Die West-Chroniken von Storyknight (Der Fall des Ikaz) ================================================================================ Prolog: Dezember 1999 --------------------- Dezember, 1999 Spencer war nervös. Seine Hände zitterten vor Aufregung und sein Herz raste in seiner Brust, während seine Gesichtsmuskeln bereits wehtaten von dem Dauergrinsen, das es trug. Es war das erste Mal, dass sein Dad ihm erlaubte allein zu springen. Ohne ihn. Oder seinen Onkel. Es war sein Geburtstagsgeschenk. Er war nun offiziell fünfzehn Jahre alt. Der fünfzehnte Geburtstag war ein wichtiger Geburtstag in seiner Familie. Es war der Geburtstag an dem der Junge zum Mann wird. Das war der einzige Grund, weshalb sein Vater dem Sprung zugestimmt hatte. Der und dass seine Mutter gemeint hatte besser jetzt als dass er es heimlich tat. Sie hatte nicht Unrecht. Außerdem hatte er seit Jahren für diesen Tag trainiert. Er war gut vorbereitet und er war nervös. Wahnsinnig nervös. Die ganze Nacht lang hatte er sich hin und her gewälzt, weil er vor lauter Vorfreude nicht zur Ruhe gekommen war, aber nun, hier oben Kilometer über dem Erdboden, mit dem Wind der um seine Ohren wehte? Er wurde ganz ruhig. Die Ruhe vor dem Sturm, wie seine Mutter sagen würde. Sein Onkel legte eine Hand auf seine Schulter. Er würde direkt nach ihm springen. Nicht zur Kontrolle, nur zur Sicherheit. „Sind wir endlich hoch genug?“, brüllte er nach vorne zum Cockpit. „Du musst dich noch gedulden“, brüllte sein Vater zurück. Es war unmöglich. Völlig unmöglich. Sein Vater drehte sich halber im Pilotenstuhl um. „Fertig, Äffchen?“ „Seit Jahren.“ „Hab dich lieb.“ „Ich dich auch, Dad.“ Spencer verdrehte die Augen. Seine Mutter lachte. „Chris, würdest du bitte seinen Fallschirm überprüfen? Den Rest seiner Ausrüstung auch.“ Spencer ließ seinen Onkel alles überprüfen. „Zufrieden?“, rief er ihr zu als Chris mit einem Daumen hoch signalisierte, dass alles war wie es sein sollte. „Ich hab dich lieb. Ich sehe dich unten.“ „Versprochen“, Spencer trat an die Lucke und blickte hinab. Einfach alles war klein. So klein, dass es zum Teil schon nicht mehr zu erkennen war. Er setzte sich und ließ die Beine im Wind baumeln. Ein tiefer Atemzug. Zwei tiefe Atemzüge. Er schaute hinauf in den blauen Himmel und kippte nach vorne. Der Fall war das Beste am Fallschirmspringen. Der Wind, der alle Gedanken davonjagte, der die Haare aus und wieder ins Gesicht peitschte und an seiner Kleidung zerrte. Die Schwerkraft hatte einen ganz in ihren Fängen, aber zur selben Zeit war er wie losgelöst von ihr. Er war vollkommen frei. Er war unbesiegbar. Spencer ließ seine Freude mit einem Schrei raus. Er schrie und lachte und schloss die Augen und drehte sich auf den Rücken. Er hatte versprochen dies nicht zu tun. Hätte er sich nur daran gehalten. Über ihm breitete sich der blaue Himmel aus. Das Flugzeug seines Vaters wie ein silberner Vogel über ihm. Sein Onkel, der auf ihn zuflog. Es war das erste Anzeichen, dass etwas nicht stimmte. Das zweite war, dass das Flugzeug seiner Eltern von einem Feuerball verschluckt wurde. In der einen Sekunde war es noch da, still und elegant. Ein perfektes Bild an einem perfekten Tag und in der nächsten Sekunde war an seiner Stelle ein alles-verschlingender, Weltenzerstörender heiß-brennender roter Feuerball. Spencer starrte ihn an. Sein Gehirn hatte Schwierigkeiten zu funktionieren. Das nächste woran er sich erinnerte war, dass seine Füße den Boden berührten und sein Onkel ihn los ließ. Er blickte hinauf. Kein silberner Vogel. Kein Flugzeug. Kein Feuerball. Nur schwarzer Rauch. Gleich würden seine Eltern kommen. Sie würden landen und ihn umarmen und… Sie kamen nicht. Wo blieben sie? Sie würden nicht kommen. Das Flugzeug war explodiert. Eine Träne lief seine Wange hinunter. Sie würden nie wieder kommen. Sein Onkel nahm ihn in den Arm. Sie waren tot. Seine Eltern waren tot. Kapitel 1: Kapitel 1 - Fallender Held ------------------------------------- August, 2011 Ikazrannte über Dächer. Er sprang ohne zu zögern und landete auf dem Gegenüber-liegendem mehrere Meter unter ihm. „Ich kann das einfach nicht mehr, verstehst du?“, sagte eine Stimme in seinem Ohr. Ikaz erreichte das Ende des Daches und blieb stehen. Im Normalfall führte er keine privaten Telefongespräche während seines Nachtjobs. Doch ihm lag etwas an Ally und wenn er sie wieder zur Voicemail geschickt hätte, wäre das das Ende gewesen. „Ich weiß ich bin nicht die zuverlässigste Person-“ „Du bist zuverlässig: Ständig kommst du zu spät. Du verschwindest ohne Erklärung und du-“ Den letzten Teil bekam er nicht mit. Vor ihm landete ein Wesen, das gut und gerne aus einem Alptraum entsprungen sein könnte. Es war groß mit grauer, lederartiger Haut und blau-weißen Augen, welche an frischgefallenen Schnee erinnerten, nur ohne die Schönheit. Es hatte einen Buckel und Warzen und vor nicht mal drei Tagen war es noch ein Mensch gewesen. „Dann verstehe ich nicht weshalb du sauer bist“, sagte er und behielt das Wesen im Auge. Es griff nicht an. Es musterte ihn nur. Ikaz war sich nicht sicher ob das gut oder schlecht war. „Womit ich nicht klar komme sind Geheimnisse und du hast jede Menge davon.“ Sie hatte nicht Unrecht. Sein Lebensstil brachte viele Geheimnisse mit sich. Er würde es nicht leugnen. Es war die Wahrheit. „Du verschwindest nachts spurlos und wenn du wieder kommst hast du lauter Blessuren. Wie soll ich das finden?“ Das Wesen machte einen Schritt vorwärts. Ikaz legte eine Hand auf das Seil an seiner Hüfte. „Ich verstehe, dass du momentan viel durchmachst.“ Sie würde doch nicht? Nein. „Du hast eben erst jemanden verloren.“ „Nein“, flüsterte Ikaz, „nicht jemanden. Meinen Bruder.“ Er schaltete sein Mikrofon für einen Moment aus. „Hör zu, ich gebe dir diese eine Chance diesen Körper zu verlassen und dich zu ergeben.“ „Cousin und er war nur adoptiert“, klang Ally´s Stimme durch seinen Ohrstöpsel. Ikaz sah wie das Wesen sich anspannte. „Das macht für mich keinen Unterschied.“ „Spence“, sie seufzte. Das Wesen machte noch einen Schritt. Nun konnte Ikaz die Verfaulung nicht nur riechen sondern auch deutlich sehen. Es war ein Human Occupare. Ein MenschenBesetzer. Nie ein schöner Anblick und der Wirt ebenso wenig, nachdem er begann zu verfaulen. „Ich mache Schluss.“ Er brauchte kurz um die Worte zu verarbeiten. „Ally…“ „Nein. Meine Sachen sind gepackt. Ich lasse den Schlüssel auf dem Tisch. Leb wohl.“ Sie legte auf. Okay. Das war´s. Noch eine ruinierte Beziehung. Grandios. Warum auch nicht? „Also, mein Lieber“, sprach er und schenkte dem Wesen seine volle Aufmerksamkeit. „Wir können es einfach oder schwer machen. Einfach: Gib auf wie angeboten. Schwer: Gib nicht auf und ich vernichte dich.“ „Du und mich vernichten?“, lachte das Wesen. Es war eine dreckige, gemeine Lache. „Du kannst niemanden vernichten, fliegender Junge.“ Ikaz grinste und löste das Seil von seinem Gürtel. „Ich hatte einen echt besch…eidenen Tag. Streich das. Ich habe furchtbare Monate hinter mir und eben wurde ich sitzen gelassen, glaube mir, ich bin voll und ganz dazu in der Lage dich zu vernichten.