das Gesicht lieber wieder in seiner Brust. „Verstehe ... also, ähm, abgeneigt wäre ich nicht“, erwiderte sie verlegen. „Ich hab sowas nur noch nie gemacht. Vielleicht mache ich nicht alles richtig. Ab wann macht man eigentlich am besten weiter? Mann, Pokémon-Kämpfe sind irgendwie viel einfacher.“ „Ich habe sowas auch noch nie gemacht. Aber ja, Pokémon-Kämpfe sind wesentlich einfacher.“ Es gab bestimmt Personen, bei denen es anders herum war, im Moment beneidete Raelene diese ein wenig. Aber sie konnte schlecht mit ihnen tauschen. Wollte sie eigentlich auch nicht, aber ein wenig mehr Ahnung und Selbstvertrauen wäre schön. Raelene dachte einen Moment nach. „Wenn unser Gefühl sich nicht entscheiden kann, wie wäre es dann erst mal mit dem Mittelweg?“ Oder könnten sie nicht mehr aufhören, wenn sie erst mal angefangen hatten? Zumindest wäre ihr Gefühl in dem Fall eindeutig. Vielleicht wollte sie Delion aber jetzt auch einfach unbedingt berühren, nachdem er das Thema zur Sprache gebracht hatte ... zum Glück konnte niemand ihre Gedanken lesen. Falls er sich schon die ganze Zeit wegen dieser Sache den Kopf zerbrach, tat es ihr leid, dass sie es nicht von sich aus verstanden hatte, weil sie so naiv war. „Das wäre vermutlich das Beste.“ Zaghaft strich Delion über ihr Haar. „So könnten wir vielleicht auch sichergehen.“ Mit diesen Worten war es also beschlossen, sie waren sich einig. Raelene atmete nervös durch. „Okay, dann …“ Schlagartig kam sie sich wieder vor wie ein Kind, das gleich etwas Neues erkunden würde. Es half ihr, dass es Delion garantiert genauso ging wie ihr. Also müsste ihr nichts peinlich sein. Da er schon seinen Mut zusammengenommen und das Thema offen angesprochen hatte, beschloss sie, den Anfang zu machen. Langsam löste sie sich ein bisschen von ihm und strich behutsam über seinen Arm. Seine Muskelpartien waren deutlich zu spüren, aber trotzdem fühlte es sich nicht hart wie Stahl an, was sie angenehm fand. Als ihre Hand anschließend über seine Brust fuhr, glaubte sie, dass aus ihrer eigenen jede Sekunde ihr Herz ausbrechen würde. Es war nicht das erste Mal, dass sie einander berührten, aber unter diesen Umständen war es dennoch vollkommen neu und mit ganz anderen Erwartungen sowie Spannung verknüpft. Vorsichtig küsste Delion ihre Stirn – und anschließend folgten sie beide einfach ihren Gefühlen.   ***   Als Raelene am nächsten Morgen aufwachte, fühlte sie sich … anders, irgendwie neu. Besser. Auf eine gute Weise. Das war ein schönes Gefühl, wie das Ausschlafen an einem winterlichen Tag. Noch befand sie sich im Halbschlaf, während sie sich an Delion schmiegte und zufrieden seufzte. Sie war vollkommen entspannt und fühlte sich seltsamerweise noch gestärkter als gewöhnlich. So gut wie in dieser Nacht hatte sie noch nie geschlafen. Beinahe wirkte es so, als hätte die Zeit eine Ewigkeit einfach stillgestanden, damit ihr Glück so lange wie möglich anhalten konnte. Ihre Termine an diesem Tag bekäme sie mit dieser neuen Energie sicher locker hin, obwohl sie sonst keine große Lust darauf hatte. Ob sich Delion auch so erfrischt fühlte? „Guten Morgen, Liebling~“, flüsterte Delion glücklich, und strich ihr zärtlich durch die Haare. Er war also auch schon wach. Seine Stimme klang wesentlich heller und klarer, einfach noch viel schöner als sonst. Sanft holte seine Begrüßung Raelene aus ihrem Halbschlaf und zauberten ihr obendrein ein Lächeln ins Gesicht. Zum Glück empfand sie keinerlei Scham, wenn sie an die Nacht zurückdachte. Das wäre schade gewesen. Etwas verlegen war sie dennoch. „Guten Morgen, mein Champ~.“ Noch waren Raelenes Augen geschlossen und sie streckte sich im Liegen ein wenig. „Ich habe echt wahnsinnig gut geschlafen.“ Wieder küsste Delion ihre Stirn, wie schon in der Nacht. „Ich auch. Ich glaube, so gut habe ich schon ewig nicht mehr geschlafen. Dann sind wir heute wohl beide fit für unsere Aufgaben.“ Raelene stimmten mit einem zuversichtlichen Laut zu. Widerwillig öffnete sie die Augen und blinzelte mehrmals. Wie schön, dass es sich völlig natürlich anfühlte, so neben Delion zu liegen. Aus dem Wohnzimmer waren schon Geräusche zu hören, die verrieten, dass einige ihrer Pokémon ebenfalls wach waren. In diesem Augenblick erfasste sie plötzlich ein Gedanke, der ihr nun doch ein wenig Schamesröte ins Gesicht trieb. „Du? ... Glaubst du, die Pokémon haben uns gehört?“ Wie sollte man den Pokémon noch gegenübertreten oder sie gar trainieren, wenn sie mitbekommen hatten, was letzte Nacht hier passiert war? Erst schien der Gedanke auch Delion nicht zu behagen, doch er fing sich unerwartet schnell. „Also ... sie haben sicher alle ziemlich fest geschlafen.