Colorblind von Neku_off (Take your glasses off) ================================================================================ Kapitel 2: Two not of a kind ---------------------------- Etwas mit Shiemi unternehmen... Ja, danke aber nein. Yukio hatte nichts gegen das blondhaarige Mädchen, im Gegenteil. Sie war treudoof, irgendwo süß, begabt als Tamer, aber ihre Anwesenheit konnte auch extrem anstrengend sein. Und damit meinte er absolut ihre Ungeschicklichkeit außerhalb der Schule. Dennoch mochte er sie, sie war auch ihm gegenüber, wie auch allen anderen, sehr nett und kommunikationsfreudig. Auch dass sie viel über Pflanzen und deren Wirkungen wusste, war immer gut im Hinterkopf zu behalten, falls es irgendwann mal brenzlig werden sollte bei Aufträgen. Sie war schon eine Klasse für sich. Sich kurz streckend marschierte Yukio die lange Brücke über der Akademie entlang, die er nur mit dem Schlüssel seines Vaters hatte erreichen können. Er hatte einen Zettel mit zwei Worten drauf von ihm in die Hand gedrückt bekommen, dazu noch den Schlüssel. Diese auf dem Zettel stehende Bestellung würde er nun bei Shiemis Mutter, welcher der Laden für Exorzisten-Bedarf übrigens gehörte, abholen. Ihre Mutter hatte ihr zusammen mit der Hilfe ihrer verstorbenen Großmutter alles über Heilkräuter beigebracht und daran war nichts verloren gegangen. Außer dass Shiemi manchen Pflanzen eigene Fantasienamen gab, anstatt die korrekten Bezeichnungen zu nutzen oder zu lernen... Naja, solange sie das erreichte, was sie beabsichtigte, war das auch zu akzeptieren. Gerade stieg Yukio die Steintreppen Richtung Haus hinauf und passierte dabei den Garten, in dem Shiemi ihre Freizeit verbrachte. Mit einem kurzen Handzeichen grüßte er das Mädchen und setzte seinen Weg fort. Sie winkte direkt freudig zurück, kam ihrer aktuellen Beschäftigung dann aber auch wieder nach und pflanzte einige Blumen weiter an. „Ah, Yukio. Heute ohne Shiro?“ Shiemis Mutter begrüßte ihn mit einem Lächeln, und der Novize schüttelte den Kopf. „Vater ist heute leider nicht dabei, aber ich soll etwas für ihn abholen. Er meinte, er habe das mit Ihnen geklärt.“ Yukio kam an den Tresen des kleinen Raumes und überreichte der Frau den Zettel. Diese strich sich ihre braunen Haare aus dem Gesicht und hinters Ohr. Dahinter waren ihre Haare in einen losen Zopf zusammengebunden, weshalb direkt wieder einige Strähnen in ihr Gesicht fielen. „Aber natürlich, dafür bräuchte ich nicht Shiros Einverständnis, das bekommst du auch so. Aber weiß nur niemand von diesem Zeug. Nur du, dein Vater und ich.“ Verwundert hob Yukio eine Augenbraue. Nur sie drei wussten davon? Was konnte das denn so tolles sein, wenn selbst ein Novize diese Bestellung abholen durfte? Doch die etwas dickere Frau lief nach hinten in das Lager im nächsten Raum und begann zu kramen. Währenddessen sah Yukio sich in dem kleinen aber hohen Raum um. Gefühlt tausende von Schubladen erstreckten sich über die Wände und in jeder von ihnen verbarg sich etwas anderes. Dass es so viele verschiedene Dinge gab, die man zur Beseitigung und Bekämpfung von Dämonen nutzen konnte... Und es roch an jedem Fleck anders. Mal süßlich, mal biss es in der Nase. Ob Shiemi Pflanzen nur anhand ihres Geruches zuordnen konnte? „Hier haben wir es auch schon“, meinte Shiemis Mutter und stellte eine Box vor Yukios Nase, eingepackt in ein Tuch. „Bitte nicht fallen lassen, die Flasche darin ist aus Glas.“ „Und was befindet sich darin?“ „Das darf ich dir leider nicht verraten.“ „Aber ich darf es als Novize abholen und nutzen? Wenn ich nicht einmal weiß, wie die Bezeichnung ist?