Seelenfänger von Votani (Ace x Kikyou) ================================================================================ Kapitel 1: Seelenfänger ----------------------- I Ein Schnarren unterbricht kurzzeitig die Verbindung und verschluckt Marcos Stimme. Aces Blick huscht automatisch zu der mobilen Teleschnecke hinunter, die in ihrer Haltung an seinem Handgelenk ruht. Sie hat einen schläfrigen Blick, der ihn an Marco erinnert, sowieso ein paar blonde Haarsträhnen, die aus dem rosafarbenen Kopf wachsen. „Was war das gerade, yoi?”, fragt Marco durch den Mund des Tieres. Ace zuckt mit den Schultern, obwohl Marco nicht in der Lage ist, dies zu sehen. „Das macht die Schnecke schon die ganze Zeit. Als ob irgendwas in der Gegend den Empfang stört. Vielleicht der Nebel.” Dieser ist jedenfalls im Laufe der Zeit dichter und dichter geworden, sodass Ace nun gezwungenermaßen die Geschwindigkeit seines Strikers verringern muss. Die weißen, fast undurchsichtigen Schwaden hängen schwer und nah über der Wasseroberfläche, die sich beinahe unbewegt vor ihm ausbreitet, bis sie komplett im Nebel versinkt. Seine Augenbrauen ziehen sich zusammen, als er angestrengt in die Ferne starrt, um vielleicht doch irgendetwas zu erkennen. Ein knapper Blick auf den Logport bestätigt, dass sich nichts außer Wasser vor ihm befinden soll. „Merkwürdig. Etwas dergleichen habe ich noch nie erlebt. Ich meine, dass es überhaupt etwas gibt, was den Empfang stören kann. Außer andere Teleschnecken, meine ich”, sagt Marco derweil über die Teleschnecke und seine Stimme echot, nur begleitet von dem Rauschen des Wassers, als der Striker im verlangsamten Tempo voran gleitet. „Wahrscheinlich ist die Luft elektrisiert oder sowas. Beeil dich einfach. Umso schneller du die Nachricht überbringst, umso schneller bist du wieder—” Doch abermals kann Marco seinen Satz nicht beenden, da der erste Kommandant abrupt verstummt. Die Teleschnecke an seinem Handgelenk reißt die Augen auf, bevor sie den Bruchteil einer Sekunde später einschläft. Ace starrt auf sie hinunter, aber sie rührt sich nicht mehr. Die Verbindung ist endgültig unterbrochen. „Elektrisierende Moleküle…?”, murmelt Ace zu sich selbst, wobei der Gedanke sogleich wieder vergessen ist, als der Nebel sich vor ihm zu lichten scheint. Sonnenschein filtert durch den zuvor noch fast greifbaren Schleier, ehe er mit einer plötzlichen Brise, die an Aces Hut zieht, fortgetrieben wird. Sie erlaubt Sicht auf eine kleine, verwucherte Insel mit hohen Klippen. „Was zum…?” Abermals wirft Ace einen Blick auf den Logport, doch dessen Nadel zeigt stur in nordöstliche Richtung, knapp an der Insel vorbei, die sich laut Karte und Logport eigentlich gar nicht auf seinem Weg befinden soll. „Das kann wohl kaum Gardinia sein.” II Die Insel ist still. Das fällt Ace als erstes auf, als sein Striker an einer Stelle zum Ruhen kommt, an der die Klippen weniger hoch und weniger steil sind. Kein einziger Vogel ist zu hören, nicht das leiseste Zirpen einer Grille. Selbst eine unbewohnte Insel besitzt für gewöhnlich natürliche Geräusche. Ist sie überhaupt bewohnt? „Ich werde es nicht herausfinden, wenn ich nicht nachschaue”, schlussfolgert Ace mit einem schmalen Grinsen. Zwar weiß er, dass Marco diesen kleinen Ausflug nicht gutheißen würde, aber dieser muss davon nichts wissen. Immerhin ist die Verbindung abgebrochen und Ace ist ohnehin allein unterwegs. Die zusammengerollte Nachricht, die in seinem Gürtel versteckt ist, kann auch morgen noch überbracht werden. Ace zweifelt ohnehin daran, dass er Gardinia vor dem Morgengrauen erreichen wird. Immerhin neigt sich schon jetzt die Sonne langsam dem Horizont entgegen, da kann Ace auch diesen unerwarteten Zwischenstopp für heute Nacht auskosten und morgen weiterreisen. Das Seil des Strikers knotet er an eine Palme, die weiter unten aus dem sandigen Boden ragt, ehe er den steilen Abhang hinauf marschiert. Noch immer ist es totenstill, während dunkle Schatten zwischen den dicht zusammenstehenden Bäumen ruhen, deren Stämme vom Alter breit und verwuchert sind. All das ist jedoch kein Problem für Ace, denn sogleich lecken knisternde Flammen an seinen nackten Armen entlang, die ein kleines, flackerndes Licht spenden, als er mit dem Seesack über der Schulter, der seine Vorräte enthält, durch den Wald schlendert. Dabei ist er vorsichtig, dass er keinen Brand verursacht. Alte, verrottete Blätter und Moss bilden einen weichen Teppich unter seinen Stiefeln, der jeden seiner Schritte verschluckt, als