Die Geflügelte Schlange - Erkenntnis (Ein Fragment) von Erzsebet (* * make love, not war * * - Teil 3) ================================================================================ Kapitel 2: 2. Schicksale ------------------------ Kapitel 2 gehört zeitlich in den Tag und die Nacht, in der DGS-Aufstieg Kap.9 (Das Fest) spielt. # # # # # Hermil wagte nicht, mit der Prinzessin zu sprechen, nur hin und wieder ließ er den Blick über die rechte Seite nach hinten schweifen, wie um zu sehen, ob seine Jagdbegleiter noch folgten, oder vielleicht eine Staubsäule am Horizont eine Verfolgung durch die Banditenbande zeigen mochte, die siebzehn Männer durch die Wachen des Königs von Hannai und die vier Krieger der Tashrany verloren hatten. Und jedes Mal ließ er den Blick für einen hoffentlich unbemerkten Moment auf der schlanken, sehr aufrechten Gestalt der Reiterin rechts neben sich ruhen, die ihr volles schwarzes Haar nun wieder unter ihrem gelben, bestickten Schleier verborgen hatte, ebenso wie die wunderschönen Augen... Er lächelte versonnen, als er daran dachte, daß ihn ein furchterregender Traum dazu veranlaßt hatte, mit seiner Jagdgesellschaft in Richtung der Schädeloase zu ziehen, obwohl ihnen allen klar war, das dort keine Antilopen oder Fasane, ja nicht einmal ein Hase zu jagen war. Ausgerechnet Prinzessin Sira war also sein Schicksal - Sira von Berresh, Prinzessin von Hannai, wie der Hauptmann ihrer Wachen sie genannt hatte -, die Urgroßtochter des Mannes, der den letzten Tashranykönig von Hannai entthront und erschlagen hatte. Von links hinten näherte sich Hufgetrappel, Mafar hatte Hermils Falken an Terhan übergeben und kam an die Spitze der Reisegesellschaft geritten. "Hermil", begann er, "du solltet einen von uns zurück zu den Zelten schicken, um Vater Nachricht zu geben, daß ihr bis Hannai reitet. Er wird sich sonst sorgen." Hermil nickte. "Ja, du hast recht, Mafar. Kehr du zurück, wenn du willst, Firat wartet doch sicher schon auf dich, oder?" Hermils jüngerer Bruder errötete, aber dann teilte er doch das freche Grinsen. "Natürlich wartet sie, sehnsüchtig. Und ebenso voller Sehnsucht habe ich auf diesen Moment gewartet, da du mir sagst, ich darf heimkehren." Mit einem vielsagenden Kopfnicken nach rechts in Richtung der verschleierten Prinzessin raunte er dann: "Und, älterer Bruder, läuft nun auch dein Herz Gefahr, von einem Weib eingefangen zu werden?" Hermil senkte den Blick, auf den Sand vor den Hufen seines Pferdes, dann hob er ihn, so daß er die großen schwarzen Säulen am Horizont sehen konnte, die den Weg nach Hannai markierten. "Es ist schon fast in den Falle", bestätigte er dann ebenso leise. Als Hermil wieder zu seinem Bruder sah, lehnte Mafar sich zu ihm hinüber und fuhr noch leiser fort: "Unter ihren Leuten heißt es, sie war in Harna um sich einen Traum deuten zu lassen, der ihrem Vater Verhängnis verheißt. Und daß du der Retter seist, der ihr von den Göttern versprochen wurde." "Dann hatte das Orakel wohl recht, ich habe sie gerettet." "Nein, daß du ihren Vater retten sollst wurde prophezeit, Nisan von Berresh, den König von Hannai", zischte Mafar und sah dann besorgt nach rechts, wo neben der Prinzessin auch ihr Hauptmann ritt, aber anscheinend hatte keiner der beiden etwas von dem Gespräch gehört. Hermil Tashrany runzelte die Stirn. Eine Reisegesellschaft vor Banditen zu retten wäre für jeden Oshey selbstverständlich gewesen, der davon Kunde erhielt, aber für den König von Hannai