Herzschmerzhelden von Maginisha ================================================================================ Kapitel 22: Für immer --------------------- „Ich kann’s nicht fassen“, murmelt Pascal und nimmt zur Sicherheit noch einen Schluck aus seinem bereits mehr als halbleeren Glas. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite fällt gelbliches Licht aus den Fenstern des „Ochsen“, Veranstaltungsort unseres wunderbaren Abiballs. Ursprünglich war zwar mal angedacht, das Ganze in der Turnhalle der Schule stattfinden zu lassen, aber nachdem jemand dort beim Abistreich mehrere Töpfe Fingerfarbe verschüttet hat, war unser Direx nicht geneigt, dieser Idee Folge zu leisten. Also hoppeln die Schüler unseres Jahrgangs nebst Eltern, Tanten, Onkeln und Verwandten in feiner Abendgarderobe über das Parkett der altbekannten Gaststätte und wir sitzen gegenüber im Rinnstein und finden es scheiße. Zumindest teilweise. Der Form halber. „Was genau?“, will Michelle wissen. Sie struggelt ziemlich damit, in ihrem kurzen Kleid eine bequeme Sitzposition zu finden. Besonders ihre Füße, die in feinen Absatzsandalen stecken, unterzubringen, ohne jedem, der vorbeiläuft, einen Blick auf ihr Höschen zu gewähren, ist wohl gar nicht so einfach. Am besten wäre wohl, wenn sie die Dinger einfach auszöge, aber ich glaube, das verstößt gegen irgendeinen geheimen Kodex. Immerhin hat sie sich ja auch genau wie alle anderen Mädchen eine mit ungefähr drei Tonnen Haarspray festzementierte Hochsteckfrisur machen lassen und sieht damit fünf Jahre älter aus, als sie eigentlich ist. Wir Typen eher weniger. Die meisten von uns wirken, als hätten sie irgendeinen größeren Verwandten aus seinem Anzug geprügelt. Ich auch, selbst wenn die Ärmel meines lichtblauen Sakkos dieses Mal vorzüglich gekrempelt sind. Pascal trägt dunkelblau und Fliege. Wie spießig!   „Na … alles!“, gibt mein glatt lackierter Freund höchst philosophisch zurück und schließt mit einer ausholenden Geste den „Ochsen“, uns und die halbe Straße mit ein. Ich persönlich denke ja, dass die mangelnde Genauigkeit von Bewegung und Aussprache im Inhalt des erwähnten Glases begründet liegt. Cola-Rum ist halt nicht für jedermann.   „Oder hättest du gedacht, dass wir heute hier alle so sitzen?“   Michelle, die vermutlich ebenfalls bemerkt hat, dass ihr Freund schon ziemlich weit auf dem Weg zu „stockbesoffen“ ist, grinst. „Nein, alle sicherlich nicht“, sagt sie und schickt mir einen vielsagenden Blick. Ich verstehe natürlich sofort, worauf sie anspielt, und strecke ihr, höchst erwachsen, die Zunge raus. Du mich auch, bitch! Ich hab das Abi gerockt. Klar, zwei Punkte über Durchfallen ist jetzt nicht so der Schnitt, aber hey: Bestanden ist bestanden. Danach kräht doch in ein paar Jahren kein Hahn mehr. Außerdem habe ich mich in den mündlichen Prüfungen echt angestrengt. Hab sogar vorher gelernt. Dass ich dann, statt, wie gehofft, Fragen zu Faust zu beantworten, auf einmal so ein blödes Sonett interpretieren musste, war ja nun wirklich nicht meine Schuld. Ich hab die Kurve zwar noch gekriegt, aber … ach egal. Reden wir nicht drüber. Lyrik ist eben einfach nicht mein Ding. „Achtung! Feind im Anmarsch!“, ruft Pascal plötzlich und deutet – dieses Mal relativ zielgerichtet – in Richtung Ochsen. Von dort ist tatsächlich jemand in unsere Richtung unterwegs. Jemand ziemlich Großes. Mein Herz beginnt schneller zu schlagen.   Bruno.   