Des Nachts sind die Labore still von mikifou (Wie Josh zu Mael fand) ================================================================================ Kapitel 4: Die Verschwörung --------------------------- Kapitel 4: Die Verschwörung „Was hast du denn gemacht?“ Elias deutete auf meine rechte Hand. Sie war immer noch ordentlich bandagiert. Ich betrachtete den Verband und lächelte vor mich hin. „Die Nachbarskatze hat mich erwischt. Ich wollte nur sicher gehen, dass ich auf Arbeit die Wunden nicht doch noch verunreinige.“ „Hach Max. Manchmal bist du einfach zu süß. Sehr korrekt und manchmal zu ernst, aber süß. Ich gebe dir noch ein halbes Jahr. Du wirst schon noch lockerer“, sagte er und lachte. „Mal was anderes. Wie läuft es mit der Literatur?“ „Ich bin fast fertig. Ich muss noch einen Absatz kontrollieren.“ „Wolltest du nicht Hilfe bei den Formulierungen?“, fragte Elias nach. Ich erinnerte mich, dass ich ihn zu Beginn meiner Recherche und beim Durchwühlen der Literatur gefragt hatte, ob er mir hier und da helfen könnte. Damals wusste ich jedoch nicht, dass ich den Abschluss meiner Arbeit mit dem Grafen der Nacht durchgehen würde. „Ja, aber ich hab‘s schon fertig. Danke trotzdem.“ Ich musste mich echt beherrschen nicht wie blöd zu grinsen. Ein Klirren und Fluchen half mir, mein Grinsen zu unterdrücken. Elias und ich sahen uns um. Johannes stand vor dem Probenschrank und fluchte. Es wirkte sehr gekünstelt. Neugierig, da auch meine Proben vor wenigen Tage noch in diesem Schrank geruht hatten, ging ich hin und sah ihm über die Schulter. „Sag mal, was machst du hier überhaupt? Deine Proben stehen doch dort hinten.“ „Ja, stimmt. Aber ich hatte hier noch welche zwischengelagert, da hier noch Platz war. Jetzt ist mir eine runtergefallen und bei der anderen bin ich mir nicht sicher, ob sie verunreinigt wurde.“ Skeptisch hob ich eine Augenbraue. Die Schale kannte ich doch. Ein mulmiges Gefühl beschlich mich. Ich nahm ihm seine vielleicht verunreinigte Probe ab und besah sie mir im Licht. „Räum erstmal die Scherben weg. Elias, was meinst du? Ist die Probe noch zu retten?“ Elias trat hinzu und begutachtete die Schale genau. „Eigentlich sollte es bei deinem Projekt keine Rolle spielen. Markiere sie und stell sie zurück in den Schrank. In ein paar Tagen wissen wir mehr.“ Ich nahm einen pinken Notizzettel, schrieb Datum und Uhrzeit rauf und das Wort „verunreinigt“. Dann stellte ich sie in die freie Nische, wo vorher meine Proben gestanden hatten. „Ich stell sie hier hin“, meinte ich zu Johannes. „Beobachte sie die nächsten Tage.“ „Vielen Dank ihr zwei. Mach ich.“ Er schweig kurz, ehe er sich abmeldete, da er sich auf den Schreck einen Kaffee holen wollte. Ich sah ihm noch eine Zeit lang hinterher. Erst als er den Flur ein Stück entlanggelaufen war, wandte ich mich an Elias. „Sag mal, vielleicht täusche ich mich, aber war das nicht eine Probenschale von Joshua?“ „Das glaube ich auch“, bemerkte Elias mit einem deutlich ernsteren Ton als ich. „Letzten Montag ist ihm ein ähnliches Missgeschick passiert. Es hat mich gewundert, da er sich sonst nicht einfach so im Schrank irrt. Er ist ebenso genau und penibel wie Joshua, darum wollte ich es vorerst für einen Zufall halten.“ Elias‘ blickt streifte mich. „Du scheinst dich die letzten Nächte mit ihm ja gut amüsiert zu haben.“ Der Themenwechsel überraschte mich. „Wie kommst du darauf?“ Hatte ich ihm Mittwochfrüh, als er mich versetzt hatte, nicht schon alles erzählt? Natürlich hatte ich Spaß. Elias' Grinsen wurde breiter. „Du weißt, dass ihn tagsüber alle nur den Grafen nennen. Seinen Namen zu hören ist eher selten.“ „Ich habe ihn nur so genannt, weil ich nicht wusste wie er richtig heißt.