zu arbeiten, ihn gar vor irgend etwas zu retten, würde doch Schande über jeden Stammesangehörigen bringen. Des Königs Großvater Resan war es gewesen, der Kermul Tashrany, den rechtmäßigen König von Hannai, vor etwa siebzig Jahren hinterlistig gestürzt und seine Familie ausgemerzt hatte. Und Nisan selbst versuchte schon lange, die Wüste selbst seinen Besitztümern hinzuzufügen, hielt es für berechtigt, von den Stämmen Steuerzahlungen einzufordern. Nicht, daß auch nur einer der Fürsten diesen Forderungen nachkam - oder Nisan wirksame Mittel und Wege gehabt hätte, diese Forderungen durchzusetzen. Aber den Titel 'Herr über die Wüste' trug er seit Jahren, als hätte Tyrima ihn zu ihrem Gemahl erkoren, denn die einzige Herrin der Wüste war die unbarmherzig strahlende Himmelskönigin. Mafar sah seinen Bruder an, als erwarte er irgend ein Wort von ihm, doch Hermil wußte nicht, wie er mit dieser seltsamen Fügung umgehen sollte. "Wir machen bei den Säulen eine Rast. Bleib bis dahin bei uns, so daß wir uns zu viert beraten können." * Als die vier Oshey sich bei den Schwarzen Säulen mit reichlich Abstand zu den Städtern in den Schatten zweier aufgespannter Mäntel setzten, fragte Hermil seine Jagdgefährten: "Was ratet ihr mir? Die Götter haben mich geschickt, die Prinzessin zu retten, sie sei mein Schicksal wurde mir im Traum verheißen, und nun höre ich von Mafar, daß Orem selbst mich durch das Wort seines Orakel zum Retter von Nisan von Berresh machen will. Wie kann ich meinem Vater danach unter die Augen treten, dessen Verwandter Kermul Tashrany war." "Wenn die Götter dies für euch vorgesehen haben, müßt ihr gehorchen, Prinz", begann Terhan sofort. "Und auch euer Vater wird es so sehen, denn der Gehorsam den Göttern gegenüber ist der Wahre Weg." Die anderen zwei nickten und auch Hermil mußte ihm darin recht geben. "Sprecht mit der Prinzessin um zu erfahren, vor welcher Gefahr ihr ihren Vater retten sollt. Wenn die Götter es unterstützen, wird es wohl ein ehrenvolles Anliegen sein, das euch keine Schande machen wird, Prinz", gab Barut, der Älteste der Jagdgefährten, zu bedenken. "Ist es dagegen ein ehrloses Ansinnen, so sollte geprüft werden, was das Orakel in Harna tatsächlich verkündete. Die Dinge dort haben sich in den letzten zwei Jahren geändert, nachdem die alten Priester in die Gärten der Freude geholt worden sind." Auch dazu nickten die anderen. Alle hatten von den schweren Verwüstungen der Tempelgärten von Harna durch ein gewaltiges Unwetter gehört, von Todesfällen unter den Tempeldienern, doch tote Priester hatte man nicht gefunden, auch wenn einige der bedeutendsten Männer bis heute verschwunden waren. Das war für alle Oshey der Beweis gewesen, daß Orem selbst seine Getreusten im Tode in Falken verwandelt und in die Gärten der Freude gerufen hatte. "Geh nach Hannai und sprich selbst mit dem König, Hermil. Vielleicht ist es nur die Politik seiner Diener, wie in seinem Namen mit den Stämmen verfahren wird. Vielleicht ahnt er nichts von den Steuereintreibern, die von uns Gelder fordern. Ist es so, kann er in seiner Stadt Ordnung schaffen und wird dir dankbar für die Nachrichten sein. Es ist immer ehrenhaft, einem ehrenhaften Mann bei ehrenhaften Dingen beizustehen", riet nun Hermils Bruder Mafar. Auch diesen Ratschlag sahen die anderen Männer als gut an. Hermil dachte einen Moment nach und entschied dann: "Da wir noch mindestens einen halben Tag unterwegs sein werden, bitte ich die Prinzessin um ein