“ Shiemis Mutter zwinkerte ihm zu, was den Jungen nur noch mehr verwirrte. „Die Munition für deinen Vater ist gegen Nachmittag da, das kannst du ihm ausrichten. Sonst sind wir schon fertig mit der Bestellung. Bezahlt hat dein Vater schon.“ „Alles klar, vielen lieben Dank, Frau Moriyama.“ Der Junge verbeugte sich, nahm die Box in die Hand und verließ den Laden. Vor der geschlossenen Tür versuchte er an dem Paket zu riechen, was aber absolut absurd war, da kein Geruch aus einer Flasche UND einem Paket kommen könnte... Es sei denn, die Flüssigkeit wäre ausgelaufen. Seufzend verließ Yukio das Anwesen wieder und zückte am Ende der Brücke den Schlüssel, den sein Vater genutzt hatte, um zu Yuris Hütte im Wald zu gelangen. Sich schüttelnd durchschritt er die Tür und stapfte den Berg, wie auch am Vortag mit seinem Vater, hinauf. Nach dem Fußmarsch von einigen, ihm zu langen, Minuten stand Yukio vor der Hütte, aus der ein angenehmer Geruch ins Freie zog. Einige beruhigende Atemzüge später klopfte Yukio an die Holztür und wartete brav. Nach zehn Sekunden wiederholte er den Vorgang und dann wurde auch die Tür geöffnet. Rin spähte hinter dieser im Spalt hervor, sah Yukio kurz ins Gesicht und schloss sie dann kommentarlos wieder. Sauer zuckte das Augenlid des Novizen. Am liebsten hätte er das Paket einfach hingestellt und wäre gegangen. Aber er hatte es seinem Vater versprochen. „Cool bleiben, der ist ein Idiot... Mit denen hat man tagtäglich zu tun...“, sprach Yukio beruhigend zu sich selber. „Die Wände hier sind echt dünn, wow!“, kam es von der anderen Seite der Tür. „Fast als würde man unnötige Halluzinationen von Vollidioten vor der Haustür hören!“ Der Griff um die Flasche in seiner linken Hand verstärkte sich stumm. Yukio atmete tief ein und hielt für einige Sekunden die Luft an. Dann hob er seine rechte Hand wieder, ballte diese zur Faust und klopfte erneut mit den Fingerknöcheln an die Holztür. Diese wurde auch sofort wieder trocken von Rin geöffnet. Nur dieses Mal schob Yukio sich an ihm vorbei und stieß dabei mit seiner Schulter an die des Kleineren. Sofort legten sich alle Schalter bei dem anderen Jungen um. „Hey, was fällt dir Scheißkerl eigentlich ein?!“ Rin packte Yukio am Kragen und hinderte ihn am Weiterlaufen. „Verzieh' dich gefälligst aus unserem Haus!“ Stumm sah der Brillenträger ihn aus dem Augenwinkel an und befreite sich mit einem gekonnten Griff von Rins Hand. Dieser hielt sich kurz das Handgelenk und zog die Augenbrauen nur noch mehr herunter. Zumindest so lange, bis sich sein Gesichtsausdruck wieder sanfter wurde und sich seine Hände an seine Hüften legten. Abwertend hob er die Nase, war aber dennoch Kleiner als sein Gegenüber. „Och, hat Daddy deine Spielzeugpistole konfisziert? Ich hab noch 'ne Wasserpistole da, willst du die vielleicht haben?“ „Für deine niedrige Intelligenz kennst du ja ganz schön komplizierte Wörter. Lässt Mama dich jeden Tag zehn Minuten im Wörterbuch blättern, dass du deinen Wortschatz erweitern kannst? Andere Bücher scheinst du ja nicht zu kennen“, feuerte Yukio sofort scharf zurück, und Rin ließ ihn vor Schock los. Sauer fletschte er die Zähne und seine Arme zitterten vor Wut, da sich seine Hände zu Fäusten geballt hatten und nicht wussten, wohin damit. Yukios Gesicht wäre sein bevorzugtes Ziel gewesen, doch das konnte er noch nicht bringen. Und außerdem war dieser dezent fasziniert von den Eckzähnen seines Gegenübers gewesen. Selten hatte er so gutaussehende, nahezu animalische Eckzähne gesehen. Stattdessen