“ Und zu derzeit auch keine Notwendigkeit bestand mein Wissen diesbezüglich aufzufrischen. Johannes kam indes wieder ins Labor. Seine Laune deutlich gehoben. Mit einem Lächeln ging er zurück an seinen Arbeitsplatz. Mir war immer noch mulmig zu mute, also wollte ich was ausprobieren. „Sagt mal, weiß eigentlich jemand an was Joshua arbeitet?“ Ich war laut genug, dass auch Johannes sich angesprochen fühlte. Elias zuckte nur mit den Schultern. „Woher? Aber Johannes, du weißt es doch oder?“ Elias war ein schlauer Kopf. Er war nicht umsonst unser Vizeabteilungsleiter. Als ich vor einem halben Jahr anfing, war ich erstaunt über sein Fachwissen und noch mehr beeindruckte mich, wie weit gefächert sein Wissen war. Damals meinte er zu mir, wenn ich eine Frau und Kinder hätte, käme das ganz automatisch, da man sich für die Interessen der Anderen auch interessieren würde. Dazu kam sein Lebensalter, was schon alt war, aber nicht sooo alt wie er sich darstellte. Jetzt gerade hatte er mich für einen kurzen Moment beäugt und zog sofort mit. Ich meinte wir hatten gerade darüber geredet, dass ich mit Joshua scheinbar gut klar kam und so neugierig wie ich war, war es nur logisch, dass ich den Grafen bereits nach seinem Experiment gefragt hatte. Demnach war meine scheinbare Unwissenheit eine klare Finte für Johannes! Und ich liebte Elias, dass er erstmal mitzog. „Klar, weiß ich das. Aber ihr könnt es einfach nachlesen. Guckt mal dort in seinem Fach nach. Oben links. Da liegt sein Skript.“ Weder ich noch Elias rührten uns. Es gehörte sich einfach nicht an die Arbeitsbereiche eines Kollegen zu gehen, wenn er nicht anwesend war. Für Johannes galt das offenbar nicht. Er stand auf, griff zielsicher nach der Schublade und zog das Skript heraus. Dafür gab es nur zwei mögliche Erklärungen. Erstens: Johannes hatte die Erlaubnis seines Kollegen erhalten, an dessen Sachen zu gehen oder war irgendwie als Assistent eingeweiht worden. Zweitens: Er scherte sich nicht um allgemein gültige Grenzen. „Ehm… Das ist doch Joshuas Tisch. Gehst du immer so einfach an andere Arbeitstische?“, fragte ich und war nicht mal gespielt verwundert. „Was soll schon passieren?“, fragte Johannes schlicht zurück und drückte mir das Skript in die Hand. Ich las es durch und hob beide Augenbrauen. So lässig wie bei Joshua ging es nicht. Das hatte ich am Sonntag noch mal vor dem Spiegel geübt! „Und was macht er?“, fragte Elias und trat an mich heran. Ich reichte ihm nur das Skript, sodass er es selbst lesen konnte. „Ah, interessant. Wusste gar nicht, dass er sich mit so was beschäftigt.“ „Tja, selbst der tolle Graf hat auch mal unwichtige Projekte“, verkündete Johannes und winkte grinsend ab. „Ich geh zum Mittag. Kommt ihr mit?“ „Keinen Hunger“, antwortete ich. Elias schüttelte den Kopf. Johannes ging und Elias legte das Skript zurück in die Schublade. Ich fand es interessant, dass Johannes scheinbar immer nach dem Gespräch um oder über Joshua den Raum verlassen musste, sagte aber nichts. „Was denkst du?“, fragte Elias mich. „Ich frage mich gerade, ob unser Graf vielleicht doch nicht nur Fans hat.“ „Ha ha. Und das mag ich so an dir Max. Es stimmt schon. Die beiden waren schon zu Unizeiten eher sowas wie Konkurrenten. Obwohl ich vermute, dass das nur Johannes so sah. Joshua war eher der Typ Überflieger, der sich um solcherlei Nebensächlichkeiten nicht scherte.“ Mein mulmiges Gefühl verschwand nicht, aber ich konnte jetzt auch nichts weiter tun als beobachten und abwarten. Darum legte ich das Thema gedanklich beiseite und widmete mich dem Groschen, den Elias mir gerade vor die Füße geworfen hatte. „Ihr wart zusammen auf der Uni?“ Elias lachte nun ungeniert meiner Neugierde wegen. „Ja, waren wir. Joshua, Johannes, Magdala und ich belegten den gleichen Studiengang und hatten uns zufällig alle hier wiedergetroffen.“ „Wie lange kennst du Joshua dann schon?