Gespräch, um aus ihrem Munde zu hören, welches Anliegen sie in Harna vorbrachte und welche Antwort sie darauf erhielt. Dann werde ich entscheiden, ob Barut und Terhan mit mir die Prinzessin nach Hannai begleiten, um dort mit ihrem Vater zu sprechen, ob ich allein mit ihr nach Hannai gehe, oder ob wir sie nur bis zur Mauer der Stadt geleiten und dann zunächst Harna besuchen, bevor ich eine Entscheidung treffe. Du, Mafar, kehrst jetzt zurück, um unserem Vater zu berichten, was du weißt. Und nimm meinen Jagdvogel mit." Als die Reisegesellschaft der Prinzessin wieder aufbrach, ritt Hermil zum Hauptmann der Prinzessin. "Herr, ich habe meinen jüngeren Bruder zu unseren Zelten zurückgeschickt, damit er dort Bescheid gibt, daß wir die Prinzessin bis Hannai begleiten werden." "In Ordnung", bestätigte der Hauptmann und gab seinem Pferd die Sporen, um wieder die Führung der Gruppe zu übernehmen. "Herr!" rief Hermil ihm hinterher und schloß mühelos zu ihm auf. "Könntet ihr so freundlich sein, die Prinzessin in meinem Namen um ein Gespräch zu bitten?" Der Hauptmann nickte nur und gallopierte weiter an die Spitze, wo auch die Prinzessin wieder ritt. Hermil folgte langsamer und sah, wie der Hauptmann mit der Prinzessin sprach und sich dann zurückfallen ließ. "Prinz, begleitet die Prinzessin in ihren Palast nahe Hannai, dort könnt ihr euer Anliegen vorbringen." Nun nickte Hermil, bis dahin konnte er sich auch in Ruhe zurechtlegen, was er der Prinzessin von sich erzählen und welche Fragen er ihr zu dem eingeholten Orakel stellen wollte. * Am späten Nachmittag erreichten sie den Rand der Wüste, die Mauern und Türme Hannais kamen schon in Sicht, von der schon tief stehenden Sonne wie vergoldet, doch der Weg der Reisegesellschaft führte nach Osten, um die Stadt herum, an Wiesen und Feldern vorbei, zu einer Baumgruppe, die sich beim Näherkommen als Teil eines ausgedehnten Parks entpuppte, mit Brunnen und Wasserläufen, blühenden Büschen und einem relativ kleinen, aus weißem Stein erbauten Gebäude, dessen verzierte Säulen und Dächer den Namen Palast trotz der mangelnden Größe verdiente. Der Park erstreckte sich noch sehr viel weiter nach Osten und das Geschrei verschiedener Vogelarten drang an Hermils Ohr, das mußte der einst von seinem Namensvetter Hermil Tashranys für die von ihm begründete Oshey-Königslinie und ihre Gäste angelegte Jagdpark sein. Vielleicht hätte er Mafar seinen Vogel doch nicht mitgeben sollen. Prinzessin Siras Gäste wurden in einen von ausladenden Vordächern beschatteten, quadratischen Innenhof geleitet, dessen Zentrum ein von steinernen Falken getragenes Brunnenbecken bildete. Von dem Innenhof gingen wiederum vier Räume ab, die nur durch schlanke Säulen, die über Kopfhöhe durch filigrane Holzgitter verbunden waren, vom Innenhof getrennt waren, so daß die Bauweise an die Zelte der Stämme erinnerte. Genauere Betrachtung zeigte, daß die Holzgitter Falken im Flug und weitere Jagdszenen zeigten, rote und orangene Vorhänge erlaubten, die Räume zum Innenhof hin zu schließen. In den Stoff eingewebt fanden sich wiederum Falken, ähnlich in der Form denjenigen, mit denen auch in den Zelten der Tashrany viele Gegenstände geschmückt waren. Sogar die Ausstattung des ersten Raumes den sie betraten erinnerte an die Zelte, der steinerne Boden war mit Teppichen bedeckt, nahe den Säulen lagen Sitzkissen, daneben ein flacher runder Tisch, auf dem eine wassergefüllte Kanne und drei Messingbecher bereitstanden. Nur die