er sich tiefer durch das Gestrüpp kämpft. Er weicht ein paar herunterhängenden Ästen aus und steigt über ein paar herausragende Wurzeln hinweg, bis er einen Streifen im Wald findet, der weniger bewachsen ist. Auch hier sprießt Unkraut aus dem Boden, doch weitaus weniger. Auch wachsen dort keine Bäume, fast so, als hätte sich einst ein Pfad an dieser Stelle befunden. Ace bleibt inmitten des zugewachsenen Weges stehen, die Arme in die Hüfte gestemmt, als er sich beidseitig umsieht. Das Tageslicht dringt kaum noch durch die dichten Baumkronen und auch das Gewächs um ihn herum scheint alles, was nicht in diesen Wald gehört, aussperren zu wollen. Fast so, als wolle es etwas verstecken, obwohl hier drinnen nichts zu leben scheint. Es ist die Dunkelheit, die sich hier verschanzt und diesen Ort übernommen hat, die das silberne Licht in der Ferne zwischen dem Gestrüpp so sichtbar erscheinen lässt. Ace bemerkt es nur im Augenwinkel und wendet sich hastig um, doch das Licht, einem silbernen Streif ähnlich, ist längst wieder verschwunden, sodass Ace nicht mit Sicherheit sagen kann, ob er es sich nicht doch eingebildet hat. Den Hut ein bisschen weiter nach hinten schiebend, setzt Ace seinen willkürlichen Weg fort, stolperte weiter durch den dichten Wald, der scheinbar kein Ende nimmt, bis Ace sich von einem Moment auf den anderen in einem verlassenen Dorf wiederfindet. Die heruntergekommenen, leerstehenden Behausungen sind dicht am Waldrand gebaut, sodass auch hier durch die hohen Baumkronen um diese späte Uhrzeit kaum noch Tageslicht dringt. Doch es ist nicht das fahle Licht oder die wachsenden Schatten, die dafür sorgen, dass ein kalter Schauer Aces Wirbelsäule hinab kriecht, sondern die fehlenden Menschen. Offenbar ist diese Insel einst bewohnt gewesen, doch das muss lange her sein. Nicht nur das, alles scheint einfach stehen und liegen gelassen worden zu sein. Ace wandert an einem umgeworfenen Eimer vorbei, der inzwischen halb vergraben in der Erde liegt, vorbei an offenstehenden Türen, die einen Blick in leerstehende Holzhütten gewähren, und einer Axt, deren verrostete Klinge in einem Holzstumpf steckt. Was ist hier vorgefallen? Bevor Ace die Entscheidung treffen kann, ob er umkehrt oder sich etwas weiter umsieht, sagt ihm seine Intuition, dass er nicht so allein ist, wie er annimmt. Aber der Eindruck kommt zu spät, denn da saust ein Pfeil hautnah an ihm vorbei, ehe er sich mit der Spitze in die Hauswand neben ihn bohrt. Es ist ein Warnschuss. „Du bist hier nicht willkommen”, sagt eine hohe, kühle Stimme. Ace hebt den Blick zu der hochgewachsenen Frau hinauf, die zwischen einigen ebenso abgegrenzten Hütten steht, den Bogen mit einem neuen Pfeil gespannt, ihr Griff vielsagend ruhig und beständig. Ein schmales Grinsen zupft an Aces Lippen, als er die Frau anschaut, die einen altertümlichen, traditionellen Kimono trägt, die langen, schwarzen Haare lose zusammengebunden, die dunklen Augen ausdruckslos auf seine Person gerichtet. „Bist du hier allein?”, fragt Ace und sieht sich vielsagend um, denn er hat nicht erwartet, hier eine Person anzutreffen. „Sieht nicht so aus, als sei hier eine Menge los.” „Dasselbe könnte ich dich fragen”, antwortet die Frau, deren Erscheinen der einer Miko sehr ähnlich wirkt. Ace ist einigen von ihnen auf seinen Reisen über die Grandline begegnet, als er an einer Frühlingsinsel gehalten hat, wo die Sakura-Blüten die gesamte Insel eingenommen haben. Soweit sich Ace erinnert, waren die Frauen Nachfolgerinnen einer Gruppe von Mikos aus Wano, welche ihre Heimat verlassen haben, bevor diese sich vor der Welt verbarrikadiert hat. Ob diese Frau ebenfalls von dort stammt? Er bezweifelt, dass sie ihm diese Frage beantworten wird. „Ich bin zufällig über diese Insel gestolpert”, sagt Ace stattdessen wahrheitsgemäß und zuckt mit den Schultern. Mit ihrem Pfeil und Bogen kann sie ihm nichts anhaben, denn dafür sorgt seine Teufelskraft schon. „Ich wusste nicht, dass hier eine sein soll. Jedenfalls war sie nicht auf der Karte. Es scheint sich auch außer uns auch keiner hier zu befinden. Oder irre ich mich?” „Die Bewohner dieser Insel sind einer Krankheit verfallen”, sagt die Frau nach einem langen Moment der Stille, in der sie Ace lediglich mustert. „Allerdings ist das lange her.” Letzteres sagt sie so verspätet und mit einem Hauch Traurigkeit in der Stimme, dass sich Ace fragt, von welchem Zeitraum sie eigentlich sprechen. „Es ist besser, nicht ihre Ruhe zu stören", fügt sie hinzu und