“ Der Human Occupare lachte und griff an. Mit einem gekonnten Salto flog Ikaz über ihn hinweg. Sein Seil schlang sich um das Wesen und brachte es zu Fall. Es wand sich und versuchte sich zu befreien. Es würde kein Glück haben. Ikaz wusste mit der Waffe seiner Wahl umzugehen. Er zog eine Spritze aus seiner Beintasche und kniete sich auf das Wesen. „Ich möchte anmerken, dass ich dich gewarnt habe und, dass ich dir mehrfach die Chance gab aufzugeben.“ Er steckte die Injektion in die Brust. „Es tut mir Leid. Ich war nicht schnell genug.“ Mal wieder. Diese Worte waren an den Mann gerichtet, der bereits seit einem Tag tot war und an den Jungen, der es bereits seit über einem Monat war. Er drückte die Zusammensetzung aus Blut eines Toten und Graberde in den toten Körper. Grau-weißer Rauch schoss aus dem toten Fleisch und in die Luft. Ikaz verlor keine Zeit. Er öffnete eine Phiole und fing den Rauch darin ein und verschloss sie mit einer flinken Bewegung. „Ich hab es dir gesagt.“ Er starrte auf den Leichnam, das Gute wenn man nicht allein arbeitete: Man hatte jemanden, der darauf spezialisiert war unerklärliche Leichen verschwinden zu lassen. Mit einem Seufzen wählte Ikaz eine Nummer und wartete. Eine elektronische Stimme antwortete. Er gab die Informationen durch. Er würde dreißig Minuten Wache stehen müssen. Er legte auf. Das schlechte einer Minderheit anzugehören: Jeder Anruf wurde zuerst von einem Roboter angenommen. Ikaz dehnte sich, machte einen Handstand, machte einen ein-Hand-Handstand und setzte sich anschließend auf den Rand des Daches. Sein Telefon war der Feind, dennoch kramte er es hervor und blickte es erwartungsvoll an. Es war bereits fast zwei Monate her. Fast eine Woche seit er das letzte Mal mit Jon gesprochen hatte. Er wirbelte das Telefon in seiner Hand herum. Es würde kein schönes Gespräch werden. Er konnte ihm nicht sagen, was er hören wollte. Es klingelte. Er wurde zur Mailbox geschickt. Ikaz versuchte es erneut. Selbiges Ergebnis. Ein Versuch noch. Komm schon Jon! Diesmal nahm sein kleiner Bruder ab. „Wenn deine nächsten Worte nicht: Ich glaube dir und werde dir helfen, sind, kannst du gleich wieder auflegen.“ „Jon, Ich will nur wissen wie-“ Biiieeep. Ikaz starrte sein Telefon an. Sein linkes Auge zuckte. Er versuchte es erneut, aber ohne Erfolg. Sein Kopf lag schwer auf seinem Handrücken. Er konnte es nicht. Es hatte ihn fast fünfzehn Jahre gekostet zu akzeptieren, dass seine Eltern tot waren. Er konnte das nicht nochmal durch machen. Nicht nochmal. Kapitel 2: Kapitel 2 - Nervender Charme --------------------------------------- Kapitel 2 Nervender Charme Schlafen entspannt. Im Schlaf wurden Erinnerungen verarbeitet. Im Durchschnitt braucht ein Mensch sieben Minuten zum Einschlafen. Jede Nacht gibt es Träume. Im Traum sind negative Gefühle oft stärker als positive. 90% der Träume werden wieder vergessen. Das waren die Fakten, die Spencer gelernt hatte. Was ihm aber niemand beibringen konnte war die Magie die hinter den Träumen steckte. Die Magie zu erkennen, wenn du dich in einem Traum befindest. Die Magie zu bestimmen was als nächstes passiert. Spencer liebte es zu schlafen, bevor seine Eltern starben. Er lernte es erneut zu lieben, nachdem sie starben. Dann passierte die Sache mit Colt. Spencer starte an die Decke. Der Ventilator lief und wischte ihm sacht die Strähnen aus dem Gesicht. Seine Finger ließen sich nicht bewegen. Ebenso wenig seine Beine, Arme oder auch nur die Zehen. Er starte weiter an die Decke. Der Wecker klingelte und Spencer seufzte. Alles in ihm schrie und verlangte nach mehr Schlaf, während alles in ihm gleichzeitig schrie das Schlafen sein zu lassen. Der Wecker gab zuerst auf und die entstehende Stille drückte unangenehm auf seine Ohren. Aufstehen. Ein Gähnen nahm den Platz von Luft in seinem Hals ein und Tränen der Müdigkeit machten es schwer etwas zu sehen. Die Tür klingelte. Nein, nicht die Tür. Jemand vor der Tür klingelte. Mit einem erneuten Gähnen drehte sich Spencer auf den Bauch und vergrub das Gesicht im weichen Teppich. Er wusste warum er ihn neben das Bett gelegt hatte. Es klingelte erneut und mit einem stöhnen rappelte er sich auf und machte sich auf den Weg durch den Flur zur Tür. Wer klingelte so früh morgens? Sein Magen knurrte. Er wuschelte sich durch die Haare und öffnete. Vor ihm stand eine kleine alte Dame mit grauem Haar, vielen Lachfalten und einem träumerischen Lächeln auf den Lippen. „Guten Morgen, Spencer.“ „Guten Morgen, Nana.“ Spencer lächelte und meinte es auch so. „Ich habe in der Eile meinen Schlüssel in der Wohnung vergessen.“ Die alte Dame sah entschuldigend zu ihm auf. „Sei so gut und gib mir den Ersatzschlüssel.“ „Natürlich einen Moment.“ Er lief in die Küche. Auf dem Tisch lag Ally´s Schlüssel. Er schluckte drehte sich um und schnappte was er gesucht hatte. „Bitteschön.“ „Danke.“ Spencer gähnte erneut. Sein Magen grummelte. Alle beide waren Verräter. „Verzeihung.“ „Nicht doch, habe ich dich geweckt?“ Er kratze sich den Hinterkopf. „Jaaaein. Schon, aber es war gut, sonst wäre ich vermutlich spät dran.“ Nana schaute ihn nachdenklich an, wie ein Vogel ein Kuckucks-Kücken. „Hast du noch Zeit?“ „Ja, etwas.“ „Sehr schön“, Sie drehte sich um. „Gib mir zehn Minuten und ich wärme dir Eierkuchen auf.“ Das war der Moment in dem er begriff was sie vorhatte. „Nicht doch. Ich-“ „Ich bestehe darauf, wenn ich dich schon wecke. Zehn Minuten.“ Sie öffnete ihre Apartmenttür. „Bis gleich.“ Spencer´s Magen knurrte erneut. Er duschte den Gestank der vergangenen Nacht (verrottetes Fleisch und Schweiß) ab und begutachtete die frischen Wunden. Riesiger blauer Fleck über seiner Hüfte, hier und da Kratzspuren und Schürfungen vom Parkour. Er sollte vorsichtiger sein. Andererseits... Mit Vorsicht fängst du keine Monster. Ein Blick auf die Uhr und fünf Minuten später, klopfte er an ihre Tür. Sie hatte gelächelt und eine Postkarte in der Hand gehabt. Es gab Neuigkeiten von ihrer Enkelin. Spencer konnte es kaum erwarten von ihr zu hören. Sie schien die spannendsten Abenteuer zu erleben. „Komm rein, komm rein. Ich brauche noch einen Moment.“ Er folgte ihr in die Küche und schaute auf die Postkartenwand. Eine Wand gefüllt mit –Überraschung- Postkaten aus der ganzen Welt. Seit Spencer sie kannte gab es die Wand schon. Das waren mindestens vier Jahre. Vermutlich schon länger. „Sie kam ganz schön herum“, meinte Spencer und pfiff anerkennend durch die Zähne. „Meine Kathleena war schon immer eine Abenteurerin.“ Ihr Stimme hatte einen weichen, liebevollen Klang. „Sie ist in Alibaba derzeit. Viel Sand und Sonne.“ „Geht es ihr gut?“ Er drehte sich zu Nana, die im Kühlschrank nach etwas suchte. „Ja, sie ist wohlauf und mein Urenkel auch. Sie meinte sie kommt wohl bald nach Hause. Da ist sie ja.“ Sie brachte ein Glas zum Vorschein. „Ich würde sie gerne kennen lernen.“ „Ach Spencer, du-“ Sein Telefon vibrierte und unterbrach sie. „Verzeihung.“ Arbeitsnummer. „Arbeit?“ Er sah die Uhrzeit und musste einen Fluch unterdrücken. „Entschuldige, da muss ich rangehen.“ „Nur zu. Ich packe dir alles ein.“ Sie werkelte am Tupperschrank herum. Er würde ihr etwas Gutes tun. Irgendwas reparieren oder so. „Dani?“ Es knisterte am anderen Ende der Leitung. „Ich stehe vor deiner Tür. Bist du krank?“ „Ich bin nicht daheim.“ „Deshalb meine Frage. Bist du krank und tatsächlich schon auf dem Weg zur Arbeit?“ „Ich bin nicht immer zu spät“, verteidigte sich Spencer wehement. „Doch, das ist Teil-“ Er unterbrach ihn: „Meines Charmes?