Katzenjammer von yamimaru ================================================================================ Kapitel 2: Lektion 2 - Frage und es wird dir geholfen. ------------------------------------------------------ Kaoru duckte sich tiefer ins Dickicht und schloss für eine Sekunde die Augen, als sein Magen erneut jämmerlich knurrte. Schon seit Stunden war er unterwegs, hatte sich bis in diesen Park durchgeschlagen, aber zu essen hatte er noch immer nichts gefunden. Langsam aber sicher begann selbst die angenagte Pommes, die auf dem Kiesweg unweit seines Verstecks lag, appetitlich auszusehen. Er hatte keine Ahnung, was er tun sollte. Der kurze Moment, in dem ihm das Leben als Katze erstrebenswert erschienen war, war längst verstrichen und hatte der Realität Platz gemacht. Einer Realität, in der er entweder unter die Räder eines Autos kommen, von einem Hund gefressen oder jämmerlich verhungern würde.   Zu allem Überfluss spukte ihm seit einer geraumen Weile etwas im Kopf herum, was die Zauberkatze zu ihm gesagt hatte. Ihn würde niemand vermissen. Was sich erst wie der Inbegriff von Freiheit angehört hatte, verunsicherte ihn nun maßlos. Er könnte hier also wortwörtlich vor die Hunde gehen und niemand würde sich dafür interessieren? Er würde niemandem fehlen und daher würde auch niemand auf die Idee kommen, ihn zu suchen. Er war auf sich allein gestellt, gefangen im Körper eines noch nicht einmal ausgewachsenen Katers. Kaoru hätte geseufzt, wäre ihm ein solcher Laut in seiner gegenwärtigen Gestalt möglich gewesen. Seine Pfoten schmerzten von den vielen Metern, die er seit seinem Erwachen zurückgelegt hatte, und trotz der Frühlingssonne, die wenigstens etwas half, sein noch immer nasses Fell zu trocknen, begann er zu frieren. Hoffnungslosigkeit machte seine Glieder steif und am liebsten hätte er sich nun eng zusammengerollt, würde er sich, trotz des dichten Gestrüpps um ihn herum, nicht so ungeschützt fühlen.   Es war ausgerechnet das Gesicht ihres rothaarigen Gitarristen, das sich vor sein inneres Auge schob und ihm die Kraft gab, weiterzugehen. Den Teufel würde er tun und jetzt aufgeben! Wenn er nur den Weg bis zu Dies Zuhause finden würde – der andere würde ihn sicher erkennen. Die hatte schließlich ein Händchen für Tiere und wer kannte ihn besser als sein langjähriger Freund? Dass man ihre Beziehung in letzter Zeit weniger mit einer Freundschaft und viel mehr mit einem Arbeitsverhältnis beschreiben konnte, blendete er geflissentlich aus. Er musste aufhören, immer nur das Negative zu sehen.   Wie um seinen guten Vorsatz bereits in der nächsten Sekunde ins Absurde zu führen, sah er sich plötzlich einem anderen Tier gegenüber. Es war nur etwas größer als er selbst, mit großen, fledermausartigen Ohren und schwarzen Knopfaugen. Und es knurrte. ‚Scheiße“, stieß Kaoru hervor, was sein Maul als energisches Fauchen verließ. Sein Rücken rundete sich und er konnte fühlen, wie sich das Fell dort und um seinen kerzengerade aufgerichteten Schwanz aufplusterte. Unter anderen Umständen wäre er erstaunt darüber gewesen, wozu sein Instinkt fähig war, aber gerade überwog die Furcht. In seinem Kopf herrschte gähnende Leere, während sich sein Körper nicht entscheiden konnte, ob er angreifen oder fliehen sollte.   „Miyu, Schätzchen, was hast du denn?“ Eine ruhige Stimme ließ das Knurren verstummen und teilte den Schleier der Angst, der sich über Kaorus Verstand gelegt hatte. Die kleine Hündin verschwand aus seinem Sichtfeld, hochgehoben von den Händen ihres Herrchens, das Kaoru nur allzu gut kannte.   „Shinya!“, rief er, was seine katzenhaften Stimmbänder als schrilles Maunzen interpretierten und den so Angeschrienen verwundert zu ihm nach unten sehen ließen.   „Nanu, wer bist du denn?