Des Nachts sind die Labore still von mikifou (Wie Josh zu Mael fand) ================================================================================ Kapitel 18: Weihnachten ----------------------- Extra Kapitel 4: Weihnachten Es war kalt geworden in den letzten Tagen. Der Himmel war grau verhangen und drückte etwas die Stimmung. Die Kälte tat ihr übriges. Ich war schon immer geteilter Meinung, was den Winter anging. Einerseits war Schnee wirklich schön. Wissenschaftlich, chemisch und ästhetisch. Reines Weiß, dass die Welt zum Schlaf bedeckte. Ich fand schon immer, dass es etwas mystisches und sehr klares hatte. Eis war in dieser Hinsicht noch kristalliner. Rein meine Tollpatschigkeit störte dieses märchenhafte Bild. Auf ungestreuten, vereisten Wegen war ich der Erste, der sich langlegte oder nicht vorwärtskam, ohne sich an allem möglichen festhalten zu müssen. Mit meiner eigenen Unfähigkeit wusste ich umzugehen, mit der meines Verlobten leider nicht. Mael war noch ungeschickter mit Schnee und Eis als ich. Zwei von drei Mal fiel ich hin, weil er mich mit runterriss. Elias hatte seine Scherze bereits gemacht. „Kommen zwei attraktive Männer den Weg entlang, fällt der Eine, fällt der andere ebenso“, sagte er und wirkte als hätte er einen Witz erzählt. „Hahaha, nee wirklich! Das wirkt so lächerlich.“ Ich dankte ihm für seine Ehrlichkeit, wenngleich ich mir selbiges schon gedacht hatte. Nur musste er es so laut und lachend im Foyer sagen? Andere Kollegen, welche das Unglück gesehen hatten, waren so dezent gewesen und hatten geschwiegen. Nun ja, das war halt Elias. Mich störte es nicht. Was soll’s, wenn Mael und ich uns letzten Winter blamiert hatten? Meine Entschädigung bekam ich mit jedem Erröten Maels. Zudem waren wir letzten Winter ein normales Paar gewesen. Verliebte, die seit ein paar Monaten miteinander gingen. Dieses Jahr war so viel besser! Mael hatte mir zu seinem Geburtstag einen Antrag gemacht und ich war überglücklich, ihn jetzt meinen Verlobten nennen zu können. „Bin fertig“, sagte Mael, als er die letzten Knöpfe seines Mantels schloss. „Willst du wirklich das Auto nehmen?“ „Ja. Es ist nur kalt, die Straßen sind noch frei. Alles gut“, versuchte ich ihn zu beruhigen. „Das sagst du…“ Ich trat auf ihn zu und küsste ihm die Stirn. „Ja, das sage ich. Du bist zwar mein Engel, aber auf Erden wandeln, bei Eis und Schnee, kannst du nicht.“ „Ach sei still“, murrte Max und schob mich von sich. „Können wir?“ „Hm? Ich meine ja nur. Wenn du mich niederreißen willst, mach das im Bett und nicht auf offener Straße. Das ist sehr mutig, aber bei der Kälte holen wir uns nur was weg.“ Wie ich es erwartete, verfärbten sich Maels Wangen in ein zartes Rosa. Der Alltag hatte uns etwas resistenter gemacht, aber noch immer schafften wir es uns gegenseitig in Verlegenheit zu bringen. Ehe Max was sagen konnte, küsste ich ihn und schob ihn aus der Haustür. Seit fast eineinhalb Jahre waren wir zusammen und lebten unter einem Dach. Dabei haben wir so gut wie alle Macken und alltäglichen Langweiligkeiten des Anderen miterlebt. Mein Alltag mit Mael war äußerst angenehm. Ich genoss die Zeit, die wir zusammen verbrachten, wenn wir kochten oder ich bekocht wurde. Wenn wir ausgingen, durch die Stadt schlenderten oder wie ein altes Paar spazieren gingen, weil Max der Ansicht war, ich würde mich zu wenig bewegen. Es war lustig, Maels Kochversuche aus antiken Rezeptbüchern mitzuerleben, sobald er die Genehmigung von seinem Team bekam, es zu Hause ausprobieren zu dürfen. Das passierte meist nur, wenn das Team mit einer Sache durch und der offizielle Bericht abgegeben worden war. Von daher war es bis jetzt nur zwei Mal zu solch einem Vergnügen gekommen. Das erste Mal war ein Erfolg und er überraschte mich mit einem mittelalterlichem Kuchengebäck aus Nüssen, Datteln und was nicht noch alles. Das zweite Mal war ein kompletter Reinfall. Es handelte sich um ein Mittagsmahl und Mael versalzte es vollkommen. Ganz zu schweigen von der Zusammenstellung der Gewürze, welche modernen Geschmäckern nicht munden konnten. Wie auch immer, Maels Enttäuschung aufzufangen und abzumildern, war inzwischen mit meine liebste Aufgabe geworden. Auf diese und andere Art verging die Zeit und Weihnachten stand vor der Tür. Es fühlte sich an, wie durch warmes Wasser zu schwimmen. Nicht ganz ohne Widerstand, aber sehr angenehm und flüchtig wie ein Windhauch. Unsere Meinung zu Geburtstagsfeiern war immer noch sehr unterschiedlich, aber was Weihnachten anging, waren wir uns einig. Wir genossen das Flair und weihnachtliche Angebote, mussten aber nicht feiern. Ein traditionelles Weihnachten mit Tannenbaum, Geschenken und Festmahl war uns nicht wichtig. Vielleicht sprach auch noch die Verliebtheit aus uns oder die noch immer allzu präsente Verlobung, aber solange wir Zeit miteinander verbringen konnten, waren die Festtage doch egal. „Fahr bitte vorsichtig“, bat Mael, als er ins Auto stieg. „Max, es hat noch nicht mal geschneit. Die Straßen sind trocken.“ „Aber es sind Minusgrade.