“ Hoffentlich. Obwohl Raelene sich nicht vorstellen konnte, dass eines ihrer Pokémon sie aufziehen würde, selbst wenn sie wirklich etwas gehört hatten, war der Gedanke trotzdem unangenehm. Aber sie bereute es nicht. Absolut nicht. „Wir werden es wohl herausfinden müssen“, sprach Raelene ihnen Mut zu. Bevor sie sich von Delion löste, gab sie ihm noch einen Kuss auf die Wange. Anschließend suchte sie ihre Kleidung zusammen, um sich wieder richtig anzuziehen. Delion folgte ihrem Beispiel. Auf jeden Fall sollte sie auch noch duschen, bevor sie später zu ihren Terminen ging. Den Vortritt ließ sie aber erst mal Delion, der früher aufbrechen musste als sie. „Macht es dir was aus, mir Frühstück zu machen, während ich dusche?“, bat Delion. „Ich muss bald los.“ Verständlich, dass er vorher gerne noch etwas essen wollte. Diese Bitte würde sie ihm daher nicht abschlagen, sondern nickte ihm lächelnd zu. „Liebend gern~. Ich werde in Champ-Geschwindigkeit ein super Frühstück zaubern!“ Nachdem sie noch den Stoff ihrer Kleidung halbwegs glatt gestrichen hatte, ballte Raelene motiviert die Hände zu Fäusten. In ihr steckte so viel Energie, da bekäme sie das locker hin. Für Delion sowieso. Wenn er schon langweiligen Papierkram erledigen musste, sollte er mit bestmöglicher Laune loslegen können. Schmunzelnd beobachtete Delion ihren Tatendrang. „Danke, Liebes~.“ Auf seinem Weg ins Badezimmer gab er ihr ebenfalls einen Kuss auf die Wange und verschwand aus ihrem Sichtfeld, um die Dusche hinter sich zu bringen. Derweil strahlte Raelene über das ganze Gesicht, als sie Richtung Wohnzimmer ging. Er nannte sie Liebes, hatte sie dazu eingeladen bei ihm einzuziehen und sie waren letzte Nacht einen Schritt weitergegangen. Inzwischen fühlte sich ihre Beziehung wie etwas an, das wirklich ewig halten würde. Ihr Herz hüpfte genauso fröhlich wie Azurill, als die Kleine direkt in ihre Arme sprang. „Guten Morgen~. Gut geschlafen?“ Azurill bejahte das sichtlich gut gelaunt. Wolly schlief noch wie ein Stein, dürfte aber in den nächsten Minuten ebenfalls aufwachen. Liberlo schien sich im Trainingsraum auszutoben, wenn sie die Geräusche richtig deutete. Da auch einige andere Pokémon noch im Halbschlaf waren, ging Raelene ohne weitere Worte leise weiter zur Küche, um mit Azurill das Frühstück zu machen. Etwas später war der Tisch reichlich gedeckt. Sandwiches, Salat, verschiedene Getränke und Joghurt, den jeder mit seinen Lieblings-Beeren mischen könnte, sofern man wollte. Da Azurill ihr so fleißig geholfen hatte, setzte sie die Kleine schon mal vor einem Teller ab, damit sie bereits anfangen konnte zu essen. Am Morgen bestand Raelene nicht zwingend darauf, zuerst alle zu versammeln. Jedes Pokémon sollte so viel schlafen dürfen, wie es wollte, solange sie es nicht übertrieben. Einige Zeit später bekam Raelene mit, dass Delion nach seiner Dusche durch die Wohnung lief, bestimmt um auch seine eigenen Pokémon zu kontrollieren und sicherzustellen, dass es ihnen gut ging. Bislang machte keiner irgendwelche Anstalten, sie beide wegen irgendetwas aufzuziehen oder anklagend anzusehen, genau genommen benahmen sich die Pokémon genau wie am Tag zuvor. Die Grolldras drehten sogar kurz ihre Runden um Delion, bis Pichu auf seine Schulter kletterte. Darauf zogen die kleineren Pokémon sich wieder etwas zurück. Laut Delions Bericht starrte Endynalos wieder von der Terrasse aus die umliegenden Gebäude an – vermutlich noch immer irritiert von dieser Architektur – und hatte ihn mit einem Nicken begrüßt, was wohl zu einer Art Ritual zwischen ihnen geworden war. Am Esstisch betrachtete Delion schließlich zufrieden seufzend das Frühstück. „Das sieht wirklich gut aus~.“ Raelene klatschte begeistert in die Hände. „Sehr gut! Dann wird es dir auch super schmecken~. Na los, bedien dich ruhig.“ Sie nahm bereits selber am Tisch Platz. Delion setzte sich ebenfalls und suchte sich direkt etwas aus. Die Pokémon würden nach und nach auch dazukommen. Liberlo kam bereits aus dem Trainingsraum, sichtlich gut gelaunt, und setzte sich ebenfalls zu ihnen, um zu essen. Wolly hüpfte erst mal munter herum, kaum dass sie aufgewacht war. „Wenn ich heute mit meinen Terminen fertig bin, komm ich ja zu dir“, erinnerte Raelene Delion. „Dann bringe ich was von der Bäckerei mit. Oder vom Buffet, falls es eines gibt. Gerade bei der Arbeit musst du ordentlich essen~.“ „Oh, ich freue mich schon darauf, wenn du mich besuchen kommst.“ Inzwischen wusste Galar auch, dass sie ein Paar waren, dafür hatte die PR-Abteilung gesorgt, ohne dass sie beide viel hatten tun müssen. Also dürfte es niemanden wundern, wenn sie zum Mittagessen bei ihm vorbeikam. Gut, nach der Sache im Labor hätte auch ohne den entsprechenden Artikel jeder gewusst, dass sie ein Paar waren, aber wenigstens war es nun ganz offiziell. Katapuldra, Maxax und Intelleon kamen auch zum Frühstück dazu. Pichu kletterte von Delions Schulter auf den Tisch hinab, um sich einige Beeren aus einer Schale zu schnappen. „Ich wäre auch ziemlich enttäuscht, wenn du dich nicht freuen würdest“, sagte Raelene neckend. Plötzlich sprang Dedenne wie aus dem Nichts zu ihnen auf den Tisch und machte sich direkt über das Essen her. Raelene lachte herzlich. Sie hatte sich schon ohnehin gefragt warum er so lange gebraucht hatte. Wenn es etwas zu futtern gab, war Dedenne sonst immer einer der ersten. Nachdem Wolly gefühlt der ganzen Welt einen guten Morgen gewünscht hatte, kam auch sie zum Tisch und mähte Raelene aufgeregt an. Schon wie von selbst füllte sie darauf einen Teller und stellte ihn für Wolly auf den Boden. „Es ist schön, dass wir das jetzt immer haben werden. Zusammen aufwachen, frühstücken und spätestens nach der Arbeit sehen wir uns wieder. Ich bin froh, dass ich nicht mehr sehnsüchtig Poster von dir anstarren muss.