Schlafgelegenheit war ein niedriger Holzrahmen, der mit ineinander verflochtenen, ledernen Riemen bespannt waren, auf denen mehrere, aus wattierter Seide bestehende Decken lagen. Zwei weitere Räume waren bis auf den Tisch mit der Wasserkanne ähnlich ausgestattet, der vierte Raum war schon fast eine Art kleines Badehaus mit einer großen, in den Boden eingelassenen Wanne. Die drei Tashrany hatten genügend Zeit sich zu erfrischen, bis ein Diener sie an die Tafel der Prinzessin bat. Er führte sie einige überdachte, aber an den Seiten offenen Säulengänge entlang, bis sie über eine Brücke zu einer ebenfalls überdachten Terrasse mitten in einem großen Wasserbecken gelangten, das für ein sehr angenehmes Klima sorgte. Einige Störche schritten durch das flache, teilweise mit Seerosen bedeckte Wasser, fanden anscheinend darin auch Fische oder anderes Getier, und etwas entfernter schwammen auch Pelikane. Unter dem baldachinartigen Dach der Terrasse stand ein rechteckiger Tisch, der bereits mit Speisen aller Art beladen war, darum herum lagen zahlreiche Sitzpolster, die mit strahlend bunten Farben kleinteilig bestickt waren, so daß sie trotz Größe und runder Form eher städtisch wirkten. Die nun nicht mehr in ein einfaches Reisegewand, sondern in ein aus schimmernder, blaugrüner Seide gewebtes städtisches Wickelkleid gehüllte Prinzessin saß bereits mittig an einer Langseite des Tisches, mit Blick auf den sich hinter dem Wasserbecken ersteckenden Park, aber sie wandte sich gleich zu ihren eintreffenden Gästen um. Den bestickten, durchscheinenden Schleier hatte sie über den Kopf nach hinten geschlagen, so daß ihr hübsches Gesicht und der Haaransatz sichtbar waren. Sie bat ihre drei Gäste zu Tisch, beantwortete alle Fragen zu den Speisen mit großer Sachkenntnis und ließ ihre großen schwarzen Augen immer öfter auf Hermil ruhen, anstatt sie über das nun schon in der Dämmerung glitzernde Wasser schweifen zu lassen. Während des vorzüglichen Essens wanderten die Gesprächsthemen von der Küche Hannais und Berresh's im Vergleich zur Küche der Stämme zur allgemeinen Fleischzubereitung und endlich zur Jagd. Die Prinzessin bestätigte Hermils Vermutung, hier in einem noch von den Tashrany erbauten Palast zu sitzen, inmitten des von ihnen angelegten Jagdgebietes, in dem sogar ein Wald und ein Sumpf angelegt worden waren, um für die königliche Tafel selteneres Fleisch von aus dem Süden eingeführten Vögeln und Vierfüßern frisch zubereiten zu können. Hermil erklärte, daß er für die Fasanen- und Rebhuhnjagd den Falken nahm und nicht, wie die Stämme es traditionell hielten, Schlingfallen legte. Prinzessin Sira dagegen bevorzugte für die Vogeljagd den Sperber. "Ich glaube nicht, daß ein Falke in unserem Jagdgebiet mit einem Sperber mithalten kann, zwischen Bäumen wird er durch seine geringere Wenigkeit weit unterlegen sein", sagte sie entschieden. "Das sagt ihr nur, weil euch der Falke auf der Hand zu schwer ist, Prinzessin", mutmaßte Hermil, halb im Scherz. Vermutlich hatte sie, was die Wendigkeit des Sperbers betraf, sogar recht. "Ich pflege zu Pferd auf die Jagd zu gehen und lasse den Vogel auf einem Sattelknauf sitzen. Wenn mir danach ist, gehe ich mit einem Adler auf die Jagd", war die promte Antwort auf diese Herausforderung. Das feurige Temperament der Prinzessin begeisterte Hermil, doch die dem Gast anstehende Höflichkeit verbot, sie noch weiter durch Widerspruch zu reizen. So beließ er es dabei, das Thema zu beenden: "Vielleicht können wir die Frage, ob Falke oder Sperber überlegen ist, einmal durch einen Wettkampf in eurem Jagdgebiet entscheiden." Wie ihr goldenhäutiges Gesicht leuchtete! Oder war das nur das sanfte Licht der Lampen, die eine Dienerin entzündet hatte und deren Widerschein die Metallfäden im Schleier der Prinzessin glänzen ließ. Die ersten Sterne waren schon am Himmel zu sehen und spiegelten sich in der leicht bewegten Oberfläche des Wasserbeckens, als die weitgehend geleerten Schüsseln und Schalen abgetragen wurden und nach Rosenblättern duftender Tee serviert wurde. Die Prinzessin lehnte sich ein wenig über den Tisch zu Hermil hinüber. "Mein Hauptmann ließ mich wissen, daß ihr etwas mit mir besprechen wolltet, Prinz. Ich nehme nicht an, daß es dabei um die Vorzüge verschiedener Techniken der Beizjagd gehen sollte", sagte sie mit einem entzückenden aber auch herausfordernden Lächeln, und Hermil hatte das Gefühl, ihre Augen würden sein Herz verschlingen. Einen Moment brauchte er, um sich zu sammeln, die Worte die er sich für sein Anliegen zurechtgelegt hatte, waren vergessen. "Der Traum und das Orakel", raunte Barut neben ihm, nippte nur kurz an seiner Teeschale, dann erhob er sich und verneigte sich zunächst vor der Prinzessin, dann vor seinem Prinzen. "Es ist spät und ich bin müde. Bitte entschuldigt mich." Hastig rappelte sich bei diesen Worten seines Jagdgefährten auch Terhan auf, verbeugte sich ebenfalls, dann verschwanden die beiden über die inzwischen von Fackeln beleuchtete Brücke zurück zum Palast. Die Dienerin, die den Tee in die Schalen gegossen hatten, war wieder im Schatten außerhalb des Lampenlichtes verschwunden, aus dem Wasser kam das leise Quaken von Fröschen und die Prinzessin sah Hermil so erwartungsvoll an, daß ihm trotz der Stichworte von Barut noch immer die Worte fehlten. "Euer Mann sprach von einem Traum und einem Orakel", wiederholte die Prinzessin freundlich. "Ich nehme an, es ist damit mein Traum und der Spruch des Orakels aus Harna, den die Traumdeuter mir gaben, gemeint." "Äh, nein, richtiger: zum Teil, verehrte Prinzessin", antwortete Hermil. "Er meinte meinen Traum, der mich zur rechten Zeit in die Schädeloase führte, um euch vor den Banditen retten zu können." "Dann seid doch so gut und erzählt mir davon, oder zieht ihr es vor, zunächst von meinem Traum zu hören, mein Prinz?" Über den Rand der Teeschale schienen ihre großen, schwarzen Augen nach seinem Herzen nun auch noch den Rest von ihm verschlingen zu wollen. "Euer Wunsch ist mir Befehl, liebliche Prinzessin", beeilte sich Hermil zu antworten, trank zur Beruhigung seines angesichts ihres Blickes aufwallenden Blutes und zur Sammlung für das ernste Thema ebenfalls einen Schluck des zart duftenden Tees und begann: "An dem Tag, da wir uns trafen, war ich mit meinen Gefährten schon seit einigen Tagen von den Zelten der Tashrany entfernt, um zu jagen. Wir rasteten während der größten Hitze an einem Brunnen und während der Mittagsruhe träumte ich, daß ich meinen Falken hatte aufsteigen lassen, um ein Rebhuhn zu schlagen. Doch dann stürzte ein anderer, viel größerer Falke mit strahlend weißem Gefieder aus dem Himmel auf mich herab, als sei ich seine Beute. Doch bevor er mich ganz erreicht hatte verharrte er in der Luft, tat den Schnabel auf und sprach mit gewaltiger Stimme, die mir das Blut in den Adern stocken ließ: 'Höre meine Worte, Sterblicher! Nicht weit von hier, in der Schädeloase, an der die Karawanenstraße nach