“ Ich schenkte ihm einen Seitenblick und zog eine Augenbraue hoch. „Jetzt wirst du irrational“, sagte ich und sah ihm an, dass er mir zustimmte, wenngleich er seinen Blick schnell abwandte. Mael hielt viel von seinem Credo, dass man erst alle Fakten und Variablen haben musste, ehe man sich eine Meinung bilden konnte. Davon ab war er Wissenschaftler und bodenständig. Er wusste um die wichtigsten Eigenschaften von Wasser bescheid und wann es, logisch betrachtet, gefährlich war Autozufahren. Dass er trotzdem so reagierte wie gerade, war wohl meine Schuld. Als es letztes Jahr für zwei Wochen extrem kalt und winterlich gewesen war, hatten wir festgestellt, dass keiner von uns auf glatten Flächen gut gehen kann. Nach etlichen blauen Flecken entschieden wir uns, das Haus nur für das nötigste zu verlassen. Wir wollten einen großen Einkauf tätigen, weshalb wir das Auto nahmen. Auf dem Rückweg mussten wir einen Berghang hinauf. Nichts Großes und bei Weiten nicht mehr als ein Hügelchen. Jedoch hatte es Schneeregen gegeben, während wir im Supermarkt waren. Damit wurde selbst diese geringe Steigung spiegelglatt und das Auto verlor ab der Hälfte den Gripp und rutschte runter. Wir ditschten an ein Auto, welches hinter uns stehen geblieben war, da es gar nicht erst versucht hatte, uns zu folgen. Erleichtert, stehen geblieben zu sein, folgte auf den ersten Schrecken ein zweiter, als ein Auto über den Berg kam und beim runter fahren dasselbe Schicksal erlitt. Die Bremsen griffen nicht und das rutschende Auto krachte frontal in meines. Die Motorhaube war hin und auch wenn es mir im Herzen weh tat, war all das nur ein Blechschaden. Mael jedoch erlitt einen ziemlichen Schock, weshalb er sich den restlichen Winter weigerte das Auto zu nehmen und versuchte mich davon zu überzeugen, dass Bus und Bahn besser wären. An dem Tag, als er mir beweisen wollte, wie viel sicherer es war, die Bahn zu nehmen, fielen wir fünf Mal auf den Weg zum Bahnsteig hin. Mael rutschte drei Stufen hinab, weil sich jemand an ihm vorbei drängelte und Tollpatsch-Mael seinen Fuß auf ein Stück nicht gestreute Stufe setzte. Die Bahn kam verspätet und wir waren durchgefroren. Als wir endlich einsteigen konnten, hielten wir nach fünf Stationen, da der Zug nicht weiterkonnte. Der Grund war, wie damals beim Auto, plötzlich einsetzender Eisregen gewesen, der die Oberleitungen gefrieren ließ. Nachdem wir diesen Tag endlich zu Hause waren, ließ ich uns ein Bad ein und wir bestellten Essen beim Pizzalieferanten um die Ecke. Vom warmen Wasser umgeben, Mael an mich gezogen, vergrub ich meine Nase in seinem Haar. „Und? Was ist nun besser? Auto oder Bahn?“, fragte ich halb ernst, halb stichelnd. „Ach. Sei bloß still. Am besten wir decken uns mit Vorräten ein und verlassen das Haus nicht, solange die Temperaturen nicht dauerhaft im Plusbereich bleiben.“ Ich schmunzelte und zog meine Umarmung fester. „Dein Wunsch ist mir Befehl.“ „Sag mal, hast du nächste Woche nicht in ein paar Tage frei?“, fragte ich Mael zur Ablenkung. Vielleicht tat er es ungewollt, doch seine Hände hielten sich etwas zu krampfhaft am Sicherheitsgurt fest. „Ja, Dienstag und Mittwoch. Montag ist das Teammeeting und Donnerstag und Freitag muss ich zur Fortbildung.“ „Ah ja, die Fortbildung. Freu dich drauf.“ „Hattest du die schon?“, fragte Max neugierig nach. „Ja, letztes Jahr. Eine Woche vor meinem Zwangsurlaub und als ich wieder kam, stellte ein neuer Kollege meine Welt auf den Kopf“, erwiderte ich etwas schelmisch mit einem Grinsen. Es wirkte und zauberte ein Lächeln auf die Lippen meines Verlobten. „Dass du nicht müde wirst, davon zu erzählen.“ „Nie“, antwortete ich prompt und Max seufzte. „Ja, das befürchte ich auch. Warum fragst du wegen dem Frei?“, fragte er und führte das Gespräch zurück zum Anfang. „Der Weihnachtsmarkt hat schon auf. Ich würde gerne mit dir hingehen.“ Mael brummte verwundert und ich spürte seinen Blick auf mir ruhen. Da ich gerade durch die vollen, winterlichen Straßen der Stadt fuhr und einen ängstlichen Beifahrer hatte, sah ich nicht zur Seite, sondern konzentrierte mich voll auf die Straße. Aber … wie könnte ich seinen Blick nicht spüren? „Hast du Lust?“, fragte ich, den Blick starr gerade aus. „Auf den Weihnachtsmarkt?“, fragte Max nach und ich nickte voreilig. „Oder einfach nur Lust?“ Seine Stimme wurde zum Schluss etwas dunkler, sanfter und leiser. Seinen Blick konnte ich mir gut vorstellen. Halb geschlossene Augen, die mich von der Seite aus fixierten und ein Grinsen, dass sich allmählich auf seinen perfekten Lippen ausbreitete, weil mir bewusst wurde, was er tat. Tatsächlich war es nach wie vor selten, dass Mael zweideutig sprach oder offen mit mir flirtete. Aber wenn er es tat, erwischte es mich kalt. Meine Hand krallte sich fester um das Lenkrad und ich war sehr versucht zur Seite zu sehen. Ich atmete tief ein und erzwang ein Grinsen um zu kontern. „Beides natürlich. In diesem Fall würde ich dich gerne ‚über den Mark führen‘ und wenn wir daheim sind, ‚verführen‘. Klingt das gut?“, fragte ich nach und fühlte meinen Sieg. Zumindest für den Bruchteil einer Sekunde, ehe sich eine Hand, warm und geschmeidig auf meinen rechten Oberschenkel legte und sich mit kleinen Bewegungen von meinem Knie nach oben arbeitete. „Willst du damit wirklich bis nächste Woche warten?“ Die Ampel wurde rot und ich bremste etwas zu stark. „Mael!“ „Hah hahaha, tut mir leid, tut mir leid, aber das bot sich gerade an“, sagte Mael lachend und zog seine Hand zurück. „Ich weiß, du gibst dir Mühe ordentlich zu fahren, aber das wirkte gerade so überaus verkrampft, dass ich dich etwas aufziehen musste.“ Da wir standen, sah ich ihn grimmig an. „Ja, schon klar. Da macht man sich Gedanken um dein Wohlbefinden und dann so was…“ „Verzeihst du mir?“, fragte Max mich und klimperte mit seinen Augen. Ich seufzte schwer und rollte mit den meinen. „Was denkst du denn?