lässt den Bogen sinken. Den Pfeil schiebt sie wieder sanft in den Köcher auf ihrem Rücken. „Du solltest gehen, solange es noch einigermaßen hell ist.” Mit diesen Worten wendet sie sich ab. Ihre Schritte sind so leise, dass Ace nur das Rascheln ihrer Kleidung wahrnehmen kann. Scheinbar hat sie nichts mehr zu ihm zu sagen, doch Ace hält irgendetwas an Ort und Stelle und bevor er sich versieht, joggt er schon hinter ihr her, um mit ihr aufzuholen. „Du hast mir nicht verraten, was du hier machst.” III Ihr Weg führt sie tiefer in das verlassene Dorf hinein, doch Ace erhält keine weiteren Informationen von der mysteriösen Frau, die vor ihm geht. Die lange, rote Hakama-Hose verbirgt ihre Füße, sodass es wirkt, als schwebe sie förmlich über den mit Laub bedeckten Boden, den Rücken gerade, die Schultern gestrafft. Sie besitzt eine erhabene Schönheit, die fast unwirklich erscheint. „Wohin gehen wir?”, fragt er, erhofft sich aber keine direkte Antwort, obwohl sie nicht überhören kann, dass er sich entschieden hat, ihr zu folgen. „Du hättest gehen sollen”, sagt sie dennoch, was zwar keine Erwiderung ist, sie aber wenigstens Worte mit ihm wechselt. „Aber da du noch hier bist, wirst du sicher hungrig von deiner Reise sein.” Aces Augen weiten sich in Überraschung und sie fängt seinen Blick auf, indem sie einen knappen Seitenblick über ihre Schulter wirft. Sich an den Bauch fassend, nickt Ace. „Essen kann ich eigentlich immer vertragen.” Sich erneut in Schweigen hüllend, führt sie ihn über einen Platz, der sich zwischen einigen heruntergekommenen Häusern befindet. Der Boden ist an dieser Stelle steinig und die breiten Wurzeln der umstehenden Bäume sind über die Jahrzehnte durch den Stein gebrochen und haben ihn uneben gemacht. In seiner Mitte befindet sich ein kleiner Ziehbrunnen aus demselben Gestein, der umrakt und von Moss beklettert worden ist. Das Seil am oberen Ende, an dem einst ein Eimer gehangen hat, hängt ausgefranst in seiner Halterung. Die Miko sieht zu ihm hinüber, ehe sie ihren Weg fortsetzen, vorbei an einem verwitterten Schrein, der sich nicht weit entfernt befindet. Ihr Ziel ist eine kleine Hütte, die ein wenig besser aussieht, als in sämtliche anderen in diesem Dorf. „Komm hinein”, sagt sie, als sie die Tür mit einem leisen Quietschen in das schattige Innere öffnet. Eine kleine Laterne steht auf einem niedrigen Tisch, der von ein paar alten, löchrigen Sitzmatten umringt ist. Das flackernde Licht wirkt einladend und fast wohnlich, wenn verglichen mit der restlichen Umgebung. Ace deutet eine freundliche Verbeugung an, ehe er eintritt und sich prompt auf einem der kleinen Sitzkissen niederlässt, deren Polster ihre Farbe längst eingebüßt haben. „Wie heißt du?” Er kann sich die Frage nicht verkneifen, dafür ist die Frau ihm gegenüber zu interessant. Sie lehnt ihren langen Bogen an die Wand und stellt den Köcher mit den Pfeilen daneben ab. „Kikyou.” „Ich bin Ace”, erwidert er mit einem Grinsen auf den Lippen, da er es als einen kleinen Gewinn ansieht, dass sie tatsächlich auf seine Frage antwortet. Er beobachtet Kikyou, als diese die kleine Laterne benutzt, um die gesammelten Zweige und Blätter in der Feuerstelle zu entzünden. Über ihr hängt ein dunkler Kessel, der sich erhitzt. „Eintopf”, sagt sie, als sie sich elegant auf dem Sitzkissen daneben niederlässt und schließlich etwas von der aufgeheizten Suppe mit einem tiefen Löffel in eine hölzerne Schale gibt, die sie über den Tisch an Ace weiterreicht. Sie füllt nur eine, bemerkt Ace, als er sie annimmt und den dargebotenen Löffel hinein taucht. Der Geruch von frischem Gemüse und Kräutern dringt sogleich in seine Nase und sorgt dafür, dass sich sein Magen zusammenzieht. Sogleich beginnt er, sich den Eintopf in den Mund zu schaufeln. „Hast du keinen Hunger?”, fragt er, spricht aber sogleich mit vollem Mund weiter. „Ist es nicht einsam hier ganz allein? Wenn du willst, kann ich dich mitnehmen, wenn du kein Boot hast. Zur nächsten Insel oder so.” Kikyou beobachtet ihn schweigend beim Essen, die Hände vorsichtig in ihrem Schoß gebettet, als sie sein Gesicht studiert, als habe sie tatsächlich schon seit langer Zeit niemanden mehr gesehen. Vielleicht ist es auch etwas anderes. Aus ihrem ausdruckslosen Gesicht, das so kühl und fein wie Porzellan wirkt, kann er keinen von ihren Gedanken erahnen, noch weniger aus ihren dunklen Augen, die hier in der von Schatten besetzten Hütte wie schwarze Tinte wirken. „Du bist der Erste, der mir ein derartiges Angebot unterbreitet”, sagt sie schließlich und Ace erahnt ein Geständnis in ihren Worten, das er nicht versteht. Doch es hat andere gegeben, die diese Insel gefunden haben und ihr begegnet sind? Es macht Sinn, so befahren wie die Grandline nun mal ist. Ace grinst über seine Schale hinweg. „Es wäre kein Umweg. Ich bin eh auf der Durchreise, um eine Nachricht zu überbringen. Du kannst mit auf meinem Striker fahren. Wohin willst du?” Wieder sieht sie ihn einfach nur an. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit, in der Ace die Schlüssel leert, bewegen sich ihre schmalen Lippen. Die Mundwinkel heben sich so minimal, aber es besteht kein Zweifel für Ace, dass Kikyou sich zu einem Lächeln hinreißen lässt. Eines, das Ace sehen lässt, wie viel Gefühl hinter der Maske versteckt liegt. Doch warum verbirgt sie sich überhaupt hinter ihr? Sie sagt etwas, aber da bemerkt Ace bereits, wie die altbekannte Schwere von ihm unerwartet Besitz ergreift. Schwarze Punkte tanzen für den Bruchteil einer Sekunde vor seinen Augen, ehe die Dunkelheit sich blitzschnell ausbreitet und ihn vollkommen umfängt. Er kippt nach hinten, bis er schnarchend auf dem Holzboden der Hütte liegt und ihm die leere Suppenschale aus der Hand rollt. IV Dunkelheit hat sich in der kleinen Hütte verschanzt, als Ace erwacht. Nur das Mondlicht, das durch die verschmutzte Fensterscheibe fällt, erlaubt eine vage Sichtbarkeit der Umgebung, die mehr aus Silhouetten als alles andere besteht. Zumindest nimmt Ace im ersten Moment seiner einstweiligen Orientierungslosigkeit an, dass dies der Grund ist. Einige Augenblicke später wird er sich des flackernden Lichts bewusst, das unmöglich allein vom Mond stammen kann. Ächzend setzt sich Ace auf und richtet den Hut auf seinem Kopf, der ihm während seines unerwarteten Schläfchens fast gänzlich vom Kopf gerutscht war, nur von dem Bändchen am unteren Rand an Ort und Stelle gehalten. Etwas befindet sich dort draußen. Ace steht auf und nähert sich langsam dem Fenster, vor dem silberne Wesen in der Nacht herumschwirren. „Fliegende Aale?”, entweicht es Ace, doch obwohl dies die einzige Beschreibung ist, die ihm spontan zu dem Schauspiel vor dem Fenster einfällt, passt auch diese nicht ganz. Die Form der Wesen mag passen, doch da hört die Ähnlichkeit bereits auf, denn die Tiere, die dort draussen die Nacht mit ihrem Licht erleuchten, wirken sanft und elegant und zerbrechlich und– „Seelenfänger", ertönt Kikyous helle Stimme hinter ihm. Aces Kopf ruckt zur Seite, um ihre Umrisse hinter sich in der Dunkelheit auszumachen. Sie ruht noch immer auf ihrem Sitzkissen, die Hände in ihrem Schoß gebettet, aber ihr Blick geht an Ace vorbei und hinaus zu den Seelenfänger, die ihre Runden um die Hütte drehen, als suchen sie einen Weg hinein. „Der Bannkreis, den ich um die Hütte kreiert habe, hält sie fern”, sagt Kikyou, als hätte sie seine Gedanken gelesen. Auch sie erhebt sich, anders als er, jedoch komplett lautlos, und bewegt sich ebenso leise über die Dielen um den Tisch herum, um an seiner Seite stehen zu bleiben. Wenn Ace ihr nicht zum ersten Mal im Tageslicht begegnet wäre, hätte er sie glatt für eine Gestalt seiner Fantasie gehalten, für ein Gespenst, das jemanden in einem unachtsamen Moment heimsucht, bevor es verschwindet. „Sie leben auf dieser Insel”, erzählt sie weiter und derselbe Hauch auch Traurigkeit, der ihr gesamtes Sein umfasst, spiegelt sich in ihrer Stimme wider. Abermals wird Ace bewusst, wie einsam es auf dieser Insel ist, wie allein die Frau neben ihm sein muss, auch wenn er noch immer nicht versteht, warum sie hier ist, vor allem jedoch, wie sie hierher gefunden hat. „Kikyou…” Sie wendet sich ihm zu, das Gesicht so bleich unter dem einfallenden, silbernen Licht der umherschwirrenden Seelenfänger, die sich nun, mit Kikyou so nah am Fenster, schneller und wirrer bewegen, als warten sie nur auf Kikyou. Sie haben eine Verbindung zu ihr, wird Ace bewusst. „Sie sind wegen dir hier”, entweicht es ihm, doch seine Augenbrauen ziehen sich gleichzeitig fragend zusammen. „Oder sind sie wegen mir hier?” Kikyou antwortet nicht, doch die Seelenfänger werden ungeduldiger in ihren Flügen, bis sie Aces Aufmerksamkeit wieder hinaus aus dem Fenster ziehen, wo sie, umso näher sie ihre Kreise um die Hütte ziehen, von einer unsichtbaren Barriere abprallen, während sie umherschwirren und glitzern und einen Weg hinein suchen. V Als Ace das nächste Mal erwacht, fällt ihm das Sonnenlicht direkt in das Gesicht. Er wälzt sich