Eren von tears-girl (Geheimnisse der Turanos) ================================================================================ Kapitel 13: Bagono ------------------ „Tja. Ich schätze, ich muss ihn schon wieder retten“, seufzt Eren ergeben.   Begleitet von seinen Schattenkugeln bahnt er sich widerwillig einen Weg zum Plateau, weicht Schnäbeln und Klauen aus und schlägt den ein oder anderen Dagono noch bewusstlos. Viktor hat mittlerweile seinem Reittier ebenfalls die Lichter ausgeknipst und den Schwarmanführer entdeckt. Mutig wie er ist … rennt er schreiend weg. Dabei flucht er lauthals, was das für ein Ding sei.   Der Zwölfjährige legt die Schwingen an, um schneller zu werden. Der kalte Wind pfeift in seinen Ohren, zerrt an seiner Kleidung und treibt ihm Tränen in die Augen. Trotz verschwommener Sicht streckt er den Arm vor und schickt alle Schatten auf einmal los. Ein Kugelhagel schlägt in den Schnee knapp vor dem Bagono ein, der erschrocken aufschreit und taumelnd zurückweicht.   „Ich dachte, du mischt dich nicht ein?!“, beschwert sich Viktor wie auf Kommando. Er ist durch den Angriff in den Schnee gefallen und rappelt sich gerade schmollend wieder auf.   „Den Bagono kannst du nicht besiegen, du Bienenhirn! Seine Haut ist zu dick für deine lächerlichen Angriffe“, belehrt ihn Eren, ohne das große Vogelbiest aus den Augen zu lassen. „Überlass den Bagono mir. Du übernimmst die Kleinen!“   Wie ein trotziges Kind stapft Viktor mit dem Fuß auf und zieht eine Schnute. „Wie soll ich das machen, ohne Flügel, du Mini-Möchtegernheld?“   Anstatt auf den stichelnden Unterton einzugehen, wirft Eren ihm seinen Dolch vor die Füße. „Sei einfach nervig. Das kannst du am besten.“   Nach dem Kommentar lässt er Viktor erneut allein. Der Bagono gibt ein markerschütterndes Krächzen von sich, das Erens Ohren klingeln lässt, sodass er die Hände auf diese pressen muss. Mit einem Auge beobachtet er den Bagono, der schweren Schrittes auf ihn zu getrampelt kommt. Dabei bildet sein Rückgrat eine gerade Linie, wie ein Rammbock mit Hörnern. Dumm nur für das Monster, dass Eren fliegen kann. So steigt er einfach höher auf, um dem Angriff zu entkommen. Schlitternd bremst der Vogel ab, hebt den Kopf und starrt finster zu dem Kind auf.   Hahaha! Bagono sind so dämlich!   Wir sollten ihn lieber nicht zu sehr reizen. Wer sich mit dem Bagono anlegt, bekommt seine Hörner zu spüren.   Was klischeehafteres ist dir nicht eingefallen, oder?   *Habt ihr eigentlich einen Stummschalter?*   Nein, tut mir leid.   Pech gehabt!   Eren stöhnt genervt, hat aber keine Zeit sich länger mit den Stimmen zu befassen. Der Bagono hat auch Flügel und die nutzt er jetzt, um Eren zu folgen. Der Junge steigt senkrecht zum Himmel auf. Immer höher, immer weiter von den Dagono weg. Ein paar versuchen zwar ihrem Anführer zu folgen, aber der Instinkt das Nest vor Viktor zu schützen ist stärker. Nur der Anführer bleibt hartnäckig. Der hat sich voll und ganz auf Eren fixiert.   Genau nach Erens Plan. „Sehr gut. Folge mir du überdimensioniertes Hühnchen.“   Schon bald haben sie die Höhe der wenigen Wolken erreicht, die träge am blauen Himmel dahinziehen. Mit jedem Meter werden die Bewegungen des Bagono langsamer. Eren glaubt, bereits die ersten Eiskristalle im Gefieder zu erkennen. Lange wird er nicht mehr durchhalten und umkehren. Das darf nicht passieren, sonst stürzt er sich wieder auf Viktor, der keine Chance hat. Außerdem macht die Kälte nicht nur dem Bagono zu schaffen, auch Erens Schwingen überzieht eine dünne Eisschicht, die es ihm immer schwerer macht die Muskeln zu bewegen.   Deshalb klappt er ohne Vorwarnung die Schwingen ein. Sofort greift die Schwerkraft nach ihm. Für den Bagono kommt das so überraschend, dass er nicht mal nach dem Jungen schnappt, der knapp an seinem Schnabel vorbeifällt. Das Monster schlägt unryhtmisch mit den Flügeln und taumelt unkoordiniert durch die Luft bis es sich wieder fängt und wütend dem Kind hinterherstürzt.   