“ „-deiner nervigen Persönlichkeit“, beendete sein Freund und Kollege den Satz dennoch, „aber Charme könnte auch funktionieren.“ „Bin bei Nana.“ „Bring mir was mit.“ „Klar doch.“ Er legte auf. Nana kam mit zwei Päckchen. „Dein Freund mag doch sicherlich auch Eierkuchen?“ „Du bist die Beste.“ „Das weiß ich doch.“ Sie gab ihm einen Großmütterlichen Kuss auf die Wange. „Ab zur Arbeit, dass du auch ja alle wieder heil zur Erde bringst.“ Flughäfen hatten etwas entspannendes in ihrer Hektik. Sie waren gefüllt mit Geräuschen: nervöse Menschen, Kindergeschrei, Dröhnen von startenden Motoren, Einreisestempel die dich willkommen heißen und einen Geruch nach Benzin, Essen und frischer Luft. Flughäfen waren der Beginn von Abenteuern, von Neuanfängen, von Reisen. Flughäfen hatten etwas Magisches. Für die einen ein Tor zur Fremde und des Abschieds. Für andere ein Ort der Heimkehr und des Wiedersehens. Für Spencer war es der beste Arbeitsplatz, wenn du es genau nehmen möchtest war sein kleines Flugzeug der beste Arbeitsplatz. Umso höher er war, umso besser fühlte er sich. Etwas, das er von seinem Vater hatte. „Oh, wer kommt denn da pünktlich?“ Die Worte kamen aus dem wundervollen Mund seiner Co-Pilotin. Braun-blondes Haar in einem Knoten und ein amüsiertes Lächeln im Gesicht. „Was ist passiert? Krank?“ „Ihr seid beide furchtbare Freunde“, antwortete Spencer und schüttelte den Kopf. „Sollen wir los?“ „Du und Dani, gerne.“ Sie streckte sich genüsslich. „Ich habe Feierabend.“ „Eher Feiermorgen“, lachte Spencer über seinen eigenen Wortwitz. Dani verdrehte die Augen. Sie schüttelte nur den Kopf. „Pläne für heute Abend?“ „Fragst du mich nach einem Date?“ „Vergiss nicht: Du bist nicht mein Typ.“ „Er hat schon was vor“, unterbrach Dani. Spencer blinzelte ihn an. „Habe ich?“ „Ja“, sagte Dani langsam. „May´s Geburtstag? Du hast versprochen zu kommen, vergessen?“ „Kurzeitig“, gab Spencer zu und schaute ihn mit seinen Rehaugen entschuldigend an. „Ich werde da sein.“ „Gut.“ Jo war inzwischen gegangen. Spencer sah ihr nach. Hatte er es sich nur eingebildet oder war sie traurig? „Komm, wir haben Kunden!“ Dani winkte ihm, ihm zu den Touristen zu folgen. „Komme.“ Er würde sie heute Nachmittag anrufen. Nur zur Vorsicht. Kapitel 3: Kapitel 3 - Monster, ein Kind und natürlich ist Chris darin involviert --------------------------------------------------------------------------------- Dani lebte in einem Reihenhaus aus braunem Stein mit grünen Ornamenten, einer Terrasse und einem kleinen Vorgarten neben den Stufen. Es war ein schönes Haus in einer Straße, die dir das Gefühl gab in einer Vorstadt zu sein, obwohl du mitten in der Stadt warst. Sobald die Sonne unterging, gingen Lichterketten an jedem Haus an. Ein Meer aus von Menschen gemachten Sternen. Feen und Elfen schwebten zwischen ihnen herum. Huschten hierhin und dorthin. Ein romantischer Anblick, wären da nicht die Moskitos, die versuchten ihn bei lebendigem Leib leer zu saugen. Der Abend war schön gewesen. Schön und lang, am liebsten wäre Spencer nach Hause gefahren und ins Bett gefallen und wäre vermutlich sofort eingeschlafen. Er verabschiedete sich von Dani und seiner Frau und machte sich auf den Weg zu seinem Motorrad. Es hatte gut getan die kleine May wieder zusehen. Und die zwei Jungs. Aber nach jedem Besuch wurde ihm wieder bewusst, dass sich um Kinder zu kümmern eine Verantwortung war für die er nicht geschaffen war. Spencer startete den Motor und fuhr los. Es dauerte nur ein paar Sekunden bis sein zweiter Job ihn zurück rief: Drei Teenager rannten wie verrückt vor ihm über die Straße, dass er nur wenige Zentimeter vor ihnen anhalten konnte. Er starrte sie an. Sie starrten ihn an. „Was zur... Geht es euch gut?“ „Monster!“ Sie rannten weiter. Einer hatte geblutet. Nicht von ihm. Mist. Ein Parkplatz für das Motorrad war schnell gefunden und noch schneller war er in der Gasse verschwunden aus der die Jugendlichen gekommen waren. Vielleicht war es nur ein Fehlalarm. Vielleicht war da kein Monster und die Jugendlichen waren lediglich High. Vor ihm saß ein kleiner Junge. Zusammengekauert, die Arme schützend über dem Kopf, die Beine angewinkelt. Er zitterte am ganzen Leib und presste sich gegen die raue Wand. Kein Monster in Sicht. Spence ging vor dem Jungen in die Hocke. „Hey, Kleiner, kann ich dir helfen?“ Der Junge schaute auf. Blut floss seine Schläfe hinab und tropfte auf sein Sweatshirt. Seine Augen weiteten sich vor Horror und Spencer drehte sich herum, aber da war nichts. Kein Monster, kein... Oh. „Ich tu dir nichts. Versprochen. Ich möchte nur helfen. Darf ich mir die Wunde anschauen?“ Er machte keine Bewegung in Richtung des Jungen. Er blieb still in der Hocke sitzen und schaute ihn an. Wartend. Das Kind nickte. Spence lächelte freundlich und bewegte langsam die Hand zu der Wunde, um den Jungen nicht zu erschrecken. Er inspizierte die Wunde. Eine Platzwunde. Er hatte Schlimmeres gesehen. Bilder von zerfetztem Fleisch, gebrochenen Knochen und leeren Blicken blitzten vor seinem inneren Auge auf. Er schüttelte sie ab. „Ich hab schon Schlimmeres gesehen“, sagte er mit einem Lächeln. „Ich hole Desinfektionsmitt- Etwas zum Säubern.“ „Ich weiß was Desinfak- Desinfi- Disa-“ „Desinfektionsmittel.“ „...ist.“ Die Stimme des Jungen war leise und die Worte, die er sprach klangen schwer auf seiner Zunge. Spencer schaute sich um. Er war allein. Was machte ein Kind allein in einer dunklen Gasse wie dieser und das um die Uhrzeit? Wo waren seine Eltern? „Wo ist deine Mom?“ Der Junge blickte erschrocken auf. „Sag ihr nichts! Ich habe gesagt ich schaff das!“ Nun war es an Spencer erschrocken zu schauen. „Würde ich niemals... Ähm... Ich hol´ mal das Desinfektionsmittel.“ Spence ging zurück zum Motorrad und klappte eine der Taschen auf. Er drehte sich mit dem Verbandszeug um und wäre fast gegen dein Jungen geprallt. Er war ihm gefolgt. Er war klein. Jung. Nicht älter als fünf oder sechs. „Ich muss nach Knightfall“, sagte der Junge und sah ihn mit großen Augen an. „Es gibt einen Bus, der nach Knightfall fährt.“ Mit dem Bus brauchte man fast zwei Stunden nach Knightfall. Es war fast zehn Uhr abends und ein kleines Kind wollte allein nach Knightfall fahren. Nichts, was Spence zulassen würde. „Warum musst du nach Knightfall?“ „Es ist eine Mission“, erwiderte der Junge stolz. Spencer entging nicht, dass er Abstand hielt und seine Hände vor sich. „Mission?“ „Ja.“ Knightfall war groß. Vielleicht musste er nur an die Grenze? Eines der Grenzgebiete eventuell? Oder in einen der sichereren Stadtteile. Im Grunde machte es keinen Unterschied. „Wohin in Knightfall?“ „Ich soll mit Fremden nicht reden.“ Der Junge trat zwei Schritte zurück und stand mitten auf der Straße. „Gute Sache, aber der Fremde, weiß, dass es zwei Stunden nach Knightfall dauert und um diese Uhrzeit kein Bus mehr fährt.“ Spencer überlegte wie er den Jungen zurück auf den Gehweg bringen konnte. „Darf ich dennoch deine Wunde säubern?“ Der Kleine kam näher und runter von der Straße. „West Manor.“ Er stoppte in seiner Bewegung. „West- Was hast du mit den West´s zu schaffen?“ Jede Zelle seines Körpers schrie: Alarm! Alarm! Gefahr! „Sind das schlechte Menschen?“ „Ich...“ Er fuhr sich durch sein Haar. „Eigen, aber... Das könnte kurz brennen.