auf die Seite, wobei er mit dem Kopf vom Sitzkissen rollt und auf dem unbequemen Holzboden aufkommt. Die Müdigkeit steckt ihm noch immer in den Knochen, als er sich nach einiger Zeit aufsetzt und gegen die Helligkeit anblinzelt, die einen frühen Nachmittag erkennen lässt. Wie lange hat er geschlafen? Er sieht sich um, doch von Kikyou ist keine Spur zu sehen, stattdessen befindet er sich allein in der Hütte. Eine vage, bruchstückhafte Erinnerung, die ihm im Nachhinein eher wie ein Traum vorkommt, lässt ihn zum Fenster schauen, doch da ist nur das Sonnenlicht, das ihm die Hand heben lässt, um seine Augen abzuschirmen. Zwar weiß Ace, dass das Dorf verlassen ist, doch ohne Kikyou wirkt es umso lebloser. Noch immer ist nicht einmal das leiseste Schnarren eines Insekts zu vernehmen, als er sich umsieht, die Tür, die schief in den Angeln sitzt, geräuschvoll hinter sich zuzieht und schlussendlich durch das Dorf wandert. Ace hat meist einen tiefen Schlaf, weshalb es ihn nicht wundert, dass Kikyou einfach so gehen konnte, ohne dass er es bemerkt hat. Gleichzeitig kommt es Ace aber glatt so vor, als wäre sie nie dagewesen. Überall um ihn sprießt die Natur aus den Ruinen, selbst der Brunnen, der sich im Zentrum des Dorfs befindet, ist von Ranken überwuchert. Gestern hat Ace ihn nur aus der Ferne gesehen, nun zieht es ihn jedoch zu ihm hinüber. Das Seil, welches einst einen Eimer tief in sein Inneres heruntergelassen hat, ist ausgefranst und schwingt sachte im Wind. Aber erst als Ace direkt vor dem überwucherten Gestein steht, bemerkt er die Knochen, muss jedoch zweimal hinsehen, um sie zu identifizieren. Sie sind vergilbt, dreckig, halb zerbrochen und halb in der rotbraunen Erde um den Brunnen herum vergraben, doch einige wirken von ihrem Zustand her älter als andere. Marco hätte es ihm wahrscheinlich genauer sagen können, auch wenn Ace bezweifelt, dass dieser das Rätsel um diese Insel einfach so hätte zusammenpuzzeln können. „Was zum—” Ein Laut, das sich wie das Plätschern von Wasser anhört, reißt Ace in die Realität zurück und sogleich begibt er sich in seine Richtung. Das Plätschern führt ihn zwischen dichten Bäumen hindurch, wo sich einst ein weiterer, schmaler Pfad befunden hat. Nun muss sich Ace jedoch die herunterhängenden Zweige aus dem Gesicht halten, ehe er den Fluss erreicht - und dort entdeckt er Kikyou. Ein Lächeln breitet sich auf Aces Lippen aus, während ein lustiger Kommentar bereits auf seiner Zunge ruht, doch dann wird sein Gesicht ernst. „Kikyou, alles in Ordnung?” Dort, wo sie am Uferrand hockt, dreht sie den Kopf zur Seite, sodass sie ihn aus den Augenwinkeln heraus sehen kann, das Gesicht weiß wie Papier. Ace erkennt die spröden Lippen und die dunklen Ringe unter ihren Augen, als er sich ihr nähert. Ein Eimer steht vor ihr im Sand, die Socken mit den hölzernen Schuhen sind durchnässt, da das Wasser sie an dieser Stelle erreicht. „Warum hast du mich nicht geweckt?”, meint Ace, als er ihr unter den Arm greift, um sie sanft auf die Beine zu hieven. „Immerhin muss ich mich doch irgendwie für das Abendessen bedanken. Das Mindeste, was ich tun kann, ist den Eimer für dich zu tragen.” Für einen Moment nimmt er an, dass sie ihn abweisen wird, doch Kikyou lässt die Berührung zu. Sie fühlt sich dünn und zerbrechlich unter seinen Fingern an, aber ihr Arm unterliegt auch die nötige Stärke, die es braucht, um einen Bogen zu spannen. „Es gab einst jemanden…”, sagt sie leise und etwas Raues liegt in ihrem Ton, während Ace sie loslässt, um den Eimer aufzunehmen. „Jemand, der hier gelebt hat und der ein Leben mit mir führen wollte.” Gemeinsam verlassen sie den Fluss, folgen dem überwucherten Pfad, wobei Ace ihr die Äste aus dem Weg hält und er ihren Worten lauscht. Ihre Schritte sind schwer, vollkommen anders als die geschmeidigen Bewegungen von gestern. „Er war jedoch anders als du. Komplizierter. Alles war damals komplizierter. Er betrog mich. Oder zumindest hat ein gemeinsamer Feind es so aussehen lassen.” „Hat es eine Versöhnung gegeben?”, fragt Ace und Kikyou schweigt so lange, dass er die Frage glatt wieder bereut. „Nicht auf die Art und Weise, in der ich es mir erhofft hätte, aber das ist in Ordnung”, sagt sie schließlich. Ace bleibt stehen, der Henkel des Eimers zieht an seinem Arm, doch das Gewicht macht ihm nichts aus. Auch Kikyou bleibt stehen, als sie bemerkt, dass sie ihn zurücklässt und wendet sich halb zu ihm um. „Komm mit mir”, sagt Ace. „Leben ist zu kurz, um es allein auf einer einsamen