“ „Hmm, das müssten jetzt an die zehn Jahre sein. Oh man … bin ich alt. Als Kommilitonen hatten wir mehr miteinander zu tun als heute. Joshua und ich gingen sogar einige Mal aus, einen Trinken. Ich habe ihn nur einmal besoffen erlebt, ansonsten hat er mich immer unter den Tisch getrunken.“ Ich lachte etwas. Das klang irgendwie nach Joshua. Mich hätte es auch gewundert, wenn er nicht trinkfest wäre. „Manchmal hatten wir sogar Doppeldates. Das waren noch Zeiten“, schwelgte Elias in Erinnerungen. „Aber nur, wenn er gerade eine Frau am Start hatte. Einmal waren wir sogar zu viert in einem Vergnügungspark! Leider hat das seiner Freundin gar nicht gefallen. Sie hat sich dauernd übergeben. Hahaha, im Nachhinein erfuhren wir, dass sie von ihrem Ex schwanger war. Darum wurde aus den beiden nichts. Schade eigentlich. Sie stand ihm.“ „Was meinst du damit, nur wenn er eine Frau am Start hatte?“ Ich blendete aus, dass mich diese alten Kamellen interessierten und zugleich unwohl fühlen ließen. Ich schob es darauf, dass ich für gewöhnlich nicht so gerne in anderer Leute Vergangenheit wühlte, wenn diese nicht anwesend waren. „Ach. Josh ist bi. Er wechselte ziemlich regelmäßig. Wenn er dann mal einen Mann am Start hatte, hielt ich mich etwas ferner.“ „Warum das?“ War ja nicht so, dass Schwulsein nicht bekannt wäre. „Ich steh einfach nicht drauf, wenn Männer sich küssen“, erklärte Elias mit einem Schulterzucken. Ich machte den Fehler und stellte es mir prompt vor. Rot werdend schob ich den Gedanken beiseite. Ich war nicht prüde, aber Joshua jemand anderen küssen zu sehen, selbst in meiner Vorstellung, gefiel mir nicht. Elias sinnierte indes laut weiter. „Ich weiß gar nicht … hat er derzeit eine Freundin oder einen Freund? Hmm“, in Gedanken versunken musterte er den Fußboden, dann mich. „Sag mal, kannst du das nicht rauskriegen? Ich kann nachts nicht arbeiten wegen der Lütten und tagsüber ist er kaum zu sehen.“ Zu sagen, dass ich mich unbehaglich fühlte, brächte mir auch nichts, oder? „Er ist ledig.“ Ich erzählte Elias von unserem Gespräch kurz vor Feierabend. Die wenigen Fetzten, die ich mir mühsam von Joshua erkämpft hatte und teuer verkaufen wollte. Nun gut, Elias würde nichts zahlen. Sie waren ja mal befreundet. Dieses Gespräch beschäftigte mich noch eine ganze Weile. Bi passte irgendwie zu Joshua und ich fragte mich insgeheim, woran er wohl derzeit interessiert wäre. Ich machte mir keine Hoffnungen, dass ich in Frage käme. Auch wenn ich nicht leugnen konnte, dass es mich stören würde jemand anderes an seiner Seite zu sehen. Dabei war das durchaus wahrscheinlich. Joshua sah gut aus und war groß. Einen halben Kopf größer als ich, das machte ihn groß. Seine Figur war schlank, aber nicht schlaksig. Vielleicht trainierte er ja? Oder er gehörte zu denjenigen, die einfach so einen Hammer Körper hatten. Seine Hände waren groß und sanft, seine Haare lang genug, um sich mit den Fingern rein krallen zu können. Die hellgrauen Augen wirkten geheimnisvoll und anziehend, sein Gesicht war die perfekte Mischung zwischen schlank und kantig und seine Lippen nicht zu schmal. Wenn er dann mal lächelte, war es als bräche ein Sonnenstrahl durch eine dicke Wolkendecke. Ich seufzte schwer. Als ich mich daheim im Spiegel betrachtete, wichen meine schwärmerischen Gedanken schnell der Realität. Selbst wenn ich mich für ihn interessierte, würde es wie immer ablaufen. Obwohl das auch etwas hochgegriffen war. So viel Erfahrungen in Beziehungen hatte ich gar nicht. Mein erster Crush hatte mir so gesehen die Beine gebrochen. Ich konnte nicht glauben, dass ich mich immer noch damit aufhielt! Davon mal ab, ich war auch nur Durchschnitt. Klar stylte ich mich mal und sah dann ziemlich gut aus! Aber hauptsächlich lief ich eher langweilig durch die Gegend. Die Arbeit verlangte eben ein praktisches Outfit und nicht jeder sah in einem weißen Laborkittel gut aus. Ich sah mich im Spiegel an. Das einzige interessante waren meine Augen. Sie waren grünlich