“ Er tupfte das Mittel auf die Wunde. „Christian West.“ Chris. Natürlich hatte es was mit Christian West zu tun. Er packte den Erste-Hilfe-Beutel wieder weg. Er seufzte. „Soll ich dich hinbringen? Ich kenne die Wests.“ „Ich… Okay.“ „Schon mal Motorrad gefahren?“ „Nein.“ „Wird dir gefallen.“ Kapitel 4: Kapitel 4 - Christian West ------------------------------------- Im Normalfall kostete es Spencer keine Stunde um nach Knightfall zu kommen, was daran lag, dass er wusste wo die Polizeikontrollen standen, wo die Radarkontrollen, jegliche Baustellen und Abkürzungen waren. Doch mit einem Kind auf dem Rücksitz hielt er sich an das Tempolimit und vermied seinen selbstmörderischen Fahrstil. Er fuhr auf den Highway. Es hatte viel geregnet und die Straße war noch nass und rutschig, besonders für Motorradreifen. Er fuhr runter vom Highway und in einen Wald. Die Hände des Jungen wanderten von seiner Hüfte auf seine Schultern. Eine Hand löste sich. Spencer konnte sich vorstellen wie er die Hand hob und die Luft über seine Finger streichen ließ. Die Magie die dieses Gefühl in ihm auslösen musste. Die Freiheit, die er fühlte. Hinter ihm ertönten Polizeisirenen. Die Hand landete wieder auf seiner Schulter und er hielt an. Wartete. Zum Glück hatte er sich den Ersatzhelm aufgesetzt, sonst hätte er seinem Führerschein Lebewohl sagen können. „Guten Abend.“ „Guten Abend, wie kann ich helfen?“ Der Polizist musterte den Jungen. „Ist das ihr Sohn?“ „Nein.“ Er wusste nicht einmal den Namen des Jungen. Der Polizist runzelte die Stirn. Spencer erwartete, dass er tiefer nachhakte, aber es kam nichts dergleichen. „Der Junge hatte eine Hand in der Luft. Ich hoffe sie verstehen, dass dies gefährlich sein kann?“ „Natürlich und ich verspreche, dass es nicht wieder vorkommt.“ „Dennoch muss ich Ihnen eine Verwarnung geben und ein Bußgeld.“ Einer der ihn nicht erkannte. Einer der ihn normal behandelte. „Lass ihn. Er ist Spencer West, Neffe von Christian West. Ihm einen Strafzettel zu verpassen ist als würdest du dich mit einem König anlegen.“ Er kannte die Stimme. Ein braunhaariger Polizist schaute aus dem Beifahrerfenster. „Hi, Spence.“ Es musste natürlich er auf dem Beifahrersitz sein. Es konnte niemand anderes sein, oder? „Jeremy.“ Sein Lächeln war verkrampft, unrealistisch. „Ich wusste nicht“, stammelte der ältere Polizist und wurde bleich. „Verzeihung.“ „Sie taten Recht und ich hätte gerne den Strafzettel.“ Verwirrt gab ihm der Polizist das Stück Papier. „Danke.“ Er wartete bis sie weg waren. „Entschuldige“, murmelte der Junge in sein Ohr. „Ich wollte nicht...“ „Keine Sorge. Hat es Spaß gemacht?“ Erst gab es keine Reaktion, dann ein leises: „Ja.“ „Gut. Halt dich fest es wird kurvig.“ Spencer hasste es bevorzugt zu werden. Er hasste es, wenn jemand nett zu ihm war nur wegen seinem Nachnamen. Er war ein Mensch wie jeder andere. Er war nicht sein Nachname. Er war mehr. Die Straße führte in Schlangenlinien durch den Wald und hinauf auf den Hügel, Berg oder wie du eine Erhebung nennen magst. Er fuhr raus aus dem Wald auf eine Lichtung und West Manor erschien vor ihm. Es war umgeben von einem hohen Zaun, um ungebetene Gäste draußen zu halten und wenn der Zaun nicht genug war gab es noch jede Menge Fallen auf dem Gelände. Er fuhr auf das Tor zu. Sollte er klingeln oder seinen Code eingeben? Verschwendete Gedanken. Das Tor schwang auf kurz bevor er hätte anhalten müssen und ließ sie ein. Ein Weg aus Kieselsteinen führte zu einem Brunnen und um ihn herum. Auf dem Weg kamen sie an verschiedenen Buschfiguren vorbei. Spencer hielt direkt vor der Tür und ließ den Jungen absteigen. Das Gebäude war riesig. Vier Stockwerke (Erdgeschoss mitgezählt), einem gigantischen Keller und einem Dachboden. Ein kleines Schloss mit eigenem Erker-Turm und einer Veranda, die um das ganze Haus herumführte. Zwei Männer standen auf ihr und warteten. Einer von beiden war Mitte sechzig mit grauem Haar und weisen Augen. Der andere war Mitte vierzig, das tiefschwarze Haar nach hinten gekämmt und einer Mimik, die immer urteilend wirkte. Er lachte nicht viel, etwas, das Spencer verstand und doch nicht nachvollziehen konnte. Er nahm seinen Helm ab und verstaute beide in den Seitentaschen. Der Junge wartete auf ihn und kaute auf seiner Unterlippe. „Keine Sorge. Wird schon“, murmelte Spencer ihm zu mit einem aufmunternden Lächeln. „Sag einfach Hallo.“ Ein Hund rannte auf ihn zu und sprang an ihm hoch. Spencer hob einen Finger und sagte: „Platz!“ Der Hund sprang erneut an ihm hoch. Der Junge versteckte sich hinter Spencer. „Platz.“ Der Hund machte Platz und Spencer streichelte ihn. „Gut gemacht, Bernie.“ Bernie war ein Berner Sennenhund mitschwarzem, braunem und weißem Fell. Jon hatte ihn am Fuß des Berges gefunden. Allein und verletzt. Colt und er hatten ihn erzogen. Kurz danach war Colt… Jon war immer noch damit beschäftigt ihm ein oder zwei Sachen beizubringen. Spencer ermutigte Drew sich vorzustellen. „Guten Tag“, der Junge schaute den älteren der beiden Männer an. „Mein Name ist Andrew Jackson und... Ich soll hier einen Brief abgeben. Von meiner Mutter.“ Jackson. Er verband viel Positives mit diesem Namen. Seine Ex hieß Jackson mit Nachnamen... Wie alt war der Kleine nochmal? „Ein junger Mann mit Manieren. Sehr selten.“ Jarvis lächelte. „Guten Abend, Master Andrew. Ich bin Jarvis, der Butler der Familie West.“ Der Junge wurde bleich. Er drehte sich zu dem anderen Mann um. „Es tut mir leid, ich...“ „Manieren? Sich erst dem Butler vorzustellen und dann erst dem Hausherrn“, Chris schaute tadelnd drein. Das war eine seiner Spezialitäten. „Das sind höchstens schlechte Manieren.“ Spencer rollte mit den Augen. Chris musste nicht gleich sein Bestes geben um sich unsympathisch zu machen. Der Junge murmelte etwas, das sich verdächtig nach einem Schimpfwort anhörte. „Guten Abend, Chris.“ Er lächelte. „Wie geht´s dir Jarvis? Chris, falls es dir nichts ausmacht, deine Tirade über die Manieren eines Fünfjährigen zu unterbrechen würde ich gerne hereinkommen und einen Tee haben.“ Er warf einen Blick auf Drew, der immer noch blass wirkte und zitterte, auch wenn er sich Mühe gab es zu verbergen. „Kekse. Jarvis backt wundervolle Kekse. Wie wär´s?“ Chris starrte den Jungen an. Der Junge starrte mit zitternden Händen zurück. Spencer legte seine Hände auf seine Schultern, um ihn zu bestärken. „Wenn das hier ein StarWettbewerb ist, möchte ich euch darum ersuchen Jon mitmachen zu lassen. Er wird euch beide in Grund und Boden starren.“ Chris drehte sich ohne ein Wort um und ging hinein. Jarvis verbeugte sich und ging ebenfalls. Spencer rollte mit den Augen und lehnte sich zu Drew hinab. „Keine Sorge. Harte Schale, weicher Kern.“ Drew reagierte nicht. Spencer konnte seine Gedanken lesen: Er wollte weg von hier. Irgendwohin, nur nicht hierbleiben. Er könnte im Wald übernachten. Auf einem Baum oder so. Hauptsache er musste nicht noch eine Sekunde länger mit Chris zusammen sein. Vor zwölf Jahren hatte er dieselben Gedanken gehabt. Vor zwölf Jahren war er drauf und dran gewesen sich und dieses Gebäude niederzubrennen. „Komm, Jarvis macht die besten Snacks in der Welt.“ Neben Colt. Er nickte. „Dann nichts wie los, danach kann ich dich noch herumführen und-“ Der Junge gähnte und rieb sich die Augen. „Vielleicht machen wir das doch lieber morgen.