“ „Ja, das finde ich auch.“ Delion lächelte, mit sich und der Welt im reinen. „Sag mir übrigens Bescheid, falls ich deine Poster abnehmen oder lieber in meinem Arbeitszimmer aufhängen sollte. Jetzt, da du auch hier wohnst, sollst du dich ja wohlfühlen und mitbestimmen können, wie wir die Wohnung einrichten.“ Maxax war umsichtig genug, Katapuldra zwei Schalen mit Beeren zu reichen, die der Drachengeist direkt zur Terrasse beförderte, damit Glurak und Endynalos auch etwas vom Frühstück bekamen. Raelene folgte Katapuldra lächelnd mit ihrem Blick. Es war großartig, wie gut die Pokémon aufeinander Acht gaben. Auch wenn da nicht mehr viel Arbeit für die Trainer selbst übrig blieb. Aber wahrscheinlich waren besonders ältere Pokémon auch stolz darauf, auf gewisse Weise unabhängig sein zu können. Sie wandte sich wieder Delion zu. „Also an sich stören mich die Poster nicht. Ich seh ja immer irgendwo Bilder von mir, ich bin das gewohnt.“ Das klang hoffentlich nicht eingebildet. Bei Delion konnte sie aber sicher sein, von ihm nicht so betrachtet zu werden. „Aber wir könnten ja nach und nach die Wände lieber mit Fotos von uns zusammen füllen~. Wir müssen nur öfter daran denken welche zu machen, wenn wir was unternehmen.“ Dieser Vorschlag machte Delions Lächeln noch eine Spur herzlicher. „Das klingt wirklich gut~. Dann sollten wir uns das schnell angewöhnen. Jetzt haben wir ja einen wirklich guten Grund~.“ „Genau~. Das gefällt dann sicher auch den Pokémon.“ Azurill quiekte zufrieden, aber wohl eher wegen dem Essen. Sie schien schon satt sein, was Raelene wieder deutlich vor Augen führte, dass sie noch ein Baby war. Zielstrebig hüpfte sie auf Delion zu, landete auf seiner Schulter und hing sich dann in seine Haare. Raelene lachte. „Erst Wolly, jetzt auch Azurill“, tat sie gekränkt, lächelte aber dabei. „Sogar meine Pokémon haben erkannt, wie großartig ihr seid~.“ „Ach, sie mag nur den Geruch des Shampoos~“, wehrte Delion ab. Katapuldra kehrte währenddessen zurück. Die Grolldras nutzten die Gelegenheit, als sie an Raelene vorbeikamen, um den kürzesten Weg zu ihr zu wählen. Sie zirpten leise, während sie um Raelene herumschwebten, dann stürzten sie sich in ihr Haar, um sich darin zu verstecken. „Siehst du? Zwei meiner Pokémon sind absolut begeistert von dir.“ Raelenes Augen funkelten gerührt. „Awww, sie sind sooo süß~!“ Feelinara, die zwischendurch auch zum Tisch gekommen war, stimmte ihr direkt zu. Das Haar von Delion war viel dichter und fluffiger, deshalb dachte Raelene, die Grolldras würden seines bevorzugen, genau wie Azurill jetzt gerade. Vielleicht hatte es aber doch auch noch andere Gründe. „Dann passt auf, dass ich euch nicht aus Versehen mit in die Dusche nehme.“ „Ach, keine Sorge“, warf Delion ein, „die beiden waren schon oft aus Versehen mit mir unter der Dusche. Das stört sie nicht. Ich glaube sogar, sie lieben das Wasser.“ Zustimmend zirpten die Grolldras aus ihrem Haar heraus, was Delion schmunzeln ließ. „Ich glaube, sie sagen, dass sie dich wirklich toll finden.“ Raelenes Gesicht wurde ein wenig rot und sie winkte verlegen ab, obwohl die Grolldras das gar nicht sehen konnten. Warum waren die beiden nur so unverschämt niedlich? „Ihr zwei seid viel toller~“, betonte sie, wobei sie vorsichtig über ihr eigenes Haar strich. Anschließend lächelte sie Delion zu. „Der tollste von allen bist aber natürlich du. Deshalb wollte ich dich fragen, ob du Lust hast, mich und Gorgasonn zu einem besonderen Event zu begleiten. Mir ist nämlich eingefallen, dass bald wieder Vollmond ist.“ „Vollmond?“ Er neigte den Kopf ein wenig und versuchte scheinbar sich zu erinnern, warum das eine Besonderheit darstellte. Wahrscheinlich fiel ihm als Zusammenhang aber nur Schlaflosigkeit ein. „Was macht ihr denn an Vollmond?“ „Bei Vollmond versammeln sich Gorgasonn und machen etwas gaaanz Besonderes~“, sagte Raelene geheimnisvoll. „Das muss man gesehen haben. Wenn ich es beschreibe, kann man es sich nicht mal im Ansatz so schön vorstellen.“ Dank Nio kannte sie inzwischen ein paar Stellen, wo Gorgasonn sich für gewöhnlich in Galar versammelten. Er hatte wirklich einen unglaublich guten Draht zu Geister-Pokémon. Für Raelene waren sie meistens ... unheimlich. Aber es gab Ausnahmen. Katapuldra, die Grolldras und natürlich ihr Gorgasonn liebte sie über alles. Überrascht hob Delion die Augenbrauen. „Oooh, das wusste ich gar nicht. Da komme ich gern mit~. Das muss ich mir ansehen.