Eren bleibt die Ruhe selbst während er dem Gebirge und der Bagono ihm immer näher kommt. Der spitze Schnabel öffnet sich langsam, die Zähne blitzen im morgendlichen Sonnenlicht. Der Vogel kneift bereits siegessicher die Augen zusammen, doch im letzten Moment dreht Eren nach rechts weg. Der Monstervogel krächzt frustriert als sein Schnabel im Leeren zusammenschlägt. Aber so schnell gibt er nicht auf.   Geschickt biegt Eren bei der nächsten Felssäule ab, umkreist diese abwärts bis knapp über den Boden und bleibt auf dieser Höhe. Bei jedem Flügelschlag berühren seine Flügelspitzen die unberührte Schneedecke auf seinem Weg im Slalom durch die Felsformationen hindurch. Wind und Wetter haben die schroffen Felswände geformt und ein natürliches Labyrinth aus Tunneln, Bögen und Klippen geschaffen. So elegant wie sich der Junge durch all diese Hindernisse schlängelt, mindestens genauso unelegant sieht es bei dem Vogel aus. Der Bagono ist zu groß für die meisten Löcher und Spalten, weshalb er einfach seinen mächtigen Schädel gegen alles rammt, was ihm im Weg steht und so zu kleinen Steinbrocken verarbeitet.   „Uh.“ Eren verzieht schmerzverzerrt das Gesicht als er den Bagono dabei beobachtet. „Der wird morgen schlimme Kopfschmerzen haben.“   Er sieht wieder nach vorne. Gerade rechtzeitig, um den Kopf einzuziehen, die Schwingen anzulegen und knapp unter dem Steinbogen durchzutauchen.   Sei vorsichtig.   Pass gefälligst auf wo du hinfliegst!   *Ja, ja.*   Eren verdreht genervt die Augen, dann wirft er wieder einen Blick zurück. Hinter ihm klingt es so als würde … nun ja … als würde ein Bagono die Landschaft umgestalten. Der Monstervogel kracht von einer Felssäule in die nächste, lässt dabei nur einen Geröllhaufen und aufgewirbelten Schnee hinter sich zurück.   „Oh“, seufzt der Junge gespielt traurig. „Das war so ein schöner Hinderniskurs für´s Flugtraining.“   Eine Weile ärgert er den Bagono, lässt ihn aufholen, nur um dann wieder einen Haken zu schlagen und ihm so immer knapp zu entkommen. Eren hat Spaß dabei, der Bagono eher weniger. Mit jedem vergeblichen Angriff wird er noch zorniger, noch rasender. Schon längst hat sein Kopf aufgehört seine Angriffsversuche zu lenken. Ob das viele gegen Steine rammen oder die Raserei schuld sind, kann man nicht sagen. Vermutlich beides zugleich. Schließlich fängt dieses Fangenspiel an das Kind zu langweilen, weshalb er beschließt, mal nach Viktor zu schauen.   Nur wenige Dagono kreisen noch in der Luft, die meisten sind Opfer des 27-Jährigen geworden. Auf dem Plateau wimmelt es nur so von ohnmächtigen Dagono, manche bluten auch oder liegen verdreht übereinander. Offensichtlich hat sich Viktor nicht ganz an die Vorschrift gehalten, keinen Vogel zu töten. Wirklich überrascht ist Eren aber nicht, er hat eigentlich genau das erwartet. Nur von dem Bienenmutanten fehlt jede Spur.   "Hat sich der Dödel fressen lassen?"   Verwundert dreht er eine Runde auf der Suche nach seinem Teamkollegen. Dass der Bagono von dem Anblick seines Schwarms schockiert ist, gequält aufheult und dann noch entschlossener hinter Eren herjagt, gefolgt von den letzten Dagono, bekommt er gar nicht richtig mit.   Bald entdeckt er doch einen Menschen. Nicht Viktor, sondern Carmen. Irritiert legt Eren den Kopf schief, bleibt aber auf Abstand, um sein ungebetenes Gefolge nicht auf das Mädchen aufmerksam zu machen. Was macht die denn hier oben? Die unausgesprochene Frage beantwortet sie bereits als sie bemerkt, dass Eren sie bemerkt hat. Die Blondine streckt beide Arme vor, zeigt auf den Boden, hebt dann die Daumen hoch, deutet anschließend auf Eren und danach in die Richtung, in der die Höhle des Grobämi liegt. Nachdem Eren verstehend genickt hat, verschwindet Carmen wieder im Nest der Dagono.   Endlich können wir hier weg.   Ja. Dann können sich die armen Dagono von unserem Besuch erholen.   Bis wir sie das nächste Mal aufmischen!   