“ Noch ein Nicken. Spencer biss sich auf die Zunge. Er würde einen Anruf tätigen müssen. Welche Ausrede würde er wohl diesmal benutzen? Kapitel 5: Kapitel 5 - Es gibt Kakao, Kekse und schlechte Neuigkeiten --------------------------------------------------------------------- Das Erste was du siehst, wenn du die Villa betrittst war ein riesiges Foyer mit ein paar Sofas an den Seiten, Pflanzen, die dem Raum etwas Heimeliges geben sollten und alles in allem war es ein langweiliger Raum mit Ausnahme des gigantischen Kronleuchters, der allein in Spencers Zeit hier vier oder fünf Mal zu Bruch ging. Schöne Erinnerungen. Spencer führte Drew zu einer Tür unter der Treppe. Es gab zwei identische Türen, eine führte in den Keller, die andere in die Küche, in der Jarvis bereits mit Schokokeksen und heißer Schokolade wartete. Spencer half Drew auf einen Hocker und setzte sich neben ihn, um einen Keks in seinen Tee zu tunken. „Brief?“ Chris hielt seine Hand verlangend vor den Jungen. Dieser legte einen zerknitterten Umschlag hinein. „Hast du ihn gelesen?“ „Nein“, murmelte er und schaute in seine Tasse. Da war Schaum auf seinem Getränk. Chris glaubte ihm nicht, du konntest es an seinem Tonfall hören. „Woher wusstest du wohin du musstest?“ „Ich habe meinen eigenen Brief…“ Jarvis hatte Kakaopulver über den Schaum gestreut. Glücklicher Junge. Sein Onkel überflog den Brief. Einmal. Zweimal. „Ich brauche einen Beweis für diese Behauptung.“ Fünf Minuten später verließ er die Küche mit Drews Spucke, Blut und Haaren. Spencer war sich nicht sicher ob er wissen wollte was in dem Brief stand. „Ich soll nichts von Fremden annehmen.“ Spencer aß einen Keks und sagte mit vollem Mund: „If bin ficher, die find nifft giftig.“ Drew starrte ihn an, nahm einen, biss hinein und dann war er nicht mehr aufzuhalten. Spencer beobachtete ihn und musste lächeln, dann nutzte die Gelegenheit, um die Kopfwunde des Jungen genauer zu untersuchen und klebte ihm zum Schluss ein Pflaster auf. Jackson. Der Name hallte in ihm wieder. Er wollte die Frage nicht stellen, tat es aber dennoch: „Wie alt bist du?“ „Fünf.“ Noch ein Keks verschwand in dem kleinen Kindermund. „Fünf...“ Drew nahm ein Schluck heiße Schokolade. „Ja.“ Vor etwas mehr als Fünf Jahren hatte er mit ihr Schluss gemacht... Es war nicht möglich. Es war schon Monate davor nichts dafür Nötiges zwischen ihnen passiert. Außerdem war Jackson ein häufiger Nachname. Nana hieß Jackson mit Nachnamen. Dennoch... Er betrachtete den Jungen näher. Goldbraune Haut, schwarzes Haar und leuchtend grüne Augen. Es gab eine gewisse Ähnlichkeit zu Kate. Denselben Schwung der Nase, dieselbe Art zu reden, zu sitzen… Drew fiel zur Seite und Spencer konnte in im letzten Moment auffangen. Er war eingeschlafen. Einfach so. Spencer hielt ihn im Arm. „Ist das Zimmer neben meinem derzeit unbewohnt?“ Jarvis fing an Geschirr zu spülen. „Ja, Master Spencer.“ „Jetzt nicht mehr. Bis gleich.“ Er trug den Jungen nach oben in den zweiten Stock. Er legte Drew in das Bett und deckte ihn zu. „Was heißt: Harte Schale weicher Kern?“, fragte der Kleine schlaftrunken. Spencer setzte sich auf die Bettkante. „Dass jemand nur so tut als wäre er taff.“ „Taff?“ „Stark, Unverwundbar...“ Der Junge war wieder eingeschlafen. „Schlaf gut“, flüsterte Spencer. Er war schon bei der Tür als er ein Wimmern hörte. Der Kleine zitterte und presste sich ins Kissen und wich vor etwas zurück, das nur in seinen Träumen existierte. Ohne zu zögern setzte sich Spencer wieder auf die Bettkante und legte eine Hand auf Drew. „Hey... Alles gut. Ich pass auf dich auf.“ Er strich ihm über den Rücken und deckte ihn mit einer zweiten Decke zu. „Ich bin hier. Dir wird nichts passieren.“ Der Junge klammerte sich an seine Hand. Sie war eiskalt. Er hielt sie fest. Jetzt da der Junge schlief war noch mehr Ähnlichkeit mit Kate zu sehen. Dieselben weichen Züge, dieselbe Traurigkeit im Schlaf. „Ich passe auf dich auf. Versprochen.“ Spencer verbrachte die nächste Stunde an Drews Bett und versuchte Nats zu erreichen. Er wusste seine Chancen standen schlecht und er wusste nicht, was er mit ihr erzählen wollte. Dann schrieb ihm Jo. Was meinst du mit: Ich nehme mir den Rest der Woche frei?!?! -Jo Es tut mir leid. Mir wäre es anders auch lieber, aber es gibt privat ein paar Probleme. Ich hoffe du findest einen Ersatz -S Private Probleme? Geht´s noch kryptischer? -Jo Ich weiß. Das nächste Spätschichtessen geht auf mich -S Die nächsten 3 3? 3 Okay. Danke. Spencer legte das Telefon auf das Bett neben sich und seufzte tief. Die Lampe an der Decke sah aus wie die Lampe im Zimmer nebenan. Jedes der vier Schlafzimmer war gleich aufgebaut: Ein Schreibtisch, daneben ein Bett, eine Tür, die ins geteilte Badezimmer führte und ein Kleiderschrank direkt hinter der Zimmertür. Verglichen mit der Größe des Hauses erschienen die Zimmer klein. Sie waren auch klein. Klein und funktional. Sein Telefon vibrierte. Er schnappte es, bevor es Drew wecken konnte. Eine Nachricht. Nicht die, die er erhofft hatte. Chris. Labor. Jetzt. Spencer seufzte erneut. Das Labor befand sich im Keller der Villa direkt neben dem Heimkino. Spencer hatte immer gescherzt, dass wenn etwas explodierte du sagen könntest es wäre im Film, bis Jon einmal im Labor etwas hatte explodieren lassen und keiner wusste, dass e akut war. Keiner außer Colt, er generell bei lauten Geräuschen zuerst nach Jon sah. Seitdem hatte niemand mehr diesen Scherz gemacht. Das Labor selbst hatte zwei gegenüberstehende Tische mit je einem Waschbecken, ein Computertisch mit mehreren Bildschirmen an der Wand, Regale mit Portfolios für alles und jeden, sowie zwei weitere Eckschreibtische und verschiedene Gerätschaften. Chris saß vor den Computern mit dem Rücke zur Tür, aber Spencer hatte keinen Zweifel daran, dass sein Onkel wusste dass er hier war. „Worum geht es?“ „Schläft das Kind?“ „Du meinst Drew?“, Spencer schnappte sich einen Stuhl und setzte sich falsch herum drauf. Arme auf der Lehne, Beine seitlich. „Den Jungen, denn du gleich mal wegen seiner Manieren – die ausgezeichnet sind für einen Fünfjährigen – nicht deinem Standard entsprechen?“ Chris tippte weiter am Computer. „Ja.“ „Er schläft.“ „Ist Jarvis bei ihm?“ Auf dem Bildschirm erschien ein Fenster. Schwarz mit grünen Nummern und Buchstaben. „Jarvis ist, wo er immer ist mitten in der Nacht.“ „Du hast ihn also allein gelassen.“ Eine Feststellung, keine Frage. Spencer streckte sich und dehnte seine Finger. „Und?“ „Wir kennen ihn nicht“, Chris schaute immer noch nicht auf. Er hatte vor heute noch auf Patrouille zu gehen. Seine Pandora-Uniform verriet ihn. „Wir wissen nichts über ihn.“ „Er ist fünf Jahre alt“, erinnerte Spencer und stand auf. Chris schwieg. Er dehnte seine Arme, berührte seine Zehen, lehnte sich so weit nach hinten, dass er den Boden berührte. „Worum geht es hier?“ Nun drehte sein Onkel sich zu ihm um. „Erinnerst du dich an Kathleena Jackson?“ Er kam wieder hoch. „Kate?“ Ihm wurde warm und kalt zugleich. „Was ist mit ihr?“ „Er ist ihr Sohn.“ Okay, also hatten sie nicht nur den gleichen Nachnamen, sondern es war derselbe. Mutter und Sohn. Vielleicht sollte er ihn doch fragen wann genau sein Geburtstag war. „Sie ist der Meinung, dass er hier gut aufgehoben sei.