Seine Schritte sind beschwingt und er sieht ziemlich gut aus in dem dunklen Anzug mit dem schneeweißen Hemd. Sein eigenes, wie er mir erzählt hat. Sein Onkel hat ihm ein bisschen Vorschuss gegeben. Eigentlich für die Renovierung der Einliegerwohnung – das Ding ist wirklich winzig; nur ein Zimmer, eine spartanische Küchenzeile und ein Bad, bei dem man sich bereits die Hände waschen kann, während man noch auf dem Klo sitzt, mit einer winzigen Duschkabine, die beim nächsten Windhauch auseinanderzufallen droht und in die definitiv keine zwei Leute passen. Da jedoch der Herd noch seinen Dienst tut, die Tapeten noch an Wänden halten, für eine größere Dusche ohnehin kein Platz war und Bruno fand, dass es Wichtigeres gäbe als Gardinen und Teppichböden, hat er sich lieber ein Hemd gekauft. Ein richtig edles zu einem Preis, den er in den nächsten Wochen sicher noch bereuen wird. Sein Vater hat ihm nämlich verkündet, dass er von seinen Eltern keinen Cent Unterhalt bekommt. In meinen Augen ja ein Unding, aber meine Mutter hat gemeint, dass er da wohl das Recht auf seiner Seite hat. Solange sie Bruno weiterhin die Möglichkeit geben, zu Hause zu wohnen, müssen sie ihn nicht finanzieren.   „Aber Bruno kann dort nicht wohnen. Der Typ macht ihn fertig.“   Meine Mutter lächelt schmal.   „Das müsste Bruno aber beweisen und glaubst du wirklich, dass er das will?“   Natürlich ist mir ebenso klar wie ihr, dass er das nicht will. Oder nicht kann. Dieses hinterfotzige Arschloch hat ihn eiskalt ausgetrickst und kommt auch noch damit durch. Wobei meine Mutter Bruno wenigstens dabei geholfen hat, das Kindergeld umzumelden. Mehr war leider nicht drin, aber ich glaube, er kommt damit klar. Wenigstens wirkt er so, wie er da über die Straße geschlendert kommt, in der Hand seine eigene Fliege. Ebenfalls neu. Er sieht gut aus. „Hey Schönheit“, begrüße ich ihn und sehe, wie er die Lippen kräuselt. Eigentlich ist es ein bisschen leichtsinnig, dass er jetzt hier einfach so auftaucht. Wenn ihn jemand bei uns entdeckt, könnte er Verdacht schöpfen. Trotzdem kann ich mir nicht helfen. Ich freue mich, dass er da ist und rutsche ein symbolisches Stück beiseite, damit er sich neben mich setzen kann. „Hallo Honigschnäuzchen.“   Ich verziehe das Gesicht, weil er weiß, dass ich diesen Namen hasse. Den und alle weiteren, die er mir in den letzten Wochen verpasst hat, ebenso wie ich ihm. Es ist, als müssten wir uns selbst dran erinnern, dass wir so natürlich nicht sind. Außerdem regt es Pascal so herrlich auf, was er natürlich auch gleich wieder klarstellen muss. „Oh man, könnt ihr mal mit der Süßholzraspelei aufhören? Da kriegt man ja einen Zuckerschock.“   „Sprach der Mann, der sich mit Cola zusäuft“, kontert Bruno prompt und lässt sich ohne große Umschweife neben mir nieder. Dass er mich dabei nicht ansieht, sollte mich wohl stören, aber auch das kenne ich schon. Solche Intimitäten geben wir uns nicht in der Öffentlichkeit. Allein dass er hier ist, mitten auf der Straße, grenzt an ein Wunder.   „Gustav steht Schmiere“, erklärt er mir deswegen wohl auch, bevor ich fragen kann, wie ich zu der Ehre komme. „Er ruft an, wenn was ist.“   Ich nicke und denke, dass Bruno das wohl aus den Augenwinkeln heraus sehen wird. Dass Gustav uns hilft, ist ein feiner Zug von ihm. Auch wenn er sonst nicht so unbedingt einen Hehl daraus macht, dass er mich nicht leiden kann. Aber er akzeptiert, dass Bruno und ich zusammen sind. Und er hält dicht. Mehr kann ich wohl nicht verlangen.   „Kommst du nachher noch mit zu mir?“ Die Frage wird ja wohl immerhin erlaubt sein. Schließlich haben wir uns schon wieder fast drei Tage nicht mehr gesehen. Bruno musste arbeiten und ich …   „Ist deine Mutter nicht zu Hause?“   Ich mach ein unschuldiges Gesicht und ziehe eine Schnute. Denn in der Tat hat meine Mutter die Feier bereits in Richtung ihres Bettes verlassen. Ist ja auch schon nach Mitternacht. Allerdings …   „Ich hab den Schlüssel von der Wiesestraße mit.