deutete Rin auf den Novizen und tippte ihm so stark auf die Brust, dass Yukio sich sicher war, ein Hämatom davonzutragen. „Ich kann dich Klugscheißer und Schoßhündchen nicht ausstehen“, stellte Rin klar, stieß nun im Gegenzug Yukio mit seiner Schulter aus dem Weg und sprintete die Treppe wieder nach oben. Yukio blieb nur stumm zurück und ein fieses Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Ordentlich schüttelte er sich, fasste sich dadurch wieder und drückte die Tür ins Schloss. Er zog sich seine Schuhe aus, stellte sie ordentlich neben die Tür und klopfte an die angelehnte Wohnzimmertür, in der, seiner Vermutung nach, Rins Mutter sein würde. Und tatsächlich, nachdem Yuri ihn hereingebeten hatte, saß sie dort auf der Couch vorm brennenden Kamin und schien an etwas zu stricken. Sah fast aus wie ein Pullover. „Bestellung von Vater“, meinte Yukio knapp und hob die Box leicht hoch, um seine Aussage zu untermalen. „Bitte, zieh' die Jacke doch aus und setz dich. Rin und ich haben Kuchen gebacken und dir ist sicher kalt. Der Kuchen ist noch warm, leg die Box einfach auf der Kommode ab!“ Überfordert von der plötzlichen Einladung kam Yukio der Bitte aber nach. „Katzenminze-Wein?“ Zögerlich schnupperte Yukio an der Flasche und zog sofort den Kopf wieder zurück. „Riecht ja grauenhaft.“ „Ihm schmeckt's“, erwiderte Yuri lachend und kraulte Kuro, der auf dem Tisch saß und genüsslich die ekelhaft Substanz schleckte, hinter den großen Ohren. Als die Katze sich aus Reflex mit der Hinterpfote hinterm Ohr kratzen wollte unterbrach die Mutter die freche Geste allerdings. „Wie seid ihr an einen magischen Diener gekommen?“ „Wir kümmern uns um Kuro und er kümmert sich um uns. Mit Wölfen und Wildschweinen ist nicht zu spaßen, das musste Rin auch schon lernen.“ Yuri wuschelte ihrem Sohn durch die Haare und lachte dabei herzhaft. Wie konnte eine so liebe und gutherzige Person nur einen solchen Muffelkopf großziehen? Er schien das totale Gegenteil von ihr zu sein; stur, dickköpfig und vorlaut. Allerdings ließ ihr Sohn diese Aussage auch nicht ohne Kommentar auf sich sitzen. „Das Vieh hat mich provoziert und nicht andersherum“, stellte er monoton klar und nahm einen Bissen von dem Kuchen, den er und seine Mutter am Vormittag gemeinsam gebacken hatten. Und Yukio musste zugeben, dieser Kuchen schmeckte abgöttisch gut. Er hatte schon zwei Stücke gegessen und ein drittes abgelehnt, um ihnen diesen nicht unhöflich wegzuessen. Yuri musste vermutlich eine begabte Person in der Küche sein, denn selten hatte er so einen schmackhaften Küchen essen dürfen. Vielleicht hatte dieser Lieferauftrag doch was Gutes an sich... Kuchen umsonst war doch immer gut. „Und du hast... ein Wildschwein angegriffen?“ Yukio zog skeptisch eine Augenbraue hoch. „Und es auch noch überlebt?“ „Das hier ist mein Revier.“ Rin breitete die Arme stolz aus, als würde er ein Königreich präsentieren wollen. „Also pinkelst du auch an Bäume, so wie ein Tier? Oder wie darf ich das verstehen?“ „Yukio, manche Fragen solltest du dir lieber verknei-“ Rin unterbrach seine Mutter. „Kommt drauf an, hält es dann Ungeziefer wie dich fern von uns?“ Der Junge grinste sein Gegenüber blöd an und bekam von Yuri eine auf den Hinterkopf verpasst. „Aua!“ „Rin, es reicht.“ „Warum denkst du halten die Viecher sich im Sommer von unseren Anbauten fern?