“, fragte ich zurück. Maels Schnute verzog sich zu einem amüsierten Grinsen, welches meinen Unmut sofort wegschmolz. „Dass du mich zu sehr liebst, um mir böse zu sein.“ „Ja, das ist wahr.“ „Hehehe“, kicherte Mael und beugte sich zu mir. Er küsste mich und ich hätte den Moment zu gerne ausgekostet, aber- „Außerdem weiß ich, dass es dir gefallen hat, aber- Josh?“ „Mhm?“, fragte ich, mein Blick ganz auf ihn gerichtet. „Es ist grün.“ Die schöne Stimmung verflog im Nu und holte mich gnadenlos in den städtischen Verkehr zurück. Genervt verzog ich das Gesicht und fuhr los, während Mael weiterlachte. Nach dieser Sache schmollte ich für einige Stunden. Eigentlich nur, weil ich mich darüber ärgerte, dass ich diese Situation nicht besser ausgenutzt hatte. Andererseits hatte Mael es wohlweißlich getan, eben weil ich nichts hätte ausnutzten können. Grimmig hing ich über meiner Arbeit, bis mich eine Nachricht aus meinen Gedanken riss. Ich ging zu meinem Schreibtisch und sah auf mein Handy. Mael hatte mir ein Bild gesendet. Darauf sah ich mich, wie ich eben noch an meinem Tisch gestanden hatte. Ich schickte Elias einen grimmigen Seitenblick. Natürlich hatte er das Foto gemacht. Wahrscheinlich war ich ihm zu grimmig oder wer weiß schon, was in seinem Kopf vorging. Unter dem Bild schrieb Mael: „Hör auf zu schmollen und denk dir lieber aus, wo wir heute Abend essen gehen.“ Ich grinste und legte das Handy weg. Da keiner von uns der Spitzenkoch war, gingen wir ziemlich oft auswärts essen. Die Atmosphäre und das Flirten in der Öffentlichkeit verliehen jedem Essen einen besonderen Charme. Acht von zehn Mal endete ein solches Essen in einer kleinen Runde zwischen den Laken. Mael gab es nicht zu, aber ich vermutete, dass diese Art des Flirtens und des Vorspiels ihn ziemlich reizte. Von daher war ich wieder guter Dinge, jetzt wo klar war, dass wir heute Abend ausgehen würden. „Wenn dir meine Laune nicht passt, sag es mir doch ins Gesicht“, sagte ich an Elias gerichtet. „Du weißt, dass mache ich immer“, antwortete Elias gelassen und schwenkte ein Reagenzglas vor der Nase. „Warum dann das Foto an Max?“ Meine Verwirrung wuchs, als Elias breit grinste. Es war immer gruselig, wenn er das machte. „Weil ich drum gebeten wurde“, war seine schlichte Antwort und er sah mich flüchtig an. Ich brauchte einen Moment, ehe ich seine Aussage verstanden hatte. „Ach so“, sagte ich kleinlaut und wandte mich meinem Tisch zu. „Danke dir.“ Ich spürte, wie ich rot wurde und wie ein ebenso freudiges Grinsen an meinen Mundwinkeln zupfte. Was war ich für ein Glückspilz. Die Frage war nur noch, ob ich ihn damit aufziehen würde oder den Abend mit diesem Wissen genoss. Ein paar Tage später hatte Mael frei und ich stahl mich von der Arbeit. Ich hatte gerade keine Proben oder praktische Arbeit zu tun, weshalb ich nachlässig geworden war. So gesehen machte ich blau, verkaufte es Elias aber als Homeoffice. Früher hätte ich mich so lange mit der Literatur, den Büchern und dem Internet verschanzt, bis ich fertig geworden wäre. Ich hatte sogar ein ums andere Mal auf meinen Materialien geschlafen, was ziemlich unbequem gewesen war. Mittlerweile sah ich alles etwas lockerer. Der Grund dafür war klar und bedarf, denke ich, keiner Erwähnung. Wir zogen uns warm an. In der Nacht war die Temperatur stark gesunken und die Autos und Gehwege glänzten und glitzerten, vom Frost bedeckt, in der Sonne. Sicherheitshalber testen wir, wie glatt die Wege waren. Wir schienen Glück zu haben. Um in die Stadt zu kommen, nahmen wir die Bahn. Ich ließ mich überreden, weil wir dann beide etwas trinken konnten. Selbst innerhalb der Woche war viel Betreib auf dem Weihnachtsmarkt. Die meisten Stände befanden sich in der Einkaufsmeile und dem Marktplatz. Rund um die Kirche und das Rathaus waren an die dreißig Stände aufgebaut worden. Ich hätte nicht gedacht, dass noch so viele Platz finden würden, wenn die Mitte des Marktes für etwas anderes genutzt wurde. Als wir aus der Bahn kamen, stieg uns der Geruch von kalter Luft und Gewürzen in die Nase. Süßes und Herbes gleichermaßen. Es war der unvergleichliche Geruch eines Weihnachtsmarktes. Wenngleich ich mich mit Schal und Mütze bewaffnet hatte, hatte ich die Handschuhe nicht mitgenommen. Ich bezweifelte, dass es soo kalt sein würde. Doch hier in der Stadt zwischen den engen Gassen und den Massen wehte ein frischerer Wind. Fröstelnd steckte ich meine Hände in die Jackentaschen und vergrub mein Gesicht bis zur Nase in meinen Schal. Ein Ruck an meinem rechten Arm ließ mich hinsehen und ich schmunzelte in meinen Schal hinein. Mael hatte sich bei mir eingeharkt und seine Jacke soweit es ging über seine ebenfalls nackten Finger gezogen. „Willst du deine Hand nicht lieber mit in die Tasche stecken?“, fragte ich amüsiert. Mael schüttelte seinen Kopf, dass seine Haarspitzen, welche nicht unter der Mütze gefangen waren, nur so wippten. „Vielleicht später. So verliere ich dich nicht.