mit einem Stich ins helle Braun. Aber grundsätzlich eher Grün. Mein Großvater hatte auch grüne Augen gehabt und ihm standen sie wirklich gut. Mir hingegen… ich fände mich mit braunen Augen schöner. Damit würde ich mehr in der Masse untergehen. Meine Haare lagen vom Wind verwurschtelt kreuz und quer auf meinem Kopf. Mein Undercut war schon lange rausgewachsen und die restlichen Haare könnte ich mit Haargel locker zu einem Iro verkleben. Es war keine auffällige Frisur, aber sie stand mir. Das Deckhaar war immer etwas heller als das untere. Ich wusste, dass Frauen mir das neideten. Eine gute Freundin hatte mal erzählt, dass manche Frauen sich das extra so färben ließen! Das war, glaube ich, in der Mittelschule gewesen. Seit damals ließ ich mir das Deckhaar länger wachsen, damit „meine Maserung“, wie sie es nannte, besser zur Geltung kam. Sie betonte zu gerne wie gemein und cool sie es fand, dass ich solche Haare von Natur aus hatte... Damit hatte ich also Haare, die mir Frauen neideten, aber war das auch attraktiv? Mein Körperbau war normal. Ich hatte ein paar wenige Armmuskeln und meine Beine waren vom Laufen gut im Training. Trotzdem nahm ich schnell zu, wenn ich nicht aufpasste was ich aß. Während ich mich so betrachtete, zog ich mich aus und posierte. Im Endeffekt schnaufte ich und lächelte mich selbst etwas selbstironisch an. „So wie immer. Und es reicht um Freunde zu bekommen. Und ab und an ein Date“, sagte ich zu mir selbst. Zufrieden war ich dennoch nicht. Um nicht zu deprimiert zu werden, zog ich mir schlampige Hausklamotten an und machte mir was zu essen. Anschließend warf ich mich auf die Couch und sah mir die nächsten Folgen von Vikings an. Weit nach Mitternacht ging ich ins Bett. Planmäßig kam ich erst zu zehn Uhr auf Arbeit an. Elias hatte ich vorab Bescheid gegeben. Ich ging zum Probenschrank und sah nach der verunreinigten Probe. Um meine Scharade aufrecht zu halten, machte ich Johannes Mut, dass „seine“ Probe vielleicht noch durchkommen würde. Johannes reagierte etwas zu spät und etwas zu lässig. Jeder Forscher kämpfte um seine Proben. Sie waren das Kernelement unserer Arbeit! Aber für jemanden, dessen eigene Probe nicht verunreinigt wurde, war seine Reaktion angemessen. Der Tag zog sich und ich beendete meinen Forschungsbericht. Ich würde ihn zwei Tage liegen lassen, dann noch mal lesen und kontrollieren, ehe ich ihn nächsten Montag abgeben musste. In der Zwischenzeit half ich Elias und machte mir Gedanken um mein nächstes Projekt. Ab fünf Uhr leerte sich das Labor. Es wurde ruhiger und mich holte der wenige Schlaf ein. Was mussten die Folgen auch so spannend zum Schluss werden! Es war gegen halb sieben als unser Labortrakt leer wurde und mir der Kopf auf den Tisch fiel. Meinen Wecker hatte ich auf halb zehn gestellt. Letzten Dienstag kam Joshua auch erst zu um zehn, also würde ich wach sein, wenn er ankommen würde. Ein beständiges Vibrieren neben mir ließ den ganzen Tisch wackeln und weckte mich. Schon halb zehn. Ich streckte mich, gähnte und ließ meinen Kopf in den Nacken fallen. Gedanklich war ich sofort wach und ging meine Vorgehensweise durch. Als ich die Augen öffnete, bemerkte ich das jemand neben mir saß. Besser gesagt, an meinen Tisch auf meinem Stuhl. Ein Bein breit überschlagen, den Kopf auf den Fingerknöcheln abgestützt und ein lässiges Grinsen auf dem Gesicht. Ich hatte Recht. Wenn er lachte, wirkte es wie ein Sonnenstrahl, der durch dicke Schneewolken bricht. „Du bist schon da!“, rief ich erschrocken aus. „Schon seit einer halben Stunde.“ „Warum weckst du mich nicht!“ Ich war empört und es war mir peinlich. Schließlich war ich auf Joshuas Tisch eingeschlafen und hatte ihn somit vom Arbeiten abgehalten. Und dann beobachtete er mich auch noch für eine halbe Stunde! Ich sah Joshua an, dass er am liebsten Lachen würde, doch er hielt seine Coolness aufrecht. „Ehrlich. Du hättest mich wecken können! Nächstes Mal weck mich“, forderte ich ein. „Gut, ich merk es mir. Nächstes Mal wecke ich dich.