“   „Shinya! Mensch, bin ich froh, dich zu sehen.“ Kaoru plapperte weiter, hatte über die Freude, ein bekanntes Gesicht vor sich zu haben, seine Achtsamkeit komplett über den Haufen geworfen und kam aus seiner Deckung. Miyu, die Kaoru in der Vergangenheit gern als kleine Ratte bezeichnet hatte, wirkte in seiner jetzigen Gestalt deutlich bedrohlicher als sonst, besonders, als sie erneut zu knurren anfing. Eigenartigerweise konnte er sie nicht verstehen, als sprächen sie unterschiedliche Sprachen, was durchaus auf eine verrückte Art und Weise Sinn ergeben würde.   „Du bist ja ein besonders kleines und mageres Exemplar, was? Komm, Miyu, sei lieb zu dem Kätzchen, es hat Angst vor dir.“ Die Hündin wurde auf die Seite gesetzt, wo sie auch brav Ruhe gab, nachdem Shinya ihr ein Leckerli hingehalten hatte. Selbst der Anblick des Hundesnacks ließ Kaorus Magen knurren. Hilfe, er konnte sich nicht daran erinnern, wann er jemals einen so großen Hunger verspürt hatte, dass ihm schon übel wurde. „Und ziemlich zerzaust siehst du auch aus“, sprach Shinya weiter und erst dadurch konnte er seinen starren Blick vom futternden Hündchen weg wieder zu seinem Kollegen richten.   „Ja, genau, hab Mitleid mit mir, wenn du mich schon nicht erkennst. Mann, Shinya, ich bin es, Kaoru!“ Eine Reihe lang gezogener Maunzgeräusche verließ sein Maul und am Ende setzte er noch ein intensives Jammern nach. Wenn er schon weder erkannt noch verstanden wurde, konnte es ihm auch niemand verübeln, wenn er hier den sterbenden Schwan mimte. Zu guter Letzt legte er sich auf den Boden, den Kopf auf den Vorderpfoten gebettet und machte seine Augen, mit denen er den Drummer zu hypnotisieren versuchte, so groß er konnte. „Oje, du armes Ding.“   ‚Ja, genau, schau mich an. Ich bin klein, süß und hilflos, du MUSST mich mitnehmen‘, feuerte er Shinya in Gedanken an und hätte am liebsten gejubelt, als lange Finger vorsichtig über sein Fell streichelten.   „Eiskalt bist du auch. Ich nehm dich besser mit, bevor du dich hier noch erkältest. Du siehst nicht so aus, als würdest du jemandem gehören, aber das lässt sich auch im Warmen herausfinden.“ Für einen unwirklichen Moment schoss Kaoru die Frage durch den Kopf, ob er Shinya in der Vergangenheit jemals so viel auf einmal hatte reden hören. Dann jedoch verpuffte der Gedanke so schnell, wie er aufgetaucht war, weil er damit beschäftigt war, nicht in Panik zu verfallen, als er plötzlich den Boden unter den Pfoten verlor. Immer höher wurde er gehoben, bis ihn der Drummer schlussendlich in den Armen hielt. Anders, als sein Instinkt es von ihm verlangte, hielt er ganz still und lehnte sich gegen Shinyas Oberkörper, um ja nicht fallengelassen zu werden. Miyu schien es weniger zu gefallen, dass ihr Herrchen dieses räudige Ding mitzunehmen gedachte, aber Shinya hatte seine Hündin gut unter Kontrolle und nach wenigen Sekunden verstummte ihr Knurren wieder.   „Mh, fragt sich jetzt nur, wie ich das mit euch beiden geregelt bekomme, was Miyu?“, hörte er den Drummer noch murmeln, aber konnte sich nicht mehr wirklich Gedanken um das Gesagte machen. Selbst durch den beigen Mantel hindurch, den der andere trug, konnte er seine Körperwärme spüren, die ihn sich schneller entspannen ließ, als er unter diesen Umständen für möglich gehalten hätte. Kaorus Lider wurden immer schwerer, bis er sie nicht mehr offenhalten konnte und der Erschöpfung nachgab, die schon so lang an ihm nagte.   Erst ein gleichmäßiges Vibrieren und Surren und ein warmer Luftstrom, der sein Fell leicht durcheinanderbrachte, weckten ihn wieder auf. Er blinzelte, hob den Kopf und fand sich auf dem Beifahrersitz von Shinyas Auto wieder. Er rappelte sich hoch, versuchte aus der Windschutzscheibe zu sehen, aber war eindeutig zu klein dafür. Der Drummer schenkte ihm ein Lächeln, streichelte ihm für einen kurzen Moment übers Fell und konzentrierte sich dann wieder auf den Verkehr.   „Bleib brav sitzen, hörst du?“, verlangte er, und beinahe hätte Kaoru dem Impuls zu nicken nachgegeben. Ein kleiner Teil in ihm, der trotz seiner negativen Erlebnisse der letzten Stunden noch nicht den Spaß am Katzesein verloren hatte, fragte sich, wie Shinya reagieren würde, würde er auf jede beiläufig gestellte Frage mit einem Kopfschütteln oder Nicken antworten. Eigentlich keine schlechte Idee, wenn er erkannt werden wollte. Mh, das sollte er im Hinterkopf behalten. Kaoru setzte sich wieder, versank in seine Gedanken und bemerkte daher erst mit Verspätung, dass er begonnen hatte, seine dreckigen Pfoten zu putzen.   „Igitt!“ Rief er, was seine Stimmbänder als empört klingendes Miau interpretierten. Langsam aber sicher fühlte er sich wirklich von seinem eigenen Instinkt veräppelt. Nur, weil er im Körper einer Katze gelandet war, hieß das nicht, dass er sich auch wie eine aufführen musste. Besonders nicht, wenn er sich deswegen Dreck und wer wusste was für Dinge von den Pfoten leckte!   „Na, was hast du denn?“, erkundigte sich Shinya gerade, als Kaoru von einem lauten, im ersten Moment nicht zuzuordnenden Schrillen so sehr erschreckt wurde, dass er beinahe vom Sitz in den Fußraum des Wagens gesprungen wäre. Im letzten Augenblick konnte er sich noch davon abhalten und machte sich stattdessen so klein wie möglich, als würden die Schallwellen so nicht mehr auf seine Ohren treffen können. Erst, als Shinya erneut zu sprechen begann, begriff auch er, dass soeben das Handy des Drummers geklingelt haben musste. Verflixt, dieses extrem gute Gehör und seine damit verbundene Schreckhaftigkeit waren noch etwas auf seiner immer länger werdenden Liste von Dingen, die ihm gehörig die Laune zu vermiesen begannen.   „Hast du etwas in Erfahrung bringen können?“, fragte Shinya gerade, für Kaoru etwas aus dem Zusammenhang gerissen, weil er den Beginn der Unterhaltung nicht mitbekommen hatte.   „Ja, ich hab mit dem Management telefoniert. Fujieda wusste sogar etwas.“ Das war Die! Kaorus Herz machte einen erleichterten Hüpfer, als er die Stimme ihres Gitarristen aus der Freisprechanlage kommen hörte.   „Oh, ehrlich? Und was ist mit ihm?“   „Kaoru scheint einen Notfall in der Familie zu haben und musste sich kurzfristig einige Tage freinehmen.“   Shinyas Augenbrauen wanderten verblüfft ein Stück nach oben und Kaoru hätte es ihm am liebsten gleichgetan. „Einen familiären Notfall? Das klingt alles andere als gut, erklärt aber nicht ganz, warum er keinen von uns informiert hat.“   „Eben, das verstehe ich auch nicht. Wir waren für heute Morgen verabredet, um den neuen Song noch einmal durchzugehen, und normalerweise meldet er sich immer, selbst wenn er sich nur um wenige Minuten verspätet. Diesmal jedoch nichts, Nada.“   „Ich weiß, dass ihr verabredet gewesen wärt, Die, das hast du mir vorhin schon erzählt.“ Auf Shinyas Lippen legte sich ein feines Lächeln, das Kaoru beim besten Willen nicht zuzuordnen wusste. „Aber wie auch immer, du hast definitiv recht damit, dass es untypisch für ihn ist, sich gar nicht zu melden. Ich könnte mir nur vorstellen, dass er so durch den Wind war, dass er nicht an viel mehr denken konnte, als wenigstens Fujieda Bescheid zu geben.“   „Ja, das wäre möglich“, erwiderte Die überlegend, aber für Kaoru hörte es sich so an, als wäre der andere nicht sonderlich überzeugt von Shinyas Vermutung.   ‚Richtig so, Die, ich war das nämlich gar nicht!