“ So würden wir uns definitiv nicht verlieren und definitiv zugleich ausrutschen, wenn ich keinen guten Stand hatte, dachte ich mir. Unbewusst spannte ich meinen Bauch an, um es nicht zu einem peinlichen Ausrutscher kommen zu lassen. Wäre doch gelacht, wenn ich das Fliegengewicht an meinem Arm nicht halten könnte! Die Stände waren genau die Gleichen wie letztes Jahr. Die Angebote variierten leicht, aber nicht viel. Die Preise waren gestiegen, was niemanden davon abhielt etwas zu kaufen. Wir schlenderten zuerst alle Stände ab, ehe wir uns für etwas entschieden. Mael verschlang einen Crépe, eine Bratwurst, kandierte Nüsse und Pilze mit Pommes. Ich selbst hielt es bei Leber mit Zwiebeln und naschte das süße Zeug bei ihm. Als wir zum zigsten Mal an einem Stand mit Lebkuchenherzen vorbeikamen, fiel mir ein Schriftzug ins Auge. Er passte perfekt, also kaufte ich ihn und hängte ihn Mael um den Hals. Vertrauenswürdig wie mein Verlobter nun mal war, ließ er sich das Herz in Handgröße umhängen, ehe er sich die Beschriftung durchlas und mich fragend ansah. Max konnte nach wie vor keine Augenbraue einzeln hochziehen. Sein fragender Blick wirkte immer sehr überrascht, was wiederum sehr niedlich aussah. Wie ein überraschter Hase oder Hamster. Ich schmunzelte nur und tippte auf den Schriftzug. „Das beschreibt dich perfekt“, sagte ich. „Hm … ich glaube dir.“ „Aber?“ „Ich stelle mal wieder fest, dass ich noch lange nicht alles über dich weiß“, sagte Mael gerade heraus und ich lachte. Einen Arm um ihn gelegt, gingen wir zum nächsten Getränkestand. Auf dem Lebkuchenherz stand ‚Ruler of the world‘, was meiner Meinung nach die perfekte Beschreibung für meinen Verlobten war. Am Glühweinstand orderte ich für Mael einen Glühwein mit Schuss und für mich ein Schwarzwälderpunsch. Dieser war mit Kirschen und Kirschlikör und ziemlich lecker. Mein Glück war, dass es deutlich mehr Angebote gab, als nur Glühwein. Wir tranken jeder zwei und gingen gut gewärmt und leicht angeheitert weiter. Den Markplatz flanierten wir entlang und hielten an interessanten Ständen an. In der Mitte des Marktplatzes waren Banden aufgestellt worden und Gelächter hallte zwischen der weihnachtlichen Musik. Max blieb stehen und sah den Menschen auf dem künstlich erzeugten Eis zu. Die offene Schlittschuhfläche war jedes Jahr sehr beliebt. Im Moment waren recht wenige auf dem Eis. Es war gegen Mittag und die meisten tummelten sich beim Essen. Die Idee mich freiwillig auf noch glattere Gefilde zu begeben als üblich, löste keine Begeisterung in mir aus. Mein Blick jedoch haftete an den leuchtenden Augen neben mir, welche voller Freude und Neid auf die Personen auf dem Eis sahen. Dieser Anblick war rein und schmolz mein Herz und meinen Widerstand. Ich nahm Maels Hand in meine und riss ihn damit aus seiner Bewunderung. Leuchtend große, grüne Augen sahen zu mir hoch und spätestens jetzt wäre es um mich geschehen gewesen. „Willst du fahren?“, fragte ich. Max verzog den Mund. Er wollte. Das sah ich ihm an, aber er haderte mit sich selbst. Vielleicht, weil es glatt sein würde? Weil er Angst vorm Fallen hatte oder sich zu sehr zu blamieren? Oder dachte er, dass ich nicht mitkommen würde und wie wahrscheinlich es sein würde, dass er Spaß hätte, wenn ich nur vom Rand aus zu sah? Ja, letzteres klang nach ihm. Ich schenkte ihm ein Lächeln und beugte mich zu ihm runter. „Wenn du willst, dann nur zu. Ich komme auch mit, wenn du darauf bestehst.“ Mael errötete und sah schnell zur Seite. „Ich bestehe nicht drauf“, sagte er ausweichend und sah mich wieder an. „Aber wenn du mitkommen würdest, wäre es schon schön.“ Es war wirklich unfair, dass Mael bei einem solch einfachen Satz eine Schnute ziehen konnte, die ihn noch unwiderstehlicher machte! Da mein Herz und mein Widerwille bereits Geschichte waren, konnte ich mich voll und ganz auf diesen Anblick einlassen und genoss ihn in vollen Zügen. Die leicht roten Wangen, der etwas unsichere Blick, freudig und bittend zugleich. Seine leicht nach vorne geschobene Unterlippe und der etwas zur Seite gezogene Mundwinkel. Ich beugte mich vor und küsste was Mein war. „Dann holen wir uns mal ein paar Schlittschuhe.“ Die Verkäuferin gab uns die passenden Größen heraus und eine der Aufseherinnen gab uns eine kleine Einweisung. „Sie wirken skeptisch“, fragte sie zum Schluss. Ich nickte schlicht. „Wir sind beide nicht gut auf glatten Flächen mit unseren Füßen.“ „Ha haha, da brauchen Sie sich wirklich keine Sorgen zu machen. Zu Beginn können Sie gerne diese Fahrhilfen nutzen. Viele Erwachsene fühlen sich unsicher in Schlittschuhen. Sind Sie jemals Inliner gefahren? Es ist sehr ähnlich. Nur dass die Bremsen nicht am Hacken sind.“ „Beruhigend zu wissen. Wie bremsen wir?“, fragte ich weiter und ignorierte die Fahrhilfen im Pinguinstil. „Fahren Sie an die Bande oder versuchen Sie das Gewicht etwas auf die Zehnspitzen zu verlagern.“ Mael war der erste, der sich auf’s Eis traute. Er war wackelig auf den Beinen, aber fiel erst als er die Mitte erreicht hatte. Ich schmunzelte etwas und setzte den ersten Fuß auf das Eis. Es war super glatt. Aber wenn es wirklich wie Inliner fahren sein sollte, würde es schon werden. Mit Inlinern war ich als Kind ziemlich gut gewesen. Ich sah auf und bemerkte, dass eine der Verantwortlichen Mael bereits aufgeholfen hatte. Nun, da er sicher war, würde ich mein Glück versuchen. Ich stieß mich ab und ließ mich gleiten. Die Bewegungen ähnelten wirklich denen vom Inliner fahren, was es mir einfacher machte. Auch das Kurvenfahren war einfacher als gedacht. Schnell hatte ich eine Runde hinter mir. Als ich es bemerkte, sah ich mich zu Max um und fand ihn immer noch in der Mitte stehend. Sein Mund war leicht offen und dass Erstaunen deutlich zu lesen. Ich schmunzelte und fuhr an ihm vorbei. Als ich eine halbe Runde rum war, sah ich wieder zu ihm und der beleidigten Schnute, welche er nun zog. Etwas langsamer fuhr ich zu ihm hin und blieb vor ihm stehen. Bremsen war einfacher als gedacht. „Ich dachte, du kannst das nicht?!