Hand Overs von DuchessOfBoredom (Seto x Duke) ================================================================================ Kapitel 5: A jacket, a number and a secret ------------------------------------------ Das Klingeln seines Handyweckers riss Duke pünktlich um sieben Uhr aus dem Schlaf. Langsam richtete er sich auf und streckte sich, um die Schmerzen in seinem Nacken und seinen Schultern zumindest ein wenig zu lindern. Nächte auf der Couch kamen zwar hin und wieder vor, aber sein Körper machte ihm doch jedes Mal aufs Neue deutlich, dass sie besser eine Ausnahme bleiben sollten. Das edle, dunkelblaue Jackett – Kaibas Jackett –, mit dem er sich zugedeckt hatte, war im Laufe der Nacht von seinen Schultern gerutscht, ein Ärmel schleifte zur Hälfte auf dem Fußboden. Vorsichtig nahm er das Kleidungsstück auf, strich mehrmals über den Stoff, um den Staub zu entfernen, und entließ dabei ein langgezogenes Seufzen. Was sollte er denn jetzt damit machen? Es Kaiba zurückgeben, klar soweit, aber wie? In die Schule konnte er es nicht mitnehmen, das würde viel zu viele Fragen aufwerfen. Sollte er einen Termin bei Kaiba machen und es ihm ins Büro bringen? Aber was sollte er als Grund nennen? Nein, das funktionierte ebenfalls nicht. Schwerfällig stand er auf, zog seine Schuhe an und hing das Jackett zurück an den Kleiderständer. Erstmal abwarten und schauen, was Kaiba tat, wenn sie sich nachher in der Schule begegnen würden. Wie er reagieren würde. Ob er reagieren würde. Am Ende betrachtete Kaiba das Ganze als dummen Fehler, den es totzuschweigen und schnellstmöglich wieder zu vergessen galt. Ein kurzes, bitteres Schnauben entwich ihm. Das Ganze … als wäre irgendetwas Weltbewegendes passiert! Er schüttelte leicht den Kopf. Sie hatten Händchen gehalten, mehr nicht! Anders ausgedrückt: Es war rein gar nichts passiert! Und das würde Kaiba vermutlich auch so sehen. Mit einem tiefen Seufzen verließ er den Raum und lief über den Gang in die Kaffeeküche, um sich die erste, dringend benötigte Ration zuzubereiten. Die routinierten Handgriffe zum Befüllen der Kaffeemaschine trugen seine Gedanken wie von allein zum gestrigen Abend zurück, als er sie das letzte Mal ausgeführt hatte. Nicht viele Menschen trinken um diese Zeit noch Kaffee. Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Wie sie nebeneinander an der Arena gelehnt, der Stille gelauscht und jeder für sich, aber doch gemeinsam ihren Gedanken nachgehangen hatten … mit Kaiba Kaffee zu trinken und dabei einfach nur zu schweigen war – überraschenderweise – nicht die schlechteste Art einen Abend zu verbringen. Apropos: Die beiden leeren Kaffeebecher standen vermutlich immer noch unten. Da der Kaffee ohnehin noch ein paar Minuten brauchte, bis er durchgelaufen war, nutzte Duke die Zeit, stieg die Treppen hinunter und entdeckte in der Tat die zwei Tassen auf dem Beistelltisch, auf dem sie sie gestern zurückgelassen hatten. Mit einer Hand nahm er beide auf einmal an den Henkeln und schüttelte versonnen den Kopf. Wenn er irgendwem von dem erzählen würde, was letzte Nacht geschehen war, man würde ihn für verrückt halten! Sein Blick glitt über die Arena. Dunkelheit. Sternenhimmel. Kaltes, glattes Glas unter ihm. Weiche, warme Haut unter seinen Fingerspitzen. Ein Zucken ging durch seine Hand und das Geräusch der zwei gegeneinander klackernden Kaffeebecher katapultierte ihn aus der Erinnerung zurück in die Realität. Kaffee. Sicherlich war die Maschine schon durch. Zwei Stufen auf einmal nehmend ging er wieder nach oben, stellte die zwei Tassen in den kleinen Geschirrspüler und füllte seine erste Tagesdosis Koffein in einen Thermobecher ab. Zurück