‘, dachte er. Wie nur hatte es die Zauberkatze geschafft, ihren Manager über diesen angeblichen familiären Notfall zu informieren? Obwohl … wenn er genauer darüber nachdachte, war es sicher ein Kinderspiel für sie gewesen, diese gefälschte Nachricht zu übermitteln. Immerhin war sie machtvoll genug, einen Menschen in eine Katze zu verwandeln. Jetzt begriff Kaoru auch, wie genau sie das gemeint hatte, dass ihn niemand vermissen würde. Klar, wenn alle davon ausgingen, dass er zu seiner Familie gefahren war und aus gutem Grund auf Nachrichten nicht reagieren konnte oder wollte, würde sich auch niemand Sorgen um ihn machen. Eines musste er ihr lassen, ihr Einfallsreichtum war beachtlich.   „Ich hab bereits versucht, ihn anzurufen und ihm mehrere Nachrichten geschrieben, aber auch auf diese hat er sich bislang nicht gemeldet“, redete Die gerade weiter. Täuschte er sich oder konnte er nicht nur verständliche Frustration aus der Stimme des Gitarristen heraushören?   „Er rührt sich schon, wenn er wieder alles so weit unter Kontrolle hat, da bin ich mir sicher. Aber was machen wir in der Zwischenzeit? Wissen Toshiya und Kyo schon Bescheid?“   „Nein, ich hatte noch keine Zeit, die beiden anzurufen.“   „Kein Problem, das übernehme ich nachher.“   „Danke. Was die Arbeit angeht, hab ich mir alle wichtigen Termine von Fujieda geben lassen, die würde ich euch später schicken?“   „Ja~“, machte Shinya und zupfte nachdenklich an seiner Unterlippe. „Wobei … was hältst du davon, wenn wir uns heute Abend mit Kyo und Toshiya im Studio treffen und gemeinsam durchgehen, was die nächsten Tage über zu tun ist? Ich hab noch einige Termine, aber bis sieben sollte ich alles erledigt haben.“   „Meinst du wirklich, wir sollten uns einmischen?“   „Absolut. Ich will keine Deadlines verpassen und mir gefällt der Gedanke nicht, Kaoru zu einem Berg Arbeit zurückkommen zu lassen. Er war in letzter Zeit schon gestresst genug.“   „Schon, aber du weißt, wie er ist …“   „Pech, da muss er jetzt durch.“   Die lachte kurz auf und hörte sich im nächsten Moment so an, als hätte er für sich einen längst überfälligen Entschluss gefällt. „Deinen Argumenten kann ich mal wieder nichts entgegensetzen, Shinya. Und genau genommen schlagen wir damit gleich zwei Fliegen mit einer Klappe.“   Kaoru hätte sich beinahe an seinem eigenen Speichel verschluckt. Wo von redeten die beiden da? Und was hatte dieser letzte Satz von Die zu bedeuten? Es war löblich von ihnen, sich in seiner Abwesenheit um alles kümmern zu wollen, aber ganz ehrlich? Kaoru sah schon weitaus mehr Arbeit auf sich zukommen, als würden seine Kollegen einfach ihre Finger von Dingen lassen, von denen sie doch gar keine Ahnung haben konnten. Nicht umsonst hatte er sich in den letzten Jahren immer um alles gekümmert und es abgelehnt, vor allem Die helfen zu lassen. Die war toll, ein absolut kreativer Kopf und seine Fähigkeiten an der Gitarre schafften es bei jedem neuen Song, Kaorus eigenes Talent zu fördern und zu fordern, aber mit Bürokram war der Gute heillos überfordert. Toshiya und vor allem Kyo wollte er sich diesbezüglich nicht einmal vorstellen und selbst Shinya … Nein, der Drummer war viel zu resolut, um ihn mit den delikaten Verhandlungen zu betrauen, mit denen sich Kaoru viel zu oft herumschlagen musste. ‚Bitte, lasst die Finger davon‘, jammerte er in Gedanken und hätte dadurch beinahe Shinyas Antwort überhört.   „Ganz genau, ich sehe, wir sind uns einig.“ Der Drummer lächelte, als aus der Leitung ein weiteres Mal Dies Lachen zu hören war. „Mach dir nicht zu viele Sorgen um ihn, hörst du?“   „Ich versuche es.“   ‚Die sorgt sich um mich?‘ Mit einem Mal war seine kurzzeitige Sorge um die Arbeit wie weggefegt, als er das hörte. Er erinnerte sich an den gestrigen Abend, an Dies Worte, die leger gewirkt hatten, aber jetzt, wo er genauer darüber nachdachte, vielleicht eine gewisse Besorgnis in sich getragen hatten. Das schlechte Gewissen nagte an ihm – wäre er nur weniger ruppig zu dem anderen gewesen.   „Gut so, wenn das jetzt vorerst geklärt ist, hätte ich noch ein Attentat auf dich vor.“   „Ach, ja?“   „Ja. Wo bist du gerade?“   „Noch im Studio, aber ich wollte gleich nach Hause fahren, wieso?“   „Bist du mit dem Auto da?“   „Ja, aber warum fragst du mich das alles?“   „Lass dich überraschen, wir treffen uns in zehn Minuten vor dem Studio, okay?“   „Gut, aber, Shinya, was …?“   Der Drummer legte auf, bevor Die seine Frage hatte stellen können. Kaoru murrte, was wohl das katzenhafte Pendant zu einem fragenden Brummen darstellte. Interessant.   „Was?“, fragte Shinya, als hätte er verstanden, was dieser Laut zu bedeuten hatte. „Manchmal muss man Die einfach abwürgen und zu seinem Glück zwingen, sonst dreht der Junge sich nur im Kreis, glaub mir.“   Wäre Kaoru ein Mensch gewesen, hätte nun ein breites Grinsen seine Lippen geziert. Er wusste ja, dass Shinya, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, nur selten von seinem eingeschlagenen Kurs abrückte, das jetzt jedoch so deutlich demonstriert zu bekommen, war ein Novum. Stellte sich nun nur die Frage, was genau der Drummer sich in den Kopf gesetzt hatte und weswegen er sich dafür mit Die treffen wollte? Na ja, so wie es aussah, würde er die Antwort darauf bald bekommen, ob sie ihm jedoch gefallen würde, stand auf einem anderen Blatt.   Diese andauernde Unsicherheit musste es auch sein, die ihn sich so schrecklich unwohl, beinahe aufgeregt fühlen ließ. Vorsichtig stützte er sich mit den Vorderpfoten an der Verkleidung der Seitentür ab. Sobald er seine Balance halten konnte, reckte er sich, bis er aus der Seitenscheibe sehen konnte. Viel erkannte er nicht, der Blickwinkel schlecht und seine Wahrnehmung als Katze anders genug, um sich kaum orientieren zu können. Lange konnte ihre Fahrt allerdings nicht mehr dauern und je näher sie ihrem Ziel kamen, desto schneller schlug sein Herz. Erklären konnte er sich seine Aufregung nicht, aber als er glaubte, Dies roten Schopf aus dem Augenwinkel erkannt zu haben, bevor Shinya zu den Stellplätzen abgebogen war, konnte er sich kaum noch stillhalten.   „Schon gut, Kleiner.“ Shinyas Hand streichelte über seinen Kopf und drängte ihn mit zärtlichem Nachdruck dazu, sich wieder hinzusetzen. „Dauert nicht mehr lange. Ich muss nur schnell noch etwas mit Die klären, dann kommst du ins Warme und bekommst etwas zu futtern, wie klingt das?“ Ohne sein bewusstes Zutun reagierte er mit einem langen Maunzen auf die ihm gestellte Frage, was seinem Kollegen ein breites Lächeln auf die Lippen zauberte. „Ich beeil mich, versprochen.“   Keinen Moment später war Shinya ausgestiegen und hatte Kaoru mit all seinen Fragen und dem flauen Gefühl im Magen, das nicht nur vom Hunger stammte, zurückgelassen. Was würde nun mit ihm passieren? Warum wollte Shinya sich gerade jetzt mit Die treffen? Hatte der Drummer womöglich vor, ihn in ein Tierheim zu bringen? Mit geweiteten Augen starte er vor sich hin, als ihm bewusst wurde, dass dieser Gedanke ein durchaus plausibler war. Verdammt, er musste aus diesem Wagen raus, bevor er tatsächlich eingesperrt werden würde! Panisch begann er, an dem Türöffner zu kratzen, versuchte, mit den Krallen einzuhaken, damit er ihn entriegeln konnte. Dadurch bekam er nicht mit, wie Shinya mit Die im Schlepptau zurückkehrte, und purzelte unsanft auf den Boden, als die Beifahrertür geöffnet wurde.   „Hoppla, hiergeblieben!“ Eine große Hand, breiter als die des Drummers, schloss sich um Kaorus Mitte und hob ihn hoch. Er wand sich, fauchte und stemmte sich gegen den Halt, der jedoch keinen Millimeter nachgeben wollte. „Du bist ja ein munterer Kerl.