“ Ich schnaufte laut aus und verschränkte die Arme. Machte allerdings keine Anstalten aufzustehen. „Bist du mit deiner Arbeit fertig geworden?“ „Ja, heute. Ich les die Tage noch mal Kontrolle. Montag ist erst Abgabe.“ Joshua nickte. „Wie war dein Wochenende?“ Es freute mich, dass er sich erinnerte. Auch wenn er es wieder verstand die eigentliche Frage nicht zu stellen. Ich sah ihm an, dass er neugierig war, was ich hier machte. Gut, ich würde mitspielen. Ich lehnte mich in seinem Stuhl zurück und betrachtete die Decke. „Ach ging so. Es geht allen gut und sie waren wie immer. Die Feier war auch wie immer. Typisch, wenn die Verwandten kommen und dich mit Fragen löchern. Bin Sonntagfrüh gleich wieder heimgefahren.“ „Das klingt eher nach einer anstrengenden Familie.“ Ohh, er hatte ja keine Ahnung! „Es geht. Ich konnte mir den Abend vertreiben in dem ich mir ein sozial-ethnisches Projekt ausgedacht habe.“ Ich lachte bei der Erinnerung. Joshua fragte nach und ich erzählte ihm die Details meiner Idee mit Hypothese und allem Drum und Dran. „Das solltest du vielleicht den Soziologen vorstellen“, erwiderte Joshua im vollen Ernst. Ich lachte und winkte ab. Für einen Moment legte sich Schweigen über uns. Ich betrachtete Joshua genau und grinste nur breiter. Schließlich lenkte ich ein. Keine Ahnung was das war, dass er nicht direkt fragte, was er wissen wollte. „Sag mal, kann ich noch mal dein Skript lesen?“ Verwundert hob sich eine Augenbraue. Ich würde es nie zugeben, aber ein bisschen habe ich dieses Schauspiel schon vermisst. Joshua stand auf und griff in die rechte Schublade. Zweite von unten. Neben mir stehend hielt er es mir hin. Wortlos griff ich in seine linke, oberste Schublade und holte ebenfalls ein Skript heraus. Die eben noch verwunderte Augenbrauen, zogen sich nun tief nach unten. „Was soll das?“, fragte er grimmig. „Das habe ich mich gestern auch gefragt.“ In wenigen Sätzen berichtete ich ihm von dem Vorfall mit Johannes. Joshua ging sofort zum Probenschrank. Meine gekennzeichnete Probe stand immer noch an Ort und Stelle. Elias und ich passten seit gestern abwechselnd darauf auf. Nur für den Fall, dass Johannes versuchen sollte, die Markierung aufzuheben oder ähnliches. Joshua sah auf den ersten Blick, dass die Probe hin war. Er schlug mit der flachen Hand gegen den Schrank. DAS war die richtige Reaktion auf eine verunreinigte Probe. Ich sah mir das falsche Skript nochmal an. „Ich versteh bloß nicht, warum er das machen sollte?“ Es gab unzählige Gründe jemanden nicht zu mögen, zu hassen oder ihm zu neiden. Da konnte ich mich nicht rausnehmen, geschweige denn voreilige Schlüsse ziehen. Wie so oft gab es viel zu viele Variablen zu beachten. Nichtsdestotrotz fand ich es schon bemerkenswert mit welcher Akribie Johannes das alles tat. In den letzten zwei Wochen, vielleicht sogar schon davor, verunreinigte er immer nur eine Probe, sodass Joshua nie ein abschließendes Ergebnis erhalten würde. Er würde schlicht seinen Zeitplan nicht einhalten können! Und falls einer fragte, legte Johannes dem Fragenden dieses falsche Skript vor, bei dem ersichtlich wurde, dass Joshua scheinbar an nichts Besonderen arbeitete. Nichts mit Zeitdruck. Das falsche Skript beschrieb eine Standardüberprüfung bewährter Studien, wie sie jeder Forscher dann und wann erhielt, wenn er nichts Eigenes am Laufen hatte. Keiner würde vermuten, dass das was Johannes mit den Proben tat, wenn man ihn erwischte, schlimm für Joshua sein könnte. Sein Pech, dass weder Elias noch ich ihm geglaubt hatten. Und dass ich das echte Skript bereits gelesen hatte. Joshua hatte sich auf meine Frage hin wieder seinem Tisch zugewandt. Er nahm mir das falsche Skript ab und starrte es bitter böse an. „Johannes war schon immer so.