im Büro nahm er das Jackett vom Kleiderständer, faltete es zusammen, packte es so vorsichtig wie möglich in seinen Rucksack und machte sich in Rekordgeschwindigkeit auf den Weg nach Hause, wo er wie der Teufel durch die Zimmer jagte, um es noch irgendwie pünktlich zur Schule zu schaffen: Schlafzimmer – Jackett raus aus dem Rucksack, Wohnzimmer – Schulbücher rein, Küche – Lunchbox mit Resten vom Vortag, Bad – Katzenwäsche, Schlafzimmer – Schuluniform, Flur – Schuhe an, Schlüssel geschnappt, raus aus der Tür und wieder ab aufs Fahrrad. Drei Minuten vor Unterrichtsbeginn stürmte Duke regelrecht ins Klassenzimmer. Suchend sah er sich im Raum um, doch das nervöse Flattern in seinen Eingeweiden, das mit jedem Meter, den er sich der Schule und dem Klassenzimmer genähert hatte, immer stärker geworden war, erstarb augenblicklich: Der vorletzte Tisch in der zweiten Reihe von rechts war verwaist. An seinem eigenen Platz angekommen stellte er seinen Rucksack geräuschvoll ab und zerrte den Reißverschluss beinahe gewaltsam auf. Kaiba war nicht da. Das Japanisch-Buch knallte auf den Tisch. War doch nichts dabei! Zischend landete der Schreibblock darauf. Kam doch immer mal wieder vor, dass er später oder gar nicht in die Schule kam! Das Mäppchen mit den Stiften rollte beinahe von der Tischplatte, so schwungvoll wurde es aus dem Rucksack befördert. Ganz bestimmt hatte es nichts mit letzter Nacht zu tun! Das Stundenklingeln ertönte und mit einem langgezogenen Ausatmen ließ Duke sich auf seinen Stuhl fallen. Ganz bestimmt nicht … „Glaubt ihr, die Hafenöffnung von 1853 wird dran kommen?“ „Sicher, die war doch einer der zentralen Punkte!“ Die letzte Stunde vor der Mittagspause war Geschichte gewesen und auf dem Weg zum Schulhof diskutierten Yugi, Tea und Ryou aufgeregt über den Inhalt der soeben für übernächste Woche angekündigten Klausur. Tristan und Joey stritten derweil darüber, wer von ihnen Teamkapitän der Klasse für das schulinterne Volleyball-Turnier sein sollte: „Aber ich hab doch viel mehr Erfahrung mit Ballsportarten als du!“ „Ach, red keinen Scheiß, Tris, ich bin durch meine natürlichen Führungsqualitäten prädika-, … prädyne-, … präd- … wesentlich besser geeignet!“ An Duke zogen die Worte und Satzfetzen einfach vorbei, während er den anderen fast schon mechanisch folgend die Treppen hinunterstieg. Kaiba war noch immer nicht aufgetaucht; vermutlich würde er heute also gar nicht mehr in die Schule kommen … „Alles okay, Duke?“ Sein Name aus Yugis Mund ließ ihn unwillkürlich zusammenfahren. „J-ja, wieso?“ „Weil du gerade geseufzt hast wie ein schwerverliebtes Mädchen, das seinen Schwarm vermisst!“, schaltete sich Joey dreckig grinsend ein und knuffte ihn in die Seite. „Ach, du hast sie doch nicht mehr alle!“, widersprach er schnell und mit einem vehementen Kopfschütteln, „Ich hab nur drüber nachgedacht, wie viel heute Nachmittag noch im Laden zu tun ist, das ist alles.“ Zum Glück neigte er nicht dazu rot zu werden! Joeys Treffsicherheit bei gleichzeitiger kompletter Ahnungslosigkeit war manchmal beinahe unheimlich. (Auch wenn der Vergleich mit einem Mädchen – noch dazu einem verliebten – natürlich extrem weit hergeholt war!) „Na gut, ausnahmsweise glaube ich dir mal.“ Joey faltete die Hände vor der Brust und fügte gleich darauf mit einem breiten Grinsen und gespielter Mädchenstimme hinzu: „Aber wenn ich sehe, dass du Tsuzuki schöne Augen machst, mein Lieber, dann haben wir ein Problem, der gehört nämlich mir!“ Der Satz endete in einem kaum unterdrückten Prusten. Spätestens jetzt konnte sich auch Duke ein Grinsen nicht mehr verkneifen. „Idiot!