Norden entlang führt, werden Banditen dein Schicksal entführen, wenn du nicht eingreifst. Gelingt es ihnen, wirst du dein Leben lang nur ein einfacher Sohn der Wüste bleiben, obwohl du zu Größerem geboren bist.'" Noch in der Erinnerung an diesen Traum erschauderte Hermil vor Ehrfurcht. "Natürlich war dies kein gewöhnlicher Falke, es muß ein Gesandter Orems gewesen sein, ein Unirdischer, der mir diese Nachricht der Götter brachte. Also folgte ich seinem Befehl, wir ritten so schnell wir es vermochten zur Schädeloase, wo die Banditen bereits eure Reisegesellschaft angegriffen hatten. Als uns euer Hauptmann zurief, daß seine Prinzessin entführt worden sei, wußte ich, daß ihr mein Schicksal sein müßt, denn diese Worte durchfuhren mein Herz wie ein Pfeil. Also ritt ich dem Entführer hinterher und konnte endlich auch euch retten." Die Prinzessin hatte wie gebannt an seinen Lippen gehangen, während er erzählte, nun seufzte sie in einer wohlig klingenden Art und Weise. "Teilen sich die Götter euch immer so klar und deutlich mit? Ihr müßt gesegnet sein, da ja auch das Blut der Unirdischen in euren Adern fließt." Hermil schüttelte verlegen den Kopf. "Es war das erste Mal, daß die Götter sich mir mitteilten. Doch heißt es, ich verdankte es einem ähnlichen Traum von einem Unirdischen, daß ich als Waisenkind in der Fremde zurück zu meinem Stamm gebracht wurde." "Oh, mein Prinz, davon müßt ihr mir ebenfalls erzählen", bat die Prinzessin. Und sie führte wieder in einer so aufreizenden Art und Weise ihre Teeschale an die Lippen, daß Hermil verlegen den Blick abwenden mußte. "Erzählt mir doch zunächst von eurem Traum und dem Orakel", fiel ihm dann ein und trank ebenfalls einen weiteren Schluck von dem aromatisierten Tee. Die Prinzessin stellte die Schale wieder ab und nickte. "Ihr habt recht. Wie sonst könntet ihr würdigen, wie die Götter kunstvoll unser beider Schicksale verknüpft haben." Sie schien sich zu sammeln, vielleicht um den rechten Anfang zu finden, und begann dann: "Vor einigen Wochen träumte mir drei Nächte hintereinander folgendes: ein schwarzer Hengst auf einer vertrockneten Weide sah in geringer Ferne eine Weide von sattem Grün. Er besann sich nicht lange und machte sich auf den Weg dorthin. Alle, die er auf seinem Weg traf und die ihn nach seinem Vorhaben befragten, warnten ihn vor der fetten Weide, doch der stolze Hengst achtete nicht auf die Warnungen und erreichte die fruchtbare Weide schließlich. Dort war niemand, der ihm das Grasen verbot und so begann er, das saftige Gras zu rupfen und zu kauen, bis er satt war und seine anfängliche Wachsamkeit zu satter Schläfrigkeit geworden war. Da stürzte sich plötzlich ein weißer Falke auf den Rappen hinab und hackte ihm beide Augen aus, bevor er ihn von der Weide vertrieb." Allein die Erinnerung an den Traum schien in der Prinzessin wieder neu die Besorgnis zu erwecken, Tränen glitzerten in ihren Augen, doch nach ein paar Atemzügen beruhigte sie sich wieder und fuhr fort: "Drei Nächte hintereinander wachte ich voller Angst und Schrecken auf, denn der Rappe auf grünem Grund ist doch das Wappentier unseres Hauses, zudem plante mein Vater und seine Feldherren schon seit einiger Zeit einen Feldzug nach Tetraos, das als Kornkammer des Westens gilt und ich fürchtete, daß der Traum für diesen Feldzug Böses verhieß. Endlich, nachdem ich meinen Vater lange gebeten hatte, erlaubte er mir, zum Orakel Orems zu reisen, damit die Priester des Herrn der Nacht mir