“, schmollte Rin, und Yukio verschluckte sich an seinem Tee. Yuris Blick blieb einige Sekunden auf ihrem Sohn haften, ehe sie verstört blinzelte und dann ihren Kopf wieder zu Yukio drehte. Dieser klopfte sich gerade immer wieder auf die Brust, um wieder zu Atem zu kommen. Der Kerl nahm aber auch echt absolut kein Blatt vor den Mund, oder? Es herrschte daraufhin Schweigen im Raum und lediglich das Schlürfen von Rins Getränk unterbrach dieses für einen kurzen Moment. Er liebte sich dafür gerade abgöttisch, ja. Endlich hatte er es geschafft, dass dieser bebrillte Vollpfosten für länger als zehn Sekunden die Klappe hielt. „Ich...“ Der Novize versuchte irgendwie das Gespräch fortzuführen, war allerdings von dem selbstverliebten Lächeln von Rin zu abgelenkt dafür. Wie konnte man so selbstsicher und überzeugt von sich sein? Der Kerl sprudelte ja nur so vor Stolz. Aber Rin entschied sich dagegen, etwas zu erwidern. Er konnte auch so, er war nicht nur frech und vorlaut. Nein, er konnte seine Feinde gut mental auslasten und verwirren. „Jemand noch Tee?“ Yuri lachte nervös und stand mit ihrer Tasse in der Hand auf. „Danke, nein“, antwortete Yukio höflich und nippte stattdessen an seinem Getränk. „Gut, bringt euch bitte in der nächsten Minute nicht um, ja?“ „Keine Garantie.“ Rin lehnte sich analysierend zurück während seine Mutter in die offene Küche lief, die am anderen Ende vom Raum war. „Also lass uns ein Spiel spielen. Du trägst 'ne Brille weil du schlecht sehen kannst?“ „Wow, du kennst die Definition des Wortes Brille ja sehr gut.“ Rin stöhnte genervt und rollte mit den Augen. „Danke, hab ich aus dem Wörterbuch. So, warum-“ „Ich bin dran“, unterbrach Yukio ihn scharf und sah ihn ernst an. „Warum bist du so unhöflich?“ „Ich mag es nicht, wenn man eine Waffe auf meine Familie richtet. Warum wirst du Exorzist?“ „Weil ich gesehen habe, wie toll mein Vater den Menschen damit helfen kann. Das will ich auch. Ich mache meinen Meister als Dragoon. Eventuell hänge ich den Doktor noch dran, da ich mich sehr für Medizin interessiere und Anti-Dämonika eins meiner besten Fächer ist. Vater wird außerdem irgendwann mit mir testen, wie geschickt ich als Tamer wäre.“ Yukio wusste, dass Rin mit einigen dieser Worte vermutlich nichts anfangen konnte, da sie auch nicht im Wörterbuch zu finden waren, aber er hatte die Frage beantwortet. Wenn der Schwarzhaarige wissen wollte, worum es sich bei diesen Worten handelte, würde er schon nachfragen. Dennoch hatte er offen und ehrlich seine Frage beantwortet und war nun selber wieder an der Reihe, eine zu stellen. Yuri stand noch immer in der Küche und beobachtete die Teenager bei ihrem gegenseitigen Verhör. Gerade fühlte sie sich nicht dazu gezwungen, in ihrer Nähe zu sein, da sie keine Anstalten machten, sich gegenseitig an die Kehle zu springen. „So, ich bin an der Reihe.“ „Jaja, mach schon“, winkte Rin ab und schnüffelte auch kurz an dem mitgebrachten Wein für seinen magischen Diener. „Woher hast du deine Masho, Rin?“, fragte Yukio interessiert und lehnte sich ein wenig nach vorne und auf dem Tisch. Dabei umklammerte seine rechte Hand die Tasse Tee, die Yuri ihm vorhin netterweise aufgekocht hatte, noch fester. „Meine was?“ Rin legte den Kopf schief und sah den Jüngeren verwirrt an. Seine Schultern spiegelten seine Verwirrung nur wider, da er sie planlos hängen ließ. „Na deine Masho?“ „Was ist denn eine Masho?“ Yuri kam nun doch wieder zurück und fuhr ihrem Sohn im Vorbeilaufen durch die schwarzen Haare. Dann nahm sie wieder neben ihm Platz. Sie saßen nun wieder gemeinsam Yukio gegenüber. Dessen interessierter Gesichtsausdruck wandelte sich langsam zu einem etwas angesäuertem um. Die Finger um den Griff der Tasse lösten sich und legten sich stattdessen auf seinen Oberarm, da er die Schultern nun verschränkte und sich noch immer auf den Tisch lehnte. „Seit wann kannst du Dämonen sehen?