“ An ihrer üblichen Sitzgruppe angekommen packten sie ihre Lunchboxen aus und begannen zu essen. Für den Augenblick herrschte gefräßige Stille, sodass Duke genau wie Tristan und Tea sein Handy hervorzog. Nachrichten hatte er keine erhalten, aber über dem E-Mail-Symbol leuchtete eine rote Fünf. Mit routiniertem Blick scannte er die Absender und Betreffzeilen und blieb bei einer ganz bestimmten Mail hängen: Von: 'headoffice@kaibacorp.jp' Betreff: Kurzfristiger Termin heute Nachmittag? Er schluckte und sein Herz begann schneller zu schlagen. Sehr geehrter Mr. Devlin, Mr. Kaiba würde es sehr begrüßen, wenn Sie sich heute Nachmittag um 17:30 Uhr in seinem Büro einfinden könnten. Und bringen Sie ‚es‘ bitte einfach mit – Mr. Kaiba sagte, Sie wüssten schon, was gemeint ist. Falls Sie es nicht einrichten können, geben Sie mir bitte umgehend Bescheid, damit ich mich schnellstmöglich um einen alternativen Termin bemühen kann. Mit freundlichen Grüßen Ana María González, Assistenz der Geschäftsführung i.A. Seto Kaiba, CEO Er überflog den Text noch ein zweites, dann ein drittes Mal und mit jedem Mal löste sich der Knoten in seiner Magengegend etwas mehr. Kaiba wollte ihm nicht aus dem Weg gehen, im Gegenteil! Seine Abwesenheit heute in der Schule hatte also wirklich nichts mit dem zu tun, was gestern zwischen ihnen passiert war! … oder aber Kaiba wollte einfach nicht in der Schule darüber reden. … am Ende wollte er vielleicht gar nicht darüber reden. … wollte er selbst überhaupt darüber reden? Duke schluckte noch einmal schwer, doch der Kloß, der sich in den letzten paar Sekunden in seinem Hals gebildet hatte, blieb. Mit fahrigen Bewegungen tippte er eine kurze Antwort zur Bestätigung und überprüfte sie noch zwei Mal auf Fehler, bevor er schließlich auf ‚Senden’ drückte. Um ein Haar wäre ihm das Telefon aus der Hand geglitten, als er es zurück in die Tasche seiner Uniformjacke stecken wollte, doch im letzten Moment konnte er es gerade noch so festhalten und eine Begegnung mit dem harten Asphalt verhindern. „Ffleffte Nahrifften?“, fragte Tristan schmatzend und sah ihn, genau wie die anderen, prüfend an. „Was?“ Es war, als würde er aus einer Trance erwachen. „Nein, nur ein spontaner Termin. Muss ein bisschen umdisponieren.“ „Ah, okay“, nickte Tristan und wandte sich wieder seinem Essen zu. Langsam kehrten die anderen zu ihren Gesprächen zurück und Duke musste sich regelrecht zwingen, sich daran zu beteiligen. So wie er sich hier gerade anstellte, war es wohl besser, das Grübeln darüber, was an diesem Nachmittag noch passieren oder nicht passieren mochte, auf später zu verschieben, wenn er alleine war und kein weiteres Misstrauen erregen würde. Mit ungewöhnlich großer Ungeduld fieberte Duke dem Klingeln entgegen, das den Schultag offiziell beschloss und fuhr statt in den Laden direkt nach Hause. Nicht nur, um das gewünschte ‚Es‘ zu holen, sondern auch, um sich noch einmal umzuziehen. So weit kam es noch, dass er in der Kaiba Corporation in Schuluniform auflief! Nach einigem Hin- und Herüberlegen entschied er sich für eine schwarze Jeans, ein dunkelgrünes Hemd, dessen Ärmel er bis zu den Ellenbogen hochkrempelte, sowie eine graue Anzugweste – insgesamt nicht zu förmlich, aber durchaus businesstauglich. Kaibas dunkelblaues Jackett hatte er heute Morgen in seiner Hektik nur schnell auf sein Bett geworfen und nahm es nun erneut in die Hand, um es (vermutlich) zum letzten Mal in seinen Rucksack zu packen. Noch immer verströmte der Stoff jenen angenehmen Geruch, der ihn gestern so sehr eingenommen und heute Nacht so selig hatte einschlafen lassen. Unbewusst atmete er tiefer ein, ertappte sich jedoch dabei und stopfte das Kleidungsstück umso schneller