“ „Also abgemacht~. Ich würde Gorgasonn dann spätestens morgen gerne von der Ranch holen, damit sie noch Zeit hat, ein wenig deine Pokémon kennenzulernen.“ Mittlerweile machte Raelene sich absolut keine Sorgen mehr, dass ihre Pokémon sich untereinander nicht vertragen könnten, aber gerade Gorgasonn war schüchtern bei Fremden und benötigte eine Weile, um aufzutauen. Bestimmt käme sie aber auf Anhieb mit Katapuldra und den Grolldras zurecht, schon weil sie beide Geist-Typen waren. „Klar, kein Problem. Machst du das allein oder soll ich dich begleiten?“ „Also, wenn es nach mir geht, hätte ich dich gerne immer überall dabei~. Wenn du Lust hast, verpflichte ich dich also hiermit dazu, mich zu begleiten.“ Sie nahm einen großen Bissen von ihrem Sandwich, das sie sich inzwischen genommen hatte, und kaute gut gelaunt. Wenn sie so nachher zu ihren Terminen ging, fiel ihre PR-Beraterin garantiert vor Freude aus den Socken. Raelene hörte sie schon „Das werden tolle Fotos heute!“ quietschen. „Ich würde morgen Nachmittag gehen, weil ich davor auch nochmal Termine habe. Sag mir nur einfach, ab wann du Zeit hast.“ „Okay, dann sage ich dir heute Abend Bescheid, sobald ich meine Termine für morgen kenne.“ Nickend sah sie Delion weiterhin lächelnd an. Sie dachte daran, wie viele Seiten sie inzwischen von ihm gesehen hatte, die sie zuvor gar nicht kannte. Wie zufrieden und leicht sie sich fühlte, wenn sie Zeit mit ihm verbrachte. Darum wollte sie ihn so glücklich wie möglich machen. Aus dem Ausflug mit Gorgasonn bei Vollmond könnte sie ein tolles, neues Date machen. „Du wirst begeistert sein, da bin ich mir sicher~.“ Das sagte sie mit so viel Überzeugung, dass man es ihr nur glauben konnte. „Ach, soll ich dir ein paar Sandwiches für die Arbeit einpacken, falls du zwischendurch schon Hunger bekommst, bevor ich dich in der Pause besuche?“ Vermutlich aß er normalerweise nichts während der Arbeit, was aber daran liegen dürfte, dass er vor dem Genuss ihres Currys kein großer Fan von Essen gewesen war. Sandwiches von Raelene waren da vielleicht schon etwas ganz anderes, weil sie ihm auch schmeckten. Sonst würde er sie nicht so begeistert essen. „Das wäre großartig“, stimmte er direkt zu. „Aber nur, wenn es dir keine Umstände macht.“ „Überhaupt nicht. Ich mach das gerne~.“ Rasch aß Raelene den letzten Bissen von ihrem eigenen Sandwich, um für Delion noch welche zu machen, die er mitnehmen konnte. Selbst wenn er sie am Ende doch nicht aß, könnte er sie immer noch einem seiner Pokémon geben. Es war also keinesfalls eine Verschwendung. „Danke, Rae~.“ Verträumt beobachtete Delion sie dabei, wie sie für ihn ein kleines Lunchpaket zusammenstellte, voll und ganz versunken in seinen eigenen Gedanken. Zwar wusste Raelene nicht, was ihm durch den Kopf ging, doch es musste etwas Gutes sein, so verliebt wie er sie anstarrte. Deshalb freute sie sich umso mehr, dass sie von nun an gut für ihn sorgen könnte. Denn wenn Delion gesund und glücklich war, galt das auch für sie – und für all ihre Pokémon. Kapitel 27: It's Champ time! ---------------------------- Delion saß in seinem Büro und war nach einigen Stunden immer noch mit dem Unterschreiben von Dokumenten beschäftigt – natürlich nachdem er sie eingehend gelesen hatte, um sicherzugehen, dass er nicht aus Versehen die Liga an irgendjemanden abtrat. Seine Haare waren an diesem Tag oft der Auslöser dafür gewesen, dass die meisten Angestellten aufgeregt zu tuscheln anfingen und sogar, mehr oder weniger heimlich, Fotos von ihm machten. Der Grund dafür war ein kleines Anhängsel, welches er aus Versehen mit zur Arbeit genommen hatte: Azurill. Während des Frühstücks hatte sich Raelenes Pokémon mit dem Schweif in seine Haare gehängt und war einfach dort geblieben, auch als Delion ohne ihre Trainerin die Wohnung verlassen hatte. Aufgefallen war es ihm dann erst, als die ersten Leute ihn auf Azurill angesprochen hatten. An die Reaktionen in seinem Umfeld störte Delion sich aber überhaupt nicht, denn immerhin sorgte sein Anhängsel auch dafür, noch einmal klarzustellen, wie es mit seiner Beziehung zu Raelene aussah – und das fand er ziemlich gut. Kurzerhand hatte Delion beschlossen, Azurill den Tag über bei sich zu behalten. Spätestens wenn Raelene in der Pause vorbeikäme, könnte er ihr das Baby einfach zurückgeben. Bis dahin hätte sie bestimmt nichts dagegen, dass er auf die Kleine aufpasste. Nachdem Azurill die, für sie, neue Umgebung neugierig gemustert hatte, war sie bald darauf schon wieder ziemlich müde geworden und machte gerade in seinen Haaren ein Nickerchen. Offenbar fühlte sie sich dort vollkommen sicher und äußerst gemütlich schien es obendrein auch zu sein, so zufrieden wie sie beim Schlafen aussah. Hin und wieder warf Delion nämlich einen prüfenden Blick zu ihr. Wie es ihr gelang, kopfüber zu schlafen, blieb ihm jedoch ein Rätsel. Waren Azurills vielleicht entfernt mit Zubats verwandt? Irgendwann gähnte sie schließlich leise und öffnete die Augen. Sofort löste Azurill sich von seinen Haaren und hüpfte ihm auf die Schulter, wo sie einen freudigen Laut von sich gab. Delion drehte den Kopf ein wenig, um Azurill zu begutachten. „Na, wieder wach?