Insel zu verbringen.” Kikyous Augen weiten sich kaum merklich und etwas, das Ace nicht deuten kann, erhält Einzug in ihr Gesicht, das von Tageslicht erhellt ist. Ein feiner Schweißfilm liegt auf ihrer Stirn, halb von den schwarzen Haarsträhnen verborgen und doch sichtbar genug. Letztendlich senkt sie jedoch den Blick und wendet sich um, den Weg zur Hütte langsam fortsetzend, sodass Ace keine Wahl bleibt, außer ihr zu folgen. VI Sie benutzen das Wasser, um es aufkochen und frische Suppe herzustellen, da noch Gemüse vom Vortag übrig geblieben ist. Unter Kikyous knappen Anweisungen schneidet Ace die Karotten und die Kartoffeln, ehe er alles mit den Kräutern in den Topf, der über der Feuerstelle baumelt, hineingibt. Kikyou ruht auf der anderen Seite des Tischs auf einem der Sitzkissen, um sich auszuruhen und ihre Kräfte zu sammeln. Jedenfalls geht Ace instinktiv davon aus, dass Sitzen und Ausruhen helfen werden, vor allem Nahrung jedoch. Ihm hilft eine Mahlzeit immer, um sich besser zu fühlen, aber er verbrennt durch seine Teufelskraft ohnehin eine Menge Energie. Kikyou ist zudem nicht die gesprächigste Person und doch ist sie aufmerksamer als die meisten. Ihre dunklen Augen ruhen die gesamte Zeit auf ihm, folgen ihm und beobachten ihn bei seinem tun, nehmen jede noch so kleine Bewegung auf, obwohl Ace nicht erahnen kann, was ihr dabei durch den Kopf geht. Eine Antwort auf seine Worte, sein wiederholtes Angebot, hat sie ihm auch nicht gegeben, denn das Schweigen scheint ihre größte Stärke zu sein. Kikyou spricht auch ohne Worte, denn Ace kennt ihre Antwort bereits. „Weißt du”, sagt er daher irgendwann. „Das Wichtigste für mich ist, so zu leben, dass ich am Ende nichts bereue.” Er sieht von seiner Arbeit auf, um ihr ein verschmitztes Grinsen zu schenken, weil er versteht, wie klischeehaft es klingen muss. „Ich habe zu lange meinen Platz in der Welt gesucht. Vielleicht tut es ein Teil von mir immer noch und ich weiß nicht, wie lange ich noch habe, aber selbst wenn es nur ein Tag ist, will ich ihn in vollen Zügen genießen und auskosten.” Ein schmales, kaum sichtbares Lächeln umspielt Kikyous Lippen, die wieder etwas an Farbe gewinnen. Es hält nur für den Bruchteil einer Sekunde an, ehe sie ernst wird. „Dann solltest du noch vor der Abenddämmerung aufbrechen”, sagt sie schließlich und unerwartete Härte schleicht sich in ihre Augen. „Wie du sicher bemerkt hast, ist dies keine normale Insel, Ace.” „Du meinst wegen dem Nebel?” „Der Nebel. Wie verlassen sie ist. Was gestern Nacht geschehen ist”, zählt Kikyou mit monotoner Stimme auf, wobei die Erinnerung an die silbernen Gestalten vor dem Fenster einem Blitzschlag gleich zu Ace zurückkehren. Wie hat er sie vergessen können? Oder hat er es nur für einen Traum gehalten? Jedenfalls im Nachhinein kamen ihm die herumschwirrenden Wesen wie Gestalten seiner Fantasie vor. „Also waren sie wirklich da…” Kikyou hüllt sich in Stille, während Ace das Messer weglegt und die Suppe lautlos über dem knisternden Feuer vor sich hinkocht, ihr einladender Geruch konstant in der stehenden Luft der kleinen Hütte. Es war selten, dass Ace sich in der Nähe von einer warmen Mahlzeit von etwas anderem ablenken lässt, doch die Erinnerung an die merkwürdigen Kreaturen lässt sich nun nicht mehr abschütteln. „Was sind es für Wesen? Du hast sie Seelenfänger genannt.” „Sie sind genau das, was ihr Name andeutet”, sagt Kikyou ausdruckslos und senkt den Blick auf das spröde Holz des Tischs vor sich. „Sie fangen die Seelen derjenigen ein, die das Unglück haben, Fuß auf diese Insel zu setzen, denn nichts bleibt hier lange am Leben.” Nun sieht sie auf und durchbohrt ihn förmlich mit den dunklen Augen und Ace erahnt eine Neugierde in ihrem Blick. „Hast du nicht bemerkt, dass diese Insel anders ist?” Ace zuckt mit den Schultern, erinnert sich jedoch unwillkürlich daran, wie die Teleschnecke die Verbindung abgebrochen hat, als er mit Marco gesprochen hat. Und dann die Nadel des Log-Ports, die an der Insel vorbeigezeigt hat, obwohl die Magnetströme dafür sorgen sollen, dass die Nadel stets auf die nächstgelegene Insel zeigen soll. „Sie ist wie aus dem Nichts aufgetaucht.” „Das ist, weil sie eigentlich nicht richtig existiert”, sagt Kikyou nach einer Weile, in der Ace die Suppe umrührt und einen großzügigen Löffel kostet, obwohl das Gemüse noch nicht durch und weich ist. Am Ende gewinnt sein Appetit immer, selbst Kikyous vage Erklärung ändert daran nichts. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Ace nicht zuhört, denn er kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, was sie meint, denn er befindet sich in einer sehr realen Hütte mit einer gut riechenden Suppe, von der er sich nicht vorstellen kann, sie sei nicht echt. „Sie liegt zwischen den Welten, könnte man sagen. Sie existiert in einer anderen Zeit, die sehr lange zurückliegt”, sagt Kikyou und schließt die Augen. „Gelegentlich ist der Schleier zwischen dieser Zeit und jener dünn genug, damit diese Insel hier erscheint und gelegentlich verirrt sich auch ein Reisender hierher. Ähnlich wie du. Aber wenn der Schleier wieder dichter wird, wird sie verschwinden und dich mit ihr reißen. Nichts Lebendes schafft es durch den Schleier.” Ace zieht die Augenbrauen zusammen. „Was ist mit dir?” Doch Kikyou sieht ihn nur an, ausdruckslos und so geduldig, bis Ace das Puzzle von allein zusammensetzt. „Du bist nicht… am Leben?” So richtig glauben kann es Ace nicht, denn die Frau, die ihm gegenüber an dem niedrigen Tisch sitzt, wirkt furchtbar lebendig. Allerdings hat Ace auf der Grandline schon eine Menge gesehen und weiß, dass es genug Gerüchte von Gespenstern gibt, dass in ihnen wahrscheinlich etwas Wahres steckt. Wenn selbst Gegenstände durch Teufelsfrüchte zum Leben erweckt werden können, warum also nicht auch Geister? Ein schmales Lächeln huscht über Kikyous Lippen. „Ich war es einst. Vor langer Zeit. Eine Teufelsfrucht, die nahe meines Grabs vergraben wurde, hat mich erweckt, aber… es ist nicht dasselbe, als ob man tatsächlich am Leben ist. Dieser Körper ist nur eine Hülle aus Erde, durchzogen von der verdorbenen Frucht. Es sind die Seelenfänger, die ihn am Leben erhalten.” „Bist du darum vorhin so schwach gewesen?”, fragt Ace, denn er hat noch nie ein Blatt vor den Mund nehmen können. Auch jetzt wirkt Kikyou nicht vollkommen bei Kräften und anhand ihrer Erzählungen bekommt Ace den Eindruck, dass auch ein bisschen Nahrung dies nicht ändern wird. Kikyou deutet ein Nicken an, erneut ein Lächeln auf den Lippen tragend.. „Dieser Körper braucht Seelen, um sich bewegen zu können.” Ihr Blick gleitet von Ace zu der Suppe hinüber, ehe sie sich erhebt. Trotz des Schwächeanfalls von vorhin sind ihre Bewegungen geschmeidig, als sie den Tisch umrundet und auf die kleine Feuerstelle zukommt, um einen Blick in den Kessel zu werfen. Die langen Haare fallen dabei über ihre Schulter, doch Aces Reflexe sind gut genug, um sie davon abzuhalten, zu nah in die Richtung der Suppe und dem Feuer zu fallen. Sachte streicht er sie über Kikyous Schulter zurück, wobei er sich instinktiv fragt, wann Kikyou das letzte Mal von einem Menschen berührt worden ist, denn ihre Augen weiten sich und sie friert in ihrer Haltung ein, als ob sie nicht genau weiß, ob sie zurückweichen soll oder nicht. „Nach dem Essen musst du gehen, Ace”, sagt Kikyou, als sie zu ihm hochsieht. „Noch bevor die Sonne untergeht. Ich bin eng mit dieser Insel verbunden. Der Schleier ist sehr dünn, wird aber nicht mehr lange so verweilen.” „Kikyou…” Doch diesmal weiß er nicht, was er eigentlich sagen möchte, denn ihre Worte machen deutlich, dass sie diese Insel nicht verlassen kann, dass sie von diesen Seelenfängern abhängig ist. Vor allem sagt es Ace jedoch, dass die Existenz der Teufelsfrüchte, von der eine ihm seine Kräfte und Freiheiten verliehen hat, viel eher ein Fluch für Kikyou sind. Er lebt jeden Tag so, als wäre es sein letzter, doch wie würde er sich fühlen, wenn er irgendwann nach seinem Tod wieder erwacht? Ace braucht nicht lange darüber nachdenken, um zu wissen, dass er das auf keinen Fall möchte. Aber vielleicht denkt er auch zu lange nach, denn im nächsten Moment steht Kikyou bereits dichter vor ihm und sieht zu ihm auf und etwas Sanftes, fast Unschuldiges, liegt in ihrem Blick. Auch etwas Neugieriges verweilt abermals in ihren dunklen Augen. „Ist es Mitleid?”, fragt sie, aber Ace schüttelt sogleich den Kopf. Er weiß nicht, was es genau an ihr ist, das ihn so anzieht, doch er hinterfragt es auch nicht. Stattdessen gibt er seinem Instinkt nach und legt die Arme um die schmalen Schultern der Frau, die eigentlich eine Fremde für ihn ist und zieht sie in eine Umarmung. „Bewunderung”, murmelt er, denn das entspricht schon eher der Wahrheit. Er kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, ein abgeschottetes, routiniertes Leben wie dieses zu führen, so vollkommen allein. „Du hütest diese Insel, nicht? Damit du Menschen davor bewahren kannst, zu lange auf ihr zu