“ Rins Blick wurde nun immer fragender. Meinte er das gerade wirklich ernst? Es gibt Leute die keine Dämonen sehen konnten seit ihrer Geburt? Nein, niemals. „Deine Mutter hat ihre Masho vermutlich zu Beginn ihrer Ausbildung als Exorzistin erhalten. Woher hast du deine?“ „Hey“ Der Schwarzhaarige lehnte sich zu seiner Mutter, nahm seinen Blick aber nicht von Yukio. „Was ist 'ne Masho?“ „Eine Masho ist-“, begann Yuri, doch Yukio klopfte ablenkend auf den Tisch, um die Aufmerksamkeit wieder auf sich zu ziehen. „Jetzt stell dich doch nicht dümmer als du bist!“, unterbrach Yukio die Mutter und warf fassungslos die Arme in die Luft. „Du kannst mir doch nicht sagen dass du seit deiner Geburt Dämonen sehen kannst! Und dass du nicht weißt was eine Masho ist, immerhin ist deine Mutter eine ehemalige Exorzistin!“ „Doch, zufälligerweise kann ich das! Ich unterziehe mich doch keinem komischen Ritual, um Dämonen sehen zu können, warum sollte man das tun?!“ „Hast du deine Masho als Kleinkind erhalten und erinnerst dich nur nicht?“ Rin gestikulierte wild mit seinen Händen, nicht wissend, was er mit diesen tun sollte. Denn Yukio an die Kehle zu springen wäre keine schlaue Idee gewesen. Vor allem nicht vor den Augen seiner Mutter, die die Konversation der gleichaltrigen in Ruhe mitverfolge und ab und an an ihrer Tasse Tee nippte. Natürlich wusste sie, was eine Masho war. Und sie hatte es nie für notwendig erhalten, Rin das alles beizubringen. Immerhin war die Wahrscheinlichkeit, dass ein Halbdämon Exorzist werden wollte nahezu bei Null. Er sollte als normaler Mensch leben, der eben die Möglichkeit hatte, Dämonen zu sehen. Mehr nicht. Und das wusste Rin. Er kannte seine Geschichte und hatte sich dafür entschieden, sie zu akzeptieren, aber nicht zu respektieren. Er wusste, dass er anders war aufgrund seines Blutes, das zur Hälfte von einem Dämonen stammte. Auch wusste er, dass es ein Geheimnis war. Seine Mutter hatte ihn mit dem Wissen großgezogen, dass es im Alter keine Probleme geben würde, wenn sie es ihm verheimlich hätte. Seit seiner Kindheit hatte Rin gelernt, seinen schwarzen Schweif gekonnt zu verstecken – meist schlang er ihn um seinen eigenen Oberkörper. Seine Haare waren gerade lang genug, um seine Ohrspitzen so verbergen und auch wenn der Wind diese mal entblößte, wenn man nichts wusste, dann bemerkte man auch nichts. Einzig seine Zähne waren ein wenig ausgeprägter als bei normalen Menschen, was man aber ganz einfach auf die Genetik schieben konnte. Rin konnte einfach undercover in Assiah leben und wusste seine Kräfte zu kontrollieren. Auch wenn er das als Kind auf die harte Tour hatte lernen müssen, wenn andere Kinder nicht mit ihm hatten spielen wollen, weil er wilder und intensiver gespielt hatte. Er hatte gelernt dass er anders war. Viel zu früh, aber er hatte es gelernt. „Ist der so dumm oder tut der so?“ Rin wandte sich an Yuri, und riss sie aus ihren Gedanken. „Versteht der Idiot unsere Sprache nicht?“ „Musst du immer gleich beleidigen?“, entgegnete Yukio lauter, und Rin sah ihm wieder in die Augen. Er lachte kurz auf. „Hör zu, Scheißkerl, wir haben die letzten fünfzehn Jahre ohne Exorzisten überlebt, wir brauchen euch Ausgeburten der Hölle nicht in unserem Leben! Ihr tötet Dämonen nur, weil ihr denkt, sie seien böse! Aber nicht alle Dämonen sind so!“ Rin schlug mit der Faust vor sich auf den Tisch und deutete dann vorwurfsvoll auf den Jungen vor sich auf der anderen Seite des Tisches. „Das musst du gerade sagen! Wer verhält sich hier wie die Ausgeburt der Hölle?!