“ Munter strahlte sie ihn an. Anfangs hatte er ein wenig befürchtet, dass Azurill schnell Sehnsucht nach Raelene entwickeln würde, aber bisher wirkte sie noch ziemlich zufrieden. Er hoffte, das blieb auch so, bis Raelene käme. Dann könnte Azurill sich immer noch entscheiden, bei wem sie als nächstes bleiben wollte. Interessiert blickte Azurill hinab auf all die Papiere, auf denen Delion immer wieder etwas schrieb, und quietschte ihn fragend an. Sicher war sie verwirrt, weil sie ihn eigentlich als sehr aktiven Menschen kennengelernt hatte. Für sie musste unverständlich sein, warum er schon so lange nur hier herumsaß und sich konzentriert mit all den Papieren beschäftigte. „Ich arbeite“, erklärte Delion, gefolgt von einem leisen Lachen. „Ist nicht sehr aufregend, was?“ Azurill schüttelte sich heftig, als wolle sie so deutlich wie möglich ausdrücken, dass ihr das wirklich sehr langweilig vorkam. Danach machte sie einen großen Sprung über den Schreibtisch hinweg und hüpfte anschließend auf der Kugel an ihrem Schweif durch den Raum. „Rill, rill, rill~“, summte sie dabei lebhaft. Es war zwar gerade niemand zum Spielen da, aber das störte Azurill offensichtlich nicht wirklich. Sie warf sich auf den Boden und imitierte Wolly, indem sie versuchte genauso herumzurollen wie sie, was ihr nur mäßig gut gelang, doch es machte ihr scheinbar eine Menge Spaß. Eine Weile beobachtete Delion sie lächelnd, bis er seufzen musste. „Du bist zu beneiden, dass du keinen Papierkram erledigen musst.“ Manchmal war es eben vielleicht doch besser, ein Pokémon zu sein. Wäre er eines, würde er sich einem Challenger anschließen, um regelmäßig in der Arena an Kämpfen teilnehmen zu können. Wirklich schade, dass das für ihn keine Option war, immerhin war er ja ein Mensch. Aber zumindest für einen Schaukampf würde er bald endlich in die Arena zurückkehren können, darauf konnte er sich schon einmal freuen. Nach seinen Worten hatte Azurill innegehalten und blinzelte, während sie noch auf dem Rücken lag. Sie sah Delion nachdenklich an. Dann rollte sie sich wieder auf ihre kleinen Füßchen, sprang auf ihre Kugel und hüpfte zu ihm auf dem Schreibtisch. Dort sah sie sich gründlich nach etwas um und quiekte freudig, als sie es fand: einen Kugelschreiber. Den nahm Azurill in den Mund und sah Delion motiviert an, womit sie ihm wohl zeigen wollte, dass sie ihm helfen könnte. Ihre Augen leuchteten so hell, diese geballte Niedlichkeit war einfach bezaubernd. „Du willst auch Sachen unterschreiben?“, fragte er lachend. „Kein Problem.“ Zwischen den Stapeln auf seinem Schreibtisch griff er einen heraus, der nur abgelehnte Anträge enthielt. Diesen legte er vor Azurill. „So, die hier kannst du unterschreiben. Mal einfach ein paar Kringel, dann wissen wir, dass du es genehmigt hast.“ Vielleicht sollte er Pichu darauf trainieren, ihm auch zu helfen. Aber müsste er dann einen Teil seiner Verantwortung auf das Pokémon übertragen? Über so etwas hatte er vorher noch nie nachgedacht. Azurill quiekte erneut und setzte mit dem Kugelschreiber auf dem Papier an, dann fing sie noch motivierter an, aber ... es waren keine Linien zu sehen, egal wie sehr sie es versuchte. Ratlos sah sie Delion an und schien sogar etwas geknickt zu sein. Mehrmals blickte sie zwischen seinen unterschriebenen Dokumenten und ihren Papieren hin und her – sie verstand wohl nicht, warum das bei ihm so einfach aussah und wieso sich bei ihr gar nichts tat. Zum Glück glaubte Delion, das Problem schnell erkannt zu haben. „Ah, der Kugelschreiber ist noch nicht gedrückt. Kann ich ihn nochmal haben?“ Vorsichtig nahm er Azurill den Kugelschreiber noch einmal ab und drückte darauf. Als die Spitze draußen war, reichte er ihr den Stift zurück. „Jetzt sollte es gehen.“ Kaum hatte Azurill den Kugelschreiber wieder an sich genommen, versuchte sie erneut zu schreiben. Diesmal funktionierte es tatsächlich. Begeistert hüpfte sie auf und ab, wobei sie Delion ansah, als hätte er soeben ein Wunder vollbracht. Wieder musste er herzlich lachen. Nun konnte Azurill auch fleißig arbeiten. Sie starrte konzentriert auf das Blatt vor sich, so wie Delion es die ganze Zeit tat, bevor sie einige krumme Kreisel darauf zeichnete. Azurill nickte zufrieden und strich das erste Blatt mit dem Fuß zur Seite, um sich das nächste anzuschauen. „Das machst du wirklich gut“, lobte Delion sie lächelnd. Am liebsten würde er sie die ganze Zeit dabei beobachten, weil es so niedlich war. „Weiter so~.“ Azurill war sichtlich stolz, als Delion sie lobte, weshalb sie fleißig weitermachte. Daran nahm er sich ein Beispiel und fuhr ebenfalls mit der Arbeit fort. Er durfte nicht zu weit zurückfallen, denn er wollte die Mittagspause gerne in Ruhe mit Raelene verbringen können, statt hier weiter nur unterschreiben zu müssen. Sie dürfte ohnehin bereits auf dem Weg zu ihm sein und er wollte sie nicht zu lange warten lassen, sobald sie hier war.   ***   Endlich hatte Raelene bereits den ersten Teil ihrer Termine hinter sich und stand nun im Aufzug des Kampfturms, um nach oben zu Delion zu fahren. Immerhin hatte sie ihm versprochen, dass sie ihre Pause zusammen verbringen würden – und sie freute sich darauf. Sie war mit Essen vom Buffet des Fotoshootings eingedeckt, damit auch die Pokémon sich den Magen vollschlagen könnten. In einer Hand hielt Raelene einige Fotos, die bereits ausgedruckt und ihr mitgegeben worden waren, weil sie die unbedingt Delion zeigen sollte, denn sie würden ihm bestimmt gefallen ... dummerweise mochte auch Raelene selbst sie diesmal sehr gerne, also stimmte das wahrscheinlich sogar. „Und das nur dank euch“, sagte sie schmunzelnd, während sie vorsichtig über ihr Haar strich. Da nach der Pause noch einige Fotos von ihr geschossen werden mussten, hatte sie noch das schwarz-goldene Kleid an, das von den Farben her an einen Hyperball erinnern sollte. Auch das Make-up hatte sie, leider, noch nicht wieder entfernen lassen können, aber es war wenigstens dezent genug, um nicht wirklich zu stören. Normalerweise wurden ihr sonst auch immer die Haare anders frisiert, darauf hatte man an diesem Tag aber verzichtet, aus einem, nein, zwei guten Gründen. Raelene löste den Blick von den Fotos und sah ungeduldig nach oben. Warum war dieser Turm nur so unendlich hoch? Jedenfalls kam es ihr jedes Mal so vor, wenn sie zu Delion wollte. Der Aufzug hielt eine Etage unter der großen Glaskuppel, wo auch Kämpfe ausgetragen wurden. Kaum war er zum Stehen gekommen, eilte Raelene direkt zu Delions Büro und klopfte kurz an die Tür. Statt auf eine Antwort zu warten, betrat sie schwungvoll den Raum und stellte sich in Pose. „It's Champ time~!“, rief Raelene gut gelaunt. „Zeit für eine Pause!“ Schnell fiel ihr Blick auf Azurill, die bei ihm auf dem Schreibtisch saß. Also hatten sie an diesem Tag beide aus Versehen ihre Pokémon getauscht. Ein Glück, dass Azurill in sehr guten Händen gewesen war. Delion lächelte bereits erleichtert, schon bevor er sie überhaupt ansah. Rasch schrieb er noch etwas fertig und hob den Kopf, um sie zu begrüßen, doch bei ihrer Aufmachung stockte ihm ein wenig der Atem. Das machte Raelene etwas verlegen. Eigentlich hatte er sie schon oft auf Fotos in schicken Kleidern und mit Make-up gesehen. Live hatte sie in solch einer Aufmachung aber noch nie vor ihm gestanden, wie ihr selber bewusst wurde. Da schien der Effekt um einiges stärker zu sein. „Du siehst wirklich wunderschön aus~“, sagte er fasziniert, während er aufstand und ihr entgegen kam. Wenn Raelene nicht schon die Hände voll hätte, würde sie nun ihre Kappe – die sie, aus Prinzip, auch beim Shooting nicht abgenommen hatte – nach unten ziehen, aber so konnte sie nur verlegen die Fotos vor ihr Gesicht halten. „Danke“, murmelte Raelene. „Ich komm mir immer ein bisschen vor wie ein Clown, wenn die mich so aufbretzeln. Dabei geben sie sich ja echt Mühe.“ Und den Fans gefielen diese Fotos oft auch, also bildete sie es sich wohl nur ein, dass sie furchtbar aussehen musste. „Ich muss nach der Pause nochmal für ein paar Bilder ran, also musste ich so kommen. Aber die anderen meinten, du würdest dich freuen.“ „Oh, ich freue mich auf jeden Fall~.“ Bei ihr angekommen nahm Delion sie erst einmal vorsichtig in den Arm. „Du bist ja immer wunderschön, aber gerade noch ein bisschen mehr.“ „Nein, nein, nein, nein“, widersprach Raelene schmunzelnd, wobei sie ihm einen Kuss gab. „Du bist hier definitiv der Hübscheste~.“ „Wenn du meinst~. Aber weißt du, ich würde trotzdem die müde Raelene in Schlafkleidung nicht gegen diese hier eintauschen wollen. Die herausgeputzte Raelene muss ich ja mit allen teilen, aber die müde Raelene gehört nur mir~.“ „J-ja … das stimmt. Ich meine … d-danke.“ Nun passierte es schon wieder, ihr Gesicht verwandelte sich in eine leibhaftige Tamotbeere. Woher nahm Delion auf einmal das ganze Selbstvertrauen, ohne selbst rot zu werden? Räuspernd versuchte Raelene, sich zu fangen. Zwinkernd hob sie dann die Tüte etwas an, in der das Essen für sie beide und die Pokémon war. „Ich hab uns was vom Buffet geklaut. Brauchst du noch einen Moment oder können wir sofort essen?“ Auch wenn sie sich verabredet hatten, wollte sie ihn nicht von wichtigen Dingen abhalten, die dringend noch vor der Pause erledigt werden müssten. „Oh, wir können sofort essen“, versicherte Delion. Sein Grinsen verriet, wie zufrieden er darüber war, sie eben so aus der Fassung gebracht zu haben. „Die restlichen Unterschriften können bis nachher warten.“ Wie auf Stichwort schwebte plötzlich ein Grolldra aus Raelenes Haaren hervor. Es zirpte leise, vermutlich um zu sagen, dass es auch Hunger hatte. Darauf kam sogar ein weiteres Grolldra hervor und stimmte mit ein. „Hm?“ Delion blinzelte. „Oh, sag mir nicht, die beiden waren mit dir unterwegs.