verweilen, obwohl es dir selbst schadet, oder?” Sie antwortet nicht, entzieht sich aber auch nicht seiner Berührung, was Antwort genug für ihn ist. VII Die untergehende Sonne färbt die Insel in ihr orange-rotes Licht und verwandelt die Grandline in ein brennendes Meer. Ace stemmt eine Hand in die Hüfte, während er die andere hebt, um die schlafende Teleschnecke an seinem Handgelenk zu mustern. Seit dem abgebrochenen Anruf von Marco hat sie sich nicht mehr gerührt und auch jetzt, als Ace sie mit dem Finger anstupst, schläft sie unbekümmert weiter. Es kommt ihm vor, als weiß sie, dass sie in diesem Moment nichts ausrichten kann und daher nicht daran interessiert ist, auch nur die kleinste Regung zu zeigen. Bisher hat er ihr keine wirkliche Aufmerksamkeit während seines Aufenthaltes auf dieser Insel geschenkt, aber Ace nimmt an, dass sie nur ein weiterer Beweis dafür ist, dass mit dieser Insel tatsächlich etwas nicht stimmt. Zwar braucht er eigentlich keine weiteren Beweise, doch es erinnert ihn daran, dass er scheinbar für Kikyou nichts tun kann. Ace lässt beide Hände sinken und ballt sie zu festen Fäusten, als ihn eine kalte Wut überrollt, bis ihm die Knöchel schmerzen. Jedenfalls tun sie es, bis sanfte Finger seinen linken Handrücken berühren. Sie sind kalt auf seiner Haut, als sie seinen Knöcheln entlang streichen, als spürt Kikyou den Schmerz in ihnen. Er dreht den Kopf zur Seite, um die Miko anzuschauen, die neben ihm am Ufer der Insel steht und ebenfalls auf das offene Meer hinausschaut, ehe ihre Augen an seinem Striker hängen bleiben, der auf den sanften Wellen hin und her gewogen wird. Nur das Seil, das er an einer einsamen Palme festgemacht hat, sorgt dafür, dass er nicht fortgeschwemmt wird. Ohne ihn wäre Ace ebenfalls auf dieser Insel gefangen und dieser merkwürdige Schleier würde ihm den Rest geben. „Es ist Zeit”, sagt Kikyou und eine seltsame Hilflosigkeit erfasst Ace, die er seit langer Zeit nicht mehr gespürt hat. Seine Teufelskraft gibt ihm stets das Gefühl, praktisch unverwundbar und stark zu sein, was ihn oftmals übermütig und leichtsinnig macht. Nur selten wird Ace wirklich daran erinnert, dass es unzählige Dinge gibt, die er nicht kontrollieren oder verändern kann. „Können die Seelenfaenger nicht mit dir kommen?”, fragt er, doch Kikyou deutet ein kaum merkliches Kopfschütteln an. „Auch sie sind an den Schleier gebunden, der die Welten miteinander vereint”, sagt sie schließlich mit ruhiger Stimme, obwohl alles in Ace vor Emotionen bebt, weil die Situation einfach fürchterlich ungerecht ist und er wünscht, dass es einen tatsächlichen Feind gebe, den er aus dem Weg räumen kann, um Kikyou von ihrem Schicksal zu befreien. „Es ist in Ordnung, Ace”, sagt sie auf Schweigen hin und wendet sich zu ihm. Ihre Finger haben längst von ihm abgelassen, doch sie lächelt stattdessen. „Ich bin froh, dass du auf dieser Insel gehalten hast.” Und vielleicht ist es das Wissen, dass er dieser Frau niemals wieder begegnen wird oder einfach die Dankbarkeit in ihrem Blick, dass Ace eine Hand an ihre Wange legt, die blasse Haut berührt, die fein wie Porzellan wirkt, und sich zu ihr hinunter beugt, um seine Lippen sanft gegen ihre zu pressen. Einen Augenblick später wendet er sich von ihr ab, schreitet mit zusammengezogenen Augenbrauen und Frustration in seinem Bauch den Sandstrand zu der Palme herunter und löst das Seil, um sich auf seinen Striker zu schwingen. Die Dunkelheit naht bereits am Horizont, breitet sich langsam aus und kraucht auf die Insel zu. Erst jetzt bemerkt Ace den herannahenden Nebel, der sich zu bilden scheint und ein Schauer lässt seine Haut unangenehm prickeln, als er seinen Striker vorantreibt, fort von der Insel und auch von Kikyou. Als er weit genug weg ist, um sicher zu sein, dass er nicht mehr umkehren wird, wirft er einen Blick über seine Schulter zu der Gestalt, die inzwischen halb im Nebel versunken am Ufer steht und ihm nachsieht. Er hebt die Hand zum Abschied, obwohl die Geste nicht genug ist und niemals genug sein wird. Sie bleibt unerwidert, während die Teleschnecke an seinem Handgelenk zum plötzlichen Leben erweckt wird und ein tiefes Klingelgeräusch von sich gibt. „Dring, dring, dring…. Dring, dring, dring…” Es verliert sich auf dem zunehmend dunklen Ozean, da Ace den Anruf nicht beantwortet und sein Blick noch immer an der Insel hängt, die mehr und mehr von dem Nebel verschlungen wird, bis Ace sie nicht mehr sehen kann. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)