“, rief Max empört aus. „Ich bin bisher auch noch nie Schlittschuh gefahren, aber scheinbar hilft es wirklich, wenn man gut mit Inlinern war.“ „Das ist total gemein“, motzte Max weiter und verschränkte beleidigt die Arme. „Findest du? Dabei machst du dich doch gut.“ „Bei weitem nicht so gut wie du!“ „Hahaha, Max. Sei nicht eingeschnappt“, bat ich ihn und hob sein Kinn an. „Ich bin auch froh, wenn ich vor dir mal eine gute Figur machen kann.“ Die Aussage ließ ihn erröten und zur Seite sehen. Sein Blick senkte sich. Doch ich bemerkte den Anflug von Eifersucht in seinem Blick. „Du machst eine sehr gute Figur.“ „Danke dir“, sagte ich und schenkte ihm ein Lächeln. Ob ihm das nun peinlich war oder ob er insgeheim doch einen Racheplan geschmiedet hatte, wusste ich nicht. Max konnte, wenn er wollte, ziemlich hinterhältig sein. Für diesen Moment vermutete ich jedoch Ersteres. Als Mael seine Arme ausstreckte, um mich zu umarmen und ich ihm nur zu gerne an mich zog, rächte sich, dass wir noch auf dem Eis standen. Der Versuch von Mael sich auf den Beinen zu halten, brachte uns noch schneller zum Liegen. Ich fiel auf den Hintern und Mael auf seine Knie, den Rest konnte ich abfangen. „Maaax~“, jammerte ich und verzog schmerzlich das Gesicht. „Tut mir leid. Tut mir leid“, sagte Max entschuldigend und rappelte sich auf. Er sah mich schuldbewusst an, als er mich nach Verletzungen abtastete. Seine Eifersucht war verflogen, noch ehe sie ausbrechen konnte. Ich griff nach seinen Händen und fixierte seinen Blick. „Nichts passiert. Aber den blauen Fleck wirst du besser küssen müssen“, sagte ich nur für ihn hörbar. Bei uns gab es, wie das Jahr zuvor, keine weihnachtliche Dekoration. Wir stellten auch keinen Tannenbaum auf. Einzig die Lieder im Radio versüßten die heimelige Stimmung. Plätzchen und Kuchen gab es wie immer vom Bäcker. Keiner von uns hatte jemanden im Bekanntenkreis, der gerne und viel backte und uns zwei konnte man in der Küche nur für das Nötigste finden. Obwohl Max weitaus besser kochen konnte als ich. Wie auch immer. Weihnachten war für uns beide nicht das besinnliche Fest der Familie, wie es in unzähligen Filmen und dem Marketing dauert gezeigt wird. Bei mir war der Grund einfach. In den Jahren, in denen Kinder die meiste Freude am Weihnachtsmann und Geschenke bekommen haben, lebte ich im Waisenhaus. Dort gab es zwar einen Baum, den wir mit Selbstgebasteltem und Strohsternen schmückten, aber Geschenke gab es nie für einen allein. Selbst wenn die Schwestern gewollt hätten, waren die Gelder dafür einfach nicht da. Ich setzte mich zu den Kindern und gab mich erfreut über die Gruppengeschenke – wenn ich mich nicht sogar wirklich freute – aber das Schönste für mich an diesem Fest waren genaugenommen die Speisen und das gesellige Beisammensein. Auch wenn es jedes Jahr zum Ende hin in Streit ausartete. Ob Kinder oder Erwachsene. Irgendwer fing immer an. Bei Max konnte ich es mir fast denken, warum er Weihnachten nicht mochte. Seine Familie war streng gläubig und etwas speziell. Sicherlich hatten sie jedes Jahr einen Baum und schmückten viel. Seine Mutter kochte und backte bestimmt, was das Zeug hielt und er musste zu Chorgesängen und in Kirchen gehen. Ich konnte mir seine miesepetrige Miene mit den Jahren vorstellen. Er hatte mir erzählt wie es für ihn gewesen war, als er entdeckt hatte, dass er auch Männer mochte. Vielleicht sogar mehr als Frauen. Seine Erzählungen ließen mich frösteln. Aber davon ausgehend, konnte ich mir bildlich vorstellen, wie seine Eltern sich auf ein Fest wie Weihnachten freuen musste. Es war mehr als nur ein gesellschaftliches Ereignis, es war DAS Ereignis und musste mit entsprechender Ernsthaftigkeit gewürdigt werden. Wahrscheinlich hatte es mein Verlobter mit den Jahren schwerer und verstand immer weniger den aufgesetzten Zirkus. Vielleicht hatte er den ganzen Humbug einmal in Frage gestellt und musste zur Strafe zum Pastor und seine Dummheit beichten. Ich lachte innerlich bei der Vorstellung. Wie sich mir später eröffnete, lag ich mit meiner Vermutung nicht weit daneben. Was wir beide an Weihnachten, oder besser gesagt, am Winter, am meisten schätzten, war der Schneefall. Wenn alles weiß bedeckt wurde, die Stadt gefühlt langsamer agierte und leiser wurde. Wenn man dann drinnen vor dem Kamin saß, eingemummelt in eine Decke und hinaus in die Nacht sehen konnte… gab es etwas Schöneres? Letztes Jahr war es bei uns besonders chaotisch gewesen, da wir gerade erst zusammengezogen und noch am Einrichten und Auspacken waren. Mein Vater war vorbeigekommen und hatte uns etwas zu Essen mitgebracht. Das war unser erstes Weihnachten gewesen. Unorthodox, klein und gemütlich. Dieses Jahr hatten wir genügend Zeit die Weihnachtstage zu verplanen. Den 24. hatten wir für uns. Den 25. besuchten wir meinen Vater am Nachmittag und den Abend. Er hatte eine Küchenhilfe eingestellt, die ein wirklich leckeres Menü gezaubert hatte! Ich war hin und weg und so vollgefressen, wie schon lange nicht mehr. Mein Vater hatte einen Baum aufgestellt und wir saßen mit Tee, Kaffee und Keksen davor und sahen uns die üblichen Klassiker im Fernsehen an. Obwohl es nur für Max und meinem Vater Klassiker waren. Fernsehen war im Waisenhaus nicht drin gewesen. Die beiden erzählten von vergangenen Festen, von den Dingen, die immer schief liefen, egal wie gut man sie plante und von den Dingen, die unerwartet schiefgelaufen waren. So hatte Max’s Bruder, als er bereits sechs Jahre alt gewesen war, den Tannenbaum angezündet. Das Durcheinander war perfekt gewesen und alle verbachte den nächsten Tag komplett in der Kirche. Mein Vater musste von meinem ersten Weihnachten bei ihm zu Hause erzählen. Wie ich die Geschenke abgelehnt hatte, weil ich es nicht gewohnt war und dachte, er wollte mich bestechen. Ich fand das durchaus nachvollziehbar! Max lachte nur und hielt sich den Bauch. Später am Abend, überreichte er mir ein kleines Geschenk und bat mich nicht zu denken, dass er mich bestechen wollte. Dazu zwinkerte er und grinste. Selbst wenn ich es nicht gedacht hätte, dachte ich es zu mindestens jetzt! Argwöhnisch öffnete ich die Schachtel und fand die Uhr darin, mit welcher ich geliebäugelt hatte. „Bist du verrückt?