Stille Herzen von HalcyTheWolf ================================================================================ Kapitel 1: Das Experiment ------------------------- -Khiai- Die ganze Klasse war unruhig. Gleich würde unser Lehrer verkünden, mit wem wir die nächsten Mittagspausen verbringen würden. Die Schüler würden sich untereinander nicht genug kennen, meinte er. Daher wollte er das Experiment für ein paar Wochen durchführen und sehen, ob sich etwas änderte. Ich hingegen kauerte mich in meine Ecke, wollte davon nichts wissen. Ich versuchte, niemanden anzusehen. Außer ihn. Santi. Gerade sah auch er in Richtung des Lehrers, die tiefschwarzen Haare waren lang genug, dass ihm einige davon in die Stirn fielen. Seine braunen Augen hatte er konzentriert nach vorne gerichtet, doch ich glaubte, darin auch Nervosität sehen zu können. Ich war nah genug, um ihn beobachten zu können, doch auch weit genug weg, dass es nicht auffiel. Der Lehrer räusperte sich: »Also, wie ihr schon wisst, werde ich heute die Konstellationen für die Mittagspause verkünden. Es ist kein Muss, aber es wäre schön, wenn ihr euch daran halten könntet.« Ein Name nach dem anderen wurde aufgerufen, die Reaktionen der Leute zeigten deutlich, ob sie mit dem Ergebnis zufrieden waren oder nicht. »Khiai und Santi«, hörte ich ihn sagen. Was? Ich wusste nicht, ob ich mich über dieses Ergebnis freuen sollte. In Santis Anwesenheit würde ich doch kein Wort herausbekommen! Er drehte sich zu mir um, unsere Blicke trafen sich. Nur eine Sekunde, aber es fühlte sich an, als würde ich von einem Blitz getroffen werden. Vor einem Jahr, als er mich vor den Idioten aus unserer Klasse gerettet hat, hatte diese Sekunde ausgereicht, um mich zu seinem heimlichen Bewunderer zu machen. Schnell wandte er den Blick wieder ab. Auch wenn ich mir wünschte, es wäre länger, war ich mir nicht sicher, ob ich das überhaupt aushalten würde. Dann sollte ich die nächsten Wochen meine Mittagspausen mit ihm verbringen? Bei diesem Gedanken wurde mir heiß und kalt. Eins stand jedenfalls fest: Ich durfte mir auf keinen Fall etwas anmerken lassen. In der Pause am selben Tag trat ich gerade durch die Tür zum Schuldach. Ich wusste nicht viel über Santi, nur dass er hier immer seine Pausen verbrachte. Er saß dort auf der Bank, doch anstatt zu essen, grübelte er über einem Arbeitsblatt. Ich schlich mich heran, setzte mich so weit weg, wie möglich, an das andere Ende der Bank. Wir hatten zwar eine Cafeteria, aber ich bekam das Essen immer von zuhause mit. Oft genug wanderte mein Blick zu ihm. Santi hing weiter über der Aufgabe, seine Stirn lag in Falten. War es so schwer? »Kh-Khiai?«, als er mich ansprach, zuckte ich zusammen. Ich versuchte mein Essen nicht fallen zu lassen, es würde das erste Mal sein, dass wir richtig miteinander redeten. »J-ja?«, die Antwort blieb mir fast im Hals stecken. »Kannst du Mathe?«, wollte er wissen. Ich war vielleicht nicht der Klassenbeste, aber ich denke ich kam gut zurecht. »Schon«, eigentlich wollte ich noch fragen, ob er Hilfe brauchte, doch ich schaffte es nicht. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er auf mich zukam. Ich erstarrte, plötzlich sah ich den Zettel mit den Matheaufgaben vor mir. Langsam sah ich auf, in sein bittendes Gesicht. Mein Herz setzte für einen Moment aus. Ich wandte meinen Blick schnell wieder den Aufgaben zu, Santi gab mir einen Stift. Als ich die Aufgaben überflog, stellte ich fest, dass sie nicht besonders schwierig waren. Eher genau das, was wir gerade im Unterricht machten. »Ich weiß, dass es total unhöflich ist, aber könntest du die Aufgaben für mich machen? Ich werde das auch in zehn Jahren nicht verstehen und wenn ich es heute nicht abgebe, bin ich geliefert«, sagte er und die Verzweiflung hatte ich ihm schon angemerkt. Stumm nickte ich. Setzte den Stift an, löste die Aufgaben für ihn. Nachdem was er für mich getan hatte, war das nicht mehr als eine Kleinigkeit. Nach einer Weile gab ich ihm den Zettel mit den Lösungen zurück. Freudig sah er ihn an: »Danke.« Dann verschwand er in Richtung Tür. Ich konzentrierte mich wieder aufs Essen, konnte mir das Lächeln nicht verkneifen. Endlich konnte ich ihm auch helfen! Innerlich dankte ich meinem Klassenlehrer für dieses Experiment. -Santi- Ich drehte mich an der Tür noch einmal um, sah Khiai lächeln. Das ließ mich sofort innehalten, ich könnte es mir stundenlang ansehen. Ob er selbst wusste, wie hübsch er war? Da er in der Klasse hinter mir saß, hatte ich nie die Gelegenheit, ihn länger anzuschauen. Jetzt, wo er offenbar auf sein Essen konzentriert war, bot sich mir die Chance. Seine Haare waren genauso schwarz wie meine, aber um einiges länger. Khiai versteckte sich gerne dahinter. Doch für das Essen hatte er sie sich hinter die Ohren gestrichen, sodass ich einen guten Blick auf sein Gesicht hatte. Diese geschwungene Nase, die sanften Augen. Ich konnte es immer noch kaum glauben, dass diese dämlichen Hausaufgaben mich mutig genug gemacht hatten, ihn anzusprechen. Er hatte mich gerettet! Wenn ich diesen Zettel nicht abgeben müsste, würde ich ihn einrahmen. Es wäre schön, wenn ich jede Pause eine Ausrede hätte, aber ich wollte ihn auch nicht nerven. Mir würden auch stille Pausen mit ihm reichen, ich war schließlich nur ein heimlicher Bewunderer. Seufzend löste ich mich von diesem Anblick und trat meinen Weg zum Lehrerzimmer an. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)