Eren steigt schnell höher, vollführt einen großen Looping und taucht mitten hinein in die Schlucht neben dem Dagono-Plateau. Während er den darin hervorragenden Felsbrocken ausweicht, kontrolliert er immer wieder, ob auch alle flugfähigen Vögel hinter ihm her sind. Sobald auch der letzte in der Schlucht ist, hält er abrupt an und wirbelt zu den Monstern herum. Der Bagono ist ein weiteres Mal zu überrascht, um die Situation richtig zu verstehen. Die Dagono sind sowieso zu dumm. Eren streckt den Vögeln beide Handflächen entgegen.   „Bye-bye, ihr Hühnchen. Bis zum nächsten Mal“, verabschiedet er sich höflich.   Natürlich verstehen ihn die Monster nicht, aber das kümmert ihn nicht als er schnell die Arme zu beiden Seiten zurückzieht. In derselben Sekunde taucht wie aus dem Nichts eine riesige Rauchwolke auf, die die gesamte Schlucht ausfüllt. Überall kreischen die Monster auf, verlieren die Orientierung, prallen gegeneinander, fliegen gegen Felswände und Boden und greifen in ihrer Panik andere Dagono an. Der schwarze Rauch ist so dicht, dass man nicht sieht, was sich direkt vor den eigenen Augen befindet, außerdem betäubt er die Sinne, sodass es unmöglich ist zu sagen, wo oben und wo unten ist. Außer für Eren natürlich.   Der Junge ist in zwei Flügelschlägen aus der Schlucht heraußen. Mit verschränkten Armen begutachtet er sein Werk. Noch schöner als einen Kampf zu gewinnen, ist mitanzusehen wie sich die Gegner alle gegenseitig angreifen.   Nicht schlecht. Ich bin beeindruckt. Ein bisschen zumindest.   Ein ganz, ganz kleines schlechtes Gewissen meldet sich doch in seinem Kopf zu Wort. Die Stimme der hellen Seite, die sich vorwurfsvoll in seinen Gedanken räuspert.   Also wirklich. War das nötig? Du hättest sie auch anders abhängen können. Sie haben immerhin nur ihr Zuhause verteidigt.   „Ich hab jetzt echt keine Lust zu diskutieren.“ Glücklicherweise ist die helle Seite nicht so aufdringlich wie die andere. Sie schweigt (meistens), wenn man es ihr sagt.   Eren sieht sich noch ein paar Sekunden lang sein angerichteten Chaos an und macht sich dann zufrieden auf den Weg zurück zur Höhle. Gerade als er im Eingang landet, erscheint Igor aus dem Nichts am anderen Ende. Er sieht fertig aus, verschwitzt, außer Atem und rot im Gesicht. Carmen reicht ihm gerade eine Flasche Wasser, die der Teamführer mit einem dankbaren Nicken annimmt und gierig davon trinkt. Viktor ist auch hier nicht zu sehen.   „Hey“, macht Eren auf sich aufmerksam. Er lässt die Flügel verschwinden und geht auf die zwei zu. „Habt ihr genug Schalen bekommen?“   So wie es aussieht haben die beiden reiche Beute gemacht. Ein paar der grauen Säcke liegen kreuz und quer am Schlafplatz verteilt, andere sind ordentlich zusammengebunden, mit einem Etikett versehen und an der Wand aufgeschichtet.   „Mehr als genug“, antwortet Carmen erschöpft, aber zufrieden. „Die werden eine Weile reichen.“   Igor nickt ihm lediglich grüßend zu, zu beschäftigt ist er damit die Flasche zu leeren und Sauerstoff in seinen Körper zu inhalieren.   „Klasse. Dann können wir ja nach Hause.“ Eren schnappt sich einen der Säcke, knoten diesen fest zusammen und macht sich daran dem Mädchen beim Verpacken und Beschriften zu helfen. „Übrigens, wo ist Viktor? Habt ihr ihn am Plateau vergessen?“   Die Blondine schüttelt den Kopf, zieht noch einmal am Seil und trägt den nächsten Sacke an die Wand. „Nein. Der wartet bereits am Stützpunkt, um dort die Säcke für den Teleport vorzubereiten.“ Sie kehrt zurück und zieht den nächsten Sack zu sich heran. „Du solltest nett zu ihm sein. Er ist jetzt schon ziemlich stinkig, weil du ihn mit dem gesamten Schwarm allein gelassen hast.“   Gespielt empört zieht der Junge eine Grimasse. „Ich hab nur versucht ihn vor dem Bagono zu retten.“   „Ja, aber du kennst doch Viktor. Der kann sich über alles aufregen“, lacht Carmen kurz auf, rollt dabei mit den Augen. „Ich will nur einmal ohne weitere Zwischenfälle Zuhause ankommen. Bitte.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)