in den Rucksack, bevor er sich erneut auf den Weg machte. Um 17:20 Uhr erreichte Duke den KC Tower. An der Seite des Gebäudes entdeckte er eine Reihe von Fahrradständern und fand zum Glück noch einen freien Platz, um sein Rad anzuschließen. Mit klopfendem Herzen betrat er das riesige, gläserne Gebäude, in dem sich der weite Vorplatz, die gegenüberliegende Häuserzeile und die langsam untergehende Sonne spiegelten. Auch um diese Zeit herrschte noch reges Gewusel im Eingangsbereich, wichtig aussehende Männer in Anzügen und Frauen in Kostümen wuselten von A nach B, saßen telefonierend in einer der vielen Sitzgruppen, kamen mit einem Kaffee aus der angeschlossenen Cafeteria oder unterhielten sich beim Warten auf den Aufzug. Eine ähnliche Atmosphäre wie bei Industrial Illusions; ein bisschen einschüchternder vielleicht, aber das mochte zum einen daran liegen, dass hier nun mal nicht Los Angeles war und zum anderen, dass er keine Ahnung hatte, was ihm gleich bevorstand. Zielstrebig trat er zum Empfangstresen, gab an, wer er war und dass Mr. Kaiba ihn erwartete und bekam, nachdem der Mitarbeiter seine Angaben überprüft hatte, einen Besucherausweis ausgehändigt. Das Procedere war ihm bereits vertraut, war er doch vor ein paar Jahren schon einmal häufiger hier gewesen, als die Arenen für Dungeon Dice Monsters sich noch in der Entwicklung befunden hatten – damals allerdings meist in irgendwelchen Meetingräumen auf den mittleren Etagen, nur zwei Mal ganz oben in Kaibas Büro. Der Empfangsmitarbeiter mit dem Headset nannte ihm noch die Etagennummer und wies ihm den Weg zum richtigen Fahrstuhl. Der Weg nach oben war lang; Minuten vergingen, in denen immer wieder Leute ein- und ausstiegen, sodass Duke beinahe der Nacken schmerzte vom vielen stummen Nicken. Als nur noch zehn Etagen übrig waren, hatte er die Kabine endlich für sich und konnte ein letztes Mal sein Aussehen im Spiegel der Rückwand überprüfen. Mit kritischem Blick richtete er seinen Zopf und stopfte den Saum seines Hemdes noch einmal ordentlich in den Bund seiner Jeans – perfekt! Ein leises Pling, dann kam der Fahrstuhl zum Stehen, die Türen glitten auf und Duke trat hinaus in ein elegant eingerichtetes Vorzimmer. Er hatte kaum einen Fuß auf den hellen Teppich gesetzt, da sah Kaibas Sekretärin – eine andere als bei seinem letzten Besuch – schon von ihrem Bildschirm auf, nahm ihn mit einem freundlichen Lächeln in Empfang und bat ihn auf einem der Sessel Platz zu nehmen, die geschmackvoll um einen Couchtisch aus dunklem Holz herum arrangiert waren. Sie mochte vielleicht Ende zwanzig sein und war mit ihren langen, schwarz-glänzenden Haaren, die sie offen trug, sowie dem enganliegenden, weißen Etuikleid, das ihren etwas dunkleren Teint betonte, eine unbestreitbar attraktive Erscheinung. „Es wird noch einen Moment dauern, Mr. Kaiba telefoniert noch. Kann ich Ihnen so lange etwas zu Trinken anbieten? Kaffee, Tee, Saft, Wasser?“ Nicht viele Leute trinken um diese Zeit noch Kaffee. Mit einem kaum merklichen Kopfschütteln ließ er die Erinnerung los und erwiderte ihren fragenden Blick mit seinem charmantesten Lächeln. „Kaffee bitte, schwarz.“ Sie nickte und ging zu einer kleinen, vollautomatischen Kaffeemaschine auf einem Sideboard rechts von ihm und stellte eine Tasse darunter. Ein Piepen erklang, als sie den großen Startknopf drückte, die Maschine brummte leise und entließ gluckernd dunkle Flüssigkeit in das weiße Porzellangefäß. Wie oft sie wohl dasselbe für Kaiba tat? „Bitteschön.“ Das Klirren der gefüllten Tasse, die vor ihm abgestellt wurde, unterbrach seine Gedanken. „Vielen Dank.