Von Hoffnung und Verrat von _Micawber_ ================================================================================ Kapitel 3: ----------- „Ich sehe es als eine Art Warnung an, Eivor. Ein Hinweis. Du solltest vorsichtig sein.“ Valka rieb sich nachdenklich das Kinn. Eivor hatte ihr von ihrem Traum erzählt. Ein merkwürdiger Traum, jedoch mit einer klaren Botschaft, wie sie fand. „Eine Warnung? Aber wovor?“ Eivor verstand nicht. Vielleicht wollte sie das auch nicht. Was könnte so furchtbar sein, dass ihr Vater sie auf diese abscheuliche Art und Weise davor warnen wollte? „Bist du sicher, dass du das richtig deutest?“ Sie sah Valka skeptisch an. Diese schwieg zuerst und musterte Eivor mit einem starken Blick. Sie wollte ihr die Zeit geben, selbst darüber nachzudenken und vielleicht eine Antwort zu finden. Doch Eivor schüttelte nur kurz den Kopf und zog die Schultern hoch. „Erzähl mir von dem Mädchen, das heute Morgen hier ankam.“ „Valka, bitte nicht auch noch du.“ Wieder Stille. Eivor hatte damit gerechnet, dass auch Valka Eysa gegenüber skeptisch war. Sie tauschten kurze Blicke aus. Eivor wusste, dass sie nicht umhin kam, sich vor Valka für ihre Entscheidung zu rechtfertigen. Sie setzte sich auf einen Stuhl in der Ecke und atmete hörbar ein und aus. Dann begann sie, Valka alles zu erzählen. „Ihr Name ist Eysa. Sie zählt 23 Winter und kam aus Finnland hier her. Geflohen vor Gorm. Kannst du dir das vorstellen? Dieser miese Hund! … Nun, jedenfalls... als ich sah, was Dag und die anderen mit ihr machten, da konnte ich nicht wegsehen. Ich fühlte mich in der Verantwortung, etwas zu tun. Ihr einen Platz bei mir anzubieten erschien mir das mindeste, das ich für sie tun konnte. Ich glaube... sie erinnerte mich ein wenig an mich selbst. Als Kjötvi mich damals verkaufen wollte fühlte ich auch diese Angst. Diese Angst, nie wieder ein Zuhause zu haben, vielleicht sogar zu sterben. Von jedem gehasst und wie Vieh behandelt zu werden. Wären sie damals mehr Männer gewesen, wäre ich heute nicht hier... denke ich. Ich musste sie mit ins Langhaus nehmen. Ergibt das... irgend einen Sinn für dich?“ Valka nickte nachdenklich. Sie bemerkte, dass es Eivor schwer viel, darüber zu reden. Umso mehr hoffte sie nun, dass die Nornir etwas Licht in das Dunkel bringen konnten. Sie schloss langsam die Augen und hörte in sich hinein. Valka verließ sich stets auf das, was die Nornir ihr vorgaben. Es offenbarten sich ihr einige Dinge, die sie jedoch zweifeln ließen. In ihrer Vision sah sie große, dunkle Wolken über Hræfnathorp aufziehen. Sie sah, wie immer mehr Menschen in das Dorf strömten, ob Freund oder Feind konnte sie nicht sicher sagen. Es war laut und hektisch. Sie sah Raben, viele Raben, die zu Boden gingen. Labten sie sich an Toten? Sie konnte es nicht erkennen. Zwischen all dem sah sie Eivor. Klar und deutlich. Sie lag auf dem Boden, hatte ihre Axt in der Hand. Sie blutete stark. Es musste eine große Verletzung sein. Welche, blieb Valka zu sehen verwehrt. Es wirkte immer mehr, als würde ein Kampf stattfinden. Immer wieder sah sie Eivor, die sich durch die Massen schleppte. Sie wirkte verzweifelt. Es schien, als suche sie jemanden. Dann, plötzlich, war es still. Totenstill. Valka riss die Augen auf und legte eine Hand auf ihre Brust, während sie nach Luft rang und beinahe zusammen brach. „Was ist?!“ Eivor sprang auf um sie zu stützen. „Valka, sprich mit mir! Was hast du gesehen?“ Die Seherin stützte sich auf ihren Tisch. Es dauerte einige Zeit, bis sie wieder in der Realität ankam. „Es geht schon. Danke Eivor.“ Einen Moment lang sammelte sie sich. Sie musste wieder zu Atem kommen. Visionen solcher Art hatte sie nicht oft. Und wenn, dann verhieß dies zumeist nichts Gutes. Sie wandte sich zu Eivor um. „Die Nornir zeigten mir das Dorf. Menschen. Viele Menschen. Und dich, Eivor. Doch diese Vision war nicht erfreulich. Sie war dunkel. Bösartig.“ Eivor hörte angespannt zu. Sie wusste genau so wie Valka es tat, dass dunkle Visionen oft der Wahrheit entsprachen. Es gab bisher nur wenige, die nicht eintraten. „Das Mädchen, Eysa, sah ich nicht. Aber ich bitte dich, Eivor. Du musst vorsichtig sein. Eine solche Offenbarung müssen wir ernst nehmen. Du solltest mit Randvi und Sigurd darüber sprechen.“ Eivor schüttelte sofort den Kopf. „Das kann ich nicht, Valka! Sie werden es mit Eysa in Verbindung bringen und dann... dann...“ „Ich bitte dich, Eivor. Du solltest alles in Betracht ziehen“, unterbrach Valka sie. „Warum bist du Eysa so zugetan? Warum bist du ihr so zugetan, dass du sogar einen deiner besten Männer erschlugst?“ „Dag hat nicht auf meinen Befehl hin gehandelt! Er hat ihn sogar missachtet! Er hatte den Befehl, Hilflosen nichts anzutun!“, verteidigte sich Eivor. „Und doch wollte er den Clan schützen, in dem er lebt. Bitte sei vorsichtig, Eivor. Lass dich nicht von deinen persönlichen Gefühlen übermannen. Denn sonst bist du oft blind für das Offensichtliche.“ Eivors fassungsloser Gesichtsausdruck prallte an Valka ab wie ein Pfeil an einem Stahlschild. Sie wusste, dass sie Eivor oft nur mit gnadenloser Ehrlichkeit die Augen öffnen konnte. Und sie musste sich darauf verlassen, dass ihre Worte an sie deutlich genug waren. Auch, wenn Eivor nun wortlos ihre Hütte verließ. Sie wusste, nicht lang und sie würde wieder kommen. Und bis dahin würde Valka sich selbst ein Bild von Eysa machen. Um den Clan zu schützen, um Eivor zu schützen und um immer auf das Schlimmste vorbereitet zu sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)