“ Warum hatte sie ihn zu Chris geschickt? Warum nicht zu ihren Verwandten? Oder zu ihm? Er könnte sich um Drew kümmern. Warum hatte sie ihn nicht zu ihm geschickt? „Weshalb... Weshalb hat sie ihn zu dir geschickt?“ Die Worte kamen nur zerstückelt aus seinem Mund. „Du bist selbst eine Zielscheibe“, fuhr er fort. „Jede Nacht von Wesen und tagsüber von jedem, der hinter deinem Vermögen her ist.“ Chris schaute ihm direkt in die Augen. „Laut ihrem Brief, ist er mein Sohn." Kapitel 6: Kapitel 6 - Kates Brief ---------------------------------- Kates Sohn. Chris´ Sohn. Nicht seiner. Er war... Er fühlte sich... Er wusste es nicht. Er fühlte sich leichter und schwerer zugleich. Da war Erleichterung. Da war Enttäuschung. Da war Schmerz. „Du und Kate?“ „Um ehrlich zu sein: Ich erinnere mich nicht wirklich an sie.“ Der Bildschirm blinkte und piepte. Chris warf nur einen kurzen Blick darauf und stand dann auf. „Ich habe einen Brief, den du lesen solltest. Wenn du mich nun entschuldigst. Da ist ein Wendigo in Center Park.“ Er ließ Spencer allein mit einem Brief und einem piependen Computer. Der Brief lag offen auf dem Schreibtisch und verlangte Aufmerksamkeit durch drohen, dass es Wissen enthielt, welches er nicht wissen wollte. Spencer nahm den Brief, stellte den Computeralarm ab und verließ das Labor. Wenn er schon etwas lesen würde, das sein Herz in Stück zerbrechen ließe, dann würde er es an einem Ort tun an dem er sich wohl fühlte. Er kletterte die Stufen hinauf in den ersten Stock. Er stand auf der Galerie und starrte den Kronleuchter an. Oder besser: Die Halterung. Chris hatte sie verstärken lassen. Gut. Spencer balancierte auf dem Geländer, wägte die Entfernung ab und sprang. Er landete gekonnt und setzte sich, einen Arm um die Halterung geschlungen. Lieber Chris, Du wirst Dich vermutlich nicht an mich erinnern. Es war deine Geburtstagsfeier. Wir waren beide betrunken. Wir waren beide zu betrunken. Es war ein Unfall, aber einer der mein Leben bereicherte und der, wie ich hoffe auch deines bereichern wird. Ich schreibe dir nun, da ich bald nicht mehr in der Lage sein werde mich um ihn zu kümmern. Es bricht mir das Herz, aber ich weiß es ist besser so. Ich weiß er wird bei dir sicher sein. Sein Name ist Andrew Cyn Jackson. Er ist Fünf. Sein Geburtstag ist am 13.November.2005. Blutgruppe Null Negativ. Ich denke das ist was du brauchst um ihn zu adoptieren. Anbei liegt ebenfalls meine Erlaubnis für dich diesbezüglich. Er liebt es zu lesen und zu zeichnen und Geschichten zu erzählen und noch so vieles mehr. In Dankbarkeit, Kate Jackson Okay, das war... Das klang nicht mal annährend wie Kate. Kate, die jeden Streuner auflesen würde und selbst noch mit Grippe für die streunende Katze sorgen würde. Zumindest erklärte der Brief warum sie Chris ausgewählt hatte und nicht ihn. Das klang mehr nach ihr. Kate... Was hatte sie nur getan? Er kannte sie seit der zehnten Klasse. Sie hatte ihm Nachhilfe gegeben, nachdem er wieder am Unterricht teilnahm. Er musste mit jemandem reden. Irgendjemand. Nein, nicht irgendjemand. Sein Telefon vibrierte in seiner Tasche. Er wäre vor Erleichterung fast vom Kronleuchter gefallen als er die Nummer erkannte. Kopfüber baumelte er in der Luft. „Nats?“ „Hi, sorry, dass ich mich jetzt erst melde.“ Natalies Stimme war eine Wohltat. Sanft und angenehm. Warm und mitfühlend. Sie klang nach Heimat, obwohl sie am anderen Ende der Welt war. „Was gibt´s? Wie geht´s dir?“ Er gab sich keine Mühe irgendetwas schön zu reden. „Chris hat einen Sohn...“ „Er hat mehr als einen“, war ihre Antwort. Er musste trotz allem lächeln. „Ich meine leiblich.“ „Oh.“ „Kate ist die Mutter.“ „Oh!“ „Er ist fünf Jahre alt.“ „Das...“ Sie wurde kurz stumm und fluchte dann: „Schut, wie geht´s dir?“ „Zu verwirrt.“ Er schüttelte den Kopf, obwohl Nats ihn nicht sehen konnte. „Verständlich. Wie geht´s Kate?“ Selbstverständlich ging sie davon aus, dass Kate ihn persönlich vorbeigebracht hatte. „Und wie heißt er denn?“ „Drew. Er war verletzt als ich ihn fand.“ „Katie?“ Die Sorge in ihrer Stimme war echt. Er schluckte und starrte hinauf zur Decke des zweiten Stocks. „Nicht bei ihm. Nur ein Brief und... Sie hat ihn allein losgeschickt. Nats, ich weiß nicht was ich tun soll.“ Sie blieb stumm. Sie überlegte und überlegte. „Sei du selbst“, sagte sie schließlich. „Toller Rat.“ Er fuhr sich durch die Haare. „Spence...“ „Ich sollte nach Drew sehen. Er hatte Alpträume.“ Er wusste er war unhöflich. „Mach das. Bis bald. Oh und Spence...“ „Ja?“ „Klettere nicht mehr auf den Kronleuchter, wenn du telefonierst oder unangenehme Sachen erledigen musst oder der Kleine in der Nähe ist.“ Er unterdrückte ein Lachen. „Ich verspreche nichts was ich nicht halten kann.“ „Ich weiß. Bis bald.“ „Bis bald.“ Er sprang zurück auf die Galerie und schaute ein Stockwerk höher nach Drew. Auf dem Weg rief er Justice an und delegierte ihr nach dem Monster zu suchen, dass die Teenager so erschreckt und vermutlich Drew die Wunde zugefügt hatte. Er trat durch die Tür. Das Zimmer war ein heilloses Durcheinander. Der Teppich lag halb verkehrt herum, Decke und Kissen lagen im Raum verstreut, die Lampe lag neben dem Schreibtisch, der Stuhl war umgekippt und Papier lag überall herum, sowie Stifte. Das Fenster stand offen, die Vorhänge ballten sich im Wind und das Bett war leer. „Drew?“ Die Badezimmertür stand offen. Es war leer. „Drew?“ fragte er nochmal. Wo war der Junge? Wo? Vielleicht... Er lief zum Fenster. Von hier aus könnte er auf die Terrasse geklettert sein oder noch höher auf das Dach. „Wonach suchst du?“, erklang eine Stimme hinter ihm. Drew stand vor ihm mit verquollenen Augen und schniefte. Er hatte geweint. „Nach dir.“ Der Junge hatte geweint. „Tut mir leid, ich musste mit Chris ein paar... Sachen besprechen.“ Keine Reaktion. Spencer schaute auf die Uhr. Es war vier Uhr morgens. „Weißt du... Magst du was frühstücken?“ Der Junge Antwortete nicht. „Ich bin übrigens Spencer. Wir haben uns noch gar nicht richtig einander vorgestellt.“ Drew blinkte. „Du heißt Drew, richtig?“ Er legte den Kopf schief. „Schöner Name.“ Langsam geriet er ins schwitzen „Wo ist meine Mom?“ „Wie?“ „Meine Mom.“ Der Junge ballte die Fäuste und presste die Lippen zusammen. „Hier ist die letzte Station. Sie müsste hier sein.“ ´Ich werde bald nicht mehr in der Lage sein mich um ihn zu kümmern.´ „Ich... Sie kommt bestimmt bald. Komm ich mache dir ein paar Eierkuchen.“ Er legte Drew einen Arm um die Schulter und bugsierte ihn aus dem Zimmer. Kapitel 7: Kapitel 7 - Bücher, Bücher, Bücher (und der Abschaum der Menschheit) -------------------------------------------------------------------------------- Spencer bevorzugte es Motorrad zu fahren aus zwei Gründen: Es war schneller, da es durch Seitengassen auch durchpasste und zweitens: Es fühlte sich an wie fliegen. Besonders wenn es durch den Wald ging. Für heute würde er dem Jungen West Hill und den See Träne zeigen. Beides Grund und Boden von der West Familie. Der Wald beeindruckte ihn nicht sehr, aber der See wirkte faszinierend auf ihn. Es war tatsächlich ein unberührter Bergsee umringt von Wald mit klarem kaltem Wasser. Er zog seine Schuhe aus und watete hinein. Spencer blieb wo er war und beobachtete ihn. Der Junge streckte seine Arme Ellbogentief hinein. Es dauerte lang bis er wieder zurückkam. „Ich möchte schwimmen.