“ Ein paar Sekunden lang folgten seine Augen noch der schönen Assistentin, die sich wieder hinter ihren Schreibtisch setzte und leise weiter vor sich hin tippte, dann umfasste er mit klammen Fingern den Henkel der heißen Kaffeetasse und nahm sie in beide Hände. Diesmal atmete er ganz bewusst tiefer ein, um das vertraute Aroma in sich aufzunehmen, und ließ sich nach hinten in den weichen Sessel sinken. Nur monotones Tippen aus Richtung des Schreibtischs erfüllte den Raum. Das enorm große, abstrakte Gemälde an der gegenüberliegenden Wand strahlte eine wohltuende Ruhe aus, doch seine ganz und gar ruhelosen Gedanken sprangen zu schnell weiter, als dass es seine Wirkung wirklich entfalten konnte. Als die kleine Kaffeetasse geleert war, stellte Duke sie wieder auf dem Tisch ab und wollte sich gerade erneut zurücklehnen, da nahm er aus dem Augenwinkel wahr, wie die Assistentin das Telefon abnahm. „Sí, ya está esperando. Por supuesto, lo haré entrar*“, sprach sie in den Hörer und nickte, bevor sie wieder auflegte. „Ich helfe Mr. Kaiba, sein Spanisch zu perfektionieren“, erklärte sie mit einem amüsierten Schmunzeln in seine Richtung – anscheinend war ihm die Verwirrung nur zu deutlich ins Gesicht geschrieben gewesen –, stand auf und bedeutete ihm ihr zu folgen, „Er ist nun bereit, Sie zu empfangen.“ Obwohl er nicht zum ersten Mal in Kaibas Büro war, verschlug ihm der Eindruck des Raumes doch jedes Mal aufs Neue den Atem, hätte sein eigenes Büro im Laden doch in dieses mindestens fünf Mal hineingepasst. Zu seiner Rechten befand sich eine ausgedehnte Sitzecke bestehend aus zwei Sesseln und einer Couch, gruppiert um einen niedrigen Couchtisch, an den Wänden reihten sich Regale und Sideboards mit Büchern, Ordnern, ein paar Kunstobjekten und gerahmten Fotos aneinander. Die Fensterfront zu seiner Linken, vor der auch Kaibas massiver Schreibtisch stand, reichte vom Boden bis zur Decke und erstreckte sich über die gesamte Breite des Raumes, sodass es beinahe wirkte, als würden sie auf einer Plattform im Himmel schweben. Auf das leise Klicken der zufallenden Tür folgte nahezu absolute, erdrückende Stille. Langsam trat er auf den Schreibtisch zu, hinter dem Kaiba bereits stand und ihn mit versteinerter Miene ansah. „Setz dich!“ Duke entschied sich für den linken der beiden Sessel vor dem Tisch und stellte den Rucksack zwischen seinen Beinen ab. „Wir haben heute den ganzen Tag mit Hochdruck an einem Update-Patch gearbeitet“, fuhr Kaiba ohne Umschweife fort und öffnete routiniert den obersten Knopf seines dunkelgrauen Anzugs, als er sich ihm gegenüber in seinem Bürostuhl niederließ. „Heute Abend sollte er ausgerollt werden und damit diese überaus unerfreuliche Angelegenheit endlich ausgestanden sein.“ „Dir ebenfalls einen guten Tag, Kaiba!“, warf Duke frech grinsend ein, doch der vollkommen unbewegte Gesichtsausdruck seines Gegenübers ließ seine Mundwinkel umgehend wieder nach unten wandern. Er räusperte sich einmal leise. „Das … freut mich natürlich zu hören.“ „Du solltest das Update ebenfalls durchführen. Ich habe das Problem zwar gestern bereits behoben, aber der offizielle Patch ist noch etwas umfassender.“ Beim Wort ‚gestern‘ horchte Duke unweigerlich auf, doch Kaibas Blick blieb so kalt wie eh und je und ließ durch nichts erkennen, dass gestern mehr passiert war als die Reparatur der Arena. „Verstehe.“ „Außerdem erlischt sonst deine Garantie.“ „Alles klar.“ Der unsichtbare Knoten in seiner Brust zog sich immer mehr zu. Kaiba sprach nicht weiter, sondern sah ihn nur an; die Ungeduld in seinem Blick war unmissverständlich. Dukes Augenbrauen wanderten nach oben. „Mein Jackett!