“, fragte ich ihn entgeistert, da ich wusste, wie teuer sie war. „Es ist ein Geschenk von uns beiden“, sagte Mael und lächelte zuckersüß. Mein Vater nickte. Es beruhigte mich, dass Mael nicht allein eine so hohe Summe ausgegeben hatte und da es Weihnachten war, blieb ich milde gestimmt. Sie hatten es gut gemeint und sich etwas Praktisches für mich überlegt. Diese Art der Mühe wollte ich würdigen. Schöner war es als ich Max sein Geschenk überreichte. Es war eine Reise. Ein Kurztrip dorthin, wo man im Warmen vor einem Kamin sitzen konnte, während es draußen schneite. „Ich habe auch mit meinem Vater zusammengelegt“, sagte ich auf sein sprachloses Gesicht hin. „A-Aber das ist so weit weg. Können wir das wirklich machen?“, fragte Max nach. „So weit weg ist es auch nicht“, sagte McFloyd. „Er ist noch nie außerhalb des Landes gewesen“, sagte ich zu meinem Vater. „Ohh, nun dann, ist es ein kleines Stückchen weit“, beteuerte McFloyd mit einem Lächeln. „Es wird eine gute Übung sein“, fügte ich noch hinzu und Max sah mich fragen an. „Für die Flitterwochen. Ich kann es ihm leider nicht ausreden, dass er sie uns schenken will.“ „Aber du musst nicht!“, insistierte nun auch Max und mein Vater hob beschwichtigend die Hände. „Das ist schon okay. Drei oder vier Wochen auf den Malediven oder Hawaii ist das Mindeste.“ Man kann sich denken, was das für eine Diskussion ausgelöst hat. Ich hielt mich raus und sah zu, wie zwei Sturköpfe gegeneinander argumentierten. Insgeheim stimmte ich Max zu. Es gab scheinbar wirklich jedes Jahr etwas, mit dem man nicht rechnete und was die besinnliche Stimmung in Aufruhr versetzte. Wenngleich diese Argumentation nichts im Vergleich mit dem war, was die beiden bereits erlebt hatten. Oder mit dem Anruf von Maels Mutter, den dieser auf Laut stellte und mein Vater und ich zugleich mit den Augen rollten. Da Weihnachten war, lasse ich die unschönen Ausdrücke mal weg. Sie war nicht nur uneinsichtig, sondern auch stur. Nun wusste ich, von wem Mael das hatte. Jedoch reichte es mir nach fünf Minuten Monolog und ich nahm das Handy zur Hand. „Sie haben sich das ganze Jahr nicht bei ihrem Sohn gemeldet und erwarten nun, dass er tut und macht. Aber Max ist alt genug, um selbst zu entscheiden und sofern Sie nicht zu Kreuze kriechend ankommen und um Verzeihung für ihre Uneinsichtigkeit bitten, bitte ich Sie uns nicht mehr zu behelligen, ansonsten sehe ich mich gezwungen, eine Anzeige wegen Belästigung aufzugeben.“ Ich legte auf. Mein Vater lächelte schief und nickte erfreut, während Max sprachlos war. „Du weißt schon, dass das nie passieren wird“, bemerkte er schlicht. Ich zuckte mit den Schultern. „Darum habe ich es ja gesagt“, antwortete ich und brachte ihn zum Lachen. Am 26. besuchten wir Elias zum Mittagessen. Er, seine Frau und die Kinder waren quietschfidel. Das Essen war köstlich und im Anschluss gingen wir spazieren. Es war immer noch lausig kalt und die wenigen Pfützen und Wasserstellen im Park waren alle zugefroren. Die Temperaturen lagen seit Tagen im Minusbereich, aber der Himmel blieb sternenklar und wolkenfrei. Schnee schien noch lange nicht in Sicht. So konnte ich mich nur amüsieren wie Max sich, wider besseren Wissens, von den Kindern mit auf die Pfützen und glatten Stellen zerren ließ und sich nacheinander hin packte. Elias zügelte seine Wildfänge und ich half meinem Liebsten zurück auf die Beine. Er rieb sich die Hüpfte. Das war das einzig gute an dieser Jahreszeit. Man konnte die blauen Flecke, die er von mir oder einem Sturz erhielt, kaum unterscheiden. Nachdem wir bei Elias fertig waren, konnten wir gleich weiter zum Weihnachtstreffen mit Maels Freunden. Sie machten es dann und wann mal, aber dieses Jahr hatten sie sich noch nicht sehr häufig gesehen, also wurde es kurzerhand ein Weihnachtsessen. Max war nicht gerade guter Dinge, wo ihm alle Knochen weh taten und wir noch ziemlich satt vom Mittagessen waren, aber ich lernte, dass es am Abend des 26. vielen so ging. Die Feiertage hindurch hatte es nur Essen gegeben und nun war jeder so satt, dass niemand mehr etwas hätte essen können. Und trotzdem bestellten wir uns etwas und überraschenderweise passte alles noch rein. Ich nahm mir vor für nächstes Jahr weniger zu essen. Oder besser noch, gar nicht hier zu sein. Die Besuche und Anstandsbesuche waren zwar okay, aber es schien unhöflich gerade jetzt etwas Dargebotenes abzulehnen. Wenngleich es Spaß machte mit Freunden und Familie die Feiertage zu verbringen, war mir etwas mehr Ruhe lieber. Wie gesellig es auch sein mochte, tat es auch gut, wenn alles wieder etwas ruhiger wurde. Der Abend mit meinem Vater war ausgelassen und lustig geworden, wenngleich