“ „Hast du eine Badehose dabei?“, fragte Spencer. Er könnte ihm eine von Jon ausleihen als er so klein war. „Nein, aber ich trage Boxershorts.“ „Nope, Badeshorts.“ Oder er könnte ihm die Stadt zeigen, die Kate so geliebt hatte. All die Plätze, wo sie Zeit verbracht hatte. „Wir gehen welche für dich kaufen... Und neue Schuhe. Diese hier haben Löcher.“ „Nein.“ Spencer hob eine Augenbraue, wie er es von Jarvis gelernt hatte. „Unter dem Panzerband sind keine Löcher?“ „...Doch.“ „Deal: Wir kaufen dir ein paar nicht abgetragene Sachen und du darfst dir im Buchladen ein Buch aussuchen?“ Kurzes Nachdenken. Lächeln. „Deal.“ Kurz darauf wartete Spencer in einem Buchladen darauf, dass sein Cousin fertig war mit sich in Bücher verlieren, während die andere Seite es genoss ihn so glücklich zu sehen. Drew war seit fast einer Stunde zwischen den Bücherregalen und Spencer wurde langsam müde. „Drew, ich hol mir einen Kaffee, möchtest du auch etwas?“ „Kaffee.“ „Nein. Heiße Schokolade? Wasser?“ „Okay.“ „Nicht abhauen.“ Er ging zu dem Kaffeeshop gegenüber. „Ein Kaffee und eine... Eisschokolade. Danke.“ Spencer nahm die Getränke entgegen und kehrte in den Buchladen zurück. Er suchte ihn einmal ab ohne Panik zu bekommen. Er suchte ihn ein zweites Mal ab und jetzt wuchs die Panik. Er suchte ein drittes Mal. Von seinem Cousin keine Spur. Er fand eine Verkäuferin. „Verzeihung, haben Sie einen Jungen gesehen? Fünf Jahre alt, schwarzes Haar, grüne Augen, eine viel zu große Jacke, schwarz mit Löchern und roten Streifen am linken und grünen streifen am rechten Arm“, beschrieb er ihn so genau wie er konnte. Die Verkäuferin überlegte. Spencer spürte die Eisschokolade in seiner Hand schmelzen. „Ich... Ja. Er hat zwei Bücher gekauft und ist dann gegangen.“ „Gegangen? Und niemand hat ihn aufgehalten?“ „Ich verstehe, dass Sie verängstigt sind, aber-“ „Nein, ich bin nicht verängstigt ich bin in Panik“, korrigierte Spencer so ruhig wie er mit Panik nur konnte. „Wissen Sie welche Richtung?“ „Richtung Chase´s?“ „Danke.“ Wenn er bei Chase´s war, war er in Sicherheit. Tatsächlich saß er an einem der Tische, ein Buch vor sich und seine Füße in der Luft baumelnd. Spencer atmete tief durch. Er war unverletzt. Er war nicht entführt worden. Er war nicht in die Fänge von Monstern geraten. Er war gesund und munter. Alles war gut. Spencer setzte sich und stellte die Eisschokolade vor ihm ab. Sein Cousin kaute weiter auf seinem Stift herum, las in dem Buch und schrieb in ein aufgeschlagenes Notizbuch auf seinem Schoss. Hatte er in dem Alter schon Bücher analysiert? Er bezweifelte es stark. Er trank seinen Kaffee und beobachtete die Leute, die an ihnen vorbei liefen. Normalerweise würde er um diese Uhrzeit Touristen über die Stadt fliegen. Er vermisste es in der Luft zu sein. „Verzeihung, wenn Sie etwas von außerhalb zu essen oder zu trinken haben, setzten sie sich bitte in die Cafeteria im vierten Stock. Dieser Bereich ist ausschließlich für Kunden von Chase´s Falafel.“ Die Frisur war anders und die Stimme war etwas rau, wie nach einer durchgemachten Nacht, aber er erkannte die Augen. Blau und zur Pupille hin grün. „Ich nehme an du willst das Übliche?“ „Schön dich zu sehen Alyx.“ Er lächelte die Kellnerin an. Spencer kannte sie von seiner Zeit in Knightfall. Bevor er nach Grimmsberg umgezogen war. Damals war sie erst vierzehn gewesen und hatte erst angefangen hier zu arbeiten. „Ich dachte du wärst umgezogen?“ „Noch nicht“, sie lächelte zurück. „Am Wochenende.“ Spencer nickte als Zeichen seines Zuhörens. „Ich wohne auch in Grimmsberg. Ich kann dir ein paar echte Geheimtipps zeigen.“ Er gestikulierte mit seiner freien Hand. „Sehr gerne“, sie wandte sich an Drew, „und was darf ich dir bringen, junger Mann?“ Er schaute nicht auf von seinem Buch. „Alles außer Humus.“ „Kein Fan von Humus“, sie machte hm und nickte. „Verstehe ich. Gut, dann bis gleich und Spencer...“ „Ja?“ Sie lächelte ihn freundlich aggressiv an. „Dreh zumindest die Becher so, dass man nicht sieht von wo er ist.“ „Wird gemacht.“ Er drehte sie und verdeckte so das Emblem. Alyx nickte und ging zurück hinter die Theke. Drew gähnte. „Was ist das?“ Er piekte seinen Becher an. „Eisschokolade.“ Der Junge verzog das Gesicht und schob das Getränk von sich. „Ich mag Eis nicht.“ Spencer war entsetzt. Eis war eine der köstlichsten Köstlichkeiten überhaupt. Es war ein Alleskönner. „Jeder mag Eis.“ „Es schmeckt langweilig.“ Spencer wollte etwas erwidern, bevor sein Unterbewusstsein eine Erinnerung von Kate herauskramte. Sie hatte nicht gewusst was Eiscreme war bis sie sechs Jahre alt war und eingeschult worden war. Bis dahin, hatte ihre Oma ihr nur Joghurt als Eis gegeben. „Dann hast du noch nie das richtige Eis gegessen.“ Sein Cousin beäugte das Getränk. „Ich weiß was wir machen wir-“ Ein Blitz unterbrach ihn. Es war kein weicher, warmer Blitz. Kein Naturschauspiel. Nichts Magisches, Mystisches. Es war ein kalter, unnatürlicher, harter Blitz. Der Blitz einer Kamera. Spencer fluchte und durchbohrte den Fotograf mit seinem Blick. Paparazzi. „Wer ist der Junge?!“ „Ist er Ihr Sohn?“ „Ist er ein Zögling von Mr. West?“ „Kümmern Sie sich um ihn?“ „Wo ist Ihre Freundin?“ „Sind Sie Single?“ Spencer kam mit allen Menschen klar, sobald er die Motive verstand, aber eine Berufsgruppe, die er wohl nie verstehen würde, waren Paparazzi. Was trieb diese Leute an, dass sie die Privatsphäre einfach so missachteten? Einfach nur aus Geldgier? Spencer verstand es nicht. Er hatte allerdings auch größere Sorgen im Moment. Drews Augen huschten hin und her. Von einem blitzenden Apparat zum nächsten. Von einem Aufdringlichem zum nächsten. Er atmete nur noch stoßweiße und lehnte sich so weit zurück wie er nur konnte. Weg von den Paparazzi. Das Notizbuch an seine Brust gedrückt in dem Versuch sich abzuschirmen von diesen fremden Menschen. Spencer stand auf und stellte sich vor ihn mit erhobenen Armen. „Ich beantworte eine Frage.“ Sofort schossen alle los. Alyx tauchte hinter ihm auf. „Deine Falafel“, flüsterte sie ihm ins Ohr und presste eine Papiertüte in seine Hand. „Maggie hat den Dienstbotenausgang auf.“ Laut sagte sie: „Ich habe eine Frage: Welche Art von Menschen sind gern gesehen in einem Lokal und welche nicht?“ Die Paparazzi wurden leise. „Wir mögen Kunden. Was wir nicht mögen, sind Personen, die unsere Kunden vertreiben. Entweder sie bestellen etwas oder sie verlassen den Stand oder Version Nummer drei – die gefällt mir am besten – ich rufe die Polizei und lasse sie alle wegen Belästigung und Behinderung des Betriebs einsperren.“ Spencer nutzte ihre Ablenkung und schlich mit Drew zur anderen Seite des Standes und durch den offenen Dienstbotenausgang in die Küche. Maggie – Koch und ein regelmäßiger Besucher des Fitness Clubs im ersten Stock – zwinkerte ihnen zu. Es war schön Freunde zu haben. „Wie geht´s, Spence?“ Er kochte weiter seine Falafel und tat als rede er mit sich selbst, während die zwei Versteckenden sich gegen einen der Schränke lehnten. „Gut, das ist Drew“, stellte Spencer vor. „Er hatte noch nie Eis.“ „Unglaublich“, der Koch warf einen Blick auf ihn und runzelte die Stirn. „Kate?“ „Verblüffende Ähnlichkeit, nicht wahr?“ Maggie schaute wieder hoch und malte Luftschlösser vor sich hin. „Sie liebte meine Falafel und Eistraum.