“, platzte es aus Yukio heraus, und sofort lehnte Rin sich über den Tisch und packte ihn am Kragen seines gelben Oberteils. Dass er dabei seinen Stuhl und das Glas Wasser vor sich umwarf war ihm egal. Mit einem gekonnten Ruck zog er Yukio zu sich über den Tisch – so nah an sich, dass sie sich in die Augen blicken konnten. Der Novize spürte den heißen Atem des Kleineren auf seinen Lippen während seine Augen die des Jungen abtasteten. Er hatte die Augen seiner Mutter, abgesehen von der Farbe. Yuris Augen glichen dem Grün vom Wald im Frühling, während Rins Augen dem Ozean glichen. Aber es war die exakt gleiche Form wie bei seiner Mutter, die übrigens vergeblich versuchte, Rins Griff zu lösen. Und Yukio wollte nicht lügen, aber Rins Blick ließ gerade ernsthaft sein Herz in die Hose rutschen. Er wirkte wie ein Tier, das seiner Beute bereits mit den Zähnen in der Kehle hing und nur noch darauf wartete, dass dieses nachgab und an ihren eigenen Blut erstickte. „Jetzt hör mir mal gut zu, mein Freund“, zischte Rin. „Du bist kein Macker, nur weil du aktuell noch ein Kindergartenkind in deiner Ausbildung bist. Wir kommen hier auch gut ohne dich oder den Alten zurecht, also lasst uns gefälligst in Ruhe, sonst versaut ihr noch etwas, was wir ausbaden dürfen, kapiert?!“ „Wir können es auch einfach dem Ministerium melden, dass ihr euch hier verdeckt haltet. Dann müssen weder Vater noch ich hier je wieder hinkommen, weil die euch dann in die Mangel nehmen, weil ihr irgendetwas zu verheimlichen habt!“ Yukio packte Rins Unterarm, mit dem er ihn noch immer festhielt. Seine grünen Augen funkelten ihn böse an, während Rins Pupillen sich gefühlt zu Schlitzen verengten. Ihm war auch nicht mehr nach Alberei zumute. Wenn Rin austicken wollte und Krieg anzetteln wollte konnte er diesen sehr gerne haben. Denn ihm war bewusst, wer hier als Sieger hervorgehen würde. Für den Kleineren war die Partie schon gelaufen bevor sie überhaupt anfangen konnte. Er stand schon im Schachmatt. „Ich könnte dir hier und jetzt so sauber die Fresse polieren, dass selbst deinen Urenkel noch der Schädel brummt-“ „Rin!“ Yuri drehte Rins Kopf zu sich, woraufhin dieser Yukio ein wenig lockerer ließ und dieser sich mit seinen Zehenspitzen wieder auf den Boden stellen konnte. „Deine Nase!“ Erst jetzt bemerkte der Dunkelhaarige die warme Flüssigkeit, die seine Lippen hinab zu seinem Kinn rannte und auf seinen dunkelblauen Pullover tropfte. Er verfärbte sich dunkler, ehe er aus Reflex von Yukio abließ und sich seine Hand unter die Nase hielt. Binnen Sekunden rannte das frische Blut auch den Handrücken hinab und mit der freien Hand deutete Rin auf den Novizen vor sich auf dem Tisch. „Wir klären das. Irgendwann. Unter vier Augen. Nur du und ich“, fügte er am Ende noch scharf hinzu und verließ das Wohnzimmer Richtung Bad, um sich um seine blutende Nase zu kümmern. Kuro folgte ihm besorgt und tapste hinter ihm her. Yukio ließ sich stumm auf seinen Stuhl zurücksinken und betrachtete den Bluttropfen, der auf seinen Handrücken getropft war, als Rin ihn zu sich gezogen hatte. Yuri wischte währenddessen das verschüttete Wasser auf und entschuldigte sich immer wieder für das Verhalten ihres Sohnes. Ihr war es so unangenehm, dass die Jungs sich wie zwei kleine Mädchen anzickten und sie nichts dagegen hatte tun können. Dabei fühlte sie sich so verantwortlich dafür, dass sie sich anfreundeten oder einander zumindest tolerierten. „Yukio, es tut mir so unfassbar leid.