“ „Ah, Elias erzählte, dass ihr so was wie Konkurrenten an der Uni wart! Meinst du das?“ Joshua legte das Blatt Papier zur Seite und seufzte. „Das wollte er immer gerne. Fakt war aber, dass ich in allem, worin er sich als mein Konkurrent verstand, besser war.“ Klingt ziemlich eingebildet, aber vielleicht war es wirklich so? „In den letzten Studienjahren begann er ähnliche Themen zu wählen und schließlich haargenau die Gleichen. Es wurde etwas anstrengend. Nicht nur für mich, sondern auch für die Professoren.“ „Wie meinst du das?“ Joshua erzählte, dass Johannes im Abschlusssemester damit begonnen hatte, über das gleiche Thema und These wie Joshua zu forschen. Bis dato waren sie zwar Freunde gewesen, aber nun war auch dieses freundschaftliche Verhältnis sehr angespannt. In jeder nur möglichen Situation brachte Johannes einen Vergleich zu Joshua an. Gerade so als wollte er ihn mit aller Macht übertrumpfen. Und sei es nur bei der Art elegant Kaffee zu trinken. (Das konnte Joshua definitiv besser. Johannes trinkt so schnell als wäre es schädlich das Getränk länger als fünf Sekunden in der Tasse zu lassen.) Wenn es um Forschungsergebnisse ging, wurde es noch abstrakter. Johannes wählte teilweise völlig ungeeignete Methoden zur Überprüfung, da diese schneller, zeitsparender oder weniger aufwendig waren. Er wollte scheinbar beweisen, dass Joshua nicht immer den richtigen Weg finden würde. Seine Abschlussarbeit wäre deswegen beinahe ein kompletter Fehlschlag geworden. Mit der Hilfe einiger Professoren gelang es Johannes seine Arbeit umzudrehen und darzulegen, dass es keine schnellere oder weniger aufwendige Art und Weise gab, das gewählte Thema zu überprüfen. Somit hatte er zumindest seine Forschungsergebnisse nutzen können und hatte nicht komplett von vorne anfangen müssen. Für Johannes, der zwar seinen Abschluss sicher hatte, war es dennoch eine totale Niederlage. Er musste seine These und die Fragen ändern, somit war er nicht mehr gleichauf mit Joshua. Nein, er war durch seine Unfähigkeit und Übereifrigkeit dazu genötigt worden drei Schritte zurück zu gehen. „Das heißt er ist immer noch sauer, weil er es damals verbockt hat und lässt es jetzt an dir und deiner Arbeit aus?“, fasste ich fragend zusammen. „Denkbar. Er konnte es nie ab gegen mich zu verlieren. Als er hier anfing, waren Elias und ich schon über ein Jahr beschäftigt und haben natürlich bessere Aufträge bekommen als ein Neuling. Das hatte ihn wieder getriggert und als es darum ging, wer diesen Auftrag übernimmt, hatte er sich gemeldet.“ „Aber du wurdest ausgewählt?“ „Meine Überprüfung war neu und interessanter.“ Ich lachte etwas. Eher verzweifelt als belustigt, denn je mehr ich über Johannes erfuhr, desto mehr kam er mir wie ein armes Würmchen vor. Wie sollte ich ihm demnächst begegnen? So eine verschrobene Art löste bei mir eher Bedauern als Mitleid aus. Und überhaupt! Dieses „Joshua-hinter-her-Laufen“ war so abstrakt, dass man meinen könnte, es wäre das Wichtigste für Johannes gewesen von Joshua für seine Arbeit anerkannt zu werden. Ich hielt einen Moment inne und führte meinen Gedanken laut zu Ende. „Sag mal, kann es nicht auch sein, dass Johannes was von dir wollte?“ Joshua sah mich leicht verwirrt an. „Ich meine. Er rennt dir die ganze Zeit hinterher, will sich mit dir messen und dich schlagen. Das spricht für mich nach einem ziemlichen Mangel von Anerkennung. Wenn man nun bedenkt, dass du ziemlich attraktiv bist und auf beide Geschlechter stehst, könnte es doch sein, dass er einfach … mehr gewollt hatte. Findest du nicht?“ „Du findest mich attraktiv?“ Joshua blinzelte einmal, ehe ein wissendes und sehr attraktives Lächeln über sein ganzes Gesicht zog. Natürlich wehrte ich ab. „Ah, verdreh nicht den Sinn des Satzes! Sag schon, kann das sein?