“ Wiesestraße. Die Straße, in der Herr Häberle gewohnt hat und somit die Straße, in der unser neues Haus steht. Weil meine Mutter nämlich geerbt hat. Ein ganzes Haus mit allem, was darin steht. Erst wollte sie das Ding ja gar nicht haben, zumal da offenbar ein ganzer Arsch an Erbschaftssteuer fällig wird, aber dann hat sie sich doch dafür entschieden. Weil ein Haus mit Garten halt schon immer ihr Traum war. Und vielleicht auch ein bisschen, weil sie das Gefühl hatte, es Herrn Häberle schuldig zu sein. Immerhin war es sein Wunsch, dass sie seinen Wohnsitz bekommt. Da wäre es wohl schlecht fürs Karma, das abzulehnen.   „Dein Ernst?“   Bruno schaut mich nun doch an, allerdings ein bisschen so, als wäre ich nicht ganz bei Trost. Liegt vielleicht daran, dass das Haus immer noch bis zum Rand vollgestellt ist mit Alte-Männer-Kram und es auch nur ein Alte-Männer-Bett gibt. Das ich, wohlgemerkt, heute Morgen frisch bezogen habe. Man weiß schließlich nie.   „Ihr seid echt abartig“, meldet sich Pascal noch einmal zu Wort. „Denkt ihr eigentlich nur an das Eine?“ „Nein, manchmal denken wir auch an das Andere“, gebe ich grinsend zurück und sehe zu, wie Pascal rosa um die Nase wird und Michelle den Kopf schüttelt. Als wenn die beiden nicht froh wären, wenn sie öfter ungestört sein könnten. Aber es stimmt schon. Wenn Bruno und ich alleine sind, tun wir kaum etwas anderes. Danach kuscheln wir. Und manchmal reden wir auch. Oder kochen zusammen. Bruno hat es sich nämlich zur Aufgabe gemacht, mir wenigstens die Grundlagen beizubringen. Was ich ja vollkommen unnötig finde, aber …   „Also, was ist nun?“, frage ich und lehne mich ein bisschen zu Bruno rüber. Meine Hand legt sich auf den warmen Asphalt und es dauert nicht lange, bis sich Brunos darüber schiebt. Von Weitem ist das nicht zu sehen, aber ich könnte seufzen, als sich unsere Finger miteinander verflechten. So gut!   „Kommst du nun mit?“   Bruno zögert. Höchstwahrscheinlich hat er sich zum Übernachten irgendwo anders einquartiert, weil es ihm immer noch unangenehm ist, bei mir zu schlafen, wenn meine Mutter zu Hause ist. Dabei hab ich ihr Oropax besorgt. Und Kopfhörer! „Wir könnten morgen gleich noch mit dem Einreißen der Wände weitermachen. Meine Mutter würde sich bestimmt freuen. Ich hol auch Brötchen zum Frühstück.“   So, das müsste jetzt aber endlich ziehen, denn mal abgesehen davon, dass Bruno sich vor meiner Mutter immer noch geniert wie ein kleines Mädchen, ist ziemlich schnell klar geworden, dass die beiden sich echt gut leiden können. Ich glaube, wenn es nach ihr ginge, würde sie Bruno an meiner statt adoptieren und mich an den nächsten Laternenpfahl binden. Endlich ein Mann im Haus, der keine zwei linken Hände hat. Der Möbel verrückt und Lampen anbringt und Getränkekisten in den Keller schleppt. Zum meinem Glück kann sie keine Seemannsknoten, sonst wäre ich echt verloren. „Ich muss morgen arbeiten“, wirft Bruno ein und mir gleichzeitig einen kurzen Seitenblick zu. Und natürlich weiß ich, was das heißt. Er will wissen, ob ich mich entschieden habe. Ich seufze lautlos und kämpfe gegen den Wunsch an, meine Hand zurückzuziehen. Denn nein, natürlich habe ich mich noch nicht entschieden, ob ich den Sommer über bei seinem Onkel arbeiten möchte. Obwohl er mir gesagt hat, dass er mir den Platz nicht ewig freihalten kann. Es gibt ne Menge Bewerber, die sich den Sommer über was mit Kellnern dazuverdienen wollen. „Er hat jetzt übrigens den Ausbildungsschein. Und er hat gemeint, dass er … vielleicht noch einen zweiten Azubi gebrauchen kann. Für den Service.“ Service. Allein bei dem Wort rollen sich mir die Fußnägel hoch. Denn im Grunde bedeutet das nichts anderes, als den lieben langen Tag Leuten ihren Scheiß hinterherzuräumen und ihnen dabei auch noch in den Arsch zu kriechen, ganz egal, wie der aussieht. Also der Arsch, meine ich. Aber andererseits …   „Ich weiß nicht“, sage ich und schicke nun doch noch ein hörbares Seufzen hinterher. „Meinst du wirklich, ich wäre gut darin, Leute zu bedienen?