“ Raelene lachte. „Doch~. Ich habe es selbst erst gemerkt, als man mir vor dem Shooting die Haare machen wollte. Du hättest mal hören sollen, wie die Friseurin plötzlich geschrien hat und meinte, meine Haare würden leben. Anschließend ist sie völlig erschrocken davongestürmt. Die Arme.“ Wenigstens war die Frau aber nur geflohen, um mit Hilfe im Schlepptau zurückzukommen. Die ganze Angelegenheit klärte sich allerdings schnell und danach waren alle nur noch total entzückt gewesen. „Dann hat man sich spontan dazu entschieden, die Gelegenheit zu nutzen. Es gab wohl mal vor Jahren von dir, Katapuldra und den Grolldras eine Fotoreihe, die super ankam bei den Fans. Also haben wir das jetzt mit mir wiederholt. Sie meinten, da wir gerade erst unsere Beziehung öffentlich gemacht haben, würden diese Fotos ein richtiges Highlight werden oder so.“ Lächelnd zuckte Raelene mit den Schultern. Von diesen Dingen hatte sie nicht viel Ahnung, darum überließ sie solche Entscheidungen stets komplett den anderen. Eben jenen, die sich auskannten. „Ah, ich erinnere mich an diese Fotoreihe. Die hat auch wirklich Spaß gemacht. Kann ich mir also gut vorstellen, dass das ein tolles Highlight wird.“ Amüsiert deutete Delion mit einem Nicken zu Azurill. „Und passt zu dem, was wohl schon von meinen Angestellten ins Netz gestellt wurde.“ Raelene lehnte sich zur Seite, um Azurill besser sehen zu können. Die Kleine kritzelte fleißig ein Blatt nach dem anderen voll und wirkte richtig vertieft dabei. Da Delion entspannt war, nahm Raelene an, dass er ihr Papiere gegeben hatte, die sowieso nicht wichtig waren – was nur wieder zeigte, wie lieb er war. „Wir sind ja tolle Trainer, vergessen einfach total unsere Pokémon“, kommentierte Raelene, etwas beschämt. „Aber ich bin froh, dass alles nochmal gutgegangen ist. So hattest du heute einen kleinen Helfer~.“ „Genau~. Sie war wirklich fleißig. Aber ich glaube, sie versteht nicht so ganz, warum ich so einen langweiligen Job habe.“ „Owww, das glaub ich. Dabei würde ohne dich gar nix laufen.“ Immerhin hatte sie es wirklich Delion zu verdanken, der durch seine Erfahrung als Champ nun alles derart gut leiten konnte. Aber für ein Baby musste Papierkram wirklich langweilig sein. Umso schöner, dass Azurill sich trotzdem so große Mühe gab. „Meinst du?“ Nachdenklich neigte Delion den Kopf. „Ich würde ihr trotzdem gerne mal die spannenderen Seiten meiner Arbeit zeigen. Manchmal muss ich mir nämlich auch Arenakämpfe ansehen. Oder mir ein Bild davon machen, wie die Leiter ihre Arena-Trainer einweisen. Das ist viel interessanter.“ „Vielleicht kommst du ja mal dazu, sie dann mitzunehmen~.“ Raelene ging zum Schreibtisch und beugte sich ein Stück zu ihr runter. „Hey, du fleißige Maus~. Du kannst Delion noch viiiel besser bei der Arbeit helfen, wenn du was isst. Machst du also auch ein Päuschen mit uns?“ Azurill hielt inne und sah sie mit großen Augen an. Als sie ein zustimmendes „Rill!“ von sich gab, fiel ihr dabei der Kugelschreiber aus dem Mund. Dann hüpfte sie auf ihre Schulter und begrüßte die Grolldras, die daraufhin fröhlich um Azurill schwebten. Es wirkte fast so, als hätten sie Azurill während der kurzen Trennung schon vermisst. Erstaunlich, wie schnell ihre Pokémon sich aneinander gewöhnt hatten und sich inzwischen sogar schon vermissten, wenn sie einander nicht sahen – das betraf vor allem Wolly und Durengard. „Sieht aus, als gäbe es kein Hindernis für ein gutes Essen~“, bemerkte Delion. Deswegen räumte er auch direkt den Tisch frei, damit die Dokumente am Ende nicht darunter leiden müssten. Raelene kümmerte sich darum das Essen auszupacken, kaum dass genug Platz vorhanden war. Währenddessen erzählte Azurill den Grolldras stolz, wie fleißig sie Delion bei der Arbeit half. Jedenfalls wirkte es so. Sie hätte nicht gedacht, dass ihr Azurill an solchen Dingen Spaß hätte. „Ich hab auch ein paar Fotos vom Shooting dabei~. Wenn du willst, kannst du sie dir schon mal anschauen. Mir gefallen sie diesmal auch echt gut.“ Die Fotos legte sie daher ebenfalls ab und zog sich einen Stuhl näher zum Schreibtisch, um sich hinsetzen zu können. Azurill hüpfte bereits wieder von ihrer Schulter und stürzte sich auf eine Schale mit Beeren. Die Grolldras folgten ihrem Beispiel und teilten das Essen mit ihr. „Wenn sie dir diesmal gefallen, muss ich sie mir ganz genau ansehen“, sagte Delion, nachdem er alles sorgsam weggepackt hatte. Statt sich auf den Stuhl hinter dem Schreibtisch zu setzen, wo er normalerweise immer saß, nahm er neben Raelene Platz. Bevor sie die Gelegenheit nutzen und sich an Delion schmiegen konnte, öffnete sich plötzlich einer ihrer Pokébälle. Das rötliche Licht war so nah, es blendete ein wenig. Kaum war es erloschen, stand ein weißes, flauschiges Schaf vor ihnen. „Woll~“, begrüßte Wolly sie fröhlich. Sie stieg mit ihren Vorderhufen auf Delions Schoß und stupste ihn mit dem Gesicht an. Natürlich wusste Raelene – und sicher auch Delion – was sie von ihm wollte. „Hey, wer hat dir erlaubt rauszukommen?