diesen Traum deuteten. Mit einer ausreichend scheinenden Menge an Wachen und dem treusten der Hauptleute meines Vaters machten wir uns also auf den Weg nach Harna. Die Priester dort empfingen mich sofort und ich erzählte ihnen von dem Traum den ich gehabt hatte. Nacheinander holten drei Traumdeuter in meiner Gegenwart den Rat ihres Gottes ein, doch dann mußten sie sich über das, was sie in ihren Visionen gesehen hatten, zunächst einen Tag beraten, bevor sie mir ihren Spruch gaben. Und schließlich verkündeten sie mir: 'Deinem Vater droht Unheil und Tod, denn die Götter selbst zürnen ihm. Nur ein Mann vermag diesen Zorn abzuwenden und dessen Zeichen ist: zwei Sonnen unter dem nachtschwarzen Himmel.'" Die Prinzessin lächelte Hermil versonnen an, dann fuhr sie fort: "Ihr werdet mir zustimmen, mein Prinz, dieser Spruch war rätselhaft, denn wie sollte man den Retter finden. Da ich befürchtete, daß das zu erwartende Unheil auch mit dem in zwei Tagen beginnenden Feldzug in Verbindung steht, beschloß ich, diesen Spruch dem Hohepriester des Ungenannten in Hannai vorzulegen, da mein Vater auf dessen Wort eher vertraut, als auf das Orakel Orems. Doch dann begegnete ich euch, und als ihr mich aus den Händen des Entführers befreitet, sah ich die zwei Sonnen unter dem nachtschwarzen Himmel, eure bernsteinfarbenen Augen unter eurem schwarzen Kopftuch. Ich wußte, daß ihr es seid, der den Zorn der Götter von meinem Vater abwenden wird, daher bat ich euch, mich nach Hannai zu begleiten. Und die Erzählung von eurem Traum bestärkt mich nun darin, daß tatsächlich ihr der verheißene Retter seid. Ich hatte schon kurz nach unserer Ankunft hier eine Nachricht an meinen Vater gesandt und eine an den Hohepriester des Ungenannten. Mein Vater will euch morgen empfangen und ich hoffe, ihr wendet dann alles zum Guten." Natürlich würde er seiner wunderschönen Prinzessin in jeder Weise helfen und das Schicksal ihres Vaters zum Guten werden, ging Hermil durch den Kopf, aber dann erinnerte er sich der Worte Baruts. War es denn wirklich ein ehrenvolles Anliegen, den gerechten Zorn der Götter von ihrem Opfer abzuwenden? Wenn Hermil sich dem Richtspruch der Götter entgegenstellte, konnte das für einen Oshey nicht als ehrenvoll angesehen werden, egal wie man es auch betrachtete. Wenn natürlich wirklich der geplante Feldzug des Königs den Zorn der Götter begründete und es Hermil gelang, den König davon zu überzeugen, von diesem Feldzug abzulassen, wäre dies ein ehrenhaftes Vorgehen, bei dem er sich den Göttern nicht entgegenstellte, sondern dem Mann, der vom Wahren Weg abzuweichen drohte, wieder die Schritte zurück wies. Allerdings sah sich der König selbst nicht in der Tradition der Oshey, viele seiner Taten lagen weit ab vom Wahren Weg. Die Prinzessin selbst hatte gerade gesagt, daß er eher etwas auf die Worte des Priesters eines fremden Gottes gab, als auf die des altehrwürdigen Orem-Orakels in Harna. Prinzessin Sira hatte zunächst gewartet, während Hermil überlegte, doch nun rechnete sie wohl mit einer Entscheidung, denn sie fragte: "Werdet ihr also morgen mit mir in die Stadt kommen und meinen Vater besuchen?" "Ich werde euch morgen begleiten", versprach Hermil. "Aber heute nacht bete ich um eine Weisung der Götter, liebliche Prinzessin. Ich hoffe, morgen weiß ich dann, wie genau ich das Schicksal eures Vaters zum Guten wenden kann, ohne selbst den Wahren Weg zu verlassen." * * * Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)