“   Die Tatsache, dass ich aus den Augenwinkeln sehe, wie Brunos Mundwinkel zucken, macht mir klar, dass ich die Frage vielleicht falsch formuliert habe. Denn immerhin bediene ich ihn schon manchmal ganz gerne. Versaute Socke! „Ich meinte, weil ich alles fallen lasse“, ergänze ich leicht genervt. Brunos Finger schließen sich enger um meine.   „Ich glaube schon, dass das was für dich wäre“, meldet sich jetzt Michelle zu Wort. Sie hat sich inzwischen mit ihrem Kleid arrangiert und sitzt auf dem Straßenrand wie Barbie in einem Damensattel. „Immerhin kannst du gut mit Menschen umgehen, hast ein gepflegtes Erscheinungsbild und immer einen lockeren Spruch auf den Lippen. Da wird es selbst dem ärgerlichsten Gast schwerfallen, dir zu widerstehen.“   Ich blinzele. Und blinzele gleich nochmal. War das gerade etwa ein Lob? Von Michelle?! „Ja, Mann! Du wärst bestimmt ein toller Kellner“, bestätigt jetzt auch Pascal und sieht mich treuherzig an. Eigentlich denke ich mir ja, dass er es nur auf Freigetränke abgesehen hat, aber wenn sie mich jetzt alle so anpreisen.   Ich seufze noch einmal. „Ach ich weiß nicht“, sage ich und versuche mir nicht anmerken zu lassen, dass mich der Zuspruch schon irgendwie freut. „Wie soll ich denn da eigentlich hinkommen?   Ist ja nicht so, dass hier ständig Busse fahren. Und wenn halten die an jeder Milchkanne. Da bin ich locker ne Dreiviertelstunde unterwegs. Einfache Strecke!   „Du könntest deinen Führerschein machen. Herr Mehner ist wieder zurück.“   Weiß ich. Und die Kohle von meiner Mutter hab ich ja auch noch, es hält mich also nichts.   „Und was ist mit Studium?“ So ganz aufgeben will ich ja noch nicht. Immerhin hab ich jetzt mein Abi in der Tasche. Das soll ja nun nicht für umsonst sein.   Michelle stöhnt. „Na selbst wenn du dich mal für was entscheiden würdest, fängt das Wintersemester doch erst im Oktober an. Bis dahin kannst du locker noch ein bisschen arbeiten gehen und Geld verdienen. Oder willst du dich lieber bei Rossmann an die Kasse setzen. Immerhin scheinst du da jetzt ja öfter rumzuhängen.“   Ich grummele und verkneife mir einen Kommentar darüber, dass sie das ja nur weiß, weil sie auch da war, als ich ganz sehr zufälligerweise dort was besorgen musste. Ich kann doch nichts dafür, dass die Postfrau mich hasst und die Lieferung mit dem guten Gleitgel einfach in die Filiale verschleppt hat. An einem Mittwoch! An dem ich mit Bruno verabredet war!! Verdammt nochmal!!!   „Ich glaube, du würdest das toll machen“, sagt jetzt auch Bruno sanft. Ein treuherziger Blick begleitet diese Aussage und ich kann einfach nicht anders. „Was? Das mit dem Rossmann?“ frage ich und brülle im nächsten Augenblick:   „Tiiiiinaaaa! Was kosten die Kondooomeeeee?“   Bruno schreckt zusammen und ein paar Tauben fliegen auf. Wilde Laute von sich gebend verschwinden sie in der Dunkelheit, bis man kein Flügelschlagen mehr hören kann, und ich schaue bedröppelt. War vielleicht doch etwas übertrieben. Schnell setze ich eine entschuldigende Miene auf. „Tut mit leid, ist mir so rausgerutscht.“   Bruno schnauft und ich merke, dass es mir wirklich leidtut. Das hätte nicht sein müssen. Aber was …   „Und was ist, wenn wir zusammen arbeiten?“, fasse ich meine Bedenken in Worte. „Wirkt das nicht … verdächtig?“   Ich weiß nämlich nicht, ob ich dieses Theater wirklich den ganzen Tag lang durchziehen kann. So tun, als wenn wir uns nicht kennen. Oder nicht leiden können.   Bruno senkt den Blick.   „Vielleicht müssen wir das ja gar nicht.