“ Joshua überlegte und schob das falsche Skript hin und her. „Vielleicht. Ich denke schon, dass ich ziemlich attraktiv bin.“ Ich zog eine Schnute und hätte ihm am liebsten wieder mit dem Geschirrtuch gehauen. Da ich keines zur Verfügung hatte, verdrehte ich demonstrativ die Augen. In aller Ernsthaftigkeit fuhr Joshua fort: „Was Johannes angeht, das könnte schon sein. Zumindest machen einige seiner Aktionen Sinn, wenn ich sie aus diesem Blickwinkel betrachte.“ Etwas überrascht über die Aussage neigte ich meinen Kopf. „Ist dir das noch nie in den Sinn gekommen?“ Joshua schüttelte nur den Kopf. „Zu der Zeit hatte ich kaum Beziehungen.“ Aha… dachte ich und spürte dieses bekannte Missfallen. Ich mied seinen Blick, eher unbewusst, doch ihm entging es nicht. „Das müsstest du doch auch kennen, oder?“ Komplett irritiert richtig gehört zu haben, blinzelte ich ihn mit großen Augen an. „Was?“ „Verehrer zu haben, aber keine Zeit dich mit ihnen zu beschäftigen.“ Meine Augen wurden noch größer, ehe ich in wirklich lautes Gelächter ausbrach. Es tat mir leid, aber … nein, tat es mir nicht. Allein die Vorstellung ich stände mit Joshua auf einer Stufe oder ich hätte Verehrer gehabt! Ich konnte nicht mehr. Ich hielt mir den Bauch und legte meinen Kopf auf seinem Tisch ab. Noch kichernd sah ich zu ihm auf. „Bitte, was hast du für ein Bild von mir?“ Ich kicherte immer noch. „Ich bin normaler Durchschnitt. Du hingegen könntest für einen Männerkalender posieren.“ Es war schwer mit dem Kichern auf zu hören. Ich riss mich zusammen und setzte mich auf. Die Tristheit meines Liebeslebens half dabei ziemlich gut. „Du kannst kein Fünf-Sterne-Essen mit Pommes vergleichen. Ich hatte nie so viele Verehrer oder Verehrerinnen, dass ich mich nicht hätte entscheiden können.“ Joshua musterte mich die ganze Zeit über genaustens. Als ich fertig war, hob er seine Hand und berührte vorsichtig meine Wange. Die Berührung war so fremd, dass meine Haut sofort zu Kribbeln begann. Die Finger erfassten meinen Kiefer, strichen an ihm entlang zum Kinn und hoben es um einen Hauch an. Mir klopfte das Herz sonst wo. Dazu sein Blick. Als sähe er sich mit aller Ernsthaftigkeit ein bekanntes Kunstwerk an. Ich hoffte so sehr, dass ich nicht rot wurde! „Drei Sterne“, sagte er schließlich. „Ich würde dir mindestens drei Sterne geben. Obwohl Pommes auch etwas für sich haben. Die esse ich zumindest öfter als ein Fünf-Sterne-Essen.“ Joshua lächelte und neigte den Kopf dabei etwas, sodass ich ihm besser in die Augen sehen konnte. Mein Herz schlug mir bis in den Hals, mein Puls raste vor Freude über das Kompliment. Nur mein Kopf kam nicht hinterher. Sekunden später zog ich meinen Kopf zur Seite, weg aus seinen warmen Fingern. Mein Gesicht glühte. „So ein Blödsinn. Jeder isst gerne Pommes.“ In meiner Kaffeepause ging ich jene Szene nochmals durch. Ich wollte wissen, ob es nicht eine coolere Art gab bei so was zu reagieren. Natürlich hatte ich seinen Kommentar auf das Essen reduziert. „Drei Sterne“, hallte seine Stimme in meinem Kopf nach. Ich könnte glatt nochmal weiche Knie bekommen. Und ja! Ich gestand mir ein, dass ich wirklich sehr, sehr gerne für mich in Anspruch nehmen würde, dass Joshua mir damit nicht nur ein Kompliment machen wollte, sondern auch mit mir geflirtet hatte. Erst Bauchpinselte er mein Ego, dann verwies er darauf, dass er auch schlichte Typen gern vernaschte! Bei so was konnte selbst ich nicht ruhig bleiben. Ich hatte zwar schon einige Verehrerinnen gehabt, hier und da mal ein One-Night-Stand, aber das war alles sehr übersichtlich. Ein Typ wie Joshua war nicht darunter. Selbst mein Crush war nicht so gutaussehend wie Joshua. Das mir das wirklich passieren könnte, war demnach gänzlich undenkbar und galt in jeder validierten Studie als zufälliges und sehr seltenes Verhalten oder Phänomen, dass nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,00001% auftrat. Ich nahm diese kleine, verirrte Fantasie mit und behielt sie für mich. Das Problem war, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass sich jemand auf romantische Art für mich interessierte. Plus, wenn es um Privates und Körperliches ging, war ich übervorsichtig und zog mich vorsichtshalber zurück. Plus, ich kam nie über den Korb meiner ersten Liebe hinweg. Und dann war da noch diese Sache … Aber wie es mit Geheimnissen war, wenn man sie zu lange hütete, glaubt man die Falschheit, welche man drum herum aufgebaut hatte, irgendwann selbst. Dabei war die Wahrheit heutzutage nichts Besonderes mehr. Nur ... hatte ich diese Wahrheit so fest verschlossen, dass ich nicht mehr die nötige Courage fand, sie zu öffnen. In der Zwischenzeit erneuerte Joshua seine Probe. Anschließend dachten wir uns einen Konterschlag aus. Es war leicht Joshua dazu zu überreden, auch wenn er mich erst unverständlich angesehen hatte. Warum sollte man auch solchen Kinderkram machen, wenn man erwachsen war? Aber hey, das war meine Art mit dem Grafen der Nacht zu spielen. Als wir erstmal anfingen und ich ihm meine Idee erläuterte, begann auch er sich dafür zu begeistern. Natürlich war es etwas riskant, aber im Notfall würde ich mich beim Chef für das Versagen persönlich entschuldigen und die Strafe auf mich nehmen. Gegen zwei Uhr morgens schlief ich auf meinen Stuhl an Joshuas Tisch ein. Ich war seit über sechszehn Stunden auf Arbeit und hatte eine kurze Nacht gehabt. Joshua war nur kurz raus gegangen und ich wollte ein Powernapping machen. Dabei driftete ich so sehr ab, dass ich weder Joshuas Wiederkommen noch irgendwas sonst bemerkte. Gegen fünf weckte mich mein neuer Mitverschwörer. Müde blinzelte ich ein Auge auf und sah hellgraue Augen. Eigentlich kein schlechter Anblick. „Wie spät ist es?“ Ich gähnte und streckte mich. „Fünf. Willst du heute wirklich zur Arbeit?“ „Klar“, ich gähnte nochmal und war schließlich wach. „Ich schreib Elias, dass ich später komme. Reicht ja, wenn ich mittags hier bin.“ Joshua nickte schlicht. „Ist das immer noch der Verband vom Donnerstag?“ Mal ehrlich… Themenwechsel kamen bei Joshua wie Elias sehr prompt. Ich fühlte mich erwischt und stolz. Diesmal entschied ich mich dafür stolz drauf zu sein. „Japp. Ich konnte ihn nicht abmachen. Hätte ich ihn wieder selbst rumgebunden, sähe es wieder so wüst aus wie letztes Mal.“ „Du solltest den Verband aber nicht so lange dran lassen. Er wird dreckig und deine Haut muss auch mal atmen. Deine Eltern hätten dir doch helfen können.“ Ich schnaubte nur abfällig. Meine Eltern hatten nicht mal bemerkt, dass meine Hand bandagiert gewesen war! „Schon gut, schon gut. Ich mach ihn ab“, willigte ich ein. Doch Joshua war bereits dabei meine Hand zu befreien. Zum Vorschein kam ein bleiches, schmales Handgelenk mit zerknitterter Haut und vielen Kratzern. Trotzdem hielt Joshuas Hand meine, als sei sie so zerbrechlich wie ein Reagenzglas. Das gefiel mir ziemlich gut. „Die Kratzer sehen gut aus. Da du ja gerade nicht mehr mit Proben arbeitest, kannst du es ruhig offenlassen. Das heilt dann schneller“, erklärte Joshua fachmännisch. „Wenn es an der Luft besser heilt, warum sollte ich es dann verbinden?“ „Weil du mit Gefahrenstoffen gearbeitet hast“, erklärte er ernst. Ich grinste. Klar wusste ich das. Es machte trotzdem Spaß ihn aufzuziehen. Leider bemerkte Joshua die Finte und kehrte den Spieß um. Darin war er nämlich echt gut. Er nahm meine Hand und schenkte mir einen Handkuss. Direkt auf meinen Handrücken, der noch immer total zerknittert aussah! Ich war so erschrocken, dass ich meine Hand zurückzog. „W-was soll das? Ich hab mir nicht mal die Hand gewaschen! Was wenn du deine Lippen jetzt kontaminiert hast!?“ „Nicht so schlimm. Ich bin sehr robust.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)