der Abschied etwas anhänglich wurde. Die Nostalgie machte ihm jedes Jahr zu schaffen. Aber zu dritt war es ganz angenehm gewesen. Elias Kinder waren bezaubernd und sehr einnehmend gewesen. Ganz der Vater. Maels Freunde waren aufgedreht und hatten mir gezeigt, dass die Facetten von Freundschaften zahlreich sein können. Es brachte mich zum Nachdenken. Ob ich vielleicht mehr Freunde gehabt hätte, wenn ich diese Weisheit früher erlangt hätte? Ich schüttelte meinen Kopf und sah zu wie Mael mit den Tassen zu mir kam. Es war jetzt nicht mehr wichtig, was damals alles hätte anders laufen können. Dieses Jetzt war schließlich nur entstanden, weil ich war wie ich war. „Danke“, sagte ich und nahm ihm die Tasse ab. Max stellte seine auf den Boden und setzte sich neben mich. Ich nippte am heißen Getränk und beobachtete ihn von der Seite. Eigentlich wollte ich darüber erst zu Silvester reden, aber irgendwie war die Stimmung gerade passend. Es war schlecht zu beschreiben. Einfach nur ein Gefühl der Wärme in meiner Brust und der Freude, die mir sanft durch den Körper kribbelte. Ich stellte meine Tasse zu der von Max und krauchte hinter ihn. Meine Arme umschlangen ihn und ich zog ihn zwischen meine Beine. Brust an Rücken schmiegte ich mein Gesicht gegen seine Haare und gab ihm einen Kuss in den Nacken. „Ich liebe dich“, sagte ich leise. „Ich liebe dich wirklich sehr, Mael.“ Das Gefühl der Liebe in mir war schon lange präsent und trotzdem konnte ich es nicht besser ausdrücken als so. Die Worte „Ich liebe dich“ schienen mir aber nicht genug zu sein. Sie kategorisierten, was ich fühlte, aber nicht das Ausmaß dessen. Mir selbst fiel es schwer, es zu beschreiben. Es war halt nur ein Gefühl. So wie der feste Herzschlag, wenn ich ihn sah. Die Sicherheit, die ich fühlte, wenn er da war. Die Tollkühnheit, dass ich alles für ihn tun würde. Die Gewissheit, dass er mir verzeihen würde, egal was ich tat. (Außer ich trieb es zu bunt, dann würde er mich schelten.) Ich konnte Ich sein. Es fühlte sich rein und klar an. Wie, wenn man durch einen 100% reinen Kristall sehen würde oder auf eine komplett stillstehende Wasseroberfläche sähe, in der sich der Himmel spiegelte. Ich spürte Maels Reaktion. Das überraschte Anspannen, die unsichere Pause, was kommen würde, und das entspannte Entgegenlehnen. Mehr brauchte es nicht und dieses Gefühl blühte in mir auf. Direkt in der Brust, beim Herzen und verschlang mich ganz. Wer auch immer gesagt hatte, Liebe machte schwach und stark zugleich, musste genau dieses Gefühl gemeint haben. „Und darum muss ich dich nochmal fragen, ob du dir wirklich sicher bist mit deinem Antrag.“ „Hä?“, entkam es Max und er spannte sich an. „Wie meinst du das?“ Er machte Anstalten sich umzudrehen. Doch ich verharrte in meiner Pose und ließ meinen Kopf schwer auf seiner Schulter liegen. „Genauso. Ich weiß, du liebst mich, aber reicht dir das, um dich fest an mich zu binden? Heutzutage gibt es zahllose Pärchen, die sich gleich wieder scheiden lassen.“ „Halt! Stopp. Warte mal“, sagte Max nun ernster und entwand sich meiner Umarmung. „Was ist hier los?“, fragte er und sah mich grimmig und ernst an. In seinen Augen sah ich Stärke, aber auch einen Funken Unsicherheit. Ich schmunzelte für mich. Irgendwie hatte ich es erwartet. „Wenn du denkst, dass ich dich nur gefragt habe, weil ich keinen Streich zum 30. haben will, irrst du dich. Von mir aus können wir auch danach heiraten. Es kümmert mich nicht, was meine Kollegen veranstalten und ob ich Mehl fegen muss.“ „Oh? Nicht?“, sprang ich auf seinen Gedankenzug mit auf. „Warum hast du mich sonst an deinem Geburtstag gefragt?“ Mael schluckte. Die Frage schien ihn getroffen zu haben. „Weil die Stimmung richtig schien“, antwortete er kleinlaut. „Mhm. Das denke ich gerade auch“, sagte ich und schenkte ihm ein Lächeln, dass ihn noch mehr zu verwirren schien. „Und warum redest du dann von Scheidung und ob ich mir sicher bin? Ich BIN mir sicher, Josh! Ich muss dich auch nicht heiraten, wenn du nicht willst, aber ich dachte… ich, naja, würde dich gerne ganz für mich haben. Und ein Ring an deinem Finger sieht wirklich gut aus. Und er würde sagen, dass du mir allein gehörst“, erwiderte Mael und wurde nervöser und röter im Gesicht. „Wegen der Gerüchte und den vielen Frauen, die mir immer noch hinterher gucken?“, fragte ich amüsiert nach. Ich fühlte mich geschmeichelt, vor allem wenn wirklich jemand vorbeikam und fragte, ob ich tatsächlich in einer Beziehung wäre. Es machte mir nichts, ihnen die Wahrheit zu sagen und ihre Hoffnungen zu zerbrechen. Nur hatte ich oder besser Elias bemerkt, dass Max sich diese unbedeutenden Aktionen noch immer zu Herzen nahm. Selbst nachdem wir verlobt waren. „Ach die… die bedeuten doch nichts“, sagte Max und schielte flunkernd zur Seite, während seine Augenbrauen sich leicht verärgert nach unten zogen. Gott, war er nicht allerliebst? Ich beugte mich vor und küsste ihm die kleine Falte zwischen den Augenbrauen fort. Meine Hand an seinem Kinn, hob ich es sanft an und küsste ihn auf die Lippen. Mael schloss die Augen und lehnte sich in den Kuss. Ich vermutete, dass er diese Momente ebenso sehr genoss wie ich. „Wenn sie nichts bedeuten, warum ärgern sie dich immer noch?