“ Drew schaute ihn mit großen Augen an. „Meine Mutter war oft hier?“ „Ja.“ „Sie mochte Eis?“ „Ja.“ Sein Cousin wandte sich Spence zu: „Ich möchte Eis probieren.“ „Klar.“ Eis war ein Wunderheiler. Es half bei Mandelentzündung und Halsschmerzen, ganz zu schweigen wie gut es gebrochene Herzen, Angstzustände, Frustration, Trauer und Wut heilte. Außerdem half es gegen unerträgliche Sommerhitze. „Sag erst Bitte, Junge.“ Appellierte der Koch an die Manieren des Jungen. Drew kam der Bitte nach: „Bitte.“ „Klar“, wiederholte Spence und machte sich eine Notiz mehr auf Manieren zu achten. „Danke.“ Das Grinsen des Jungen allein war es schon wert mit ihm dorthin zu gehen und dann... könnten sie reden. In Ruhe hoffentlich. Maggie rollte den Falafel-Wrap zusammen. „Luft ist rein.“ „Danke.“ Spencer hielt Drew noch etwas runter und über Hintertreppen suchten sie sich ihren Weg aus dem Einkaufszentrum. Kapitel 8: Kapitel 8 - Jeder mag Eiscreme ----------------------------------------- Eistraum war die beste Eisdiele in Knightfall. Blaue Stühle, blaue Tische, Bilder von Pinguinen an einer Wand und an der anderen Eisbären. Überall Eisschollen. Das Summen der Gefrierschränke verschmolz mit den Hintergrundgeräuschen der Straße draußen und der leisen Musik im Inneren. Perfektes Ambiente für eine Eisdiele. Spencer ließ Drew den Tisch aussuchen und folgte ihm dann. Er wählte einen mittigen Platz. Weit weg vom Vordereingang und Hinterausgang. Kein klarer Blick auf beides und eine große Pflanze versperrte den Blick auf die Toiletten. Dafür war ein riesiger Pinguin neben ihnen an der Wand. Zur Verteidigung: Der Pinguin trug einen Schal und eine Strickmütze. Innerhalb von einer Minute war ein Kellner bei ihnen. Er stellte beiden eine Karte hin. „Lange nicht gesehen, Spencer.“ „Gleichfalls Roy. Der Laden steht noch.“ „Wir machen auch immer noch die beste Eiscreme. In Knightfall“, fügte er hinzu. „Das Übliche?“ „Jup.“ Beiden blickten zu Drew, der auf seinem Sitz unangenehm hin und her rutschte. „Ich weiß nicht... Was ist gut?“ Drew schaute nicht den Kellner an. Er schaute Spencer an mit zusammengezogenen Augenbrauen und großen Augen. „Mit Schokolade kannst du eigentlich nichts falsch machen. Nuss ist auch ausgezeichnet.“ „Dann nehme ich das.“ Er schaute weiterhin seinen Cousin an. Spencer hob einen Mundwinkel und blickte zu Roy hinauf. „Einen Schokonusseisbecher.“ Der Kellner tippte sich mit dem Stift an die Schläfe. „Kommt sofort, Chef.“ Und weg war er. „Du kennst viele Leute“, flüsterte Drew. Spencer bejahte diese Tatsache sehr gerne. „Ja, ich war hier viel mit Kate und Nats und später auch mit Jon und Colt.“ „Wer sind Jon und Colt?“, fragte Drew und fügte hinzu: „und warum machen sie dich traurig?“ „Jon ist ein Adoptivsohn von Chris und der Bruder von Colt.“ Er überlegte seine nächsten Worte. „Colt... starb vor nicht allzu langer Zeit.“ War alles was er herausbekam. „Mom hat von Nats erzählt.“ Spencer bemerkte den Themenwechsel. „Sie kocht gern.“ „Sie ist eine Spitzenköchin“, schwärmte er und fühlte wie etwas in seine Brust stach. „Sie liebt es außerdem zu Fotografieren.“ Drew spielte mit einer Serviette. „Woher kennst du Mom?“ „Wir waren... Nats hat sie mir vorgestellt. Sie hat mir Nachhilfe gegeben. Hör zu wir müssen über deine Mom reden... Es gibt da... Ich...“ Er konnte es nicht. Diese großen grünen Augen. Ein ungetrübter Blick auf die Welt, wie ihn nur Kinder hatten. Oder Tote. Klar wie ein Wolkenloser Himmel. Noch nie hatte jemand ihm das Herz gebrochen. Noch nie wurde sein Vertrauen missbraucht. Spencer konnte es nicht. „Warum hat Kate dich nicht persönlich vorbei gebracht?“ „Weil es ein Spiel ist“, erklärte Drew und warf die Arme in einer Kreisbewegung in die Luft. Er grinste von einem Ohr zum anderen. „Sie gibt mir Aufgaben und jede Aufgabe führt zu der nächsten. Das war die Schwerste bisher.“ Spencer vergaß alles. „Sie gibt dir Aufgaben?“ „Jap, während sie arbeitet.“ Der Junge schlug mit den Beinen gegen den Tischpfosten. „Anfangs waren es Sachen wie ein Puzzle, ein Bild ausmalen, ein eigenes Bild malen. Dann kamen schwerere Sachen: die Stadt erkunden und Orte finden wie Bäckereien oder Museen. Es macht wahnsinnig viel Spaß!“ Spencer zog die Augenbrauen hoch und blinkte, bevor er grinste. „Was passiert nach den Aufgaben?“ Drew überlegte kurz und inspizierte dabei die Decke. Eine Nachbildung des Polarlichts verzierte sie. „Meine Mom wartet auf mich“, sagte er langsam, „oder kommt und wir reisen weiter oder ich bekomme eine neue Aufgabe.“ Sie hatte mal davon gesprochen auf die Art und Weise ihre Kinder auf die Welt vorzubereiten, aber dass sie es wirklich tat? „Reist ihr viel?“ „Ja. Warum hat sie mich hierher geschickt?“ Große grüne Augen starrten ihn an und schienen direkt in seine Seele zu blicken. „Was stand in dem Brief? Steht da wann sie kommt?“ Das ist alles was du brauchst um ihn zu adoptieren. Kate würde nicht kommen. „Drew...“ „Ja?“ „Sie hat dich hierher geschickt, weil...“ Er seufzte und rieb sich den Nacken. „Es ist so, Kate... Deine Mom-“ Worte. Immer fehlten sie wenn er sie brauchte. „Eure Eisbecher. Schoko-Nuss-Eisbecher für dich“, Roy stellte einen gewaltigen Eisbecher vor Drew, „und ein Nuss-Karamell-Eisbecher mit Erdbeeren für dich.“ Er stellte auch Spencers Eisbecher ab und ließ sie wieder allein. „Was ist mit meiner Mom?“, fragte Drew. Er konnte es nicht. Es war ja auch noch nicht sicher, ob Kate nicht doch noch kommen würde. Zumindest um alles zu erklären… „Probiere und dann erzähl ich es dir.“ Er schaute gespannt zu wie sein Cousin einen kleinen Bissen nahm. „Das ist lecker“, er grinste und nahm noch mehr. „Nur langsam“, mahnte Spencer. Er ließ ihn erstmal ein wenig in Ruhe essen, bevor es aus ihm herausplatzte: „Sie hat dich hierher geschickt, damit du deinen Vater kennen lernst.“ Drews Augen wurden noch größer. „Du?“ So viel Hoffnung in diesem kleinen Wort. So viel reine Hoffnung in zwei Buchstaben. „Nein“, sagte Spencer vorsichtig. „Nein, Chris.“ Die Ergebnisse waren noch nicht da, aber Kate war keine Lügnerin. „Chris?“ „Ja.“ „Dein Onkel.“ „Ja.“ Drew war nicht glücklich darüber. Er würde die Information erst einmal verarbeiten müssen. Spencers Telefon vibrierte. Unterdrückte Nummer. „Entschuldige. Ich bin gleich wieder da. Iss´ nicht mein Eis“, scherzte er. Sein Cousin lächelte nicht. Er ging ein paar Meter. „Hallo?“ „Hallo?“, wiederholte die Stimme am anderen Ende wie ein Echo. Die Stimme von Sandpapier. „Wer ist da?“ „Wer ist da?“ Eine weiche sanfte Stimme. Ganz anders als die zuvor. Er seufzte. Ein zweites Seufzen am anderen Ende der Leitung. „Hal, Ich habe keine Zeit und keinen Nerv für deine Spielchen“, betonte Spencer und rieb sich über die Augenbraue. „Sei nicht unhöflich“, amüsierte sich die andere Person prächtig. „Ich habe Informationen für dich, Iki. Lust auf ein Spielchen?“ Als hätte er eine Wahl. „Alles klar.“ Es gab ein splitterndes Geräusch. „Was war das?“ „Glas“, erklärte Hal, als gäbe es nicht verschiedenste Sorten von Glas. Bei Wesen wie Hal sollte man auf jedes Detail achten und alles in Frage stellen. „Triff mich um Mitternacht unter der Abbildung der Welt und vergiss nicht dich umzudrehen.“ KLICK. Die Leitung war tot. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)