“, gab Raelene sich streng, schmunzelte direkt darauf aber. „Sooo sehr vermisst du Durengard also? Awww, ihr seid so süß. Wenn das so weitergeht, muss ich euch bald alle die ganze Zeit bei Delion lassen.“ Delion tätschelte Wollys Kopf. „Schon okay. Du bekommst ja, was du willst.“ Sogleich griff Delion an seinen Gürtel und zog einen Pokéball hervor. Einen kurzen Moment und ein helles Aufleuchten später war auch Durengard frei. Er brauchte auch nicht lange, um sich zu orientieren und Wolly zu entdecken. Scheinbar erfreut begab Durengard sich sofort an Wollys Seite. Raelene erwartete, dass Wolly, so wie immer, herumhüpfen und aufgedreht sein würde, aber sie drückte sich nur glücklich an Durengard und legte sich hin. Anscheinend wollte sie einfach nur gemütlich kuscheln und in seiner Nähe sein. Lächelnd betrachtete Raelene die beiden eine Weile, bevor sie sich auf Delion konzentrierte. „Bitte, greif nur zu~. Ob jetzt zum Essen oder zu den Fotos überlasse ich dir.“ Sie selbst griff nach einer scharfen Tamotbeeren-Teigtasche. „Oh, übrigens ... es kann vielleicht sein, dass sich ein Mitarbeiter bei dir über mich beschweren wird. Schon mal Sorry im Voraus.“ „Was ist denn passiert?“, hakte Delion nach, direkt besorgt. Vor ein paar Jahren hätte er wahrscheinlich eher entnervt gefragt, was sie jetzt schon wieder angestellt hatte. Aber inzwischen war sie nicht mehr so wie damals, also war er nun wesentlich diplomatischer. Nebenbei griff er sich ein Sandwich, in das er direkt hinein biss. Dabei wartete er auf ihre Antwort. Etwas bedrückt senkte Raelene den Kopf und zog Liberlos Pokéball von dem Gürtel, den sie um die Hüfte trug. Sie hielt ihn fest in der Hand und sah ihn an. „Weißt du, bevor das mit Mula und Endynalos passiert ist, hab ich meine Pokémon oft irgendwelchen Mitarbeitern gegeben. Bei manchen Shootings hab ich Sachen an, wo dann kein Platz mehr für all die Bälle ist, deshalb muss sie dann solange jemand für mich verwahren.“ Vorsichtig drückte sie den Pokéball gegen ihre Brust. „Aber jetzt will ich meine Pokémon nicht mehr einfach blind jedem anvertrauen, selbst wenn es Mitarbeiter von der Liga sind. Deshalb hab ich einen heute etwas schärfer angefahren, weil er mich wiederholt darum gebeten hat, dass ich ihm meine Pokébälle geben soll. Ich hab es mehrmals freundlich abgelehnt, ehrlich, aber er hat nicht locker gelassen. Darum hab ich mich etwas im Ton vergriffen. Das fand er wohl nicht so gut ...“ Auch dass sie nun den Gürtel für ihre Bälle trug, war nur ihrer Hartnäckigkeit zu verdanken. Zu ihrer Erleichterung nickte Delion verstehend. Nach den Ereignissen in der Einrichtung war es einfach schwer für Raelene, ihre Pokémon aus ihrem Blickfeld zu lassen. Ihm ginge es vermutlich genauso, wäre er an ihrer Stelle. „Okay, überlass das einfach mir“, beruhigte Delion sie. „Wenn sich jemand beschwert, werde ich ihm die Sachlage erklären. Das dürfte im besten Fall schon ausreichen. Außerdem sag ich dir dann Bescheid, dann kannst du so tun, als hätte ich dich ein wenig getadelt.“ „Das bekomme ich hin. Ich denke dann einfach an meine rebellische Zeit zurück. Du wirst es sicher nicht glauben, aber jede Predigt von dir hat richtig gesessen, auch wenn ich einen auf cool gemacht hab.“ Mittlerweile konnte sie darüber lachen, auch wenn es ihr oft noch peinlich war. Ihr einziger Trost war, dass so gut wie jeder Jugendliche mal durch eine solche Phase ging, nur verlief sie von Mensch zu Mensch anders. „Vielleicht beschwert der Mitarbeiter sich auch nicht, aber für den Fall der Fälle wollte ich dir schon mal vorher erklärt haben, warum ich so war. Außerdem ...“ Sie lächelte ihn verliebt an. „Da wir jetzt ein Paar sind, will ich dir alles erzählen, was bei mir so passiert~.“ Bei ihrem letzten Satz erwiderte er ihr Lächeln nicht minder verliebt. „Ja, das gefällt mir~. Ich würde dir auch gern mehr erzählen, aber bei mir ist nicht sonderlich viel passiert. Darum höre ich mir gerne an, was du zu erzählen hast.“ Raelenes Herz fing wieder an zu hüpfen, wie ein Azurill, als er ihr Lächeln erwiderte. Sie nahm sich selbst noch etwas von dem Essen – die Teigtasche hatte sie bereits verschlungen – und lehnte sich bei Delion an. „Alles klar, dann kann ich dir ja noch etwas mehr von meinem Tag berichten~.“ Und so verbrachten sie eine ganz gewöhnliche, gemütliche Pause miteinander. Neugierig fragte sie Delion, ob es etwas Neues innerhalb der Liga gäbe und wie er sich allgemein fühlte. Im Anschluss sahen sie sich die Fotos vom heutigen Shooting an und Raelene erzählte ihm dabei begeistert einige lustige Details, die am Set passiert waren. Es war einfach wundervoll, auf so natürliche Weise Zeit mit ihm verbringen zu können. Das Beste daran war, zu wissen, von nun an immer bei ihm vorbeikommen zu können, ohne dafür einen wichtigen Grund zu brauchen. Auf jeden Fall könnten sie zusammen in Zukunft noch viel erleben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)