“ Sein Fänger lachte und erst da begriff er, dass es Die war, dem er wortwörtlich vor die Füße gefallen war. Sogleich entspannte er sich und sah sich dem breiten Grinsen des Rhythmusgitarristen gegenüber. Zum ersten Mal, seit er als Katze erwacht war, war er froh darüber, nicht erkannt zu werden. Wäre er jetzt ein Mensch, stünde ihm die Scham vermutlich quer übers Gesicht geschrieben. So jedoch begnügte er sich damit, brav und lieb auszusehen, schließlich wollte er Die nicht auf dumme Ideen bringen. „Na, siehst du, geht doch. Du hast dich nur erschreckt, was?“ Die änderte seinen Griff, sodass er nun gemütlich gegen seinen Oberkörper lehnte und begann, ihn unterm Kinn zu kraulen.   Kaoru schloss die Augen, als ein Gefühl durch seinen kleinen Körper jagte, das er so noch nie gespürt hatte. Es war, als würden alle Zellen in ihm zu vibrieren beginnen und das nur, weil sich das Kraulen so gut anfühlte. Irgendetwas brummte erstaunlich laut in seinen Ohren, aber das war schon okay. Alles war okay, wenn man sich so gut fühlte. Wäre es ihm möglich gewesen, hätte nun ein debiles Grinsen seine Lippen geziert. Gott, war das schön.   „Für so ein kleines Kerlchen schnurrt er erstaunlich laut.“ Shinyas amüsierte Stimme und ein sachtes Kraulen über seinen Brustkorb holten ihn aus dem Nebel, der sich über seine Gedanken gelegt hatte.   ‚Wie? Wer schnurrt hier?‘, fragte er sich überflüssigerweise, denn sobald ihm dieser Umstand bewusst geworden war, verstummte das Brummen in seinen Ohren und die Vibrationen ließen nach. ‚Verdammt, das bin ja wirklich ich gewesen.‘ Wo war das Loch, in das er sich verkriechen konnte? Kaoru drehte sich so gut es ging von den beiden Männern weg, die ihn mit unterschiedlich stark ausgeprägten Lächeln noch immer musterten. ‚Ich will hier weg.‘   „Och, Katerchen, das muss dir doch jetzt nicht peinlich sein.“   ‚Halt die Klappe, Die.‘   „Nun gut, dann kann ich den Racker einstweilen also bei dir lassen, ja?“   „Natürlich. Ich hab ihn schon ins Herz geschlossen. Diva macht sowieso gerade Urlaub bei meiner Nichte, von daher muss ich mir erst einmal keine Sorgen machen, dass die beiden Fellnasen sich in die Quere kommen.“   „Dir ist aber bewusst, dass sich vermutlich niemand melden wird, der den Kleinen vermisst?“   Kaoru zuckte leicht in Dies Griff, als ihm durch Shinyas Worte erneut sehr deutlich vor Augen geführt wurde, wie allein er in gewisser Weise war.   „Das macht nichts, wenn ihn niemand will, behalte ich ihn einfach.“   „Ich wusste, auf dich ist Verlass.“   „Vielleicht sollte ich ihn Kaoru nennen.“     Kaoru hob den Kopf, fixierte seinen Freund, der jedoch gerade nur Augen für Shinya zu haben schien. Auf die Züge des Drummers legte sich ein eigenartig sanftes Lächeln, als er die Hand hob und sie Die für einen kurzen Moment auf die Schulter legte.   „Ich denke nicht, dass dir das guttun würde.“   „Du hast recht, wie immer.“ Ein lang gezogenes Seufzen verließ Dies Mund und Kaoru begriff nicht, warum sein Freund mit einem Mal so betrübt aussah. Hatte er Angst, er würde es ihm übel nehmen, würde er eine Katze nach ihm benennen? Mal ganz abgesehen davon, dass der Name passender gewesen wäre, als alles, was der andere sich ausdenken konnte. Aber das wusste Die nicht … leider.   „Schön, dass wir uns auch in diesem Punkt einig sind.“ Shinya drückte Dies Schulter, bevor er auf Abstand zu ihnen ging. „Ich telefoniere mit Kyo und Toshiya, informiere sie über die neuesten Entwicklungen und melde mich im Anschluss noch mal bei dir, in Ordnung?“   „Ja, hört sich gut an. Und ich bring jetzt erst einmal das Katerchen nach Hause, der Arme muss ja schon am Verhungern sein.“ Wie, um Dies Worte zu bestätigen, gab Kaorus Magen ein lautes Knurren von sich, was beide Männer erneut zum Lachen brachte.   ‚Ha, ha.‘   „Bis später, Shinya.“   „Fahrt vorsichtig.“ tbc ... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)