“ Beschämt versteckte Yuri ihr Gesicht hinter ihren Händen. „Ich verspreche es dir, Rin ist kein schlechter Junge. Bitte denk nicht schlecht von ihm.“ „Kriegt er immer Nasenbluten, wenn er sauer wird?“ Mit einer Serviette wischte Yukio sich den Tropfen Blut vom Handrücken. Sein Blick traf den der besorgten Mutter. „Nur im Extremfall, wenn er wirklich kurz davor ist, die Beherrschung zu verlieren.“ „Yuri, warum ist Rin so? Woher hat er einen magischen Diener?“ „Ich schieb es auf die Pubertät...“ Sie ging gar nicht auf die zweite Frage ein. „Woher kennst du meinen Vater, wieso bist du hierhergekommen? Warum werde ich hier mit reingezogen, wenn ich nur meiner Ausbildung nachkommen will?“ Yukio schien von Frage zu Frage verzweifelter und sah die Braunhaarige schon fast hilfesuchend an. „Wieso ich?“ „Shiro und ich denken einfach, dass ihr euch gut verstehen würdet. Immerhin habt ihr beide immer nur alleine gelebt, weder Rin noch du hatten groß Freunde in der Kindheit. Zumindest wurde mir das so geschildert von Shiro.“ Schweigen, ehe ein Nicken von dem Novizen kam. „Aber... es tut mir leid, das so auszudrücken... ich komme mit Rin nicht klar. Er hat deutlich gesagt, dass er kein Interesse an Kommunikation mit mir hat.“ Yuri umschloss Yukios Hände mit ihren eigenen. Sie waren warm. „Rin braucht Zeit sich zu öffnen. Aber sobald man ihn kennenlernt ist er ein guter Junge.“ „Dann wird er bestimmt auch andere Freunde finden“, erwiderte Yukio aufmunternd und nickte erneut. „Ich bitte dich, Yukio. Gib ihm noch eine Chance. Ich war früher auch wie Rin, wollte mir von niemanden was sagen lassen, habe immer widersprochen und alles besser gewusst. Selbst dein Vater konnte mich damals nicht ausstehen, und ich bereu es, den Kontakt zu ihm nicht gepflegt zu haben, wir haben nur selten miteinander geredet oder uns gesehen. Du kennst seine Schlüssel, wir haben uns gesehen, aber nur, wenn Rin nicht anwesend war.“ „Dabei meinte Vater doch, dass ihr euch seit Jahren nicht gesehen habt... Was für ein Spiel spielt ihr hier?“ Skepsis zog sich über das Gesicht des Jungen. „Shiro und ich hatten früher keine gute Beziehung miteinander. Das kam mit dem Alter, aber er war immer da, wenn etwas war.“ „Das sieht ihm ähnlich, ja...“ Yuri öffnete Yukios Hand in ihrer und drückte ihm etwas in diese. Dann nickte sie aufmunternd und ließ endlich von ihm ab. „Mit dem Alter wird man reifer und schlauer. In dieser Phase befindet Rin sich. Ich wäre dir dankbar, wenn du ihn zu verstehen versuchst“, erklärte sie und brachte die Tassen in die Küche, wo sie auch direkt die nassen Tücher wegwarf. Schweigend sah Yukio ihr dabei zu und dann auf den Gegenstand, den sie ihm in die Hand gedrückt hatte. „Aber... wie soll man jemanden verstehen, der sich verschließt?“, fragte Yukio sich selber und erhob sich vom Tisch. „Yuri, ich danke für die Gastfreundschaft, aber ich muss noch etwas für Vater erledigen.“ Das war eine Lüge, aber davon musste sie ja nichts wissen. Mit einem Lächeln nickte die Mutter und der Junge verbeugte sich leicht, ehe er sich seine Jacke überwarf und das Wohnzimmer verließ, um durch die Haustür aus Rins „Revier“ zu verschwinden. Wieder nahm er einige tiefe Atemzüge von der kalten Luft hier oben und merkte, dass sein Herz noch immer am Rasen war vor Angst und Unsicherheit, die er eben Rin gegenüber verspürt hatte. Dann sah Yukio schweigend auf die kleine Blüte, die Yuri ihm eben in die Hand gedrückt hatte. Es war die gelbe Blüte einer Lilie. Gelbe Lilien standen für Dankbarkeit. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)