“, beantwortete Kaiba sogleich die unausgesprochene Frage. Die Worte klangen eisig und schneidend, keine Regung auf seinem Gesicht verriet auch nur im Entferntesten, was ihn gestern dazu bewogen hatte, besagtes Kleidungsstück zurückzulassen – noch dazu auf diese Weise. Dukes Herz krampfte sich zusammen. „Achja.“ Mit einem gezwungenen Lächeln beugte er sich nach unten, um seinen Rucksack zu öffnen, zog das Jackett daraus hervor und drapierte es behutsam auf Kaibas Schreibtisch. Mehrmals warf er dabei kurze, prüfende Blicke zu seinem Gegenüber, noch immer auf der Suche nach einem Zucken, einem Aufleuchten in den blauen Augen, irgendeinem Zeichen dafür, dass diese greifbare Erinnerung an den gestrigen Abend etwas in Kaiba auslöste. Doch nichts. Kaiba sagte kein Wort, bedankte sich nicht, sondern nickte einfach nur kurzangebunden. Ärger züngelte in Dukes Brust hoch wie eine Stichflamme. Offenbar wollte dieser verdammte Sturkopf wirklich so tun, als sei überhaupt nichts gewesen! Tja, das konnte er vergessen! „Weißt du, Kaiba“, begann Duke und lehnte sich absichtlich provokant auf den Tisch, „als du gestern einfach so unangekündigt bei mir aufgekreuzt bist, hätte ich echt nicht gedacht, dass ich das sagen würde, aber … ich für meinen Teil hatte eine überraschend gute Zeit. Also …“ Kurzerhand schnappte er sich den Stift und eines der vermutlich immens wichtigen Papiere, die vor Kaiba auf dem Tisch lagen, drehte es um und notierte seinen Vornamen und seine Telefonnummer auf die unbeschriebene Rückseite. „Hier.“ Mit einem Klicken versenkte er die Mine des Kugelschreibers und schob ihn zusammen mit dem Blatt über das glänzende Holz des Tisches zurück zu Kaiba. „Falls es mal wieder ein Problem mit den DDM-Arenen gibt, das du dir persönlich anschauen willst.“ Mit einem eiskalten, bedrohlichen Funkeln in seinen blauen Augen und ohne das Papier auch nur anzusehen, erhob sich Kaiba, zog das Jackett vom Tisch und strich es mit forschen Bewegungen glatt. „Vielen Dank für deine Zeit, Devlin, aber ich habe noch zu tun. Wenn du mich also jetzt bitte entschuldigen würdest?“ Gerade so konnte Duke ein entrüstetes Schnauben unterdrücken. Was für eine überaus charmante Art ‚Du kannst mich mal!‘ und ‚Verschwinde gefälligst aus meinem Büro!‘ zu sagen! „Aber selbstverständlich!“, gab er nicht weniger frostig zurück, stand ebenfalls auf und marschierte schnurstracks zur Tür. Was für eine Zeitverschwendung! Aber was hatte er erwartet?! Natürlich wollte Kaiba so tun, als wäre nie etwas passiert! Wirklich schade, er hätte nur zu gerne gewusst, wie es weitergeg- … „Devlin?“ Er war schon im Begriff gewesen die Türklinke nach unten zu drücken. Mit bebendem Herzen hielt er inne und sah noch einmal zu Kaiba. „Ich glaube, das ist deiner!“ Reflexartig fing er das kleine Objekt, das auf ihn zugeflogen kam, mit einer Hand auf: Es war der rote DDM-Würfel mit dem Schimmerdrachen; vermutlich war er noch in einer der Taschen des Jacketts gewesen. Er schüttelte leicht den Kopf und ein verwegenes Grinsen stahl sich auf sein Gesicht. „Weißt du was?“ Seine Augen blieben fest auf Kaibas fixiert, während er langsam zum Schreibtisch zurückging und den Würfel mit einem nachdrücklichen ‚Klack‘ auf dem Blatt mit seiner Handynummer ablegte. „Behalt ihn! Betrachte ihn als Andenken an unser kleines … Beinahe-Date.“ Duke überlief ein Schauer, als sich die Augen seines Gegenübers gefährlich verengten. Mit wenigen Schritten hatte Kaiba den Schreibtisch umrundet und baute sich mit verschränkten Armen unmittelbar vor ihm auf. Die plötzliche Nähe, Kaibas Wärme, sein Duft und seine schiere Präsenz vernebelten Duke für einen Moment die Sinne. „Beinahe-Date?!