“, fragte ich gegen seine Lippen. „Es stört mich halt, wenn sie dir so lüstern nachsehen“, antwortete Max gegen meine. Ich schmunzelte und brachte etwas Abstand zwischen uns. „Aber ich gehöre doch schon dir. Mit jedem Fehler, den du finden kannst“, gab ich schmunzelnd zu. „Wenn ich dir nur mit Worten beschreiben könnte, wie sehr ich dich liebe, könnte ich dir sicherlich auch diese letzten Flausen austreiben. Andererseits ist es unheimlich süß, wenn du dich wegen solcher Nichtigkeiten für mich einsetzt.“ Max zog eine Schnute und wurde noch etwas roter um die Nase herum. Selbst seine Ohrenläppchen verfärbten sich etwas. „Spinner. Dann hast du nur gefragt, um mich aufzuziehen? Du bist so blöd, ey. Jagst mir am letzten Weihnachtsfeiertag einen solchen Schrecken ein. Weißt du, wie sehr mir das Herz in die Hose gerutscht ist?“ „Ich kann es mir vorstellen“, gab ich zu. Meine Hand verließ sein Kinn und strich sanft über seine warme Wange. „Aber ich bin etwas zwiegespalten“, begann ich und sah, wie Mael sich erneut anspannte. „Weihnachten ist das Fest der Liebe. Ein christliches Fest und was nicht noch alles. Ich war froh, als du sagtest, du musst es nicht traditionell feiern. Ich mag das Essen und die Besinnlichkeit. Aber jemanden unbedingt etwas schenken zu müssen, sich mit allen verstehen zu müssen und einen unausgesprochenen Frieden zu wahren, selbst wenn ein keinen gibt, finde ich einfach nur nervig und anstrengend. „Ich möchte jeden Tag mit dir genießen und nicht erst auf das nächste Fest warten, um dir etwas schenken zu können. Trotzdem war die Stimmung gerade so angenehm, dass ich nicht umhinkam und dachte, dass ich dir trotz allem noch ein Geschenk machen müsste.“ „Indem du mich in Panik versetzt und mich denken lässt, du löst die Verlobung?“, fragte Mael grimmig und sah mich verärgert an. Ich lachte, denn es war wirklich nicht die feine Art gewesen. Das Gespräch hatte sich ergeben und ich hatte seine Reaktionen auskosten wollen. „Der Antrag ist das eine und du kannst dir sicher sein, dass du mich nicht mehr loswirst, selbst wenn du den Antrag zurückziehst.“ „Aber?“, fragte Mael ungeduldig nach. „Ich will gut genug für dich sein“, gab ich zu und konnte die Unsicherheit kaum mit meinem Lächeln verbergen. „Ich will ein guter Ehemann sein, aber auch dein Freund, dein Lover, jemand der dich weiterbringt und nicht festkettet. Ich weiß, dass du nichts davon von mir verlangst, aber gerade deswegen dachte ich, will ich dir zeigen, dass du dich auf mich verlassen kannst.“ Mael nahm meine Hände in seine und legte sie an seine Wangen. Er küsste meine Handflächen und schenkten mir einen Blick, der mir eine Gänsehaut bescherte. Dann krauchte er zurück in meinen Schoß, sodass ich meine Arme wieder um ihn legen konnte. Zurück in unserer Ausgangsposition schmiegte ich mich an ihn und küsste ihn erneut den Nacken. „Du weißt, dass du nichts davon tun musst, aber immer all das für mich sein wirst, nicht wahr?“, fragte Mael und legte seine Hände auf meine Unterarme. „Ich weiß“, sprach ich in seine Haare hinein. Für einen Moment kehrte Stille ein. Es war angenehm und für mich der Inbegriff von Besinnlichkeit. „Und? Was hast du dir nun überlegt?“, fragte Max in die Stille hinein. Ich musste grinsen. Hatte er es doch nicht überhört. „Was meinst du?“, fragte ich dennoch nach und erntete ein Seufzten. „Es klang so, als hättest du noch ein Geschenk für mich. Etwas ungeplantes“ Ich zog ihn enger in meine Arme und murrte zustimmend. „Also? Was ist es?“ Mael klang etwas genervt. Vielleicht weil ich nun schon zwei Mal meine Scherze mit ihm getrieben hatte? „Nur eine Kleinigkeit. Ich habe nicht mal eine Karte oder so was, aber ich dachte mir schon eine Weile lang, dass ich dir das sagen wollte und heute schien mir der rechte Moment zu sein.“ Max schnaufte. Sicherlich weil dieser „rechte Moment“ mit einer mittleren Panikattacke seitens Maels daherkam und er mir diesen Spaß so schnell nicht verzeihen würde. Da war ich mir ziemlich sicher. „Okay, ich bin ganz Ohr.“ „Wenn du magst, können wir meinen Geburtstag ab nächstem Jahr gerne feiern. Aber bitte nichts Großes. Mir reicht es eigentlich, wenn es nur wir zwei sind. Und vielleicht der alte Mann, wenn es sein muss“, fügte ich zerknirscht hintenan. Würde ich ihn auslassen, würde er nur wieder schmollen und keiner mochte schmollende Eltern. Max indes war still geworden. Ich bemerkte erst jetzt, dass er nicht atmete. Hielt er die Luft an? „Mael?“ Meine Nachfrage brachte ihn dazu sich ans Atmen zu erinnern. Im Buchteil einer Sekunde hatte er sich in meinen Armen umgedreht und starrte mich von Nahem an. „Das nennst du klein?“, fragte er und küsste mich. „Trottel! Gott, an dir ist wirklich jeder Sinn von Vernunft verloren gegangen“, schimpfte er weiter und zog mich in eine feste Umarmung. „Findest du? Ich denke, ich bin ziemlich normal.“ „Hirnloser Dilettant! Ich liebe dich!“ Etwas später hatten wir uns auf die Couch gesetzt. Wie eben zog ich Max in meine Arme und wir sahen einen der vielen Weihnachtsfilme im Fernsehen. Kaum zehn Minuten später spürte ich mehr Gewicht auf mir ruhen. Ich sah zu Max runter und spürte seine ruhige, gleichmäßige Atmung unter meiner Hand. Ein lächeln stahl sich auf meine Lippen. Vorsichtig zog ich ihn näher an mich, sodass er bequem lag. Mein Blick glitt zum Lebkuchenherz, welches wir als Deko an einem Bilderrahmen gehängt hatten. Wie schön es war, wenn ich die ganze Welt in meinen Armen halten konnte. Ich sah zum Fenster. In der Dunkelheit regte sich etwas. Lautlos schwebten sie zu tausenden herab und ich freute mich darauf, die neue weiße Welt später Mael zeigen zu können. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)