“   Oh, was sind das denn jetzt für Töne? Er wird doch nicht … „Ich meine damit nicht, dass wir es meinem Onkel gleich sagen sollen“, wirft Bruno, der offenbar mein überraschtes Gesicht gesehen hat, ein. „Aber vielleicht … mit der Zeit …“   Mit der Zeit. Eigentlich sollte ich mich darauf gar nicht erst einlassen, weil das ja nun wirklich alles heißen kann. Einen Monat, ein Jahr, ein Jahrzehnt. Doch noch während ich das denke, frage ich mich, ob ich Bruno damit nicht unrecht tue. Er hat sich doch schon so viel bewegt.   „Vielleicht fragen wir deinen Onkel einfach mal, ob er sein Hotel nicht LGBTQ-freundlich machen will“, schlage ich aus einer plötzlichen Eingebung heraus vor. „Ich kann mir zwar nicht vorstellen, warum nun ausgerechnet hier jemand Urlaub machen wollen sollte, aber …“   Bruno guckt. Und guckt und guckt und auf einmal wird mir klar, dass sein Blick genau auf die Stelle gerichtet ist, an der er mir das erste Mal seinen Schwanz gezeigt hat. Die Preiszucchini. Damals hätte wohl keiner von uns beiden gedacht, dass wir kein halbes Jahr später wieder hier zusammen sitzen würden. Noch dazu unter diesen Umständen. Verrückt. „Aber wir müssen das auch nicht machen“, lenke ich auf einmal lieber ein, als er nach einer wie eine Ewigkeit erscheinenden, halben Minute immer noch nicht geantwortet hat. „Weißt du was? Vergiss es einfach. Es war nur …“   „Also eigentlich finde ich die Idee ganz gut.“   Bruno, der jetzt endlich seinen Blick vom gegenüberliegenden Bürgersteig gelöst hat, dreht seinen Kopf langsam zu mir. Seine Augen richten sich auf mich und blicken direkt in meine. Ich kann fühlen, wie sich mein Magen zusammenzieht. „Wirklich?“, frage ich und kann echt nicht glauben, dass er das ernst genommen hat. Aber Bruno lächelt. „Na ja … ja! Warum nicht? Ich meine, wir sollten vorher vielleicht nochmal ein bisschen abchecken, wie er zu dem Thema steht, und außerdem, ob du überhaupt ein Tablett tragen kannst, aber …“ „Dann machen wir das zusammen?“   Ich weiß nicht, woher die Aufregung kommt. Oder die Zuversicht in meiner Stimme. Irgendeines meiner inneren Arschlöcher möchte mir auch noch zurufen, dass das bestimmt eine ganz blöde Idee ist, aber ich lasse ihn nicht. Das hier ist zu wichtig.   Bruno lächelt immer noch.   „Wenn du willst.“   Und auf einmal weiß ich: Ja, ich will. Ich will Bruno, ich will das hier und ich will sogar diesen Kellnerjob. Weil vielleicht mache ich mich da ja doch gar nicht so schlecht. Und wer weiß, was in ein paar Jahren ist. Brunos Onkel hat keine Kinder und irgendwer muss ja später schließlich mal den Hof übernehmen. Den Gasthof, wohlgemerkt. Und dann könnten wir …   „Und ich bau euch dann ne Website“, wirft Pascal lockerflockig dazwischen und reißt mich damit zurück in die Realität. „Ja und ich … äh … ich besorge euch Zutaten aus nachhaltiger Landwirtschaft. Dann könnt ihr euch gleich noch ein Ökolabel an die Brust heften. Mit Auszeichnung.“   Auch Michelle guckt jetzt begeistert und in mir drin wird es ganz warm. Es fängt irgendwo dort an, wo mein Zwerchfell sitzt, und breitet sich von dort über meinen ganzen Körper aus. Es fühlt sich an wie … heimkommen.   Home is wherer your heart is.   Der Spruch steht auf irgendsoeinem kitschigen Stehrumsel, das meine Mutter mal gekauft hat. Eigentlich ja total abgegriffen, aber jetzt gerade habe ich wirklich das Gefühl, dass da was dran sein könnte.   Zuhause ist dort, wo dein Herz wohnt.   Und meines, so unwahrscheinlich mir das vor gar nicht allzu langer Zeit noch vorgekommen ist, wohnt anscheinend bei Bruno. Und in Hintertupfingen oder Seelheim oder wo auch immer sonst Bruno und ich vielleicht irgendwann mal zusammen einen Gasthof haben werden. Weil es sich gut anfühlt. Und richtig. Und vielleicht bleibt das ja sogar so. Für immer.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)