“ Kaibas drohend gesenkte Stimme holte ihn schlagartig zurück ins Hier und Jetzt. Seine Mundwinkel zuckten triumphierend nach oben. Na bitte! Endlich eine richtige Reaktion! „Deinen Sternenhimmel hast du doch bekommen, Devlin! Was hat deiner überaus qualifizierten Expertenmeinung nach denn noch gefehlt? Die Wiese?!“ Verärgerung, Hohn und kalter Spott schwangen in Kaibas Stimme, aber auch noch etwas anderes, das Duke erst nicht ganz zuordnen konnte: Ein feiner, kaum wahrnehmbarer Unterton, der die Härchen in seinem Nacken dazu brachte, sich aufzustellen. „Was gefehlt hat?!“, wiederholte er die Frage und packte Kaiba kurzerhand am Revers seines dunkelgrauen Maßanzugs. „Ganz einfach: Das hier!“ Ohne weiter darüber nachzudenken stellte er sich auf die Zehenspitzen und hauchte einen federleichten Kuss auf die Lippen seines Gegenübers. Derart überrumpelt zog Kaiba scharf die Luft ein, sein Kiefer spannte sich ebenso an wie seine Brustmuskeln, die Duke durch den Stoff des Anzuges hindurch spüren konnte, doch die Verkrampfung war nur von kurzer Dauer. Kaum eine Sekunde später bewegten sich Kaibas weiche Lippen sanft gegen seine und erwiderten den Druck vorsichtig und tastend. Siegesgewiss löste er den Kuss, bewegte seinen Kopf ein wenig zur Seite und flüsterte ganz nahe an Kaibas Ohr: „Schreib mir! Meine Nummer hast du ja jetzt!“ Dann ließ er von ihm ab und wandte sich zum Gehen. Das Letzte, was Duke sah, bevor er die Tür hinter sich zuzog, war das Funkeln der ersten Sterne am tiefblauen Abendhimmel und ein noch immer wie angewurzelt dastehender Kaiba, der sich gedankenverloren mit den Fingern über die Lippen fuhr. ~°~ „Naja, und der Rest …“ „… geht mich eigentlich auch gar nichts an!“, beendete Tea lächelnd seinen Satz. Wie lange sie da gesessen und regelrecht an Dukes Lippen gehangen hatte, konnte sie kaum sagen. Draußen dämmerte es jedenfalls bereits und wenn sie gleich nach Hause kam, würde sicherlich schon das Abendessen auf sie warten. „Danke, dass du das mit mir geteilt hast! Ich hatte ja keine Ahnung, dass …“ Seine Augenbrauen wanderten fragend nach oben, als sie stockte. „Ach, nicht so wichtig!“ Mit einem Kopfschütteln griff sie nach ihrer Tasche. „Wenn du meinst.“ Schulterzuckend erhob Duke sich ebenfalls und begleitete sie schweigend wieder nach unten. Ob er sich der Tatsache bewusst war, dass diese Geschichte etwas vollkommen anderes war, als die belanglosen Flirts und Abenteuer, in die er sich normalerweise stürzte? Vielleicht war er es, aber falls nicht, musste er es selbst herausfinden. Die Hinweise waren jedenfalls ganz eindeutig: Mehr als einmal hatten seine Augen beim Erzählen auf eine ganz bestimmte Art und Weise geleuchtet, hatte eine unglaubliche Wärme in seiner Stimme gelegen, war das sonst so prahlerische Grinsen einem echten Lächeln gewichen, das man in dieser Form nur selten bei ihm sah und das ihm zugegebenermaßen ausnehmend gut zu Gesicht stand. Nachdem sie sich voneinander verabschiedet hatten, wollte Tea schon durch die Ladentür nach draußen treten, da fasste Duke sie noch einmal am Arm und hielt sie zurück. „Ich kann mich doch darauf verlassen, dass das unter uns bleibt?“ Es war mehr Feststellung als Frage, doch sein ernster Blick und die Art, wie er es sagte – die Vorsicht und unterschwellige Skepsis, der Hauch von Verletzlichkeit in seiner Stimme – sorgte für einen kurzen Stich in ihrem Herzen. „Mach dir darüber mal keine Sorgen!“, lächelte sie und legte vertrauensvoll ihre Hand auf seine Schulter. „Von mir erfährt keiner auch nur ein Sterbenswörtchen!“ Ja, Tea Gardner wusste, wie man ein Geheimnis aufdeckt. Aber noch besser wusste sie, wie man eines behielt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)